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GLEICHHEIT/5590: Berlins Griechenland-Politik verschärft Spannungen in Europa


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Berlins Griechenland-Politik verschärft Spannungen in Europa

Von Alex Lantier
13. Juli 2015


Beim Treffen der europäischen Regierungschefs am Sonntag, auf dem es über neue verheerende Sparmaßnahmen für Griechenland und den möglichen Austritt des Landes aus dem Euro ging, traten die Konflikte zwischen den europäischen Großmächten offen zutage.

Deutschland trat am aggressivsten auf, um Griechenland die härtesten Bedingungen zu diktieren. Einige der Vorschläge laufen darauf hinaus, Griechenland praktisch auf den Status einer Halbkolonie zu degradieren. Berlin versuchte nicht nur, Griechenland unter Androhung des Ausschlusses aus der Eurozone in die Knie zu zwingen, sondern auch, die anderen großen Eurostaaten wie Frankreich und Italien auf seine Linie zu bringen.

Der italienische Premierminister Matteo Renzi erklärte zu Beginn der Verhandlungen, Italien lehne weitere Forderungen an Griechenland unter Androhung des Ausschlusses aus der Eurozone (Grexit) ab. Er betonte, die Eurozone akzeptiere die Sparvorschläge des griechischen Premierministers Alexis Tsipras in Höhe von dreizehn Milliarden Euro, die von französischen und griechischen Staatsvertretern ausgearbeitet worden waren. Damit setzte sich Tsipras über den Willen der griechischen Bevölkerung hinweg, die am 5. Juli bei einem Referendum über den Sparkurs der EU mit deutlicher Mehrheit mit "Nein" gestimmt hatte.

"Italien will keinen Austritt Griechenlands aus dem Euro, und in Richtung Deutschland sage ich: Genug ist genug", sagte Renzi laute der Zeitung Il Messaggero. "Jetzt, wo Tsipras Vorschläge gemacht hat, die den europäischen Forderungen entsprechen, müssen wir uns ganz einfach einigen. Einen europäischen Partner noch weiter zu erniedrigen, nachdem Griechenland in allen Punkten nachgegeben hat, ist undenkbar."

Zuvor hatte der französische Premierminister Manuel Valls in einer Rede vor der französischen Nationalversammlung erklärt, Frankreich werde einen Grexit nicht akzeptieren.

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn warnte in der Süddeutschen Zeitung, ein Grexit "wäre fatal für den Ruf Deutschlands in der EU und der Welt". Er erklärte: "Wenn Deutschland es auf einen Grexit anlegt, provoziert es einen tiefgreifenden Konflikt mit Frankreich. Das wäre eine Katastrophe für Europa... Die Verantwortung Deutschlands ist riesig. Es geht jetzt darum, nicht die Gespenster der Vergangenheit heraufzubeschwören."

Asselborns kaum verhohlene Anspielung auf die Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts zeigt die außergewöhnliche Schärfe der wirtschaftlichen und militärischen Spannungen in Europa, deren Wurzeln tief in der Geschichte des europäischen Kapitalismus liegen. Im Zweiten Weltkrieg hatte Deutschland, mit Unterstützung durch lokale faschistische Regimes, Griechenland, Frankreich und große Teile von Italien besetzt.

Berlins unnachgiebige Haltung zeigt, welche Konsequenzen Deutschlands Vormachtstellung in Europa seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 mit sich bringt. Führende deutsche Akademiker und Politiker fordern, dass Deutschland seine Macht nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch durchsetzt. Anfang 2014 verkündete Deutschland offen das Ende der militärischen Zurückhaltung und begann in diesem Jahr mit einem Wiederaufrüstungsprogramm im Wert von mehreren Milliarden Euro.

Ein Memorandum von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der treibenden Kraft hinter der Drohung mit dem Grexit, gab den Ton für die Diskussion am Sonntag vor. Es forderte Rentenkürzungen und Mehrwertsteuererhöhungen, Privatisierungen und Liberalisierungsmaßnahmen, die weit über Tsipras' Sparpaket im Wert von dreizehn Milliarden Euro hinausgehen.

