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IZ3W/166: Verheerende Zustände an simbabwischen Universitäten


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 311 - März/April 2009

Eine akademische Sünde
Verheerende Zustände an simbabwischen Universitäten

Von Christopher Phiri


Simbabwe liegt am Boden. Augenscheinlichstes Merkmal ist die Inflationsrate, die offiziell bei 231 Mio. Prozent liegt, inoffiziell wohl noch höher ist. Die katastrophale Wirtschaftspolitik hat zu einer Rezession ohnegleichen geführt. Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit sind die Folge. Eine chaotische und unvollständige Landreform hat zu einer humanitären Krise geführt. Wer aufbegehrt, wird mehr denn je verfolgt und bestraft. Vor allem tatsächliche oder angebliche Mitglieder des oppositionellen MDC bekommen die Staatsgewalt zu spüren. Immer wieder haben Mugabe und seine ZANU-PF ihre Missachtung gegenüber fundamentalen Menschenrechten zum Ausdruck gebracht. Die Pressefreiheit wurde abgeschafft, die Gerichtsbarkeit staatlicher Willkür unterworfen und die Zivilgesellschaft mundtot gemacht.



Feinde der Regierung

Die Misere betrifft sowohl die Situation im Allgemeinen, als auch konkret die der Universitäten und ihrer Lehrkräfte. Fast alle staatlichen Schulen und Hochschulen sind geschlossen, die meisten seit Januar 2008. Über die Jahre, aber insbesondere seit 2000, haben simbabwische Lehrkräfte politisch, ökonomisch, sozial und vor allem beruflich sehr gelitten. Besonders betroffen sind diejenigen, die regierungskritisch eingestellt sind und als Mitglieder ziviler Organisationen oder der Oppositionspartei MDC Kritik äußern. Jede Kleinigkeit bietet für regierungstreue Kräfte einen Anlass, Menschen zu schikanieren, einzusperren oder zu foltern.

Es gibt durchaus AkademikerInnen, die der Regierungslinie blind folgen und entsprechend gefördert werden. Die Mehrheit ist jedoch sehr regimekritisch und wird deshalb von der Regierung mit Misstrauen betrachtet. Deshalb wurde beispielsweise die University of Zimbabwe als Hort von "Vertretern eines illegalen Regimewechsels", von "Imperialisten" und durch den Westen unterstützten "Feinden der Regierung" bezeichnet. Wollen die Lehrkräfte überleben, ist es notwendig, dass sie wenigstens vorgeblich ihren Verpflichtungen gegenüber der Regierung nachkommen und die Opposition, insbesondere das MDC, vollständig meiden.

In ökonomischer Hinsicht mussten die Lehrkräfte starke finanzielle Einbußen hinnehmen. Betrug das monatliche Gehalt 1999 noch umgerechnet zwischen 2.500 und 3.000 US-Dollar, ist es mittlerweile auf fünf Dollar zusammengeschrumpft. Dies macht ein Überleben praktisch unmöglich. Im Jahr 2000 mussten die Lehrkräfte auf alle ausstehenden Gehälter "freiwillig" verzichten, gegebenenfalls unter dem nötigen Druck von Regierungsseite. Seitdem unterstehen die Gehälter und die Universitätsfinanzen politischer Einflussnahme. Mit den monatlich fünf verbleibenden Dollar können weder Mieten bezahlt, Kleidung gekauft noch die alltäglichsten Dinge erledigt werden. Es gilt zu sparen, wo es nur geht. Mehr als eine warme Mahlzeit am Tag, gewöhnlich eine magere Suppe, ist unerschwinglich. Medizinische Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen ist unmöglich.


