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GLEICHHEIT/5206: Französisches Antiterrorgesetz tritt demokratische Rechte mit Füßen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Französisches Antiterrorgesetz tritt demokratische Rechte mit Füßen

Von Kumaran Ira
16. Juli 2014



Die Regierung der Sozialistischen Partei (PS) in Frankreich drückt ein Antiterrorismusgesetz durch, das grundlegende demokratische Rechte mit Füßen tritt. Es verleiht den Behörden Sondervollmachten, die Bevölkerung auszuspionieren und Webseiten unter dem Vorwand zu zensieren, sie begünstigten Terrorismus.

Am 9. Juli stellte Innenminister Bernard Cazeneuve den Gesetzentwurf im Kabinett vor. Er soll Ende des Monats im Parlament debattiert werden. Das Gesetz würde dem Innenminister erlauben, Reiseverbote gegen Einzelpersonen, zum Beispiel Minderjährige, zu verhängen, die nach Syrien oder in andere Länder reisen wollen, um auf der Seite von Dschihadisten zu kämpfen, und wenn sie bei ihrer Rückkehr als potentielle Gefahr für die innere Sicherheit Frankreichs oder Europas betrachtet werden müssten.

Ein solches pseudojuristisches Vorgehen unterhöhlt grundlegende demokratische Rechte, darunter das Prinzip der Unschuldsvermutung. Die PS will dem Staat das Recht zusprechen, Personen zu bestrafen, ohne dass Beweise für ihre Schuld vorliegen, einfach auf die Behauptung der Sicherheitskräfte hin, sie könnten möglicherweise in der Zukunft ein Verbrechen begehen.

Um den Angriff auf demokratische Rechte herunterzuspielen, sagte Cazeneuve: "Hier geht es nicht um Willkür. Es müssen schon einige Dinge zusammenkommen, bevor der Schluss gezogen werden kann, dass eine Person entschlossen sei, in ein dschihadistisches Kriegsgebiet zu reisen."

"Wir haben es mit einer neuen Bedrohung zu tun", erklärte Cazeneuve. "Alle diese Jugendlichen, die dort hingehen, erleben schreckliche Gewalt, Folter, Enthauptungen, Kreuzigungen, zahllose Morde. Sie kommen zerstört zurück, da sie barbarische Gewalt miterlebt haben. Sie sind eine Bedrohung für unser Land. Sie sind bereit, extreme Gewalt zu verüben. Daher müssen wir uns schützen."

Das ist ein zynischer Betrug! Frankreich, die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten unterstützen in Syrien die rechtsextremen oppositionellen Islamistenmilizen, die Mord, Folter und zahllose andere Verbrechen begehen, um den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen. Das ist ein reaktionärer und politisch krimineller Stellvertreterkrieg, der dort in Syrien geführt wird. Ohne ihn beendet zu haben, nutzt die Regierung in Paris jetzt seine katastrophalen Konsequenzen als Vorwand, um die demokratischen Grundrechte im eigenen Land anzugreifen.

Dem Gesetzentwurf ging die Verhaftung des französischen Staatsbürgers Mehdi Nemmouche voraus, dem die Schüsse vor dem jüdischen Museum in Brüssel angelastet werden, die im Mai vier Menschen töteten. Nemmuoche soll in Syrien auf der Seite islamistischer Milizen gekämpft haben. Mindestens 250 Franzosen und mehr als 1.000 europäische Bürger sollen in Syrien und im Irak kämpfen, und ca. 800 französische Staatsbürger oder Bewohner sind schon nach Syrien gegangen oder planen, es zu tun.

Aufgrund dieser Situation, für die die Politik des französischen Imperialismus und seiner Verbündeten die Hauptverantwortung trägt, plant die PS jetzt, dem Innenminister weitgehende Vollmachten zu geben, die einem totalitären Regime würdig wären. Er soll Reiseverbote aussprechen dürfen, spionieren und die Meinungsfreiheit einschränken dürfen.

Cazeneuves Gesetzentwurf gibt dem Innenminister das Recht, Personen darin zu hindern, Frankreich zu verlassen, und sie auf Fahndungslisten zu setzen, die den Behörden europäischer Staaten zur Verfügung gestellt werden. Die Verbote werden für sechs Monate ausgesprochen, können aber immer wieder verlängert werden. Die Behörden können Pässe einziehen und für ungültig erklären. Personen, die das Reiseverbot verletzen, drohen drei Jahre Gefängnis.

