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GLEICHHEIT/6327: Konflikt in Albanien destabilisiert Balkan-Region


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Konflikt in Albanien destabilisiert Balkan-Region

Von Markus Salzmann
19. Mai 2017


Der seit Monaten anhaltende Konflikt zwischen Regierung und Opposition in Albanien ist am Donnerstag vorerst beigelegt worden. Sozialisten und Demokraten einigten sich darauf, die für den 18. Juni vorgesehene Parlamentswahl zu verschieben und eine gemeinsame Regierung zu bilden. Die Opposition soll das Amt eines stellvertretenden Regierungschefs sowie vier wichtige Ministerien und den Vorsitz in der staatlichen Wahlkommission erhalten.

Am Samstag waren Zehntausende Anhänger der oppositionellen Demokraten (PD) in der Hauptstadt Tirana auf die Straße gegangen und hatten den Rücktritt von Regierungschef Edi Rama von der Sozialistischen Partei (PS) sowie die Einsetzung einer All-Parteien-Regierung gefordert. Nur so könne eine "faire und freie Parlamentswahl" vorbereitet werden, erklärte der PD-Vorsitzende Lulzim Basha. Andernfalls werde die Opposition die Wahlen boykottieren.

Alarmiert über die Entwicklung reiste der amerikanische Vize-Außenminister Hoyt Brain Yee zu Gesprächen mit allen Parteien nach Albanien. Zunächst traf er sich mich Rama und Parlamentspräsident Ilir Meta von der Sozialistischen Bewegung für Integration (LIS), die mit der PS eine Koaltion bildet. Anschließend fand ein Treffen mit Basha statt.

Auch die Europäische Union schickte Emissäre nach Tirana. Die jetzt erzielte Einigung soll auf Initiative des CDU-Europapolitikers David McAllister, eines früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten, zustande gekommen sein.

Die Krise begann bereits im Februar, als die Demokraten zum Boykott der Wahl, zum Rücktritt Ramas und zur Bildung eines "Expertenkabinetts" aufriefen, um eine reguläre Wahl zu gewährleisten. Nachdem Rama dies abgelehnt hatte, boykottierte die Partei das Parlament und registrierte sich nicht für die Wahl. Am 24. April blockierten mehrere Tausend ihrer Anhänger zahlreiche Autobahnen.

Demokraten-Chef Basha wirft der Regierung vor, sie sei von Kriminellen und Drogenhändlern abhängig und habe "das gesamte Land zu einer Cannabisplantage gemacht". Dem österreichischen Standard sagte er, im Parlament, in den Rathäusern und in öffentlichen Institutionen säßen viele Leute, die "wegen Drogenhandels, Frauenhandels, Prostitution, Waffenhandels und Morden in europäischen Gefängnissen gesessen sind".

Regierungschef Rama warf seinerseits den Demokraten vor, sie wollten eine angestrebte Reform der Justiz verhindern, weil sie eng mit korrupten Richtern und Staatsanwälten verbunden seien.

Rama war auch unter heftige Kritik von EU-Vertretern geraten, weil er die nationalistische gezogen und gedroht hatte, bei fehlender EU-Beitrittsperspektive eine "kleine Union" mit dem Kosovo zu bilden. Dies sei zwar "nicht sein Wunsch, sondern nur eine mögliche Alternative bei einer geschlossenen Tür der EU".

Die Bildung eines solchen "Groß-Albanien" könnte die ganze Region wieder in Brand setzen. Vor allem von Serbien, dass die Unabhängigkeit des Kosovo nie anerkannt hat, wird ein Zusammenschluss mit Albanien vehement abgelehnt.

Die Politik der Demokraten und der Sozialisten unterscheidet sich im Grunde nicht. Beide bekennen sich zur Annäherung an die Europäische Union und zu einer wirtschaftsfreundlichen Politik. Oppositionsführer Basha hat früher Ministerposten bekleidet und war Bürgermeister der Hauptstadt Tirana. Beide Parteien sind in der Bevölkerung verhasst. Sie vertreten eine schmale Oberschicht im Land und sind tief in Korruption, Vetternwirtschaft und offene Kriminalität verstrickt.

Während die Sozialisten zum großen Teil aus gewendeten Stalinisten der ehemaligen Partei der Arbeit von Enver Hoxa bestehen, entwickelte sich die PD aus einer rechten Bewegung, die Anfang der 90er Jahre entstand. Beide Parteien wechselten sich an der Regierung ab. 2013 gewannen die Sozialisten die Wahl und lösten die Demokraten ab. Das Ergebnis der Herrschaft beider Parteien ist eine soziale Katastrophe, wie überall in der Balkanregion.

Nach der politischen Wende kam es in den 90er Jahren zu einer regelrechten Massenabwanderung. Bis zum Jahr 2010 war fast die Hälfte der Bevölkerung ausgewandert. Albanien hat heute nur noch rund 2,9 Millionen Einwohner. Die Zahl der Abwanderer ist nach wie vor hoch. Berechnungen der Weltbank nach rangierte Albanien 2015 auf Rang neun der Länder mit der höchsten Auswanderungsrate in Relation zur Bevölkerungszahl - vor Barbados und hinter Tonga.

Grund für die hohe Abwanderung ist die verbreitete Armut. Albanien gehört zu den ärmsten Ländern Europas. Das Pro-Kopf-BIP betrug im Jahr 2015 nach Angaben des Finanzministeriums rund 3400 Euro. Der Durchschnittslohn liegt bei 390 Euro. Die Arbeitslosenrate liegt über 35 Prozent, bei Jugendlichen sogar noch deutlich höher. Ohne die ausgeprägte Schattenwirtschaft könnte die Mehrheit der Albaner schlichtweg nicht überleben.

Die Sorge der USA und der EU gilt nicht den verarmten und bettelarmen Menschen. Ihre Sorge ist die wachsende Instabilität auf dem Balkan

Zwei Jahrzehnte nachdem die USA und Europa Jugoslawien aufgebrochen und mit Krieg überzogen haben, versinkt die Region in politischen Krisen und wachsendem Nationalismus. In jüngster Zeit häufen sich Warnungen vor neuen Kriegen auf dem Balkan.

Die serbische Regierung hat gedroht, man werde die ethnischen Serben im Kosovo wenn nötig mit militärischen Mitteln verteidigen. In Mazdonien haben Nationalisten das Parlament gestürmt und Vertreter der albanischen Minderheit angegriffen. Bosnien-Herzegowina ist angesichts von Abspaltungsversuchen der bosnischen Serben tiefer gespalten als zur Zeit des Dayton-Abkommen von 1995, wie die Financial Times jüngst bemerkte, der Balkan gleicht immer mehr einem Pulverfass.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.05.2017
Konflikt in Albanien destabilisiert Balkan-Region
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2017

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