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GLEICHHEIT/4235: Griechenland - Tsipras stellt sich hinter das Militär


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Griechenland: Tsipras stellt sich hinter das Militär

Von Christoph Dreier
1. Juni 2012



Am vergangenen Dienstag traf sich der Spitzenkandidat der Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA), Alexis Tsipras, zu Gesprächen mit dem griechische Verteidigungsministerium und der Armeeführung. Damit hat er sich nicht nur zum Militarismus bekannt, sondern auch deutlich gemacht, dass er nach den Wahlen am 17. Juni als möglicher Premierminister eng mit der Armee zusammenarbeiten würde.

Nach dem dreistündigen Treffen betonte Tsipras, dieses sei wesentlich und von symbolischem Charakter gewesen. "Die nationale Verteidigung, der Schutz der territorialen Integrität unseres Vaterlandes wie auch der Schutz unserer nationalen Unabhängigkeit ist für uns von nicht verhandelbarer Priorität", erklärte er. Die ökonomische Krise dürfe nicht dazu führen, dass das Land andere Fragen vernachlässige oder Gefahren missachte, die ständiger Wachsamkeit bedürften.

Auch wenn große Summen ausgegeben worden seien, hätte die Politik bisher dabei versagt, die notwendige Infrastruktur herzustellen, um die Armee instandzuhalten und abzusichern. "Diese Situation muss sich ändern, ohne allerdings die nationale Verteidigung zu untergraben", sagte Tsipras. Die Rüstungsindustrie müsse verstaatlicht werden, um die Kampfkapazität der Streitkräfte zu erhöhen.

Tsipras sprach zwar auch davon, das Militärbudget kürzen zu wollen, versicherte aber, dass damit nur die Korruption ausgetrocknet, nicht aber die Schlagkraft der Armee geschwächt werden solle. Zudem sprach er sich gegen die Kürzung der Besoldung von Soldaten aus, da sie die Moral der Truppe untergrabe.

Tsipras machte diese Aussagen in einer Situation, in der immer offener darüber diskutiert wird, das Militär einzusetzen [1], um die Opposition der griechischen Arbeiter gegen die sozialen Angriffe zu unterdrücken.

Seit vor zwei Jahren das EU-Spardiktat über Griechenland verhängt wurde, gab es immer wieder Berichte über Manöver der Armee, in denen die Soldaten auf eine Konfrontation mit der Bevölkerung vorbereitet wurden. Laut der Analyse der rechten griechischen Tageszeitung Kathimerini von letzter Woche wird ein Austritt aus der Eurozone nur stattfinden können, wenn damit verbundene soziale Aufstände erstickt werden.

In der derzeitig amtierenden Übergangsregierung ist der Stabschef der Streitkräfte, Frangos Frangoulis, Verteidigungsminister und der ehemalige Polizeichef und Geheimdienstler Eleftherios Economou neuer Minister für den Schutz der Bevölkerung. Mehrere europäische Zeitungen und Politiker hatten in den letzten Monaten bereits vor einem Militärputsch gewarnt.

Zu diesen Gefahren hat sich Tsipras nicht geäußert. Stattdessen hat er sich hinter die Armee gestellt und versichert, dass er deren Schlagkraft verstärken wolle. Dieses Bekenntnis zum Militarismus ist die logische Konsequenz der politischen Linie SYRIZAs.

Seit den Wahlen am 6. Mai hat sich die Partei immer offener als staatstragend präsentiert und sich für Reformen und Kürzungsmaßnahmen ausgesprochen. Bei den Wahlen hatte SYRIZA ihren Stimmenanteil auf 17 Prozent vervierfachen können, weil sie im Wahlkampf deutlich gegen die von der EU verordneten Kürzungsmaßnahmen aufgetreten war, die breite Schichten ins Elend gestürzt haben.

Als sich nach den Wahlen abzeichnete, dass SYRIZA bei den Neuwahlen im Juni stärkste Fraktion werden und die Regierung bilden könnte, rückte die Partei zusehends von dieser Forderung ab und versuchte, die europäischen Mächte davon zu überzeugen, dass sie die bessere Kürzungspartei sei.

