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GLEICHHEIT/3940: New Yorker Polizei räumt Occupy-Wall-Street-Lager


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

New Yorker Polizei räumt Occupy-Wall-Street-Lager

Von Jerry White
17. November 2011


Hunderte Polizisten in Kampfausrüstung überfielen in der Nacht zum Dienstag den Zuccotti-Park in Manhattan, den Geburtsort der Occupy-Wall-Street-Bewegung. Sie vertrieben die Protestierenden gewaltsam und rissen ihre Zelte nieder. Im Park wurden mindestens 142 Demonstranten festgenommen, weitere fünfzig in der Umgebung.

Nachts um eins begann die Operation, die eines Polizeistaats würdig gewesen wäre. Die meisten der rund 220 Besetzer schliefen schon. Sie hatten den Platz in "Liberty Square" [Freiheitsplatz] umgetauft. Die New Yorker Polizei (NYPD) setzte speziell ausgebildete Einheiten der Emergency Service Unit ein und ließ zu Beginn der Aktion ohrenbetäubende Lautsprecherdurchsagen über den Platz schallen, der durch extrem helle, blendende Scheinwerfer taghell erleuchtet wurde.

Die Polizei riegelte das Gebiet mit metallenen Absperrgittern ab. Sie sperrte den Broadway, die Hauptachse durch das Viertel, mehrere Blocks weit ab und schloss die nahegelegenen U-Bahn-Stationen, um zu verhindern, dass Sympathisanten den Park erreichen konnten. Dann durchkämmten sie drei bis vier Stunden lang systematisch die Zelte und die Küchenanlage. Sie stießen die Besetzer mit Polizeischilden und Schlagstöcken herum, traktierten sie mit Pfefferspray und vertrieben sie aus dem Park und den benachbarten Blocks.

Wer sich wehrte und versuchte, das Lager am zu verteidigen, wurde zu Boden geworfen, mit Plastikschnüren gefesselt und in bereit stehende Gefangenentransporter geworfen. Ein Video zeigt, wie mehrere Polizisten einen Besetzer einfach über ein Absperrgitter auf den Fußgängerweg aus Beton vor dem Park werfen. Mindestens ein Besetzer musste ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Chris Porter (26), ein Schweißer aus Indiana, berichtete den Medien, die Polizei habe die Zelte mit einem Bulldozer eingerissen. "Sie zerstörten einfach alles", sagte er. Demonstranten, die sich untergehakt hätten, seien gewaltsam weggerissen worden. Chris hatte sich dem Protest im Park vor etwa einem Monat angeschlossen. Vor der Belagerung wurden Reporter aus dem Park geschickt und andere wurden daran gehindert, ihn zu betreten. Pressehubschrauber wurden aus dem Luftraum über dem Park ausgesperrt. Unter den Festgenommenen befand sich auch ein Blogger der New York Times.

Der Angriff wurde vom New Yorker Bürgermeister, dem Milliardär Michael Bloomberg, und dem NYPD sorgfältig geplant. Sie konsultierten andere Städte im ganzen Land, die ähnliche Räumungsbefehle vollstreckt hatten.

Nur Tage vor dem Überfall vom Dienstag kam es zu ähnlichen Aktionen in Portland (Oregon), Denver (Colorado) und Oakland (Kalifornien). Vergangene Woche wurden Besetzer und Studenten, die gegen den Anstieg von Studiengebühren (Kalifornien) protestierten, in Berkeley von der Polizei angegriffen. In London sandte die Polizei Besetzern ebenfalls Räumungsbefehle zu. Britische Demonstranten sandten den Protestierenden in New York City Solidaritätserklärungen. Sie wiesen darauf hin, dass die USA häufig heuchlerisch die Verletzung demokratischer Rechte in anderen Ländern kritisieren, während sie zu Hause Demonstranten massenweise festnehmen.

Die Polizei hat die Unterstützung der Obama-Regierung. Zeitweise heuchelte das Weiße Haus Sympathie mit den Demonstranten, aber inzwischen ist es tief besorgt, weil die Bewegung gegen soziale Ungleichheit so breite Unterstützung erhält und sich so offen gegen die Wall Street Banken richtet, denen der Präsident seit seinem Amtsantritt zutiefst verpflichtet ist.

Die von Polizeichef Raymond W. Kelly geleitete Operation in New York City, war schon seit Wochen geplant, schrieb die New York Times. Führende Polizisten "beobachteten genau, wie sich die Besetzung in anderen Städten entwickelte. Sie standen mit ihren Kollegen in anderen Städten in Telefonkontakt. Sie konzentrierten sich auf die Ausbildung für den Umgang mit Unruhen, speziell auf Lower Manhattan zugeschnitten. Dabei geht es um Antiterrormaßnahmen, bei denen eine große Zahl Polizisten schnell von einem Ort zum anderen gebracht wird.

Die letzte Übung fand Montagabend am East River statt. Der Befehl, den Zuccotti Park zu räumen, kam 'in letzter Minute', sagte jemand, der mit den Befehlen vertraut ist. Der Auftrag war allerdings als 'Übung' bezeichnet."

Das Vorgehen war so geplant, dass mit der geringsten Zahl an Demonstranten im Park zu rechnen war Außerdem spielte eine Rolle, dass für Donnerstag geplant war, "die Wall Street stillzulegen".