Überlebenskampf statt Lehre

Die verschiedenen Taktiken, das Überleben zu meistern, führen meist zu unorthodoxen Lösungen fernab des Unibetriebs. Wer an ausländische Universitäten wechseln kann, zählt zu den Glücklichen. Daheimgebliebene WissenschaftlerInnen hingegen gehen den verschiedensten Tätigkeiten nach. Viele verkaufen gelegentlich auf den Straßen von Harare alles Mögliche, von Süßigkeiten bis zu Tomaten. Andere verdingen sich als GrenzhändlerInnen zwischen Südafrika und Botswana. Wieder andere suchen den Ausweg darin, Studierende für das Ausstellen von Empfehlungsschreiben und Zeugnissen bezahlen zu lassen. Einige wenige betteln bei Studierenden um Geld, während andere Vorschläge für Dissertationsprojekte gegen Bezahlung feilbieten. All dies hat negative Konsequenzen auf Forschung und Publikationstätigkeit. Forschung wird nicht honoriert und an Publikationen ist nicht zu denken, solange die eigenen Familien am Rande des Verhungerns stehen. Nichts ist mehr zu spüren von der Vitalität der Zeit vor dem Jahr 2000.

Immer auf der Jagd nach Konferenzen und Workshops, hoffen die AkademikerInnen auf Extrabezahlung. Sie zwingen sich, wissenschaftliche Arbeiten zu verfassen, egal zu welchem Thema, nur um an eine Einladung heranzukommen. Prüfungsdokumente werden zunehmend nur gegen Gebühr an die Studierenden herausgegeben. Es kann außerdem vorkommen, dass Prüfungen nicht gründlich abgenommen werden, weil sie in Sorge um das Überleben als zweitrangig angesehen werden. Dies kompromittiert die Glaubwürdigkeit von simbabwischen Universitätsabschlüssen und behindert die Professionalität der Lehrkräfte.

Sowohl bei Lehrenden als auch bei Studierenden macht sich Frustration breit. Die University of Zimbabwe war bis vor kurzem für einige Monate geschlossen. Als die Universitätsleitung beschloss, sie wieder zu öffnen, kündigte sie an, dass es anstelle eines 15-wöchigen Semesters nunmehr ein neunwöchiges Semester geben werde. Lehrkräfte wurden aufgefordert, einen Crashkurs zu machen, um ihren Lehrplan unterzubringen. Neun statt 15 Wochen reichen aber nicht aus. Trotz der Verkürzung wurde den Studierenden - auch jenen, die im Umland wohnen - nur sehr kurzfristig der Beginn des neuen Semesters mitgeteilt. Sie hatten ganze zwei Tage Zeit, ihre Studiengebühren aufzutreiben und in Universitätsnähe zu ziehen. Wenig überraschend, dass die wenigsten rechtzeitig zu Studienbeginn anreisten. Erst nach rund drei Wochen war eine Klasse vollständig. So kam es, dass das Semester eigentlich nur sechs Wochen dauert. Das ist ein akademisches Vergehen!

Nur wenige DozentInnen lehren überhaupt noch. Die Meisten lehnen es ab, an dieser akademischen Sünde mitzuwirken. Aufgrund der massiven Abwanderung gibt es außerdem nur sehr wenige ProfessorInnen, die fähig wären, DoktorandInnen zu unterrichten. Die meisten DoktorandInnen, die um das Jahr 2000 mit ihrer Promotion angefangen hatten, haben diese noch nicht beendet. Im Falle, dass es doch jemand schaffen sollte, könnte die Universitätsleitung kaum externe Prüfer für die KandidatInnen heranholen, da diese nicht bezahlt werden können.

Aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen sind viele WissenschaftlerInnen abgewandert. Dies führt zur weiteren Belastung der Dagebliebenen. Die Hörsäle sind mit über 500 Studierenden gnadenlos überfüllt. Die DozentInnen müssen regelrecht schreien, um gehört zu werden. Mit jedem akademischen Jahrgang werden die Klassen größer, denn der Staat erhöht die Einschreibungszahlen jährlich. Damit soll "der landesweit zunehmende Erfolg auf dem Gebiet der Bildung" belegt werden.

Gegenwärtig gibt es an der University of Zimbabwe bei rund 12.000 Studierenden und MitarbeiterInnen auf dem ganzen Campus kein fließendes Wasser und keine einzige funktionsfähige Toilette. Dadurch entstehen ernsthafte gesundheitliche Gefahren. Momentan grassiert im Land eine schlimme Choleraepidemie. Auch viele DozentInnen und Studierende sind davon betroffen. Das Gesundheitssystem kann nicht helfen, da es vollständig zusammengebrochen ist.


