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IMI/494: Münchner Sicherheitskonferenz - Indirekte Kriege und globale Frontbildung


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Analyse 2013/03 vom 6. Februar 2013

Indirekte Kriege und globale Frontbildung
Der "Westen" bringt sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz neu in Stellung

von Jürgen Wagner



Mehr als 400 "Entscheidungsträger" aus Politik, Militär und Wirtschaft versammelten sich am ersten Februar-Wochenende 2013 einmal mehr auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz (SiKo). Traditionell fungiert die Konferenz als "Ankerpunkt im politischen Kalender" und wichtiger Ort für eine "grundlegende sicherheitspolitische Debatte", wie Verteidigungsminister Thomas de Maizière in seiner Rede die Bedeutung des Treffens hervorhob.[1]

Grob zusammengefasst bestimmten zwei Schwerpunkte die Konferenz: Einmal war dies der Umgang mit den Konflikten in Syrien und in Mali sowie der Streit um das iranische Atomprogramm. Aufgrund der desaströsen Erfahrungen mit den Interventionen in Afghanistan und im Irak scheint man derzeit gegenüber weiteren Kampfeinsätzen mit umfangreichen Bodentruppen eher vorsichtig zu sein. Das macht allerdings nichts besser, denn weiterhin setzt man alles daran, entweder pro-westliche Regierungen an der Macht zu halten (Mali) bzw. missliebige Regierungen zu entfernen (Syrien). Tatsächlich werden vom Westen in immer mehr Ländern Konflikte angezettelt und/oder angeheizt sowie gewaltsam dort interveniert, allerdings setzt man hierfür inzwischen zunehmend auf "indirekte" Formen der Kriegführung: Luftschläge, vor allem mittels Drohnen, Spezialeinheiten, lokale Stellvertreterarmeen bzw. Guerillakräfte usw.

Der zweite Schwerpunkt der Sicherheitskonferenz lag auf der Frage, wie die USA und die Europäische Union auf den rasanten Machtgewinn verschiedener Staaten, allen voran China, aber auch Russland, Brasilien oder auch Indien reagieren sollen. Hier dominierte der Versuch, die transatlantischen Reihen zu schließen, um sich hierdurch besser gegenüber diesen neuen Rivalen positionieren zu können. Ungeachtet phrasenhafter Versicherungen, man sei an einem kooperativen Verhältnis interessiert, war die Verhärtung der Fronten deutlich spürbar. Die allgemeine konfrontative Stimmung zeigt sich unter anderem daran, dass überall nach Mitteln gesucht wird, um die westliche Position im Gerangel der alten und neuen Großmächte zu verbessern. In diesem Zusammenhang spielte auf der Konferenz vor allem eine neue Öl- und Gasfördertechnik (Fracking) eine wichtige Rolle. Von ihr verspricht man sich, dass sie das machtpolitische Pendel in absehbarer Zeit wieder zugunsten der USA und möglicherweise auch der EU-Staaten zurückschwingen lassen könnte.


1. Frontbildung und neue Transatlantische Herzlichkeit

Die Sicherheitskonferenz war zwar schon häufig der Ort, an dem vorhandene transatlantische Meinungsverschiedenheiten in aller Öffentlichkeit und Schärfe zutage traten, in der Regel überwiegen dort aber floskelhafte gegenseitig Versicherungen über die alles überragende Bedeutung der amerikanisch-europäischen Beziehungen. Insofern stellen die diesjährigen Treueschwüre eigentlich erst einmal nichts Besonderes dar, wobei allerdings auffiel, dass sie heuer mit besonderer Inbrunst vorgetragen wurden. So konstatierte Wolfgang Ischinger am Tag des Konferenzbeginns in einem Artikel im Handelsblatt (01.02.2013): "Reden amerikanischer Politiker zu den transatlantischen Beziehungen klingen in der letzten Zeit häufig ein bisschen wie der Klassiker von Van Morrison: Have I told you lately that I love you?"

Für diese neue "Transatlantische Herzlichkeit" gibt es zwei Gründe: Zum einen setzt sich der Machtverlust der USA und der Europäischen Union ungebrochen fort, wie zuletzt im Dezember 2012 der US-Geheimdienstbericht "Global Trends 2030" nochmals bestätigt hatte. Der Bericht prognostizierte, dass China die USA innerhalb der nächsten 20 Jahre wirtschaftlich überholen und dieser Prozess mit heftigen Konflikten einhergehen werde. Vor diesem Hintergrund liegt es für Washington nahe, das Verhältnis zu Verbündeten mit Blick auf diese neuen Rivalitäten zu verbessern. So versicherte US-Vizepräsident Joseph Biden auf der Sicherheitskonferenz: "Europe bleibt Amerikas unverzichtbarer Partner der ersten Wahl."

