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GRUNDRISSE/029: zeitschrift für linke theorie & debatte, frühling 2011


grundrisse - zeitschrift für linke theorie & debatte
nr. 37, frühling 2011


INHALT

Editorial

Presse- und Öffentlichkeitsarbeitsgruppe:
Abschiebungen dokumentieren bedeutet Terrorismus?

Alain Badiou:
Tunesien, Ägypten: wenn der Ostwind die Arroganz des Westens hinwegfegt

Thema: Geschlechterverhältnisse & gesellschaftliche Arbeitsteilung 1

Ann-Kristin Kowarsch:
Frauenräte als Alternative zu Krieg, Vereinzelung und Männerherrschaft Kathi Weeks:
In der Arbeit gegen die Arbeit LEBEN. Affektive Arbeit, feministische Kritik und postfordistische Politik

Maya Gonzalez und Caitlin Manning:
"Wir kommen in Bewegungen mit all den Narben, Interview mit Silvia Federici
über Kämpfe von Frauen um Arbeitsteilung, Wissen und (Re)Produktion

Almut Bachinger:
Lohn für Hausarbeit reloaded. Die Debatte um den Lohn für Hausarbeit und was daraus wurde

Elisabeth Perchinig:
Vom konstruierten "Subjekt" zur gegenderten "Marke Ich"?
Überlegungen zum Begriff der lebendigen Person

Johann-Friedrich Anders:
Wie Marx nicht gelesen werden sollte. Zur Kritik der neuen Marx-Lektüre

Karl Reitter:
Holloways Flirt mit der Wertkritik. Ein Rezensionsessay zum Buch Kapitalismus aufbrechen

Anton Pam:
Buchbesprechung: Jens Benicke: Von Adorno zu Mao:
Über die schlechte Aufhebung der anti-autoritären Bewegung

Markus Blümel:
Buchbesprechung: Ronald Blaschke, Adeline Otto, Norbert Schepers (Hrsg.);
Grundeinkommen - Geschichte - Modelle - Debatten

Raute

Editorial

Liebe LeserInnen,

Die männliche Dominanz, an der die grundrisse wie viele Theoriezeitungen laborieren, wurde in der letzten Nummer besonders sichtbar. Aufgefallen ist uns auch, dass gerade im Rahmen des Schwerpunktes "Organisierung", als "wichtiges Thema", nur männliche Autoren schreiben. Vorgeworfen wurde uns, dass bei den grundrissen die Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen nur Lippenbekenntnis sei. Und auch, dass ein Schwerpunkt "Geschlechterverhältnisse" wohl nur das "Sonderthema Frauen" beinhalten könne. Beide Vorwürfe sind nicht von der Hand zu weisen, es handelt sich allerdings um Probleme, die nicht nur uns betreffen, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse sind. Die vorliegende Nummer zu Geschlechterverhältnissen war schon länger geplant, vor allem auch auf Druck der wenigen weiblichen Redaktionsmitglieder, und natürlich - self-fullfilling prophecy - kommen die Beiträge von Frauen.

Zuerst waren wir unsicher, ob auf unseren Call for Papers überhaupt Artikelangebote einlangen werden. Zwar haben wir versucht, den Aufruf möglichst breit bekannt zu machen, die zu erwartende Resonanz konnten wir jedoch nicht einschätzen. Unaufgefordert schicken uns im Allgemeinen nur Männer Artikel. Zwei Übersetzungen von Beiträgen aus dem Englischen, die wir für relevant erachten, sollten daher zumindest den Kern des Schwerpunkts füllen. Am Tag nach Redaktionsschluss lagen uns dann jedoch erfreulicherweise mehr qualitativ wertvolle Textangebote vor, als in eine Ausgabe passen. Deshalb haltet ihr nun die Schwerpunktnummer "Geschlechterverhältnisse und gesellschaftliche Arbeitsteilung 1" in Händen und könnt nicht nur auf die Fortsetzung in Nr. 38 gespannt sein, sondern auch auf die Diskussionsveranstaltung anlässlich der Präsentation dieser Nummer am 21. März, an der unter anderem die Autorinnen zweier Beiträge teilnehmen werden (siehe untenstehende Ankündigung).

In den meisten Artikeln ist das Verhältnis zwischen Reproduktion und Produktion zentral. Kathi Weeks untersucht in ihrem Essay "In der Arbeit gegen die Arbeit LEBEN", was von früheren feministischen Debatten über den Wert (unbezahlter) (Reproduktions)Arbeit sowie von Analysen der White Collar Arbeit (von Angestellten) bzw. der Pink Collar Arbeit (Dienstleistungsarbeit) im Postfordismus noch gültig ist. Ein Interview mit Silvia Federici diskutiert den Sexismus bei Universitäts-Besetzungen des letzten Jahres in Kalifornien wie auch die "Kapitalisierung des Studiums" durch den Zwang, Kredite aufzunehmen. Almut Bachinger setzt in "Lohn für Hausarbeit reloaded" bei den Diskussionen der 1970er an und kommt zum Ergebnis, dass sich manche Fragen durch die Veränderungen des Kapitalismus, d.h. dessen Entwicklung in Richtung einer neuen DienstbotInnen-Gesellschaft, heute anders stellen. Um Subjektbildung geht es im Artikel "Vom konstruierten Subjekt zur gegenderten Marke Ich?" von Elisabeth Perchinig, in dem die (de)konstruktivistische Sichtweise aus psychologischer und pädagogischer Perspektive kritisiert wird.

Ergänzend bringen wir einen Bericht über Frauenräte in einem kurdischen Flüchtlingslager. Außerhalb des Schwerpunktes kommentiert Karl Reitter das neue Buch John Holloways, "Kapitalismus aufbrechen", als Annäherung an die wertkritische Theorie und Johann-Friedrich Anders unterzieht die "Neue Marxlektüre" - die glaubt, auf die Analyse von Klassenkämpfen verzichten zu können - einer Kritik. Vervollständigt wird dieses Heft durch Buchbesprechungen über den Maoismus in der neuen Linken nach 1968 sowie das bedingungslose Grundeinkommen.

Natürlich sind wir begeistert von den Ereignissen in Nordafrika und im Mittleren Osten; Aufstände, die uns alle überrascht haben. Da wir uns außer Stande sehen, kurzfristig selbst eine Analyse zu liefern, drucken wir die Übersetzung eines inspirierenden Textes von Alain Badiou ab, der in diesen Bewegungen und den darin entstehenden nichtstaatlichen Strukturen einen "Kommunismus der Bewegung", vergleichbar mit der Pariser Commune, erkennt.

Gleich im Anschluss findet ihr noch eine Erklärung zu den aktuellen Versuchen AktivistInnen der Studierendenbewegung zu kriminalisieren. Last not least empfehlen wir - nicht zuletzt als Nachlese zum Artikel von Dieter Behr in den letzten grundrissen - nachdrücklich die Berichte der erfolgreichen Bamako-Dakar-Karawane für Bewegungsfreiheit und selbstbestimmte Entwicklung unter www.afrique-europe-interact.net.

Einen bewegten Frühling wünscht

eure grundrisse-Redaktion

PS: Abonnieren tut gut, und zwar uns und euch! Deshalb gibt's ab sofort zu jedem neuen 2-Jahres-Abo eine Ausgabe von "Die Krise denken - Finanzmärkte, soziale Kämpfe und neue politische Szenarien" (Hg. Andrea Fumagalli & Sandro Mezzadra, unrast-Verlag 2010)! Bestellungen an: redaktion@grundrisse.net


*


Diskussionsveranstaltung anlässlich der Präsentation der Nummer 37 der grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte mit dem Schwerpunkt "Geschlechterverhältnisse & gesellschaftliche Arbeitsteilung"

Noch einmal 100 Jahre Kapital & Patriarchat?

Zum Verhältnis von Arbeit, Geschlecht und kollektiver Subjektivität

Almut Bachinger und Elisabeth Perchinig werden die zentralen Thesen ihrer Texte in den aktuellen grundrissen vorstellen. Davon ausgehend sollen in der Diskussion das Verhältnis von Kapitalismus und Patriarchat behandelt werden, aber auch die Möglichkeiten und Grenzen feministischen Widerstandes dagegen. Aspekte der Konstruiertheit - und De-Konstruierbarkeit - von Geschlecht werden dahingehend von zentralem Interesse sein, ebenso die damit eng verknüpfte Frage nach organisierten kollektiven Strategien der Befreiung von Patriarchat und Kapital.

Es diskutieren:
Almut Bachinger, Politikwissenschafterin
Barbara Eder, Soziologin und freie Journalistin
Elisabeth Perchinig, Psychologin
Moderation: Renate Nahar, grundrisse

Montag, 21. März 2011, 19 Uhr
Akademie der bildenden Künste Wien
Hörsaal M13, Schillerplatz 3, 1010 Wien


*


?? PREKÄR ARBEITEN, PREKÄR LEBEN ??
!! NO BORDERS, NO PRECARITY !!

AUFRUF ZUR FÜNFTEN MAYDAY-PARADE IN WIEN
1. Mai 2011, Treffpunkt: 14 Uhr, Wallensteinplatz, 1200 Wien

Musst du arbeiten? Willst du arbeiten? Hast du bezahlte Arbeit? Darfst du arbeiten? Darfst du hier leben? Wovon lebst du? Hast du freie Zeit? Was machst du, wenn du krank bist? Was machst du im Alter? Was wünschst du dir? Was setzt du deiner Prekarisierung entgegen? Wie organisierst du dich?

Wir pfeifen auf die Karotte vor der Nase, die das schöne Leben versprechen soll. Wir sagen der Entsicherung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse den Kampf an. Am 1. Mai heißt es daher wieder: MAYDAY! MAYDAY! Auf zur Parade der Prekären! Die MAYDAY!-Parade in Wien verbindet die Vereinzelten, stärkt die Verunsicherten und schafft Aktionsradius. Wehren wir uns gemeinsam!

Noch zu warten ist Wahnsinn! Raus auf die Straßen!
http://mayday.prekaer.at/

Raute

Abschiebungen dokumentieren bedeutet Terrorismus?

Presse- und Öffentlichkeitsarbeitsgruppe, im Februar 2011

Ein Bericht über das Potenzial von §278: Ausdehnung polizeilicher Ermittlungsbefugnisse, Kriminalisierung antirassistischer Arbeit und die Konstruktion "staatlicher Gefährdung"

Einigen wird noch in Erinnerung sein, dass letzten Sommer (2010) vier Menschen für fünf bzw. sieben Wochen in Untersuchungshaft genommen wurden. Ihnen werden die brennenden Mülltonnen vor einem AMS-Center in Wien zur Last gelegt. Von Anbeginn jedoch ging es um viel mehr: Laut Haftbefehl stehen sie unter Verdacht, ein verbrecherisches Komplott (§277) oder gar eine terroristische Vereinigung (§278b) gebildet zu haben.


Die Ermittlungen weiten sich aus...

Anfang Dezember erhielten weitere Personen eine - formal nicht korrekte - Vorladung als Beschuldigte und zwei der damals Inhaftierten wurden erneut im Beisein des LVT-Ermittlers (Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) Reinhard Muik und der Staatsanwältin Nina Weinberger verhört. Als Begründung wurde die Rohfassung einer Video-Dokumentation einer Abschiebung angeführt, die auf zwei Computern gefunden wurde. Beschlagnahmt wurden diese Geräte im Sommer bei einer im Rahmen der Verhaftungen durchgeführten Hausdurchsuchung. Die Aufforderung, zu diesem Video Stellung zu nehmen, erfolgte unter Androhung der Verhängung von nochmaliger U-Haft sowie der Aktualisierung des zwischenzeitlich fallen gelassenen Terrorparagraphen §278b und der Erweiterung der Ermittlungen auf §278c (Verübung einer terroristischen Straftat). Dies alles basierte auf einer haarsträubenden Interpretation des Videos von Seiten der Behörde.


... und nehmen immer absurdere Formen an

Dabei wurde die bloße Dokumentation einer polizeilichen Amtshandlung - gemeinsam mit anderen unbelegten Mutmaßungen - in eine Vorbereitung für eine geplante Häftlingsbefreiung verkehrt.

Die beiden Funkmasten am Dach des öffentlich zugänglichen Parkdecks am Flughafen Wien Schwechat, von dem aus gefilmt wurde, sind laut Polizeiakt "Funkanlagen für den Flugbetrieb, bzw. für den Flughafenbereich. Eine Manipulation hätte möglicherweise für den Flughafenbetrieb, aber auch für den Flugzeugverkehr an sich, unabsehbare Folgen." Ein weiteres absurdes Konstrukt des LVT, denn es handelt sich dabei um Handymasten, über die wohl nicht einmal die LVT-"ExpertInnen" den Flughafenfunk abwickeln könnten.

Die Betroffenen - drei davon studieren an der Akademie der Bildenden Künste Wien - sahen sich daher gezwungen, Stellung zu nehmen, und legten eine schriftliche Expertise der Kunstakademie vor, die das Material als Rohfassung einer künstlerisch-dokumentarischen Arbeit auswies. Dem nicht genug wurde der/die VerfasserIn dieser Expertise am 20. Jänner zur Zeugeneinvernahme geladen.

Diese Vorgehensweise stellt nicht nur eine offene Drohung gegen kritische Arbeiten dar - seien sie künstlerisch oder journalistisch motiviert -, sondern zeigt auch, wie leichtfertig das LVT mit Terrorismusvorwürfen hantiert. Dass dies weniger Zufall ist, sondern vielmehr Methode hat, erweist sich nicht nur in diesem Fall. Auch beim aktuellen Monsterprozess gegen TierrechtsaktivistInnen wird der §278 (im Konkreten handelt es sich um §278a - kriminelle Organisation) zur Hilfe genommen, um zivilpolitisches Engagement zu kriminalisieren und zu behindern. Denn wie bereits gesagt, von Anbeginn ging es auch in vorliegendem Fall um viel mehr.


Ein wenig zur Vorgeschichte

Der seit 1. Jänner 2010 als Chef des Wiener LVT agierende Hofrat Mag. Erich Zwettler gab mit seinem "Anfalls-Bericht" (sic!) vom 12.5.2010 den Startschuss zu einer umfassenden Ermittlung. Im Visier waren die Proteste gegen den WKR-Ball (Ball der deutschnationalen Burschenschaften) und jene der Studierenden gegen die ministeriale Bildungs- und Universitätspolitik. Letztere schienen ihm am meisten Kopfzerbrechen zu bereiten. In Heraufbeschwörungen einer Art Unibrennt al-Qaida vermutete er, dass eine -namentlich nicht bekannte - Gruppierung offensichtlich auch "Anschläge gegen internationale Organisationen bzw. Vertretungsbehörden vorbereitete bzw. plant", um dadurch eine Veränderung der Bildungspolitik quasi herbeizubomben.

Mit diesen hoch dramatisierten Darstellungen gelingt es, die Staatsanwaltschaft davon zu überzeugen, die Ermittlungen unter Anwendung des Terrorismusparagraphen ausweiten zu dürfen - hin zu Ermittlungsformen, die mit einem Streich das Recht auf private Existenz und datenschutzrechtliche Bestimmungen aushebeln. Hierzu zählen Observationen von Privatpersonen, Einsatz von verdeckten ErmittlerInnen (VE) wie auch die Erfassung der Rufdaten; letzteres bedeutet, dass das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung bei der Telefongesellschaft die Offenlegung sämtlicher telefonischer Aktivitäten (einlangende und ausgehende Telefonanrufe sowie SMS) rückwirkend auf ein halbes Jahr anfordern kann; darüber hinaus kann ein Weg-Zeit-Diagramm der überwachten Personen erstellt werden. Damit ploppt freilich ein riesiges Reservoir an weiteren, möglichen "Tatverdächtigen" auf, aus dem sich Polizei und Justiz - wie bei einem kalten Buffet - bedienen können.

Zwar kam es nicht zu den befürchteten Anschlägen, nach denen mit "politischen als auch internationalen Verstimmungen zu rechnen" sei, aber wen stört das schon? Der vom LVT nach eigenen Angaben durchgeführte Versuch, eine(n) verdeckte(n) ErmittlerIn in diese "Gruppe" einzuschleusen, scheiterte. Aber nicht aufgrund angeblich "konspirativen Verhaltens", sondern da diese terroristische oder sonst wie geheim operierende "Gruppe" schlichtweg nicht existierte oder existiert. Die Beweisführung ist gespickt mit Vermutungen und willkürlich zusammengetragenen "Indizien", ganz im Sinne des Terrorparagraphen und nicht der Beweislast.

Alles ist möglich, so lange nichts bewiesen ist.


Alltag wird kriminell

Der Verdacht auf Terrorismus gerät hierbei zur paranoiden "self-fulfilling prophecy", die jedweder seriösen Quellenkunde und -interpretation einen Platzverweis erteilt. Es wird konstruiert, wonach so angestrengt gesucht wurde. Dies erfordert nicht nur eine konsequente Einengung der Perspektive, sondern ebenso eine sprachliche Verrückung alltäglicher Handlungen ins Anrüchige, Dunkle und Bedrohliche:

Die Berufung auf §278 ermöglicht es nicht nur, engagierte, kritische Menschen in Haft zu sperren. Nein, sie macht auch aus einer Runde von FreundInnen eine "professionelle Vereinigung", macht aus Gesprächen "konspirative Treffen", aus Telefonaten mit der polnischen Großmutter "internationale Vernetzung", aus einer studentischen Video-Dokumentation eine "professionelle Observation" mit dem Zweck, eine Abschiebung in eine "geplante Häftlingsbefreiung" münden zu lassen. Am Ende der Konstruktionsleistung hat man es mit einer gewaltbereiten, ja "anschlagswilligen terroristischen Zelle" zu tun, die jederzeit den gesellschaftlichen Körper zersetzen kann.

Neben Handlungen werden ebenso Objekte kriminalisiert: Ein elektrischer Schaltplan für einen Radioverstärker wird da schon mal zu einem Schaltplan für einen Bombenzünder. Konfiszierte Unterlagen (Adressen von Flüchtlingsheimen usw.) einer antirassistischen Demonstration gegen Abschiebungen werden wiederum zu einer geplanten Häftlingsbefreiung. Kontounterlagen von Kultur-Fördergeldern der Stadt Wien sollen als Beleg für konspirative Finanzierungsquellen von Brandanschlägen dienen. Flyer zur Bildungspolitik sollen Beweis dafür sein, dass es sich bei einem der vier durchsuchten WG-Zimmer um eines der Zentren der ohnehin bereits gelungen kriminalisierten "Wiener Audimax-Bewegung" handle.

Sich politisch zu organisieren, gegen Missstände zu protestieren und für seine Anliegen einzustehen - das sind Grundrechte. Mit Unterstützung des §278 wird, wie auch das Beispiel des Prozesses gegen TierrechtsaktivistInnen zeigt, an der Aushöhlung eben dieser rechtsstaatlichen Grundrechte gearbeitet. Die Konsequenz ist einfach: Die Anklage muss sofort fallen gelassen werden! Der gesamte §278 muss abgeschafft werden - und zwar ebenfalls sofort, am besten gestern!

Raute

Alain Badiou

Tunesien, Ägypten: wenn der Ostwind die Arroganz des Westens hinwegfegt(*)

Der Ostwind übertrifft den Westwind

Wie lange noch wird der untätige und dahindämmernde Westen, die "internationale Gemeinschaft" derer, die sich noch für die Herren der Welt halten, der ganzen Welt Lektionen über gute Verwaltung und gutes Verhalten geben? Ist es nicht lachhaft zu sehen, wie Intellektuelle vom Dienst, verunsicherte Soldaten des kapitalistisch-parlamentarischen Systems, die uns dieses zerschlissene Paradies andienern, den großartigen Völkern Tunesiens und Ägyptens Ratschläge geben, um diesen wilden Völkern das ABC der "Demokratie" zu lehren? Was für ein trauriges Beharren auf der kolonialen Arroganz! Ist es in einer drei Jahrzehnte anhaltenden Situation der politischen Misere nicht evident, dass wir es sind, die von den jetzt stattfindenden Volksaufständen zu lernen haben? Müssen wir nicht in höchster Eile ganz aus der Nähe alles untersuchen, was dort die Beseitigung der - korrupten und im Übrigen (und vielleicht auch vor allem) sich in einer Situation eines demütigenden Vasallentums in Bezug auf die westlichen Staaten befindenden - oligarchischen Regierungen durch eine kollektive Aktion möglich machte?

Ja, wir müssen SchülerInnen dieser Bewegungen werden und nicht ihre stupiden Professoren. Denn sie beleben mit der eigenen Genialität ihrer Erfindungen einige Prinzipien der Politik, von denen man uns seit längerem zu überzeugen versucht, das sie veraltet sind; insbesondere jenes Prinzip, das Marat nicht aufhörte uns in Erinnerung zu rufen: Wenn es um Freiheit, Gleichheit und Emanzipation geht, verdanken wir alles den Volksaufständen.


Rebellion ist gerechtfertigt

Sowie unsere Staaten und diejenigen die darin herrschen (Parteien, Gewerkschaften und servile Intellektuelle) die Verwaltung gegenüber der Politik bevorzugen, bevorzugen sie Forderungen gegenüber der Revolte und gegenüber jeden Bruch den "geordneten Übergang". An was uns die ägyptischen und tunesischen Völker erinnern, ist, daß die einzige Aktion, die dem weit verbreiteten Gefühl einer skandalösen Besetzung der Staatsmacht angemessen ist, der Massenaufstand ist. Und in diesem Fall ist die einzige Losung, welche die unterschiedlichen TeilnehmerInnen der Menge zusammenschließen kann: "Der Du da bist, verschwinde!" Die außerordentliche Bedeutung der Revolte - ihre kritische Kraft - ist, dass diese von Millionen Menschen wiederholte Losung den unzweifelhaften und unumkehrbaren ersten Sieg mißt: die Flucht des so adressierten Mannes. Und was auch immer danach passiert, dieser Triumph der Aktion des Volkes, illegal in seiner Natur, wird für immer siegreich sein. Dass eine Revolte gegen die Staatsmacht absolut siegreich sein kann, ist eine Lehre von universeller Tragweite. Dieser Sieg zeigt für immer den Horizont, den jede von der Autorität des Gesetzes subtrahierte kollektive Aktion, entwickelt, und welchen Marx "das Absterben des Staates" nannte. Zu wissen, dass eines Tages die Völker, frei assoziiert in der Entfaltung ihrer eigenen kreativen Macht, sich des dunklen Zwangs des Staates entledigen können: dafür, für diese äußerste Idee, löst eine Revolte, die eine installierte Autorität stürzt, in der ganzen Welt einen grenzenlosen Enthusiasmus aus.


Aus einem Funken kann ein Steppenbrand entstehen

Alles begann mit der Selbstverbrennung eines zur Arbeitslosigkeit gezwungenen Menschen, dem man den ärmlichen Handel, der sein Überleben ermöglichte verbot, und den eine Polizistin ohrfeigte, damit er versteht, was in dieser Welt real ist. Diese Bewegung verbreitet sich in wenigen Tagen, wenigen Wochen bis schließlich Millionen von Menschen auf einem weit entfernten Platz ihre Freude über die in Anbetracht der Katastrophe abdankenden mächtigen Potentaten herausschreien. Woher kommt diese atemberaubende Ausbreitung? Breitet sich eine Freiheitsepidemie aus? Nein. Wie es Jean-Marie Gleize poetisch ausdrückt, "eine revolutionäre Bewegung breitet sich nicht durch Ansteckung aus, sondern mittels Resonanz. Etwas, daß sich hier konstituiert ist in Resonanz mit den Schockwellen, die etwas, daß sich dort konstituiert, auslöst."

Diese Resonanz nennen wir "Ereignis". Ein Ereignis ist die plötzliche Erzeugung nicht einer neuen Realität, sondern eine Unzahl neuer Möglichkeiten.

Keine unter ihnen ist die Wiederholung von etwas, das schon bekannt ist. Deshalb ist es obskur zu sagen "diese Bewegung fordert Demokratie" (also unterschwellig jene, derer wir uns im Westen erfreuen), oder aber "diese Bewegung fordert eine Verbesserung der sozialen Situation" (also unterschwellig den durchschnittlichen Wohlstand eines Kleinbürgers bei uns). Ausgehend von fast nichts und überall Resonanzen erzeugend, schafft dieser Aufstand des Volkes bislang unbekannte Möglichkeiten für die ganze Welt. Das Wort "Demokratie" ist in Ägypten kaum zu hören. Es wird vom "neuen Ägypten", vom "wahren ägyptischen Volk", von der konstituierenden Versammlung, der absoluten Änderung des Lebens, von unerhörten und bislang unbekannten Möglichkeiten gesprochen. Es handelt sich um eine neue Ebene, die an Stelle derjenigen tritt, die der Funke des Aufstands letztlich in Flammen setzte. Sie plaziert sich, diese neue Ebene, zwischen der Deklaration der Umkehrung der Kräfte und das Angehen neuer Aufgaben.

Zwischen dem was ein junger Tunesier sagte: "Wir, die Söhne der Arbeiter und Bauern, sind stärker als die Kriminellen"; und dem was ein junger Ägypter sagte: "Beginnend mit heute, den 25. Jänner, nehme ich die Angelegenheiten meines Landes in meine Hände."


Das Volk und nur das Volk ist die Triebkraft, die die Weltgeschichte macht

Es ist sehr erstaunlich, dass in unserem Westen Regierungen und Medien behaupten, die Revolten eines Platzes in Kairo seien "das ägyptische Volk". Wie das? Ist denn für diese Leute das einzig vernünftige und legale Volk nicht reduziert auf die Mehrheit bei einer Befragung oder einer Wahl? Wie ist es möglich, dass plötzlich die hunderttausenden Revoltierenden für ein Volk von 80 Millionen Menschen repräsentativ sind? Das ist eine Lektion, die nicht vergessen werden darf und die wir nicht vergessen werden.

Wenn eine gewisse Schwelle an Entschlossenheit, Beharren und Courage überschritten wird, kann das Volk seine Existenz auf einen Platz, eine Straße, einige Fabriken, eine Universität, etc. konzentrieren. Die ganze Welt wird Zeugin dieser Courage und vor allem der verblüffenden Neuschöpfungen, die sie begleiten. Diese Neuschöpfungen sind der Beweis, dass dort das Volk ist. Wie es ein ägyptischer Demonstrant deutlich ausdrückte: "Früher sah ich fern, jetzt sieht mich das Fernsehen an."

Während das Ereignis sich entfaltet, setzt sich das Volk aus denjenigen zusammen, welche die Probleme lösen können, die das Ereignis ihnen stellt. So bei der Besetzung eines Platzes: Nahrung, Schlafplätze, Bewachung, Transparente, Gebete, defensive Kämpfe damit der Ort, an dem alles passiert, der Ort, der das Symbol darstellt, für sein Volk um jeden Preis gehalten werden kann. Probleme, die bei einer Anzahl von Hundertausenden von Menschen von überall kommend, unlösbar erscheinen, umsomehr als auf diesem Platz, der Staat verschwunden ist. Ohne Hilfe des Staates unlösbare Probleme zu lösen, das ist die Bestimmung eines Ereignisses. Es ist das, was ein Volk hervorbringt und das plötzlich und für eine nicht festgelegte Zeit dort existiert, wo es beschlossen hat sich zu versammeln.


Ohne kommunistische Bewegung kein Kommunismus

Der Volksaufstand, von dem wir reden ist offensichtlich ohne Partei, ohne hegemoniale Organisation, ohne anerkannten Führer. Mit der Zeit werden wir prüfen können, ob dies eine Stärke oder eine Schwäche ist. Auf jeden Fall ist es diese Tatsache, welche alle Eigenschaften eines "Kommunismus der Bewegung" - in einer außerordentlich reinen Form, ohne Zweifel die reinste nach der Pariser Kommune - hervorbringt.

"Kommunismus" heißt hier: Gemeinsame Erschaffung kollektiven Schicksals. Dieses "Gemeinsame" hat zwei besondere Eigenschaften: Als erstes, es ist generisch[1]; es repräsentiert an einem Ort die gesamte Menschheit. An diesem Ort gibt es alle Arten von Menschen aus denen sich ein Volk zusammensetzt, jeder Rede wird zugehört, jeder Vorschlag geprüft, jedes Problem so behandelt, wie es sich stellt. Weiters beginnt es alle großen Widersprüche zu lösen, von denen der Staat behauptet, nur er sei in der Lage damit umzugehen, während er doch keinen dieser Widersprüche löst: jenen zwischen Intellektuellen und ArbeiterInnen, zwischen Frauen und Männern, zwischen Reichen und Armen, zwischen Muslimen und Kopten, zwischen Leuten aus der Provinz und denjenigen aus der Hauptstadt ...

Tausende neue Möglichkeiten, die diese Widersprüche betreffen, treten plötzlich ans Tageslicht, für die der Staat - jeder Staat - vollständig blind ist. Junge Frauen, ÄrztInnen, die aus der Provinz gekommen sind, um die Verletzten zu behandeln, schlafen in der Mitte eines Kreises von schüchternen jungen Männern. Und die Frauen sind gelassener als sie es jemals waren; sie wissen, dass niemand ihnen auch nur ein Haar krümmen wird. Eine Organisation von IngenieurInnen wendet sich an die Jungen aus den Vorstädten: sie sollen ihnen helfen den Platz zu halten und die Bewegung mit ihrer kämpferischen Energie schützen. Eine Reihe von ChristInnen halten stehend Wache, um in ihre Gebete versunkene Muslime zu schützen, HändlerInnen geben Arbeitslosen und Armen Essen. Jeder redet mit seinem unbekannten Nachbarn. Tausende Spruchbänder sind zu lesen, in denen sich das Leben einzelner bruchlos mit der großen Geschichte aller vermengt. Die Menge dieser Situationen, dieser Erfindungen konstituieren den Kommunismus der Bewegung. Seit zwei Jahrhunderte gibt es ein einziges Problem: Wie können wir die Erfindungen des Kommunismus der Bewegungen dauerhaft etablieren? Und eine einzige reaktionäre Antwort: "Das ist unmöglich, ja schädlich. Vertrauen wir uns dem Staat an". Ehre für die Völker Tunesiens und Ägypten, die uns an die wahre und einzige politische Aufgabe erinnern: im Angesicht des Staates, dem Kommunismus der Bewegung die Treue zu halten.


Wir wollen keinen Krieg, aber wir fürchten uns nicht davor

Überall wird von der friedlichen Ruhe der gigantischen Demonstrationen gesprochen, und diese Ruhe wird mit dem Ideal der repräsentativen Demokratie verbunden, mit der die Bewegung etikettiert werden soll. Stellen wir jedoch fest, daß es Hunderte von Toten gab und es jeden Tag weitere Tote gibt. In vielen Fällen waren diese Toten die Kämpfer und Märtyrer der Initiative und anschließend des Schutzes der Bewegung selbst. Die politischen und symbolischen Orte des Aufstands konnten nur um den Preis von grausamen Kämpfen gegen die Milizen und die Polizei des bedrohten Regimes gehalten werden. Und wer, wenn nicht die Jungen aus den ärmsten Bevölkerungsschichten, hatte hier mit ihrem bzw. seinem Leben zu bezahlen? Die "Mittelklassen", von den unsere uninspirierte Michèle Alliot-Marie[2] meinte, dass der demokratische Erfolg der laufenden Ereignisse von ihnen und nur von ihnen abhänge, möge sich erinnern, dass im entscheidenden Augenblick die Fortdauer des Aufstands nur durch das uneingeschränkte Engagement von Einheiten des Volkes garantiert werden konnte. Defensive Gewalt ist unvermeidlich. Sie setzt sich im Übrigen unter schwierigen Bedingungen in Tunesien fort, nachdem jungen Aktivisten aus den Provinzen zurück in ihre Misere geschickt wurden.

Glaubt jemand ernsthaft, dass diese unzähligen Initiativen und die grausamen Opfer als wesentliches Ziel haben, dass die Leute zwischen Souleiman und El Baradei "wählen" können, so wie bei uns erbärmlich resignierend zwischen Sarkozy und Strauss-Kahn gewählt wird? Soll das die einzige Lehre aus dieser prachtvollen Episode sein?

Nein, tausend Mal nein! Die tunesischen und ägyptischen Völker sagen uns: Sich erheben, an einem öffentlichen Ort den Kommunismus der Bewegung aufbauen, ihn mit allen Mitteln verteidigen, indem sukzessive Aktionsschritte erfunden werden, das ist die Wirklichkeit einer populären Politik der Emanzipation. Es sind sicher nicht nur die Staaten der arabischen Länder, die gegen das Volk agieren und im Grunde, ob mit oder ohne Wahlen, illegitim sind. Wie auch immer die Entwicklung sein wird, der tunesische und der ägyptische Aufstand haben eine universelle Bedeutung. Sie eröffnen neue Möglichkeiten, deren Wert international ist.


Anmerkungen:

(*) Übersetzt aus dem Französischen von Francois Naetar. Das Original erschien am 18.2.2011 in lemonde.fr, online nachzulesen hier:
http://www.lemonde.fr/idees/article/2011/02/18/tunisie-egypte-quand-un-vent-d-est-balaie-l-arrogance-de-l-occident_1481712_3232.html

[1] Den Begriff generisch verwendet Badiou in zwei Richtungen: Erstens entsteht aus einem Ereignis etwas Generisches, etwas, das mit den herrschenden Begriffen nicht vollständig erfassbar ist - etwas Neues und zweitens ist das Subjekt einer Politik, die einem Ereignis die Treue hält, im Prinzip jedeR. JedeR kann MilitanteR dieser Politik sein, das Subjekt ist generisch. (Siehe Alain Badiou: "Über Metapolitik", diaphanes 2003, S.151-152)

[2] Michèle Alliot-Marie ist die am 27. Februar wegen allzu engen Verbindungen zum alten tunesischen Regime abgesetzte französische Außenministerin.

Raute

Ann-Kristin Kowarsch

Frauenräte als Alternative zu Krieg, Vereinzelung und Männerherrschaft

Der Frauenrat "Ischtar" im Flüchtlingscamp Maxmur

Mit dem Aufbau von Frauenräten versucht die kurdische Frauenbewegung an vielen Orten, Frauen aus allen Teilen der Gesellschaft basisdemokratisch zu organisieren. Ziel dieses Organisierungsansatzes, der sich auf die Prinzipien des Demokratischen Konföderalismus beruft, ist es, die Selbstbestimmung und den politischen Willen von Frauen zu stärken und den Aufbau einer demokratisch-ökologischen, geschlechterbefreiten Gesellschaft voranzutreiben. Auch im Flüchtlingscamp "Maxmur" in Südkurdistan organisieren sich kurdische Frauen unter dem Dach eines Frauenrates autonom, um ein Leben in Frieden, Freiheit und Würde zu erreichen. Seit 18 Jahren sind sie Flüchtlinge im eigenen Land. Unter den Bedingungen von Krieg und wiederholter Vertreibung bauten sie sich Selbstverwaltungsstrukturen auf, mittels derer sie nun ihr Leben organisieren, ihren politischen Willen vertreten und patriarchale Herrschaft effektiv bekämpfen können.

Der Frauenrat "Ischtar", der nach der mesopotamischen Schutzgöttin Ischtar benannt wurde, stellt das verbindende Dach und gemeinsame Beschlussgremium aller Frauen und Fraueneinrichtungen im Flüchtlingscamp dar. Hierzu gehören u.a. die Frauenakademie, das Frauenzentrum, von Frauen organisierte Einrichtungen wie Kindergärten, das sozio-kulturelle Zentrum, die Frauenpresse, eine Schneiderei, ein Friseurladen oder die Gruppe der Friedensmütter. Aber auch die Frauenarbeit innerhalb der gemischten Strukturen wie beispielsweise im Volksrat, an den Schulen und im LehrerInnenverband, in der infrastrukturellen Campverwaltung, im Komitee für Angehörige von Gefallenen, in der Außenarbeit, im Volksgericht, in der Campsicherheit oder im Kultur- und Pressebereich fließt im Ischtar-Frauenrat zusammen und wird hier koordiniert.

Das Hauptstandbein des Frauenrates sind jedoch die Frauenkomitees in den vier Stadtteilen des Camps. Sie organisieren täglich Hausbesuche und Solidarität unter den Frauen in der Nachbarschaft. Die Stadtteilkomitees geben Informationen weiter und unterstützen Frauen im Alltag sowie bei ökonomischen und psychologischen Problemen. Zumeist sind sie auch die ersten Ansprechpartnerinnen bei Fällen von Gewalt in der Familie, anstehenden Zwangsverheiratungen und anderen Formen patriarchaler Unterdrückung. In den Straßenzügen organisieren sie regelmäßige Frauenversammlungen und Bildungsarbeit an der Basis. Hier finden auch Diskussionen über lange Zeit tabuisierte Themen wie Sexualität, Frauenanatomie oder Empfängnisverhütung statt.

Weiterhin wählt die Vereinigung der jungen Frauen auf ihren eigenen Versammlungen und Konferenzen wie zuletzt im Oktober 2010 ihre Vertreterinnen für den Frauenrat. Die jungen Frauen sind zugleich auch im Jugendrat von Maxmur vertreten. So können sie ihre spezifischen Bedürfnisse und Interessen formulieren und vertreten, denen häufig weder ihre Familien und die Gesellschaft noch die männlichen Jugendlichen Aufmerksamkeit schenken.

In einem Gespräch berichteten drei Mitarbeiterinnen des Frauenrates, Sehnaz, Reyhan und Sevin, von ihrer Arbeit und den dabei erzielten Erfolgen.

Sehnaz beschreibt die Struktur und Arbeitsweise des Frauenrates mit folgenden Worten: "Der Ischtar-Rat tagt alle 15 Tage. Alle Probleme von Frauen kommen hier auf die Tagesordnung. Wir diskutieren über Lösungen und fassen unsere Beschlüsse. Alle zwei Monate finden erweiterte Versammlungen statt. Daran beteiligen sich Frauen aus allen Stadtteilen und von allen Einrichtungen. Hier versuchen wir eine gemeinsame Frauenpolitik sowohl für die Belange von Frauen als auch für das gesamte Flüchtlingscamp zu gestalten. Alle 2 Jahre gibt es eine generelle Frauenkonferenz. Davor wählen die Frauen innerhalb ihrer Straßenzüge ihre Delegiertinnen. Frauen können sich selbst oder andere Frauen aus ihrer Straße als Kandidatinnen vorschlagen. Auf der Konferenz werden dann die Arbeiten der vergangenen zwei Jahre bewertet. Es werden Kritiken und Selbstkritiken vorgebracht, Beschlüsse gefasst, Regeln für das Zusammenleben im Camp aufgestellt und die neuen Vertreterinnen des Ischtar-Rates gewählt. Innerhalb des Frauenrates wird dann eine Koordination gewählt, die die tägliche Arbeit und die Umsetzung der Konferenz- und Ratsbeschlüsse verfolgt."

Zu der Rolle, die das Modell des Frauenrats für die Frauenorganiserung und die Einheit untereinander spielt, meint Sevin, die als Sprecherin des Frauenzentrums Maxmur in den Frauenrat gewählt wurde: "Der Frauenrat ist so etwas wie ein Dach, ein verbindendes Organ aller Fraueninstitutionen, aller Frauen im Flüchtlingscamp. Er sichert die Solidarität, die Ergänzung und gleichberechtigte Zusammenarbeit untereinander. Wenn Frauen vereinzelt und zersplittert sind, dann können sie nichts verändern. Dann vertraut auch die Bevölkerung der Frauenorganisierung nicht und nimmt sie nicht ernst. Durch unsere Einheit sind Vertrauen, Selbstvertrauen und Stärke unter Frauen gewachsen, so dass wir unsere Beschlüsse innerhalb des Camps durch- und umsetzen können."

