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GRASWURZELREVOLUTION/1790: Kolumbien - Dass der Frieden uns nicht das Leben kostet


graswurzelrevolution 431, September 2018
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Dass der Frieden uns nicht das Leben kostet!
Die anhaltende Gewalt im Cauca zeigt beispielhaft: Von Frieden kann für soziale Bewegungen in Kolumbien keine Rede sein

von Christopher Altgeld und Sascha Jablonski


Am 14. Mai 2018 wird Ramón Ascué von einem vorbeifahrenden Motorrad mitten in Corinto erschossen. Als Mitglied der indigenen Gemeinde der Kleinstadt, die im Departamento Cauca, im Südwesten Kolumbiens liegt. ist Ramón kein zufälliges Opfer, sagt Lisa Taquiinas: "Seit Jahrzehnten, eigentlich seit der spanischen Conquista, prägt die Gewalt von Großgrundbesitzern das leben der indigenen Gemeinden."


Lisa Taquiinas ist ebenfalls aus Corinto; sie ist dort Mitglied und Repräsentantin der Guardia Indígena (siehe Kasten unten). Im Gespräch erklärt sie uns, dass die heutige Landverteilung ihre Ursachen in Vertreibungen illegalen Aneignungen von Land hat, welche bis in die Kolonialzeit zurückreichen und bis heute andauern. Insbesondere das fruchtbare Land im Tal des Cauca-Flusses ist stets begehrt gewesen, u.a. für den Anbau von Zuckerrohr.

In anderen Teilen des Caucas ist die Existenz von Bodenschätzen ein wichtiges Motiv. Obwohl die kolumbianische Verfassung indigenen Gruppen das Recht auf kollektive Selbstverwaltung auf ihren Territorien zuspricht, verfügen viele von ihnen bis heute nicht über ausreichenden Zugang zu fruchtbarem Land und sind immer wieder mit Vertreibungen und illegalen Landenteignungen konfrontiert.

Um dem etwas entgegenzusetzen schlossen sie sich im Jahr 1971 im Regionalrat der Indigenen im Cauca (CRIC) zusammen. Unter dem Slogan der "Liberción de la madre tierra" ("Befreiung der Mutter Erde") leistet der CRIC seitdem Widerstand gegen Landraub, Vertreibung und Entrechtung.

Im Jahr 2014 starteten die indigenen Gemeinden aus der Umgebung Corintos eine neue Offensive: "Die Nasa-Indigenen stiegen von den Hängen der Andenkordillere herab, um die Zuckerrohrmonokulturen zu zerstören und das Land wieder einer kollektiven landwirtschaftlichen Nutzung zuzuführen", erzählt Lisa.

Die kollektiven Aneignungsaktionen des CRIC sind mehr als Symbolik: Der zerstörerischen Ausbeutung von Naturressourcen setzt er eine die Natur erhaltende und eine basisdemokratisch organisierte Produktion von Nahrungsmitteln entgegen.

Auch der getötete Ramón Ascué nahm aktiv am Kampf für die Befreiung der Mutter Erde Teil, bis am 14. Mai "die Attentäter im Dienste des agroindustruellen Kapitals sein Leben nahmen", wie es die Internetseite des Magazins desde abajo schreibt.(1) Sein Engagement wurde ihm ebenso zum Verhängnis, wie wenige Jahre zuvor seinem Bruder.

Systematische Gewalt gegen soziale Aktivist*innen

Der Cauca ist eine derjenigen Regionen Kolumbiens, in denen die Gewalt gegen soziale Bewegungen am heftigsten ist. Seit dem Friedensabkommen mit der FARC-Guerilla, Ende 2016, hat sich die Bedrohungslage sogar noch verschlimmert, wie uns Aktivist*innen berichten.

Insbesondere im Norden des Cauca sei es immer schwieriger geworden sich zu bewegen, da Paramilitärs und andere bewaffnete Akteure (u.a. Dissident*innen der FARC) um die Kontrolle der Gegend kämpfen. Doch auch in anderen Teilen des Landes ist die Lage nicht viel besser: Laut einem aktuellen Bericht des Institutes INDEPAZ wurden in den eineinhalb Jahren nach Unterzeichnung des Friedensabkommens 282 Aktivist*innen ermordet.

