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GLEICHHEIT/4277: Israelische Polizei verhaftet Demonstrationsführer und löst Proteste auf


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Israelische Polizei verhaftet Demonstrationsführer und löst Proteste auf

Von Jean Shaoul
30. Juni 2012



Vergangenen Freitag versuchten einige hundert Aktivisten, wieder eine Zeltstadt auf Tel Avivs Rothschild-Boulevard zu errichten. Die Bereitschaftspolizei schritt gewaltsam ein, um die Besetzung des Boulevards zu verhindern. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die israelischen Machthaber entschlossen sind, in diesem Jahr keine weiteren Massenproteste zuzulassen.

Fünf Polizeibeamte ergriffen Daphne Leif, eine der Führerinnen der vorjährigen sozialen Protestbewegung, bei der 500.000 Menschen auf die Straßen gingen. Die Beamten drückten sie zu Boden und schlugen sie, bevor sie sie über die Straße zerrten, in einen Polizeiwagen warfen und auf die Polizeiwache brachten. Leif wurde später auf Kaution entlassen. Sie sagte, die Polizeibeamten hätten sie verletzt und erniedrigt.

Gemeindebeamte und die vom Tel Aviver Bürgermeister Ron Huldai eingesetzte "Grüne Patrouille" halfen der Polizei, die Demonstranten zurückzudrängen und zwölf weitere zu verhaften. Huldai, ein ehemaliger Brigadegeneral, nahm an den Protesten vom letzten Jahr selbst teil. Die gewaltsamen Szenen wurden fotografiert und breit in Umlauf gesetzt. Sie erregten weitreichende Empörung.

Am Samstagabend versammelten sich bis zu 7.000 Menschen am Habima-Platz im Stadtzentrum von Tel Aviv. Sie protestierten gegen die Verhaftung der zwölf Aktivisten und Leifs sowie deren Behandlung durch die Polizei. Sie skandierten Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und traten der Polizeibrutalität entgegen. Andere verurteilten die engen Bindungen zwischen israelischen Politikern und der Geschäftswelt. Einige wandten sich gegen die Okkupationspolitik und verteidigten die Rechte der Palästinenser; auf einem Transparent stand: "Demokratie für Alle, vom Jordan bis zum Meer."

Die Polizei reagierte prompt und brach die Demonstration unter Gewaltanwendung ab. Sie behauptete, die Proteste wären illegal und nicht mit den Behörden abgeklärt. Wütende Raufereien und Zusammenstöße waren die Folge, als Jugendliche mit der Polizei aneinandergerieten.

Die Stadthalle von Tel Aviv wurde mit Eiern beworfen. Einige drangen in Banken ein, zerstörten einen Bankautomaten und zwei Fenster. Es gab auch Berichte, dass in einem Fall Aktivisten in eine Bank eindrangen um dort ein Zelt aufzustellen, das Symbol der letztjährigen Proteste.

Die Polizei verhaftete 85 Personen, von denen mindestens 37 wegen Gesetzesverstößen angeklagt werden. Der Tel Aviver Bezirkspolizeikommandeur Aaron Eksol rechtfertigte sich in seiner Stellungnahme: "Jede denkbare rote Linie wurde hier überschritten. Wir werden dem mit dem vollen Umfang des Gesetzes nachgehen."

Bedrohlich fügte er hinzu: "Die Instruktionen an unsere Beamten lauteten, maßvoll Gewalt anzuwenden, aber unsere Polizisten wurden mit Steinen beworfen, bespuckt und geschlagen. Ich kenne keinen anderen Weg, Menschen von der Straße zu bekommen, als Gewalt anzuwenden."

Ein anderer Zwischenfall ereignete sich am Samstag in Jerusalem: 200 Protestierende versuchten, die Trasse der neuen und höchst umstrittenen Kleinbahn zu blockieren und wurden von der Polizei gewaltsam entfernt. Zwei Menschen wurden verhaftet. In Haifa protestierten Dutzende gegen Polizeiwillkür und riefen Premierminister Benjamin Netanjahu zum Rücktritt auf.

Als sich in Tel Aviv vierzehn Menschen wegen Ruhestörung und Aufruhr verantworten mussten, versuchte die Polizei zu verhindern, dass die Demonstranten auf Kaution frei gelassen wurden, aber der Richter setzte sich durch. Richter Tsachi Uziel sagte, sie hätten keine Vorstrafen und sollten entlassen werden, bis die Verfahren gegen sie abgeschlossen seien. Er mahnte, Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht seien "Grundrechte". Sie seien aber "nicht unbegrenzt".