Umgekehrt haben auch die EU-Staaten ein Interesse an einer engen Kooperation mit den USA, ohne die man nur bedingt zu einem "effektiven" Agieren auf der Weltbühne in der Lage wäre - so zumindest die Einschätzung. Insofern machte sich unter EU-Entscheidungsträgern merkliche Nervosität breit, als Washington im Januar 2012 die Strategie "Sustaining U.S. Global Leadership" verabschiedete. In ihr wurde eine sich zuvor bereits andeutende Schwerpunktverlagerung der US-Streitkräfte nach Ostasien offiziell bestätigt. Seither wurde die militärische Präsenz nahe Chinas Grenzen u.a. durch die Stationierung von 2500 Marines in Australien, den Ausbau der Militärbasis in Guam oder etwa durch die Verlegung von vier Kriegsschiffen nach Singapur massiv erhöht. Während dies von China als das wahrgenommen wird, was es ist, nämlich ein Versuch, den machtpolitischen Aufstieg des Landes militärisch einzudämmen, sorgen sich die EU-Staaten seither primär darum, an Relevanz für Washington einzubüßen.

Insofern wurden Bidens warme Worte begrüßt und seine Ankündigung, sich für eine "Transatlantische Freihandelszone" einsetzen zu wollen, vom deutschen Außenminister Guido Westerwelle geradezu mit Begeisterung aufgenommen. Er wertete die Freihandelszone - so sie je zustande kommt - als klares Zeichen, in den sich verschärfenden Konflikten mit China, Russland und anderen, die transatlantischen Reihen fest geschlossen halten zu wollen: "Der Aufstieg neuer Kraftzentren und Gestaltungsmächte hat sich in den letzten Jahren enorm beschleunigt. Ein transatlantisches Abkommen, das nicht nur Handelsfragen, sondern Investitionen, Dienstleistungen, Normen und Standards umfasst, wäre ein überzeugender Beitrag für die Selbstbehauptung Europas und Amerikas in der Globalisierung. [...] Nur mit gebündelten Kräften werden wir unsere Werte und Interessen in dieser neuen Welt bewahren können. Die strategische Partnerschaft mit den USA ist dafür unser stärkster Trumpf."

Auf dem Blog des "Carnegie Endowment for International Peace" zur Münchner Sicherheitskonferenz erschien dazu ebenfalls ein ähnlich optimistischer Beitrag. Ein Transatlantisches Freihandelsabkommen hätte "revolutionäre Auswirkungen", denn das "Projekt wäre das richtige Signal an China und den Rest der BRICS, dass die guten alten Länder des Westens noch am Leben sind." (Techau, Jan: The Geopolitics of TAFTA, Carnegie Endowment for International Peace, 29.01.2013) Woher diese Zuversicht stammt, ist allerdings nicht so ganz ersichtlich. Die Verwirklichung einer solchen Freihandelszone steht derzeit in den Sternen, mehr als Absichtserklärungen existieren nicht. Außerdem scheiterten bisherige Versuche in diese Richtung stets an unterschiedlichen Interessenlagen. Weshalb es diesmal anders sein sollte, ist absolut unklar.

Dennoch betonte auch Wolfgang Ischinger in seinem Handelsblatt-Artikel die Bedeutung der anvisierten Freihandelszone, forderte aber gleichzeitig dazu auf, sich noch weiteren "Projekten" zu widmen. "In einer Welt mit neuen Macht- und Kraftzentren werden Europa und die USA nur gemeinsam erfolgreich für ihre liberalen Werte und Interessen eintreten können. Dafür müssen wir aber auch in diese Bindungen investieren. Vielleicht sollten wir uns also gegenseitig nicht nur sagen, wie wichtig wir uns sind und wie sehr wir uns schätzen, sondern mal wieder gemeinsame und inspirierende Projekte anpacken!"

Als eines der wesentlichen Vorhaben in diesem Zusammenhang nannte Ischinger explizit "Smart Defence" (NATO) bzw. "Pooling & Sharing" (EU). Dabei handelt es sich um den Versuch, durch die Bündelung und gemeinsame Nutzung von Kriegsgerät die militärische Schlagkraft deutlich zu erhöhen. Diesem Thema war auf der Sicherheitskonferenz unter dem Titel "Pooling & Sharing - But What? The Future of European Defense" ein eigenes Panel gewidmet. Ganz im Sinne Ischingers äußerte sich NATO-General Jean-Paul Paloméros auf dem SiKo-Panel: "Ich bin voll davon überzeugt, dass Pooling and Sharing und Smart Defense echte Katalysatoren für die transatlantische Zusammenarbeit sein werden."


2. Fracking: Neue Energie-Geopolitik?

Ein ganzes Panel widmete man auf der Sicherheitskonferenz dem Fracking. Unter dem Titel "The American Oil & Gas Bonanza: The Changing Geopolitics of Energy" wurden die sicherheitspolitischen und ökonomischen Auswirkungen dieser neuen und hochgradig umweltschädlichen Fördertechnik diskutiert, bei der mit zusätzlichen Chemikalien versetztes Wasser mit hohem Druck in Gestein gepumpt wird, um an die dort lagernden Gas- und Ölvorkommen zu kommen. Diese "Schiefergaswende", so der US-Botschafter in Deutschland, Philip D. Murphy unmittelbar vor der Konferenz, habe das Potenzial, "die Weltkarte der Energieversorgung und Energienachfrage kurz- bis mittelfristig zu ändern." (Die Welt, 01.02.2013) Ähnlich weitreichend beschreibt die New York Times (25.12.2012) die Auswirkungen der neuen Technologie: "Die Schiefergasrevolution wird aller Wahrscheinlichkeit nach die Plattentektonik der globalen Macht in einer Weise verändern, die für den Westen größtenteils von Vorteil sein und die US-amerikanische Macht und ihren Einfluss in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts stärken wird."