Nach Angaben von internationalen Organisationen hat die kolumbianische Regierung bisher nicht mal ein Fünftel der Vereinbarungen aus dem "Friedensabkommen" erfüllt. Statt Kleinbauern, lokale Gemeinschaften und soziale Bewegungen zu unterstützen und zu schützen, treibt sie in den zuvor von der Guerilla kontrollierten Gebieten die kapitalistische Ausbeutung voran. Mit dem ley ZIDRES wurde Anfang 2018 die Gesetzesgrundlage für die Vergabe großer ländlicher Gebiete an Unternehmen geschaffen - was einer Enteignung der dort lebenden Bevölkerung gleich käme, weil diese in der Regel nicht über offizielle Landtitel verfügt. Die ebenfalls im Friedensabkommen vereinbarte Bekämpfung des Paramilitarismus findet nicht statt, weil die Regierung seine Existenz schlicht leugnet. Wo hingegen Kohle oder Gold abgebaut, Öl und Gas gefördert, Zuckerrohr und Ölpalmen angebaut oder Wasserkraftwerke konstruiert werden, sind Polizei und Armee stets zur Stelle, um den Widerstand der Bevölkerung gewaltsam zu brechen.

Diejenigen, die den Widerstand organisieren, werden juristisch bedrängt. So hat die kolumbianische Staatsanwaltschaft beispielsweise am 20. April 2018 über 30 soziale Aktivist*innen im Südwesten Kolumbiens verhaften lassen.

Das Schweigen brechen!

Um das Schweigen über die anhaltende Gewalt gegen soziale Bewegungen zu durchbrechen, hat die Kolumbienkampagne Berlin eine Info-Kampagne gestartet.

"Damit der Ruf unserer kolumbianischen Freund*innen 'Dass der Frieden uns nicht das Leben kostet' nicht ungehört verhallt, werden wir in den nächsten Monaten verstärkt über die Gewalt gegen soziale Aktivist*innen in Kolumbien berichten", heißt es im Kampagnenaufruf. (2)

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Die Guardia Indígena

Die Guardia Indígena ist eine eigenständige Institution indigener Gruppen, die in Kolumbien verbreitet ist. Sie übernimmt Aufgaben, wie die Kontrolle und den Schutz des indigenen Territoriums sowie seiner Bevölkerung und Umwelt. Von staatlichen Sicherheitsorganen unterscheidet sie sich nicht zuletzt deshalb, weil sie Teil der indigenen Selbstverwaltung ist, und als solcher ein wichtiger Bestandteil des Widerstands gegen staatliche und parastaatliche Angriffe auf indigene Selbstbestimmung. Eine ihrer Aufgaben ist es, die eigene subalterne/widerständige Kultur gegen die postkoloniale profit- und wachstumsorientierte Kultur zu schützen und zu verbreiten. Die Guardia Indígena erhält ihr Mandat auf indigenen Versammlungen.

Das Engagement ist freiwillig und unbezahlt und wird von Frauen, Männern, Jugendlichen und Kindern gleichermaßen ausgeübt. Erkennbar ist die Guardia an ihrem "bastón o chonta", einem Holzstab, mit den Farben der jeweiligen indigenen Gruppe.

Die Kontrolle der indigenen Territorien (z.B. wer darf sich auf dem Territorien befinden und wer nicht) hat für sie einen besonderen Stellenwert. So setzte die Guardia in der Vergangenheit des öfteren Militärs, Polizisten oder Mitglieder von bewaffneten Gruppen fest, die sich ohne Absprache in indigenen Territorien aufhielten. Sie schützen das Territorium gegen nicht erwünschte Eingriffe in die Natur (etwa Holzfällarbeiten), sorgen bei Versammlungen, Demonstrationen und Veranstaltungen für Schutz, kümmern sich um Verletzte und den Schutz der Menschenrechte und sind Teil der indigenen Rechtsprechung.

Während des Präsidentschaftswahlkampfs wurde der linke Kandidat Gustavo Petro, der in der indigenen und afrokolumbianischen Bewegung eine breite Unterstützung genießt, von der Guardia Indígena begleitet und geschützt. Die Guardia erhält viel Anerkennung, und so ergab es sich, dass mittlerweile afrokolumbianische Gemeinschaften, als auch der Bauernverband der CNA, dieses Konzept übernommen haben, heutzutage haben auch sie ihre eigenen Guardias und stehen Seite an Seite mit der Guardia Indígena.


Anmerkungen:

1) https://www.desdeabajo.info/colombia/item/34179-asesinaron-a-ramon-liberador-de-tierra-de-corinto-cauca.html

2) Informationen zur Kampagne: https://kolkampagneberlin.wordpress.com


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Beerdigung von Ramón Ascué: Der CRIC-Aktivist wurde "im Dienste des agroindustriellen Kapitals ermordet.

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Quelle:
graswurzelrevolution, 47. Jahrgang, Nr. 431, September 2018, S. 14
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Telefon: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net
 
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Ein GWR-Jahresabo kostet 38 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2018

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