Darauf beschreibt Reyhan die Beziehungen zwischen dem Frauenrat und den gemischten Strukturen der Selbstverwaltung: "Unser Flüchtlingscamp ist insgesamt auf der Grundlage des Demokratischen Konföderalismus anhand von Volksräten organisiert. Der Ischtar-Frauenrat ist eine autonome Frauenorganisierung. Wir wählen unsere Vertreterinnen für den Volksrat selbst unter den Frauen. Im Volksrat gibt es eine Geschlechterquote von 40%, d.h. Frauen und Männer müssen in gemischten Strukturen zumindest jeweils zu 40% vertreten sein. Gäbe es diese Quote nicht, dann hätten Frauen zu Anfang kaum eine Chance gehabt. Denn die Gesellschaften des Mittleren Ostens sind immer noch patriarchale und sexistische Gesellschaften. Früher standen häufig nur Männernamen auf den Stimmzetteln. Doch heute zeigt sich auch im Wahlverhalten, dass sich Denken und Bewusstsein verändert haben. Dieses Jahr ist das erste Mal eine Frau zur Sprecherin des Volksrates gewählt worden. Frauen sind die treibende Kraft der Selbstverwaltungsstrukturen." Dem fügt Sevin hinzu: "Nicht organisiert zu sein, bedeutet, sich seinem Schicksal auszuliefern und in den Tag hinein zu leben. Dann werden Menschen beeinflussbar, verantwortungslos und gleichgültig. Wir arbeiten daran, Menschen zur kollektiven Verantwortungsübernahme zu bewegen. Dadurch gestalten wir unsere Beziehungen neu, entwickeln Solidarität und gegenseitigen Respekt. Wenn jemand einen Unfall gehabt hat oder jemand gestorben ist, dann ist die ganze Campbevölkerung auf den Beinen und besucht die betreffenden Familien. Freude und Schmerzen werden miteinander geteilt. Durch unser System wird Gewalt, Ungerechtigkeit und Ungleichheit vorgebeugt. Somit ist das System des Demokratischen Konföderalismus insbesondere zum Vorteil der Frauen, denn es lässt keinen Platz für Gewalt gegen Frauen. Die Fraueneinrichtungen sichern Solidarität unter Frauen, d.h. Frauen haben Strukturen, die ihnen dabei helfen, Gewalterfahrungen offen zu legen, ihren Alltag zu organisieren und ihren Schutz zu gewährleisten. Sie stehen in so einer Situation nicht alleine da. Viele Frauen sagen heute: 'Früher in unseren Dörfern wurden wir häufig geschlagen und wagten es zum Teil noch nicht einmal unseren eigenen Söhnen gegenüber den Mund auf zu machen. Aber jetzt ist es ganz anders.' Frauen bemerken selber ganz konkret, was sich in ihrem Leben verändert hat."


Organisierte Kraft gegen patriarchale Gewalt

Der Ischtar-Rat hat Regeln für das Zusammenleben aufgestellt. Es gibt einige Themen, die ganz klare Strafen mit sich bringen: Dazu gehören Gewalt gegen Frauen, Zwangsverheiratungen in jungem Alter oder Brautgeld. Die Strafen, die verhängt werden, sehen die Mitarbeiterinnen des Frauenrates als ein Mittel, um sexistische Praktiken gesellschaftlich zu ächten. Darüber werden gesellschaftliche Auseinandersetzungen und Veränderungsprozesse angeregt. Beschlüsse, die im Frauenrat gefasst werden, haben Gültigkeit.

"Wenn jedoch unsere Beschlüsse auch Männer oder ganze Familien betreffen, dann versuchen wir, unsere Beschlüsse auch nochmal durch den Volksrat zu bringen. Denn wenn es ein genereller Beschluss ist, dann müssen sich auch alle Männer für dessen Umsetzung einsetzen. Das macht es dann einfacher, für diesen Beschluss Anerkennung in der Gesellschaft zu schaffen", erklärt Sehnaz. Ergänzend erklärt Sevin die Strukturen, Sanktionen und Verfahrensweisen, die sie zur Bekämpfung patriarchaler Gewalt in der Familie aufgebaut haben: "Gefängnisse gibt es bei uns nicht. Es ist schon eine Strafe, wegen eines Vorfalles zur Campsicherheit gerufen zu werden. Das ist jedem unangenehm. Denn das bedeutet, dass der Vorfall öffentlich gemacht und er zur Rede gestellt wird. In schweren Fällen von Gewalt gegen Frauen sorgen wir dafür, dass ein gewalttätiger Mann zunächst für 15 Tage aus seiner Familie genommen und isoliert wird. Ihm wird der Grund für diesen Beschluss durch FreundInnen von der Campsicherheit erklärt, und er bekommt die Gelegenheit nachzudenken und ein paar Bücher zu lesen. Dann wird innerhalb von 15 Tagen das Gerichtsverfahren vorbereitet und der Bevölkerung Bescheid gegeben. Beim Verfahren muss sich der Mann mit den Kritiken der versammelten Bevölkerung auseinandersetzen. Er wird sich dadurch bewusst, dass er gegen die Ethik des Zusammenlebens verstoßen hat, dass sein Verhalten durch die Gesellschaft nicht akzeptiert wird. Er kann dann zu den Kritiken Position beziehen und abschließend werden Vorschläge zum weiteren Umgang mit ihm gemacht. Der Vorschlag, der Stimmmehrheit hat, ist als Gerichtsbeschluss gültig. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit kann schuldigen Männern auch nochmal eine neue Chance geben werden. Wenn sie sich entschuldigen und dem Frauenrat gegenüber ihre Selbstkritik abgeben, entscheidet der Frauenrat gemeinsam mit der betroffenen Frau über den Antrag. Die letzte und höchste Strafe, die verhängt werden kann, ist der Ausschluss aus dem Camp. Bislang hat es 2-3 Vorfälle gegeben, bei denen Männer mit Beschluss des Volksgerichts aus dem Camp geworfen worden. Die von Gewalt betroffenen Frauen und Kinder leben hingegen weiterhin hier."


Bewusstsein schafft organisierten Widerstand

Trotz der schwereren Umstände und begrenzten Möglichkeiten, die ein Ergebnis des langjährigen andauernden Krieges, von Flucht und Vertreibung sind, ist vor allem im Bildungsbereich große Aufbauarbeit geleistet worden. Durch die Aneignung von Wissen ist insbesondere in der jungen Generation ein starkes politisches Bewusstsein und Selbstbewusstsein entstanden. Insbesondere ArbeiterInnen und StudentInnen hinterfragen den Widerspruch, mit dem sie zwischen den Angriffen des kapitalistischen System außerhalb und dem solidarischen Ansatz des Demokratischen Konföderalismus innerhalb des Camps konfrontiert sind. Daraus schlussfolgern sie die Notwendigkeit, sich zu organisieren. Deshalb haben sich Frauen, die außerhalb des Campes arbeiten, eigenständig im Komitee der Werktätigen organisiert. Der Ischtar-Rat unterstützt sie dabei, ihre Rechte und Sicherheit am Arbeitsplatz durchzusetzen. Wenn ihr Lohn nicht ausgezahlt wird, wenn die Arbeitszeiten nicht eingehalten werden oder sich andere an ihrer Arbeit bereichern, dann setzen sie sich dagegen organisiert zur Wehr - das hat Erfolg gezeigt. Beispielsweise wird bei den ArbeiterInnen aus Maxmur jetzt der 8 Stunden-Tag eingehalten, obwohl ansonsten im Irak bis zu 12 Arbeitsstunden pro Tag die Regel sind.

Meiner Ansicht nach bietet das Modell der Frauenräte - auch über Kurdistan und den Irak hinaus - eine erfolgversprechende, lebendige Perspektive zum Aufbau kollektiver, feministischer Alternativen.


Anmerkung:

Eine gekürzte Fassung des Artikels ist als Erstveröffentlichung am 07.01.2011 in der Jungen Welt auf der Feminismus-Seite erschienen. Die ungekürzte Fassung wird voraussichtlich auch in der aktuellen Ausgabe der Krampfader erscheinen.

Raute

Kathi Weeks

In der Arbeit gegen die Arbeit LEBEN

Affektive Arbeit, feministische Kritik und postfordistische Politik

Aus dem Amerikanischen von Renate Nahar

Die Originalversion dieses Essays erschien unter dem Titel "Life Within and Against Work: Affective Labor, Feminist Critique, and Post-Fordist Politics" im Februar 2007 in ephemera, theory and politics in organization, volume 7, number 1: 233-249
(http://www.ephemeraweb.org/journal/7-1/71weeks.pdf). In der Übersetzung wurde der Text um das Abstract zu Beginn gekürzt. Die Übersetzerin und die Redaktion der Zeitschrift grundrisse danken der Autorin sowie der Redaktion von ephemera für die unkomplizierte Überlassung der Übersetzungsrechte.


Feministische Theoretikerinnen beschäftigen sich seit langer Zeit mit immaterieller und affektiver Arbeit, auch wenn diese Begriffe selbst eine eher jüngere Erfindung sind. Die frühen feministischen Untersuchungen zu Tätigkeiten und Verhältnissen der immateriellen Arbeit waren wesentlicher Bestandteil des Kampfes für die Erweiterung des Arbeitsbegriffes zu einem Begriff, der mehr Formen der geschlechtlichen Arbeitsteilung umfasst. Im Besonderen affektive Arbeit wurde in bestimmten feministischen Traditionen als fundamental sowohl für zeitgenössische Modelle der Ausbeutung als auch für die Möglichkeit ihrer Subversion verstanden. Gegenwärtige Diskussionen der Begriffe immaterielle und affektive Arbeit könnten durch ein besseres Verständnis dieser Entwicklungslinien bereichert werden. Zu diesem Zweck legt dieser Text den Fokus auf zwei richtungweisende feministische Projekte. Das sind erstens die Bemühungen des sozialistischen Feminismus der zweiten Welle der Frauenbewegung, der marxistischen Analyse der produktiven Arbeit eine kritische Betrachtung der Reproduktionsarbeit hinzuzufügen. Zweitens wird Arlie Hochschilds Ergänzung der kritischen Analysen der immateriellen Angestelltenarbeit (White Collar) von C. W. Mills um die emotionale Arbeit der Dienstleistungsarbeiterinnen (Pink Collar) behandelt, die einen Meilenstein darstellt. Wenn wir den Fokus darauf legen, welchen Beitrag diese beiden feministischen Interventionen - die eine zu marxistischer Kritik und die andere zur kritischen Soziologie der Dienstleistungen - geleistet haben, so werden die Besonderheiten von immateriellen Formen der Arbeit sowie die Schwierigkeiten ihrer Theoretisierung besser verständlich.

Die Bedeutung dieser beiden feministischen Projekte liegt jedoch nicht allein in der Qualität ihrer Analysen, sondern auch in den Stärken ihrer Kritik; d.h., nicht nur ihre theoretische Ausarbeitungen zu diesen Entwicklungen, sondern auch die Art und Weise, in der sie ihnen politisch entgegentreten, ist weiterhin von Interesse. Daher möchte ich besonderes Augenmerk auf ihre Beiträge als kritisches politisches Projekt legen: kritische Einschätzungen mit politischer Absicht oder Analysen, die den Blick auf mögliche antagonistische Auseinandersetzungen richten. Sozialistische Feministinnen z.B. stützen sich auf die marxistische Kritik der Politischen Ökonomie, um unbezahlte Reproduktionsarbeit, im Besonderen Care-Arbeit im Haushalt, sowohl als Ort der Ausbeutung als auch als Ort fassen zu können, von dem aus widerständige Subjekte und alternative Sichtweisen entstehen könnten. Mills und Hochschild hingegen beziehen sich auf Varianten der marxistischen Theorie der Entfremdung, um einen kritischen Hebel für die wachsende Abhängigkeit des Kapitals von immateriellen und speziell affektiven Formen der Arbeit zu finden.

Meiner Ansicht nach scheitern letztlich beide kritischen Strategien. Wie sich jedoch herausstellt, sind ihre Schwächen ebenso lehrreich wie ihre Errungenschaften. Trotz vieler Durchbrüche ist jeder dieser Zugänge durch seinen Rekurs auf einen kritischen Standpunkt und einen Begriff des politischen Widerstandes begrenzt, die in einem Außen begründet liegen: entweder in einer Sphäre der Reproduktion, die von der eigentlichen kapitalistischen Produktion getrennt ist, oder in einem Modell des Selbst, das seiner Entfremdung vorgängig ist. Egal ob diese Zugänge einmal adäquat waren oder nicht, erweist sich unter den Bedingungen der postfordistischen Produktion und Reproduktion ein solches Zutrauen in ein Außen als zunehmend unhaltbar.

Der erste Abschnitt dieses Essays gibt einen kurzen Abriss der sozialistisch feministischen Tradition, während der zweite Abschnitt einer etwas ausführlicheren Diskussion der Arbeiten von Mills und Hochschild gewidmet ist. Im letzten Teil möchte ich beginnen, über Begriffe eines alternativen theoretischen Zugangs nachzudenken. Bezug nehmend sowohl auf die Einsichten als auch auf die blinden Flecken dieser frühen Versuche, präsentiere ich einige sehr vorläufige Vorstellungen, wie eine Annäherung an die Entwicklung einer immanenten Strategie der kritischen/politischen Intervention aussehen könnte, die möglicherweise einen anderen Blickwinkel leisten und eine andere Form der politischen Antwort auf postfordistische Arbeitsregime bilden könnte.


Sozialistischer Feminismus und die Ausbeutung der Hausarbeit

Um einerseits einen besseren Umgang mit dem Begriff der immateriellen Arbeit und andererseits ein tieferes Verständnis der durch diesen gestellten Herausforderungen zu gewinnen, ist es - wie ich denke - nützlich, auf die angloamerikanische sozialistisch feministische Tradition zurückzugreifen und zwar speziell auf die Analysen, die von den späten 1960ern bis zu den frühen 1980ern erarbeitet wurden. Diese zählen zu den frühesten Versuchen - in einer Zeit, die noch vom Paradigma der materiellen Produktion dominiert wurde -, die Besonderheiten der immateriellen Arbeit zu verstehen. Als Projekt, das dem Verstehen der kapitalistischen Ökonomien und der Regime der geschlechtlichen Arbeitsteilung aus einer gleichzeitig marxistischen und feministischen Perspektive gewidmet war, legte diese Tradition den Schwerpunkt auf die Frage, wie verschiedene Praxisformen der geschlechtlichen Arbeitsteilung einerseits im Dienste der kapitalistischen Produktionsverhältnisse eingesetzt werden, jedoch andererseits auch potentiell Unruhe stiftend gebraucht werden können. Die Literatur war ziemlich breit gefächert und mannigfaltig.

Ich werde nur zwei der spezifischen Diskurse behandeln, einen aus der Frühphase der Periode und einen, der in den späteren Jahren entwickelt wurde. Es handelt sich um die Debatten über Hausarbeit, die sich mit dem Verhältnis von Hausarbeit zur Marxschen Theorie der Ausbeutung befassten, und die feministische Standpunkttheorie, die stärker an im kapitalistischen und patriarchalen System situierten - aber auch potentiell gegen dieses handelnden - Subjekten interessiert war.[1] Auf der höchsten Ebene der Abstraktion kann gesagt werden, dass der sozialistische Feminismus dieser Periode den Fokus auf den Widerspruch zwischen Prozessen der Kapitalakkumulation und der gesellschaftlichen Reproduktion legte. Obwohl in diesen Theorien der Gestus auf einen weiteren Begriff der Reproduktion - als Schaffen und Erhalten sozialer Formen und Beziehungen der Kooperation und Sozialität - gerichtet war, gaben sie sich normalerweise mit einer engeren Konzeption zufrieden, die mit unbezahlter Hausarbeit und Care-Arbeit gleichgesetzt wurde und auf den Raum des Haushalts beschränkt war. Sie setzten sich mit der Frage auseinander, wie das Verhältnis zwischen kapitalistischer Produktion und Reproduktion im Haushalt zu verstehen und zu bewerten sowie wie diesem Verhältnis entgegenzutreten sei. Diese Anerkennung des Haushalts als Ort der gesellschaftlichen Reproduktion schließt den wichtigen Kampf um die Erweiterung existierender Begriffe von Arbeit mit ein. Sicherlich war es eine der wesentlichen Errungenschaften des sozialistischen Feminismus dieser Periode, herrschende Konzeptionen dessen, was als Arbeit zählt, neu zu denken und der geschlechtlichen Arbeitsteilung Beachtung zu schenken - zu einer Zeit, als Arbeit üblicherweise noch mit bezahlter Produktion materieller Güter gleichgesetzt wurde.

Wie jedoch schon weiter oben angemerkt, ist die Tradition des sozialistischen Feminismus der 1970er Jahre nicht nur aufgrund ihrer Erfolge, sondern auch aufgrund ihres Scheiterns lehrreich. Im Besonderen bin ich der Ansicht, dass es sinnvoll ist, sich daran zu erinnern, wie viel Widerstand dieser feministischen Erweiterung der Kategorien der Arbeit und der Produktion entgegengesetzt wurde. Das früheste dieser Projekte, die unter dem Titel der Hausarbeitsdebatten zusammengefasst werden, ist aufgrund einiger spezifischer Streitpunkte und deren Auswirkungen von besonderem Interesse. Obwohl die Debatten ziemlich breit gefächert waren, fixierten sich die Argumente mit der Zeit auf die Frage, ob Hausarbeit besser innerhalb oder außerhalb der kapitalistischen Produktion selbst gefasst werden sollte.

War die Haushaltssphäre Teil des kapitalistischen Systems oder eine davon getrennte Produktionsweise? War Hausarbeit eine Form der "unproduktiven" Arbeit, die - da sie keinen Mehrwert schafft - nicht zentral oder fundamental für das Kapital ist? Oder war sie eine Form von "produktiver" Arbeit, die entweder indirekt oder direkt Mehrwert produziert und daher als integraler Bestandteil der kapitalistischen Produktion begriffen werden muss? Unterlag sie dem Wertgesetz oder war sie davon befreit? War sie daher integraler Bestandteil des Verwertungsprozesses oder lag sie an dessen Rändern? Kurz gesagt, befand sich Hausarbeit eigentlich innerhalb oder außerhalb der kapitalistischen Produktion?[2] Die Debatte war also - grob gesehen - auf zwei Positionen reduziert: Die eher unorthodoxen Beteiligten konzipierten Lohnarbeit und Arbeit im Haushalt in totalisierenderen Begriffen und kämpften darum, die grundlegende Entschlüsselung der kapitalistischen Produktion herauszufordern, wohingegen jene, die die orthodoxere Linie vertraten, die die Debatte letztendlich zu dominieren begann, auf einer Art Unterscheidung von dualen Systemen bestanden. Sich auf die ursprüngliche Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit von Marx stützend, verteidigten die orthodoxeren Autorinnen ein enges Verständnis der kapitalistischen Produktion, das direkt an das industrielle Paradigma gebunden war.

Wenn wir die Dominanz dieses im Wesentlichen fordistischen industriellen Bezugsrahmens der Hausarbeitsdebatten berücksichtigen, mutet es vielleicht nicht überraschend an, dass auf beiden Seiten eine Tendenz vorherrschte, das Beispiel der Hausarbeit im engeren Sinne gegenüber affektiven Formen der Arbeit im Haushalt zu privilegieren. Tatsächlich ist es aus einer heutigen Perspektive einer der auffälligsten Punkte, wie selten die Besonderheiten der Care-Arbeit angesprochen werden - eine Tendenz, die vielleicht der Feminisierung dieser Arbeit (und folglich ihres Status als "Schattenarbeit"), dem Übergewicht einer eher orthodoxen Strömung des Marxismus und der Hegemonie der fordistischen Vorstellungswelt zuzuschreiben ist. Sogar die unorthodoxeren Beteiligten, die den fundamental kapitalistischen Charakter der Hausarbeit behaupteten, neigten dazu, Care-Arbeit zu übersehen oder zu vernachlässigen. Auf der einen Seite erkannten sie an, dass Arbeit nicht nur aus Tätigkeiten besteht, die Gegenstände schaffen. Auf der anderen Seite tendierten sie in dieser Zeit dazu, sich auf die Ähnlichkeiten von Hausarbeit mit eben diesen Tätigkeiten zu konzentrieren, möglicherweise um Argumente dafür zu liefern, dass Hausarbeit und Frauen, die für diese zuständig waren, relevante Objekte der marxistischen Analyse und Subjekte der revolutionären Politik sind. In dem Ausmaß, in dem z.B. Hausarbeit in den Begriffen der Produktion von Gebrauchswerten für den Konsum charakterisiert werden konnte, war es vielleicht einfacher, sie als Arbeit zu akzeptieren. In diesem Kontext war es zweifelsohne schwieriger, die Beziehung zwischen Care-Tätigkeiten und Wertproduktion zu begreifen.

In den späten 1970er Jahren hatte sich die Hausarbeitsdebatte selbst an den Untiefen der Kontroverse "innen oder außen" festgefahren. Was als breit gefächerte Untersuchung der Beziehung zwischen Kapitalismus und Hausarbeit begonnen hatte, verengte sich auf wiederholte Inszenierungen der Debatte, ob die Tätigkeiten und Verhältnisse in der Hausarbeit Bestandteil der kapitalistischen Produktion seien oder relativ autonom von dieser.[3] Die eher orthodoxe Behauptung, dass Hausarbeit von kapitalistischer Produktion zu unterscheiden sei und daher Teil eines getrennten Kreislaufes außerhalb dieser, wurde zur dominanten Linie. Reproduktionsarbeit in der häuslichen Sphäre wurde dann entweder zu einem Bereich außerhalb der eigentlichen kapitalistischen Produktion herabgestuft oder falls doch darin eingeschlossen, nur insofern, als sie entweder der industriellen Produktion ähnlich oder direkt in diese verwickelt war. Die Logik der dualen Systeme, die auf einem Modell getrennter Sphären beruhte, dominierte schließlich nicht nur die spezifischen Begriffe dieser Debatte, sondern einen großen Teil der sozialistisch feministischen Literatur dieser Zeit.


Sozialistisch feministische Standpunkttheorie und die Subjekte des Widerstands

Im Gegensatz zu den frühen Hausarbeitsdebatten legte die sozialistisch feministische Standpunkttheorie - und hier konzentriere ich mich auf die späten 1970er und frühen 1980er Jahre - den Schwerpunkt öfter auf Care-Arbeit, wobei sie deren Unterschiede zu industrieller Produktion als potentielle Quelle von alternativen Epistemologien und Ontologien begrüßte. Die Standpunkttheorie ist mithin von besonderer Relevanz für unsere Zwecke hier, und zwar sowohl aufgrund ihrer frühen Untersuchungen der affektiven Arbeit als auch aufgrund ihres Augenmerks für die Möglichkeiten des Widerstands, die dieser innewohnen könnten. Zwischen den Sphären des Haushalts und der Ökonomie verursacht der Widerspruch zwischen den Erfordernissen der Kapitalakkumulation und der gesellschaftlichen Reproduktion eine Vielzahl von Brüchen und Konflikten, die kritisches Denken und politisches Handeln erzeugen könnten. Wo sich die Literatur zur Hausarbeit darauf konzentrierte, die geschlechtlichen Muster der Ausbeutung nachzuzeichnen und einzuordnen, fokussierten frühe Standpunkttheorien stärker auf die Möglichkeit der Entstehung von revolutionären Subjekten aus diesen ausgebeuteten Tätigkeiten und marginalisierten Subjektpositionen heraus. Reproduktion, die meist wiederum mit der Sphäre des Haushalts gleichgesetzt wurde, ist der Ort, von dem aus feministische politische Subjekte sich konstituieren und alternative Visionen entworfen werden könnten.[4]

In diesem Diskurs erscheinen die Begriffe der Teilung innen/außen in einer anderen Weise. Im Kontext der Hausarbeitsdebatten waren aus heutiger Perspektive gesehen die zwingendsten Beiträge jene unorthodoxen Argumentationslinien, die auf einen radikalen Neuentwurf der kapitalistischen Produktion abzielten, um die Haushaltssphäre als integralen Knoten im Kreislauf der Wertproduktion fassen zu können. Wieder wurde allerdings die Arbeit im Haushalt - immer unter Berücksichtigung der Art und Weise, wie die Debatte strukturiert war - oft nur insoweit als innerhalb des Kapitalverhältnisses begriffen, insoweit sie der industriellen Lohnarbeit ähnlich und ihr daher vergleichbar war. Standpunkttheorien untersuchten im Gegensatz dazu die Unterschiede der Tätigkeiten der Arbeit im Haushalt und begrüßten die Andersartigkeit von Care-Arbeit als potentiell kritischen Hebel und Ort der Handlungsfähigkeit.

Diese reproduktive "Frauenarbeit", die gleichzeitig notwendig für die kapitalistischen Verwertungsprozesse ist und von diesen marginalisiert wird, wurde als potentielle Quelle von feministischen Standpunkten gesetzt: alternatives Wissen, widerständige Subjektivitäten und feministische Kollektivitäten. Die Möglichkeit von Alternativen wurde in der Produktivität der Praxen verortet, in einer Behauptung weniger darüber, was wir sind, als vielmehr darüber, was wir tun. Hilary Rose, um ein Beispiel aus dieser Zeit zu zitieren, besteht darauf, dass "[d]ie Produktion von Menschen ... sich qualitativ von der Produktion von Dingen unterscheidet", und argumentiert, dass Frauenarbeit im Haushalt eine bestimmte Art von emotional fordernder Care-Arbeit beinhaltet, die Arbeit der Liebe (2004: 74). Sie untersucht dann die Möglichkeit einer feministischen Epistemologie, welche die in Hand-, Kopf- und Gefühlsarbeit gewonnenen Kenntnisse zusammenbringt. "Das Einbringen der Care-Arbeit und des aus dieser herrührenden Wissens in die Analyse", behauptet Rose, "wird ausschlaggebend für ein Transformationsprogramm sowohl in der Wissenschaft als auch in der Gesellschaft" (2004: 78).

Das Problem besteht darin, dass obwohl Care-Arbeit und ihre potentiell subversive Differenz ans Licht gebracht werden, die Errungenschaften dieses Projekts durch die Annahme behindert werden, dass der Widerstand von außen her und durch die räumliche Trennung zwischen Produktion und Reproduktion, durch die das Außen hergestellt wird, entstehen muss. Obwohl also Rose entlohnte Formen der affektiven Arbeit klar erkennt, tendiert sie nichtsdestoweniger zu der Annahme, dass es die affektive "Arbeit des Herzens" ist, die reproduktive von produktiver Arbeit unterscheidet, und fixiert so die Unterscheidung zwischen materieller und immaterieller Arbeit zu von einander getrennten gesellschaftlichen Sphären. Dies bedeutet, dass die Besonderheit der affektiven Arbeit durch den Rekurs auf dieselbe Logik getrennter Sphären abgesichert wurde, die auch in den Hausarbeitsdebatten dominierte. Diese Differenz in den Praxisformen der Arbeit sowie die Subjektivitäten, die auf deren Grundlage entwickelt werden könnten, waren gleichzeitig durch die Logik getrennter Sphären nach einem ziemlich strikten Zwei-Geschlechter-Modell ergänzt und geformt. Die weiblichen Arbeitspraktiken in der häuslichen Sphäre, dem Bereich der Reproduktion, werden so - obwohl notwendig - als nichtsdestotrotz fundamental verschieden von den männlichen Arbeitspraktiken in der Produktionssphäre gesetzt. Durch die Berufung auf die getrennten Sphären, um eine radikale Differenz zwischen Männerarbeit und Frauenarbeit zu postulieren, laufen diese Standpunkttheorien - trotz strenger methodologischer Festlegungen des Gegenteils - Gefahr, undifferenzierte und naturalisierende Geschlechtermodelle zu reproduzieren. Die Theorien der revolutionären Subjektivität werden also durch den Bezug auf einen Geschlechterdualismus behindert, der zu dieser Zeit ebenso allgemein üblich war, wie die Homogenisierung und Verdinglichung von Geschlechteridentitäten, die diesen ermöglichten.

Der heutige Nutzen dieser älteren Analysen wird außerdem durch die Besonderheiten der postfordistischen Arbeit und Produktion in Frage gestellt. Erstens basiert die Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit, auf der die Behauptungen über ein Innen und Außen in den Hausarbeitsdebatten beruhen, wiederum auf dem Paradigma der industriellen Produktion und dem Modell stofflicher Waren. Egal, ob diese Herangehensweise jemals adäquat war, speziell unter den Bedingungen der postfordistischen Produktion produzieren ein und dieselben Praxen, die an dem einen Ort als unproduktiv angesehen werden, an einem anderen Ort direkt Wert, und so wird diese simple Unterscheidung zwischen Innen und Außen der kapitalistischen Verwertungskreisläufe zunehmend unhaltbar (vgl. z.B. Negri, 1996: 157; dt.: 5). Zweitens wird die Unterscheidung zwischen Männer- und Frauenarbeit, auf der die Hoffnung auf einen feministischen Standpunkt außerhalb des Kapitals basierte, zusätzlich durch die zunehmende Integration dessen beeinträchtigt, was als die getrennten Orte von Produktion und Reproduktion vorgestellt wurde. Die weitere Entwicklung der posttayloristischen und postindustriellen Arbeitsprozesse z.B. bringt das Modell der getrennten Sphären durcheinander, sowohl im Hinblick auf die jeweiligen Produkte als auch auf die unterschiedlichen Arbeitsprozesse. Die Vermischung von Reproduktion und Produktion wird z.B. daran sichtbar, wie Waren immer mehr im Haushalt produzierte Güter ersetzen, sowie daran, wie Dienstleistungen und viele Formen von Care- und Hausarbeit in feminisierte, rassifizierte und globalisierte Formen von Lohnarbeit im Dienstleistungssektor transformiert werden. Darüber hinaus integrieren die heutigen Produktionsprozesse im Besonderen in den Dienstleistungssektoren zunehmend Hand-, Kopf- und Gefühlsarbeit, da mehr Jobs von den ArbeiterInnen erfordern, ihre Kenntnisse, Affekte, kooperativen und kommunikativen Fähigkeiten zu nützen, um nicht nur materielle, sondern in wachsendem Ausmaß auch immaterielle Produkte zu schaffen (vgl. z.B. Hardt/Negri 2004: 108; dt.: 2004: 126). Produktion und Reproduktion sind also vollständiger integriert sowohl im Hinblick darauf, was (re)produziert, als auch darauf, wie es (re)produziert wird. Was früher einmal vielleicht als ein "Außen" vorgestellt werden konnte, ist nun viel stärker "innen"; gesellschaftliche Reproduktion kann nicht mehr länger sinnvollerweise mit einem besonderen Ort identifiziert, geschweige denn als eine von der Kapitallogik abgeschirmte Sphäre gedacht werden.

Auch kann Reproduktion nicht mit einem bestimmten Geschlecht gleichgesetzt werden, obwohl die Geschichte hier kompliziert ist. Während Frauen weiterhin die vorrangige Verantwortlichkeit für die privatisierte Care-Arbeit innehaben und immer noch gerne in die geschlechtlich getrennten Beschäftigungsnischen abgedrängt werden - die durch die häusliche Arbeitsteilung mit abgesichert sind -, überschreiten die Praxis der affektiven Arbeit und vermutlich die potentiellen politischen Subjekte, die auf deren Basis konstituiert werden können, die alten binären sowohl räumlichen als auch geschlechtlichen Trennungen. Frauen und Männer sind in der Tat oft in verschiedenen Arbeitspraxen tätig, diese Unterschiede können jedoch nicht in einem binären Geschlechterschema beschrieben werden, das durch den Rekurs auf ein Modell getrennter Sphären bestimmt wird. Diese Rekonfiguration der Geschlechterordnung im Kontext des Postfordismus stellt also die Fortdauer der geschlechtlichen Arbeitsteilung in einer Situation dar, in der die Binaritäten produktiv versus reproduktiv, entlohnt versus nicht entlohnt, und mit ihnen "Männerarbeit" versus "Frauenarbeit", zunehmend inadäquat werden. Unter den Bedingungen des Postfordismus erfordert das, was Donna Haraway einmal als die "paradoxerweise gleichzeitige Verschärfung und Aushöhlung der Bedeutung von Gender selbst" (1985: 87; dt.: 1995: 56) beschrieben hat, kompliziertere Kartierungen der geschlechtlichen Teilung von materieller und immaterieller Arbeit.[5]


Mills und Hochschild: White Collar Arbeit und emotionale Arbeit

Einer der Gründe dafür, warum diese sozialistisch feministischen Analysen in eine Sackgasse gerieten, waren ihre Schwierigkeiten, den Übergang vom Fordismus zum Postfordismus adäquat zu erfassen. Um über diese Beschränkung hinaus zu gelangen, verschieben wir nun unseren Blick von den frühen sozialistisch feministischen Theorien hin zu einer anderen intellektuellen Tradition, die von den bahnbrechenden Analysen der postindustriellen Arbeit von Mills und Hochschild repräsentiert wird. Indem wir uns von den klassischen sozialistisch feministischen Texten ab- und diesen Beiträgen zur Soziologie der Arbeit zuwenden, verschiebt sich der Fokus vom Fordismus zum Postfordismus, von der unbezahlten zur bezahlten Arbeit und von der Kritik der Ausbeutung zum Problem der Entfremdung. Wenngleich die zwei Texte sowohl in Hinblick auf ihre analytische Orientierung als auch auf ihren kritischen Apparat vergleichbar sind, ermöglichen Hochschilds Konzentration auf die Spezifika der emotionalen Arbeit sowie ihr Interesse für deren geschlechtliche Dimensionen einige wesentliche Einsichten in die Bedeutung des Aufstiegs der immateriellen Formen der Arbeit.[6]

In seinem 1951 erschienenen Buch White Collar (dt. Menschen im Büro) liefert Mills eine vorwegnehmende Analyse des Charakters und der Bedeutung der Verschiebung von einer industriellen zu einer postindustriellen Arbeitsordnung - ein theoretisches Unterfangen, für das zum damaligen Zeitpunkt, wie Mills bemerkt, wenige instruktive Vorarbeiten oder brauchbare Anleitungen vorhanden waren. "Um uns herum beginnen sich die Umrisse einer neuen Gesellschaft abzuzeichnen", erklärt er, und die Kategorie einer White Collar Mittelklasse (in der deutschen Übersetzung: "eines neuen Mittelstandes von Angestellten") - eine Klasse zwischen oder jenseits von Proletariat und Bourgeoisie - ist "ein Versuch, die jüngste Entwicklung der gesellschaftlichen Struktur und des menschlichem Charakters verständlich zu machen" (Mills, 1951: xx, dt. 1955: 25). Laut Mills involviert White Collar Arbeit - die alles vom Management bis zu LehrerInnen, Büroarbeit und VerkäuferInnen umfasst - den Einsatz von Subjektivität in Jobs, in denen weniger Dinge gehandhabt werden als vielmehr mit Menschen und Symbolen umgegangen wird (1951: 65, dt. 1955: 104). Aus einer heutigen Perspektive sind Mills' Einsichten in das, was er den "Markt der Persönlichkeit" nennt, auf dem "die persönlichen Wesens- und Charaktermerkmale des Angestellten kommerziellen Wert (erhalten) und auf dem Arbeitsmarkt gehandelt (werden)", außergewöhnlich aktuell (1951: 182; dt. 1955: 254). Dieser Handel mit Persönlichkeit umfasst neue Einstellungskriterien, die eher auf der Bewertung der Persönlichkeit als der Qualifikation basieren, ein neues Ideal der erfolgreichen Kindererziehung, ein neues Ziel managerialer Intervention und vor allem eine neue Art der Kommodifizierung des arbeitenden Subjekts. Wie Mills beobachtet, macht die rasche Expansion der Verkaufsaktivität in neue gesellschaftliche Räume und Beziehungen diesen vergrößerten Markt paradoxerweise "zugleich unpersönlicher und vertraulicher" (1951: 161; dt. 1955: 226).

In vielerlei Hinsicht beginnt Hochschild 1983 dort, wo Mills 1951 aufhört, obwohl sie ihren Fokus vom weiten Feld der immateriellen Arbeit in White Collar Beschäftigungen auf die emotionale Arbeit der Pink Collar Arbeiterinnen beschränkt, für die die Stewardess als paradigmatisches Beispiel dient. Im Vorwort von The Managed Heart (dt.: Das gekaufte Herz) würdigt Hochschild, wie viel sie der Untersuchung der Frage, wie und mit welchen Auswirkungen wir "unsere Persönlichkeit verkaufen", durch Mills verdankt, legt zugleich jedoch auch die Schwächen seiner Analyse frei (Hochschild, 1983: ix; dt.: 2006: 11). Hochschild schlägt den Begriff der emotionalen Arbeit vor (emotional labor; in der dt. Übersetzung: Gefühlsarbeit), die "das Zeigen oder Unterdrücken von Gefühlen (verlangt), damit die äußere Haltung gewahrt bleibt, die bei anderen die erwünschte Wirkung hat" (1983: 7; dt.: 2006: 30-31), um das in den Blick zu rücken, was in Mills' Analyse des Marktes der Persönlichkeit im Dunklen verbleibt. Genauer gesagt, fehlte Mills "ein Blick für die aktive Gefühlsarbeit, die mit dem Akt des Verkaufens untrennbar verbunden ist" (Hochschild, 1983: ix; dt.: 2006: 11). Während Mills "anzunehmen (schien), dass es ausreiche, eine Persönlichkeit zu sein, um 'personality' verkaufen" (1983: ix; dt.: 2006: 11), macht Hochschilds Analyse klar, dass diese "aktive Gefühlsarbeit" erstens eine fachkundige Tätigkeit und zweitens eine Praxis mit konstitutiven Effekten darstellt.

Erstens erkennt Hochschild im Unterschied zu Mills die besonderen Fähigkeiten, die Gefühlsarbeit erfordert. Wo Mills den Schwerpunkt auf Tauschbeziehungen auf dem "Markt der Persönlichkeit" legt, verschiebt Hochschilds Kategorie der "Gefühlsarbeit" den Blick hin zum Arbeitsprozess selbst. Die Verkäuferin oder Flugbegleiterin z.B. verkauft nicht nur ihre Persönlichkeit, sondern ist an einer bestimmten Art von Arbeit beteiligt. Tatsächlich ist Gefühlsarbeit (emotion work) nicht nur eine Form von Arbeit, sondern ein Beispiel für gesellschaftlich notwendige Arbeit. Da Mills diese Tätigkeiten allein aus der Perspektive des Tausches auf dem Markt behandelte, fand er nichts von Wert in diesen Praxen, die - wie Hochschild festhält - auch Teil der Arbeit der gesellschaftlichen Reproduktion sind, die der Aufrechterhaltung von kooperativen und zivilisierten Beziehungen dient. Unter einem feministischen Fokus erkennt Hochschild das strategische Management der Gefühle, um soziale Effekte zu erzielen, als eine Alltagspraxis, die - da traditionell privatisiert und feminisiert - im Allgemeinen nicht als Arbeit anerkannt oder gewertet wird. Es existieren also im Besonderen im "privaten" Bereich Bemühungen als Formen der Schattenarbeit (1983: 167; dt.: 2006: 137), wie Hausarbeit, die das Wohlbefinden und den Status anderer unterstützen, verstärken und aufwerten (1983: 165; dt.: 2006: 135). Da der Ausdruck von Gefühlen nicht nur feminisiert, sondern als Prozess auch - eher als spontane Eruption, denn als sichtbare Kulturpraxis - naturalisiert wurde, bleiben die Fähigkeiten, die an seiner erfolgreichen Handhabung beteiligt sind, schwierig zu fassen.

Zweitens bietet Hochschild mit ihrem Konzept der "aktiven" Arbeit im Gegensatz zu Mills eine bestechende Analyse der konstitutiven Effekte der immateriellen Arbeit. Mills erkannte die z.B. von der Verkäuferin zur Schau gestellten fachkundigen Praktiken nicht, die er auf die allgemeine und pejorative Kategorie der Manipulation - auf das räuberische Benehmen - reduzierte: "Wie moderne Machiavellis im Kleinformat stellen die modernen Angestellten ihr Geschick im Umgang mit Menschen gegen kleines Entgelt in den Dienst anderer" (Mills, 1951: xvii; dt. 1955: 21). Darüber hinaus verstand er den Arbeitsprozess nicht wirklich als Prozess der Subjektivierung, geschweige denn die spezifische Performativität von Gefühlsarbeit. Was für Mills allein die Produktion von Unaufrichtigkeit in diesen modernen Zeiten der "Käuflichkeit" (Mills, 1951: 161; dt. 1955: 226) war, wird von Hochschilds Zugang für seine hochgradig konstitutiven Effekte anerkannt. Wie Hochschild erklärt, geht es hierbei nicht nur darum, dass die Gefühlsarbeiterin etwas zu sein scheint, sondern auch um ihr Werden; die Arbeit erfordert nicht nur den Gebrauch, sondern die Produktion von Subjektivität. Wenn also z.B. die emotionale Oberfläche der Arbeiterin Teil dessen ist, was in der Dienstleistungsarbeit verkauft wird, wird "[d]er Schein 'die Arbeit zu lieben' selbst zum Teil der Arbeit"; darüber hinaus jedoch "helfen die Bemühungen, ihn zu lieben und sich über die Kunden zu freuen, den Angestellten bei ihrem Job" (Hochschild, 1983: 6; dt.: 2006: 29). Tatsächlich sind die Auswirkungen dieser Arbeit, die eine Koordination von Verstand und Gefühl verlangt und "dabei zuweilen auf eine Quelle des Selbst zurück(greift), die wir als tief in unserer Persönlichkeit verankerten Bestandteil unserer Individualität hoch bewerten" (Hochschild, 1983: 7; dt.: 2006: 31), nicht nur beschränkt auf das, was wir tun oder denken, auf die körperliche Gesundheit und Energie oder die Gedanken des Verstandes. Die Auswirkungen erstrecken sich auf das affektive Leben des Subjekts, greifen in das Gewebe der Persönlichkeit hinein.[7] In Hochschilds Terminologie ausgedrückt, ist nicht nur das "Oberflächenhandeln" sondern auch das "innere Handeln" beteiligt: Praxen, die einen transformativen Effekt auf die/den Handelnde/n haben. Die Frage, die Hochschilds Untersuchung leitet und auch heute noch von entscheidender Bedeutung bleibt, fragt danach, was mit den Individuen und sozialen Beziehungen geschieht, wenn Techniken des inneren Handelns durch das Kapital und für seine Zwecke nutzbar gemacht werden.[8]

Auch Gender wird produziert und ist produktiv, wenn Persönlichkeit in die Arbeit eingebracht wird. Wie Hochschild unterstreicht, sind Persönlichkeiten geschlechtlich normiert, was einen Teil ihres Wertes für die Arbeitgeber darstellt. Obwohl Mills berichtete, dass 1940 Frauen 41% der White Collar Angestellten ausmachten (1951: 7475; dt. 1955: 114-115), schien er die Bedeutung dieses hohen Frauenanteils im Hinblick auf die Geschlechtlichkeit der postindustriellen Lohnarbeit nicht zu erfassen. Das heißt jedoch nicht, dass Mills das Geschlecht ignorierte oder sich einer geschlechtlichen Rhetorik enthielt. Tatsächlich ruft er eine betrogene Männlichkeit an, um seiner Kritik des "kleinen Mannes" mit dem weißen Kragen mehr Schlagkraft zu verleihen, indem er in die Kerbe eines nostalgischen Ideals männlicher Autorität schlägt, um die Realität der Machtlosigkeit und Unterordnung der neuen Arbeiter zu beleuchten. Vermittels von Metaphern der Entmännlichung werden die Mitglieder der White Collar "Avantgarde" in scharfem Gegensatz zu einem Bild des heroischen Proletariats als "politische(n) Eunuchen, die kraftlos (without potency) und gleichgültig der zwingenden Notwendigkeit eines politischen Machtkampfes gegenüberstehen" (1951: xviii; dt. 1955: 24), charakterisiert. Soweit er also eine Verschiebung der Geschlechtlichkeit in der Arbeit wahrnimmt, stellt er diese als Ent-Geschlechtlichung und nicht als Veränderung der Geschlechtlichkeit dar. Wie Hochschild so eindringlich dokumentiert, wird das Geschlecht der ArbeiterInnen - feminisierte FlugbegleiterInnen und maskulinisierte Inkassobeauftragte in ihrer Studie - nicht so sehr beeinträchtigt, als vielmehr geformt und ins Werk gesetzt.