Berichten zufolge sei es den USA hierdurch in der Tat gelungen, die Öl- und Gasförderung massiv zu steigern - spätestens bis 2020 werde man die Fördermenge des aktuellen Spitzenreiters Saudi Arabien übertreffen. Dies habe sowohl erhebliche strategische Folgen als auch - aufgrund der großen Menge an billiger Energie - gravierende ökonomische Auswirkungen: "Demnach sei es möglich, dass die Vereinigten Staaten ihre ökonomische Krise überwänden, dass ihre Abhängigkeit von unsicheren Weltregionen schrumpfe, dass China unter Druck gerate sowie Russland empfindlich geschwächt werde. Entsprechende Überlegungen sind Mitte Januar mittels der Weitergabe eines BND-Papiers an die Medien in die öffentliche Debatte transportiert worden. Sie sind geeignet, den transatlantischen Beziehungen wieder Auftrieb zu verleihen." (German-Foreign-Policy.com, 01.02.2013)

Da Russland bislang die hohe Abhängigkeit der EU-Staaten von seinen Energielieferungen stets auch als machtpolitisches Instrument zu nutzen wusste, könnte die Fracking-Technologie, sollten etwa die USA in absehbarer Zeit in der Lage sein, Energieexporteur zu werden, für Moskau tatsächlich erhebliche Einflussverluste bedeuten: "Ein Verlierer könnte auch Russlands Präsident Wladimir Putin sein, dessen Macht auch auf den Gaseinnahmen seines weiten Reiches gründet. Denn die Revolution kann dazu führen, dass Abnehmer russischen Gases ihre Importe künftig anderweitig abdecken. Die ING-Bank sieht in einer Studie schon Tanker mit verflüssigtem, billigem Schiefergas aus den USA den Atlantik nach Europa überqueren. Die politische Macht Russlands würde dann rapide schwinden." (Die Welt, 01.02.2013)

Doch auch wenn die deutsche (und europäische) Industrie womöglich Lieferungen aus den USA gegenüber denjenigen aus Russland bevorzugen würde, was sie wirklich möchte ist, die Technik auch hierzulande an den Start zu bringen. Denn zum Nulltarif - bzw. ohne kräftigen Preisaufschlag - dürften auch die USA ihre Energie nicht abgeben: "Wenn wir dies sofort ablehnen, geraten wir international ins Hintertreffen", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz (Manager Magazin, 03.02.2013). Auf dem entsprechenden Panel der Sicherheitskonferenz warnte EU-Energiekommissar Günther Oettinger nicht minder dramatisierend vor den Folgen teurer Energie: "Europa ist auf dem schleichenden Weg einer Deindustrialisierung". Und FDP-Chef Philipp Rösler malte dort gar das Gespenst an die Wand, die hohen Energiekosten würden dazu führen, dass Konzerne in die USA abwandern würden, sollte man sich nicht dem Fracking zuwenden.

Zwei wesentliche Fragen wurden auf der Sicherheitskonferenz - und generell in der Debatte um Fracking - aber geflissentlich ausgespart. Einmal geht kaum jemand auf die gravierenden ökologischen Folgen von Fracking ein. Dies betrifft zunächst den Förderprozess selbst, der extrem umweltschädlich ist. So lehnen etwa die deutschen Bundesländer in einer Stellungnahme "insbesondere den Einsatz umwelttoxischer Chemikalien" beim Fracking ab. Die Risiken seien derzeit überhaupt nicht absehbar, deshalb warnte der Bundesrat zudem "vor Gefahren für Trinkwasser- und Heilquellenschutzgebiete." Genehmigungen zum Einsatz des Frackings dürften erst erteilt werden, wenn "zweifelsfrei geklärt" sei, dass eine "nachhaltige Veränderung" der Wasserqualität ausgeschlossen sei (Manager Magazin, 03.02.2013). Dennoch haben sich EU-Länder wie Großbritannien, Polen und die baltischen Staaten bereits für Fracking entschieden, in Frankreich und Deutschland ist die Frage noch nicht entschieden, weshalb EU-Energiekommissar Oettinger unmissverständlich forderte: "Und ich rate Deutschland zur Offenheit." In jedem Fall droht mit Fracking das Ende aller Debatten über eine nachhaltige Energieversorgung: Die potenziellen Folgen für den Klimawandel sind, falls weiter - und sogar noch verstärkt - auf Kohlenwasserstoffenergien gesetzt werden sollte, kaum abzusehen, scheinen aber in der aktuellen Debatte kaum eine Rolle zu spielen: "Durch die Renaissance der fossilen Energieträger kommt dem Klimaschutz, der ohnehin ein Schattendasein in den USA fristet, noch weniger Beachtung zu", so Stormy-Annika Mildner, Energie-Expertin der "Stiftung Wissenschaft und Politik" (Kurier Online, 22.01.2013).

