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GLEICHHEIT/3707: Italien - Erneute Abstimmungsniederlage für Berlusconi


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Italien: Erneute Abstimmungsniederlage für Berlusconi

Von Marianne Arens
21. Juni 2011


Die jüngsten Volksabstimmungen bescherten Regierungschef Silvio Berlusconi Mitte Juni erneut eine herbe Niederlage.

Damit setzt sich der Trend der Kommunal- und Regionalwahlen vom Mai fort, als seine Partei Volk der Freiheit (PDL) das Bürgermeisteramt in Mailand und andere wichtige Gemeinden verlor. Am Pringst-Wahlsonntag am 12./13. Juni gingen alle vier Referenden mit rund 95 gegen fünf Prozent klar gegen die Regierung aus.

Demonstration gegen Nuklearenergie und Wasserprivatisierung, März 2011 in Rom, Foto: Silvia Marinelli

Die erste Abstimmung betraf das Verbot von Kernkraftwerken, das seit 1987, nach einem Plebiszit im Anschluss an die Katastrophe von Tschernobyl, in Italien besteht. Die Berlusconi-Regierung plante, dieses Verbot im April diesen Jahres durch ein neues Plebiszit aufzuheben, - doch dann kam im März die Katastrophe von Fukushima dazwischen. Bisher hatte die italienische Regierung Japan als Musterland für "sichere Nuklearenergie" dargestellt. Nach der Katastrophe versuchte Berlusconi eilig, die Volksabstimmung zu verhindern. Es gelang ihm aber nur, den Termin hinauszuschieben; denn eine gerichtliche Entscheidung verfügte Anfang Juni, dass die Abstimmung durchgeführt werden müsse.

Zwei weitere Abstimmungen betrafen Gesetze, welche die Privatisierung und Vermarktung von Trinkwasser ermöglichen sollten. Und die vierte Abstimmung betraf das so genannte "Gesetz der legitimen Verhinderung", das es hohen Würdenträgern erlauben sollte, einer Gerichtsladung fernzubleiben, wenn sie aus wichtigen Gründen nicht erscheinen könnten. Dieses typische Gesetz "ad personam" hätte es Berlusconi ermöglicht, in zwei aktuell laufenden Verfahren dem Gericht eine lange Nase zu drehen. Gegen den Regierungschef wird zurzeit in einem Korruptionsprozess und im Fall Ruby ermittelt, bei dem es um bezahlten Sex mit Minderjährigen geht.

Die Wähler nutzten die Abstimmung, um Berlusconi abzustrafen. 27 Millionen Italiener gingen an die Urne und erreichten in allen vier Entscheidungen nicht nur die absolute Mehrheit der Wählenden, sondern aller Wahlberechtigten. Erstmals seit sechzehn Jahren ist damit das Ergebnis eines Plebiszits wieder gültig, weil sich mit 57 Prozent mehr als fünfzig Prozent der Wahlberechtigten beteiligt haben. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb unter dem Titel "Addio Berlusconi": "Noch nie seit dem Einstieg in die Politik im Jahr 1992 war der Premier in den Umfragen derart unbeliebt. (...) Stimmen zugunsten von Berlusconis Politik waren nicht nur schwer vernehmlich, sondern schlicht inexistent."

Die relativ hohe Beteiligung ist nicht selbstverständlich, denn die Themen wurden von Berlusconis eigenen Medien und Fernsehkanälen systematisch boykottiert und auch in den staatlichen Medien heruntergespielt. Die Kampagne wurde hauptsächlich über Internetforen wie Facebook und Twitter geführt, wobei die treibende Kraft vor allem junge Wähler waren. Außerdem engagierten sich zahlreiche Komitees und Bürgerinitiativen, die außerhalb der offiziellen Parteien arbeiten und sich jeweils auf eine Frage konzentrieren.

Die regierungsfeindliche Stimmung wurde durch einen Zwischenfall in Rom angeheizt, als Renato Brunetta (PDL), ein Minister Berlusconis, am Nationalen Tag der Innovation eine junge Fragestellerin, die sich selbst als "prekär Beschäftigte" vorstellte, brüsk unterbrach und beschimpfte. "Ihr seid der schlimmste Teil Italiens", erklärte Brunetta und verließ den Saal. Am Eingang hielten weitere Jugendliche ein Banner mit der Aufschrift hoch: "Innovation wird's geschrieben, Prekariat wird's gelesen."

Der Zwischenfall verursachte große Empörung. Im Internet meldeten sich, Hunderte, die die Attacke von Brunetta auf sich bezogen und dagegen protestierten. Jugendliche in Italien sind besonders von der Krise betroffen: Nach neusten Zahlen hat im Norden unter den 18-29-Jährigen nur jeder zweite eine feste Arbeit, während im Süden sogar nur drei von zehn Jugendlichen einen geregelten Arbeitsplatz haben. (Diese Zahlen veröffentlichte der Nationale Rat für Wirtschaft und Arbeit CNEL am 8. Juni 2011.)

Vertreter der Lega Nord (LN), der zweiten Regierungspartei neben Berlusconis PDL, äußerten ihre tiefe Frustration über das Abstimmungsergebnis. So sagte Roberto Calderoli (LN), Minister für Vereinfachung der Gesetze, dies sei nach den Kommunalwahlen der zweite "Schlag ins Gesicht" für die Regierung. Er sagte: "Ich möchte verhindern, dass diese Ohrfeigen jetzt zur Gewohnheit werden."


Die offizielle Opposition

Am gleichen Abend forderte Pierluigi Bersani, Chef der größten Oppositionspartei der Demokraten (PD), Silvio Berlusconi zum Rücktritt auf. Das Referendum habe "die Spaltung zwischen der Regierung und dem Land" klar erwiesen.