Die Entfremdung der immateriellen Arbeit

Trotz ihrer unterschiedlichen Analysen bedienen sich Mills und Hochschild sehr ähnlicher kritischer Strategien, denen beiden eine marxistische Analyse der entfremdeten Arbeit zugrunde liegt, um eine Perspektive auf diese neuen Formen der kognitiven, kommunikativen und affektiven Arbeit zu entwerfen. Beide weiten die bekannte Kritik von Marx an der industriellen Fabrikproduktion - die die ArbeiterInnen ihrem Produkt, ihrem Arbeitsprozess, ihrem Selbst und anderem mehr entfremdet - auf neue Formen der relativ gut bezahlten Arbeit mit hohem Status aus. "Nicht nur die Lohnarbeiterschaft hat heute unter den entfremdenden Tendenzen der modernen Arbeitsverhältnisse zu leiden", stellt Mills fest, "sondern auch die Angestellten" (1951: 227; dt. 1955: 312). Hochschild zufolge liegt bei den manuellen und emotionalen Formen der Arbeit eine Ähnlichkeit in den möglichen Kosten des Arbeitens vor: Die ArbeiterIn kann einem Aspekt ihres Selbst, das in die Arbeit eingebracht wird - entweder der Körper oder die Randzonen der Seele -, entfremdet werden (1983: 7; dt.: 2006: 31). Gemeinsam stellen sie die bestechende These auf, dass die Kritik der entfremdeten Arbeit auf die Bedingungen der immateriellen Arbeit sogar noch besser zutrifft, als es bei der industriellen Produktion je der Fall gewesen ist. Die Entfremdung der immateriellen ArbeiterInnen von ihrem Produkt und dem Arbeitsprozess ist der Erfahrung in der Industriearbeit vergleichbar. Arbeit jedoch, die die Anwendung und Anpassung von Persönlichkeit erfordert, birgt die Gefahr in sich, "zu äußerster Selbstentfremdung und auch zur gesellschaftlichen Entfremdung" (Mills, 1951: 225; dt. 1955: 309) zu führen.

Auch Hochschild zielt genau auf die Möglichkeit der Selbstentfremdung und der gesellschaftlichen Entfremdung ab, auf die Konsequenzen für das Selbstverständnis des Individuums und für die Qualität der sozialen Interaktionen, wenn das "psychologische Geschick der ArbeiterInnen" (1983: 185; in der dt. Ausgabe nicht vorhanden)[9] dem Wertgesetz und somit dem Diktat des Kommandos und der Durchsetzung der Standardisierung unterworfen ist. "Die Entfremdung von der Darstellung, von den Gefühlen und davon, was Gefühle uns sagen können, ist nicht einfach das berufliche Risiko einiger weniger", stellt sie fest; vielmehr "hat sich diese selbst fest in der Kultur als permanent vorstellbar verankert" (1983: 189; in der dt. Ausgabe nicht vorhanden). Mit der wachsenden gegenseitigen Durchdringung von Produktion und Tausch - von machen, dienen und verkaufen - sind die Probleme der Selbstentfremdung und des gesellschaftlichen Zynismus zunehmend miteinander verknüpft. "So werden die Menschen (Männer)[10] [sic] einander entfremdet, weil jeder heimlich versucht, den anderen als Werkzeug zu benutzen. Und eines Tages schließt sich dann der Kreis: man macht aus sich selbst ein Werkzeug und entfremdet sich damit der eigenen Seele" (Mills, 1951: 188; dt. 1955: 262).

Wieder einmal jedoch erweist sich Hochschilds Zugang als zeitgemäßer. Mills nutzt die Kritik der entfremdeten Arbeit, um ein Argument anzubringen, das einer der Behauptungen von Marx sehr ähnlich ist, nämlich dass es das Problem der Arbeit sei, dass sie zu wenige unserer Fertigkeiten und kreativen Fähigkeiten erfordere. Durch "Verzicht auf mögliche schöpferische Leistungen, (...) Langeweile und Vernachlässigung der besten Fähigkeiten" bleibt uns nichts anderes übrig, als Sinn in Freizeitaktivitäten zu finden (Mills, 1951: 236; dt. 1955: 324). "Täglich verkaufen die Menschen (Männer) Teile ihrer selbst, um des abends oder am Wochenende zu versuchen, das Fehlende durch 'Spaß' zurückzukaufen" (1951: 237; dt. 1955: 325). Dieser Fokus auf das Problem der Arbeit, die das Selbst nicht ausreichend in Gang setzt, war auch jene Version der Kritik der Entfremdung, die ihren Weg in den 1970er Jahren in den populären öffentlichen Diskurs in den USA fand. Die neuen Managementmethoden, die schließlich in den 1980er Jahren als Heilmittel gepriesen wurden - und versprachen, eine Arbeitskultur zu schaffen, die größeren Einsatz erwarten, Loyalität hervorrufen und kreative Initiative honorieren würde -, schufen ein völlig neues Set von Problemen. Hochschild, die im Kontext einer weiter entwickelten Dienstleistungsökonomie schreibt, sieht, was Mills noch nicht erfassen konnte: Wenn die ArbeiterInnen "ein Lächeln, eine Stimmung, ein Gefühl oder eine Beziehung" (Hochschild, 1983: 198; dt.: 2006: 155) unter Kommando zum Verkauf anbieten, dann kann es sein, dass die Arbeit nicht zu wenig, sondern zu viel an Selbst verlangt. Demzufolge müssen wir uns den Modi zuwenden, in denen die Arbeit uns also nicht nur einfach den Nicht-Arbeit-Zwecken überlässt, sondern von den Subjekten in die Zeitordnungen, Subjektivitäten und Sozialitäten der NichtArbeit hineingetragen wird. Hochschilds Analyse erstreckt sich also auch auf die Kolonialisierung des Lebens durch die Arbeit, statt ausschließlich auf die übliche Kritik der Kolonialisierung des Lebens durch den Markt - z.B. mittels Kritik der Konsumkultur - abzuzielen.

Irgendwann erweist sich jedoch die Kritik der Entfremdung als problematisch. Beide AutorInnen sind sich der klassischen Grenzen der Theorie der Entfremdung, wie sie im humanistischen Marxismus entwickelt wurde, sehr wohl bewusst: der Verknüpfung der Kritik mit einem nostalgischen Ideal von vorindustrieller handwerklicher Arbeit und mit einer essentialistischen Ontologie der Arbeit. So misstrauisch sie gegenüber diesen Tropen sein mögen, würde ich dennoch argumentieren, dass sie diese, oder Varianten davon, immer noch als Standards, an denen die Entfremdung der Arbeit im heutigen Kontext zu messen ist, entfalten. Genauso wie im Fall der Standpunkttheoretikerinnen, die ihre kritischen Analysen in einem reproduktiven Außen gründen, stützen sich auch diese AutorInnen auf ein Außen - in diesem Fall sowohl ein Ort der nicht entfremdeten Arbeit als auch ein Modell des seiner Entfremdung vorgängigen Selbst -, um ihre Kritik mit Leben zu erfüllen.

Der erste dieser traditionellen Fixpunkte der Kritik der Entfremdung war, was Mills als das Ideal der Kunstfertigkeit (1951: 220; dt. 1955: 303) beschrieb, als Standard dessen, was Arbeit sein sollte, und Maßstab, gegen den die neuen Formen der Arbeit beurteilt werden könnten. Obwohl Mills sehr sorgfältig vorgeht, wenn er die Bedingungen der postindustriellen White Collar Arbeit gegen ein essentielles vorindustrielles Ideal der handwerklichen Produktion misst, hegt er keinerlei Illusionen gegenüber der zeitgenössischen Resonanz dieses Ideals. Er weiß, dass - da die ArbeiterInnen selbst keine Erinnerung an die Welt der Arbeit haben, gegen welche die Gegenwart beurteilt wird - die Kritik wenig praktische Konsequenz für die Arbeitskraft des 20. Jahrhunderts hat. "Nur der Phantasie des Historikers ist es möglich, solche Vergleiche anzustellen, als ob sie irgendwelche psychologische Bedeutung hätten" (1951: 228; dt. 1955: 313). Da jedoch die Distanz zwischen diesem oft zitierten Ideal der nicht entfremdeten Arbeit und der heutigen Realität sogar noch größer geworden ist, hat sich die klassische Kritik der entfremdeten Arbeit, die auf einem historischen Außen basiert, das nicht länger erinnert wird, aus der politischen Relevanz verflüchtigt.[11]

Im Gegensatz dazu blickt Hochschild nicht zurück, um ein Ideal mit kritischer Hebelwirkung zu finden. Stattdessen findet sie einen Standpunkt im privaten Bereich, von dem aus die Bedingungen der emotionalen Arbeit zu beurteilen sind; in Praxisformen, Subjektivitäten und Beziehungen, die - wie sie vorschlägt - nicht in der gleichen Art oder im gleichen Ausmaß den Verengungen der kapitalistischen Verwertung unterworfen sind. Diese Unterscheidung öffentlich-privat war tatsächlich zentral in der ursprünglichen Kritik von Marx. Die Irritationen von privat und öffentlich - sich in der Nicht-Arbeit zu Hause fühlen und sich in der Arbeit nicht zu Hause fühlen - waren bei Marx als eines der hervorstechendsten Symptome der Entfremdung der Arbeit präsent.[12] In seiner Darstellung des "big split" zwischen Leben und Arbeit gibt Mills diese Analyse sehr getreu wieder. Unsere Unzufriedenheit in der Arbeit, behauptet Mills, führt uns zu Überaktivität in der Freizeit und im Konsum. Hochschilds Analyse hingegen beruht zwar auf dieser Unterscheidung privat-öffentlich, bringt sie jedoch gleichzeitig auch durcheinander. Auf der einen Seite richtet sie ihre kritische Aufmerksamkeit auf die Verwandlung eines privaten emotionalen Systems in ein öffentliches, wobei sie darauf achtet, was passiert, wenn "Gefühlsarbeit, Gefühlsnormen und soziale Interaktion aus dem privaten Bereich herausgelöst und in einen öffentlichen eingebracht werden, wo sie weiterentwickelt, standardisiert und der hierarchischen Kontrolle unterworfen werden" (1983: 153; in der dt. Fassung nicht vorhanden).[13] Auf der anderen Seite untergräbt sie eben diese Unterscheidung zwischen den gesellschaftlichen Sphären selbst, auf die ihre Kritik angewiesen ist, sehr wirkungsvoll. Hochschild ist kritisch gegenüber dem, was passiert, wenn das private Gefühlsmanagement in der öffentlichen Sphäre für die Zwecke des Profits gesellschaftlich organisiert wird, während sie zugleich auch erkennt, dass das private Reich der Gefühle ebenfalls der Durchsetzung von standardisierten Gefühlsnormen, der Instrumentalisierung von Affekten und Ungleichheiten im emotionalen Austausch unterworfen ist. Die Unterschiede zwischen den privaten und öffentlichen Instanzen der emotionalen Arbeit - die Behauptung z.B., dass wir im Privatleben frei seien, emotionale Tauschverhältnisse zu verhandeln, die wir im öffentlichen Bereich der Arbeit oft gezwungen seien zu akzeptieren (1983: 85; dt.: 2006: 94) - werden von ihren eigenen scharfsinnigen Beobachtungen über das soziale Management und geschlechtliche Hierarchien in den so genannten privaten Beziehungen irritiert. Der private Bereich dient mithin als Alternative zum kapitalistischen Markt, zugleich werden jedoch die Kriterien der Unterscheidung von diesem Markt in Frage gestellt.

Traditionellerweise wird die Kritik der entfremdeten Arbeit noch in einem zweiten Außen verankert - nicht nur in einem spezifischen Ideal der nicht entfremdeten Arbeit, sondern in einem bestimmten Modell des arbeitenden Selbst, von dem wir entfremdet sind und in das wir wieder eingesetzt werden sollten. Beide AutorInnen sind dem Essentialismus dieses Zugangs gegenüber misstrauisch. Mills weigert sich, seine Analyse auf "die metaphysische Ansicht (dass das eigentliche Wesen des Menschen (Mannes) seinen stärksten Ausdruck in einer Arbeitstätigkeit findet" (1951: 225; dt. 1955: 309), zu gründen, und Hochschild vermeidet es, ihre Kritik an die Authentizität von Gefühlen zu binden, indem sie darauf besteht, dass diese niemals unabhängig von Akten des Managements und folglich immer schon gesellschaftlich sind (1983: 17-18; dt.: 2006: 41). Trotz dieser Bedenken und Vorsichtsmaßnahmen bleibt jedoch die Tatsache bestehen, dass die Kritik der Entfremdung damit arbeitet, ein gegebenes Selbst zu evozieren, wobei unsere Entfremdung von eben jenem eine zwingende Krise hervorruft. Mills behauptet die Möglichkeit einer Strategie der Kritik ohne Zuhilfenahme einer Metaphysik der Arbeit, allerdings tendiert er dazu, eine Ontologie des liberalen Individuums anzurufen, um seine Kritik des Schicksals des "kleinen Mannes" mit Leben zu erfüllen. Ebenso findet sich - wieder einmal - in den Kernaussagen der Analyse Hochschilds ein Spannungsverhältnis: Sie beharrt auf der sozialen Konstruktion und Formbarkeit der Gefühle, während sie diese zugleich auch als solchermaßen fundamental für das Selbst postuliert, dass ihre Entfremdung ein Problem darstellt. Ihre Strategie, Referenzen auf das "reale", "wahre" und "authentische" Selbst unter Anführungszeichen zu setzen, dient paradoxerweise der - wenngleich sehr produktiven - Problematisierung genau jenes Essentialismus, von dem ihre Analyse nichtsdestotrotz abhängt. Mit anderen Worten, ihre Argumentation ist von einem Ideal des "nicht gemanagten (gekauften) Herzen" mit Leben erfüllt - das entweder mit einer separaten privaten Welt der emotionalen Praxis und des emotionalen Kontakts oder mit der Erfahrung eines "wahres" Selbst assoziiert wird -, dessen Möglichkeit ihre Argumentation gleichzeitig leugnet. Sowohl Mills als auch Hochschild erkennen mithin die Grenzen von kritischen Strategien, die auf nostalgischen Idealen von Arbeit und essentialistischen Modellen des Selbst beruhen, enden jedoch letztendlich bei deren Reproduktion.


Leben, Arbeit und die Logik der immanenten Kritik

Im Zuge der Diskussion dieser beiden Traditionen haben wir einige wichtige Einsichten geborgen und einige wesentliche Probleme frei gelegt. Wenn wir uns zunächst ihren vielen noch gültigen Ansatzpunkten zuwenden, möchte ich die sozialistisch feministische Betonung des Widerspruchs zwischen Akkumulation und gesellschaftlicher Reproduktion erwähnen, sowohl in seinem funktionalen Moment als Art und Weise der Realisierung und Aufrechterhaltung der Ausbeutung der Arbeit als auch in seinem potentiell dysfunktionalen Moment als Ort des Antagonismus. Als Ergebnis des Rückblicks auf die Analysen der White Collar und Pink Collar Arbeit von Mills und Hochschild ist es deren Fokus auf den Einfluss dieser Formen von Arbeit auf die Subjektivität, der meiner Ansicht nach von besonderer Relevanz für die Gegenwart bleibt. Hochschilds Analyse der konstitutiven Effekte der affektiven Arbeit und der Kolonisierung des Lebens durch die Arbeit ist meiner Meinung nach von besonderer Bedeutung für das heutige Projekt der Kartierung der Organisation der immateriellen/affektiven Arbeit und der Auseinandersetzung mit derselben. Und schließlich werden wir sowohl von Hochschild als auch von der sozialistisch feministischen Tradition an die Notwendigkeit erinnert, der weiterhin existierenden Produktion von Gender und geschlechtlicher Arbeitsteilung in der affektiven Arbeit - in ihrer bezahlten ebenso wie in ihrer unbezahlten Form - Aufmerksamkeit zu widmen.

Trotz ihrer vielen heute noch gültigen Ansatzpunkte erweisen sich diese älteren Kritiken der Reproduktionsarbeit und der emotionalen Arbeit jedoch nur begrenzt als richtungweisend für künftige Interventionen. Aufgrund der Fundierung ihrer Analysen in den jeweiligen Logiken von getrennten Sphären und entfremdeter Arbeit beziehen sich beide auf einen Standpunkt, der in einem Außen verortet ist: in einem Ort, der vom Kapitalismus selbst getrennt existiert, oder in einem Modell des Selbst, das seiner Entfremdung vorgängig ist, d.h. in irgend einer Art von räumlicher oder ontologischer Position der Exteriorität.

Wie ich allerdings bereits zuvor festgestellt habe, sind die Schwächen dieser kritischen Strategien ebenso lehrreich wie ihre Stärken. Tatsächlich ist vielleicht die wichtigste Lektion, die aus dieser genealogischen Übung gezogen werden kann, ein klareres Erkennen unseres heutigen Dilemmas. Ist das Modell der getrennten Sphären einmal nicht mehr aufrechtzuerhalten, stellt sich das Problem, wie eine Politik in Abwesenheit eines Außen, in dem diese verortet ist, definiert werden kann. Könnten andere Versionen dieser kritischen Strategien entwickelt werden, die nicht auf einer Existenzweise oder einem Subjektmodell außerhalb des Kapitals basieren? Wie könnten die Begriffe einer immanenten Kritik der Arbeit und des Widerstands gegen die postfordistische Organisation der Arbeit konzipiert werden? Wenn, wie Hardt und Negri argumentieren, "sich kein Zeichen, kein Subjekt, kein Wert, keine Praxis mehr ausmachen (lassen), die 'außerhalb' liegen" (2000: 385; dt. 2002: 392), auf welcher Grundlage könnte dann ein kritischer Standpunkt eingenommen werden? Auf welchen Wegen kann eine Theorie des Handelns vorangebracht werden, ohne ein Modell des Subjekts zu entfalten, wie es vermutlicherweise einmal war oder jetzt außerhalb der Reichweite des Kapitals existiert? In den Worten Judith Butlers ausgedrückt: "Gibt es einen Weg, Komplizenschaft als Grundlage der politischen Handlungsfähigkeit zu nehmen und zugleich daran festzuhalten, dass politische Handlungsfähigkeit mehr kann als die Wiederholung der Unterordnungsbedingungen?" (1997: 29-30; dt. 2001: 33) Und nicht zuletzt stellt sich das feministische Problem, wie die geschlechtlichen Arbeitsteilungen im Hinblick auf die Konstruktion von Subjektivitäten und Hierarchien sichtbar gemacht und bekämpft werden können, ohne naturalisierte Modelle eines Geschlechterdualismus zu reproduzieren und auf den ausgetretenen Pfaden der Identitätspolitik stecken zu bleiben.

Der hartnäckige Fokus des sozialistischen Feminismus auf die Antagonismen, die in der Überschneidung von Kapitalakkumulation und gesellschaftlicher Reproduktion entstehen, kann immer noch als überzeugender Ausgangspunkt fungieren.[14] Die sich manchmal widersprechenden Erfordernisse der Mehrwertschöpfung und der Aufrechterhaltung der Verhältnisse der Vergesellschaftung, von denen erstere abhängt, geben Anlass zu einer Reihe von Problemen, deren Analyse wichtige kritische Hebel erbringen kann. Diese Problematik diente z.B. der Formulierung von dringlichen Fragen über den relativen Wert von Arbeitspraxen, u.a. insbesondere der Frage nach der Unterbewertung von bezahlten ebenso wie unbezahlten Care-Tätigkeiten bezogen auf das Erbe von geschlechtlichen und rassifizierten Zuschreibungen. Ist jedoch einmal "das gesellschaftliche Leben selbst zu einer produktiven Maschine" (Hardt/Negri, 2004: 148; dt.: 2004: 169) geworden, müssen die Begrifflichkeiten dieser Unterscheidung und ihrer Konflikte komplexer - als früher vorgestellt - gefasst werden. In Kontexten, in denen Reproduktion nicht mehr mit einem spezifischen Raum oder einem bestimmten Set von Praxisformen identifizierbar ist und die Grenzen zur Produktion durchlässiger werden, besteht die Notwendigkeit der Suche nach neuen Wegen, um den Antagonismus zu setzen und sich kritische Ansatzpunkte zu erarbeiten.

Ich möchte - wenn auch nur kurz umrissen und spekulativ - die Grundzüge einer solchen alternativen Strategie vorschlagen. Vielleicht sollten wir die frühere Trennung von Reproduktion und Produktion durch die Unterscheidung zwischen Leben und Arbeit ersetzen? Wie könnte uns diese andere Art und Weise der Kartierung des Terrains der kapitalistischen Verhältnisse sowie der Risse und Bruchlinien von Antagonismen helfen, die Begriffe der politischen Analyse zu verschieben? Meiner Ansicht nach ist ein solcher Bezugsrahmen potentiell produktiv. Erstens hat der Begriff "Leben" - verglichen mit der Kategorie der Reproduktion - den Vorteil, umfassender zu sein. Als weiter gefasste Kategorie birgt er nicht das Risiko, die für das soziale Leben konstitutiven Praxisformen in den Raum des Haushalts einzuschließen oder - sogar noch enger - sie mit der Institution der Familie gleichzusetzen. Mithin ist der politische Kampf, der das Leben gegen die Arbeit setzt, weniger leicht mit dem Projekt der Wiederaufwertung der privaten Welt der Familie und der Verteidigung ihrer traditionellen Werte zu identifizieren und darauf zu reduzieren.

Wichtiger jedoch für unsere Diskussion hier ist die Frage, ob die kritische Unterscheidung zwischen Leben und Arbeit vielleicht der besseren Erfassung einer der Schlüsseleinsichten über Arbeit und die Konstruktion von Subjektivitäten dienen kann, die wir aus den Analysen von Mills und speziell von Hochschild gewinnen. Wenn wir einmal anerkennen, dass Arbeit Subjekte produziert, so werden die Grenzen dieser Arbeit in Frage gestellt. Nicht nur, dass Arbeit und Leben nicht auf besondere Orte beschränkt werden können, durchdringen sich Arbeit und Leben aus der Perspektive der Produktion von Subjektivität gegenseitig durch und durch. Die in der Arbeit geformten Subjektivitäten bleiben nicht in der Arbeit, sondern bewohnen alle Räume und Zeiten der Nicht-Arbeit und umgekehrt. Wer wir in der Arbeit und im Leben werden, ist wechselseitig konstitutiv. Es gibt keine Position der Exteriorität in diesem Sinn; Arbeit ist ganz klar Teil des Lebens und Leben Teil der Arbeit.

Das bedeutet allerdings nicht, dass Arbeit und Leben ununterscheidbar wären. Tatsächlich wird die Rede von der Arbeit und vom Leben auch allgemein benutzt, um die Begriffe des Konflikts zwischen ihnen zu setzen. Betrachten wir die Wahrnehmung, dass jemand, die/der zu viel arbeitet, mehr "Leben bräuchte". Auf welche Unterscheidung und welchen Antagonismus zwischen Arbeit und Leben wird in dieser Aussage Bezug genommen? Es geht nicht notwendigerweise darum, etwas zu bekommen, das nicht vorhanden ist; vermutlich hat die betreffende Person schon ein Leben. Noch geht es notwendigerweise um das Beteiligtsein an anderen Tätigkeiten als in der Arbeit. Wenn die eigene Arbeit z.B. die Ausübung affektiver Tätigkeiten beinhaltet, um soziale Beziehungen zu KlientInnen oder KundInnen herzustellen, und der Wunsch danach besteht, dies auch in der Nicht-Arbeitszeit mit der Familie oder FreundInnen zu tun, dann meint "mehr leben können" nicht, etwas tun zu können, was bei der Arbeit nicht getan werden kann. Eher scheint es, dass sich solch populäre Begriffe der Entgegensetzung in erster Linie auf den Wunsch nach Erlangung oder Vergrößerung der Qualität des Lebens beziehen.

Was passiert, wenn wir diese allgemein bekannte Demarkationslinie zur Basis eines politischen Projekts machen? Könnte dieser Begriff eines Lebens, das begehrt werden könnte - das sich von der Arbeit unterscheidet und mit dieser in Konflikt steht -, auf eine Art entwickelt werden, die in die Richtung eines Befreiungsprojekts weist? Eines Projekts, das Verhältnisse anstrebt, die von Gleichheit und Autonomie anstelle von Hierarchie und Kommando geprägt sind? Insoweit es als immanenter kritischer Standpunkt dienen könnte, wäre das Leben vollständig in die Arbeit involviert, zugleich nichtsdestotrotz potentiell gegen die Räume, Verhältnisse und Zeitordnungen gesetzt, die jetzt von der Arbeit dominiert werden.[15]

Es bleibt jedoch die Frage, wie die Produktion der geschlechtlichen Organisation der Arbeit innerhalb dieses Rahmens beschrieben und in Frage gestellt werden kann. Die begriffliche Teilung Produktion/Reproduktion wurde entworfen, um Aufmerksamkeit auf die geschlechtliche Spaltung zwischen entlohnter und nicht entlohnter Dienstleistungsarbeit zu ziehen, wenn auch nicht immer in Begriffen, die der Gleichsetzung von Reproduktion mit der häuslichen Sphäre und "Frauenarbeit" entkommen konnten. Damit dieses alternative Bezugssystem einem feministischen Projekt dienen kann, müssen die geschlechtlichen Hierarchien und Arbeitsteilungen sowohl in der Arbeit als auch im Leben sichtbar und zum Thema der Auseinandersetzung gemacht werden. Die Begriffe für sich selbst sichern keinen feministischen Inhalt von Untersuchungen, die in ihrem Namen geführt werden. Aber vielleicht könnten wir die Unterscheidung zwischen Leben und Arbeit dazu nutzen, wichtige Fragen z.B. über den Status und die Organisation - einschließlich der geschlechtlichen Teilung - von nicht entlohnten Haushalts- und Care-Tätigkeiten zu stellen: Wo könnte in diesem Fall die Grenze zwischen Arbeit und Leben gezogen werden? Was als Arbeit und was als Leben zählt - und die Grenze, die dazwischen liegt -, ist nicht vorgegeben, sondern vielmehr Gegenstand der politischen Bestimmung und, so würde ich hinzufügen, wichtiger Brennpunkt feministischer Kämpfe. Das bedeutet meiner Ansicht nach, dass mit der zunehmenden Integration von Frauen in die Lohnarbeit im Postfordismus und der Reprivatisierung von Hausarbeit im Neoliberalismus das Projekt der Sichtbarmachung und Bekämpfung von geschlechtlichen, rassifizierten und internationalen Teilungen der Hausarbeit nun schwieriger geworden ist (vgl. B. Young, 2001).

Um auf das Erbe der Untersuchungen von Mills und Hochschild zurückzukommen, so denke ich, dass ihre Analysen der Auswirkungen der Märkte und der Prozesse der immateriellen Arbeit auf Individuen und die Gesellschaft die fortbestehende Bedeutung eines kritischen Standpunkts nahe legen, der in einem Diskurs über Subjektivität verwurzelt ist und sich auf eine Vorstellung eines alternativen Modells des Subjekts bezieht. Die gegenwärtige Expansion der affektiven Formen der Arbeit macht diese kritischen Untersuchungen der Auswirkungen der affektiven Arbeit darauf, wer wir als emotionale ArbeiterInnen auf dem "Markt der Persönlichkeit" werden, und auf die Textur und Qualität von sozialen Beziehungen im "großen Verkaufsraum" nur umso dringlicher. Wenn wir einmal die konstitutive Macht von Arbeit im affektiven Modus anerkennen, wenn es Subjektivität ist, die angestellt und gemanagt wird, und in der Arbeit "statt Aufgaben und Abläufen (...) die Subjektivitäten selbst bestimmt und vorgezeichnet" werden (Lazzarato, 1996: 135; dt. 1998: 42), werden Fragen danach, wie regiert wird und wer wir werden, ausschlaggebend. Das Problem besteht meiner Ansicht nach darin, wie die kritische Aufmerksamkeit auf Arbeit als Mechanismus der Subjektivierung ohne den begrifflichen Apparat der Entfremdung sowie die Unterscheidung zwischen Existenz und Essenz, auf der dieser offensichtlich beruht, zu fokussieren ist. Wie könnten kritische Beurteilungsmethoden dessen, was wir in und durch die Arbeit werden, formuliert werden, ohne sich auf ein gegebenes Modell dessen zu berufen, was wir wirklich sind?

Ein Zugang könnte sein, den kritischen Standpunkt auf Subjektivität zu gründen - nicht in der Behauptung eines wahren oder essentiellen Selbst, sondern in einem potentiellen Selbst. Was, wenn wir dieses alternative Modell von Subjektivität, aus dessen Perspektive existierende Modelle kritisch beurteilt werden können, nicht auf bereits existierende, sondern auf potentiell werden könnende Subjektivitäten bezogen denken?

Wenn einmal der zeitliche Horizont einer möglichen Zukunft die räumlichen Grenzen einer existierenden Sphäre der Praxis oder eines Identitätsmodells ersetzt, könnte der Standard, gegen den die Gegenwart beurteilt wird, auf Visionen dessen erweitert werden, was wir wollen könnten - über die Verteidigung dessen, was wir bereits haben, wissen oder sind, hinaus. Das Selbst in der Arbeit könnte also gegen ein Selbst beurteilt werden, das mensch zu werden wünschen könnte, und sowohl Arbeits- als auch Nicht-Arbeitszeit könnten im Licht der Möglichkeit, anders zu werden, betrachtet werden. Was, wenn die Kritik, die rund um die Logik der Entfremdung entwickelt worden ist, so recodiert werden würde, dass sie sich nicht länger auf ein zu rettendes oder wieder zu entdeckendes, sondern auf ein zu erfindendes Selbst bezieht?

Wieder einmal stellt sich allerdings die Frage, was mit dem Geschlecht passiert, wenn der diskursive Rahmen der Analyse in dieser Art verschoben wird. Solange Arbeit durch Gender Bedeutung erhält und gespalten wird, muss die Kritik der Arbeit als Modus der Subjektivierung ein feministisches Projekt sein. Was dieser Zugang jedoch in Frage stellt, ist die Eignung von Geschlechtsidentität als Basis für politische Forderungen und als Mittel der politischen Mobilisierung. Viele haben, speziell im Zusammenhang mit Sexualität und Race, die Probleme dieser Modelle feministischer Identitätspolitik, die die Gefahr in sich bergen, ausschließende und normative Geschlechtermodelle abermals zu verstärken, herausgestrichen. Aber was, wenn feministische politische Analysen und Projekte nicht auf Behauptungen darüber beschränkt wären, wer wir als Frauen oder als Männer sind, oder eben darüber, dass die Identitäten durch das, was wir tun, produziert werden, sondern der Akzent auf kollektiv imaginierte Visionen dessen gelegt werden würde, was wir sein oder tun wollen? Die Konfrontation mit der fortbestehenden Produktion von Geschlechtlichkeit (in) der Arbeit sowie ihrer Subjekte wäre dann eher eine Frage des Ausdrucks von feministischem politischem Begehren als ein Wiederholen von Geschlechtsidentitäten.[16]

Nicht von einem wahren Selbst versus seiner entfremdeten Form oder von einer von der eigentlichen kapitalistischen Produktion getrennten reproduktiven Tätigkeitssphäre müsste eine alternative kritische Strategie ausgehen, sondern vielmehr von der Unterscheidung von Leben und Arbeit und einer Vision dessen, was Subjekte in Hinblick darauf werden könnten - im Gegensatz zu dem, was sie sind. Das wären, kurz gesagt, kritische Standpunkte, die nicht in getrennten Sphären oder Praktiken begründet sind, sondern in der Möglichkeit verschiedener Qualitäten von Leben; nicht in einer Behauptung darüber, wer wir sind, sondern eher in einer Vision dessen, wer wir werden wollen könnten; nicht in einer Essenz, sondern in einer Logik des politischen Begehrens, das der Existenz immanent ist. Diese biopolitischen Standpunkte könnten somit möglicherweise in Richtung neuer viel versprechender Linien kritischer Erkenntnis weisen und zwingendere politische Antworten auf die Organisation der Arbeit im Postfordismus bereitstellen.

E-Mail: kweeks@duke.edu


Anmerkungen

[1] Ein dritter Diskurs, die sozialistisch feministische Systemtheorie, die sich auf die Kartierung des Verhältnisses zwischen den Systemen des Kapitalismus und des Patriarchats konzentriert, dominierte die Periode zwischen den Hausarbeitsdebatten und der frühen Entwicklung der sozialistisch feministischen Standpunkttheorie. Für Beispiele zu den Hausarbeitsdebatten vgl. Malos (1995); für einige der ursprünglichen Beiträge zur Standpunkttheorie in seiner sozialistisch feministischen Variante vgl. Harding (2004); für Vertreterinnen der Theorie zweier Systeme vgl. Sargent (1981). Alternative Versionen dieser drei Projekte, die nicht den gleichen Beschränkungen unterworfen sind, die ich im weiteren herausarbeiten werde, und die sich heute noch als wertvoll erweisen, sind "Lohn für Hausarbeit" (vgl. z.B. Dalla Costa/James, 1972; dt. 1973), postfordistische sozialistisch feministische Standpunkttheorie (vgl. z.B. Haraway, 1985; dt. 1995) und integrative oder intersektionale Theorie zweier Systeme (vgl. z.B. I. Young, 1981 und Glenn, 1985). Obwohl der sozialistische Feminismus weiterhin existiert, markiert die Periode von den späten 1960ern bis zu den frühen 1980ern seinen Höhepunkt.

[2] Hier stand auch folgende Frage der politischen Strategie zur Debatte: Sollten feministische Kämpfe autonom von den Organisationen und Agendas der ArbeiterInnenklasse geführt werden oder in diese integriert sein?

[3] Für einen nützlichen Überblick und eine kritische Analyse der Hausarbeitsdebatten vgl. die Einführung und den Schlussessay von Ellen Malos in Malos (1995).

[4] Vgl. z.B. die klassischen Essays von Hartsock und Rose (in: Harding, 2004). Für Beispiele dafür, wie die Standpunkttheorie nach dieser Periode weiterhin ein fruchtbarer Bezugsrahmen bleibt, vgl. die Einführung sowie die einzelnen Beiträge in Harding (2004) und Hartsock (1998).

[5] Dieses Vorhaben wurde z.B. von Haraway (1985; dt. 1995) brillant vorangetrieben, indem sie die Tradition der sozialistisch feministischen Standpunkttheorie erweiterte und transformierte.

[6] Im Vergleich der beiden Analysen ist es frappierend, wie stark der jeweilige Stil von einer eher traditionellen Zuschreibung der Geschlechtlichkeit geprägt ist. In den Texten werden völlig verschiedene affektive Register gezogen. Mills Studie nimmt die Form einer äußerst kritischen Entlarvung an, Hochschilds Text hingegen jene einer mitfühlenden Untersuchung; der eine Text entfaltet Leidenschaft und Empörung, wo der andere Mitleid und Besorgnis zeigt; Mills will Entrüstung in einer Zeit der politischen Gleichgültigkeit hervorrufen, während Hochschild - ganz in der Tradition des Feminismus - auf das Verhältnis zwischen dem Persönlichen und dem Politischen insistiert und auch versucht, zu Identifikation und Selbstreflexion anzuregen

[7] Der Begriff des Affekts wäre weitaus geeigneter für die Einordnung der konstitutiven Auswirkungen dieser Praxisformen in Hochschilds Analyse als jener der Emotion. Da die Kategorie des Affekts die Trennungen von Geist und Körper, von Verstand und Gefühl quert und die ontologische Eingrenzung, die diese Dichotomien ermöglicht, durcheinander bringt, kann sie die Macht des Subjektivierungseffekts besser erfassen, die von Hochschilds Analyse enthüllt wird. Darüber hinaus kann sie - als Kategorie, die die produzierten und produktiven Qualitäten des Phänomens betont - der Naturalisierung von Emotion besser widerstehen, die Hochschild in Frage stellen will. Hier wird auch einer der Vorteile sichtbar, der aus der Fokussierung auf affektive Arbeit statt auf kognitive Arbeit erwächst, wobei in Mills Argumentation - ebenso wir in vielen gegenwärtigen Analysen der immateriellen Arbeit - der Schwerpunkt des Öfteren auf die kognitive Arbeit gelegt wird. Noch einmal, da diese Formen der Arbeit Affekte sowohl ausdrücken als auch hervorbringen, sind ihre Auswirkungen potentiell durchdringender als solche, die nur eine potentielle Verschiebung im Bewusstsein anzuzeigen scheinen.

[8] Mithin erkennt Hochschild, dass die Herausforderung, vor die die Ideale des liberalen Individualismus durch die neue Ordnung der Arbeit gestellt wurden, nicht nur, wie Mills behauptet, daraus bestand, dass diese das unabhängige Individuum auf einen "kleinen Mann" reduzierte, sondern eine weit tief greifendere Herausforderung der Identität war; "Das ist auch der Grund dafür, warum in dem Land, in dem das Individuum in der Öffentlichkeit besonders feierlich beschworen wird, die Menschen sich privat zu fragen beginnen (ohne diese Frage auf ihre letzte soziale Ursache zurückzuverfolgen): Was sind meine echten, wahren Gefühle, wie empfinde ich wirklich?" (Hochschild, 1983: 198; dt.: 2006: 155).

[9] Leider fehlen in der deutschen Ausgabe weite Teile der Originalversion von "The Managed Heart". Unglücklicherweise wurde dieser Mangel auch in der erweiterten Neuausgabe von 2006 nicht behoben.

[10] Da in der deutschen Fassung "men" mit Menschen wiedergegeben wird, geht die Ironie in der Übersetzung der Zitate Mills verloren. Um die Ironie von Weeks nicht unkenntlich werden zu lassen, habe ich daher in den Zitaten Mills auf "Menschen" stets (Männer) folgen lassen. (Anm.d.Ü.)

[11] Diese Position steht in Einklang mit Mills politischem Pessimismus und seinem Beharren darauf, dass die White Collar ArbeiterInnen eine dominante Tendenz darstellen, jedoch keine führende Position einnehmen können - eine aufstrebende Klasse, jedoch keine entstehende Avantgarde.

[12] "Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. (...) Es kömmt daher zu dem Resultat, daß der Mensch (der Arbeiter) nur mehr in seinen tierischen Funktionen, Essen, Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck etc., sich als freitätig fühlt und in seinen menschlichen Funktionen nur mehr als Tier." (Marx, 1978: 74; dt. MEW 40, Ergänzungsband 1: 514-515)

[13] Wenn man wie Hochschild einen kategorialen Gegensatz zwischen Gefühlsmanagement (emotion work or management) als privatem Akt mit Gebrauchswertcharakter und Gefühlsarbeit (emotional labor) als öffentlichem Akt mit Tauschwertcharakter postuliert, scheint dies nahe zu legen, dass diese Unterscheidung dazu dienen kann, letzteres vom Standpunkt des ersteren aus zu beurteilen (1983: 7; dt. 2006: 30).