Darüber hinaus stellt sich zweitens noch die Frage nach den strategischen Auswirkungen, sollten die USA mittelfristig tatsächlich vom Ölschluckspecht zum Energieexporteur mutieren. Eine Folge wäre sicher, wie bereits angedeutet, eine erhebliche Schwächung Russlands. Daneben würde der Mittlere Osten in gewisser Weise an Bedeutung verlieren - heftige Konflikte in der Region würden die USA weniger treffen als heute. Allerdings ist die Abhängigkeit der USA von Energieimporten aus dem Mittleren Osten bereits heute deutlich geringer als die der EU-Staaten oder Chinas. Daraus allerdings zu folgern, damit wäre der Weg für die USA endgültig frei, sich aus der Region zurückzuziehen, übersieht das eigentliche Motiv der US-Präsenz, nämlich im extremen Konfliktfall Ländern, die auf diese Vorkommen angewiesen sind, buchstäblich den Saft abdrehen zu können - Stichwort: China.

Indirekt bestätigte dies auch Carlos Pasqual, US-Sonderbeauftragter für Energiefragen, der während des SiKo-Panels versicherte, Fracking werde auf die US-Präsenz in der Region keine Auswirkungen haben: "Das verändert unser Engagement für die globale Sicherheit, den Frieden und die Stabilität im Nahen Osten und für die transatlantischen Beziehungen in keiner Weise." Vor diesem Hintergrund steht sogar zu befürchten, dass militärische US-Eingriffe zur Durchsetzung von Interessen wahrscheinlicher werden könnten, da sie aufgrund der gesunkenen Abhängigkeit von der Region weniger "schmerzlich" wären, zumindest für die USA. So wäre das Risiko eines Angriffes auf den Iran erheblich geringer, da eine Sperrung der Straße von Hormuz die USA weit weniger treffen würde, als es derzeit noch der Fall wäre. Auch vor diesem Hintergrund ist eine Entspannung des iranisch-amerikanischen Verhältnisses dringend erforderlich. Ob allerdings die Sicherheitskonferenz hier ein Schritt in die richtige Richtung war, ist sehr zweifelhaft.


3. Iran: Zurück an den Verhandlungstisch?

Ausgerechnet von deutscher Seite kamen auf der Sicherheitskonferenz die schärfsten Töne gegenüber dem Iran. Es war der CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz, der zielsicher die Rolle als Scharfmacher übernahm: "Sie benehmen sich wie ein nuklearer Geisterfahrer auf der Autobahn und tun so, als ob alle anderen falsch liegen und nur Sie richtig." Vor acht Monaten war die letzte Verhandlungsrunde zwischen den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates sowie Deutschland (P5+1) und dem Iran ergebnislos abgebrochen worden. Im Anschluss wurde vor allem in den USA von Hardlinern im Vorfeld der US-Wahlen ein enormer Druck ausgeübt, den Iran militärisch anzugreifen und auch Vertreter der Obama-Regierung hatten sich teils eifrig an diesem Säbelrasseln beteiligt.

Insofern wurde mit Spannung erwartet, wie sich die Obama-Administration in dieser Frage nun beim ersten wichtigen internationalen Treffen in der neuen Amtszeit positionieren würde. Während die USA (und andere) einerseits mit Syrien Teherans wichtigsten Verbündeten bekämpfen und gleichzeitig versuchen, den Iran gezielt zu destabilisieren, wurde auf der Sicherheitskonferenz parallel dazu die Tür für eine neuerliche Verhandlungsrunde scheinbar wieder etwas geöffnet: "Der Ball liegt im Feld der iranischen Regierung und es ist höchste Zeit, dass sie eine seriöse und in guter Absicht erfolgende Haltung zu Verhandlungen mit den P5+1 einnimmt." Auch Guido Westerwelle drängte daraufhin: "Der Iran sollte nicht länger warten, die von Vizepräsident Biden bekräftigte Bereitschaft zu substanziellen Verhandlungen über sein Nuklearprogramm aufzugreifen."

Auch der iranische Vertreter, Außenminister Ali Akbar Salehi, zeigte sich gegenüber neuen Verhandlungen offen, die am 25. Februar 2013 in Kasachstan wieder aufgenommen werden sollen: "Salehi betonte, sein Land sei bereit, rechtlich bindende Garantien zu geben, dass sich Iran niemals der nichtfriedlichen Nutzung von Atomenergie zuwenden werde. Der Bau einer Atombombe würde die Sicherheit Irans nicht verbessern, sondern verschlechtern. 'Gegen wen wollten wir denn eine solche Waffe anwenden?', fragte Salehi. 'Wir sehen darin keinerlei Weisheit, wir sehen darin keinerlei Rationalität, wir sehen darin keinerlei Gewinn.'" (Spiegel Online, 04.02.2013)

Allerdings beeilte sich Salehi auch zu betonen, er erwarte von den USA im Gegenzug ebenfalls Gegenleistungen, insbesondere was die Frage einer Lockerung bzw. Aufhebung der umfassenden Wirtschaftssanktionen anbelangt. Hierfür gibt es bislang aus Washington aber wenig bis keine positiven Signale. Ohne ein irgendwie geartetes Entgegenkommen in dieser Hinsicht sind aber Verhandlungen mit ziemlicher Sicherheit zum Scheitern verurteilt. In diesem Zusammenhang stellt sich dann die Frage, was man von der Drohung Bidens auf der Sicherheitskonferenz zu halten hat, dass "dieses [Verhandlung-]Fenster nicht endlos offen sein wird."

