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GLEICHHEIT/5814: Ungarn bereitet Notstandsgesetze vor


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ungarn bereitet Notstandsgesetze vor

Von Markus Salzmann
9. Februar 2016


Ungarns rechte Regierung plant ein weitreichendes Notstandsrecht. Unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung und der Flüchtlingsabwehr, die in der offiziellen Propaganda ein und dasselbe sind, verschafft sich die Regierung diktatorische Vollmachten, mit denen sie jede soziale und politische Opposition unterdrücken kann.

Bei Terrorgefahr will die Fidesz-Regierung von Victor Orban die Versammlungs- und Pressefreiheit massiv einschränken, Grenzen schließen, die Reisefreiheit ungarischer Staatsbürger und deren Kontakte ins Ausland einschränken sowie Telefongesellschaften und Internet-Anbieter zur Abschaltung von Verbindungen zwingen. Das Anti-Terror-Paket soll 30 einzelne Maßnahmen umfassen.

Die Pressefreiheit wird in Ungarn seit Jahren eingeschränkt. Nun sollen Medien zur Veröffentlichung von Regierungsbulletins gezwungen und "gefährdende" Medien zensiert und verboten werden. Gesetze sollen per Dekret außer Kraft gesetzt werden können. Geheimdienst und Polizei, schon jetzt weitgehend unkontrolliert, erhalten weitergehende Befugnisse. Der Einsatz des Militärs im Innern wird erleichtert.

Darüber hinaus sollen jederzeit Streikverbote und Ausgangssperren verhängt werden können. Die Regierung kann den Notstand ohne Zustimmung des Parlaments ausrufen. Dieses soll erst nach 60 Tagen gehört werden, um die Maßnahme gegebenenfalls zu verlängern.

Amnesty International kritisierte den geplanten Gesetzentwurf als einen "direkten Angriff auf die Menschenrechte". "Würde er in der gegenwärtigen Form angenommen, hätte der Vorschlag zutiefst negative Auswirkungen auf die Menschenrechte in Ungarn", heißt es in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation. "Betroffen wären die Meinungs-, die Versammlungs-, die Bewegungs- und die Vereinigungsfreiheit sowie das Recht auf Privatsphäre und persönliche Sicherheit."

Der Begriff der Terrorgefahr, der es der Regierung erlaubt, den Notstand auszurufen, wird bewusst schwammig gehalten. In dem Gesetzentwurf ist lediglich vom "Schutz der ungarischen Menschen" und von äußeren und inneren Bedrohungen die Rede. Vertreter der Regierung haben bereits deutlich gemacht, dass sich die Notstandsgesetze gegen jeden richten können.

Regierungssprecher Zoltan Kovacs verteidigte die geplanten Gesetze vehement und begründete dies mit der europäischen Flüchtlingskrise. Er bezeichnete die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht in Köln, die von den Medien maßlos aufgebauscht wurden, als eine neue Form des Terrorismus. "Wir sollten jedenfalls den Experten, die das behaupten, zuhören", sagte Kovacs. Er erklärte offen, Terror und Flüchtlingsströme in Europa gingen "Hand in Hand".

Orbans Berater Gabor Fodor hatte bereits nach den Terroranschlägen in Paris erklärt: "Heute Nacht ist der Liberalismus gescheitert. Gescheitert sind Merkel und Hollande. Gescheitert sind die einwanderungs- und letztlich terrorfreundlichen Brüsseler Bürokraten."

Ungarn hatte bereits im vergangenen Jahr Flüchtlinge, die über Serbien nach Österreich und Deutschland weiterreisen wollten, aufgehalten. Die Regierung errichtete an der serbischen Grenze einen über 170 Kilometer langen Zaun und geht dort mit aller Härte gegen Flüchtlinge vor. Flüchtlingen, die trotzdem illegal einreisen, drohen drakonische Strafen. Der Bau eines weiteren, 600 Kilometer langen Zauns an der Grenze zu Rumänien ist in Vorbereitung, sollten viele Flüchtlinge die Route ändern.