Das Internet ist offline

Die Aufenthaltsräume der Lehrenden sind immer überfüllt, schlecht ausgeleuchtet und kaum belüftet. Manchmal fehlt es an einfachsten Hilfsmitteln wie Kreide oder Schwämme. Von Projektoren und dergleichen kann nur geträumt werden. Hilfsmittelintensive Fächer wie Chemie und Medizin sind davon besonders betroffen und können keine praktischen Übungen anbieten. Vor einiger Zeit wurden die MedizinstudentInnen während eines Praktikums im Parirenyatwa Government Hospital wieder nach Hause geschickt. Es gab weder Medikamente noch Patienten. Es war geschlossen.

Die einstmals gut bestückte Universitätsbibliothek ist in einem miserablem Zustand. Wenn überhaupt Bücher erhältlich sind, sind diese veraltet oder unbrauchbar. Das Internet ist die meiste Zeit aufgrund technisch bedingter Ausfälle offline. Zudem gibt es mehrmals täglich politisch motivierte, mehrstündige Blockaden. Samstags und sonntags ist das Netz komplett gesperrt. Einen Grund für die Blockade gibt die Regierung nicht an.

Aufgrund der internationalen Ächtung der Regierung erhalten die Universitäten keine externe Hilfe. So kann beispielsweise das Commonwealth-Programm nicht angezapft werden, da Simbabwe aus dem Commonwealth ausgeschlossen wurde. Wenn AkademikerInnen aber keine Stipendien im Ausland bekommen, müssen sie in Simbabwe bleiben.

All diese Beispiele zeigen, dass die AkademikerInnen in Simbabwe in grundlegenden Schwierigkeiten stecken. Sie brauchen jede erdenkliche Hilfe auf individueller oder institutioneller Ebene.

Christopher Phiri ist Dozent für Wirtschaftsgeschichte an der University of Zimbabwe, Vorsitzender der Gewerkschaften AUT (Association of University Teachers) und der ZISUUA (Zimbabwe State Universities Union of Academics). Übersetzung: Georg Bittner.


Simbabwes Weg in die Misere

Rhodesien, das heutige Simbabwe, löste sich Mitte der 1960er Jahre von der britischen Krone. Eine rassistische weiße Minderheitsregierung erlangte die Macht, unterstützt durch das Apartheid-Regime in Südafrika. Es gab weltweit Proteste, die neben der internationalen Ächtung in UN-Wirtschaftssanktionen gipfelten. Im Inland erstarkten Guerillabewegungen wie die ZANU (Zimbabwe African National Union) und die ZAPU (Zimbabwe African Peoples Union), die sich als Vertreter der schwarzen Mehrheit verstanden. Auf heftige Kämpfe folgte 1979 ein Waffenstillstandsabkommen. 1980 fanden die ersten freien Wahlen statt, aus denen der ZANU-Vorsitzende Robert Mugabe als Sieger hervor ging. Mugabe wurde als Freiheitskämpfer Afrikas hoch gelobt. Er rief zur Einigkeit zwischen Schwarz und Weiß auf und führte zahlreiche Verbesserungen ein. Die Lebensqualität stieg, das Bildungs- und Gesundheitssystem wurde ausgebaut.

Doch schon zwei Jahre später gab es einen ersten Bruch. Mugabe beschuldigte seinen Koalitionspartner ZAPU, einen Umsturz zu planen. Die Koalition wurde aufgekündigt und AnhängerInnen der ZAPU verfolgt. 1987 willigte die ZAPU ein, in Mugabes ZANU aufzugehen. Mit der so genannten Patriotic Front (ZANU-PF) war der Ein-Parteien-Staat unter Mugabes Herrschaft geboren. Als Anfang der 1990er Jahre der Ost-West-Konflikt endete und Simbabwe als Spielball beider Seiten bedeutungslos geworden war, liefen die Finanzhilfen aus. Nelson Mandela löste Mugabe als Hoffnungsträger ab.

