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GLEICHHEIT/6078: Streiks und Proteste gegen "Jobs Act" der Renzi-Regierung


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Streiks und Proteste gegen "Jobs Act" der Renzi-Regierung

Von Marianne Arens
1. Oktober 2016


Am gestrigen Freitag (30. September) legte ein 24-stündiger nationaler Eisenbahnerstreik große Teile des Nah- und Fernverkehrs lahm. Eine Woche davor streikte das Flugpersonal von Alitalia und stoppte mehr als 200 Flüge mit insgesamt 25.000 Passagieren. Für den 21. Oktober rufen die Lehrer der staatlichen Schulen zum nationalen Schulstreik auf.

Mitte September beteiligten sich Hunderte Paketzusteller an Streiks in Bergamo, Brescia, Piacenza, Bologna und Parma gegen das europäische Logistikunternehmen GLS und seine Subunternehmer. In Perugia wurde in der Nacht zum 15. September ein ägyptischer streikender Arbeiter von einem aufgehetzten Lastwagenfahrer überfahren und getötet.

Abd Elsalam Ahmed Eldanf (53), ein ehemaliger ägyptischer Lehrer und selbst unbefristet beschäftigt, beteiligte sich vor der Zuliefererfirma Seam am Arbeitskampf seiner Kollegen gegen prekäre und miserabel bezahlte Arbeitsbedingungen, als er von dem LKW des Streikbrechers in voller Fahrt erfasst, mitgeschleift und auf der Stelle getötet wurde. Er hinterließ eine Frau und fünf Kinder.

Als der Staatsanwalt und die Medien von einem "Unfall" sprachen und den schuldigen Fahrer auf freien Fuß setzten, gingen in Piacenza 7000 Arbeiter auf die Straße, und der Streik breitete sich in allen GLS-Niederlassungen Italiens und anderen Betrieben aus.

Ein weiterer Arbeitskampf hatte schon am 27. August in der Lombardei begonnen. Er richtet sich gegen die schwedische multinationale Modefirma H&M, deren Warenlager in Stradella und Casalpusterlengo mehrere Tage lang bestreikt wurden. Dort ist die Ausbeutung zwar nicht so entsetzlich wie in den Textilbetrieben des Konzerns in Bangladesch, wo die Näherinnen kaum hundert Dollar im Monat erhalten. Aber auch in den italienischen Auslieferungsbetrieben heuert H&M ihre Beschäftigten über Subunternehmen zu Niedriglöhnen und unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen an.

Die sich ausbreitenden Arbeitskämpfe zeichnen sich durch zwei gemeinsame Merkmale aus:

Erstens richten sie sich direkt oder indirekt gegen die Auswirkungen der Arbeitsmarktreform "Jobs Act", die die Matteo-Renzi-Regierung Ende 2014 durchgesetzt hat. Zweitens werden sie von den offiziellen, großen Gewerkschaftsdachverbänden (CGIL, CISL, UIL) durchwegs boykottiert.

Die Gewerkschaftsführer, allen voran die CGIL-Chefin Susanna Camusso, haben die Arbeitsrechts- und Marktreform der Renzi-Regierung schon im vergangenen Jahr unterzeichnet, obwohl Ende 2014 über eine Million Arbeiter wochenlang dagegen gestreikt und protestiert hatten. Auch beim Fiat-Konzern, dessen Vorstandschef Sergio Marchionne ein besonders aggressiver Verfechter der Renzi-Reformen ist, hat der Sekretär der größten Metallergewerkschaft FIOM, Maurizio Landini, inzwischen einem Knebelvertrag zugestimmt.

Renzis "Jobs Act" hat den Kündigungsschutz aufgeweicht und die Einführung prekärer, befristeter Arbeitsverträge erleichtert. Diese können ohne Angabe von Gründen bis zu 36 Monate fortgesetzt werden. Auch können die Unternehmen einfacher auf Leiharbeit und Subunternehmen zugreifen. Mit der Einführung so genannter "Arbeits-Gutscheine" ("Buoni lavoro") wurde zudem eine Art moderner Tagelöhnerei geschaffen: Damit können Arbeiter stunden- und tageweise zum Stundenlohn von 7,50 Euro angeheuert werden.

