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GLEICHHEIT/4244: Sozialer und kultureller Kahlschlag im Ruhrgebiet


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Sozialer und kultureller Kahlschlag im Ruhrgebiet

Von Dietmar Henning
7. Juni 2012



Im Ruhrgebiet findet ein sozialer und kultureller Kahlschlag statt, wie ihn Westdeutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gesehen hat. Griechenland dient dabei als Vorbild.

Bereits im letzten Jahr hatte die nordrhein-westfälische Landesregierung unter Hannelore Kraft (SPD) den sogenannten "Stärkungspakt Stadtfinanzen" auf den Weg gebracht. Im Rahmen dieses Pakts erhalten überschuldete Städte Gelder vom Land, müssen aber im Gegenzug empfindliche Einsparungen vornehmen.

So bekommt die Stadt Duisburg bis 2016 jährlich 52 Millionen Euro. Anschließend sinkt der Betrag, bis die "Förderung" 2021 ausläuft und ein ausgeglichener Haushalt steht. Bis dahin muss die Stadt als Gegenleistung jährlich 82 Millionen Euro einsparen.

Sowohl das Geld aus dem Landeshaushalt wie die eingesparten Summen fließen direkt auf die Konten der Banken. Die Einwohner der betroffenen Städte bekommen davon nichts zu sehen.

Da Bund und Länder seit Jahren Kosten auf die Kommunen abschieben und gleichzeitig deren wichtigste Einkommensquelle, die Gewerbesteuer, ausgetrocknet haben, sind viele Städte im krisengebeutelten Ruhrgebiet hoch verschuldet. (Siehe: "Kommunale Schuldenkrise in NRW")

Die überschuldeten Städte finanzieren sich zum Großteil über kurzfristige Kassenkredite, die dem Dispositionskredit bei Privatpersonen vergleichbar sind. Die Städte Oberhausen, Essen, Duisburg, Wuppertal und Dortmund vereinen 40 Prozent der nordrhein-westfälischen und 20 Prozent der bundesweiten kommunalen Kassenkredite auf sich. Oberhausen ist mit fast 9.000 Euro Schulden pro Einwohner die am höchsten verschuldete Stadt Deutschlands,

In Duisburg belaufen sich die Kassenkredite aktuell auf 1,7 Milliarden Euro, zehn Mal so viel wie 1995. Hinzu kommen weitere 500 Millionen Euro für Investitionskredite. Rechnet man die Kredite der städtischen Unternehmen (Stadtwerke und Wirtschaftsbetriebe) hinzu, beläuft sich der Gesamtschuldenstand Duisburgs auf knapp 3,4 Milliarden Euro oder rund 6.700 Euro pro Einwohner.

In Essen, Oberhausen und Mülheim an der Ruhr wuchsen die Kassenkredite 2011 um 22 Prozent, schneller als in Duisburg. Die Banken verdienen dabei große Summen. Allein Duisburg zahlt in diesem Jahr fast 70 Millionen Euro Zinsen.

Alle Parteien sind sich einig, dass die Städte und Gemeinden sparen müssen. So erklärte der Ratsfraktionssprecher der Linkspartei in Duisburg, Hermann Dierkes: "Wir müssen die enorme Zinslast und die gigantischen Kassenkredite, also die zinstreibenden Überziehungskredite für die laufenden Ausgaben, abbauen."

Das ist allerdings nicht das Ergebnis der Sparmaßnahmen der Kommunen. Trotz Stärkungspakt und schmerzhaften Einschnitten wachsen die Schulden weiter an. So werden die Zinszahlungen der Stadt Duisburg laut Haushaltsplan von aktuell 70 Millionen Euro auf 160 Millionen Euro im Jahr 2021 anschwellen, obwohl jährlich 82 Millionen Euro gekürzt werden. Die zinstreibenden Kassenkredite sinken in diesem Zeitraum lediglich von 1,8 auf 1,6 Milliarden Euro.

Die Folgen der Eurokrise und die sich abzeichnende Rezession werden allerdings auch diese Planungen über den Haufen werfen und weitere Kürzungsrunden einläuten. Nur eines ist wie in Griechenland, Spanien, Italien, Portugal und Irland sicher: Bluten muss die Bevölkerung.

Die drastischsten Kürzungsmaßnahmen der Städte haben ausschließlich den Zweck, die Zinserträge der Banken zu sichern. Der "Stärkungspakt Stadtfinanzen" der rot-grünen Landesregierung unter Hannelore Kraft ist das sozialdemokratische Pendant zum Fiskalpakt, den Kanzlerin Angela Merkel in Europa durchsetzt.

Oberhausen

In Oberhausen übersteigen die fast 2 Milliarden Euro Schulden das gesamte städtische Vermögen inklusive Straßen, Gebäude nebst Einrichtungen, Grundstücken usw. In der Stadt gab es schon in den letzten Jahren massive Kürzungen. Der SPD-geführte Stadtrat strich mehr als tausend öffentliche Stellen, schloss Jugendzentren und vier von sieben Bädern und stellte den Bücherbus ein.

Nun müssen wegen des Stärkungspakts weitere 40 Millionen Euro pro Jahr gekürzt werden. Die Stadtoberen haben die Kürzungspläne über ihre Tochter OGM (Oberhausener Gebäudemanagement) vom Unternehmensberater Ernst & Young erarbeiten lassen. Nun sollen weitere 200 Stellen eingespart und zwei der drei verbliebenen Hallenbäder geschlossen werden, obwohl sie erst vor kurzem renoviert bzw. gebaut wurden. Alternativ, so die Unternehmensberater, könnten alle neun Lehrschwimmbecken in Schulen stillgelegt werden.