Es gab einen zweiten Bruch. Mugabe begann eine Kampagne gegen Homosexuelle, die sich unter anderem gegen Oppositionspolitiker richtete. Viele KritikerInnen flüchteten, internationale Medien und Regierungen wandten sich ab. Immer unberechenbarer wurden seine Maßnahmen. Eine Landreform führte ab 1997 zu wilden Enteignungen mehrheitlich weißer Siedler. Die besten Ländereien übernahm die schwarze Bourgeoisie um Mugabe, die arme Bevölkerung flüchtete in die Städte. Seit 2005 werden im Rahmen der "Operation Müllentsorgung" Slums plattgewalzt. Die BewohnerInnen, zu großen Teilen Flüchtlinge der Landreform, müssen einmal mehr flüchten. Die letzten beiden Wahlen gingen mit massiven Repressionen gegen die Opposition einher, insbesondere deren stärkste Kraft MDC (Movement for Democratic Change). Die Wahlergebnisse wurden gefälscht.
gb


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 311 - März/April 2009


Wenn die Nacht am tiefsten... - Macht und Alltag im Iran

Iran steht derzeit wegen seines Atomprogramms im Mittelpunkt außenpolitischer Debatten. Unser Themenschwerpunkt fragt nach den Herrschaftsverhältnissen im Inneren. Wie mobilisiert das Regime der Mullahs Unterstützung in der Bevölkerung? Was unterscheidet den iranischen Islamismus von anderen Islamismen? Wie verfährt das Regime mit Minderheiten? Und wo gibt es welche Ansätze für Widerstand?

Trotz des verbreiteten Unmuts gibt es im Iran keine starke organisierte Oppositionskraft. Wie auch? Oppositionelle Parteien haben im politisch-religiösen System der Mullah-Republik keine Chance. Politische Bewegungen und Minderheiten sind jedoch trotz aller Repression aktiv. Sie kämpfen vor allem auf der Alltagsebene für Bewusstseinsveränderungen, weil sie noch nicht in der Lage sind, die Machtfrage zu stellen. Ihnen gilt unsere Empathie und Solidarität, und ihnen widmet sich dieser Themenschwerpunkt.


Heft - Editorial: Der Anfang vom Ende

Politik und Ökonomie

Israel - Palästina: Gelegenheit für die US-Regierung
von Ghassan Khatib

Wird Palästina gespalten bleiben?
von Yossir Alpher

Simbabwe: Eine akademische Sünde
Verheerende Zustände an den Universitäten
von Christopher Phiri

Entwicklungspolitik: Alte Freunde
Das Scheitern politischer Konditionalität in Togo
von Björn Gutheil

Nationalsozialismus: »Wir waren nicht mehr als Nummern«
Biografische Notizen von schwarzen Häftlingen im KZ Neuengamme von Rosa Fava


Schwerpunkt: Macht und Alltag im Iran

Editorial zum Themenschwerpunkt

Die Andersdenkenden
Zwischen Hoffnung und Resignation
ein Brief von Soussan Sarkhosh

Bastion der Freiheit
Die Studentenbewegung im Iran
von Ali Schirasi

Die andere Hälfte
Iranische Frauen und ihre Bewegung für Freiheit und Emanzipation
von Chahla Chafiq

Zwangsweise loyal
Iranische Jüdinnen und Juden als Spielball der Politik
von Thomas Schmidinger

Utopie versus Apokalypse
Selbstverständnis und Verfolgung der Bahai im Iran
von Wahied Wahdat-Hagh

Die Republik der Ayatollahs
Vom Auf- und Abstieg der politischen Theologie Khomeinis
von Jörn Schulz

»Die Revolutionsgarden sind das Machtzentrum«
Interview mit Ali Alfoneh über das System der Islamischen Republik Iran


Kultur und Debatte

Debatte: Fersengeld statt »satanische Verse«
Die Fatwa gegen Salman Rushdie hat bis heute Folgen
von Udo Wolter

Kunst: Jeder Blick verrät seinen Standort
Perspektiven auf Kunst aus Afrika
von Sebastian Stein

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 311, März/April 2009, S. 6-7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2009