Andererseits scheint aus iranischer Sicht eine Lockerung der Sanktionen ganz im Gegenteil zu früheren Jahren eine weitaus größere Priorität zu haben als von Washington eine Nicht-Angriffsgarantie zu bekommen. Hier liegt die Interpretation nahe, dass man in Teheran derzeit nicht davon ausgeht, dass im Westen aktuell eine großangelegte Invasion oder selbst "nur" umfassende Luftschläge ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Und tatsächlich scheint es eher das Ziel Washingtons zu sein, die iranische Regierung mittels der Sanktionen massiv zu schwächen und hierdurch eine Destabilisierung von innen zu befördern. Ergänzt wird diese Strategie durch die Aufrüstung oppositioneller Kräfte, entsprechende Blaupausen aus dem demokratischen Umfeld existieren hierfür bereits seit einiger Zeit (Pollack, Kenneth u.a.: Which Path to Persia? Options for a New American Strategy toward Iran, Brookings Institution, June 2009). Schon länger gibt es in diesem Zusammenhang Berichte, dass die USA die Mujahedin-e Khalq (Volksmudschaheddin) ausbilden und aufrüsten, die u.a. auch an der Ermordung iranischer Atomwissenschaftler beteiligt gewesen sein sollen. In einem kritischen Pressebericht hieß es dazu, die USA seien mit Blick auf den Iran dabei, sich ein "Äquivalent zur Freien Syrischen Armee" zuzulegen (Mujahedin-e Khalq: America's protected terrorists gearing up against Iran, rt.com, 27.10.2012).

Wird aber diese Strategie des "Regime Change per Destabilisierung" beibehalten, wonach es derzeit aussieht, so ist das US-Angebot für eine neue Verhandlungsrunde lediglich kosmetischer Natur. Es auf Sicherheitskonferenz zu unterbreiten, heißt die dort vorhandene internationale Aufmerksamkeit für eine Show zu nutzen, um einen gut gemeinten Verhandlungswillen zu suggerieren, der in dieser Form überhaupt nicht existiert.

Was sich aber andererseits sowohl für den Iran als auch für die beiden anderen Konflikte im Zentrum der Sicherheitskonferenz sagen lässt ist, dass der Westen nach den Erfahrungen mit großangelegten Bodeninvasionen in Afghanistan und im Irak wenig Appetit verspürt, sich noch einmal in ähnlicher Form in einem weiteren Land zu "engagieren". Wie eingangs bereits erwähnt, entwickeln sich deshalb "indirekte" Interventionsformen, Drohnen, Spezialeinheiten, lokale Stellvertreterarmeen bzw. Guerillakräfte, gepaart allenfalls mit Luftschlägen zunehmend zu den Mitteln der Wahl. Dies wurde besonders deutlich, als de Maiziere in seiner Rede dazu aufrief, "auch in der Außen- und Sicherheitspolitik die Grenzen unserer Macht" zu erkennen. Ganz ähnlich äußerte sich Joseph Biden: nachdem er zunächst ausführlich auf vielfältige Bedrohungen US-amerikanischer Interessen in Nordafrika und der Sahel-Zone einging, die bekämpft werden müssten, stellte er anschließend unmissverständlich klar: "Hierbei handelt es sich nicht um einen Aufruf, viele Milliarden von Dollars auszugeben und Tausende und Zehntausende von Bodentruppen zu stationieren, wie wir es einstmals taten." Allerdings darf man diese Aussagen keinesfalls als eine Absage an den westlichen Militärinterventionismus verstehen. Es handelt sich vielmehr um öffentliche Plädoyers sich auf neue, "intelligentere" Interventionsformen zu konzentrieren, die für sehr viel praktikabler und kostengünstiger (für die westlichen Staaten) erachtet werden als Einsätze, die eher den Kriegen in Afghanistan und im Irak ähneln. Wie sagte schon Barack Obama: "Ich bin nicht gegen alle Kriege. Ich bin gegen dumme Kriege."


4. Syrien - Bürgerkrieg ad infinitum?

Im Grundsatz ist man sich was Syrien anbelangt einig, ein Regimewechsel soll her: "Präsident Assad [...] ist nicht länger geeignet, das syrische Volk zu führen, er muss gehen", so Biden. Und auch de Maiziere betonte, er wolle "über den verheerenden Bürgerkrieg und das Ende von Assad in Syrien reden." Hierfür forderten verschiedene der versammelten "Entscheidungsträger" teils recht offensiv eine direkte Militärintervention oder "zumindest" Luftschläge. So plädierte Anne-Marie Slaughter, bis kürzlich Staatssekretärin im US-Außenministerium, für die Einrichtung einer - nur militärisch durchsetzbaren - "Pufferzone". Am deutlichsten und lautesten trommelte einmal mehr der ehemalige Präsidentschaftskandidat John McCain für einen westlichen Kriegseinsatz: "Der republikanische US-Senator John McCain stellte fest, dass die internationale Staatengemeinschaft nicht viel dazu beigetragen haben, 'die Morde an der syrischen Bevölkerung zu verhindern'. [...] Man müsse dahingehend auch an die Zukunft denken und einer anti-westlichen Stimmung in einem Syrien nach Assad vorbeugen. Die Syrer würden sich später daran erinnern, wer ihnen 'in den Stunden der Not' geholfen habe." (Angst vor dem brodelnden Vulkan, Securityconference.de, 03.02.2013)