[14] Für ein aktuelles Beispiel dieses Projekts vgl. Bakker und Gill (2004).

[15] Die Kategorie des Lebens hat hier eine kritische Funktion analog zur Philosophie Nietzsches, in der sie als Mittel dient, durch das die Kritik der asketischen Werte vorangetrieben wird; Leben wird als eine Art Stenogramm dafür verwendet, was asketische Werte - in diesem Fall Arbeit und ihre traditionelle Ethik - leugnen, und für das, was asketische Weisen der konzeptionellen und institutionellen Eingrenzung überschießt und zerreißt.

[16] Wendy Brown umreißt eine ähnliche Alternative zu feministischer Identitätspolitik, wenn sie fragt: "was, wenn wir versuchen würden, die Rede von "ich bin" ... durch die Rede von "ich will das für uns' zu ersetzen?" (1995: 75)


Auswahl an Publikationen:

K. Weeks. "Hours for What We Will": Work, Family, and the Movement for Shorter Hours. Feminist Studies 35.1 (2009): 101127.

K. Weeks. Life within and Against Work: Affective Labor, Feminist Critique, and Post-Fordist Politics. Ephemera: Theory & Politics in Organization 7.1 (2007): 233-249.

K. Weeks and Michael Hardt, eds., The Jameson Reader. Oxford: Blackwell, 2000.

K. Weeks. Constituting Feminist Subjects. Ithaca: Cornell University, 1998.


Literatur:

Bakker, I. and Gill, S. (eds.) (2004): Power, Production, and Social Reproduction: Human in/security in the Global Political Economy. New York: Palgrave Macmillan

Brown, W. (1995): States of Injury: Power and Freedom in Late Modernity. Princeton: Princeton University Press

Butler, J. (1997): The Psychic Life of Power: Theories in Subjection. Stanford: Stanford University Press; dt.: Butler, J.: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001

Dalla Costa, M. and James, S. (1972): The Power of Women and the Subversion of the Community. Bristol: Falling Wall Press; dt.: Dalla Costa, M. / James, S.: Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, Berlin: Merve 1973

Glenn, E.N. (1985): Racial Ethnic Womens Labor: The Intersection of Race, Gender and Class Oppression, Review of Radical Political Economics, 17(3): 86-108

Haraway, D. (1985): A Manifesto for Cyborgs: Science, Technology, and Socialist Feminism in the 1980s, Socialist Review, 80: 65-108; dt.: Haraway, D.: Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. In: Haraway, Donna: Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt a.M./New York: Campus (1995)

Harding, S. (ed.) (2004): The Feminist Standpoint Theory Reader: Intellectual and Political Controversies. New York: Routledge

Hardt, M. and Negri, A. (2000): Empire. Boston: Harvard University Press; dt.: Hardt, M., Negri, A.: Empire. Die neue Weltordnung. Frankfurt am Main: Campus 2002

Hardt, M. and Negri, A. (2004) Multitude. New York: Penguin; dt.: Hardt, M., Negri, A.: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire. Frankfurt am Main: Campus 2004

Hartsock, N. (1998): The Feminist Standpoint Revisited, in N. Hartsock, The Feminist Standpoint Revisited and Other Essays. Boulder: Westview Press

Hochschild, A.R. (1983): The Managed Heart: Commercialization of Human Feeling. Berkeley: University of California Press; dt.: Hochschild, A.R.: Das gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung der Gefühle, Campus, Frankfurt/Main und New York 1990, erw. Neuausg. 2006

Lazzarato, M. (1996): Immaterial Labor, in Virno, P. and Hardt, M. (eds.): Radical Thought in Italy: A Potential Politics. Minneapolis: University of Minnesota Press, 133-147; dt.: Lazzarato, M.: Immaterielle Arbeit, in: Negri, A., Lazzarato, M., Virno, P.: Umherschweifende Produzenten. Immaterielle Arbeit und Subversion, Atzert, T. (Hg.) Berlin: ID Verlag 1998

Marx, K. (1978): Estranged Labour, in Tucker, R. C. (ed.): The Marx-Engels Reader, Second Edition. New York: W.W. Norton and Company; dt.: Marx, K.: Die entfremdete Arbeit, in: Ökonomisch-philosophische Manuskripte von 1844, MEW 40, Ergänzungsband 1, 510ff

Malos, E. (ed.) (1995): The Politics of Housework, Revised Edition. Cheltenham: New Clarion Press

Mills, C.W. (1951): White Collar: The American Middle Classes. New York: Oxford University Press; dt.: Mills, C.W.: Menschen im Büro: Ein Beitrag zur Soziologie der Angestellten (übers. v. Bernt Engelmann, Vorwort v. Heinz Mauss), KölnDeutz: Bund Verlag 1955

Negri, A. (1996): Twenty Theses on Marx: Interpretation of the Class Situation Today, in Makdisi, S., Casarino, C. and Karl, R. (eds.): Marxism Beyond Marxism. New York: Routledge, 149-180; dt.: Negri, Antonio: Zwanzig Thesen zu Marx - Interpretation der heutigen Klassenlage, http://www.rosa-luxemburg-gesellschaft.org/materialien/Negri.pdf

Rose, H. (2004) Hand, Brain, and Heart: A Feminist Epistemology for the Natural Sciences, in Harding, S. (ed.): The Feminist Standpoint Theory Reader. New York: Routledge, 67-80

Sargent, L. (ed.) (1981): Women and Revolution: A Discussion of the Unhappy Marriage of Marxism and Feminism. Boston: South End Press; dt.: Sargent, L. (Hg.): Frauen und Revolution, Berlin: Verlag Freunde der Erde 1983

Young, B. (2001): Globalization and Gender: A European Perspective, in Kelly, R.M., Bayes, J.H., Hawkesworth, M.W. and Young, B. (eds.): Gender, Globalization, and Democratization. Lanham, MD: Rowman & Littlefield, 27-47

Young, I. (1981): Beyond the Unhappy Marriage: A Critique of Dual Systems Theory, in Sargent, L. (ed.): Women and Revolution. Boston: South End Press, 43-69

Raute

Maya Gonzalez und Caitlin Manning

"Wir kommen in Bewegungen mit all den Narben..."

Interview mit Silvia Federici über Kämpfe von Frauen um Arbeitsteilung, Wissen und (Re)Produktion

Aus dem Amerikanischen von Renate Nahar

Das amerikanische Original dieses Interviews ist in der Zeitschrift Reclamations (Issue 3, Dezember 2010) erschienen. Die Redaktion der grundrisse dankt Silvia Federici, Maya Gonzalez und Caitlin Manning sowie der Redaktion von Reclamations für die unkomplizierte Zusammenarbeit im Sinne der Bildung und Stärkung internationaler Netzwerke.[1]


Maya Gonzalez und Caitlin Manning[2]: Du hast über Kämpfe an den Universitäten im Rahmen der neo-liberalen Restrukturierung geschrieben. Diese Kämpfe waren eine Antwort auf die Versuche, die Commons des Wissens einzuhegen. Siehst du die Kämpfe an den Universitäten der letzten Jahre als Fortsetzung der Kämpfe gegen die Einhegung (enclosure) von Wissen? Oder als etwas Neues? Hat die Wirtschaftskrise den Kontext, in dem die Kämpfe an den Universitäten stehen, grundsätzlich verändert?

Silvia Federici: Ich sehe die zunehmende Mobilisierung der Studierenden an den nordamerikanischen Universitäten, besonders in Kalifornien, als Teil eines langen Kampfzyklus gegen die neoliberale Restrukturierung der globalen Ökonomie und gegen die Demontage des öffentlichen Bildungswesen, der Mitte der 1980er Jahre in Afrika und Lateinamerika begonnen hat und jetzt auf Europa übergreift - wie die jüngste Revolte der Studierenden in London zeigt. Es geht jedoch in all diesen Fällen um mehr als den Widerstand gegen die "Einhegung (enclosure) des Wissens". Die Kämpfe der afrikanischen Studierenden in den 1980ern und 1990ern waren besonders heftig, weil die Studierenden begriffen, dass die drastischen Kürzungen der Budgets der Universitäten, die von der Weltbank verlangt wurden, das Ende des "Gesellschaftsvertrags" signalisierten, durch den in der Phase nach der Erreichung der Unabhängigkeit ihr Verhältnis zum Staat ausgeformt und Bildung zum Schlüssel für sozialen Fortschritt und partizipative StaatsbürgerInnenschaft gemacht wurde. Ebenso erkannten sie - insbesondere in der Argumentation der Weltbank, "dass Afrika keine Universitäten brauche" -, dass hinter den Kürzungen die Reorganisation einer neuen internationalen Arbeitsteilung lauerte, die zur Rekolonisierung der afrikanischen Ökonomien und zur Entwertung der Arbeitskraft der AfrikanerInnen führte.

Die Demontage der öffentlichen höheren Bildung der letzten zehn Jahre in den Vereinigten Staaten muss ebenso in einen gesellschaftlichen Zusammenhang gestellt werden, in dem Unternehmen im Zuge der Globalisierung ArbeiterInnen aus der ganzen Welt deren Arbeitskraft abpressen können und Prekarität als permanente Bedingung von Beschäftigung etabliert sowie konstante Requalifizierung erzwungen wird. Die Finanzkrise verschlimmert die Krise der Universitäten, da sie ökonomische Trends im Akkumulationsprozess und in der Organisation der Arbeit in die Zukunft projiziert, sodass Studierende mit einem Zustand der permanenten Unterordnung sowie der fortgesetzten Zerstörung des Wissens konfrontiert sind, das als einzig mögliche Zukunftsperspektive erworben werden muss. In diesem Sinn haben die heutigen Kämpfe der Studierenden weniger die Verteidigung des öffentlichen Bildungswesens als die Veränderung der Machtverhältnisse gegenüber Staat und Kapital sowie die Wiederaneignung des Lebens der Studierenden zum Ziel.

Wir können hier eine Parallele zur Revolte der französischen ArbeiterInnen und der französischen Jugend gegen die Entscheidung der Sarkozy-Regierung ziehen, die Lebensarbeitszeit um zwei Jahre zu verlängern. Wir können die vehemente Opposition, die diese Entscheidung hervorgerufen hat, nicht verstehen, wenn wir nur jene Zeitspanne betrachten, die die ArbeiterInnen auf dem Weg zur Pension einbüßen. Was Millionen Menschen auf die Straße brachte, war eindeutig die Erkenntnis, dass der Verlust jeder Hoffnung für die Zukunft auf dem Spiel stand - das ist der Grund dafür, dass auch so viele junge Menschen auf die Barrikaden stiegen.

Eben diese Einsicht ist es auch, welche diesen Zyklus von Universitätskämpfen von den vorhergehenden unterscheidet und ihnen eine mehr oder weniger offene antikapitalistische Dimension gibt. Das ist meiner Ansicht nach die Bedeutung des internationalen Zirkulierens des Begriffs der Commons bzw. des Communen in der Rhetorik der StudentInnenbewegungen. Der Ruf nach "Commons an Wissen" spiegelt nicht nur den Widerstand gegen die Privatisierung und Kommerzialisierung von Wissen wider, sondern auch die wachsende Erkenntnis, dass eine Alternative zum Kapitalismus und zum Markt aufgebaut werden muss - und dass damit jetzt begonnen werden muss. Eine der Ursachen hierfür liegt auch im Begreifen, dass die Beteiligung an einem kollektiven Prozess der Wissensproduktion im heutigen akademischen Umfeld nicht möglich ist. In die Höhe schnellende Studiengebühren, Lehrveranstaltungen, die strikt auf enge ökonomische Ziele zugeschnitten sind, überfüllte Lehrsäle und überarbeitete, unterbezahlte, prekarisierte Lehrende - all diese Bedingungen entwerten das Wissen, das an Universitäten produziert wird, und rufen nach der Schaffung alternativer Formen der Bildung und von Räumen, um diese organisieren zu können. Das ist vielleicht ein Ausgangspunkt, um die "Politik der Besetzungen" zu denken, d.h. als Mittel Räume zu übernehmen, die zur Schaffung neuer Commons benötigt werden.

Maya Gonzalez und Caitlin Manning: Du hast ausführlich über Bildungskämpfe und globalen Widerstand gegen Sparmaßnahmen als Kämpfe um institutionelle Orte der gesellschaftlichen Reproduktion - und nicht um Orte der Produktion - geschrieben. Was wird durch die Analyse von Bildungskämpfen als Teil eines größeren Zusammenhangs von Kämpfen um Orte der gesellschaftlichen Re-Produktion deiner Meinung nach ausgesagt? Und welche Formen von sozialer Ungleichheit und von Ausbeutung der Arbeit verbleiben außerhalb dieses Analyserahmens?

Silvia Federici: Zunächst möchte ich hervorheben, dass die Verschiebung von der Produktion zur Reproduktion in der Analyse der Klassenverhältnisse das Ergebnis einer Transformation gewesen ist, die das theoretische Feld seit den 1970er Jahren durchquert und sowohl in der poststrukturalistischen als auch in der neoliberalen Kritik sichtbar wird, von Foucault bis Becker.[3] Der Hauptimpuls in diese Richtung kam von feministischen Ansätzen, Arbeit neu zu denken und Reproduktionsarbeit als den "unsichtbaren Teil des Eisbergs" (in den Worten von Maria Mies), auf dem die kapitalistische Akkumulation basiert, neu zu definieren. Diese Verschiebung des Fokus hatte weitreichende Konsequenzen und ermöglichte es uns, ein heterogenes Ensemble von Tätigkeiten - wie Hausarbeit, Subsistenzlandwirtschaft, Sexarbeit und Care-Arbeit, formale wie auch informelle Bildung - zusammen zu denken und diese als Momente der gesellschaftlichen (Re)Produktion der Arbeitskraft zu erkennen.

Aus dieser Perspektive können wir die Veränderungen an den Universitäten politisch fassen. Wir können die Einführung von Studiengebühren und die Kommodifizierung von Bildung als Teil eines größeren Prozesses des Rückzuges von Kapitalinvestitionen aus der Reproduktion der Arbeitskraft begreifen. Es handelt sich um einen Versuch, die künftige Arbeitskraft zu disziplinieren, um einen Prozess, der in den späten 1970er Jahren mit der Abschaffung des freien Hochschulzuganges begonnen hat und eindeutig eine Antwort auf die Revolten an den Universitäten der 1960er Jahre sowie auf die Insubordination der Jugend ist.

Wenn wir jedoch die Reproduktion zum Fenster machen, durch das das Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital analysiert wird, so sollte dies nicht als totalisierende Operation verstanden werden. Reproduktion (von Individuen, der Arbeitskraft) kann nicht isoliert vom Rest der kapitalistischen "Fabrik" begriffen werden.

In letzter Zeit wurden stattdessen Theorien entwickelt (z.B. der Begriff der "biopolitischen Produktion" von Hardt und Negri), die eine Gesamtschau des Feldes der kapitalistischen Verhältnisse ausschließen, da sie davon ausgehen, dass die gesamte Produktion auf die Produktion von Subjektivitäten, Lebensstilen, Sprachen, Codes und Information reduziert werden kann. Auf diese Weise geht der Kampf, der überall auf unserem Planeten - auf Feldern, in Minen und in Fabriken - geführt wird und ein gigantisches Ausmaß angenommen hat, verloren, und das ironischerweise zu einem Zeitpunkt, da wir den ausgeprägtesten weltweiten Zyklus von Kämpfen in der Industrie (in China und großen Teilen Süd- und Ostasiens) seit den 1970er Jahren erleben.

Maya Gonzalez und Caitlin Manning: Das Ausmaß der Schulden in Form von Studiendarlehen in der Höhe von ca. 830 Milliarden US-Dollar hat kürzlich einige Aufmerksamkeit in den Medien erregt, da die studentischen Gesamtschulden nunmehr die Kreditkartenschulden übersteigen. Edu-Factory, das internationale Netzwerk von Studierenden, AkademikerInnen und Lehrenden, in dem du arbeitest, hat die Schuldenfrage zu einem zentralen gemeinsamen Kristallisationspunkt der Kämpfe auf den Universitäten gemacht. Wie Jeffrey Williams hervorhebt, würden Studierende das ganze Jahr über wöchentlich 136 Stunden arbeiten müssen, um es ohne Schulden zu schaffen, wenn sie eine Ivy League Uni[4] oder eine ähnlich teure private Uni besuchen.[5] Manche meinen, dass die aktuell sich hinziehende ökonomische Krise keine Rezession, sondern eine durch Schulden maskierte Depression ist. Wie könnte deiner Meinung nach das Thema der ansteigenden Verschuldung zu einem relevanten Kampffeld gemacht werden?

Silvia Federici: Die Verschuldung ist bereits ein Kampffeld, aber bis jetzt ist es ein Kampf, der zumindest in den USA leise - unter der Wahrnehmungsschwelle - stattfindet und sich eher durch versteckte Formen des Widerstands, durch Flucht und Zahlungsausfälle, als in offener Konfrontation ausdrückt. Die Ausfallsrate bei Studiendarlehen des Bundes ist laufend im Ansteigen begriffen, im Besonderen an gewinnorientierten Colleges, wo sie bereits 11,6% übersteigt.

Diskussionen mit Studierenden legen nahe, dass versucht wird, der Thematisierung der Schulden aus dem Weg zu gehen, zumindest in der unmittelbaren Gegenwart. Viele sprechen nicht gerne darüber. Auf ihnen lastet die unerbittliche neoliberale Propaganda, die Bildung als eine Frage der individuellen Verantwortung darstellt. Wie Alan Collinge in Student Loan Scam[6] schreibt, schämen sich viele zuzugeben, dass sie ihre Studiendarlehen nicht zurückzahlen können. Die Vorstellung, dass freie Bildung (so wie Pensionen) nicht länger mehr ein soziales Recht sein soll, hat das Bewusstsein der neuen Generationen durchdrungen, zumindest als Form der Einschüchterung, und trägt zur Blockierung aller Versuche bei, die Abschaffung der Schulden zu einer offenen Bewegung zu machen.

Trotzdem war es richtig, dass das Edu-Factory Netzwerk die Frage der Schulden zu einem zentralen Kristallisationspunkt der Kämpfe an den Universitäten gemacht hat. Der Kampf gegen die Verschuldung der Studierenden hat eine strategische Bedeutung. Wie Jeffrey Williams betont, sind Schulden ein mächtiges Instrument der Disziplin und Kontrolle sowie eine Hypothek auf die Zukunft.[7] Dagegen zu kämpfen heißt, das eigene Leben für sich zu reklamieren, mit einem System der vertraglichen Knechtschaft zu brechen, das über viele Jahre hinweg einen langen Schatten auf das Leben der Menschen wirft.

Was kann getan werden, damit eine Bewegung entsteht? Meiner Meinung nach wird eine langfristige Mobilisierung erforderlich sein, sowie die Kooperation vieler gesellschaftlicher Subjekte. Ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung ist eine Bildungskampagne über den Charakter von Schulden als politisches Instrument der Disziplin, die mit der Unterstellung der persönlichen Verantwortlichkeit aufräumt und die kollektive Dimension der Schulden aufzeigt. Der Moralismus, der angesichts der Frage der Verschuldung akkumuliert wurde, muss sichtbar gemacht werden. Einen akademischen Titel zu erwerben ist kein Luxus, sondern - in einem Kontext, in dem Bildung von höchsten staatlichen Ebenen jahrelang zur Trennlinie zwischen Wohlstand und einem Leben in Armut und Unterordnung erklärt wurde - eine Notwendigkeit. Wenn jedoch Bildung eine Voraussetzung für künftige Beschäftigung ist, dann heißt das, dass die Unternehmer davon profitieren. Aus dieser Perspektive gehören die Schulden der Studierenden dem Bereich der Arbeitwelt an und sollten daher von den Gewerkschaften thematisiert werden, und zwar nicht nur von den Gewerkschaften der Lehrenden und Forschenden.

Auch Lehrende sollten sich an einer Bewegung zur Abschaffung der Schulden beteiligen, da sie an vorderster Linie stehen: Sie müssen den Schein wahren und vorgeben, dass kulturelle Bildung an den Universitäten das Wesentliche sei. Gleichzeitig müssen sie sich jedoch in den Erfordernissen der Profitabilität - wie überfüllte Klassen, das Aushungern von Studienrichtungen, überarbeitete StudentInnen, die gleichzeitig drei Jobs haben - einrichten. Die Schulden sind auch eine einigende Forderung, da sie weltweit die Bedingungen für alle in der ArbeiterInnenklasse bestimmen. Kreditkartenschulden, Hypothekarschulden, Schulden für medizinische Behandlung: seit Jahrzehnten wird überall auf der Welt jede Kürzung der Löhne und der sozialen Rechte im Namen der Schuldenkrise durchgesetzt. Schulden sind daher ein universeller Bezugspunkt und ein Terrain, auf dem eine Neu-Zusammensetzung der globalen Arbeitskraft beginnen kann.

Maya Gonzalez und Caitlin Manning: Letztes Jahr wurden die Besetzungen von Gebäuden und andere Formen direkter Aktionen als Strategien der Privilegierten kritisiert. Wie können direkte Massenaktionen in einem Land wie den USA stattfinden, wo Gefängnisse dermaßen stark überfinanziert sind und die polizeiliche Repression sich weiterhin so viel massiver gegen Bevölkerungsschichten richtet, die aufgrund von rassifizierten Kriterien oder aus anderen Gründen besonders gefährdet sind?

Silvia Federici: Ich werde die Situation, die sich am Campus einiger Universitäten der University of California[8] entwickelt hat, sowie die Umstände der Entscheidung für Gebäudebesetzungen nicht kommentieren. Ich war an diesen Ereignissen nicht beteiligt und die Wahl der Taktik hängt stark vom Kontext und den jeweiligen Machtverhältnissen ab, sodass jeder Kommentar von meiner Seite unangebracht wäre. Stattdessen möchte ich hervorheben, dass direkte Massenaktionen in den Vereinigten Staaten trotz der Existenz einer repressiven institutionellen Maschine, die auf vielen Ebenen operiert - Polizei, Gerichte, Gefängnisse, Todesstrafe -, eine lange Geschichte haben. Das herausragende Beispiel dafür ist die Bürgerrechtsbewegung. Die Bürgerrechtsbewegung und später die Black Power Bewegung traten der Polizei mit ihren Wasserschläuchen und Hunden entgegen, sie traten dem Ku-Klux-Klan entgegen und der John Birch Society.[9] Eure Frage deutet auch an, dass nicht alle people of color militantere Taktiken ablehnen. Es müssen jedoch die Unterschiede in der Macht, mit der Studierende aus verschiedenen Communities der Universitätsleitung und der Polizei gegenübertreten, sichtbar gemacht und politisiert werden. Organisatorische Entscheidungen müssen diese Unterschiede berücksichtigen. Dies sollte der Fall sein, egal ob Gebäude besetzt werden oder nicht, die große Vielfalt an unterschiedlichen Bedingungen, in denen sich Studierende wiederfinden, sollte im Kopf behalten werden. Zusätzlich zum höheren Risiko, dem Menschen aus communities of color ausgesetzt sind, müssen wir auch bei jeder Form der Mobilisierung berücksichtigen, dass es Studierende gibt, die es sich nicht leisten können, sich an bestimmten Aktionsformen zu beteiligen, da sie Kinder haben, Familien, die ihre Anwesenheit brauchen, oder weil sie von Krankheiten und Behinderungen daran gehindert werden. Die Bereitschaft, jene zu schützen, die den härtesten Konsequenzen ausgesetzt sind, und verschiedene Initiativen zu entwickeln, ist ein Maß für die Stärke und Ernsthaftigkeit einer Bewegung. Gleichzeitig ist hierbei jedoch die Tatsache nicht zu unterschätzen, dass Kampfsituationen immer extrem verflüssigt und transformativ sind. Und jene, die sich gestern vielleicht nicht beteiligt haben, sind morgen vielleicht die ersten, die besetzen.

Maya Gonzalez und Caitlin Manning: Von Kalifornien bis New York haben Frauen Bedenken angemeldet, dass es ein ernsthaftes Problem in den Geschlechterverhältnissen innerhalb der Bewegung gibt. Trotz ihrer aktiven Beteiligung fühlen sich viele Frauen marginalisiert, es fehlt ihnen das Vertrauen in Gruppenkonstellationen, sie fühlen sich eingeschränkt in ihren Möglichkeiten, sich auszudrücken. In einigen Fällen waren sie befremdet über sexistische oder maskulinistische Sprech- und Aktionsweisen (siehe "Direct Action as Feminist Practice"[10]). Als Frauen sind wir verblüfft. Nach Jahrzehnten an feministischen Kämpfen verschiedenster Art empfinden wir - doch wieder - die Notwendigkeit, feministische Gruppen zu schaffen und kollektive Formen zu finden, dem Patriarchat entgegenzutreten. Wir strampeln uns in offenen Räumen ab, von denen wir uns nie gedacht hätten, dass sie so eingeengt und einengend sind. Inwieweit unterscheiden sich unsere Erfahrungen von deinen Erfahrungen in den 1970er Jahren und inwieweit ähneln sich diese? Was kann aus unseren Erfahrungen der Gegenwart über die Vergangenheit gelernt werden und umgekehrt?

Silvia Federici: Die Konfiguration der Geschlechterverhältnisse in der StudentInnenbewegung unterscheidet sich heute sehr stark von jener der 1960er und 1970er Jahre. Studentinnen haben weit mehr Macht als die Frauen meiner Generation jemals hatten. Sie stellen die Mehrheit in den meisten Lehrveranstaltungen und bereiten sich auf ein Leben in Autonomie und Eigenständigkeit vor, zumindest autonom von Männern, wenn schon nicht vom Kapital. Aber die Beziehungen zu Männern sind ambivalenter und verwirrender geworden. Die größere Gleichheit verschleiert die Tatsache, dass viele der Problemkreise, die die Frauenbewegung aufgeworfen hat, nicht gelöst worden sind, im Besonderen in Bezug auf die Re-Produktion. Sie verschleiert die Tatsache, dass wir nicht gemeinsam als Frauen an einem Projekt beteiligt sind, das die Gesellschaft transformieren will, und dass mit dem Vormarsch des Neoliberalismus eine Re-Maskulinisierung der Gesellschaft stattgefunden hat. Die grausame, maskulinistische Sprache von "We are the Crisis"[11], der Einleitung von "After the Fall", ist ein ungeheuerliches Beispiel dafür. Ich verstehe voll und ganz, warum viele Frauen sich davon eher bedroht als ermutigt fühlen.

Der Niedergang des Feminismus als soziale Bewegung hat auch zur Folge, dass die Erfahrung der kollektiven Organisierung rund um Fragen, die Frauen betreffen, vielen Studentinnen unbekannt und das Alltagsleben entpolitisiert worden ist. Welche Prioritäten wir setzen, wie wir die Balance zwischen Lohnarbeit und der Reproduktion unserer Familien halten, so dass wir etwas von uns selbst behalten, das wir uns selbst geben können (was wir aus der Erfahrung schwarzer Frauen gelernt haben), wie wir lieben und unsere Sexualität leben - all diese Fragen müssen Studentinnen heute individuell beantworten, außerhalb eines politischen Bezugsrahmens, und das ist eine Quelle der Schwäche in ihren Beziehungen zu Männern. Dazu kommt, dass das akademische Leben, speziell nach Abschluss des Grundstudiums, eine Umgebung schafft, die sehr stark von Konkurrenz geprägt ist, in der jene, die weniger Zeit haben, sich der intellektuellen Arbeit zu widmen, sofort marginalisiert sind, und Eloquenz und theoretische Gewandtheit oft als Maß für politisches Engagement missverstanden werden.

Eine wesentliche Lehre, die wir aus der Vergangenheit ziehen können, besteht darin, dass sich Frauen angesichts von ungleichen Machtverhältnissen autonom organisieren müssen, gerade um fähig zu sein, die Probleme zu benennen, denen sie sich gegenübersehen, und die Stärke zu gewinnen, ihre Unzufriedenheiten und Wünsche zu äußern. In den 1970ern sahen wir ganz deutlich, dass wir in der Anwesenheit von Männern nicht über uns betreffende Belange sprechen konnten. Wie die Autorinnen von "Direct Action as Feminist Practice" so eindrucksvoll schreiben, du brauchst nicht "zum Schweigen gebracht" werden, dieselben Machtkonfigurationen, die uns unserer Stimme berauben, nehmen uns die Fähigkeit, die spezifischen Mechanismen dieser Macht zu benennen.[12]

Wie Autonomie erreicht wird, kann variieren. Autonomie muss nicht in Form von dauerhaft getrennten Strukturen gedacht werden. Wir begreifen jetzt, dass wir Bewegungen innerhalb von Bewegungen schaffen können und Kämpfe innerhalb von Kämpfen, der Ruf nach Einheit angesichts von Konflikten in unseren Organisationen ist allerdings politisch desaströs. Aus der Vergangenheit können wir lernen, dass wir durch die Schaffung von temporären autonomen feministischen Räumen mit der psychologischen Abhängigkeit von Männern brechen, unsere Erfahrungen bestätigen, einen Gegendiskurs entwickeln und neue Normen festlegen können - wie die Notwendigkeit der Demokratisierung der Rede anstelle ihrer Funktion als Mittel des Ausschlusses.

Ich bin überzeugt, dass das Zusammenkommen als Frauen und als Feministinnen eine positive Wendung ist, eine Vorbedingung, um die Marginalisierung zu überwinden. Und noch einmal: Frauen in der StudentInnenbewegung sollten sich nicht durch den Vorwurf der "Spaltung" einschüchtern lassen. Die Schaffung von autonomen Räumen ist nicht "spalterisch", sondern vielmehr notwendig, um die ganze Bandbreite an Ausbeutungsverhältnissen, durch die wir eingesperrt sind, ans Licht zu bringen, und die ungleichen Machtverhältnisse sichtbar zu machen, die - wenn sie unangefochten bleiben - die Bewegung zum Scheitern verurteilen würden.

Maya Gonzalez und Caitlin Manning: Bei der Arbeit an feministischen Antworten auf unsere gegenwärtigen Dilemmata haben wir uns wiederholt in irgendwie beunruhigende, wenn auch ebenso angenehme Momente der Identifikation verstrickt - wenn wir z.B. "als Frauen" sprechen oder wenn wir Frauenlesekreise gründen. Wie sollen wir solche Momente analysieren, speziell im Licht der jüngsten Interventionen in die feministische Theorie, die die vielfachen Brüche betonen, die die vermeintliche Kollektivität der "Frauen" durchziehen, oder die auf der Instabilität und Veränderbarkeit von Geschlechteridentitäten insistieren? Was könnte aus solchen Akten der Identifikation entstehen? Welche Versprechen könnten sie enthalten? Welche Gefahren?

Silvia Federici: Ich muss mit der Prämisse beginnen, dass ich den Begriff "Frauen" niemals aus meinem theoretischen und politischen Bezugssystem gestrichen habe. Für mich sind "Frauen" eine politische Kategorie, die einen spezifischen Platz in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und ein Feld antagonistischer Verhältnisse bezeichnet, innerhalb derer das Moment der Identität der fortlaufenden Veränderung und Infragestellung unterworfen ist. Klar, "Frauen" ist ein Begriff, den wir durch unsere Kämpfe problematisieren, destabilisieren und neu zusammensetzen müssen. Ich habe in meinen Publikationen immer darauf bestanden, dass es für Feministinnen ein vorrangiges Anliegen sein muss, die Unterschiede und Hierarchien in den Machtverhältnissen unter Frauen zu thematisieren. An erster Stelle steht hier das Machtverhältnis, das durch die neue internationale Teilung der Reproduktionsarbeit bedingt wird. Insoweit jedoch Gender immer noch die Welt strukturiert, insoweit die kapitalistische Entwertung der Reproduktionsarbeit in eine Entwertung von Frauen übersetzt wird, können wir diese Kategorie nicht streichen, außer um den Preis, große Teile des sozialen Lebens nahezu unverständlich zu machen und ein wesentliches Terrain des kollektiven Widerstandes gegen den Kapitalismus zu verlieren.

Die Identifikation als Frauen enthält die Möglichkeit, die Entstehung, die Wirkungsweisen und die Politik der Mechanismen des Ausschlusses und der Marginalisierung zu verstehen, die viele Studentinnen offensichtlich während der Besetzungen in Kalifornien und New York erfahren haben. Sie ist ein Sensor, mithilfe dessen wir entziffern können, warum und wie männliche Herrschaft die Machtstruktur aufrechterhält, und der es uns ermöglicht, eine Welt von Erfahrungen offen zu legen, die anderenfalls unsichtbar und unbenannt bleiben würde.

Diese Aspekte der Erfahrung von Frauen anzuerkennen, die ein Terrain der Unterordnung unter Männer formen, und sich gleichzeitig den Machtunterschieden unter Frauen selbst zu stellen, das ist heute - wie auch in der Vergangenheit - eine der wichtigsten Herausforderungen, denen Feministinnen und Aktivistinnen in allen sozialen Bewegungen gegenüberstehen. Gleichzeitig enthält Identifikation viele Gefahren. Die perfideste ist vielleicht die Idealisierung der Beziehungen unter Frauen, die uns den schlimmsten Desillusionierungen aussetzt. Das ist ein Problem, durch das die Frauen meiner Generation besonders verletzbar waren, da Feminismus uns zunächst als gelobtes Land, als ersehnte Heimat erschien, als schützender Raum, in dem uns nichts Negatives je beeinträchtigen würde können. Wir haben entdeckt, dass die politische Arbeit als Frauen mit Frauen uns nicht von den Machtkämpfen und Handlungen des "Verrats" verschont, die wir so oft in männlich dominierten Organisationen angetroffen haben. Wir kommen in Bewegungen mit all den Narben, die das Leben im Kapitalismus unseren Körpern und Seelen eingeschrieben hat, und diese verschwinden nicht automatisch, nur weil wir uns unter Frauen befinden und mit Frauen zusammenarbeiten. Das Entscheidende ist jedoch, nicht vom Feminismus davonzurennen. Dass Sex und Gender Auswirkungen haben, ist eine unverzichtbare politische Lehre. Wir können nicht einem System entgegentreten, das seine Macht zu großen Teilen auf rassifizierte und geschlechtliche Spaltungen stützt, indem wir als körperlose universelle Subjekte kämpfen. Die Frage ist eher, welche Formen der Organisierung und welche Mittel der Verantwortlichkeit wir entwickeln können, um zu verhindern, dass wir die Machtgefälle unter uns in unserem Kampf reproduzieren.

Maya Gonzalez und Caitlin Manning: Wie du weißt, scheinen die Gender-Problematiken, mit denen wir konfrontiert sind, besonders in militanten Kreisen oder bei Besetzungen angesprochen worden zu sein. Können wir diese Tendenz in der Geschichte einer traditionell männlich dominierten radikalen Linken verorten? Inwieweit sind einige der jüngsten feministischen Interventionen Teil der Geschichte von Frauen, die radikale Politik und Taktik für sich reklamieren?

Silvia Federici: Ich kann nur einige Hypothesen formulieren, da mein Wissen über die "Besetzungspolitik" hauptsächlich vom Lesen von "After the Fall" herrührt. Zunächst einmal möchte ich unterstreichen, dass die Übernahme von Gebäuden und das Besetzen als Taktik eine lange Geschichte in den weltweiten Kämpfen haben. Der legendäre Streik von 1937 in Flint/Michigan war mit der Besetzung einer Fabrikanlage verbunden. Das Native American Movement Revival in den 1960er Jahren begann mit der Übernahme von Alcatraz.[13] Und heute sind StudentInnen in der ganzen Welt an Besetzungen beteiligt, um ihre Proteste sichtbar zu machen und zu verhindern, dass Business as usual die Oberhand gewinnt. Das Problem entsteht, so glaube ich, wenn diese Aktionen als Selbstzweck und "unbegründet" durchgeführt werden, wie in "We are the crisis" proklamiert wird. Denn in diesem Fall, wenn keinerlei Ziel formuliert wird, tendiert die Glorifizierung des riskanten Verhaltens dazu, in den Vordergrund zu treten. Die weit reichendere Frage ist die Hartnäckigkeit des Sexismus in der radikalen Politik von heute, d.h. die Tatsache, dass radikale Politik weiterhin wie in den 1960ern die geschlechtliche Arbeitsteilung eher reproduziert als untergräbt, mit ihren geschlechtlichen Hierarchien und Ausschlussmechanismen. Sicherlich sind wir in einer anderen Situation als jene, die von Marge Piercy in "The Grand Coolie Damn"[14] beschrieben wird, wo die Rolle von Frauen in der Anti-Kriegsbewegung als eine von politischen Hausfrauen dargestellt wird. Was erreicht wurde, ist jedoch eine Situation der formalen Gleichheit, die die weiter andauernde Entwertung von reproduktiven Tätigkeiten sowohl in den Inhalten und Zielen als auch in den Modalitäten von radikaler Politik verschleiert. Wesentliche Fragen - wie die Notwendigkeit von Kinderbetreuung, männliche Gewalt gegen Frauen, die größere Verantwortlichkeit von Frauen für Reproduktionsarbeit -, die Wissen und die Bedingungen seiner Produktion konstituieren, sind immer noch kein signifikanter Teil des radikalen Diskurses. Das ist die materielle Basis für sexistische Haltungen.

Wir brauchen eine radikale Bewegung, die die Beseitigung von gesellschaftlichen Ungleichheiten und von Aufspaltungen in Produktion und Reproduktion, in Schule und zu Hause, in Schule und Community, wie sie der kapitalistischen Arbeitsteilung inhärent sind, programmatisch in den Mittelpunkt ihres Kampfes stellt. Ich hoffe, ich handle mir nicht den Vorwurf der Gender Schieflage ein, wenn ich sage, dass es vor allem die Aufgabe der Frauen ist, dafür zu sorgen, dass das passieren wird. Befreiung beginnt zu Hause, wenn die Unterdrückten ihr Schicksal in ihre Hände nehmen. Die Infragestellung von Sexismus und Rassismus kann nicht von denen erwartet werden, die davon - zumindest kurzfristig gesehen - profitieren, wenngleich Männer nicht von der Verantwortung ausgenommen werden sollten, sich ungerechten Verhältnissen zu widersetzen. Anders gesagt, nur weil wir in radikalen Zusammenhängen sind, sollten wir nicht erwarten, dass jene Kräfte, die die Verhältnisse zwischen Männern und Frauen in der Gesellschaft insgesamt bestimmen, keine Auswirkungen auf unsere Politik haben. Deshalb haben sich trotz des starken Anstiegs des Anteils an Studentinnen in den Lehrveranstaltungen die Bedingungen für Frauen an den Universitäten und in radikalen Gruppen nicht qualitativ verändert. Stattdessen hat die neoliberale Ideologie der Chancengleichheit die Oberhand gewonnen, die geschlechtliche und rassifizierte Hierarchien im Namen der Leistung bestätigt hat und durch die jene sozialen Eigenschaften, die für die Konkurrenz am Arbeitsmarkt nötig sind, aufgewertet wurden.

Diese Eigenschaften sind im Wesentlichen solche, die traditionell der Männlichkeit zugeschrieben werden: Selbstvermarktung, Aggressivität, die Fähigkeit, die eigene Verletzbarkeit zu verstecken. Ich kann nicht genug hervorheben, dass radikale Politik nicht gelingen kann, solange wir diese Haltungen unter uns nicht infrage stellen. Es ist also an der Zeit, dass die umfassende transformative Vision, die der Feminismus - zumindest in seiner frühen radikalen Phase, bevor er unter eine neoliberale institutionelle Agenda subsumiert wurde - vorangetrieben hat, wieder mit Leben erfüllt wird. Dieses Mal jedoch müssen wir nicht nur für die Beseitigung von geschlechtlichen Hierarchien kämpfen, sondern gegen alle ungleichen Machtverhältnisse auf unseren Schulen und Universitäten. In diesem Prozess müssen wir auch neu definieren, was Wissen ist, wer Wissen produziert und wie intellektuelle Arbeit einen Kampf für Befreiung unterstützen kann, statt als Instrument der gesellschaftlichen hierarchischen Spaltung zu dienen.


Anmerkungen:

[1] http://www.reclamationsjournal.org/issue03_silvia_federici.htm (Anm.d.Ü.).

[2] Unter Mitwirkung von Amanda Armstrong, Aaron Benanav, Chris Chen und Zhivka Valiavicharska.

[3] Gary Stanley Becker ist ein US-amerikanischer Ökonom (Doktortitel an der University of Chicago). Er war einer der ersten, die die Wirtschaftswissenschaften auf Gebiete ausdehnten, die traditionell eher zur Soziologie gehörten, wie z.B. die Organisation der Familie. In den sechziger und siebziger Jahren hat er, zusammen mit anderen AutorInnen, das Konzept des Humankapitals in die Wissenschaft eingeführt. 1992 wurde ihm der Nobelpreis "für seine Ausdehnung der mikroökonomischen Theorie auf einen weiten Bereich menschlichen Verhaltens und menschlicher Zusammenarbeit" verliehen (Anm.d.Ü.).