Die Schließung aller drei Stadtteilbüchereien könnte eine Million Euro im Jahr einsparen. Die Gebühren der dann einzig verbleibenden Stadtbibliothek (in einer Stadt mit mehr als 200.000 Einwohnern) sollen in mehreren Stufen stark steigen.

Die Ernst & Young-Leute haben auch an Beiträge der Hartz-IV-Empfänger gedacht. Sie sollen künftig den Eigenanteil für die Schulbücher selbst zahlen und keinen Hundesteuer-Rabatt mehr erhalten.

Städtische Grünflächen sollen seltener gepflegt und entsprechende Stellen bei den städtischen Garten- und Landschaftsbauern eingespart werden. Das wird zynisch als "ökologisches Konzept" bezeichnet. Auch könnten "Rentner und Pensionäre Patenschaften für Grünflächen und Bäume übernehmen und diese pflegen", so Personalchef Jürgen Schmidt (SPD).

Das Theater Oberhausen, das erst 2011 mit einer Inszenierung von Herbert Fritsch zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, soll zwar nicht schließen, aber ab 2015 zwei Millionen Euro sparen. Das bedeutet ein Minus von fast 30 Prozent

Duisburg

Laut dem Duisburger Stadtkämmerer Peter Langner (SPD) wird der "lange Weg" der Einsparungen und Kürzungen "den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt zum Teil drastische Einschnitte abverlangen - er ist aber unausweichlich".

Zu den bislang 680 Stelleneinsparungen kommen weitere 275 hinzu. Vier von 13 Stadtteilbibliotheken sowie drei von neun Bädern sollen geschlossen, der Bücherbus wie in Oberhausen eingestellt werden. Die Kindergartengebühren müssen auf Geheiß der Landesregierung um 6,3 Millionen Euro jährlich erhöht werden.

In der Volkshochschule und der Niederrheinischen Musik- und Kunstschule sollen Stellen und Angebote gestrichen und die Gebühren erhöht werden. Die Sozialberichterstattung wird genauso eingestellt wie die Arbeit der Beiräte für Menschen mit Behinderungen und Senioren.

Die finanzielle Unterstützung für soziale Hilfeangebote wird zusammengestrichen - bei Psychiatrischen Hilfevereinen, der Aids-, der Schwangerschafts- und der Familienberatung und Selbsthilfegruppen. Im Sozialdezernat, das schon jetzt fast ausschließlich Leistungen trägt, zu denen es gesetzlich verpflichtet ist, sollen jährlich 8,5 Millionen Euro eingespart werden. Dies soll u. a. durch eine stärkere Drangsalierung der Bedürftigen und dementsprechende Kürzungen geschehen.

Starken Protest gab es in Duisburg gegen die angekündigten Kürzungen im Kulturbereich. Schon jetzt beträgt dessen Anteil am Haushalt der Stadt nur 2,65 Prozent, das sind 35 Millionen Euro. Nur wenige Städte mit einer halben Million Einwohner leisten sich weniger. Diese Ausgaben sollen um 7 Millionen Euro gekürzt werden.

Nun hat Duisburg für eine Großstadt kulturell ohnehin nicht sonderlich viel zu bieten. Eine der wenigen Ausnahmen stellt jedoch das Philharmonische Orchester dar, das weit über die Stadt hinaus bekannt ist und auf höchstem Niveau spielt (ein so genanntes A-Orchester).

Die Stadtverwaltung hat vorgeschlagen, den Vertrag zwischen den Städten Düsseldorf und Duisburg über die Deutschen Oper am Rhein zu kündigen. Mit der Beendigung des Opernvertrages entfällt der 11 Millionen Euro hohe Zuschuss. Doch die Philharmoniker leisten zwei Drittel ihrer Dienste für die Oper am Rhein. Eine Aufgabe der "Opernehe" zwischen der Landeshauptstadt und Duisburg würde das baldige Ende des Orchesters bedeuten - neben den Einbußen die Schauspiel, Oper und Ballet zu verzeichnen hätten.

Diese Sparmaßnahme war offensichtlich schon lange angedacht. Bereits seit zwei Jahren erhalten die Orchestermusiker nur noch bis 2014 befristete Verträge. Inzwischen haben sich mehrere Parteien, viel Prominenz und auch die Bevölkerung gegen diesen Vorschlag ausgesprochen. Eine Initiative sammelte in kurzer Zeit 35.000 Unterschriften für den Erhalt der Opernehe.

Die Fraktionen, die im Rat die Mehrheit stellen und damit die Stadt leiten - SPD, Grüne und Linkspartei - haben sich als einzige noch nicht positioniert. Der Grund ist klar: Am 17. Juni wird ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Nachdem Adolf Sauerland von der CDU wegen der Loveparade-Katastrophe abgewählt wurde, hat nun SPD-Kandidat Sören Link die größten Erfolgsaussichten. Während Link noch munter Wahlversprechen abgibt, die durch die geplanten Kürzungen ad absurdum geführt werden, will sich keine der drei Parteien vor dem Wahltermin festlegen.

Die Räte aller Städte, die am Stärkungspakt des Landes teilnehmen, müssen bis zum 30. Juni über ihre Haushaltssanierungspläne abstimmen, die denen in Oberhausen und Duisburg ähneln. Am 25. Juni tagt der Duisburger Stadtrat. Unabhängig davon, ob die Kürzungen so beschlossen werden, wie vorgeschlagen: Alle Parteien im Stadtrat sind gewillt, 82 Millionen Euro jährlich einzusparen - zugunsten der Banken.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 07.06.2012
Sozialer und kultureller Kahlschlag im Ruhrgebiet
http://www.wsws.org/de/2012/jun2012/ruhr-j07.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2012