Darüber hinaus wurde McCain auch dahingehend konkret, was getan werden sollte und entlarvte gleichzeitig den Mythos vom rein defensiven Charakter der u.a. von Deutschland an der türkischen Grenze stationierten Patriot-Raketen als pure Heuchelei: "US-Senator John McCain hat vorgeschlagen, mit den Patriot-Flugabwehrraketen in der Türkei Kampfflugzeuge über syrischem Territorium abzuschießen. [...] So könnten die Patriot-Raketen aus der Türkei syrische Jets bis in der Region Aleppo im Norden des Landes abschießen. Außerdem sei es möglich, die Kampfjets des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad mit Marschflugkörpern am Boden auf ihren Stützpunkten zu zerstören. Ein solches Vorgehen mache einen Sicherheitsratsbeschluss über die Errichtung einer Flugverbotszone unnötig." (Reuters, 03.02.2013)

Auch Wolfgang Ischinger forderte im Vorfeld der Sicherheitskonferenz den Sturz Baschar al-Assads, plädierte aber gleichzeitig dafür, hierfür Russland mit ins Boot zu holen. "Über Moskau nach Damaskus" lautete in diesem Zusammenhang der Titel einer seiner Kolumnen (Ischinger, Wolfgang: Über Moskau nach Damaskus, Monthly Mind, Januar 2013). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass die Einholung einer - allein schon aus völkerrechtlichen Gründen zwingend erforderlichen - Zustimmung Russlands zu westlichen Militäraktionen inzwischen augenscheinlich der besonderen Fürsprache bedarf. Allerdings erteilte der russische Außenminister Sergei Lawrow auf der Sicherheitskonferenz derlei Versuchen, sein Land vor den westlichen Interventionskarren zu spannen, eine deutliche Absage: "Wir sollten auf eine gewaltsame Intervention von außerhalb verzichten, vor allem ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrates. Jeder Gebrauch von Gewalt, jede Drohung, Gewalt anzuwenden, ist inakzeptabel."

Mit Spannung wurde auch der SiKo-Auftritt von Ahmed Moaz al Khatib, Chef der oppositionellen "Syrian National Coalition", erwartet - auch hier ist es bezeichnend, dass kein Vertreter der syrischen Regierung eingeladen worden war. Al Khatib forderte einerseits die "internationale Gemeinschaft" auf, "Flugzeuge und Waffen der syrischen Armee zu zerstören." Allerdings betonte er gleichzeitig die Verhandlungsbereitschaft der Opposition: "Als Geste des guten Willens, um die Leiden des syrischen Volkes zu lindern, das Blutvergießen und die Zerstörung des Landes zu beenden, sind wir bereit, uns an einen Verhandlungstisch zu setzen", so al Khatib: "Wir warten nur auf die Antwort des Regimes. Wir reichen die Hand zu Gesprächen." Allerdings betonte er: "Wir wollen nicht, dass ihre Hände voller Blut sind."

In der Tat sind Verhandlungen die einzige Möglichkeit, um einen Ausweg aus der dramatischen Eskalationsspirale zu finden, die in Syrien maßgeblich auch durch äußere Einflussnahme in Gang gesetzt wurde. Insofern ist die Äußerung vonseiten der Opposition, überhaupt zu Gesprächen bereit zu sein, sicher ein Fortschritt. Kritische Stimmen merken allerdings an, das Gesprächsangebot komme eher wie ein Ultimatum daher. Eine Verhandlungslösung werde zudem dadurch erschwert, dass die Opposition trotz der Gründung der "Syrian National Coalition" weiterhin extrem zersplittert sei und es eigentlich niemanden gebe, der sinnvoll für sie sprechen könne. So wird Boris Dolgow, Analytiker des Nahost-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, folgendermaßen zitiert: "Die Versuche der Opposition, ihre Bedingungen zu stellen, und zwar in einer solch ultimativen Form, sind kein positiver Schritt. Meines Erachtens ist der reale Ausgang aus der entstandenen Situation die Konstruktion einer realen Opposition. Bei weitem nicht alle, selbst die bewaffneten oppositionellen Gruppen, haben die Nationale Koalition anerkannt. Demnach kann man kaum davon sprechen, dass die syrische Führung ein Subjekt für Verhandlungen besitzt." (Syrische Opposition zu Verhandlungen mit Vizepräsident Scharaa bereit, Radio Stimme Russlands, 5.02.2013)