Er drohte außerdem mit einem "befristeten" Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone und forderte Griechenland auf, der Institution für Wachstum in Luxemburg Staatsvermögen im Wert von 50 Milliarden Euro zur Verwaltung und zum Verkauf auszuhändigen.

Laut einem Bericht der griechischen Zeitung Press Project ist die Institution für Wachstum eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der in Frankfurt ansässigen Entwicklungsbank KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau), die unter der Rechtsaufsicht des Bundesfinanzministeriums (BMF) steht. Als Vorsitzender des Verwaltungsrats der KfW soll Schäuble die Institution zusammen mit dem damaligen griechischen Premierminister Antonis Samaras bereits 2013 gegründet haben.

Schäubles Vorschläge wurden in den Entwurf eines vierseitigen Verhandlungspapiers einbezogen, das von den Staaten der Eurozone ausgearbeitet wurde. Tsipras akzeptierte diese Forderungen als Grundlage für Verhandlungen, die bis Montagvormittag andauerten.

Während sich Scäuble und die deutsche Regierung weitgehend durchgesetzt haben, sind die Einwände von Italien und Frankreich offenbar nicht ganz folgenlos geblieben. Bei den Verhandlungen zwischen Merkel, Tsipras, Hollande und dem EU-Ratspräsidenten Donald Tusk wurde ein Grexit zumindest kurzfristig ausgeschlossen.

Mit den Verhandlungen in Brüssel hat sich Griechenland zum Epizentrum einer schweren Krise des europäischen und internationalen Kapitalismus entwickelt. Bereits der Beginn der griechischen Schuldenkrise im Jahr 2010 hatte scharfe Gegensätze in Europa offen gelegt. Damals stimmte Bundeskanzlerin Angela Merkel einer Rettung Griechenlands durch die EU erst nach langen Diskussionen zu, in denen der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy mit dem Austritt Frankreichs aus dem Euro gedroht und davor gewarnt hatte, dass dies die französisch-deutschen Beziehungen schwer belasten würde.

Der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet [1], hatte erklärt, Europa stehe vor der "schwierigsten Situation seit dem Zweiten Weltkrieg, vielleicht vor der schwierigsten seit dem Ersten Weltkrieg."

Merkel hatte sich ihrerseits gegen Sarkozys Pläne [2] zur Gründung einer Mittelmeer-Union mit Frankreich und den südeuropäischen Ländern ausgesprochen. Sie warnte davor, dass eine Polarisierung zwischen Südeuropa und einem nordosteuropäischen Block, dem Deutschland angehören würde, zur Auflösung Europas führen könnte.

Fünf Jahre später hat sich die soziale Krise in Europa noch weiter verschärft, und die Möglichkeit eines Auseinanderbrechens von Europa hat sich mit der Drohung eines Grexit noch deutlicher gezeigt. Die wichtigsten Gegner des Grexit sind Frankreich, Italien und Spanien, während Deutschland, Finnland, die Niederlande und rechte osteuropäische Regimes wie in der Slowakei und Litauen die treibenden Kräfte für einen Ausschluss Griechenlands aus dem Euro sind.

Während sich die Spannungen innerhalb Europas verschärfen, nimmt auch der Konflikt zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Imperialismus. Letztlich geht es um die Frage, wer in der Europa das Sagen hat.

Die Obama-Regierung hat Deutschland hinter den Kulissen dazu angehalten, sich mit Griechenland zu einigen. Letzte Woche stellte sich Washington zudem auf die Seite von Frankreich. US-Finanzminister Jack Lew forderte die EU und Griechenland auf, sich über den Sparkurs und einen Schuldenschnitt für Griechenland zu einigen. Er kritisierte die Kräfte, die "weiterhin derartige Galgenfristen setzen" - eine Anspielung auf Berlin und seine Verbündeten.

Die Bundesregierung wies Washingtons Einwürfe zurück. Schäuble erklärte kurz und knapp, ein Schuldenschnitt verstoße gegen "europäische Verträge".


Anmerkungen:
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2010/05/gesp-m18.html
[2] http://www.wsws.org/de/articles/2011/04/liby-a19.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 13.07.2015
Berlins Griechenland-Politik verschärft Spannungen in Europa
http://www.wsws.org/de/articles/2015/07/13/euro-j13.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2015

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