[4] Die Ivy League ist eine Liga im US-amerikanischen Hochschulsport und besteht aus acht der ältesten Hochschulen der USA. Der Ausdruck wird jedoch meist außerhalb des Hochschulsports verwendet und bezeichnet dort die Gruppe der acht Elite-Universitäten im Nordosten der USA: Harvard, Yale, Columbia, Princeton, Brown, Cornell, Pennsylvania, Dartmouth College (Anm.d.Ü.).

[5] Williams, Jeffrey J. "The Pedagogy of Debt." Toward a Global Autonomous University. New York: Autonomedia, 2009. 89-96.

[6] Collinge, Alan. The Student Loan Scam: The Most Oppressive Debt in U.S. History, and How We Can Fight Back (Boston, MA: Beacon Press, 2009).

[7] Williams, Jeffrey J. "Student Debt and The Spirit of Inie sieht die aktuelle Situation im denture." Editorial. Dissent Magazine (Fall 2008); Web. Bildungsbereich aus? 27 November 2010. http://www.dissentmagazine.org/article/?article=1303

[8] Die University of California (UC) ist neben dem California-State-University-System das zweite kalifornische System bundesstaatlicher Universitäten mit insgesamt über 192.000 StudentInnen (als drittes gibt es noch die Community Colleges California). Es gibt eine University of California in neun Städten. Ein zehnter Campus ensteht gerade in Merced. Die bekannteste ist die UC Berkeley, welche auch die älteste ist (Anm.d.Ü.).

[9] Die John Birch Society (JBS) ist eine rechtsgerichtete amerikanische Organisation, die 1958 in Indianapolis mit dem Ziel gegründet wurde, die vermeintlichen wachsenden Gefährdungen der amerikanischen Verfassung zu bekämpfen, womit im Besonderen die vermeintliche Infiltration durch die KommunistInnen gemeint war. Die JBS wurde nach John Birch benannt, einem amerikanischen Missionar, der 1945 in China als Captain der US Airforce während eines militärischen Einsatzes von KommunistInnen getötet wurde. Die Theorien der John Birch Society unterscheiden sich von anderen Verschwörungstheorien der Rechten dadurch, dass als Drahtzieher zumeist KommunistInnen und die Illuminaten (sic!) vermutet werden, die angeblich in einer gemeinsamen Traditionslinie stünden (Anm.d.Ü.).

[10] Armstrong, Amanda, Kelly Gawel, Alexandria Wright, and Zhivka Valiavicharska, "Direct Action as Feminist Practice: An Urgent Convergence", Reclamations 2 (April 2010). Web. 27 November 2010. http://www.reclamationsjournal.org/issue02_feministas.html

[11] "We are the Crisis: A Report on the California Occupation Movement" (13/02/2010); http://afterthefallcommuniques.info/?p=47 (Anm.d.Ü.)

[12] siehe "Direct Action as Feminist Practice: An Urgent Convergence"

[13] Das berühmt berüchtigte Bundesgefängnis auf der Insel Alcatraz in der Bucht von San Francisco wurde 1963 aufgelöst. Nach mehrmaligen kurzen Besetzungsversuchen wurde Alcatraz am 20. November 1969 von mehreren tausenden American Natives besetzt, rund 700 von ihnen wohnten dauerhaft auf der Insel, die Besetzung währte 19 Monate lang. Eine gute Darstellung der Besetzung und ihrer Ziele findet sich hier: http://siouxme.com/lodge/alcatraz_np.html (Anm.d.Ü.).

[14] er Text war eine Intervention der feministischen Schriftstellerin, der den Sexismus in der radikalen Linken zum Thema hatte und bei seinem Erscheinen 1969 in der radikalen Linken in den USA heftige Diskussionen auslöste.
http://www.feministezine.com/feminist/modern/The-Grand-Coolie-Damn.html; Auf Deutsch erschienen als "Die grobe kalte Wut" in: Women's liberation. Frauen gemeinsam sind stark! Texte und Materialien aus der neuen amerikanischen Frauenbewegung. Herausgegeben und eingeleitet von Barbara Becker und anderen. Frankfurt am Main: Verlag Roter Stern, 1977 (Anm.d.Ü.).

Raute

Almut Bachinger

Lohn für Hausarbeit reloaded[1]

Die Debatte um den Lohn für Hausarbeit und was daraus wurde

Die Verteilung von Haus- und Sorgearbeit ist ein mehr als leidiges Thema. Bis heute ist diese Arbeit zwischen den Geschlechtern nicht egalitär verteilt, vielmehr haben sich neue intrageschlechtliche Arbeitsteilungen nach Klasse und Ethnie gebildet. Schon in den 1970er Jahren stand die Forderung der neuen Frauenbewegung nach Lohn für Hausarbeit auf der Agenda. Anders als das Schlagwort vermuten ließe, war das zentrale Anliegen aber nicht eine Geldleistung für Hausfrauen, sondern vielmehr die Politisierung der Arbeitsteilung und der geschlechtsspezifischen Zuweisung der privaten, unbezahlten Sorgearbeit an Frauen - Stichwort "Das Private ist politisch". Politisches Ziel der ursprünglich linken Forderung[2] war letztendlich, die Überwindung der Arbeitsteilung der Geschlechter durch die Vergesellschaftung der Haus- und Sorgearbeit zu erreichen. Allerdings war dieses Ziel durchaus umstritten. Es gab auch Strömungen, die die Aufwertung der Hausarbeit im Verhältnis zur Erwerbsarbeit durch die tatsächliche Bezahlung eines Lohnes forderten, während GegnerInnen das mit der Begründung der Gefahr der Zementierung der geschlechterhierarchischen Arbeitsteilung ablehnten. In den 1980er Jahren verlief sich die Forderung nach Anerkennung der Hausarbeit tendenziell. In das differenztheoretische Paradigma hatte sie noch eher gepasst, weniger jedoch in das dekonstruktivistische Gender-Konzept, das seit den 1990er Jahren hegemonial wurde. Die Frauenbewegung und -forschung wandte sich von ökonomischen Problemen ab und eher Identitätsfragen zu oder, wie Nancy Fraser den Wandel benannte, von der "Umverteilung zur Anerkennung" (Fraser 2001). Brigitte Young kritisierte:

"Bereits in den 80er Jahren wurde in der PROKLA 50 'Marx und der Marxismus' (März 1983) auch über 'Hausarbeit' diskutiert, ein Konzept, das die Verengung des männlichen Arbeitsbegriffs auf lohnabhängige Erwerbsarbeit und seine Erweiterung auf die reproduktive Arbeit der Frauen in der Haushalt- und Subsistenzproduktion thematisierte. Diese durchaus fruchtbare Diskussion, die heute als 'Hausarbeitsdebatte' in die Literatur eingegangen ist, wurde bald zum vergessenen Stiefkind beiderlei Geschlechts. Die männlichen Genossen waren keineswegs geneigt, in der Reproduktionsarbeit einen Gegenbegriff zur männlichen Lohnarbeit zu akzeptieren. Die neue feministische Generation wiederum hat sich dem Poststrukturalismus zugewandt und den Materialismus auf dem Altar der symbolischen und diskursiven Ordnung geopfert." (Young 1998, 2)

Nichtsdestotrotz wurde im Laufe der 1990er Jahre die Frage der Bezahlung der Sorgearbeit unter anderen Prämissen wieder aktuell. Für die Bezahlung der Hausarbeit machten sich nun konservative und neoliberale Kräfte stark und verlangten Wahlfreiheit im Sinne von Privatisierungs- und Ökonomisierungsbestrebungen. Personen mit Sorgepflichten sollten frei entscheiden können, ob sie erwerbstätig sein oder sich der Haus- und Sorgearbeit widmen wollten. Diesem Paradigma entsprach auch die Tendenz zur Monetarisierung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen. Transferleistungen sollten dazu verhelfen, Sorgearbeit selbst erbringen zu können ("zu Hause bleiben zu können") oder aber entsprechende Dienste auf dem Markt zuzukaufen. Nicht zuletzt sollten so Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Auslagerung oder Vermarktlichung von haushaltsnahen Dienstleistungen und Sorgearbeit wurde einerseits als Vereinbarkeitsnotwendigkeit und Bedingung der Erwerbstätigkeit von Frauen thematisiert, zum anderen wurden beschäftigungspolitische Argumente für eine Vermarktlichung der Sorgearbeit ins Feld geführt. Haushaltsarbeit, insbesondere Pflege- und Betreuungsleistungen, sei ein expandierender Zukunftsarbeitsmarkt mit großem Beschäftigungspotential (Badelt 1997, 10f). Das Pflegegeld bewirkte einen Ausbau der mobilen Dienste und eine beachtliche Beschäftigungsexpansion, allerdings förderte es auch die irreguläre Pflege. Ingrid Mairhuber spricht von einer impliziten Institutionalisierung der Schwarzarbeit durch das Pflegegeld (Mairhuber 2000, 180).

Zugleich wurde seit den 1990er Jahren (Einführung des Pflegegeldes 1994) und noch verstärkt mit der rechtskonservativen Wende im Jahr 2000 die familiäre Erbringung von Sorgeleistungen angesichts der sich verknappenden Mittel des Sozialstaates sowie des abnehmenden Potentials an familiärer unbezahlter Arbeit gefördert. Zudem sollten Eigeninitiative und Unternehmertum im Haushalt Einzug halten. So sah das Regierungsprogramm der ÖVP-FPÖ-Regierung vor, das "Unternehmen Haushalt" zu fördern (Österreich neu regieren, Regierungsprogramm für die XXI. Gesetzgebungsperiode 2000, 33; vgl. Schlager 2000). Reguläre Arbeitsplätze wurden tatsächlich kaum geschaffen, realisiert wurden lediglich der Dienstleistungsscheck und die Liberalisierung der Au-Pair-Regelung. Das Pflegegeld beförderte nicht zuletzt die Herausbildung eines florierenden irregulären Pflegearbeitsmarktes. Angesichts steigender Arbeitslosigkeit und öffentlicher Budgetrestriktionen wurde der informelle (intermediäre) Sektor auch als Ort der Verwertung "überzähliger Arbeitskräfte" (Castel 2000) politisiert. Neo-kommunitaristischen Ideen zufolge sollten freigesetzte Arbeitskräfte in ihrer nunmehr freien Zeit unbezahlte Freiwilligenarbeit (Ehrenamt) leisten (vgl. Bürgergesellschaft, Zivilgesellschaft) oder aber Sozialleistungen nur mehr im Austausch gegen Arbeit erhalten (Workfare, vgl. Jessop 1993).[3]

In vielen europäischen Wohlfahrtsstaaten wurden in den 1990er Jahren vermehrt Geldleistungen, die Haus- und Sorgearbeit entgelten sollen, eingeführt, insbesondere auch angesichts des demographischen Wandels im Bereich der Altenpflege. Gemessen am ursprünglichen Ziel der Überwindung der geschlechterhierarchischen Arbeitsteilung können diese Geldleistungen aber nicht als politischer Erfolg im Sinne der Frauenbewegung verbucht werden. Besonders in Österreich können die Transferleistungen im Vergleich zu Erwerbseinkommen höchstens als symbolische Anerkennung bezeichnet werden. Solange die Höhe staatlicher Transferzahlungen für Hausund Sorgearbeit weit unter den auf dem Markt erzielbaren Einkommen liegt und die soziale Anerkennung nicht gleichwertig der Erwerbsarbeit auf dem Markt ist, wird, bewahrheitet sich letztlich die Kritik am Lohn-für-Hausarbeit-Modell, die geschlechterhierarchische Arbeitsteilung werde zementiert. Die gestiegene Erwerbstätigkeit von Frauen bewirkte keine Gleichverteilung der Hausarbeit zwischen den Geschlechtern. Haushalts- und Sorgearbeit verlagerte sich zum Teil in den Markt, und zwar weniger in den formellen, sondern primär in den informellen und irregulären Markt. Dem Vorschub leisteten gerade Tendenzen der Monetarisierung und Ökonomisierung von Sozialleistungen in europäischen Wohlfahrtsstaaten.

Die Bekämpfung irregulärer Beschäftigung im Privathaushalt sowie die Ermöglichung und Legalisierung von regulären Arbeitsverhältnissen fanden als beschäftigungs- und sozialpolitische Problemstellung der Schaffung von regulären Arbeitsplätzen im Privathaushalt in Österreich jedoch nur am Rande Beachtung. Das größte öffentliche Aufsehen erregte noch die Debatte um die so genannte 24-Stunden-Pflege. Es ging dabei um die "Legalisierung" der privaten Beschäftigung von Pflege- und Betreuungskräften, vornehmlich aus Mittelosteuropa. Das politische Interesse richtet sich dabei primär auf die InanspruchnehmerInnen dieser Dienste. Sie sollten nicht "kriminalisiert" werden und vor Anzeigen, Verwaltungsstrafen und Nachzahlungen an die Pflegekräfte, die ihnen aus einem regulären Arbeitsverhältnis erwachsen wären, geschützt werden. Durch die "Legalisierung" wurde die Beschäftigung von 24-Stunden-Betreuungskräften als Gewerbetreibende rechtlich ermöglicht, was bedingte, dass zum einen arbeitsrechtliche Bestimmungen nicht eingehalten werden müssen, zum anderen die gängige Bezahlung eines Tagelohns von durchschnittlich 50 Euro legal wurde. Damit wurde also ein besonderes Segment für ausländische Arbeitskräfte geschaffen.


Migration und Hausarbeit

Wenngleich die Arbeitsmigration von Frauen in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark zunahm, ist sie keineswegs ein so neues Phänomen.[4] Vielmehr blieb sie bislang eher ein blinder Fleck in der Migrationsforschung und der politischen Gestaltung. Der Blick sowohl der Forschung als auch der Migrations- und Einwanderungspolitiken ist bis heute ein androzentrischer. In den aktuellen politischen Debatten um einen notwendigen Zuzug von Arbeitskräften und die Regulierung des Arbeitsmarktzuganges geht es vor allem um hoch qualifizierte Arbeitskräfte (vgl. EU-Debatte um die Blue Card 2008; Cerna 2008). Dabei stellte selbst der letzte OECD International Migration Outlook fest, dass der Bedarf an niedrig qualifizierten Arbeitskräften in den Ländern der OECD aufgrund der Alterung steige (OECD 2008). Saskia Sassen verweist auf die Angewiesenheit der Global Cities - der Zentren der Organisation und Steuerung der globalen Ökonomie - auf gering qualifizierte Arbeit, die zu einem großen Teil zugewanderte Arbeitskräfte aus den Ländern der Peripherien leisten. Das dominante Narrativ der Globalisierung stellt Mobilität, die Überwindung von Distanzen und der Ortsgebundenheit des Kapitals sowie der Arbeitskräfte in den Vordergrund und lässt die örtlich gebundene, lokale Ökonomie aus dem Blick geraten, die aber als Grundlage der globalen Ökonomie unverzichtbar ist.[5] In den Gobal Cities arbeiten nicht nur hoch qualifizierte und hoch bezahlte ManagerInnen und Fachkräfte, sondern auch eine stetig wachsende Zahl von ArbeiterInnen und DienstleisterInnen, die die Grundlagen und Infrastrukturen der Global Cities und damit der globalen Ökonomie produzieren und aufrechterhalten. Die Attraktivität der Global Cities zieht immer mehr Menschen an, sodass die lokale Ökonomie ständig wächst und einen steigenden Bedarf an billigen, gering qualifizierten Arbeitskräften produziert. Um die Löhne niedrig zu halten, werden die Tätigkeiten und Berufe in den Zentren zunehmend informalisiert und entprofessionalisiert (Sassen 2002, 254f). In den urbanen Wohngebieten der Eliten etablieren sich "professional households without wifes", Haushalte ohne Hausfrauen, die hohe Ansprüche stellen und auch auf ein Familienleben nicht verzichten wollen: "Urban professionals want it all, including dogs and children, whether or not they have the time to care for them." (Sassen 2002, 258) Der steigende Bedarf an Haushaltsdienstleistungen und Sorgearbeit wird vor allem von informell beschäftigten MigrantInnen gedeckt (vgl. OECD 2008; Caixeta et al. 2004, 22f).

Die bezahlte Haushaltsarbeit spielt nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung der Global Cities - der reichen Zentren - und damit für die gesamte Wirtschaftsentwicklung eine wesentliche Rolle, sondern auch für die Integration von Frauen in den formellen und informellen Arbeitsmarkt. Voraussetzung ist allerdings eine entsprechende Lohndifferenz zwischen BeschäftigerIn und HaushaltsarbeiterIn.[6] Wie die niedrig qualifizierte, ortsgebundene Arbeit im Vergleich zur hoch spezialisierten, flexiblen Arbeit durch die Ausblendung zusätzlich abgewertet wird, verstärkt sich die Abwertung auch auf der Ebene der privaten Arbeit des Haushaltes und schafft eine neue intrageschlechtliche, hierarchische Arbeitsteilung. Young spricht von der Schaffung von zwei "Kategorien von Frauen": "Auf der einen Seite steht die 'Herrin' und auf der anderen Seite die 'Magd', getrennt durch unterschiedliche Ethnie, Klasse und nationale Zugehörigkeit." (Young 1999, 2) Während die berufliche Integration von Mittelklasse-Frauen in den Arbeitsmarkt zu mehr Gleichstellung in der Geschlechterhierarchie beitrage, führe die bezahlte Reproduktionsarbeit im Haushalt zu sozialer Differenzierung, so Young (1999, 3f). Doch eine Viktimisierung der HaushaltsarbeiterInnen erscheint zu einseitig. Zwar spalten Deregulierungs- und Informalisierungstendenzen die Arbeitsmärkte, prekäre Arbeitsmarktsegmente entstehen durch die Auslagerung der Hausarbeit, zugleich bedeuten diese Entwicklungen jedoch Chancen und neue Möglichkeiten für Menschen, die bislang nicht am Erwerbsarbeitsmarkt partizipieren konnten. Die Transformation von unbezahlter in bezahlte Arbeit ermöglicht es nicht nur Frauen, am Erwerbsleben teilzuhaben, indem sie nunmehr auf informelle und daher kostengünstige Strukturen zurückgreifen können, die sie von der Reproduktionsarbeit befreien, sie bietet auch den Care-ArbeiterInnen immerhin die Möglichkeit, einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Für niedrig Qualifizierte eröffnen sich neue Jobchancen. Sassen weist auch auf das Potential dieser Entwicklung hin, das hierarchische Geschlechterverhältnis aufzubrechen und - insbesondere für MigrantInnen, die aus patriarchalen Gesellschaftsstrukturen kommen - ein höheres Maß an Autonomie zu erlangen (Empowerment). Mit wachsender Zahl der MigrantInnen steige zudem ihre öffentliche Partizipation, sie übernähmen eine aktive soziale Rolle. Gerade Frauen hätten ein Interesse an öffentlichen und sozialen Diensten (z.B. Kinderbetreuung, Schulen), das sie im Namen ihrer Familien artikulieren. Sie könnten zu kraftvollen und sichtbaren AkteurInnen auf dem Arbeitsmarkt und in der Öffentlichkeit werden (Sassen 2002, 259f).


Die Herstellung von Ausgeschlossenen und Überflüssigen

Im Einwanderungsdiskurs Europas wird Migration seit den 1990er Jahren vor allem als Bedrohung abgehandelt (vgl. Sassen 2000, 13). Das Heraufbeschwören einer Bedrohung und die Abschottung der Arbeitsmärkte sind dabei durchaus funktional im Sinne der Aufrechterhaltung eines Regimes der Illegalisierung von Arbeitskräften und ihrer Exklusion von regulären Arbeitsmärkten sowie der Schaffung eines billigen Arbeitskräftereservoirs, das als Druck auf regulär Beschäftigte wirkt (vgl. Schierup et al. 2006, 41f, 104). Die Ausblendung der gering qualifizierten Arbeit folgt einem ähnlichen Muster wie jene der Frauenmigration und Frauenarbeit. Die Negation oder Unsichtbarmachung des Bedarfs an niedrig qualifizierter Arbeit hat den Effekt einer zusätzlichen Abwertung der Arbeit. Robert Castel zeigt, dass Unternehmen aufgrund des Anpassungsdruckes an den technologischen Fortschritt dazu tendieren, überqualifizierte Arbeitskräfte einzusetzen (z.B. auf Praktikumsplätzen). Damit besetzen die Überqualifizierten jene Arbeitsplätze, für die auch ein niedrigeres Qualifikationsniveau ausreichend wäre, was zu Arbeitslosigkeit und Entwertung der Qualifikation der Geringerqualifizierten führt. Reagiert wird darauf mit ständiger Höher- und Weiterqualifizierung, was zwar demokratiepolitisch begrüßenswert sei, allerdings auch problematisch, weil jene, die nicht qualifizierbar sind, die eine mangelnde Beschäftigungsfähigkeit aufweisen, auf der Strecke bleiben und zu "Überflüssigen" oder "Überzähligen" werden (Castel 2000, 348f). Betrachtet man nun die migrantischen HaushaltsarbeiterInnen, die zum Teil weit überqualifiziert, z.B. als ÄrztInnen oder akademische Pflegekräfte, Arbeiten auf sehr niedrigem Qualifikationsniveau verrichten, so spiegelt sich die Logik, die Castel aufzeigt, im internationalen Maßstab und in Bereichen, in denen unbezahlte Arbeit zu bezahlter Arbeit wird, wider. Die Behauptung, MigrantInnen seien entweder überflüssig - die niedrig Qualifizierten - oder eine Bedrohung für inländische ArbeitnehmerInnen - die Qualifizierten -, legitimiert Illegalisierungspolitiken, produziert ein billiges, rechtloses Arbeitskräftepotential, vergrößert aber zugleich das Heer der Überzähligen. Die hoch Qualifizierten, "die immer schneller sind", besetzen auch im internationalen Migrationsraum jene Arbeitsplätze, für die die inländischen Arbeitskräfte gerade noch ausreichend qualifiziert wären. "Die Geringerqualifizierten treffen stets zu spät am Kriegsschauplatz ein, wenn sich zwischenzeitlich das allgemeine Bildungsniveau gehoben hat." (Castel 2000, 353) Die Qualifizierung der inländischen Arbeitskräfte verteuert diese zudem auch noch und macht ihren Einsatz unflexibel und bürokratisch, sie haben also einen doppelten Wettbewerbsnachteil.


Wandel von Arbeit und Arbeitsverhältnissen und das besondere Arbeitsvermögen der Frauen

Der Postindustrialismus (Postfordismus) ist auch gekennzeichnet von einem Wandel der Arbeitsorganisation. Arbeit wird in zeitlicher und örtlicher Hinsicht flexibilisiert, subjektiviert und vorgeblich enthierarchisiert. Die Anforderungen an ArbeitnehmerInnen verändern sich: soziale Kompetenz, Kommunikationsfähigkeit, Empathie etc., also Fähigkeiten (soft skills), die bislang vor allem Frauen als weibliches Arbeitsvermögen zugeschrieben wurden, sind nicht mehr nur im Dienstleistungssektor gefordert, sondern gelten in den netzwerkartig organisierten Arbeitswelten als maßgeblich (vgl. Hochschild 1990; Rose 2000; Hardt/Negri 2003). Zum einen ist daher von der Feminisierung der Arbeit die Rede, zum anderen wird die Neuorganisation der Arbeit mit Demokratisierung und Enthierarchisierung der Arbeitswelt in Zusammenhang gebracht. Der Arbeitsplatz sei nicht mehr ausschließlich der Ort, an dem Entbehrungen in Kauf genommen werden, um einen Lohn zu erhalten, sondern wird zum Ort der Selbstverwirklichung (Rose 2000, 18). Mehr Autonomie und Subjektivierung (Einsatz der ganzen Person) bedarf aber auch mehr an Selbstdisziplinierung, Selbstregierung und Selbstoptimierung in zunehmend informalisierten und entgrenzten Arbeitswelten (vgl. "das unternehmerische Selbst", Rose 2000). ArbeitnehmerInnen werden zu UnternehmerInnen ihrer selbst, zu ArbeitskraftunternehmerInnen (Pongratz/Voß 2001). Hardt/Negri bezeichnen die ökonomische Postmodernisierung als Informatisierung der Produktion. Die immaterielle Arbeit werde hegemonial. Während im Fordismus die materielle Arbeit als industrielle Fabrikarbeit im Zentrum stand, seien es nun die Produkte oder Waren der immateriellen Arbeit: Wissen, Kommunikation, Gefühle und Beziehungen (affektive Arbeit). Die materielle Arbeit sei nicht mehr deutlich von der immateriellen zu unterscheiden, ebenso wenig die produktive von der reproduktiven (Hardt/Negri 2003, 295f). Auch Hardt/Negri betonen den Aspekt der "Selbstverwertung": Interaktion und Kooperation werden nicht mehr von außen aufgezwungen, sondern sind der Arbeit vollkommen immanent. Darin liege das Potential für "eine Art spontanen und elementaren Kommunismus", denn die ProduzentInnen seien nicht mehr notwendigerweise auf das Kapital angewiesen. "Heute haben Produktivität, Reichtum und das Schaffen eines gesellschaftlichen Surplus die Form der kooperativen Interaktion angenommen, die sich sprachlicher, kommunikativer und affektiver Netzwerke bedient." (Hardt/Negri 2003, 305) Die affektive Arbeit nehme, wenngleich sie nie völlig außerhalb des kapitalistischen Verwertungsprozesses gestanden habe, nun eine vorrangige Rolle ein: "Die affektive Arbeit ist heute nicht nur direkt produktiv für das Kapital, mehr noch, sie bildet die Spitze in der Hierarchie der Arbeitsformen." (Hardt 2002) Robert Foltin verdeutlicht die Verschiebung der unbezahlten Arbeit bzw. der affektiven Arbeit ins Kapitalverhältnis:

"Es ist klar, dass es diese affektive Arbeit immer gegeben hat, aber außerhalb des Ausbeutungsverhältnisses durch das Kapital und daher 'wertlos'. Der Kapitalismus profitierte vorher nur indirekt davon, als diese Bedürfnisse in Institutionen wie in den Familien oder im Kunstbetrieb befriedigt wurden. Jetzt ist die Produktion von Affekten direkt zum Produkt, zur Ware geworden. Das wäre tatsächlich in dem Sinn zu interpretieren, dass das Patriarchat zu Ende ist, insofern als der Kapitalismus jetzt identisch mit dem Patriarchat ist. Natürlich ist klar, dass der Zerfall der Familie die geschlechtliche Ungleichverteilung der Arbeit, der Einkommen etc. nicht beendet hat, sondern sie nur ins Kapital verschoben wurde. Eine Revolution bleibt notwendig und sie kann nur von der affektiven Arbeit her gedacht werden, sie muss feministisch sein." (Foltin 2002)

Reproduktive Arbeit als immaterielle, affektive Arbeit, als Produktion von Affekten, Subjektivität, Gesellschaft und letztlich als biopolitische Produktion von Leben und Bevölkerung steht an der Spitze des Produktionsprozesses, die Unterscheidung zwischen Produktion und Reproduktion wird hinfällig.[7] Obwohl Hardt/Negri explizit auf die reproduktive Arbeit eingehen und ihr eine so hervorragende Stellung in der informationellen Ökonomie einräumen, fand das Konzept in der feministischen Forschung relativ wenig Resonanz. Möglicherweise haben die optimistischen Visionen von Hardt und Negri wenig mit den Realitäten der ProduzentInnen der affektiven Arbeit - wie den HaushaltsarbeiterInnen - zu tun. Auch wird in den Texten vor allem auf die mütterliche Arbeit - als biopolitische Produktion, die Leben erschafft und Gesellschaft reproduziert - rekurriert (Hardt 2002). So fruchtbar das Konzept der immateriellen Arbeit sein könnte, lässt es jedenfalls die Unterbewertung der feminisierten Arbeit und insbesondere der Haus- und Sorgearbeit völlig außer Acht. Diese besteht weiter, selbst wenn die Unterscheidung zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit obsolet geworden sein soll und die immaterielle, affektive Arbeit im kapitalistischen Produktionsprozess verwertet wird. Zum anderen ist es fraglich, welche Form das Lohnarbeitsverhältnis bzw. der Verwertungsprozess annimmt. Außerdem stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung überhaupt eintritt oder ob andere nichtkapitalistische Formen der Arbeit in bestimmten Bereichen - beispielsweise der Privatsphäre - entstehen bzw. weiter existieren und inwieweit diese als emanzipative Projekte verfolgt werden sollen (vgl. Erdem 2003). Ein Bestimmungsfaktor für diese normative Frage könnte der Grad der sozialen Rechte, die mit bezahlter Hausarbeit einhergehen, sein.


Haus- und Sorgearbeit als Normalarbeitsverhältnis?

Die Hauptproblematik der Regulierung und Legalisierung von Haus- und Sorgearbeit ist, dass die Zahlungsbereitschaft bei haushaltsnahen Dienstleistungen gering ist und der größte Teil der bezahlten Caring Labour durch illegalisierte MigrantInnen geleistet wird. Die Regulierung im Sinne einer Formalisierung nach dem Vorbild des Normalarbeitsverhältnisses stößt auf zeitliche, räumliche und subjektive Grenzen. Hausarbeit ist ihrem Wesen nach zeitlich entgrenzt, im Privatraum verortet und erfordert "Gefühlsarbeit". Abgesehen von der Frage der Formalisierbarkeit von Hausarbeit gehen Legalisierungsmaßnahmen, die sich nur an InländerInnen bzw. an Personen mit Arbeitsbewilligung richten, am größten Teil der migrantischen HaushaltsarbeiterInnen vorbei, weil sie vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, was gerade bedingt, dass sie zu einer billigen und rechtlosen Arbeitskraftressource werden.

Darüber hinaus bleiben über solchen Details um die Beschäftigung im Privathaushalt - wie Klenner/Stolz-Willig kritisieren - grundsätzliche Fragen völlig ausgeblendet. Die Debatte verrate jedoch einiges über die gesellschaftspolitischen Leitbilder der politischen AkteurInnen: Nicht mehr die Emanzipation von der Haushaltsarbeit[8] und eine geschlechtergerechte Umverteilung und Umgestaltung der Haus- und Erwerbsarbeit würden angestrebt, sondern es finde eine Differenzierung der Emanzipationsansprüche für Frauen statt - ein Teil der Frauen emanzipiert sich von der Hausarbeit, ein anderer durch die Hausarbeit (Klenner/Stolz-Willig 1997, 155f). Hier setzen zugleich beschäftigungspolitische Argumente im Bereich der Haushaltsdienstleistungen an: Während es Frauen gibt, die für den ersten Arbeitsmarkt qualifiziert sind, aber keine Zeit für die Haus- und Sorgearbeit haben, gibt es Frauen, die für den ersten Arbeitsmarkt nicht mehr qualifizierbar und daher geeignet sind, bezahlte Arbeit im Haushalt zu leisten, für die ohnehin keine berufliche Qualifikation, sondern lediglich eine qua Geschlecht erforderlich ist (vgl. Odierna 2000, 71f).

Die Entwicklung der Beschäftigung im Bereich der haushaltsnahen und personenbezogenen Dienstleistungen ist - insbesondere wenn sie rein marktlich (regulär, aber auch irregulär) organisiert ist - in hohem Maße von der Stratifizierung der Einkommen abhängig, d.h., es muss eine gewisse Einkommensdifferenz zwischen ArbeitgeberIn und Beschäftigter gegeben sein. Angesichts der Zunahme bezahlter Haushaltsdienste, die mehrheitlich von MigrantInnen in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen geleistet werden, ist in den letzten Jahren die Rede von einer neuen DienstbotInnen-Gesellschaft (vgl. Odierna 2000). Eine kritische, öffentliche Debatte blieb bislang aber aus oder beschränkt sich bestenfalls auf akademische Kreise. Die Nicht-Thematisierung ist wohl nicht zuletzt auf Interessen an der Aufrechterhaltung dieser Form einer intrageschlechtlichen, geschlechtlichen und nunmehr ethnisierten Arbeitsteilung zurückzuführen. Zum einen können Konflikte um eine Umverteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern im Privaten vermieden werden, zum anderen dient diese Nicht-Thematisierung der Etablierung eines sozialstaatlichen Regimes zur Herstellung eines billigen Arbeitskräftepotentials. Dies nicht zuletzt, um die öffentliche Vergesellschaftung der Sorgearbeit aus Kostengründen und aufgrund maskulinistischer Interessen an der Aufrechterhaltung einer geschlechterhierarchischen Arbeitsteilung, wenn auch in neuer Form, hintanzuhalten.

E-Mail: almut.bachinger@gmail.com


Anmerkungen:

[1] Der Text basiert auf der Dissertation Der irreguläre Pflegearbeitsmarkt. Zum Transformationsprozess von unbezahlter in bezahlte Arbeit durch die 24-Stunden-Pflege. (2009). Mit Unterstützung der Bundesarbeiterkammer, Sieglinde Rosenberger und Ingrid Moritz,
http://inex.univie.ac.at/uploads/media/DISSERTATION_almut_bachinger.pdf

[2] Die Forderung nach Lohn für Hausarbeit geht auf die italienische Operaistin Dalla Costa zurück. Dalla Costa kritisierte die marxsche Theoretisierung der Reproduktionsarbeit als nicht produktive Arbeit. Marx zufolge ist reproduktive Arbeit keine kapitalistische Arbeit, da sie keinen Mehrwert erwirtschaftet, sondern lediglich Gebrauchswerte.

[3] In den 1980er und 1990er Jahren wurde in Europa vermehrt versucht, kommunitaristische Konzepte aus den USA auf Europa zu übertragen (vgl. z.B. Andreas Khols Bürgergesellschaft). Gerade im Zusammenhang mit sozialen Diensten, die in Österreich wie auch in Deutschland über die freien Wohlfahrtsträger organisiert sind, bieten sich kommunitaristische und Workfare-Konzepte an. In Deutschland gibt es bereits so genannte Ein-Euro-Jobs im Rahmen der sozialen Dienste, die von ArbeitslosengeldempfängerInnen angenommen werden müssen, in Belgien existieren ähnliche Projekte (Bachinger 2007, 84; Gottschall/Pfau-Effinger 2002, 8). In Deutschland wurden mit den so genannten Hartz IV Reformen durchaus Workfare-Elemente in der Sozialpolitik eingeführt. In Österreich ist das weniger der Fall, es wird eher auf Freiwilligenarbeit oder die Bürgergesellschaft rekurriert. Allerdings gibt es doch auch Umschulungsmaßnahmen von Arbeitslosen, die mit mehr oder minder großem Druck erfolgen.

[4] Frauen migrieren zunehmend selbständig, unabhängig von Familienzusammenführung. In der Europäischen Union hat die Mobilität aufgrund der Freizügigkeit (46%) den Familiennachzug (40%) als ersten Migrationszweck bereits abgelöst (OECD 2008). Doch auch schon die infolge des Familiennachzuges der Gastarbeitermigration der 1960er und 1970er Jahre zugewanderten Frauen hatten einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Sie konkurrierten mit ihren Landsmännern im verarbeitenden Gewerbe, was letztlich auch die Mobilität der inländischen Frauen in den Dienstleistungssektor begünstigte (Castro Varela 2003, 16f).

[5] Auch Hardt/Negri beschreiben zwar die Dezentralisierung und Deterritorialisierung der industriellen Produktion und der Dienstleistungen, nicht aber der affektiven Arbeit, die einfach unerwähnt bleibt (Hardt/Negri 2003, 306f).

[6] Die Lohndifferenz bzw. Rentabilität der HaushaltsarbeiterIn ist nicht unbedingt Voraussetzung für ihre Beschäftigung. Neben dem rein ökonomischen Nutzenkalkül (Opportunitätskosten) können auch andere nichtmaterielle Gründe für eine Beschäftigung einer Care- ArbeiterIn sprechen: z.B. die Mühsal oder hohe Belastung der Putzarbeit oder auch der Sorgearbeit, insbesondere in der Pflege, oder aber Prestige, Selbstverwirklichung in der Erwerbsarbeit etc.

[7] "Diese [biopolitische] Produktion beruht demnach in erster Linie auf der Arbeit, die mit der Herstellung des Lebens beschäftigt ist, was sich nicht auf die Aktivitäten zur Erzeugung von Leben bezieht, sondern gerade auf die Produktion und Reproduktion von Affekten. In dieser Hinsicht wird offensichtlich, dass die Unterscheidung zwischen Produktion und Reproduktion ebenso hinfällig geworden ist wie die zwischen Ökonomie und Kultur. Arbeit wirkt sich direkt auf die Affekte aus; sie erzeugt Subjektivität, stellt Gesellschaft her, produziert Leben. Affektive Arbeit ist in diesem Sinn ontologisch: Sie erheischt lebendige Arbeit, um eine Form des Lebens und eine Lebensform zu konstituieren, und weist damit erneut das Potenzial der biopolitischen Produktion aus." (Hardt 2002)

[8] Dem sozialistischen Ideal zufolge sollte die Hausarbeit der Hausfrau durch Rationalisierung und Vergesellschaftung abgeschafft werden.


Literatur:

Bachinger, Almut (2009): Der irreguläre Pflegearbeitsmarkt. Zum Transformationsprozess von unbezahlter in bezahlte Arbeit durch die 24-Stunden-Pflege (Dissertation 2009), http://inex.univie.ac.at/uploads/media/DISSERTATION_almut_bachinger.pdf

Bachinger, Almut (2007): Beschäftigung in der Altenpflege. Österreichische Pflegevorsorge und europäische Langzeitpflege im Vergleich, unveröffentlichte Studie für die Arbeiterkammer Wien

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Raute

Elisabeth Perchinig

Vom konstruierten "Subjekt" zur gegenderten "Marke Ich"?

Überlegungen zum Begriff der lebendigen Person

"Dass menschlicher Geist beides zugleich sein könnte, nämlich sowohl geprägt durchs Geschlecht als auch unabhängig davon, scheint logisch unmöglich. Und doch verhält es sich so." (Türcke 1991, S.7)

Obige salopp formulierte Aussage zum Thema der menschlichen Geschlechtlichkeit macht es deutlich anschaulich, welcher philosophischen Herausforderung sich der Mainstream der Genderforschung gerade nicht stellt, welche Denkfigur er partout vermeidet. Insbesondere seit der Etablierung dekonstruktivistischer Basisannahmen im akademischen Genderdiskurs, die von der umfassenden sozialen Konstruierbarkeit des Phänomens Geschlecht - nicht nur im sozialen, sondern auch sexuell leiblichen Sinn - ausgehen, plädieren vergleichsweise wenige Theoretikerinnen für die andere Seite des Paradoxons. Diese, unter den Schlagworten "Ontologie" und "Essentialismus" mehr polemisch abgewertet denn kritisch analysiert, behauptet eine komplexe Verbindung von Bewußtsein und Naturhaftigkeit, die sich nicht auf die Kategorie "Geist" rückführen bzw. reduzieren lässt, sondern ein Stück Fremdheit gegenüber dieser behauptet. Immerhin verweist E. List (2001) mit dem Begriff des "Naturlebendigen" darauf, dass der Begriff Natur auch anders zur Debatte stehen kann als in den von feministischer Seite vielfach als Herrschaftswissen kritisierten Naturwisenschaften: Sie plädiert für den Zusammenhang kognitiver Bewusstseinsbildung und organisch fundierter Lebendigkeit. Phänomenologinnen betonen gegenüber der Vorstellung des konstruierbaren Körpers, den man/frau mit inszenatorischer Freiheit zur Verfügung hat, den auch als geschlechtlichen naturhaft konstituierten Leib, der aber sehr wohl die Basis jeder Subjektivität und insofern auch des Wissens ist. Natur, Körper, Geschlecht können insofern als Hinweise darauf verstanden werden, dass dem Konstruieren eines eigenwilligen, sozial durchzusetzenden Ich Grenzen gezogen sind: menschliche Lebendigkeit als solche ist als ein Paradox von Verfügbarkeit und Nicht-Verfügbarkeit zu sehen.


Wer aber ist "lebendig"?