Die Schwierigkeiten für aussichtsreiche Verhandlungen aus dem Weg zu räumen, sollte demzufolge auch für die "internationale Gemeinschaft" (sprich den Westen und seine Verbündeten) nun oberste Priorität haben. Hierfür wäre die Vereinbarung eines sofortigen Waffenstillstands und vor allem der umgehende Stopp sämtlicher Waffenlieferungen an alle Konfliktparteien ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Allerdings spricht nichts dafür, dass die Finanzierung, Ausrüstung und Ausbildung der oppositionellen "Freien Syrischen Armee" beendet würde - im Gegenteil: Mit Al Faisal bin Abdulaziz Al Saud aus Saudi Arabien, Hamad bin Jassim bin Jabor Al-Thani aus Katar, Ahmet Davutoglu aus der Türkei und JohnMcCain wurden ausgerechnet Vertreter der Länder in das SiKo-Panel "Mali, Syrien, and beyond: Dealing with the Current Crisis" gesetzt, die mit ihrer Waffenhilfe für die Militarisierung der Aufstandsbewegung und die Eskalation des Bürgerkrieges maßgeblich verantwortlich waren und sind. Dass es an dieser Politik keinerlei Kritik gab, sagt eigentlich schon alles. Dass sich Ruprecht Polenz in einem anderen Panel dadurch weiter hervortat, indem er den Iran für die Unterstützung der syrischen Regierung kritisierte, während er natürlich geflissentlich vergaß, die Waffenhilfe für die Aufständischen auch nur anzusprechen, sagt noch mehr.

So scheint die bevorzugte "Strategie" darin zu bestehen, solange Waffen an die Opposition zu liefern (und sie vor Ort mit Spezialeinheiten zu unterstützen), bis sich das Problem von selbst "löst" - was es im Übrigen, auch für den Fall eines "erfolgreichen" Sturzes von Assad, nicht tun wird, wie man derzeit in Libyen beobachten kann. Gerade vor dem Hintergrund der anhaltenden Auseinandersetzungen in Libyen - die auf der SiKo keinerlei Thema waren - wird deutlich, dass ein Ausweg aus der Eskalationsspirale dringend erforderlich ist. Eine Zusammenarbeit mit Russland auf Grundlage einer Einstellung sämtlicher Waffenlieferungen an alle Konfliktparteien wäre hierfür ein wichtiger erster Schritt - nur hierzu ist niemand im Westen (oder in Katar und Saudi Arabien) bereit. Der russische Außenminister Lawrow wies auf der Sicherheitskonferenz darüber hinaus noch auf eine zweite Scheinheiligkeit in der jetzigen Debatte hin: "Rechtfertigt die Unterstützung für einen Regimewechsel die Anwendung von Terrormethoden? Ist es möglich, in der einen Situation gegen die zu kämpfen, die man in der anderen unterstützt?" Eindeutig waren diese Aussagen darauf gemünzt, dass in Syrien radikale islamistische Kräfte im Aufstand eine wichtige Rolle spielen und augenscheinlich mit dem Westen verbündet sind, während sie in Mali als das personifizierte Böse bekämpft werden.


5. Mali: "Unsere Sicherheit wird in Timbuktu verteidigt?"

Unmittelbar vor Konferenzbeginn wurde Leiter Wolfgang Ischinger in einem Interview folgende Frage gestellt: "Deutschlands Sicherheit wird also nicht nur am Hindukusch, sondern auch in Timbuktu verteidigt?" Daraufhin antwortete Ischinger: "Man kann über diesen Spruch von Peter Struck lange streiten, aber in Mali gilt er mindestens genauso wie in Afghanistan. Solche Zuspitzungen sind hilfreich, um den Bürgern deutsche Sicherheitsinteressen zu erläutern. Und die Schlussfolgerungen daraus, nämlich als Ultima Ratio auch den Einsatz militärischer Mittel. [...] Dass die 'EU Battle Group' nicht ins Spiel gebracht wird, halte ich politisch für bedauerlich. Die EU muss doch mehr Flagge zeigen dürfen!" (Welt Online, 31.01.2013)

Auf der Konferenz selbst war man dann allenthalben voll des Lobs für die französische Militärintervention ("Opération Serval"), die angeblich maßgeblich dafür gewesen sein soll, dass geschätzte 1.500 vom Norden aus operierende islamistische Kämpfer nicht ein Land unter Kontrolle bringen konnten, dessen Nordteil allein der Größe Spaniens und Frankreichs entspricht. Tatsächlich spricht allerdings vieles dafür, dass der Einsatz von langer Hand geplant war, wie einem Artikel herausgearbeitet und dabei u.a. auf folgende Motive hingewiesen wurde: "Selbstverständlich geht es Frankreich dabei auch darum, seine Rohstoffinteressen in der Region und seine Stellung als führende neokoloniale Macht in Afrika insgesamt zu behaupten." (Schmid, Bernhard: Doppelte Mission in Mali, Telepolis, 20.01.2013)