Vor einer guten Woche hatte Tsipras bei Besuchen in Paris [2] und Berlin [3] bereits versichert, dass es SYRIZA nicht darum gehe, die Schulden des Landes abzuerkennen oder die Kreditvereinbarungen mit der EU einseitig aufzukündigen, sondern dass sie lediglich eine Neuverhandlung der Vereinbarungen und einen Schuldenschnitt fordere.

In der aktuellen Ausgabe des Wochenmagazins Der Spiegel bekräftigt Tsipras diesen Standpunkt in einem Interview. Gleich zu Beginn versichert er, eine SYRIZA-Regierung werde alles tun, damit "Griechenland den Euro behalten kann". Bisherige Bedingung für einen Verbleib ist aber gerade die Anerkennung der Schulden und die Implementierung der Kürzungen.

An den Schulden will Tsipras nicht rütteln. Das macht seine Aussage deutlich, eine Fortsetzung der Sparpolitik werde dazu führen, dass Griechenland nicht mehr in der Lage sei, "seine Gläubiger zu bezahlen". Es sei deshalb auch in deren Interesse, Griechenland nicht völlig bankrottgehen zu lassen.

Wie die bisherige Regierung aus sozialdemokratischer PASOK und konservativer Nea Dimokratia (ND) bietet Tsipras in dem Interview im Gegenzug zu Zahlungsaufschub oder Stundung "Strukturreformen" an.

"Wir [die Griechen] tragen große Verantwortung für unsere Situation", erklärte Tsipras. Von dem Reporter gefragt, ob er die "dringend notwendigen" Reformen der öffentlichen Verwaltung, in deren Rahmen zehntausende Arbeiter entlassen wurden, ablehne, antwortete er: "Wir sind doch nicht gegen Reformen, wir sagen nur, was so viele Ökonomen sagen, viele deutsche Zeitungen oder selbst der Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Und was jetzt auch die OECD wieder in einer Studie bestätigt: die Austeritätspolitik, die wir seit zwei Jahren umsetzen, die Politik nur auf dramatisches Sparen zu setzen, ist gescheitert."

Diese Perspektive, mit den europäischen Mächten darüber zu verhandeln, ein bisschen weniger Druck auszuüben und dafür Strukturreformen umzusetzen, wird eine Regierung Tsipras unmittelbar in Konfrontation mit den Arbeitern bringen, die SYRIZA ja gerade wählten, weil sie gegen das Sparprogramm aufgetreten war. In diesem Umstand liegt Tsipras Hinwendung zum Militär begründet. Er wird nicht zögern, die Armee gegen streikende Arbeiter oder Demonstrationen einzusetzen.

Zugleich ist Tsipras' Politik gegenüber den europäischen Mächten aber noch nicht vollends aufgegangen. Auch wenn er ihnen versichert hat, ein zuverlässiger Verhandlungspartner zu sein, fürchten Berlin und Paris einen Machtwechsel in Griechenland. Eine SYRIZA-Regierung, die aufgrund der Opposition der Bevölkerung an die Macht kommt, scheint ihnen zu instabil und zu unsicher.

Das Militär könnte sich unter diesen Bedingungen auch gegen einen Premierminister Tsipras selbst wenden und wie im Jahre 1967 zur Verhinderung eines Regierungswechsels putschen. Am Dienstag hat Tsipras mit seinem Besuch beim Militär klar gemacht, dass er selbst in einem solchen Fall eine Mobilisierung der Arbeiter gegen das EU-Diktat mehr fürchtet als einen Putsch des Militärs.


Anmerkungen:
[1] http://www.wsws.org/de/2012/mai2012/show-m29.shtml
[2] http://www.wsws.org/de/2012/mai2012/tsip-m24.shtml
[3] http://www.wsws.org/de/2012/mai2012/alex-m24.shtml

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Quelle:
World Socialist Web Site, 01.06.2012
Griechenland: Tsipras stellt sich hinter das Militär
http://www.wsws.org/de/2012/jun2012/tsip-j01.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2012