Die italienische Regierung hat mit ihrem "Jobs Act" das früher geschützte Arbeitsrecht aufgeweicht und - auf ähnliche Weise wie die Hartz-Gesetze in Deutschland und die El-Khomri-Gesetze in Frankreich - den Arbeitsmarkt liberalisiert. Hinzu kommt nun, dass Renzi mit seinem Referendum [1] eine stärkere Zentralregierung anstrebt, die in der Lage ist, den Widerstand in der Bevölkerung autokratisch zu unterdrücken.

Die Gewerkschaftsbürokratie von CGIL, CISL und UIL hat sämtliche "Reformen" gegengezeichnet. Im Grunde teilt sie voll und ganz die Auffassung der Renzi-Regierung, dass die italienische Wirtschaft auf Kosten der Arbeiter flexibler und konkurrenzfähiger gestaltet werden muss.

So ist es kein Wunder, dass praktisch alle Arbeitskämpfe der letzten Zeit ohne und gegen sie organisiert worden sind. Zehntausende Arbeiter haben die traditionellen Gewerkschaften schon verlassen. An ihre Stelle treten immer häufiger die so genannten Basisgewerkschaften, und sie sind es auch, die zu den aktuellen Streiks der Eisenbahner, Piloten, Lehrer, Paketzusteller und anderer Arbeiter aufgerufen haben.

Bei den Eisenbahnen haben die Gewerkschaften CAT, CUB, SGB und USB Forderungen gegen den "Jobs Act", gegen die Renten"reform" und für eine Arbeitszeitverkürzung aufgestellt. Bei Alitalia fordern Anpac, Anpav und USB weniger Nachtflüge und Jobsicherheit für die Flugbegleiter, und bei den Lehrern mobilisieren USB und Unicobas für die Verteidigung des Rechts auf Bildung und gegen Privatisierungen im Schulsystem.

Allerdings haben diese Basisgewerkschaften keine andere Perspektive als die traditionellen Gewerkschaften. Sie treten zwar militanter auf und erscheinen weniger korrupt als die großen Gewerkschaften. Aber ihre Politik geht nicht über den üblichen gewerkschaftlichen Rahmen hinaus, mehr Druck auf die Kapitalisten und die nationale Regierung auszuüben.

Die Basisgewerkschaften SiCobas und USB, die den Kampf der Paketzusteller anführen, verweisen auf "ihre harten Verhandlungen" mit den Auftraggebern. "Sobald wir mit unserer Vorsicht nachlassen, versuchen sie sofort, sich das zurückzuholen, was wir in jahrelangen Kämpfen erobert haben", so der Provinzkoordinator der römischen SiCobas.

Dies ist eine Perspektive, die die heutige Situation völlig verkennt. Die tiefe internationale Krise des Kapitalismus spitzt sich in diesen Tagen extrem zu. Nicht nur die italienischen Banken, auch die deutschen und internationalen Finanzinstitute steuern auf einen neuen Crash zu, die EU bricht auseinander und die nationalen Regierungen setzen zunehmend auf militärische Lösungen.

Die Arbeiterklasse kann das, was sie in jahrelangem, sogar hundertjährigem Kampf erobert hat, nur mit einer internationalen sozialistischen Perspektive verteidigen und muss dazu eine neue politische Partei aufbauen, unabhängig von allen bürgerlichen Parteien und den Gewerkschaften.

Die Vorstellung von "kämpferischen Gewerkschaften" wird von vielen pseudolinken Gruppen, die aus der ehemaligen Kommunistischen Partei Italien entstanden sind, verbreitet und dient dazu, Arbeiter von einem solchen Kampf abzuhalten.


Anmerkung:
[1] https://www.wsws.org/de/articles/2016/09/29/ital-s29.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 01.10.2016
Streiks und Proteste gegen "Jobs Act" der Renzi-Regierung
http://www.wsws.org/de/articles/2016/10/01/ital-o01.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2016

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