Die rechte Regierung in Budapest fühlt sich dabei durch die verschärfte Flüchtlingspolitik anderer europäischer Regierungen bestätigt. Kovacs verwies auf die verschärfte Rechtslage in Ländern wie Deutschland, Österreich und Schweden. "Es zeigt sich: Wir hatten recht", sagte der Regierungssprecher.

Die jüngste Ankündigung der Wiener Regierung, eine Obergrenze für Flüchtlinge einzuführen, ist dabei Wasser auf die Mühlen der ungarischen Rechten. "Das ist ein Eingeständnis, dass die Willkommenskultur und die Politik der offenen Grenzen ein Fehler war", kommentierte Kovacs. Langsam setze sich in Wien der "Hausverstand" durch.

Kovacs forderte eine weitere "Verteidigungslinie" gegen Flüchtlinge in Mazedonien. Ungarn hat bereits mehrere Duzend Polizisten an die Grenze Mazedoniens zu Griechenland geschickt, um die Grenzsicherung zu unterstützen. Auch der Bau eines Grenzzauns ist hier in Vorbereitung.

Kürzlich erklärte Orban bei einem Treffen mit dem bulgarischen Ministerpräsident Boyko Borissow in Sofia, die Flüchtlingswelle sei die wichtigste Sicherheitsfrage in Europa. Dadurch steige die Terrorgefahr. "All jene, die sich nicht verteidigen können," lebten durch die Flüchtlinge "in Gefahr". Orban kündigte an, die Visegrád-Staaten würden bei ihrem Treffen Mitte Februar in Prag gemeinsam mit der bulgarischen Regierung weitere Maßnahmen gegen Flüchtlinge diskutieren.

Obwohl die Regierung Orban das Notstandsgesetz mit dem jüngsten Zustrom von Flüchtlingen begründet, setzt sie damit ihre bisherige Politik konsequent fort. Orban hat in den vergangenen fünf Jahren die Grundlage für einen autoritären Staat gelegt. Er hat Einrichtungen wie das Verfassungsgericht und die öffentlichen Medien von unliebsamen Personen gesäubert und demokratische Rechte dramatisch eingeschränkt. Dies geschah parallel zu Angriffen auf den Lebensstandard der Bevölkerung. Heute ist Ungarn eines der ärmsten Länder in Mittel- und Osteuropa.

Aus diesem Grund gibt es unter den ungarischen Parteien keinen Widerstand gegen die Notstandsgesetze. Sowohl die faschistische Jobbik als auch die ungarischen Grünen arbeiten im Parlament seit Längerem mit Fidesz zusammen und unterstützen die Gesetze.

Während es in der Bevölkerung weitverbreitete Ablehnung und Besorgnis gibt, versuchen die Oppositionskräfte diese zu unterdrücken. Ende Januar organisierte eine Gruppe verhasster und diskreditierter Politiker einen Protest in Budapest. Angeführt wurde er von Lajos Bokros, dem berüchtigten sozialistischen Finanzminister, der in den 90er Jahren ein drakonisches Sparpaket erzwungen hatte.

Auch aus der Europäischen Union gibt keine Kritik an den Notstandsgesetzen, weil fast alle Mitglieder in dieselbe Richtung gehen. In Frankreich wurde nach den Terroranschlägen von Paris der Notstand ausgerufen und ist seither in Kraft. In zahlreichen anderen europäischen Ländern sind die demokratischen Rechte ebenfalls unter Beschuss. Die Anti-Terror-Gesetze in Ungarn sind daher auch eine Vorlage für die Einführung autoritärer Herrschaftsformen in anderen Ländern.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 09.02.2016
Ungarn bereitet Notstandsgesetze vor
http://www.wsws.org/de/articles/2016/02/09/unga-f09.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2016

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