Genderpädagoginnen, selbst wenn sie das Wissen von der Konstruiertheit von Geschlecht für unverzichtbar halten, erfahren es in der Erziehungspraxis deutlich: "Wie sollen wir (...) Kinder als geschlechtliche Wesen erziehen? (...) Die ältere Generation muss die neue Generation in die historisch entstandenen Kulturen, auch in die Kultur der Zweigeschlechtlichkeit und in die entstehende Kultur der Geschlechterdemokratie einführen und die Kulturtechniken vermitteln, damit Kinder für die Welt, die sie vorfinden, kompetent werden. Und: Die ältere Generation muss den Kindern die Freiheit lassen, ihr Leben, auch ihr Leben als geschlechtliche Wesen, selbst, allein und gemeinsam mit Gleichaltrigen, zu entwerfen und zu gestalten." (Prengel 2000) Aus psychoanalytischer Perspektive weist Rendtorff (2000) darauf hin, dass die Anerkennung des eigenen Geschlechts ein wesentlicher Aspekt der Subjektwerdung sei: Die Tatsache des Geschlechts selbst, das eigene Körpergeschlecht wird als Hinweis darauf verstanden, dass die Andersgeschlechtlichkeit unerreichbar ist, für das Selbst trotz aller sozialen Konstruierbarkeit auch eine Schranke bildet. Dies nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Fortpflanzungsmöglichkeiten. Sich als Mädchen oder Bub zu erfassen, bedeutet für das Kleinkind nicht zuletzt, sich - im unvermeidlichen Entweder-Oder - als künftige Mutter bzw. als künftiger Vater zu erfassen. So ist die persönliche Identität eines Menschen sexuiert, geprägt durch Geschlechtlichkeit, die im Verlauf des Menschenlebens von der frühen Kindheit an in vieldimensionaler Weise entfaltet wird.

Wie aber geht dies im einzelnen vor sich? Was führt dazu, dass Kinder wie Erwachsene ihren biologisch vorgegebenen Leib als vergeschlechtlichten anerkennen, in der genannten paradoxen Weise des Verstricktseins in Abhängigkeit vom Eigengeschlecht und einem Stück Widersetzlichkeit dagegen, die an der allgemeinmenschlichen Ähnlichkeit festhält? Ich möchte an dieser Stelle als Denkanregung einen Theorieansatz einführen, in dem der schwierige Zusammenhang von Geschichtlichkeit und organischer Lebendigkeit der menschlichen Person nicht bloß nach strukturellen Gesichtspunkten, sondern in seiner Genese so differenziert verhandelt wird, wie dies m. E. in der aktuellen Genderdiskusssion (noch) keineswegs der Fall ist, nämlich Jean Piagets Theorie der kindlichen Intelligenzentwicklung, die in weiterer Folge Piagets Schüler Lawrence Kohlberg bereits zu Fragestellungen bezüglich des Erwerbs einer Geschlechtsidentität anregte. (Oesterdiekhoff 1992, 1997) Nannte Bourdieu (1997, in Dölling/Krais 1997) in seiner Analyse von Männerherrschaft bzw. seinem Habituskonzept den menschlichen Leib allgemein einen "Speicher" gesellschaftlicher Wahrnehmungen und Bewertungen, so bietet Piagets Genetischer Strukturalismus eine nach Altersphasen hochdifferenzierte Interpretation der Art und Weise, wie sich die lebendige Konstitution des menschlichen Organismus und dessen Umwelt im Verlauf der Kindheit in Interaktion befinden und so die Ordnungsschemata der Intelligenz gesetzmäßig entstehen.

Nach Piaget geraten die bereits entwickelten kognitiven Fähigkeiten zur Problemlösung immer wieder ins Ungleichgewicht mit den Anforderungen der Umwelt, um dann auf höherem Entwicklungsniveau neu organisiert zu werden. Die Entwicklung der Intelligenz vollzieht sich somit in aufeinander aufbauenden und bezüglich der entwickelten Denkstile voneinander unterscheidbaren Stadien. Körperliche Reifung und die Tendenz der Person, sich die dingliche und soziale Umwelt anzueignen, bedingen einander. Die menschliche Intelligenzentwicklung vollzieht sich gemäß dieser Stadientheorie in vier Entwicklungsstufen: Die Fähigkeiten eines Kleinkindes auf der sensomotorischen Stufe beschränken sich auf den Umgang mit konkreten, unmittelbar vorhandenen Objekten; im präoperationalen Stadium lernen Zwei- bis Vierjährige symbolische Vorstellungen zu bilden, die für Abwesendes stehen; mit den ersten Wörtern kann also auch auf nicht aktuelle Sachverhalte hingewiesen werden. Grundschulkinder lernen im Stadium des konkreten Operierens den richtigen Umgang mit konkreten Objekten. Ihr logisches Denken bleibt noch der konkreten Erfahrung verhaftet. Das Stadium der formalen Operationen fällt nach Piaget mit der beginnenden Pubertät zusammen: Jugendliche verfügen über mehrere Interpretationsmöglichkeiten einer Situation, sie können also hypothetisch denken bzw. hinter Einzelfällen die übergeordnete allgemeine Gesetzmäßigkeit erkennen. Sie werden fähig, über sich selbst bzw. eigene Gedanken und Gefühle, und das heisst, über ihre Identität nachzudenken. Diese Abfolge der Intelligenzgenese ist eine notwendige, universell gültige: Menschen brauchen einen langen Weg der Sozialisierung in die Gesellschaft, die in der Kindheit eingeübten Fähigkeiten eines geschickten Umgangs mit der konkret gegenständlichen Umwelt gehen jeglicher rationalen, philosophisch abstrahierenden Intelligenz voraus und sind Vorbedingung, um diese sich entfalten zu lassen.

Welche Art Kontroverse in Hinblick auf "blinde Flecken" der (de-) konstruktivistischen Genderdebatte tut sich damit auf? Zum einen zeigt Piagets Verständnis der kognitiven Entwicklung des Ich, dass ein menschlicher Lebenslauf nicht zu interpretieren ist als intentionales Patchwork wechselnder Selbstentwürfe. Nicht nur zeigt er, wie unvermeidlich determiniert der Fortgang kognitiven Leistungsvermögens in der frühen Kindheit ist, dass es bei Kindern nicht um ein Noch-Nicht-Wissen geht, sondern um Denkstile, die sich von denen der Erwachsenen vor allem qualitativ unterscheiden. Vor allem stellt Piaget damit auch fest, dass es im Hinblick auf die menschliche Intelligenz eine nicht zu leugnende Verbindung gibt zwischen kognitiven Fähigkeiten, der Reife des menschlichen Organismus und der nicht bloß in der Abstraktion, sondern in gegenständlicher Konkretheit erfassten Umwelt. Dies ist zum einen (gender)pädagogisch interessant:

Setzt man voraus, dass Kinder ihre Geschlechtszugehörigkeit eben nicht im Sinne selbstreflexiven "Hinterfragens" von Geschlechternormen, sondern konkret und situationsbezogen wahrnehmen, wird es auch erklärlicher, weshalb die eigene Geschlechtsrolle im kindlichen Alter tatsächlich teilweise im Sinne rigider, die Geschlechterhierarchie wahrender Stereotype angenommen wird. Zum andern aber weicht Piagets philosophisch mit Bezug auf Kant grundierte Theorie weit von (de-) konstruktivistischen Grundannahmen ab, die logisches Denken als Resultat gelungenen Spracherwerbs betrachten. Die Entwicklungspsychologie trennt erfolgreiches und logisches Handeln; schon im Stadium konkreter Operationen verhalten sich Menschen in Entsprechung zu Logik und Kausalität, ohne deren Regeln reflektieren zu können. Entfaltete Fähigkeiten abstrakt logischen Denkens - und das heißt auch eine philosophisch systematisierte Identitätslogik - werden hier als Bewusstseinstätigkeiten verstanden, die letztlich aus der Lebendigkeit des Organismus selbst stammen.

Mit Beginn der Adoleszenz entsteht die Fähigkeit, konventionelle Stereotype - eben auch die der Geschlechtszugehörigkeit - zu kritisieren, gerade logisches Denkvermögen ist damit Vorbedingung für die persönliche Emanzipation von repressiven Vorgaben. Diese Theorie, die gerade das - beiden Geschlechtern zugängliche und mögliche! - logische Denken so grundlegend als im Organischen fundierte Leibkompetenz verhandelt, für die das Abstraktionsvermögen auf den konkreten Lebensvollzug, letztlich auf die Notwendigkeit des Überlebens rückführbar ist, stellt m. E. insbesondere eine kontroversielle Herausforderung in Hinblick auf einen verpönten, aber gleichwohl Leitbegriff der dekonstruktivistischen Interpretationen von Geschlecht dar: den Begriff "Identität". Dekonstruktivistinnen verhandeln Identität als reine Repressionskategorie; dagegen steht Piagets Auffassung, gemäß der Bewusstsein immer schon eingelassen ist in organische Lebendigkeit, dass Denken in der Sensomotorik des menschliche Leibes seinen Ausgang nimmt. Setzt man dies voraus, wird der Terminus Identität mehrdeutig; eine Entwicklungslinie führt von der Fähigkeit, die Welt mit sinnlich-konkreter Gewissheit zu identifizieren, zum philosophisch fassbaren Problem der formallogischen Identität. Die binär klassifizierende Identitätslogik wird so differenzierter betrachtet, als im Vitalen gründende Fähigkeit, die zwar potentiell zum Werkzeug politischer Repression taugt, aber darum noch keineswegs schlicht auf diese rückführbar ist. Die Frage nach repressiven Auswirkungen identitätslogischen Denkens lässt sich somit dahingehend differenzieren, dass dieses Denken seines sinnlichen Bezugs wegen zwar logische Prototypen bildet, diese sich aber von den Stereotypisierungen einer Ideologie, z. B. auch der der Geschlechter, unterscheiden lassen. Dass für die Sinneswahrnehmung die Welt in gewisser Weise als geordnete erscheint, dass Lebendigkeit immer wieder auf ein Entweder-Oder stößt, ist ja noch nicht einmal ein spezifisch menschliches Phänomen: Auch Tiere verhalten sich in einer gegenständlich geordneten, Konstanten aufweisenden Umwelt, was mit der Vorstellung, Bewusstsein entfalte sich jedenfalls aus sich selbst und konstruiere "Umwelt" beliebig, nicht zu erklären wäre.

Muss es nicht das Anliegen einer frauenpolitisch interessierten Genderdebatte sein, nachzufragen, was diese Notwendigkeit, dieses Entweder-Oder, wie es in der materiellen Gegenständlichkeit der Welt bzw. der auf die Welt reagierenden Wahrnehmung immer wieder aufscheint, von den nur vermeintlich schicksalhaften Zuschreibungen einer repressiven, durch Männerherrschaft bedingten Geschlechterideologie unterscheidet? Manfred Frank (1991) weist darauf hin, dass man philosophisch differenzieren muss zwischen Reflexionsfähigkeit und der Gewissheit, die eine Person von sich selber hat: Reflexion meint Rückwendung des Bewusstseins auf sich selbst in der Spannung von Subjekt und Objekt, "ich" bin aber eine/r in einem elementaren, existentiellen Sinn, der nicht aus dieser Zweiheit gelernt wird. Diese Gewissheit, dass ich bin, meint gerade keine Identität im Sinne einer formallogischen Sich-Selbst-Gleichheit. Das elementare Seinsgefühl, durch das ich mich selbst als in einer konkret gegenständlichen Welt Existierende/r erfasse, meine konkrete Identität schliesst sehr wohl Veränderungen mit ein. Eine ontologische Auffassung des Ich als "seiend" ist daher nicht zwingend ideologisch im Sinne einer unveränderlich fixierten Bestimmung. Diese Vitalität der einzigartigen, lebendigen Person begrifflich zu fassen, ist auch geradezu Vorbedingung, um notwendige Differenzierungen zwischen persönlicher und kollektiver Identität zu reflektieren.

Lebendige Subjektivität kann so vieldimensional, mit Bezug nicht nur auf rationales Erkennen, sondern auch auf Emotion, Wahrnehmung, Gegenständlichkeit der Umwelt begriffen werden. Selbstwahrnehmung hat ihre eigene Qualität: Die lebendige Person erfasst sich als Zentrum, als etwas qualitativ anderes als die Objekte der Umwelt; es ist nicht möglich, quasi aus sich selbst herauszutretetn und über das eigenleibliche Selbst ganz und gar "objektiv" zu befinden und zu verfügen. Subjektwerdung ist außerdem an die persönliche Lebenszeit gebunden, ein Selbstentwurf hängt auch von der Vergangenheit ab, die irreversibel ist, kann auch deshalb niemals etwas total "Neues" sein. Jedem Selbstentwurf, auch dem geschlechtlich konnotierten, sind insofern vitale Grenzen gesetzt, die Autonomie der Person ist als relative zu begreifen. Nun ist es gar keine Frage, dass das Vertrauen in die "(De-)Konstruktion" im Sinn eines grenzenlos flexiblen, vermeintlich immer neu beginnenden Selbst neoliberalen Marktmechanismen entgegenkommt: Längst werden berufliche Möglichkeiten und Weiterbildungsmaßnahmen als Arbeit am eigenen "Selbst" verstanden, die Persönlichkeit als Konsumgut wie jede andere Ware. Menschen werden gewissermaßen zu UnternehmerInnen des Ich, dieses muss quasi als Produkt des Self-Marketing vorzeigbar sein und im Wettbewerb mit anderen bestehen können. In der Arbeitswelt ist es geradezu üblich geworden, das "Ich" als zum Verkauf bestmöglich zurechtzuschleifende Marke darzustellen - "Genderkompetenz" ist nur ein durchaus kompatibler Teil davon. Damit aber ist die als totale interpretierte Flexibilität dieses Ich unabdingbar. Mit der Notwendigkeit, sich dieser Situation immer neu anzupassen, wird der biographische Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart bzw. das Gespür für die Kontinuität im Veränderlichen des eigenen Lebens zerrissen. Menschliche Bindungen an FreundInnen und Familie erscheinen so als Hindernisse für die mittlerweile regelrecht geforderte Selbstentfaltung; andererseits wird die vereinzelte, zu permanenter Selbstbefragung und -interpretation angehaltene Person damit zunehmend unfähig, in ihrem Lebenszusammenhang befriedigenden Sinn zu entdecken. Dass Wirklichkeit immer nur unter Preisgabe des scheinbar unerschöpflichen Möglichen zu haben ist, gerät dabei aus dem Blick. Zwar bekämpfte die Frauenbewegung der 70er Jahre mit Recht die Stereotypisierungen der Geschlechterrollen, insbesondere die einseitige Festlegung der weiblichen Rolle auf deren kollektive bzw. schicksalhafte Züge. Braucht es aber nicht gerade einen Bezug auf die begrenzte, in der Spannung von "privat" und "politisch" erfahrene menschliche Lebendigkeit, um dem Zwang zur Gestaltung der "Marke Ich" Widerstand zu leisten?

E-Mail: elisabeth.perchinig@gmx.at


Literatur

Türcke, Christoph, Sexus und Geist. Philosophie im Geschlechterkampf, Frankfurt a. Main, 1991

List, Elisabeth, Grenzen der Verfügbarkeit. Die Technik, das Subjekt und das Lebendige, Wien 2001

Stoller, Silvia/Vetter, Helmuth (Hg.), Phänomenologie und Geschlechterdifferenz, Wien 1997

Prengel, Annedore, Perspektivitätstheoretische Fragen an die (De-) Konstruktionsdebatte, in: Lemmermöhle, Doris/Fischer, Dietlind (u. a. Hg.), Lesarten des Geschlechts. Zur (De-) Konstruktionsdebatte in der erziehungswissenschaftlichen Geschlechterforschung, Opladen 2000, S. 86-95

Rendtorff, Barbara, Geschlecht und Subjekt, in: Lemmermöhle/Fischer 2000, s. o., S. 45-60

Oesterdiekhoff, Georg W., Kulturelle Bedingungen kognitiver Entwicklung. Der strukturgenetische Ansatz in der Soziologie, Frankfurt a. Main 1997. Ders., Traditionales Denken und Modernisierung. Jean Piaget und die Theorie der sozialen Evolution, Opladen 1992

Bourdieu, Pierre, Die männliche Herrschaft, in: Dölling, Irene/Krais, Beate (Hg.), Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktionen in der sozialen Praxis, Frankfurt a. Main 1997, S. 153-217

Frank, Manfred, Selbstbewusstsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analytischen Philosophie der Subjektivität, Stuttgart 1991

Raute

Johann-Friedrich Anders

Wie Marx nicht gelesen werden sollte

Zur Kritik der neuen Marx-Lektüre

1) Der Anspruch der neuen Marx-Lektüre

Seit Mitte der 1960er Jahre gibt es eine "Marx-Lektürebewegung", wie Ingo Elbe, einer ihrer Historiker, formuliert (Elbe, S. 8)[1]. Diese neue Marx-Lektüre versteht sich als Kritik am bisherigen Marxismus, als "Bruch" (Elbe, S. 13) mit der bisherigen, "traditionellen" marxistischen Theoriebildung, als die "Entstehung eines neuen Typus und einer neuen Phase marxistischer Theoriebildung" (Elbe, S. 13). Sie arbeitet an der "detaillierten Erforschung und Erschließung der Marxschen Ökonomiekritik" (Hoff, S. 91). Ihr Ziel ist ein "adäquates Gegenstands- und Methodenverständnis der Marxschen Ökonomiekritik sowie ihrer staats- und revolutionstheoretischen Implikationen" (Elbe, S. 8). Sie erhebt den Anspruch, "seit Ende der 1960er Jahre sukzessive darüber aufgeklärt (zu haben), dass das Hauptwerk des sog. 'wissenschaftlichen Sozialismus' seinen Kritikern wie seinen Anhängern lange Zeit ein Buch mit sieben Siegeln geblieben ist." (Elbe, S. 283) So hätten z.B. "Engels und Lenin, ... in gravierenden Punkten das Kapital und somit die 'Methode des wissenschaftlichen Sozialismus' falsch verstanden" (Backhaus, zitiert nach Elbe, S. 91/2).

Der "traditionelle(...) Marxismus" (Elbe, S. 115) - so kritisiert die neue Marx-Lektüre erstens - sei eigentlich (und das ist negativ gemeint) ein "Engelsismus" (Elbe, S. 14): "Der Marxismus ist in mehrerlei Hinsicht Engels' Werk und von daher eigentlich ein Engelsismus... eine ideologisierte und restringierte Marx-Rezeption" (Elbe, S. 14), er sei "das Gerücht über die Marxsche Theorie" (Elbe, S. 24). Zweitens habe das bisherige durchgehende Miss-Verstehen des Marxschen Werks und seiner Intentionen bedeutsame negative praktische politische Folgen gehabt. Dagegen ermögliche drittens das richtige Verstehen - das durch die neue Marx-Lektüre ermöglichte Verstehen - eine emanzipatorische Praxis. Ungeachtet des "extrem hohen Abstraktionsniveau(s)" (Elbe, S. 10), auf dem die neue Marx-Lektüre-Forschung stattfinde, ermögliche sie es, "unter den erneut auftretenden Antikapitalismen verlässlicher zwischen illusionären und realitätstüchtigen, sowie zwischen repressiven und emanzipativen (zu) unterscheiden" (Hoff, Stützle, Wolf, zitiert nach Elbe, S. 10). Die neue Marx-Lektüre hält ihre "neue Deutung des Marxschen Werks" (Elbe, S. 599) für "innovativ und in der marxistischen Tradition einzigartig". Gleichwohl gibt sie sich bescheiden: ihre Interpretationen seien - so Ingo Elbe - nur ein "Deutungsangebot" (Elbe, S. 587).


2) Die neue Marx-Lektüre - ein "Deutungsangebot"?

Ein "Deutungsangebot", wie Ingo Elbe formulierte, ist die neue Marx-Lektüre nun keineswegs. Ein Deutungsangebot könnte man ohne Schaden ablehnen: Nein danke, ist mir keine Hilfe. Wer jedoch die neue Marx-Lesart ablehnt, der hat Marx offenbar nicht nur nicht verstanden; der ist - so Ingo Elbe - mit "Blindheit" (Elbe, S. 587) geschlagen, ist voller "Ignoranz" (369), "Ratlosigkeit" (283) und "Hilflosigkeit" (587).


3) Größere Klarheit?

Die neue Marx-Lektüre behauptet, Marx sei gelegentlich unklar - zugestanden. Aber wer das kritisiert, sollte der nicht selber klarer sein? Die neue Marx-Lektüre ist aber oft keineswegs klarer. Ich beschränke mich auf ein typisches Beispiel: Einem Marx-Interpreten, der für die Marxsche Methode eine "Einheit des Logischen und des Historischen" (Elbe, S. 42/3) behauptet, wird von Ingo Elbe vorgeworfen: "Dabei wird umstandslos die Historizität des Gegenstands des Kapital und der Kategorien, die ihn erfassen, mit dem Gegenstand der Untersuchung als historischem Prozess konfundiert." (43, Kursivierungen von Ingo Elbe) Eine tiefsinnig klingende Kritik. Nur was besagt sie? Wer oder was wird da "konfundiert", also - auf Deutsch gesagt - zusammengeworfen statt auseinandergehalten? Offenbar gibt es drei Gegenstände historischer Natur, die laut Ingo Elbe auseinander zu halten seien: erstens den historischen Gegenstand des Buches "Das Kapital", zweitens die Kategorien, die diesen historischen Gegenstand erfassen, und schließlich drittens den historischen Gegenstand der Untersuchung des Buches "Das Kapital": das Kapital (bzw. der Kapitalismus). Nur: Was ist der erste Gegenstand, der Gegenstand des Buches "Das Kapital" - wenn nicht der angeblich dritte Gegenstand: nämlich das Kapital (bzw. der Kapitalismus)? Was verlangt Ingo Elbes "Konfundierungsverbot": Was darf man ihm zufolge nicht und was muss man stattdessen tun? Und aus welchen Gründen: für welchen Zweck ist dieses "Konfundierungsverbot" angebracht bzw. erforderlich? Ich breche den Interpretationsversuch hier ab - wegen Vergeblichkeit.

Ersichtlich klingen derartig formulierte Texte, die es vor allem bei Ingo Elbe öfter gibt, tiefsinnig; es scheint um Wichtiges, um Grundlegendes zu gehen. Aber Verstehensversuche sind weitgehend zum Scheitern verurteilt. In wissenschaftlichen Arbeiten haben solche Sätze, scheint mir, nichts zu suchen - es sei denn, man verfolgte mit ihnen die von Michel Foucault gegenüber dem Philosophen-Kollegen John Searle ausgeplauderte Taktik, der ihn gefragt hatte: "Michel, im Gespräch drücken Sie sich so verständlich aus, warum ist Ihr geschriebenes Werk so undurchsichtig?" Worauf Foucault geantwortet haben soll: "Das liegt daran, dass man, wenn man von den französischen Philosophen ernst genommen werden will, zu fünfundzwanzig Prozent unzugänglichen Unsinn schreiben muß." Daniel C. Dennett, der dieses Gespräch mitteilt, erklärt im Anschluss daran: "Ich habe zu Ehren von Foucaults Offenherzigkeit einen Begriff für diese Taktik geprägt: Eumerdifikation." (Daniel C. Dennett: Den Bann brechen: Religion als natürliches Phänomen, Ffm 2008, S. 492/3)


4) Kritik der Ziele der neuen Marx-Lektüre. Die seltsame Beschränkung der neuen Marx-Lektüre auf Interpretationsarbeit

Die neue Marx-Lektüre ist seltsam beschränkt: Sie interpretiert nur Texte (meist von Marx) und sucht deren Sinn. Es gibt bei der neuen Marx-Lektüre keinerlei Eingehen auf Wirklichkeit. Sie haben immer nur Marx-Texte, nie die Sache selbst, den zu überwindenden Kapitalismus, vor Augen. Ein Beispiel: Zwar verspricht Jan Hoff (S. 286) in einem Kapitel seines Buchs "Einblick in die an Marx orientierte südkoreanische Krisendiskussion nach der Asienkrise von 1997". Doch die Überschrift täuscht: Die "Asienkrise von 1997" ist bei Jan Hoff eine bloße Zeitangabe, die reale Asienkrise kommt tatsächlich mit keinem Wort vor, weder bei den von Hoff referierten Marx-ForscherInnen (z.B. dem südkoreanischen Krisentheoretiker Lee Jun Kim: "Krise der Theorie und Theorie der Krise", Ffm 1998) noch bei Jan Hoff selber: "Während und nach der Asienkrise von 1997 beschäftigten sich an Marx orientierte südkoreanische Wissenschaftler mit dem Zusammenhang von Geld-, Kredit- und Krisentheorie." (Hoff, S. 294; Kursivierung nicht im Original), wobei dieses Absehen von der Realität von Jan Hoff nicht als Mangel gesehen wird.

Die neue Marx-Lektüre rechtfertigt ihre Beschränkung auf bloße Interpretationsarbeit folgendermaßen: Erst müsse "das Wesen des Kapitals" (Elbe, S. 71) begriffen sein; vorher könne man es nicht empirisch untersuchen, ja nicht einmal als solches identifizieren (71). Zugestanden: Ich muss eine Vorstellung - einen (Vor-)Begriff - vom Kapital/Kapitalismus und seinem Wesen haben, um das Kapital/den Kapitalismus in der Wirklichkeit identifizieren und untersuchen zu können. Das kann doch aber nicht heißen, dass man immer nur, inzwischen mehr als 40 Jahre lang Interpretationen Marxscher Begriffe vorzunehmen hätte.


Vorgehen und Ziel Marx-gerecht?

Das Ziel, Marx' Texten interpretatorisch gerecht zu werden, ist sicher ein sinnvolles Ziel. Sich in die Marxsche Begriffswelt interpretierend zu vertiefen, ist sicher gut und schön, nur muss man doch irgendwann mal wieder auftauchen und einen in der "Tiefe" gefundenen Schatz ans Tageslicht mitbringen und "oben" nutzbringend verwenden (wie auch die neue Marx-Lektüre selbst es als Ziel formuliert hat). Das zentrale Ziel für Marx-ForscherInnen, dem sie gerecht werden müssten, heißt: Wie lässt sich die gegenwärtige "ganze alte Scheiße" (Marx, MEW 3, S. 35) und der dafür wesentlich verantwortliche Kapitalismus baldmöglichst mit den geringstmöglichen Kosten überwinden? Und dies Problem verlangt kaum primär und schon gar nicht ausschließlich eine immer "tiefere" Durchdringung von Marx-Texten, sondern die Erarbeitung von "adäquateren", d.h. weniger stümperhaften, weniger erfolglosen Theorien, die bei der emanzipatorischen Weltveränderung helfen.


Bloße Philologie - ein Irrweg

Bloße Philologie von Marx-Texten ist für dieses Ziel unzureichend, sofern sie nur immer weiter zu differenzieren versucht, nur immer weiter ausholt und nur immer "tiefer" zu dringen versucht. Wer den Marxschen Intentionen gerecht werden will, muss der nicht die marx(isti)schen Begriffe, so wie sie vorliegen und für wie klar oder unklar man sie immer halten mag, baldmöglichst versuchsweise zur Erklärung der schlechten Wirklichkeit benutzen? Um dann gegebenenfalls zu erfahren, dass und wie die Begriffe klarer bestimmt werden müssen, damit sie geeignet sind, die schlechte Wirklichkeit grundlegend zu verändern? Aber ohne jeden Anwendungsversuch - wie sollte man so je zu adäquaten Begriffen kommen können?


5) Zur Kritik der neuen Marx-Lektüre an der logisch-historischen Methode

In seiner Rezension von Marx' "Zur Kritik der politischen Ökonomie" von 1859 schrieb Engels über die Methode der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie: "Die logische Behandlungsweise war ... allein am Platz. Diese aber ist in der Tat nichts andres als die historische, nur entkleidet der historischen Form und der historischen Zufälligkeiten. Womit diese Geschichte anfängt, damit muß der Gedankengang ebenfalls anfangen, und sein weiterer Fortgang wird nichts sein als das Spiegelbild, in abstrakter und theoretisch konsequenter Form, des historischen Verlaufs; ein korrigiertes Spiegelbild, aber korrigiert nach Gesetzen, die der wirkliche geschichtliche Verlauf selbst an die Hand gibt..." (MEW 13, S. 475). Hans-Georg Backhaus kritisiert diese "Engelssche 'Dialektik' von Logischem und Historischem als ein vulgärmarxistisches Missverständnis'" (Elbe, S. 72). Der "wirkliche historische Charakter der Marxschen Wissenschaft" werde mit dieser logisch-historischen Methode verfehlt, so Ulrich Müller, ein weiterer neue Marx-Lektüre - Forscher. Sie sei eine "Fehldeutung" (zitiert von Elbe, S. 117).

Die Interpretation, die diesen harten Vorwurf begründen soll, ist folgende: "Marx beabsichtige keineswegs die Nachzeichnung des historisch-empirischen Werdens" des realen Kapitalismus, "sondern vielmehr die begriffliche 'Entfaltung'" des Wesens des Kapitals bzw. des Kapitalismus (Elbe, S. 43). Die "logisch-systematische Methode" (Elbe, S. 88) der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie sei eine "Wesensanalyse des Kapitals, die mittels begrifflicher Abstraktionen vollzogen werde". (43) Marx vertrete - so die neue Marx-Lektüre - eine logische Methode, während Engels (und ihm folgend: der Marxismus) eine historische Methode vertrete. Es bestehe eine Unvereinbarkeit zwischen den beiden Methoden. Und die Engels'sche marxistische Methode sei sachlich unhaltbar.

Das Problem mit diesen neue Marx-Lektüre-Behauptungen ist: Wie Hans-Georg Backhaus schließlich einsehen musste, ist Marx nicht der konsequente Verfechter ausschließlich der logischen Methode. Es gibt methodische historische Ansätze auch bei Marx - weshalb die neue Marx-Lektüre auch Kritik an Marx übt: Es sei bei Marx "ein schleichender Prozeß der Historisierung des Logischen" festzustellen, den Hans-Georg Backhaus kritisiert. Es seien "verfälschende Historisierungen" von Marx vorgenommen worden. "Die Entwicklung von Zur Kritik bis zur Zweitauflage des Kapital sei... 'als Fehlentwicklung zu kritisieren und zu korrigieren'" (Elbe, S. 190). Wie Hans-Georg Backhaus schließlich auch noch einsehen musste, ist Engels nicht der konsequente Vertreter ausschließlich der historischen Methode; es gibt methodische logische Ansätze auch bei Engels. So findet Hans-Georg Backhaus "antihistorizistische methodologische Reflexionen zur Marxschen Kritik aus der Feder von Engels" (Elbe, S. 192/3), z.B. in seiner Rezension der Erstauflage des "Kapital". So muss Hans-Georg Backhaus schließlich sprechen "von einer 'Pattsituation' der sich widersprechenden logischen und historischen Methodenansätze im Marxschen Werk selbst" (Elbe, S. 190). Damit wird die "neue Marx-Lektüre"-Behauptung vom Methodengegensatz zwischen Marx und Engels zumindest fraglich.

Es bleibt die zweite Behauptung: die der logischen Unvereinbarkeit beider Methoden. Marx selber (und Engels) sehen anscheinend keinen Gegensatz, keine logische Unvereinbarkeit, sondern eine Zusammengehörigkeit, ein notwendiges gegenseitiges sich Ergänzen zwischen logischer und historischer Methode. Erforderlich wäre deshalb offenkundig, zu prüfen, ob Marx (und Engels) Recht haben oder nicht. Eine solche Prüfung nimmt die neue Marx-Lektüre aber nicht vor. Sie setzt ungeprüft als selbstverständlich voraus, dass zwischen logischer und historischer Methode ein Gegensatz, eine Unvereinbarkeit, besteht. Und diese ihre Voraussetzung zieht die neue Marx-Lektüre zu keinem Zeitpunkt in Zweifel. Doch möglicherweise liegt ja nur ein scheinbarer, ein bloß sprachlicher Unterschied vor. Bekanntlich sind: "Ein Glas ist halbvoll" und: "Ein Glas ist halbleer" zwei sprachlich ganz unterschiedliche Sätze. Doch wie jeder weiß, liegt in der Sache überhaupt kein Unterschied vor. Und nicht immer wo ein sachlicher Unterschied vorliegt, liegt damit eine sachliche Unvereinbarkeit vor. "Marx war Zigarrenraucher" und: "Marx war Emigrant" sind zwei sprachlich ganz unterschiedliche Sätze. Aber keineswegs zwei sachlich unvereinbare Aussagen. Dafür dass es sich nicht wirklich um zwei unterschiedliche Methoden handelt, spricht die folgende Überlegung: Wenn die logisch-systematische Methode "Wesensanalyse des Kapitals" ist, "die mittels begrifflicher Abstraktionen vollzogen werde" (Elbe, S. 43) - wie die neue Marx-Lektüre behauptet -, dann bleibt die Frage offen: An welchem Material sollen diese "begrifflichen Abstraktionen vollzogen" (Elbe, S. 43) werden? Doch wohl an historischem Material. Wo liegt dann der behauptete wesentliche Unterschied zwischen den beiden Methoden?

Aber selbst wenn es denn zwei unterschiedliche Methoden sein sollten: Warum das Bestehen der neuen Marx-Lektüre auf einem Methoden-Monismus? Welchen Unterschied macht die Wahl des einen oder des anderen methodischen Ansatzes für den Umgang mit der Wirklichkeit aus? Warum sollte nur die "logisch-systematische" Methode zulässig sein? Die neue Marx-Lektüre zeigt nicht, dass die logisch-systematische Methode zu anderen, und insbesondere weiterführenden, besser für die Anwendung tauglichen Ergebnissen führt als die von ihr kritisierte logisch-historische Methode. Und sie zeigt nicht, dass die Ergebnisse, zu denen man mit der logisch-historischen Methode kommt, unhaltbar sind.


Der Gegenstand des "Kapital" laut "logisch-systematischer" Methode

Gegenstand des "Kapital" sind - so Ingo Elbe - "die wesentlichen Bestimmungen des Kapitalismus, das, was bei aller historischen Veränderung gleich bleiben muss, damit wir überhaupt von 'Kapitalismus' sprechen können" (Elbe, S. 89). "Marx' gehe es im Kapital ... nicht darum, einen inneren, gesetzmäßigen Zusammenhang der geschichtlichen Entwicklung aufzufinden, wie Engels behaupte, sondern um die Gesetze, 'die wesentliche Struktur', des Kapitalismus." (Elbe, S. 103) Eine ziemlich unklare und zweifelhafte Alternative: der "innere, gesetzmäßige Zusammenhang der geschichtlichen Entwicklung" - ein Gegensatz zu "den Gesetzen des Kapitalismus", zu seiner "wesentlichen Struktur"? Und eine merkwürdige Sicht der Dinge: Gibt es in Marx' "Kapital" nicht mehrfach unzweifelhaft historische Darlegungen, z.B. zum Kampf der Arbeiterklasse um die Arbeitszeitverkürzung, z.B. über die ursprüngliche Akkumulation? Und die sollen alle nicht wesentlich zum "Kapital" dazugehören? Besteht für die neue Marx-Lektüre das "Kapital" im Wesentlichen nur aus den ersten drei oder vier Kapiteln, und nicht aus den 25 Kapiteln, aus denen es tatsächlich besteht?


6) Kritik von Ergebnissen der neuen Marx-Lektüre. Ergebnisse? Die Forschungs-Bemühungen der neuen Marx-Lektüre bleiben weitgehend ergebnislos

Ergebnisse der Forschungen der neuen Marx-Lektüre zu kritisieren, ist kaum möglich, denn es gibt nach inzwischen gut 40 Jahren Forschung durch Dutzende von Marx-ForscherInnen kaum Ergebnisse; und nur selten besteht unter den AnhängerInnen der neuen Marx-Lektüre Einigkeit über gesicherte Ergebnisse. Ich gebe vier Beispiele.


Beispiel 1: die Erforschung des "6-Bücher-Plans" von Marx

Bekanntlich wollte Marx sein Werk in 6 Büchern darstellen: "Die ganze Scheiße soll zerfallen in 6 Bücher: 1. Vom Kapital. 2. Grundeigentum. 3. Lohnarbeit. 4. Staat. 5. Internationaler Handel. 6. Weltmarkt." (Brief an Engels vom 2.4.1858, MEW 29, S. 312) Jan Hoff: "Es stellt sich die Frage nach dem Schicksal des 6-Bücher-Planes in der Entwicklungsgeschichte der Marxschen Ökonomiekritik. Wurde die ursprüngliche Marxsche Aufbauplan-Konzeption beibehalten, wurde sie Veränderungen unterworfen, wurde sie schließlich aufgegeben? Um derartige Fragen dreht sich seit Jahrzehnten (Kursivierung von mir hinzugefügt) ein großer Teil der internationalen Forschung zum Kapital." (Hoff, S. 254) Und die Ergebnisse dieser "umfassenden Forschungen" (Hoff, S. 295)? Umfangreich geforscht wurde zu diesem Problem z.B. an der Universität Halle. Jan Hoff zum "Hallenser '6-Bücher-Rekonstruktionsprojekt'" (Hoff, S. 295): "Zwar gelang die geplante umfassende Rekonstruktion des unvollendeten Marxschen Hauptwerks nicht, doch wurden zu allen relevanten Struktureinheiten dieses Werks Einzeluntersuchungen in Gestalt von Dissertationen sowie von Artikeln in der von der Sektion Marxismus-Leninismus an der Martin-Luther-Universität herausgegebenen Reihe Arbeitsblätter zur Marx-Engels-Forschung vorgelegt." (Hoff, S. 261) Nicht nur deutsche ForscherInnen befassten sich mit dem "6-Bücher-Plan". Wie Jan Hoff (S. 257) informiert, ist "die Problematik des Marxschen 6-Bücher-Plans in den 80er Jahren auch in der angelsächsischen Welt thematisiert worden, namentlich in Allen Oakleys für den englischen Sprachraum bahnbrechender Studie zur Entstehungsgeschichte der Marxschen Ökonomiekritik." Jan Hoffs "bahnbrechend" klingt vielversprechend. Doch das "Bahnbrechende" besteht (so die unmittelbar anschließenden Sätze von Jan Hoff) nur in Folgendem: "In dieser Studie wird den Marxschen Aufbauplänen viel Aufmerksamkeit gewidmet. Oakley hebt hervor, dass Das Kapital im Kontext seiner Quellen und seiner Werkgeschichte interpretiert werden müsse." (Hoff, S. 257) Wie Jan Hoff zusammenfassend schreibt, "ist es bislang nicht gelungen, einen wissenschaftlichen Konsens hinsichtlich der Problematik '6-Bücher-Plan' ... innerhalb der Marxschen Theorieentwicklung herauszubilden." (Hoff, S. 275/6) Er liegt, so Jan Hoff, "nach wie vor in weiter Ferne." (Hoff, S. 254)


Beispiel 2: das Konzept einer "logisch-systematischen Darstellung"

Ingo Elbe schreibt (S. 124, Kursivierung von mir) über das Konzept einer logisch-systematischen Darstellung, eines der zentralen Themen dieses Forschungsprogramms der neuen Marx-Lektüre: "... innerhalb der neuen Marx-Lektüre wird das Konzept einer logisch-systematischen Darstellung seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre durchaus kontrovers diskutiert. ... Sämtliche dieser Ansätze bemühen sich ... um eine Klärung des von Marx postulierten dialektischen Charakters der Darstellung und eine Beantwortung der Frage, in welcher Hinsicht diese mit gängigen wissenschaftstheoretischen Erklärungsmodellen kompatibel ist." Es ist, denke ich, nicht erforderlich, das von mir Kursivierte: "seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre durchaus kontrovers diskutiert" und "bemühen sich" in Klartext zu übersetzen.


Beispiel 3: eine "Krisen-Diskussion"

1975 erschien als Kollektivarbeit ein 2-bändiges Werk "Krise und Kapitalismus bei Marx" (Veit-Michael Bader und andere: Krise und Kapitalismus bei Marx. 2 Bde. Ffm 1975, 486 Seiten). Die Autoren schreiben gegen Ende ihrer Arbeit (S. 469): "Die Beweislast, die wir mit der vorliegenden Untersuchung auf uns genommen haben, war keine rein philologische; die schlüssige Auslegung der Marxschen Texte war nur das Mittel, nicht das Ziel der Untersuchung. Der Rückgang auf Marx sollte dazu dienen, den 'Grund der Krise' oder die 'Grundlage der Überproduktion' offenzulegen." Und die Ergebnisse nach fast 500 eng bedruckten Seiten?: "Die von uns an Hand der Marxschen Texte durchgeführte Entwicklung eines ökonomischen Krisenbegriffs hat noch nicht den Punkt erreicht, an dem sich ein Bezugsrahmen für empirische Untersuchungen formulieren ließe." (S. 470) Also: Nur begriffliche Vorarbeiten, die nach fast 500 Seiten keineswegs als im Wesentlichen abgeschlossen angesehen werden können, dass die Forscher in absehbarer Zeit an die marxistische Analyse der realen kapitalistischen Krisen herangehen könnten. Ein Ende der für erforderlich gehaltenen Vorarbeiten ist nicht absehbar. Anscheinend handelt es sich um eine praktisch unendliche Aufgabe, die auch von keinem der neun Autoren der Studie in der Folgezeit - soweit ich sehe - weiter oder gar zu Ende geführt wurde. Das gilt nicht nur für diese Studie; das zeigt (ungewollt) auch Ingo Elbes Studie. Im Ökonomie-Teil, dem längsten seiner Arbeit, gibt es keinerlei ökonomische Aussagen, immer nur Begriffsbestimmungen, nie Anwendungen dieser Begriffe. Alles nur "Meta-Theorie". Die neue Marx-Lektüre-ForscherInnen kommen nie zur Sache: zur kapitalistischen Wirklichkeit. Sollte es wirklich so sein, dass das Ziel der neuen Marx-Lektüre erst am Sankt-Nimmerleins-Tag erreicht werden kann? Läuft da vielleicht etwas schief? Ist das Forschungsprogramm neue Marx-Lektüre vielleicht kein sinnvolles Forschungsprogramm?