Doch in Wahrheit richten sich die Abstimmungsergebnisse genauso gegen die offiziellen Oppositionsparteien, denn deren Politik unterscheidet sich in den Fragen, um die es ging, grundsätzlich nicht von den Positionen der Regierung.

Ein erster Gesetzesentwurf für die Privatisierung von Trinkwasser entstand sogar unter aktiver Mithilfe Pierluigi Bersanis, des Chefs der Demokraten, als dieser noch Minister für Wirtschaftsentwicklung der Prodi-Regierung war. Im Internet kursiert ein Mitschnitt einer Versammlung im Jahr 2008, auf der Bersani argumentiert: "Das Wasser ist in Italien kein öffentliches Gut, sondern es kommt von Gott [è di Dio]". Um die Wasserverschwendung einzudämmen, könnten private Konzerne einen "wertvollen Beitrag leisten", erklärte Bersani.

Auch ihre Ablehnung gegen Atomenergie entdeckten Bersani und die PD erst nach der Katastrophe von Fukushima. Ein von Wikileaks enthülltes Telegramm belegt, dass Bersani im November 2007 als Minister einen Fünfjahres-Vertrag über Forschung und Entwicklung von Nukleartechnologie mit den USA unterzeichnete. Dem Text zufolge, den der amerikanische Botschafter Spogli in die USA sandte, habe Bersani beschwichtigt: "Das Ergebnis des Referendums [von 1987] schließt Italien nicht aus der Generation der Nuklearenergie aus, sondern hat diese nur ausgesetzt. Die Partnerschaft [mit den USA] kann eine wichtige Rolle dabei spielen, die Haltung der Italiener in der Auseinandersetzung über Nuklearenergie zu verändern."


Die Rolle von Attac, Greenpeace und Rifondazione

Der Ausgang der vier Referenden könnte klarer nicht sein, und besonders die Verteidigung des Trinkwassers gegen Privatisierung trägt deutliche Züge einer Klassenentscheidung gegen die Bereicherungsorgie der herrschenden Finanzaristokratie.

Doch nun versuchen viele Bürgerinitiativen und lokale Komitees, unterstützt von kleinbürgerlichen Gruppierungen, wie Attac, Greenpeace oder der Komiker Beppe Grillo, mit allen Mitteln eine sozialistische Orientierung zu verhindern.

Sie schüren die beschränktesten reformistischen Illusion, glorifizieren die Abstimmung und behaupten, der Kampf gegen Privatisierung, Kernkraft und Korruption könne gewonnen werden, ohne das herrschende kapitalistische System zu überwinden.

Das niedrige politische Niveau und die "Absage an alle Politiker" werden regelrecht verherrlicht. So erklärte Nichi Vendola, Regionalpräsident von Apulien und Chef der Rifondazione-Nachfolgepartei Linke Ökologie und Freiheit (SEL), auf einer Parteiversammlung am Samstag: "Wir haben unser erstes Ziel erreicht ... Im Kampf für das öffentliche Wasser und gegen die Kernkraft haben die Verbände, die Bewegungen, die katholischen Sektionen gewonnen." Die Verlieren dagegen seien "die Politologen und Politikanten".

Auch die pablistische Gruppe Sinistra Critica verherrlicht den "unpolitischen Charakter" der Bewegung. So schreiben Flavia D'Angeli und Emilano Viti, Wortführer von Sinistra Critica, in einem Kommentar unter dem Titel: "Hoch die Wasserkomitees", diese Komitees hätten "eine entscheidende und in gewisser Hinsicht historische Rolle" gespielt. "Sie haben in Verschwiegenen gearbeitet, sie haben die höchste Zahl an Unterschriften gesammelt, die je für eine Volksbefragung erreicht wurden .... Der heutige Sieg ist ihr Sieg."

Diese Absage an "die Politikanten" (Vendola) richtet sich nicht nur gegen die etablierten Parteien, sondern vor allem gegen den Aufbau einer bewussten sozialistischen Alternative.

Damit arbeiten Rifondazione, ihr Ableger Linke Ökologie und Freiheit, Sinistra Critica und andere kleinbürgerliche Gruppierungen direkt in die Hände der Rechten. Auch sie wollen Berlusconi los werden und durch ein noch aggressiveres Regime ersetzen.

Die Zeitung The Economist schreibt, Berlusconi sei "als nationaler Führer eine Katastrophe", und klagt: "Italien kommt im 'Doing Business'-Index der Weltbank an achtzigster Stelle, noch hinter Weißrussland und der Mongolei." Der Autor weist darauf hin, dass in den 1990er Jahren mehrere italienische Regierungen aus dem Mittelinkslager doch auch "beeindruckende Reformen durchgesetzt" hätten.

Die internationalen und europäischen Banken und Institutionen üben starken Druck aus. In der Diskussion über Griechenland fordern ihre Spitzenvertreter, wie Jean-Claude Trichet, Chef der Zentralbank, und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, Italien müsse seine Wirtschaftsschwäche überwinden und die hohen Staatsschulden abbauen. Die gleichen Sparmaßnahmen gegen die Arbeiterklasse, wie sie jetzt in Griechenland zum Einsatz kommen, sollen auch in Italien durchgesetzt werden.

Während die Finanz- und Wirtschaftsvertreter der wachsenden Opposition gegen Berlusconi Beifall klatschen, wolle sie seine Ablösung nutzen, um ein Regime zu errichten, das noch wesentlich schärfer gegen die Bevölkerung vorgeht.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 21.06.2011
Italien: Erneute Abstimmungsniederlage für Berlusconi
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2011