Dennoch gab Joseph Biden an, "die USA applaudieren und stehen zu Frankreich und anderen Partnern in Mali" und Westerwelle hob Frankreichs "beherztes militärisches Eingreifen" hervor. Allerdings wollten beide von einem Einsatz mit einer großen Zahl eigener Kampftruppen nichts wissen. Biden verwies auf "Aufklärungsunterstützung, Transport für die französischen und afrikanischen Truppen und Wiederbetankungskapazitäten für französische Flugzeuge, die wir bereitstellen." Auch Westerwelle gab an, nun, nach der französischen Militärintervention, gehe es darum, "mit afrikanischen Partnern in der Schlüsselverantwortung die schwierige und langwierige Aufgabe der dauerhaften Stabilisierung anzugehen." Sowohl die USA als auch Deutschland (und andere EU-Staaten) scheinen Frankreich den Vortritt überlassen zu wollen. Sie setzen vielmehr ganz im Sinne der neuen indirekten Interventionsdoktrin auf die Unterstützung einer bis zu 6.000 Mann starken Eingreiftruppe der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) sowie auf die Ausrüstung und Ausbildung der malischen Regierungstruppen. Hierfür soll vor allem eine neue EU-Truppe (EUTM Mali) zuständig sein, an der sich Deutschland vorbehaltlich einer relativ sicheren Zustimmung durch den Bundestag wohl mit etwa 40 Soldaten beteiligen wird.

Wohlgemerkt: hierbei handelt es sich nicht um eine "bessere", sondern um eine "andere" Interventionsstrategie, die ebenfalls hochproblematisch ist, auch wenn davon auf der Sicherheitskonferenz keine Rede war. So häufen sich in jüngster Zeit die Berichte über zahlreiche Vergeltungsakte und Hinrichtungen sowie rassistisch motivierte Gewalt seitens der malischen Armee (Killings, disappearances in Mali's climate of suspicion, IRIN, 31.01.2013). Dabei handelt es sich also um genau jene Truppen, die nun weiter aufgerüstet werden sollen, um den Norden vollständig (zusammen mit der ECOWAS und französischen Soldaten) zurückzuerobern und mutmaßlich auch auf Dauer besetzt zu halten. Gleichzeitig bleiben die Ursachen des Konfliktes weiter ungelöst: "Die verbreitete Vorstellung, Mali sei bis zum Umsturz eine stabile Demokratie gewesen und quasi über Nacht zum Opfer putschender Militärs und grausamer Islamisten geworden, bedient geläufige Afrika-Klischees. [...] Nicht für seine Bürger, sondern für westliche Regierungen und manche Entwicklungshilfeorganisationen war Mali lange ein Modell: Da wurde brav gewählt, privatisiert, mit IWF und Weltbank kooperiert. Doch die meisten Malier fühlten sich in dieser gepriesenen Demokratie nur wie Statisten." (Charlotte Wiedemann: Mali: Das Kartenhaus der Demokratie, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2013)


6. Rüstungsförderung am Rande

Erhellendes ganz eigener Art lieferte schließlich noch eine verbale Auseinandersetzung zwischen Konferenzleiter Wolfgang Ischinger und dem Sprecher des "Aktionsbündnisses gegen die NATO-'Sicherheitskonferenz'", Claus Schreer. Ischinger beschwerte sich lautstark, dass seine Konferenz vom Aktionsbündnis als "eine Art Jahreshauptversammlung der Rüstungsindustrie" bezeichnet worden sei. Noch verärgerter war er über den Vorwurf, er sei ein "Wolf im Schafspelz". Wenig eloquent schleuderte er dem Sprecher des Aktionsbündnisses daraufhin die Worte zurück: "Wenn ich ein Wolf im Schafspelz bin, dann sind Sie, Herr Schreer, ein Schaf!" (Der Westen, 24.01.2013)

Nun, an ihren Taten (bzw. Forderungen) sollt ihr sie messen: Unmittelbar vor der Konferenz tat sich Ischinger unter anderem dadurch hervor, dass er die Anschaffung von Kampfdrohnen durch die Bundeswehr forderte: "Ein Verzicht auf Kampfdrohnen wäre fahrlässig." (SWR2, 26.01.2013) Weiter forderte er anzuerkennen, "das Instrument der Rüstungsexporte" könne "durchaus ein sinnvolles Gestaltungselement sein", ein "konstruktives und mögliches Element einer modernen deutschen Sicherheitspolitik." (Europäische Sicherheit & Technik, Januar 2013) Solche Aussagen und Forderungen dürften Musik in den Ohren derjenigen sein, die zur Finanzierung der Konferenz beitragen: "'Krauss Maffei Wegmann freut sich der Gastgeber dieses Mittagessens zu sein!' Dieser Text auf der Speisekarte des exquisiten Drei-Gänge-Menues wird aber von den Teilnehmer/innen anscheinend gar nicht beachtet, so meine Beobachtung."[2]


Anmerkungen:

[1] Falls nicht anders angegeben, stammen Zitate aus den jeweiligen Reden auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

[2] http://www.sicherheitspolitik-blog.de/2013/02/02/liveblog-msc-2/

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Quelle:
IMI-Analyse 2013/03 vom 6. Februar 2013
Indirekte Kriege und globale Frontbildung
Der "Westen" bringt sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz neu in Stellung
URL: http://www.imi-online.de/2013/02/06/indirekte-kriege-und-globale-frontbildung/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2013