Beispiel 4: die "Wertform-Analyse"

Ein weiteres zentrales Thema, das zentrale Thema der neuen Marx-Lektüre, ist die "Wertformanalyse" (bei Ingo Elbe nimmt die Darstellung dieser Diskussion fast 300 von insgesamt 600 Seiten ein). Was ist mit "Wertformanalyse" gemeint? Marx schreibt im "Kapital" (MEW 23, S. 95): "Die politische Ökonomie hat ..., wenn auch unvollkommen, Wert und Wertgröße analysiert und den in diesen Formen versteckten Inhalt entdeckt. Sie hat niemals auch nur die Frage gestellt, warum dieser Inhalt jene Form annimmt, warum sich also die Arbeit im Wert und das Maß der Arbeit durch ihre Zeitdauer in der Wertgröße des Arbeitsprodukts darstellt?" Wofür ist die Antwort auf diese Frage wichtig? Die Unterscheidung zwischen Wertinhalt und Wertform macht es Marx möglich, zu zeigen, dass Waren, Geld und Kapital nicht bloß ökonomische Dinge sind, die in einer bestimmten sachlichen Beziehung zueinander stehen, sondern dass diese Sach-Beziehungen nur vordergründig, nur scheinbar Beziehungen zwischen ökonomischen Sachen, dass sie tatsächlich ein gesellschaftliches Verhältnis, Beziehungen zwischen Menschen sind: Ausbeutungsverhältnisse. Marx dachte, diese Verschleierung der Ausbeutungsverhältnisse zwischen Menschen zu Beziehungen zwischen Sachen - ihre "Fetischisierung" - sei bei der Ware als einer einfachen Wertform "noch relativ leicht zu durchschauen" (MEW 23, S. 97).

Dagegen ist für die neue Marx-Lektüre schon diese für Marx "noch relativ einfach zu durchschauende" Wertform ein Rätsel. Und im Laufe ihrer jahrzehntelangen Klärungsbemühungen kommen die neue Marx-Lektüre-ForscherInnen entweder zu dem Schluss, das Problem der Wertform sei für Marx unlösbar, oder sie interpretieren die verschiedenen Ausführungen von Marx zur Wertform ausführlich als stimmig - allerdings ohne Klarheit zu schaffen (dazu gleich zwei Belege). Das liegt möglicherweise nicht nur an der Sprache, in der die neue Marx-Lektüre-ForscherInnen interpretieren, sondern auch an einem befremdlichen Charakteristikum der "neuen Marx-Lektüre": Für sie gibt es nur Marxsche Ökonomiekritik, aber keinerlei sozialökonomische Theorie bei Marx; dass es eine Marxsche sozialökonomische Theorie gebe, das sei unzutreffend, das sei bloß die "herkömmliche(...) Lesart des Marxschen Textes als positive sozialökonomische Theorie" - so z.B. Diethard Behrens (in: Gesellschaft und Erkenntnis. Freiburg 1993, S. 11); das sei aber nicht "die Perspektive des kritischen Marxismus" (Behrens, S.11). Marx habe aus seiner Ökonomiekritik keine alternative sozialistische ("marxistische") politische Ökonomie entwickelt; was er entwickelt habe, sei die Kritik an den ökonomischen Theorien, die dem Warenfetischismus erlegen sind, und diese Kritik sei zugleich die Erklärung, warum die sozialökonomischen Theorien die Wirklichkeit missverstehen. Als ob es nicht sinnvoll wäre, über die Kritik hinaus auch eine sozialistische ("marxistische") ökonomische Theorie der kapitalistischen Produktionsweise vorzulegen. Und als ob Marx nicht genau das getan hätte - mit seinen vielen ökonomiekritischen Schriften, die nicht nur Kritik der zu seiner Zeit vorliegenden ökonomischen Theorien, sondern auch eine Theorie des Kapitalismus sind. Lässt man aber, wie es die neue Marx-Lektüre praktiziert, die marx(isti)sche ökonomische Theorie außen vor, dann wird deren Grundlegung - die Anfangskapitel des "Kapital" -, als allein für sich stehendes Fundament, zunehmend unverständlich. Je "tiefer" die Interpretationen der neuen Marx-Lektüre da einzudringen versuchen, desto mehr nimmt die Verrätselung der einführenden grundlegenden Ausführungen von Marx im "Kapital" zu.

Hier nun die zwei Belege. Zuerst ein ungekürztes längeres Ingo-Elbe-Zitat, ein Referat eines Stücks der Wertformanalyse-Debatte der neuen Marx-Lektüre, das sprachlich keineswegs aus dem Rahmen fällt: "Zwar herrscht nach Backhaus 'keine Klarheit darüber', was begriffliche oder dialektische Ableitung des Geldes bedeutet. Weder der Status nichtempirischer Gesetze als 'Wesensgesetze' noch das Verhältnis von Forschungs- und Darstellungsweise gelten ihm als geklärt. Deutlich sei aber, dass Marx eine 'Wesendefinition' des Geldes angestrebt habe, die als rein logische Begriffsentfaltung jenseits der Beschreibung historischer Abläufe konzipiert sei. Was dies bedeuten könne, wird von Backhaus nur im Anmerkungsapparat, im Anschluss an Klaus Hartmanns Ausführungen zur 'transzendentalen' Problematik der Marxschen Werttheorie, angedeutet. Hartmann hält Marx' Werttheorie deshalb für transzendental, weil sie ihre Kategorien nicht sämtlich 'auf derselben Seinsebene' ansiedle, sondern als 'Rekonstruktion der Ökonomie (...) aus (...) Prinzipien (...) einen Bereich von Phänomenen' erschließe. Hartmann geht offen gegen Engels' historische Lesart der Werttheorie vor: 'Die Engelssche Auffassung ist ein vulgärmarxistisches, historisch-vorstellendes Mißverständnis'. Er verbleibt aber, wie Backhaus zeigt, paradoxerweise auf derselben 'vorstellenden' Ebene eines prämonetären Gegenstandsverständnisses, da er die Ware des Anfangs als 'anschaulichen, unmittelbaren Gegenstand missversteh(t)', dem eine Kennzeichnung der Wertformanalyse als Schilderung 'historisch frühe(r) Stadien der Ökonomie' entspreche. Was Hartmann aber Backhaus zufolge zeigt, ist, dass eine realistisch verstandene prämonetäre Ware nicht fortbestimmbar ist, weil sie keine notwendigen Mängel aufweist und nur im Medium der 'Vorstellung' mittels empirisch aufgenommener Kategorien erweiterbar ist. Wird die Ware an sich zum isoliert existierenden Ding reifiziert, so lässt sich mithin eine immanente Entwicklung nicht mehr ausmachen und die Abfolge der Kategorien nur noch didaktisch rechtfertigen. Wert als von Hartmann sogenanntes 'Prinzip', das ein 'transzendentales' nacheinander 'seinsmäßig simultane(r)' Kategorien anzeigt, ist so nicht mehr zu rechtfertigen." (Elbe, S. 188/9) usw. usf.

Und ich hatte immer gedacht, es gebe einen WissenschaftlerInnen-Imperativ, der besagt: Schreibe möglichst klar! Aber so unklar, wie Ingo Elbe referiert, verläuft die ganze Diskussion. Und jetzt das Ergebnis der gesamten Wertform-Debatte der neuen Marx-Lektüre, resümiert durch Ingo Elbe: "Die Spezifik der neuen Marx-Lektüre besteht vor allem im politischen und ökonomischen Formbegriff. Reichtumsformen im Kapitalismus sind demnach gegenständlich vermittelte (Wert), von Gegenständen repräsentierte (Geld und andere Wertformen) und als bloße Dingeigenschaften erscheinende (Fetischismus/Mystifikation) soziale Verhältnisse zwischen Produzenten unter privat-arbeitsteiligen Vergesellschaftungsbedingungen der Arbeit. Neben der radikalen Historisierung der Reichtumsformen hat sich die Betonung des spezifischen Charakters ökonomisch-sozialer Gegenständlichkeit als von besonderer Bedeutung erwiesen. Nur mittels eines angemessenen Begriffs sachlicher Vermittlung sind sowohl die Formen des gesellschaftlichen Reichtums mit ihren intrinsischen Verselbständigungstendenzen als auch deren Einfluss auf menschliche Willensverhältnisse, die Form monopolisierter Gewaltorganisation und die Denkformen innerhalb sozialer Bewegungen begreifbar." (Elbe, S. 587)

Dies Resümee verstehe, wer kann. Klar ist dagegen Jan Hoff, der (in: Bemerkungen zu Nadja Rakowitz' "Einfache Warenproduktion", 2002) über das Programm der "Wertformanalyse" (S. 272/3) schreibt: "Zwar sind seit den sechziger Jahren durchaus erste vielversprechende Ansätze gemacht worden, das Beweisziel und die implizierte Kritikdimension der Wertformanalyse nicht nur zu referieren, sondern auch zu explizieren, sowie ihre darstellungslogische Funktion im kategorialen Fortgang der Marxschen Ökonomiekritik zu hinterfragen... . soll hier ... aufgezeigt werden, dass eine in allen Punkten konsistente Explikation der Wertformanalyse immer noch ein Desiderat darstellt, zumindest solange in Bezug auf die verschiedenen Deutungen innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses kaum ein Konsens gefunden werden kann." Abschließend zum Thema "Wertform-Analyse" ein Marx-Zitat. Marx schrieb 1868 über einen Rezensenten des ersten Bands des "Kapital": "Der Unglückliche sieht nicht, dass, wenn in meinem Buch ("Kapital I" - J.-F.A.) gar kein Kapitel über den 'Wert' stünde, die Analyse der realen Verhältnisse, die ich gebe, den Beweis und den Nachweis des wirklichen Wertverhältnisses enthalten würde. Das Geschwätz über die Notwendigkeit, den Wertbegriff zu beweisen, beruht nur auf vollständigster Unwissenheit, sowohl über die Sache, um die es sich handelt, als die Methode der Wissenschaft." (Marx an Kugelmann 11.7.1868; MEW 32, S. 552) Wie soll man diese Äußerung von Marx verstehen, wenn nicht so?: Eine Debatte über die Werttheorie als solche ist nicht von grundlegender Bedeutung. Die Ausführungen im "Kapital" über den Wertbegriff könnten durchaus fehlen, ohne dass damit etwas wirklich Zentrales fehlen würde. Das Wichtige sei "die Analyse der realen Verhältnisse", und die enthalte die marx(isti)sche Werttheorie implizit.


Die wenigen Ergebnisse lassen sich leicht in Frage stellen: "Engelsismus"?

Ein für die neue Marx-Lektüre zentrales Ergebnis, über das sogar weitgehend Einigkeit unter den neue Marx-Lektüre-Forschern zu bestehen scheint, ist: Der bisherige, der "traditionelle" (explizit negativ formuliert: der "traditionalistische") Marxismus ist eigentlich, wie in der Marx-Philologie schon länger immer mal wieder vertreten, ein "Engelsismus" (Elbe, S. 14): "Der Marxismus ist in mehrerlei Hinsicht Engels' Werk und von daher eigentlich ein Engelsismus... eine ideologisierte und restringierte Marx-Rezeption" (14). Der Marxismus sei "das Gerücht über die Marxsche Theorie ... Insofern soll hier der traditionelle Marxismus ... als Ausarbeitung, Systematisierung und Dominantwerden der Ideologiegehalte im Marxschen Werk - im Rahmen der Rezeption seitens Engels und Epigonen - begriffen werden." (Elbe, S. 24) Begründet wird dies von der neuen Marx-Lektüre u.a. mit einer wichtigen Entdeckung, die sie gemacht zu haben beansprucht, nämlich: Die Engels'sche Auffassung vom Wertgesetz entspreche nicht der Auffassung von Marx. "Die Engelssche Auffassung (des Wertgesetzes) ist ein vulgärmarxistisches ... Missverständnis." (Klaus Hartmann, zitiert bei Elbe, S. 188)


Engels contra Marx?: z.B. das Wertgesetz

Das Wertgesetz besagt bekanntlich: Die Austauschproportion, nach der sich die verschiedenen Waren (einschließlich der Arbeitskraft) tauschen, richtet sich letztlich nach der zu ihrer (Re-)Produktion gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit (Marx, siehe z.B. MEW 23, S. 61). Ingo Elbe referiert Engels' Auffassung des Wertgesetzes folgendermaßen: Es "gelte für Engels das Wertgesetz eigentlich nur in vorkapitalistischen Zeiten in "reiner" Form, während es im Kapitalismus durch das Hinzutreten der Preiskategorie verfälscht oder modifiziert werde" (Elbe, S. 63). Der von Ingo Elbe für die Engels'sche Auffassung gegebene Textbeleg lautet: "das Marxsche Wertgesetz gilt allgemein, soweit überhaupt ökonomische Gesetze gelten, für die ganze Periode der einfachen Warenproduktion, also bis zur Zeit, wo diese durch den Eintritt der kapitalistischen Produktionsform eine Modifikation erfährt." (MEW 25, S. 909; Elbe, S. 63) Offenkundig ist Ingo Elbes Referat keine philologisch ganz korrekte Textwiedergabe: Von "Preiskategorie" ist bei Engels nicht die Rede, ebenso wenig von "verfälscht".

Für Marx dagegen setze sich laut Ingo Elbe das Wertgesetz "erst wirklich in der kapitalistischen Produktionsweise durch, und zwar in der Form der Preisbewegung, also seines Gegenteils". (63) (Warum die Preisbewegung das "Gegenteil" des Wertgesetzes sein soll, ist mir unverständlich.) Der von Ingo Elbe hierfür gegebene Textbeleg lautet: "das Gesetz des Wertes (setze) zu seiner völligen Entwicklung die Gesellschaft der großen industriellen Produktion und der freien Konkurrenz, d.h. die moderne bürgerliche Gesellschaft voraus (...)". (MEW 13, S. 46; Elbe, S. 63) Offenkundig wiederum keine philologisch ganz korrekte Textwiedergabe durch Ingo Elbe: Von "Preisbewegung" ist bei Marx nicht die Rede. Unzweifelhaft macht Engels mit dem von Ingo Elbe zitierten Satz: "Das Marxsche Wertgesetz gilt allgemein, soweit..." eine Tatsachenbehauptung über die historische Geltung des Wertgesetzes. Wie nun kritisieren neue Marx-Lektüre-ForscherInnen Engels' Tatsachenbehauptung über das Wertgesetz? Ingo Elbe referiert zustimmend (S. 83/4) den neue Marx-Lektüre-Pionier Helmut Reichelt. Ihm zufolge geht es Marx in der Erstausgabe des "Kapital" von 1867 darum, "zu beweisen, daß die Werthform aus dem Werthbegriff entspringt" (Marx). Was dieses Marx-Zitat besagt, ist nicht ganz klar. Marx selber verwendet die zitierte Formulierung ab der zweiten Auflage des "Kapital" nicht mehr. Möglicherweise war ihm klargeworden, es werde - wie er in den "Grundrissen" bei einer ähnlichen Darstellung geschrieben hatte - sonst "später nötig sein..., die idealistische Manier der Darstellung zu korrigieren, die den Schein hervorbringt, als handle es sich nur um Begriffsbestimmungen und die Dialektik dieser Begriffe."(Marx: Grundrisse S. 69) Der Zusammenhang, in dem der von Ingo Elbe zitierte Marxsche Teilsatz steht, ist die Marxsche Bemühung, "den inneren notwendigen Zusammenhang zwischen Wertform, Wertsubstanz und Wertgröße zu entdecken, d.h. ideell ausgedrückt, zu beweisen, daß die Wertform aus dem Wertbegriff entspringt." (MEGA2 II, 5, S. 43)

Es spricht, denke ich, viel dafür, dass Marx hier "ideell ausgedrückt" deutlich machen will: Wer den Begriff "Wert" bestimmen will, der muss die Zusammenhänge von Wertsubstanz, Wertgröße und Wertform analysieren; denn die Wertsubstanz - der Wert-"Inhalt" - kann unterschiedliche Wert-Größe haben, und er kann in verschiedener "Form" (Gestalt) existieren/erscheinen. Ingo Elbe versteht diese eher triviale, missverstehbar "idealistisch ausgedrückte" Einsicht von Marx, dabei Helmut Reichelt folgend, als von Marx "klar formulierte Programmatik der Wertformanalyse" (Elbe, S. 83), als Formulierung der "eigentliche(n) Problemstellung" (Elbe, S. 83) der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie: "Was von den bisherigen Kommentatoren als 'bloße' Begriffsdialektik, der ein historischer Beweis beizufügen sei, beargwöhnt wurde, wird damit als eigentliche Problemstellung von Marx erkannt, der Übergang vom Wert zur Wertform sowie von der einfachen zur allgemeinen Wert-, schließlich Geldform als begriffliche Entfaltung des bestehenden notwendigen Zusammenhangs zwischen Ware und Geld dargelegt. ... Damit wird erkennbar, dass - im Gegensatz zu Engels - von "Wertgesetz" und "Warentausch" vor der Existenz des Geldes keine Rede sein, der prämonetäre Begriff der Ware also kein empirisches Korrelat haben kann." (Elbe, S. 83/4; Kursivierungen nicht im Original)

Übersetzt in etwas klareres Deutsch heißt Ingo Elbes schwer verständliche Marx-Interpretation vermutlich: Marx' Darlegungen über Ware und Geld haben nichts mit Empirie zu tun, es gehe ihm dabei vielmehr um die "begriffliche Entfaltung" von notwendigen inneren ("begrifflichen") Zusammenhängen: Wo es noch kein Geld gebe, könne es auch keinen Wert und keine Waren geben. Das Eine sei ohne das Andere nicht vorstellbar. Daraus ziehen Ingo Elbe (und Helmut Reichelt) dann den Schluss, Engels habe Unrecht, wenn er sagt: Das Marxsche Wertgesetz gelte im Kapitalismus nicht in reiner Form, sondern durch die Preise modifiziert. Was macht Ingo Elbe hier? Er prüft nicht empirisch-historisch, ob Engels' Tatsachenbehauptung faktisch richtig ist oder nicht, sondern er zieht einen logischen Schluss: Es könne nicht geben, was Engels als empirisch-historische Tatsache behauptet - und zwar aus begrifflichen Gründen! Ingo Elbe folgt hier offenbar Christian Morgenstern: "und so schließt er messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf". Ingo Elbes begriffliche Kritik an Engels' historischer Tatsachenbehauptung über die Geltung des Wertgesetzes ist nicht mehr als ein Vorschlag zu anderer Begriffsverwendung, nämlich zur Nicht-Benutzung der Wörter "Wertgesetz" und "Warentausch" bei der Analyse von vor-kapitalistischen Gesellschaften - was zur Frage: Gab es historisch einfache Warenproduktion? überhaupt nichts beweist. Die von Ingo Elbe vorgenommene Marx-Interpretation verfehlt schlicht ihr Ziel, eine Widerlegung von Engels' Auffassung des Wertgesetzes zu sein. Die Frage: Gab es historisch einfache Warenproduktion? hat übrigens anscheinend keiner der neuen Marx-Lektüre-ForscherInnen für prüfenswert gehalten; keiner von ihnen hat sich, soweit ich sehe, mit den von Engels und von anderen Marxisten angeführten empirischen Belegen auseinandergesetzt (siehe z.B. Elbe, S. 90). Sie werden als bloß "ethnologische Spekulationen" (Elbe, S. 369) sprachlich abgetan, mit denen auseinanderzusetzen sich nicht lohne. Übrigens dürfte die Interpretation der Engels'schen Theorie der einfachen Warenproduktion durch die neue Marx-Lektüre philologisch kaum haltbar sein. Die Theorie der einfachen Warenproduktion impliziert nämlich keineswegs notwendig geldlosen Tausch ("Warentausch vor der Existenz von Geld"), wie die neue Marx-Lektüre offenbar glaubt, sondern besagt, dass die Warenproduktion in vorkapitalistischen Gesellschaften (noch) nicht die vorherrschende Produktionsweise ist. Sie schließt, anders als die neue Marx-Lektüre meint, Preise und damit Geld für Waren keineswegs aus (siehe Marx im "Kapital" II, MEW 24, S. 41/2 und Engels im "Kapital" III, MEW 25, S. 909).

Wie steht es hiernach um die von der neuen Marx-Lektüre behauptete Unvereinbarkeit der unterschiedlichen Aussagen von Engels und von Marx zum Wertgesetz? Engels spricht in dem von Ingo Elbe angeführten Zitat vom unvermittelten Gelten des Wertgesetzes in "reiner" Form in vorkapitalistischen Gesellschaften, in denen die Warenproduktion, die Produktion für den Markt, nur einen relativ geringen Anteil an der Produktion insgesamt einnimmt. Und Marx spricht in dem von Ingo Elbe angeführten Zitat von einer Gesellschaft, in der die Produktion für den Markt vorherrschend ist. Und für die stellt er in seinem ökonomischen Werk detailliert dar, dass das Wertgesetz hier "in reiner Form" nicht gilt, wie Engels zu Recht formulierte. Hier wirkt es vermittelt über den Profit, den Zu- und Abfluss von Kapital in die Sektoren mit der höchsten Profitrate, den Ausgleich der Profitrate und die Bildung der Produktionspreise. Wo sollte hier ein "Gegensatz" zu Marx vorliegen? Was sollte an den historischen Aussagen von Engels zur Geltung des Wertgesetzes ein folgenreiches (Hoff, S. 199: ein "fatales") "Missverständnis" (Elbe, Backhaus zitierend, S. 72) des Marxschen Wertgesetzes sein? Übrigens kann man die angeblich "engelsistische" Position z.B. in einem Brief von Marx an Engels (8.1.1868, MEW 32, S. 9) finden; allerdings formuliert sie da Marx als seine eigene, wenn er nämlich schreibt: "Was die von Herrn Dühring gemachten bescheidenen Einwendungen gegen die Wertbestimmung betrifft, so wird er sich in Band II wundern, wie wenig die Wertbestimmung 'unmittelbar' in der bürgerlichen Gesellschaft gilt." Offenbar ist Marx zumindest hier ein hundertprozentiger "Engelsist". Schließlich: Was sollte an dem Engels'schen Verständnis des Wertgesetzes, wenn es denn ein "Missverständnis" wäre, "vulgär", "vulgärmarxistisch" (Elbe, Backhaus zitierend, S. 72) sein?


Negative Konsequenzen der (angeblichen) Engels'schen Fehllektüre?

Die neue Marx-Lektüre behauptet, dass die (angebliche) Engels'sche Fehllektüre der Marxschen Texte negative Konsequenzen gehabt hätte. So schreibt Jan Hoff über Engels: Es "unterliefen dem Marx-Freund in seiner Rezension (des Marxschen "Kapital" Band I) Interpretationsfehler, die sich in rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht geradezu fatal auswirkten." (Hoff, S. 199) Und an anderer Stelle schreibt Jan Hoff von "Engels' mangelhafte(r) Interpretation der Marxschen Methode, die trotz ihres problematischen Gehalts auf den traditionellen Marxismus großen Einfluss ausübte." (Hoff, S. 160) Ingo Elbe spricht vom "praktische(n) Einfluss", den nicht der Marxismus, sondern "bisher nahezu ausschließlich" der Engelsismus, "diese(...) restringierten und ideologisierten Deutungen der Marxschen Theorie" (Elbe, S. 24) hatten. Welche praktisch-politischen Konsequenzen, die politisch verhängnisvoll - "fatal" (Hoff, S. 199) - waren, soll die Engels'sche Interpretation des Marxschen Werks gehabt haben? Ingo Elbe und Jan Hoff nennen keine, sie behaupten sie nur. Ingo Elbe verweist zwar zum Beleg (S. 105 in einer Fußnote) auf Hans-Holger Paul: Marx, Engels und die Imperialismustheorie der II. Internationale (1978), aber Hans-Holger Paul schreibt explizit das Gegenteil, nämlich: "Insgesamt lässt sich jedoch bereits an dieser Stelle festhalten, dass Engels die Basis des mit Marx gemeinsam erarbeiteten Verständnisses von revolutionärer Strategie und Taktik nie verlassen hat." (Paul, S. 55) Negativ zu beurteilende politische Konsequenzen, die sich aus einer (angeblichen) Engels'schen Fehllektüre ergeben sollen - es gibt sie offenbar nicht: weder bei Engels noch bei den MarxistInnen, die der neuen Marx-Lektüre zufolge als "EngelsistInnen" zu charakterisieren wären (z.B. bei Lenin, Luxemburg, Trotzki, Mandel). Da bleibt, scheint mir, nur die Folgerung übrig: Die behauptete Unterschiedlichkeit von Marxismus und "Engelsismus", wenn es sie denn geben sollte, ist anscheinend praktisch-politisch folgenlos.


"Engelsismus" - ein Interpretationskonstrukt?

"Engelsismus" ist anscheinend ein Interpretationskonstrukt; unfreundlicher formuliert: ein Popanz, der vielleicht den stalinistischen Marxismus-Leninismus wiedergibt, aber kaum Engels.


Grundsätzliche Fehler des Forschungsprogramms der neuen Marx Lektüre?

Ich ziehe ein erstes Resümee: Offenbar ist die inzwischen gut 40-jährige Forschung der neuen Marx-Lektüre ein Fehlschlag: Die selbst gesetzten Ziele sind nicht erreicht, und es ist auch kein Erreichen absehbar. Es gibt kaum Ergebnisse, und die wenigen Ergebnisse sind kaum haltbar.


Die neue Marx-Lektüre - Wissenschaft als l'art pour l'art?

Und mir scheint zweitens, es lässt sich die Vermutung begründen: Bei der neuen Marx-Lektüre liegt eine Verselbständigung der Bemühungen, Theorie-Probleme zu lösen, vor. Bei ihr ist in Vergessenheit geraten, dass Theorien ihre Rechtfertigung 'in letzter Instanz' darin finden, eine weniger unvernünftige, eine weniger erfolglose, stümperhafte Praxis möglich zu machen. Und so ist ein (weitgehend erfolgloses) Forschungsprogramm entstanden, das Wissenschaft als Selbstzweck, als wissenschaftliches l'art pour l'art, betreibt. Dafür gibt es sogar Textbelege. Wie sonst ließe sich z.B. der folgende Satz von Jan Hoff (Bemerkungen zu Nadja Rakowitz' "Einfache Warenproduktion", 2002, S. 263; Kursivierung natürlich nicht im Original) verstehen?: "Gerade aber aufgrund der durch die zweite MEGA geschaffenen vielfach neuartigen Materiallage, die immer mehr als wissenschaftliche Herausforderung begriffen wird, bedarf die intensive Beschäftigung mit Karl Marx auch in heutiger Zeit keiner Rechtfertigung." Also der umfangreiche Nachlass von Marx ist es, der für die Wissenschaft eine Herausforderung darstellt. Und ich hatte immer gedacht, das Elend der Welt wäre die Herausforderung, und es empfehle sich, Marx zu lesen, weil mit seiner Hilfe am ehesten Aufklärung darüber zu gewinnen ist, wie sich diese "ganze alte Scheiße" (Marx, MEW 3, S. 35) überwinden lässt.

E-Mail: Johann-Friedrich.Anders@web.de


Anmerkung:

[1] Dargestellt ist diese "neue Phase marxistischer Theoriebildung" vor allem in den Werken von Ingo Elbe: "Marx im Westen. Die neue Marx-Lektüre in der Bundesrepublik seit 1965", Berlin 2008 (zitiert als: Elbe) und Jan Hoff: "Marx global. Zur Entwicklung des internationalen Marx-Diskurses seit 1965", Berlin 2009 (zitiert als: Hoff), auf deren Werke ich mich in der folgenden Kritik hauptsächlich, aber nicht ausschließlich beziehe


Literatur:

Bader Veit-Michael u. a.: Krise und Kapitalismus bei Marx, 2 Bde. Ffm 1975

Behrens, Diethard: Vorwort: Der östliche, der westliche und der kritische Marxismus. In: Behrens, Diethard (Hg.): Gesellschaft und Erkenntnis, Freiburg 1993, S. 7-11

Dennett, Daniel C.: Den Bann brechen: Religion als natürliches Phänomen, Ffm 2008

Elbe, Ingo: Marx im Westen. Die neue Marx-Lektüre in der Bundesrepublik seit 1965, Berlin 2008

Hoff, Jan: Bemerkungen zu Nadja Rakowitz' "Einfache Warenproduktion". In: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung, Neue Folge 2001, Argument Verlag 2002, S. 263-284

Hoff, Jan: Marx global. Zur Entwicklung des internationalen Marx-Diskurses seit 1965, Berlin 2009

Kim, Lee Jun: Krise der Theorie und Theorie der Krise, Ffm 1998

Marx, Karl: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953

Marx/Engels, Werke (MEW), Berlin 1956 - 1968

Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, Hamburg 1867, MEGA2 II, 5, Berlin 1983

Paul, Hans-Holger: Marx, Engels und die Imperialismustheorie der II. Internationale, Hamburg 1978

Raute

Karl Reitter

Holloways Flirt mit der Wertkritik

Ein Rezensionsessay zum Buch Kapitalismus aufbrechen

John Holloway zählt zu jenen AutorInnen, die sich ernsthaft der Frage stellen, wie die tatsächliche Überwindung kapitalistischer Verhältnisse gedacht und praktisch angegangen werden kann. Schon das Aufwerfen dieser Frage selbst, die im offiziösen intellektuellen Betrieb als unwissenschaftlich und subjektiv denunziert wird, ist Holloway als Verdienst anzurechnen. 2002 erschien sein erstes großes Werk in deutschsprachiger Übersetzung. Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen stellte eine spannende und aufregende Weiterentwicklung und theoretische Erneuerung praxisphilosophischer Theorieelemente dar. Ausgehend vom Gegensatz zwischen dem lebendigen Tun und den toten, erstarrten Formen dieses Tuns interpretierte Holloway das Klassenverhältnis als permanent aus dem Gleichgewicht: "Die Arbeit kann entkommen, das Kapital kann es nicht. Das Kapital ist von der Arbeit in einer Weise abhängig, wie die Arbeit nicht vom Kapital abhängig ist. Ohne die Arbeit hört das Kapital zu existieren auf: Die Arbeit wird ohne Kapital zu praktischer Kreativität, zu kreativer Praxis, Menschlichkeit." (Holloway 2002; 209) Hier ist die Arbeit das Übergreifende; subsumiert unter das Kapitalverhältnis wird sie fremdbestimmt und fragmentiert, jenseits des Kapitalverhältnisses könnte sie sich als freie Kreativität entfalten. Das Ungleichgewicht zwischen dem lebendigen Tun und den abkünftigen, erstarrten Formen stelle, so Holloway, die Basis für unsere Hoffnung dar, das Kapitalverhältnis überwinden zu können. Unmittelbar, in sinnlicher Gewissheit erfahren wir die Unterordnung unseres Tätigkeitsvermögens unter das Kapital als Beschädigung unserer Würde. Der Kampf um Würde ist zugleich das Bestreben, unser Tun von den Fesseln des Kapitalismus zu befreien.

Diese kleine Skizze kann den Reichtum der Überlegungen von Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen nicht wiedergeben, soll aber zumindest einen Eindruck vermitteln, wovon dieses Buch handelte. Holloway selbst bezeichnete dieses erste Werk als Mutter, das nun erschienene Kapitalismus aufbrechen (der Originaltitel lautet Crack Capitalism) als Tochter. Mit diesem neuen Buch nähert sich Holloway der sogenannten Wertkritik an. Manchen LeserInnen mag der Ausdruck Wertkritik nicht geläufig sein. Nun, hier sind wesentliche Elemente aufgelistet: Nach Auffassung der Wertkritik erfolgt die gesellschaftliche Synthesis, also die Zusammenfügung sozialer Elemente zur Gesellschaft, ausschließlich durch den geldvermittelten Warentausch. Die Vergesellschaftung durch die Arbeit sowie das Verhältnis von Staat und Gesellschaft bleiben aus der Theoriebildung ausgeblendet. Das Übel des Kapitalismus liege nicht so sehr im Kapitalverhältnis selbst, sondern in der sozialen Geltung der abstrakten Arbeit. Im Grunde sei der Kapitalismus primär eine Arbeitsgesellschaft und nur sekundär eine Klassengesellschaft. Die Bedeutung sozialer Herrschaft versinkt völlig vor der Tatsache, dass alle, Kapitalsten wie das Proletariat, Arme wie Reiche, Männer wie Frauen, gleichermaßen unter der Herrschaft anonymer Gesetze stünden und diesen erst mal hilflos ausgeliefert seien.

Viele dieser Momente finden sich in Kapitalismus aufbrechen. Ich zitiere einige exemplarische Formulierungen: "Im Kapitalismus ändert sich all dies. Die Verknüpfung [Synthesis K.R.] wird nicht durch Brauch, Befehl oder gemeinsame Entscheidung hergestellt, sondern durch den Austausch von Produkten." (Holloway 2010; 142) "In einer Gesellschaft, in der die Beziehungen zwischen Handlenden durch den Austausch von Waren hergestellt werden, werden die Beziehungen zwischen Menschen in Beziehungen zwischen Dingen verwandelt; ..." (Holloway 2010; 213) "Der Strom der Fremdbestimmung, der von der kapitalistischen Totalität ausgeht, wird durch die Art und Weise, in der wir unsere Tätigkeiten aufeinander beziehen [also durch den Markt K.R.], konstituiert." (Holloway 2010; 204) "Noch einmal die Argumentation: wir schaffen die Gesellschaft, die uns in Schach hält." (Holloway 2010; 100) "Die abstrakte Arbeit herrscht also. (...) Die von uns geschaffene Totalität wird von Gesetzen beherrscht. (...) Das Kapital (unsere Schöpfung) ist ein 'automatisches Subjekt' (wie Marx es nannte), das SUBJEKT der kapitalistischen Gesellschaft." (Holloway 2010; 146f)


Vom Bruch des Tuns zum äußerlichen Gegensatz Arbeit - Tätigkeit

Durch die Rezeption wertkritischer Theorieelemente hat sich gegenüber Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen einiges verschoben. Dort stellt Holloway den Gegensatz zwischen der lebendigen Arbeit und der vergegenständlichten, toten, gefrorenen Arbeit in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Die tote Arbeit unterwerfe die lebendige. "Das Tun (menschliche Aktivität) entschwindet zunehmend dem Blick" (Holloway 2002; 63) In den verdinglichten Formen der Tätigkeit, in Ware, Geld, Kapital, Profit, Pacht, Zins, sei der Bezug zur lebendigen Arbeit ausgelöscht und vergessen gemacht. Der Gegensatz zwischen dem Tun und dem Getanen, zwischen der lebendigen Arbeit und der Ware, zwischen der lebendigen Arbeit und dem Kapital zerstöre den Fluss des Tuns und damit den Fluss unserer Beziehungen. In Kapitalismus aufbrechen hingegen ist es die Arbeit selbst, die als Quell des Übels angesehen wird. Die lebendige Arbeit existiert jetzt nur noch jenseits der Lohnarbeit und hört nun auf den Namen Tätigkeit. In Kapitalismus aufbrechen wird das Tun durch das Kapitalverhältnis nicht zerstört und fragmentiert, sondern durch Arbeit ersetzt. Arbeit kann nur als durch und durch entfremdet verausgabt werden. Sie ist schon beschädigt, schon bevor sie überhaupt ausgeübt wird. Sie ist immer schon entfremdet, weil sie immer schon abstrakt ist. Letztlich meint Holloway auf die Adjektive entfremdet und abstrakt verzichten zu können. Wer Arbeit sagt, sagt auch Entfremdung und Abstraktion (Abzug, Verlust). Aus einem inneren Gegensatz in Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen - das Kapitalverhältnis muss das Tun permanent brechen und entfremden - wird in Kapitalismus aufbrechen ein äußerlicher Gegensatz: das Kapitalverhältnis hat das Tun immer schon in Arbeit verwandelt.

Damit ist der Arbeit die Transzendenz genommen. Der Doppelcharakter der Arbeit verweist für Marx auf zwei unterschiedliche Dimensionen. Die abstrakte Arbeit besitzt ihre "Vollgültigkeit" (MEW 42; 39) nur in kapitalistischen Verhältnissen. Die konkrete Arbeit hingegen überschreitet jedes spezifische gesellschaftliche Verhältnis. Diese konkrete Arbeit ist nun für Marx keineswegs die gute Seite der Arbeit. Konkrete Arbeit wird im Kapitalverhältnis ohne Zweifel unter Zwang und Fremdbestimmung ausgeübt. Indem der Kapitalismus jedoch die Produktivkraft der konkreten Arbeit ungewollt erhöht, schafft er die Möglichkeit, die konkrete Arbeit unter dem Gesichtspunkt der Autonomie und Selbstbestimmung auszuüben. Die Überwindung des Kapitalverhältnisses ist dazu die Vorbedingung. Holloway hingegen identifiziert konkrete Arbeit mit abstrakter Arbeit. "Nützliche oder konkrete Arbeit gibt es also in jeder Gesellschaft. In der kapitalistischen (oder, allgemeiner, der warenproduzierenden) Gesellschaft nimmt sie eine bestimmte gesellschaftliche Form an, die der abstrakten Arbeit." (Holloway 2010; 95) Wir können auch sagen: Für Holloway ist die real ausgeübte, sichtbare, tatsächlich raum-zeitlich ausgeübte Arbeit (die konkrete Arbeit) derart von der abstrakten Arbeit bestimmt und durchdrungen, dass die Unterscheidung zwischen konkreter und abstrakter Arbeit jeden Sinn verliert. "Nützliche Arbeit, oder produktive Tätigkeit, muss es in jeder Gesellschaft geben, sie nimmt aber in jeder Gesellschaft andere Formen an: sie steht nicht außerhalb von Gesellschaft und Geschichte." (Holloway 2010; 94) Ich halte dagegen: Die konkrete Arbeit überschreitet im Wesentlichen sehr wohl die spezifischen gesellschaftlichen Verhältnisse. Das war auch die große Hoffnung von Marx. Der Kapitalismus entwickelt unter dem Vorzeichen der Heteronomie und Fremdbestimmung die Produktivkraft der konkreten Arbeit. Wohl ist zu erwarten, dass sich die konkreten Arbeitsvorgänge in einer freien Gesellschaft von jenen unter dem Kapitalismus unterscheiden, aber wir werden auch im Kommunismus nicht völlig anders arbeiten können als im Kapitalismus. Wir werden wohl die Produktivkraft der Arbeit anders einsetzen, aber wir werden keine andere Produktivkraft einsetzen. Davon können wir uns alle durch einfache Gedankenexperimente überzeugen. Wohl werden sich in einer freien Gesellschaft viele Aspekte der konkreten Arbeit verändern, aber keineswegs alle. Ob ich eine Tätigkeit selbstbestimmt oder fremdbestimmt ausübe ändert vieles, aber nicht alles. Der Arbeit die Tätigkeit als das ganz Andere entgegenzuhalten, vergisst, dass jedes Tun unter denselben kognitiven, chemischen, physikalischen, geographischen usw. Gesetzen steht.


An die Stelle des Kapitalverhältnisses tritt das Marktverhältnis

Ich komme nun zu meinem wichtigsten Einwand: Durch welche Prozesse wird in Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen der Fluss des Tuns fragmentiert? Die Antwort lautet: Im Kapitalverhältnis selbst, in und durch die Lohnarbeit. "Der Bruch im Fluss des Tuns nimmt dem Tun die Bewegung. Gegenwärtiges Tun wird toter Arbeit untergeordnet." (Holloway 2002; 73) Die Formel der Unterordnung des Tuns unter die tote Arbeit ist zweifellos eine Paraphrase der Marxschen These der formellen bzw. reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital. Mittels vergegenständlichter, vergangener Arbeit, mittels der Produktionsmittel unterwirft das Kapital die lebendige Arbeit und damit die ArbeiterIn. Dieser Position kann ich voll und ganz zustimmen.