Am Dienstagmorgen nahm Bürgermeister Bloomberg bei einer Pressekonferenz im Rathaus den Räumungsbefehl auf seine Kappe. Er behauptete, die Besetzer stellten ein Gesundheits- und Sicherheitsrisiko für die Öffentlichkeit dar und hätten beseitigt werden müssen, "um das Risiko einer Konfrontation und von Zerstörungen in der Nachbarschaft zu beseitigen".

"Der erste Verfassungszusatz schützt die Meinungsfreiheit", sagte Bloomberg. "Aber er schützt nicht die Besetzung eines öffentlichen Platzes mit Zelten und Schlafsäcken." Er betonte: "Kein Recht ist absolut, und jedes Recht bringt auch Verantwortung mit sich."

Der Bürgermeister ignorierte schlicht eine einstweilige Verfügung, die die Demonstranten um 6.30 erwirkt hatten. Diese verbot es der Polizei, die Besetzer daran zu hindern, mit ihren Zelten und anderer Ausrüstung in den Park zurückzukehren. Bloomberg betonte, der Park bleibe geschlossen, "bis sich die Situation geklärt hat". Anwälte der Stadt brachten vor dem Supreme Court des Bundesstaates empörende Behauptungen vor. Sie erklärten, die Demonstranten hätten "eine nicht unbeträchtliche Zahl von Gegenständen in ihrem Besitz gehabt, die potentiell als Waffen genutzt werden könnten, wie Keulen und Messer" und stellten eine "nicht unerhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar."

Im Verlauf des Tages entschied der Richter am Supreme Court, Michael D. Stallman, dann zugunsten der Stadt und legte fest, dass die Demonstranten wieder in den Zuccotti Park gehen könnten, aber ohne Zelte und Schlafsäcke.

Nach der Entscheidung durften die Demonstranten wieder in den Park, mussten aber einzeln eine Gasse von Polizisten durchschreiten. Der Bürgermeister bekräftigte, dass sie damit rechnen müssten, festgenommen zu werden, wenn sie die Parkregeln verletzten, d.h. zum Beispiel im Park übernachteten. Als dieser Artikel geschrieben wurde, war der Park immer noch von Polizisten umstellt.

Bloomberg, der Bürgermeister von New York City, ist ein Medienmogul von der Wall Street und verfügt in diesem Jahr über ein geschätztes Vermögen von knapp fünfzehn Milliarden Euro (19,5 Mrd. Dollar). Er ist ein lebendes Beispiel für die Kontrolle der Finanzoligarchie über das politische System der USA. Bloomberg ist der zwölftreichste Mensch des Landes. Er war über seine zehnjährige Amtszeit hinweg für üble Angriffe auf die sozialen Leistungen und die Angestellten des Öffentlichen Dienstes der Stadt verantwortlich, während er die Taschen der herrschenden Elite weiter füllte.

Bloomberg pendelt von der Republikanischen Partei zu den Demokraten und zurück, wie es seinen Wahlchancen gerade dient. Er hat enge Beziehungen zu den New Yorker Gewerkschaften aufgebaut, die mit ihm zusammenarbeiten, wenn es um die Zerstörung von Arbeitsplätzen und des Lebensstandards von Lehrern und anderen städtischen Angestellten und Arbeitern geht.

In den letzten Wochen hat sich die Stimmung in den Medien deutlich gegen die Proteste gewendet. Sie bereiten die öffentliche Meinung auf Polizeiangriffe vor, indem sie die Protestler als öffentliches Ärgernis hinstellen. In New York arbeiten nicht nur die rechten Gossenblätter wie die New York Post in diese Richtung. Auch das liberale Flaggschiff, die New York Times, äußerte ihren Unmut über die andauernden Proteste und begrüßte die "Säuberungsaktion" der Polizei vom Dienstag.

Am Vorabend der Polizeiaktion brachte die Times einen Artikel, in dem behauptet wurde, dass viele Anwohner des Parks sich durch das Trommeln der Besetzer gestört fühlten, weil es angeblich "kleine Kinder in Angst versetzt". Weiter hinten in dem Artikel wird allerdings klar, dass der Großteil der Beschwerden aus einem bestimmten Wolkenkratzer mit Luxusappartements neben dem Park kommt.

Die Anti-Wall-Street-Proteste haben breite Unterstützung in der Bevölkerung. Bis jetzt hat diese Unterstützung noch keine aktive Form angenommen, weil eine politische Perspektive fehlt und die Diskussion über Strategie, Programm und Führung von vielen Sprechern der Bewegung und verschiedenen pseudo-linken Organisationen praktisch verboten wird.

Diese Haltung schwächt die Bewegung, obwohl viele Teilnehmer große Opfer bringen. Die Gefahr besteht, dass die Bewegung für die Demokratische Partei und die Wiederwahlkampagne Obamas missbraucht werden könnte. Besonders die Gewerkschaften arbeiten in diese Richtung. Sie haben keinen Finger gerührt, um die Protestcamps gegen die Polizeiangriffe zu verteidigen. Stattdessen arbeiten sie mit den dafür verantwortlichen Politikern zusammen, sei es Bloomberg in New York oder die Demokratischen Bürgermeister in anderen Städten, die die Proteste unterdrücken und die Geschäfte der Wall Street führen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 17.11.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2011