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IZ3W/164: Rezension zu "Vergessene Proteste"


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 310 - Januar/Februar 2009

Vergessene Proteste

Rezensiert von Gerald Whittle


Der Antirassismus wurde vor allem nach den rassistischen Übergriffen im Zuge der deutschen Einheit zu einem der wenigen Themen, zu denen fast die gesamte Linke einen Bezug hat. Doch schon vor den 1990er Jahren gehörte der Antirassismus ins Repertoire linker Politik. Auf diese meist unbekannte oder unbemerkte Zeit geht Niels Seibert in seinem Buch Vergessene Proteste ein. Beleuchtet werden der Antirassismus und der Internationalismus zwischen 1964 und 1983. 1964 protestierte der SDS mit ausländischen KommilitonInnen gegen den Besuch des kongolesischen Diktators Tschombé. Hier wird ein interessanter Fakt deutlich: Anfangs waren es die in Deutschland studierenden AktivistInnen aus Ländern mit Widerstandsbewegungen, die den deutschen Linken den Antiimperialismus und antikoloniale Klassiker wie Fanon nahebrachten. Weitere Ereignisse belegen die Bedeutung des Antiimperialismus für die damalige Linke, etwa die Proteste gegen den Schah 1969, die praktische Solidarität mit GIs, die vor dem Einsatz in Vietnam flohen, oder der Protest gegen Vorführungen rassistischer Filme.

An diesen Beispielen wird auch deutlich, dass der Antirassismus Teil eines antiimperialistischen Weltbildes darstellte. So wurden die rassistisch Verfolgten eher als GenossInnen im Exil denn als Flüchtlinge betrachtet, ein weiterer Unterschied des damaligen Antirassismus zum heutigen. In Seiberts Buch wird auch aufgezeigt, dass sich mit neuen Ausländergesetzen Ende der 1960er die Situation vieler MigrantInnen in der BRD verschärfte. Gegen diese Gesetze, mit denen Repressionen gegen ausländische Linke einhergingen, war die APO aktiv.

Das Buch besticht durch seine Fülle an Informationen und Geschichten vom Kampf der damaligen BRD-Linken gegen Rassismus. In diesem Sinne stellt es linke Geschichtsschreibung im besten Sinne des Wortes da: Es wird überhaupt erst das Bewusstsein für vergangene Auseinandersetzungen geschaffen, welches für heutige politisch Aktive wichtig ist. Die Schwäche des Buches liegt darin, dass es die verschiedenen Ereignisse lediglich aufzählt, nicht aber kritisch analysiert. Man bekommt den Eindruck, der Autor sehe im antiimperialistischen Antirassismus der 1960er/70er Jahre etwas Anstrebenswertes. Die linke Kritik am Antiimperialismus, die spätestens seit Mitte der 1980er Jahre mit guten Gründen geübt wurde, fällt unter den Tisch. Und so wird dann beispielsweise eine Broschüre kritiklos erwähnt, die die Repressalien gegen arabische StudentInnen unter dem vollkommen irreführenden Titel "Der neue Antisemitismus" thematisiert.

Niels Seibert:
Vergessene Proteste
Internationalismus und Antirassismus 1964-1983
Unrast Verlag, Münster 2008. 224 Seiten, 13,80 Euro


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 310 - Januar/Februar 2009


Die Politik des Hungers - Ernährung in der Krise

Produktionssteigerung, Grüne Revolution, Saatgutverbesserung, Brot für die Welt, Ökolandbau in den Tropen, Ernährungssouveränität: Die Konzepte gegen den Hunger sind so widersprüchlich wie die Interessen ihrer jeweiligen AkteurInnen.

Dabei haben sie alle dazu beigetragen, dass fast doppelt so viel Nahrung produziert wird, als für die Abschaffung des Hungers nötig wäre. Trotzdem ist der Hunger in der Welt ein Leiden, das rund ein Sechstel der Weltbevölkerung betrifft. Der aktuelle Themenschwerpunkt der iz3w fragt: Wo liegt das Problem?


Heft - Editorial: Beredtes Verschweigen

Politik und Ökonomie

Kongo: Nachwachsende Warlords
Die Rebellen von der CNDP stellen sich als Opposition dar
von Alex Veit

Gender: Gegen sexualisierte Gewalt
Der Frauenrechtsgipfel in Kapstadt
von Rita Schäfer

Welthandel I: Globales Europa
"WTO plus"-Politik für europäische Konzerne
von Peter Fuchs, Manuel Melzer und Michael Reckordt
No Gender in Global Europe
von Judith Krane

Welthandel II: "Eine neue Form der Plünderung"
Interview mit Raúl Moreno über das EU-Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika

(Post-)Kolonialismus: "Eine perfekte Brücke"
Portugal vermischt postkoloniale Identität mit Geostrategie
von Nikolai Brandes

Grenzen I: Im Grenzbereich
Eine Reise nach Costa Rica und Nicaragua führt an die Ränder des amerikanischen Kontinents
von Stefanie Kron und Pablo Hernández

Grenzen II: Umkämpfte Territorien
Die Politisierung von Grenzräumen in Nicaragua, Costa Rica und der Karibik
von Pauline Bachmann, Sophie Esch und Jan Wörlein

Grenzen III: Nica-Ticos
Geschichten aus dem transnationalen Alltag
von Claudia Jaekel, Lisanne Kindermann und Matthias Schreiber


Schwerpunkt: Politik des Hungers

Editorial zum Themenschwerpunkt

Es ist angerichtet
Vorerst behält die Hungerpolitik die Oberhand über Strategien gegen den Hunger
von Martina Backes

Aufplustern am Leid
Die Agrarindustrie festigt mit der Ernährungskrise ihre Stellung
von Rudolf Buntzel

Aus dem Elfenbeinturm
Der UN-Rahmenaktionsplan zur globalen Hungerbekämpfung
von Roman Herre

Ausdauernd und resistent
Agrarkonzerne wollen den Hunger mit Gentechnologie bekämpfen
von Christof Potthof

Europa global - Hunger egal
Warum die Agrarpolitik der EU Nahrungskrisen verschärft
von Armin Paasch

Schöne neue Warenwelt
Die Ausbreitung von Supermärkten in Tunesien und Marokko
von Annalena Edler

Gerissene Spekulanten, arglose Bauern?
Über Terminbörsen für Agrarrohstoffe zirkulieren einige Mythen
von Stefan Frank

Boom, Bust und Biosprit
Die Sorge um den Weltmarkt ist größer als die Kritik an der Agrarproduktion
von Thomas Fritz


Kultur und Debatte

(Post-)Kolonialismus I: Geschichte der Gewalt
Eine Diskussion über Genozide, Kolonialkriege und den Nationalsozialismus
von Birthe Kundrus, Jürgen Zimmerer u.v.m

(Post-)Kolonialismus II: Die Vergangenheit stets präsent
Eine Begegnung mit den Herero in Mahalapye
von Johann Müller

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 310, 310 - Januar/Februar 2009, S. 48
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2009