In Kapitalismus aufbrechen hingegen vermeint Holloway die Zerstörung der Tätigkeit völlig unabhängig vom Kapitalverhältnis selbst zeigen zu können. Die bloße Tatsache des Warentausches genügt nun. Mehrfach verwendet unser Autor das Beispiel eines kleinen Warenproduzenten, der Kuchen für den Markt bäckt. "Einige Zeit später, wie wir bereits wissen, beschließe ich, Kuchen für den Verkauf auf dem Markt zu backen. Ich entdecke bald, dass ich, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, auf eine bestimmte Art und Weise und in einem bestimmten Rhythmus produzieren muss. Der Markt misst meine Tätigkeit, und dieses Messen wirkt sich wiederum auf meine Tätigkeit aus. Meine Tätigkeit ist zur Arbeit geworden, und zugleich ist mein Schaffensvermögen zu etwas anderem geworden: zu einer unpersönlichen Macht, die über uns herrscht. Wir haben die Macht über unser eigenes Tätigsein verloren." (Holloway 2010; 130f) Schon durch den bloßen Warentausch wird mein Tun in entfremdete, abstrakte Arbeit verwandelt. Das Kapital findet die (abstrakte) Arbeit durch die Tatsache des Warentausches bereits fix und fertig vor und muss sie nur noch in seinem Interesse benützen. Im immer wiederkehrenden Beispiel des Kuchenbäckers, in dieser klaren und populär geschriebenen Erklärung für den Verlust des Tuns, fehlt jeder Bezug zum Klassenverhältnis. Die Perspektive wird gedreht, nicht das Klassenverhältnis erfordert die abstrakte Arbeit, die abstrakte Arbeit erfordert das Klassenverhältnis. Ursache und Wirkung sind vertauscht: "Abstrakte Arbeit produziert also eine Klassengesellschaft." (Holloway 2010; 149) Ich sehe es genau umgekehrt: Die Klassengesellschaft produziert die abstrakte Arbeit. Die abstrakte Arbeit tut nach Holloway noch mehr. Sie schafft den Staat und das moderne Geschlechterverhältnis. Sie schafft auch die ArbeiterInnen, denn: "Die Schaffung der Arbeit fällt mit der Schaffung des Arbeiters zusammen. Es kann gar nicht anders sein: Arbeit kann nicht ausgeführt werden, wenn es keine Arbeiter gibt, die sie ausführen." (Holloway 2010; 114) Auch hier plädiere für eine umgekehrte Sichtweise. Nicht die abstrakte Arbeit erfordert den Arbeiter, sondern die soziale Existenzweise des Proletariats zwingt dieses zur Lohnarbeit.

Ist das Ausgangszenario, der warenproduzierende Kuchenbäcker, überhaupt real? Gibt es die unabhängigen KuchenbäckerInnen überhaupt? Nein, es gibt sie nicht, sie sind eine Fiktion. Ich berichtige mich sofort. Es gibt durchaus kleine WarenproduzentInnen in bestimmten Nischen der Produktion, es gibt sie in prekärer Form in der Subsistenzwirtschaft. Es gibt sie scheinbar in neuen Arbeitsformen, die jedoch als Stücklohnarbeit ohne formales Arbeitsverhältnis zu dechiffrieren sind. Aber in der Alltäglichkeit und Durchschnittlichkeit der kapitalistischen Verhältnisse gibt es sie nicht. Niemand besitzt hier einfach Waren, sondern entweder die Ware Arbeitskraft oder Warenkapital. Die Konstellation von einfachen WarenproduzentInnen als theoriebildenden Ausgangspunkt zu nehmen heißt, eine Fiktion zum Ausgangspunkt zu nehmen. Die Abstraktheit der Theorie ist die notwendige Folge.


Eine große Figur der Entfremdung

Holloway zeichnet eine große Figur der Entfremdung, die im Prinzip alle einschließt. Wir schaffen mittels der Arbeit eine Welt, die uns beherrscht. Wer ist nun dieses Wir, das den Gesetzen unterworfen ist? Wir, das sind wir alle, letztlich schließt dieses Wir auch die herrschenden Klassen ein. Ich frage mich, ob angesichts dieser Konzeption der Begriff "herrschende Klasse" überhaupt noch Sinn macht. Wohl konstatiert Holloway: "Der Arbeiter hat viel mehr Gründe, gegen die Charaktermaske zu rebellieren, als der Kapitalist." (Holloway 2010; 221) Aber wogegen rebelliert nun dieser Arbeiter? Gegen das Klassenverhältnis? Nein, er rebelliert im Grund gegen sich selbst. Gegen seine Maske, die ihm die Arbeit verpasst hat, also auch gegen die Arbeit. Der Klassenkampf wird wörtlich als Form des Konflikts zwischen Tun und Arbeit interpretiert. "Wo abstrakte Arbeit als Lohnarbeit herrscht, nimmt der Konflikt die Form eines Konflikts zwischen Arbeitern und Kapitalisten an." (Holloway 2010; 174) Das kann bedeuten, der Klassenkampf selbst ist etwas Sekundäres, Abkünftiges. Ja er erscheint in manchen Passagen geradezu als Maske, hinter der sich der eigentliche Konflikt verbirgt. "Wenn wir sagen, dass der Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital nur der oberflächliche Ausdruck eines tieferliegenden Konflikts ist, dem zwischen nützlichem Tätigsein und abstrakter Arbeit, dann wird sofort klar, dass der gesellschaftliche Antagonismus mitten durch uns alle, mitten durch jede einzelne Person verläuft." (Holloway 2010; 220f)

Was ist nun am Befund der großen Entfremdung so problematisch? Seine Einseitigkeit! Ich vertrete stets die Position, dass wir die bestimmenden Gesetze des Kapitalismus in doppeltem Sinne verstehen sollten: Einerseits als Geltung des Wertgesetzes, zweites als politisch organisierte Herrschaft und als Widerstand dagegen. Ersteres schließt die herrschenden Klassen mit ein, insofern sind sie auch Beherrschte, Zweiteres jedoch keineswegs. Holloway spricht nur über den einen Aspekt, erwähnt den anderen kaum. Die gesamte Sphäre der politischen Herrschaft und ihrer Maßnahmen bleibt ausgeblendet, ganz so als ob es sie gar nicht gäbe. Ich frage mich, wie können politische Entscheidungen linear an ökonomische Gesetze zurückgebunden werden? Stehen die herrschenden Klassen ausschließlich unter dem Diktat des Wertgesetzes? Ich wähle einige Beispiele: Die Regierung in London hat die Studiengebühren auf über 10.000 Euro im Jahr erhöht, zwang sie das Wertgesetz dazu? Den Hartz IV EmpfängerInnen wurden Transferleitungen gestrichen, zugleich wurden sie mit einer Erhöhung von 5 Euro gedemütigt, zwang das Wertgesetz dazu? In vielen Ländern fordert der "Krieg gegen die Drogen" abertausende Tote, zwingt das Wertgesetz dazu? Frankreich erhöht das Rentenantrittsalter, zwang das Wertgesetz dazu? Zwang das Wertgesetz zum Krieg gegen den Irak?

Die These, dass auch das Kapital unabdingbar und vollkommen unter den Gesetzen des Wertes stünde, sehe ich in folgender Aussage methodisch begründet: "Das Kapital besteht aus einer riesigen Anzahl voneinander unabhängigen Einheiten, die Waren produzieren, die sie auf den Markt verkaufen." (Holloway 2010; 71) Diese Sichtweise halte ich jedoch für unzutreffend. Wie Marx im III. Band des Kapitals zeigt, verschmelzen die einzelnen Kapitale durch mehrfache Mechanismen (Ausgleich der Profitrate, Zins und Grundrente) zu einer geeinten Klasse. Die Konkurrenz schlägt so in ein allgemeines und übergreifendes Interesse an der Gesamtausbeutung der gesamten ArbeiterInnenklasse um. Die Unabhängigkeit der Einzelkapitale ist letztlich nur eine scheinbare, tatsächlich agieren sie als Anteil am Gesamtkapital. Auch das Verhältnis der Kapitale zueinander konzipiert Holloway also aus der Perspektive unabhängiger und isolierter Warenproduzenten.

Der Fokus auf die allgemeine, alles übergreifende Entfremdung - wir haben die Gesellschaft geschaffen, die uns nun beherrscht - führt zu Problemen, die Bedeutung des Klassenkampfes zu bestimmen. In manchen Passagen tritt das Klassenverhältnis völlig zurück, in anderen hingegen betont Holloway dessen Bedeutung. Geradezu als Selbstkritik kann folgende Passage gelesen werden: "... wenn wir abstrakte Arbeit auf ihre Eigenschaft reduzieren, verlieren wir leicht die antagonistische Dynamik [Ausbeutung und Klassenverhältnis K.R.] im Mittelpunkt dieses Systems aus den Augen; wenn wir andererseits uns nur auf die Ausbeutung konzentrieren, übersehen wir die Abstrahierung des Tätigseins zur Arbeit, die dem Ausbeutungsverhältnis zugrunde liegt." (Holloway 2010; 150) In den Schlussfolgerungen tendiert Holloway zumeist zum zweiten Aspekt. "Die Tatsache, dass wir es selbst sind, die unser Gefängnis bauen, ist eine Quelle der Hoffnung, geradeso wie es zutiefst deprimierend ist. Dass wir selbst diese Welt, die unser Gefängnis ist, bauen, heißt, dass wir es auch wieder einreißen können." (Holloway 2010; 164)[1] In der großen Entfremdungsfigur relativiert sich die soziale Herrschaft als Quelle der Unterdrückung und Hindernis der Befreiung. Der Klassenkampf wird zur Selbsttherapie; das lesen wir wörtlich. "... die 'Psychoanalyse' der Gesellschaft kann nur eine kollektive Selbstanalyse sein. Die einzig mögliche Therapie ist die Selbsttherapie." (Holloway 2010; 225) Dass wir alle in die Verhältnisse verstrickt, Teil von ihnen sind, so die Schlussfolgerung in Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen ist eine Sache, eine andere, den Prozess der Befreiung unter das Motto der Selbsttherapie zu stellen. Dass der Klassenkampf auch "in uns selbst" verläuft, das kann ich nicht mittragen.


Abstrakte Negation: Holloway und die Große Weigerung Herbert Marcuses

Die Substanz des neuen Buches von John Holloway meine ich in einem eindringlichen Plädoyer für die Große Weigerung zu erkennen. Wo existiert die Alternative zur Arbeit, das Tätigsein? Die Antwort: - ich hoffe, ich werde dem Buch gerecht - überall und nirgends. "Das Tätigsein strebt nach Selbstbestimmung, und diese strahlt nach außen." (Holloway 2010; 201) Das Streben nach Tätigkeit und der damit verbunden Kampf gegen die Arbeit bestimme und durchziehe, so der Autor, jede ernsthafte Rebellion, jeden noch so großen oder kleinen, sichtbaren wie unsichtbaren Versuch, das eigne Dasein selbst zu bestimmen. Im Kern gehe es immer um Verweigerung, um ein Nein, um das Bedürfnis, nicht mehr mitzumachen. Kommt Kapitalismus aufbrechen über diese hoch abstrakte Perspektive hinaus? Ich meine nicht. Daher erinnert mich das Buch sehr an den Begriff der Großen Weigerung von Herbert Marcuse. Auch Marcuse beharrte auf der Großen Weigerung, auf dem Bedürfnis, am kapitalistischen Irrsinn mit all seinen Aspekten nicht mehr mitzumachen.

Die spannende Frage ist nun: Ist dieser Ansatz ein Mangel oder ein Vorteil? Nun, so formulierte rhetorische Fragen leiten ein sowohl - als auch ein. Opposition, Widerstand, Rebellion, welchen Ausdruck wir auch wählen, ist allzu oft in ein affirmatives Mitmachen umgeschlagen. Unter dem Banner der konstruktiven Kritik und alternativer Vorschläge wurde zu oft der Prozess der Befreiung gestoppt, verdünnt und ins Gegenteil gewendet. Schon das Faktum, es einmal klar und unmissverständlich zu sagen, dass wir nicht mehr mitmachen wollen, dass wir nach selbstbestimmter Tätigkeit streben und uns deshalb den Anforderungen von Staat und Kapital verweigern müssen, ist ein erster, kleiner Akt der Befreiung. Insofern markiert Kapitalismus aufbrechen eine Konstellation, hinter die wir nicht zurückfallen sollten. Doch die Schwindel erregende Abstraktionshöhe hat ihren Preis. Durch die Relativierung des Klassenverhältnisses, durch den Gestus eine tiefgreifendere, umfassendere Kritik zu formulieren, droht der Diskurs in undifferenzierte Zivilisationskritik umzuschlagen. Nichts gegen Aussteigerperspektiven und selbst gewählte Armut, aber diese Art, der Arbeit und damit dem System zu entfliehen, beruht stets auf privilegierten Positionen, sind also als allgemeine gesellschaftliche Perspektive ungeeignet. Zudem, und das halte ich für eine fast zwangsläufige Wirkung allzu abstrakter Gesellschaftskritik, verschwindet die aktuelle politische, soziale und ideologische Intervention der herrschenden Klassen aus dem Blick. Ich will jetzt meine Sichtweise nur andeuten. Nach meiner Auffassung sind wir hier in Europa unmittelbar mit einem Versuch der gesellschaftlichen Umwälzung konfrontiert, den Loren Goldner folgendermaßen skizziert: "Das Kapital hat seit der Rebellion durch wilde Streiks in den 1960er und 70er Jahren (mit Ausläufern in Polen, Brasilien und Korea) die quasi-bewusste Gegenstrategie verfolgt, die Zentren der proletarischen Konzentration aufzubrechen und so weitgehend wie möglich neu atomisierte, prekarisierte und zerstreute LohnarbeiterInnen zu schaffen, die sich an Einverdienerfamilien, langfristige Jobsicherheit, Sozialleistungen, sichere Wohnsituation, Bildung und 'Hoffnungen' für die nächste Generation (wie bürgerlich auch immer) nicht einmal mehr erinnern." (Goldner 2010; 94) "Nicht einmal mehr erinnern" ist das Stichwort. Es geht um die Aufspreizung der Lebensverhältnisse der herrschenden bzw. beherrschten Klassen, die sich auch in Europa zunehmend unterscheiden, eine Aufspreizung, die politisch gewollt und aktiv vorangetrieben wird. Wir sind aktuell mit einer herrschenden Klasse konfrontiert, die jede Beißhemmung verloren hat. Es geht darum, diese Umwälzungsprozesse zu erkennen, zu benennen und zu bekämpfen. Die Große Weigerung im Namen von Tätigkeit und Selbstbestimmung ist zweifellos eine wunderbare Ausgangsbedingung dafür, aber eben nur ein Beginn. Gibt es etwas Wesentlicheres als den Beginn selbst?

E-Mail: k.reitter@gmx.net


Literatur:

Goldner, Loren (2010): "Der historische Moment, der uns hervorgebracht hat", in: Beilage zu Wildcat Nr. 88; Köln, Seite 79-96

Holloway, John (2002): "Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen", Münster

Holloway, John (2010): "Kapitalismus aufbrechen", Münster

MEW 42 = Karl Marx, "Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie", Berlin 1965


Anmerkung:

[1] Diese Passage erinnerte mich an einen Liedtext der von mir über alles geschätzten Incredible String Band. Darin besingt Robin Williamson poetisch das Faktum der Entfremdung und die Sehnsucht danach, diese zu überwinden: (Aus: "Cutting The Strings" By Robin Williamson. Das Lied erschien auf: "The Incredible String Band - U", Textquelle: http://isb.bakkevold.com/u.html)

"I built my prison stone by stone
how many useless knots I tied
I dug the pitfalls in my path
how many useless tears I cried
here to build in worlds of beauty
no-one made a joy a duty
no-one, no-one but me
I saw the birds that flew so free
I envied them their grace divine
I saw the dancer's airy steps
theirs was a different world than mine
here to build in worlds of glory
no-one made my sad sad story
no-one, no-one but me
when useless walls come tumbling down
sparrows will sing on the fallen stones
Adam will pull the knife from his brow
Eve will lick the salt from his wounds
free to make my own tomorrow
free to free my heart from sorrow
free to hear and smell and see
free to be me, free to be free"

Raute

Buchbesprechung von Anton Pam

Jens Benicke: Von Adorno zu Mao.
Über die schlechte Aufhebung der anti-autoritären Bewegung

Freiburg: ca ira, 2010, 20 Euro

Nach dem Scheitern der "anti-autoritären" StudentInnenbewegung in Westdeutschland schlossen sich viele ihrer AktivistInnen Anfang der 1970er Jahre leninistischen K-Gruppen an, die eine kommunistische Partei "neuen Typs" aufbauen wollten. Anstelle der Kritischen Theorie wurden nun die "Klassiker des Marxismus-Leninismus", inklusive Josef Stalin und Mao Zedong, zum theoretischen Bezugspunkt. Ein Grund für die Abkehr von der Kritischen Theorie war sicherlich, dass ihre Hauptvertreter in Deutschland wie Horkheimer, Adorno und Habermas sich gegen die Revolte der StudentInnen stellten oder sie nur bedingt unterstützten. Für die K-Gruppen waren nicht mehr "Randgruppen" wie "Schwarze" in den Ghettos oder aus Heimen geflohene Jugendliche das revolutionär Subjekt, sondern das Proletariat. Dieser historische Bruch ist bis heute nicht einfach zu erklären. Jens Benicke untersucht in seiner Doktorarbeit "Von Adorno zu Mao", die schlechte Aufhebung der anti-autoritären Bewegung vor dem Hintergrund der Rezeption der Kritischen Theorie und von Faschismus-Theorien. Der Titel ist etwas irreführend, da das Buch den Einfluss der chinesischen Kulturrevolution (1966-1977) nur kurz erwähnt. Benicke hat dabei nicht die Mühe gescheut, sich durch die ungeheure Publikationsflut der K-Gruppen durchzuarbeiten, selbst wenn manche ihrer Pamphlete heute eher satirische Qualitäten haben. Benickes zentrale These ist, dass mit der radikalen Abkehr von der Kritischen Theorie die konkrete Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in Deutschland aufgegeben und durch einen generalisierten und polemischen Faschismusbegriff ersetzt wurde. Die leninistischen Kader reduzierten Faschismus auf eine "offene Diktatur der reaktionärsten Teile des Finanzkapitals" und wendeten den Begriff im globalen Kontext inflationär an (S.10). Dadurch hätten auch die K-Gruppen dazu beigetragen, den Nationalsozialismus zu verdrängen und den Anspruch der frühen 1968er aufgegeben, auch den eigenen "autoritären Charakter" zu überwinden,. Um diese These zu bestätigen, nennt er einige Beispiele: Der SDS (Sozialitische Deutsche Studentenbund) startete 1959 eine bundesweite Kampagne gegen die Verjährung von NS-Verbrechen und organisierte die Wanderausstellung "Ungesühnte Nazijustiz". Außerdem wurde die Frage nach der individuellen Schuld der eigenen Eltern und damit auch der einfachen deutschen Bevölkerung immer wieder aufgeworfen. Die K-Gruppen hätten sich hingegen für die juristische und politische Aufarbeitung der NS-Verbrechen und die Frage nach persönlicher Schuld nicht mehr sonderlich interessiert. Eine Zäsur sieht Benicke schon in der Bewegung gegen die Notstandsgesetze von 1968, als der Faschismus-Begriff immer mehr als Polemik zur aktionistischen Mobilisierung gegen die angeblichen NS-Gesetze eingesetzt wurde. Auch die K-Gruppen interessieren sich mehr für die Frage, ob sich die BRD auf den Weg in den Faschismus befände, als für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Die Frage der "Faschisierung" des Staates oder auch der SPD wurde endlos debattiert, so Benicke.

Diese Argumente sind sicher nicht falsch, trotzdem stellt sich die Frage, ob es nicht verständlich ist, dass sich Gruppen, die glaubten, die Revolution stehe in ein paar Jahren bevor, wenig mit der deutschen Vergangenheit befassten? Die heutige Auffassung der "Anti-Deutschen", dass die Aufarbeitung des Holocausts die Kardinalfrage der Menschheit sei, war damals außerdem noch nicht weit verbreitet, selbst in Israel nicht. Außerdem gab es neben der imaginierten faschistischen Gefahr in Westdeutschland auch reale Erfahrungen mit Faschismus oder zumindest mit rechten Diktaturen wie im Kampf der ETA und der Linken gegen die Franco-Diktatur in Spanien, mit dem Putsch in Griechenland 1967 und dem Fall dieser Militärdiktatur 1974 wie auch dem Putsch von Pinochet in Chile 1973. Interessant wäre in diesem Zusammenhang die Reaktion der K-Gruppen auf Publikationen aus der DDR gewesen, die in "Graubüchern" die Nazivergangenheit von Beamten aus den verschiedenen Ministerien der BRD systematisch dokumentierten.

Laut Benicke vollzog sich auch eine Wende in der Haltung zu Israel. Vor dem Sechstage-Krieg von 1967 zwischen Israel und arabischen Staaten war die Solidarität mit dem jüdischen Staat sowohl bei vielen im SDS als auch bei prominenten Linken wie Ulrike Meinhof und Herbert Marcuse noch selbstverständlich. Nach dem Sechstage-Krieg setzte sich zunehmend eine Sichtweise durch, den Nahostkonflikt durch die Brille eines Anti-Imperialismus und nicht mehr durch die des Holocausts wahrzunehmen. Benicke wirft der militanten Sponti-Szene und den K-Gruppen einen "Schuldabwehrantisemitismus" vor, der Israel mit Nazideutschland und das Vorgehen gegen die palästinische Guerilla mit der Ermordung der europäischen Juden verglich (S. 177).

Als fleißiger Leser der damaligen Publikationen hat Benicke jedoch wenige Zitate gefunden, um den Vorwurf des Antisemitismus gegenüber den K-Gruppen zu belegen, auch wenn damals sicher viele unpassende oder auch dumme Vergleiche gezogen wurden. Die krassesten Zitate im Buch stammen alle aus dem Umfeld der Spontis und RAF (Rote Armee Fraktion). Am 9. November 1969, dem 31. Jahrestag der Reichspogromnacht, verübte die Gruppe "Schwarze Ratten/Tupamaros Westberlin" einen Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Berlin. Kritik an der Aktion tat z.B. der Ex-Kommunarde Dieter Kunzelmann in der Sponti-Zeitung "Agit 838" (Nr.42) als Folge der "Vorherrschaft des Judenkomplexes" und eines psychischen "Judenknax" ab (S.117). Dieses Zitat wurde auch schon in der Schmähschrift "Unser Kampf: 1968" (2008) von Götz Aly ausführlich präsentiert und sogar als Kapitelüberschrift benutzt. Weder die Tatsache, dass einige Aktionen der "Stadtguerilla"-Gruppen durchaus antisemitischen Charakter hatten, noch die meisten Zitate die Benicke als Beleg anführt, waren bisher unbekannt. An einige Stellen verliert sich das sonst gut recherchierte Buch allerdings in denunziatorischen Entgleisungen. Neu dagegen ist die ausführliche Besprechung der Rezeption der Kritischen Theorie durch die K-Gruppen. Erstaunlich ist vor allem mit welcher Intellektuellen-Feindlichkeit sich Chef-Theoretiker der K-Gruppen bei ihrer Kritik an Adorno und Horkheimer austobten. In den K-Gruppen entbrannt ein regelrechter Kult um den aktivistischen "Macher". Joscha Schmierer, damals Generalsekretär des KBW (Kommunistischen Bund Westdeutschlands), schrieb zum Beispiel: "Die Kritische Theorie ist auf die Entwaffnung der Arbeiter aus. Ihr Hass gilt der Arbeit, von der sie lebt und die sie scheut." (S.146). Eine Lesart von Theorie wie 1968, die im Marxismus, Linkskommunismus, Anarchismus und auch der Kritischen Theorie nach subversiven Elementen suchte, war nicht mehr erwünscht, ebenso wie der "arbeitsscheue" Intellektuelle abgelehnt habe. Benicke glaubt, dass sich durch die K-Gruppen der "autoritäre Charakter" bei den AktivistenInnen wieder durchgesetzt hätte.

Benicke hat zu den Debatten um die Geschichte der westdeutschen Linken einen lesenswerten Beitrag geleistet. Bei der Fokussierung auf Kritische Theorie und Faschismusanalyse bleibt die Frage offen, ob die K-Gruppen bezüglich Betriebsarbeit, Solidarität mit Vietnam und Chile sowie mit "Gastarbeitern", Kampf gegen Berufsverbote und staatliche Repressionen nicht doch emanzipatorische Positionen vertreten haben. Vielleicht hat Benicke die Bedeutung der Kritischen Theorie für 1968 überschätzt. Wird von TheoretikerInnen wie Hans-Jürgen Krahl abgesehen, wurden die Texte der Frankfurter Schule 1968 nur sehr oberflächlich rezipiert und oft auf eine platte Manipulationstheorie ("Springer verblödet die Arbeiter" usw.) reduziert. Eine gewisse Oberflächlichkeit bezüglich der Theorie trifft sowohl für die "Anti-Autoritären" als auch die "Parteisoldaten" zu. Im Handgemenge der Bewegung und als Folge der Überschätzung der globalen Auswirkungen der Revolutionen in der 3. Welt hielten viele AktivistInnen Praxis für wichtiger als Theorie. Viele K-Gruppen gaben ernst spät eigene Theorieorgane aus und ihre Programme waren in der Regel von Dokumenten der Kommunistischen Internationalen aus den 1920er Jahren abgeschrieben. Für eine psychologisierte Erklärung, dass sich der "autoritärer Charakter" in Form der K-Gruppen in der Linken wieder durchgesetzt habe, gibt es im Rahmen der Diskursanalyse im Buch wenig Belege. Die äußerst hohe Fluktuation der Mitglieder der K-Gruppen zeigte, dass viele nicht treue "Parteisoldaten" werden wollten. Zudem wäre der Massenübertritt von den K-Gruppen zu den anfangs basisdemokratischen Grünen Anfang der 1980er Jahre kaum zu erklären. Auffällig ist auch, dass Benicke sich stärker auf Gruppen wie die KPD/ML (Kommunistische Partei Deutschland/Marxisten-Leninisten) konzentriert, die zeitweise einen üblen deutschen Nationalismus propagierten. Gruppen wie der KB (Kommunistischen Bund), die gegenüber den sozialitischen und nationalistischen Bewegungen in der 3. Welt weniger dogmatische Positionen einnahmen, werden nur am Rande behandelt. Das ist erstaunlich, da die "antideutsche" Linke auch aus dieser K-Gruppe hervorging. Der Stil, in dem "Anti-Deutsche" gegen Linke polemisieren, die ihre Ansichten nicht teilen, ist dem aggressiven Ton der "stalinistischen" K-Gruppen gar nicht so unähnlich.

Raute

Buchbesprechung von Markus Blümel

Ronald Blaschke, Adeline Otto, Norbert Schepers (Hrsg.):
Grundeinkommen - Geschichte - Modelle - Debatten

Berlin: Karl Dietz Verlag, 2010, 29,90 Euro

Dieses Grundeinkommensbuch ist unverkennbar mit dem Namen von Ronald Blaschke (profilierter Denker und Aktivist des bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland) verbunden. Der Philosoph, Publizist und Mitbegründer des deutschen "Netzwerk Grundeinkommen" hat zu diesem Buch den ersten und knapp 300 Seiten umfassenden Abschnitt (über "Geschichte, Fragen und Antworten einer Idee") beigesteuert und den dritten Teil über Ansätze und Modelle von Grundsicherungen und Grundeinkommen in Deutschland verfasst. Der zweite (kurze) Abschnitt stammt von Katja Kipping und versteht sich als politischer Essay. Im vierten Teil hat Adeline Otto Beiträge mehrerer AutorInnen unter dem Stichwort "Die Grundeinkommensdebatte in Europa aus linker Perspektive" versammelt.

Der Band "Grundeinkommen" kann insbesondere als Beitrag zur Verortung der Grundeinkommens-Debatte im linken, emanzipatorischen Spektrum verstanden werden. Das bedingungslose Grundeinkommen hat in der Linken nämlich nicht nur Zuspruch: In Deutschland sind einerseits neoliberale Bürgergeldmodelle in Diskussion, die oftmals benutzt werden, um das Grundeinkommen als ungeeigneten Debattenansatz abzutun. Andererseits erfährt das Grundeinkommen z.B. aus sozialdemokratischer bzw. gewerkschaftlicher Richtung Gegenwind, weil dadurch Konzepte wie Erwerbsarbeit, Wachstum oder vorsorgender Sozialstaat in Frage gestellt würden.

Abschnitt I und II

Wer einen umfassenden und kurz gehaltenen Streifzug durch die (Geschichte der) Idee des Grundeinkommens sucht, ist mit anderen Publikationen u.U. besser bedient. Was dieses Buch hervorragend leistet, ist, ausgewählte "ProtagonistInnen" des Grundeinkommens bzw. deren Denken ausführlich vorzustellen. Dazu gehören hierzulande wenig zitierte Denker wie Thomas Paine und Thomas Spence oder aber "KlassikerInnen" wie Erich Fromm, André Gorz, Michael Opielka, Lieselotte Wohlgenannt oder Georg Vobruba. Blaschke zeigt auf, dass das bedingungslose Grundeinkommen seinen festen Platz in der Geschichte des linken und emanzipatorischen Denkens hat und viele interessante Querverbindungen zwischen Grundeinkommen und anderen emanzipatorischen Ansätzen gegeben sind.

Blaschke widmet sich ausgiebig den Werken von Thomas Paine (einem sozialliberal geprägten Vertreter der englischen Frühsozialisten) und Thomas Spence (ebenfalls Frühsozialist) und deren naturrechtlichen Begründungen eines Grundeinkommens. Der Autor zeigt auf, dass beide bereits zu ihrer Zeit heute aktuelle Fragestellungen thematisiert haben: So etwa die Fragen "Grundeinkommen und dekommodifizierte, öffentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen", "Grundeinkommen auch für Reiche?" oder "Grundeinkommen auch für MigrantInnen?". Soziale Infrastrukturen spielen in der Debatte der deutschen Linken eine wichtige Rolle, ebenso Dekommodifizierung ("Entkleidung vom Charakter einer käuflichen und verkäuflichen Ware"). Blaschke zeigt auf, dass soziale Infrastrukturen und Grundeinkommen kein Gegensatz sind, im Gegenteil! Dekommodifizierung könne auf drei Arten erreicht werden kann. Erstens durch den universellen Zugang aller Menschen zu Teilhaberessourcen (Grundeinkommen plus gebührenfreie Nutzung von öffentlichen Gütern, Infrastrukturen und Dienstleistungen), zweitens durch eine Demokratisierung der Sozialpolitik und drittens durch autonome Eigenarbeit im informellen Sektor (ermöglicht durch ein Grundeinkommen).

Ausführlich setzt sich Blaschke mit dem Thema "Eigentum" auseinander. Für Blaschke ist das "bürgerliche Recht auf Eigentum (und Einkommen) durch Arbeit/Wertschöpfung (auch durch eigene Arbeit) zu befragen". So zitiert er Offe, der erklärt, dass "Gratisdienste" vorangegangener Generationen - als "geschenkte Hintergrundbedingungen" - es den so genannten Leistungsträgern ohne deren Verdienst und Zutun erlauben würden, ein scheinbar allein durch individuelle Arbeitsanstrengung "verdientes" Einkommen zu erzielen. Schätzungsweise würden diese "Hintergrundbedingungen" für 90% der Einkommen in Europa und den USA verantwortlich sein. Dazu kommen noch die gesellschaftlich unbezahlten Tätigkeiten, etwa in den Haushalten und Familien, die zum gesellschaftlichen Reichtum beitragen. Es sei also nicht - wie oftmals vorgebracht - so, dass diejenigen, die einer Lohnarbeit nachgehen, die Grundeinkommens-BezieherInnen alimentieren würden. Blaschke plädiert einerseits für eine (Rück-)Vergemeinschaftung privatisierten gemeinschaftlichen Eigentums (wie auch Spence), andererseits für eine neue Distribution - und zwar gerade auch an das Individuum. Angestrebt sei also keine Kollektivierung des Privateigentums. Vielmehr solle jedes Individuum auch ein Recht auf ein "Privat-Eigenes" haben. Dieses solle dem Menschen (in Anlehnung an Hannah Arendt) den nötigen Schutz vor der Willkür des Staates und des Marktes bieten und die Grundlage geben, dass Menschen "autonom sprechen und handeln" können. Womit diese zu "Mitgestaltern des Öffentlich-Politischen" werden können. Das "Privat-Eigene" ist der öffentlich garantierte, unantastbare individuelle Anteil an einem gemeinsamen Eigentum. Konkretisiert werden soll das "Privat-Eigene" laut Blaschke durch das bedingungslose Grundeinkommen. Das Grundeinkommen könne demnach auch als "Sorgepauschale für das Öffentlich-Politische" verstanden werden, es sei jedoch keine Entlohnung.

Bereits bei Thomas Spence gehören bürgerliche und politische Grundrechte zusammen. Das Wahlrecht müsse ökonomisch abgesichert sein. Bereits Spence erklärt, dass die Bindung politischer/bürgerlicher Rechte an spezifische ökonomische Teilhabeformen (wie Eigentum, Arbeit, Einkommen,...) obsolet ist. Stattdessen stellt er fest, dass universelle bürgerliche und politische Rechte auch universeller (uneingeschränkter, unbedingter) ökonomischer und sozialer Teilhabemöglichkeiten bedürfen. Oder wie Gorz es formuliert: Das Recht auf Einkommen dürfe nicht länger von entlohnter Beschäftigung abhängen. In Zeiten eines "Nützlichkeits-Rassismus" sei im Sinne von Arendt besonders wichtig zu betonen, dass es "ein Recht gibt, Rechte zu haben". Die Bedeutung des Grundeinkommens im Sinne einer "Demokratiepauschale" forciert auch Katja Kipping, prominente Vertreterin der Partei DIE LINKE. Als AbgeordneteR erhalte man recht stattliche Diäten, um die Unabhängigkeit zu wahren. Warum also nicht "Diäten light" an alle zahlen? "Das wäre die materielle Vollendung des Anspruchs einer Demokratie für alle", so Kipping.

Lohnarbeit wird von Grundeinkommens-BefürworterInnen kritisch betrachtet: als entfremdete Arbeit im Gegensatz zu autonomer, selbst bestimmter Eigenarbeit; als Arbeit, die nur Mittel zum Lohnerhalt ist; als reine Marktarbeit, die andere Arbeit entwertet; als Einkommensquelle, die für viele kein Auskommen ermöglicht; als Arbeit, die auf die ganze Lebenszeit zugreift usw. So sprechen etwa Büchele/Wohlgenannt der Marktarbeit den Vorrang vor anderen Tätigkeiten ab. In diesem Kontext wird auch Kritik an Sozial- und Bildungspolitiken laut, die darauf abzielen, den Menschen letztlich bloß auf seine Rolle als Ware auf einem Arbeitsmarkt vorzubereiten. Eine Ausweitung der entfremdeten Lohnarbeit sei bereits für Marx kein geeigneter Weg gewesen, wird betont. Vielmehr müsse es Frei-Zeiten und -Räume geben, um Autonomie und Fähigkeiten zu entwickeln. Blaschke nennt hier Marta Nussbaums Fähigkeiten-Ansatz als anschlussfähig an die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. So wie Gorz betont auch Blaschke, dass nicht allein die Schule der Ort für eine solche Entwicklung sei, sondern auch informelle Zusammenhänge oder etwa Orte der Eigenarbeit dafür nötig sind.

Viel Raum nimmt bei Blaschke Erich Fromm (1900-1980) ein. Fromm sei der "bedeutendste Vertreter eines humanistischen und demokratischen Sozialismus, der die Idee des Grundeinkommens befördert hat". Fromm, der sich deutlich abgrenzte vom stalinistischen und bürokratischen "Sozialismus" will die Abhängigkeit des Menschen von Markt und Staat überwinden. In Anlehnung an Marx formuliert Fromm: "Die Arbeit ist ein Mittel zum Geldverdienen, und nicht eine in sich sinnvolle Tätigkeit". Der Verlust schöpferischer Potenziale würde eingetauscht gegen Plunder auf dem Waren-, Dienstleistungs- und Freizeitmarkt, der allerdings eine Status verleihende Kraft habe. Seine innere Leere versuche der "homo consumens" mit einem ständigen, stets wachsenden Konsum zu kompensieren. Für Fromm ist der Übergang von einer Psychologie des Mangels zu einer des Überflusses wichtig. Eine Psychologie des Mangels erzeuge Angst, Neid und Egoismus. Wer von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum tagein, tagaus spreche, suggeriert Mangel. Diese Rede wolle nur eines hervorbringen: Marktverhalten. Der Mensch erlebe sich als "Tauschwert", als "Markcharakter", der Mensch werde zur Ware auf dem "Persönlichkeitsmarkt". Die Idee, freie Bindungen eingehen zu können, betonen auch Büchele/Wohlgenannt. Fromm meint, dass der Mensch bisher zu sehr mit seiner Arbeit beschäftigt war. Mit einem Grundeinkommen könne er sich mit den Lebensfragen beschäftigen: "Was ist der Sinn des Lebens?", "Welche Werte vertrete ich?". Im Sinne einer reflektierten Ausrichtung des eigenen, selbstverantwortlichen Lebens und der eigenen Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entspreche das Grundeinkommen bei Fromm einer Pauschale für Muße-, Besinnungs- und Umorientierungszeiten, so Blaschke. Blaschke greift zahlreiche Themen der Grundeinkommens-Debatte auf: den Faulheitsvorwurf genauso wie die Debatte um die Emanzipation der Frau durch ein Grundeinkommen oder Grundeinkommen als (arbeits)marktpolitischen Ansatz. Einen guten einführenden Einblick in christliche Positionen zum Grundeinkommen bietet er mit dem Kapitel 7.7. Hier werden Argumente aus der Sicht der Katholischen Soziallehre wie aus der Rechtfertigungslehre der evang. Kirche vorgetragen.

Blaschke plädiert gemeinsam mit anderen DenkerInnen für ein Gemeinwesen, in dem sich Individuen frei assoziieren und solidarisch leben können. Der autonom denkende und handelnde Mensch ist unverzichtbar für ein demokratisches Gemeinwesen. Oder anders ausgedrückt: Sozialismus ist nicht ohne Freiheit denkbar. Abschließend fasst Blaschke zusammen, dass das bedingungslose Grundeinkommen (wie auch bei Fromm) eingebunden ist in eine grundlegende transformatorische Konzeption in Richtung einer demokratisch-freiheitlichen und sozialistischen Gesellschaft.

Abschnitt III

Sehr umfassend ist der Vergleich von Grundsicherungs- und Grundeinkommensmodellen ausgefallen (ca. 80 Seiten). Hier werden allerdings nur Modelle aus Deutschland berücksichtigt. Sehr gut nachvollziehbar in diesem Band ist, dass Grundsicherungs- bzw. Mindestsicherungsmodelle (im Gegensatz zu Grundeinkommens-Modellen) immer eine Neiddebatte hervorrufen. Zudem seien sie weder Armut bekämpfend noch existenz- und die gesellschaftliche Teilhabe sichernd (wie das Grundeinkommen), weil sie dem Lohnabstandsgebot gehorchen.

Abschnitt IV

Im letzten Teil des Bandes stellt Jose Iglésias Fernández das "Grundeinkommen der Gleichen" vor (Spanien). Ruurik Holm informiert über die politische Auseinandersetzung mit dem Grundeinkommen in Finnland. Melina Klaus (KPÖ) beschreibt den Diskussionsprozess in der Kommunistischen Partei Österreichs zum Grundeinkommen und Sepp Kusstatscher berichtet über den Stand der Grundeinkommens-Debatte in Italien.

Raute

IMPRESSUM

Erscheinungsdatum dieser Ausgabe: 10.3.2011,

Ein Jahresabo kostet für 4 Nummern Euro 20,-, das 2-Jahres-Abo nur 35,- Euro!
Bestellungen entweder an grundrisse@gmx.net oder an K. Reitter, Antonigasse 100/8, A-1180 Wien

Bankverbindung: Österreich: BAWAG Konto Nr. 03010 324 172 (K. Reitter), Bankleitzahl 14000.
International: BIC = BAWAATWW, IBAN = AT641400003010324172, Empfänger = K. Reitter

Die Redaktionstreffen der Grundrisse finden jeden 2. und 4. Montag im Monat um 19 Uhr im
"Amerlinghaus", 1070 Wien, Stiftgasse 8 statt. Interessierte LeserInnen sind herzlich eingeladen.

Weitere Infos unter: www.grundrisse.net und unter
redaktion@grundrisse.net

Medieninhaberin: Partei "grundrisse" Antonigasse 100/8, 1180 Wien
Herausgeberin: Redaktion "grundrisse"

MitarbeiterInnen dieser Nummer: Martin Birkner, Bernhard Dorfer, Robert Foltin, Wolfgang Neulinger, Minimol, Franz Naetar, Karl Reitter,

Layoutkonzept & Layout: Lisa Bolyos

Erscheinungsort: Wien. Herstellerin: Digidruck, 1100 Wien

Offenlegung: Die Partei "grundrisse" ist zu 100% Eigentümerin der Zeitschrift "grundrisse".

Grundlegende Richtung: Förderung gesellschaftskritischer Diskussionen und Debatten.

Copyleft: Der Inhalt der "grundrisse" steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, außer wenn anders angegeben.

ISSN: 1814-3156, Key title: Grundrisse (Wien, Print)


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Quelle:
grundrisse - zeitschrift für linke theorie & debatte
frühling 2011, nr. 37
Herausgeberin: Redaktion "grundrisse"
Antonigasse 100/8, 1180 Wien
E-Mail: grundrisse@gmx.net
Internet: www.grundrisse.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2011