Der Gesetzesentwurf verpflichtet Fluggesellschaften, die Behörden zu informieren, sobald radikalisierte Personen einen Flug buchen. Fluggesellschaften dürfen solche Personen auch nicht an Bord eines Flugzeugs lassen. Die Namen von Passagieren und die gespeicherten Daten des Reservierungssystems mit dem Reiseverlauf eines Passagiers oder einer Gruppe von Passagieren, wird europäischen Behörden übergeben, um solche Personen leichter identifizieren zu können. Wenn es mit einem Reiseverbot belegten Personen dennoch gelingt, ins Ausland zu fliegen, werden sie mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Cazeneuves Gesetzentwurf gibt dem Staat auch drastische Vollmachten für die Überwachung des Internets, von Web Seiten, Mail Servern und Clouds. Es ermöglicht den Behörden, ohne richterliche Verfügung von Internetprovidern die Blockierung von Inhalten zu verlangen, der Terrorismus befürwortet und rechtfertigt. Das erstreckt sich auch auf Online Foren, Twitter und Facebook.

"Ich möchte diese Seiten blockieren", erklärt Cazeneuve, weil das Internet "zu Hass und Mord aufstacheln" könne.

Der Gesetzentwurf erlaubt der Polizei Telefonanrufe im Internet mit Programmen wie Skype abzufangen und aufzuzeichnen. Das ähnelt dem illegalen Ausspionieren der amerikanischen Bevölkerung, wie es der Whistleblower der National Security Agency, Edward Snowden, bekannt gemacht hat. Snowden enthüllte auch, dass der französische Nachrichtendienst mit Orange, der ehemaligen France Telecom, bei der Sammlung sämtlicher Kundendaten zusammenarbeitet.

Die Gruppe Quadratur des Netzes, eine Vereinigung, die sich für digitale Rechte und Freiheiten einsetzt, kritisierte die Regelungen in dem Gesetzentwurf, die das Blockieren von Web Sites zulassen, als Angriff auf die Meinungsfreiheit, und fordert von der Regierung, sie fallen zu lassen. Adrienne Charmet, die Koordinatorin der Gruppe, erklärte: "Die geplanten Zensurmaßnahmen gegen Web Sites, die Terrorismus rechtfertigen, richten sich direkt gegen die Meinungsfreiheit und gegen das Recht auf einen fairen Prozess, zwei Grundpfeiler der Rechtsstaatlichkeit."

Die wahre Bedeutung eines solchen Gesetzentwurfs erschließt sich nur im Kontext der kapitalistischen Krise und der Diskreditierung des politischen Establishments Frankreichs. Die Wirtschaft steckt in der Rezession und in Massenarbeitslosigkeit und die PS-Regierung ist so unbeliebt wie noch keine Regierung seit dem faschistischen Vichy-Regime Ende des Zweiten Weltkriegs. Dementsprechend lebt die herrschende Elite in der tödlichen Furcht vor dem Ausbruch von Massenopposition.

Sie rechtfertigt ihre drakonischen, antidemokratischen Maßnahmen mit der falschen Behauptung, sie kämpfe gegen Dschihadismus. Aber die Vollmachten für die Sicherheitsdienste, Reiseverbote zu verhängen, das Internet auszuspionieren und Webseiten zu zensieren, werden unweigerlich gegen den Widerstand der Arbeiterklasse eingesetzt werden.

Solche Angriffe auf demokratische Rechte, wie sie im französischen Antiterrorgesetz jetzt enthalten sind, kommen in der ganzen Europäischen Union zum Einsatz. Am 7. Juli kamen Behörden aus neun EU-Ländern überein, Geheimdiensterkenntnisse auszutauschen. Der EU-Antiterrorismuskoordinator Gilles Kerchove sagte, der Plan beinhalte einen besseren Datenaustausch über verdächtige Personen und eine bessere Überwachung von Aus- und Einreisepunkten an den EU-Außengrenzen.

Am 9. Juli berichtete die Deutsche Welle: "Bisher wurde bei der Einreise nur die Gültigkeit von Personalausweisen und Reisepässen überprüft. Zukünftig werden Grenzbeamte auch Informationen über frühere Reiserouten und über die Fahndung nach bestimmten Personen kontrollieren."

Die EU schlägt auch eine verstärkte Überwachung von Web Sites vor. EU-Binnenkommissarin Cecilia Malmström ist schon in Diskussionen mit Google, Twitter und Facebook darüber, wie Seiten blockiert oder entfernt werden können, die angeblich Islamismus predigen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 16.07.2014
Französisches Antiterrorgesetz tritt demokratische Rechte mit Füßen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2014