Die Polizei klagte 37 der am Samstag verhafteten Demonstranten an. Gemäß den Rechtsbeiständen der Gefangenen, die ihre Freilassung erzwangen, waren die Polizeibeamten nicht in der Lage, diesen Gewahrsam zu begründen.

Staw Schaffir, ein Studentenführer, der die vorjährigen Proteste mit organisiert hatte, sagte, dass "die Gewalt extrem brutal und schrecklich war. Einigen Demonstranten wurde der Kopf gegen den Bürgersteig geschlagen. Wir sahen blutende Köpfe bei einigen Demonstranten. Ich glaube, dass eine Untersuchung der Arme der Demonstranten erweisen würde, dass sie alle mit Blutergüssen bedeckt sind." Er wies die Behauptung der Polizei zurück, die Demonstranten seien gewalttätig gewesen und nannte dies eine Verleumdung.

Schelly Jachimowitsch, jüngst gewählte Vorsitzende der Arbeitspartei und Oppositionsführerin, machte ihre Unterstützung für die Polizei deutlich, sprach sich aber zugleich dafür aus, einige Proteste als Sicherheitsventi zuzulassen. Sie sagte, dass "Vandalismus und Gewalt mit starker Hand in die Schranken gewiesen werden muss, doch ist es für die Demokratie nicht weniger gefährlich, jede Spur legitimen, nichtgewalttätigen Protestes zu unterdrücken."

Die Reaktion der Behörden auf diese relativ kleinen Proteste markiert einen Wandel gegenüber ihrem zurückhaltenden Herangehen im letzten Jahr. Die Regierung hat seit den damaligen Protesten die armseligen Vorschläge ihres eigens eingesetzten Sonderausschusses ignoriert, der innerhalb der Grenzen des Regierungsbudgets einige begrenzte Erhöhungen von Sozialausgaben und Einschnitte in die Verteidigungsausgaben vorschlug.

Netanjahus von Likud angeführte Koalition hat jetzt, nachdem die Oppositionspartei Kadima kürzlich der Regierung beigetreten ist, in der Knesset eine uneingeschränkte Mehrheit. Gleichzeitig sind die Arbeitspartei und die Histadrut-Gewerkschaft offene Verteidiger der Wirtschaftsinteressen und Experten darin, Arbeiterkämpfe in die Sackgasse zu führen.

Seit Monaten verweigerte die Polizei Kundgebungen und Demonstrationen die Erlaubnis. Sie arbeitete mit Verzögerungen sowie Verhaftungen und Gewalt, als unangemeldete Demonstrationen stattfanden. Faktisch streben die Behörden an, Proteste zu kriminalisieren. Zur selben Zeit wendet die Regierung die bewährte und ausgetestete Technik des Chauvinismus und Rassismus an, um fremdenfeindliche Stimmungen gegen afrikanische Asylsuchende zu schüren, die sie ausweisen will.

In der vergangenen Woche ordnete die Regierung zahllose Überfälle auf den Gazastreifen an, die sie mit dem Abschuss selbstgebastelter Raketen nach Israel rechtfertigte. Tatsächlich aber ist Israel durch sein Luftverteidigungssystem Eiserner Schutzschirm vor solchen Raketen umfassend geschützt. Seit letztem Montag tötete Israel fünfzehn Palästinenser und verletzte mehrere Dutzend. Netanjahu sagte, die israelischen Truppen würden ihre Einsätze im Gazastreifen verstärken, sollte die Hamas den angekündigten Waffenstillstand nicht einhalten. Die jüngsten Gewalthandlungen begannen, nachdem bewaffnete Kämpfer an der südlichen israelisch-ägyptischen Grenze vom Berg Sinai aus einen Angriff gestartet hatten, bei dem ein israelischer Zivilist getötet wurde.

Zusätzlich zu der ständigen Kriegshetze gegen den Iran, den es mit Luftschlägen gegen seine Atomanlagen bedroht, steigert Israel seine Aggressivität gegen Syrien. Tel Aviv behauptet, Damaskus verfüge über große Waffenarsenale, darunter Boden-Luft-Flugkörper und Raketen sowie biologische und chemische Waffen, von denen es befürchtet, diese könnten der Hisbollah in die Hände fallen, wenn der syrische Präsident Baschar al-Assad gestürzt werden sollte. Israel sagt, dies würde eine ebenso große Bedrohung für die israelische Gesellschaft darstellen, wie das Atomprogramm des Irans.

Zu Beginn dieses Jahres warnte ein Beamter des israelischen Verteidigungsministeriums, dass eine Weitergabe chemischer Waffen an die Hisbollah im Libanon gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung durch die libanesische Regierung wäre. Israel werde einen solchen Schritt verhindern.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 30.06.2012
Israelische Polizei verhaftet Demonstrationsführer und löst Proteste auf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2012