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GLEICHHEIT/3932: Liebling der Banken neuer griechischer Regierungschef


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Liebling der Banken neuer griechischer Regierungschef

Von Stefan Steinberg
12. November 2011


Am Donnerstag wurde der ehemalige Vizepräsident der Europäischen Zentralbank Lucas Papademos als Chef der griechischen Koalitionsregierung der nationalen Einheit nominiert. Die Finanzmärkte, der Internationale Währungsfonds und führende europäische Institutionen übten Anfang der Woche starken Druck in diese Richtung aus.

Am Dienstag und Mittwoch hatten internationale Finanzmärkte ihr Missfallen über die Verzögerungen bei der Bestellung eines neuen Regierungschefs in Griechenland durch eine Welle von Verkäufen ausgedrückt. Nach der Ankündigung, dass Papademos den Posten des Ministerpräsidenten übernehmen werde, umschmeichelte Präsident Karolos Papoulias umgehend die Märkte. Er ließ am Donnerstag verlauten, dass die Priorität der neuen Regierung die buchstabengetreue Umsetzung der Kreditvereinbarungen Griechenlands mit der Eurozone und dem IWF sein werde.

Vom Standpunkt der internationalen Finanzwelt hat Papademos makellose Voraussetzungen für seinen neuen Job. Von Mitte der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre arbeitete er als Chefökonom der griechischen Zentralbank. 1994 trat er an die Spitze der Bank. Diesen Posten behielt er bis 2002. In diese Zeit fiel der Beitritt Griechenlands zur Eurozone.

Dann verließ Papademos die griechische Notenbank und übernahm bis 2010 den Posten des Vizepräsidenten der Europäischen Zentralbank. Im vergangenen Jahr hatte er eine Gastprofessur an der Harvard Kennedy School inne und beriet gelegentlich die Regierung von Giorgos Papandreou in Wirtschaftsfragen. Seine Ausbildung hatte er in den Vereinigten Staaten erhalten und kurze Zeit als Chefökonom der Federal Reserve Bank von Boston gearbeitet.

Lucas Papademos wird von Banker-Kollegen als absolut verlässlich angesehen - als ein Mann der seine Befehle direkt von den großen Finanzinstitutionen entgegennehmen wird.

Wenige Stunden vor Papademos' Ernennung hatte IWF-Chefin Christine Lagarde "größere politische Klarheit" in Griechenland und Italien gefordert.

Die Nominierung war das Ergebnis von Verhandlungen zwischen dem scheidenden Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou, dem Führer der konservativen Oppositon, Antonis Samaras und dem Vorsitzenden der kleinen ultrarechten Partei LAOS, Giorgos Karatzaferis. Die Gespräche im Präsidentenpalast in Athen stockten am Mittwoch, als mehrere Abgeordnete der regierenden PASOK und der Oppositonspartei Nea Demokratia die Kandidatur von Parlamentspräsident Filippos Petsalnikos blockierten, dem vorgeworfen wurde, Papandreou zu nahe zu stehen.

Papademos hatte auch selber Forderungen gestellt. Er wünschte, dass eine Regierung unter seiner Verantwortung länger regieren dürfe, als bis zum 19. Februar, dem vorläufig ins Auge gefassten Termin für Neuwahlen. Papademos forderte weiter, dass auch Vertreter von Nea Demokratia in seine Koalition eintreten müssten, um eine möglichst breite Basis für die Durchsetzung der Sparmaßnahmen zu haben. Es ist gegenwärtig noch nicht bekannt, welche Zugeständnisse an die extrem rechte, nationalistische LAOS gemacht werden mussten, um sie zum Eintritt in die Regierung zu bewegen.

Die Ereignisse der vergangenen Tage machen jedenfalls deutlich, dass die Wahl von Papademos eine Bedingung für die unmittelbare Freigabe von Finanzhilfen für Griechenland und für das Inkrafttreten des neuen 130 Mrd. Euro Rettungspakets der Europäischen Union und des IWF war.

Wie nicht anders zu erwarten, wurde die Berufung Papademos' von griechischen und internationalen Wirtschafts- und Finanzorganisationen begrüßt. Die griechische Börse stieg am Donnerstag um 3,17 Prozent, während die griechischen Bankaktien 10,2 Prozent gewannen.

Dimitris Daskoloupoulos, Chef des griechischen Unternehmerverbandes, erklärte am Donnerstag, dass die neue Regierung, die er als eine "Regierung der nationalen Rettung" bezeichnete, die "letzte Hoffnung für die griechische Wirtschaft" sei.

Fredrik Erixon, Chef des europäischen Zentrums für Internationale Politische Ökonomie in Brüssel, gab die Meinung europäischer Wirtschafts- und Finanzkreise wieder, als er gegenüber Bloomberg sagte: "Er ist ein fähiger und überlegter Banker und er hat genügend Abstand zur griechischen Politik, um als jemand akzeptiert zu werden, der über der politischen Parteienkorruption in Griechenland steht.

Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und SYRIZA, ein Bündnis pseudo-linker Gruppen, nahmen an den Gesprächen nicht teil und verurteilten die Berufung Papademos'. In den vergangenen zwei Jahren haben die beiden Organisationen eine Schlüsselrolle bei der Demobilisierung der griechischen Arbeiterklasse und der Schaffung des politischen Klimas gespielt, in dem die PASOK-Regierung mehrere harte Sparpakete durchsetzen konnte.

Als Papandreou vor zehn Tagen die Spitzen der griechischen Armeeführung absetzte, versuchte SYRIZA ihre Respektabilität zu beweisen, indem sie das Militär ihrer Loyalität versicherte. Sie leugnete die ganz reale Gefahr eines Putsches und erklärte, die Regierung "erweckt den Eindruck, dass sie ein hoch politisiertes Militär will, das sie in Zeiten der Krise unter Kontrolle halten kann."

Trotz der kurzzeitigen Erholung der griechischen Aktienmärkte, verschlimmert sich die wirtschaftliche Lage des Landes. Die jüngsten Arbeitslosenzahlen vom Donnerstag, die das tatsächliche Ausmaß der Arbeitslosigkeit massiv herunterrechnen, erreichten mit 18,4 Prozent einen neuen Höchststand. Die Arbeitslosigkeit stieg im August auf 907.953, das ist ein Anstieg um 10,7 Prozent gegenüber dem Vormonat. Die Arbeitslosenrate von Jugendlichen zwischen 15 und 24 ist auf 43,5 Prozent hochgeschnellt. Das ist doppelt so viel wie vor drei Jahren.

Während die griechischen Aktien am Donnerstag deutlich stiegen, bewegte sich an den europäischen und amerikanischen Börsen kaum etwas. Das ist Ausdruck davon, dass sich das Epizentrum der Schuldenkrise von Griechenland auf größere europäische Länder wie Italien verschiebt.

Nach der Inthronisierung eines Technokraten in Griechenland fordern die Finanzkreise jetzt, dass in Italien der Banker und ehemalige EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti zügig die Regierung übernimmt. Nach der Ankündigung des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi vom Mittwoch, zurücktreten zu wollen, wenn auch nicht sofort, trieben die Märkte die Zinsen für italienische Staatsanleihen auf deutlich über sieben Prozent hoch.

Die führenden Teile der herrschenden Klasse Europas sind fest entschlossen, so genannte "nicht-politische" Technokraten durchzusetzen. Papademos und Monti wurden gerade deswegen ausgewählt, weil sie den Diktaten der Banken keinen Widerstand entgegensetzen, Abstand zu den politischen Kreisen ihres Landes halten und demokratischen Gepflogenheiten mit ausreichender Verachtung begegnen. Trotzdem wird ihre Ernennung nichts zur Dämpfung der Krise beitragen, die jüngsten Berichten zufolge zunehmend außer Kontrolle gerät.

Der Banca Italia zufolge haben italienische Investoren im August und September 80 Milliarden Euro aus dem Land geschafft, weil sie einen Staatsbankrott fürchten. Griechische Investoren sollen in den letzten Monaten 250 Mrd. Euro auf Konten in europäischen Steuerparadiesen gesichert haben.

Erst kürzlich beklagten führende Finanzkommentatoren, dass die führenden europäischen Politiker die Büchse der Pandora geöffnet hätten: zuerst mit ihrem Vorschlag, private Investoren an den Kosten der Griechenland-Rettung zu beteiligen, und zweitens als sie über ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone spekulierten.

Um wie viel weiter sich die Debatte in den letzten Wochen entwickelt hat, lässt sich an der jüngsten Kolumne des Finanzgurus Nouriel Roubini ablesen. In der Financial Times kommt Roubini zu dem Schluss, dass die Finanzprobleme Italiens auch mit einem massiven Einschießen von europäischem Kapital zur Reduzierung seiner Staatsschulden nicht gelöst werden könnten.

Um sein "hohes Zahlungsbilanzdefizit, seinen Mangel an Konkurrenzfähigkeit und den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts und der Wirtschaftsaktivität" zu beheben... ist es vielleicht notwendig, dass Italien, wie andere Peripherie-Ländern, die Währungsunion verlassen und wieder eine nationale Währung einführen" müsse. Roubini muss zugeben, dass ein solcher Schritt "praktisch das Ende der Eurozone" bedeuten würde.

Französische, deutsche und europäische Sprecher mussten am Donnerstag offiziell dementieren, dass aktiv darüber gesprochen werde, einige Länder aus der Eurozone zu werfen, wie am Mittwoch berichtet worden war.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 12.11.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2011