Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3614: BRICS-Gipfel verurteilt "Gewaltanwendung" gegen Libyen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

BRICS-Gipfel verurteilt "Gewaltanwendung" gegen Libyen

Von John Chan
20. April 2011


Der dritte Gipfel der Gruppe der BRICS-Länder, bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und neuerdings Südafrika, sorgte unter den Weltmächten für neue Spannungen. Der Gipfel fand am 4. April im Badeort Sanya auf der südchinesischen Insel Hainan statt.

Vergangenen Monat hatten sich Brasilien, Russland, Indien und China, sowie Deutschland bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat enthalten, als die Resolution 1973 zur Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen beschlossen wurde. Die Resolution gibt den Bombenangriffen der Vereinigten Staaten und der europäischen Mächte grünes Licht. Die Enthaltung war ein kollektiver Protest gegen ein militärisches Vorgehen, das die wirtschaftlichen und strategischen Interessen dieser Mächte in Nordafrika ernstlich bedroht.

Der Gipfel in Sanya bekräftigte die Opposition gegen den Bombenkrieg und erklärte: "Wir teilen das Prinzip, dass Gewaltanwendung vermieden werden sollte." Gleichzeitig kritisierte die Erklärung der BRICS-Staaten die Nato nicht direkt, sondern es heißt darin: "Wir wollen die Kooperation mit dem UN-Sicherheitsrat in der Libyenfrage fortsetzen." Südafrika, das der Flugverbotszone ursprünglich zugestimmt hatte, unterzeichnete die Erklärung ebenfalls.

Die BRICS-Erklärung unterstützt die jüngste Initiative der Afrikanischen Union (AU) für eine "politische Lösung". Dieser Vorschlag war von der libyschen Opposition mit Unterstützung der Nato umgehend zurückgewiesen worden, weil er nichts über die Absetzung des libyschen Führers Muammar Gaddafi besagte. Die AU-Delegation unter Führung des südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma reiste nach Libyen, um einen Kompromiss zu erreichen.

Nach einem Treffen mit Zuma auf dem BRICS-Gipfel rief der chinesische Präsident Hu Jintao zu einem sofortigen Waffenstillstand auf, um eine "humanitäre Krise" in Libyen zu vermeiden. Der russische Präsident Dmitri Medwedew erklärte, die UN-Resolution habe "keine militärische Operation" autorisiert: "Die Resolution sagt nichts dergleichen."

Diese Proteste sind genauso heuchlerisch wie die Beteuerungen der USA und der Europäer, die Bombardierung sei notwendig, "um das Leben von Zivilisten zu schützen". China und Russland hätten ihr Veto gegen die UN-Resolution einlegen können, aber sie scheuten die direkte Konfrontation mit den Nato-Mächten. Beide Länder haben auch der früheren UN-Resolutionen zugestimmt, die den Deckmantel für das Vorgehen des Westens gegen Gaddafi lieferte.

So wie die Nato-Mächte versuchen, in Libyen ein Regime zu installieren, das ihren Ambitionen in Nordafrika mehr entgegenkommt, so sorgen sich die BRICS-Staaten darum, dass Gaddafis Sturz ihren Interessen schaden könnte. China könnte der Verlust von Bau- und Telekommunikationsaufträgen im Wert von achtzehn Milliarden Dollar drohen, ganz zu schweigen von seinem Anteil an der libyschen Ölindustrie. Für Russland geht es um ein Waffengeschäft im Wert von sieben Milliarden Dollar und um ein Eisenbahnprojekt.

Die BRICS-Erklärung fordert eine "umfassende Reform" der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrats. "China und Russland bekräftigen die Bedeutung von Indien, Brasilien und Südafrika für die internationalen Fragen und verstehen unterstützen ihr Bestreben, in der UNO eine wichtigere Rolle zu spielen", heißt es.

Südafrikas Aufnahme in die BRICS-Gruppe ist von Bedeutung. Das Bruttoinlandsprodukt des Landes ist kleiner als das einiger anderer "Schwellenländer" wie Mexiko, Südkorea oder Indonesien. Besonders China hatte sich für seine Aufnahme als Repräsentant Afrikas eingesetzt, wo Peking eine immer wichtigere wirtschaftliche Rolle spielt.

Der südafrikanische Präsident Zuma besuchte vergangenes Jahr China und andere BRIC-Länder, um für die Aufnahme seines Landes zu werben. Zuma wandte sich öffentlich gegen die heuchlerische Kritik des Westens am Auftreten Chinas als "neokolonialer Macht" in Afrika. Er sagte, die schnell wachsenden Handels- und Investitionsbeziehungen mit China seien für Afrika von großem Vorteil. China ist inzwischen der größte Handelspartner Südafrikas und ganz Afrikas.

Das Hauptanliegen des BRICS-Gipfels war die Suche nach größerem wirtschaftlichem und politischem Einfluss in der Weltpolitik. Diese wird gegenwärtig von den etablierten kapitalistischen Mächten dominiert. Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff sagte zu Reportern: "Wir erwarten, dass die Führungsämter im IWF und der Weltbank nicht mehr automatisch nur zwischen den USA und Europa rotieren und alle anderen Länder ausgeschlossen werden."

Im vergangenen November stimmte der Internationale Währungsfond zu, sechs Prozent seiner Stimmrechte auf Kosten europäischer Länder wie Deutschland und Belgien auf die aufstrebenden Länder zu übertragen. China wird bald die drittstärkste Stimmmacht im IWF sein. Solche Zugeständnisse werden allerdings die zugrunde liegenden Spannungen nicht lösen, die in einer wichtigen Verschiebung der globalen Produktion hin zu den BRICS-Ländern wurzeln.

Die chinesische Akademie der Sozialwissenschaften veröffentlichte einen ersten "Jahresbericht zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung" der BRICS-Länder. Diesem Bericht zufolge wiesen diese Länder im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts ein durchschnittliches jährliches Wachstum von acht Prozent auf, verglichen mit 2,6 Prozent in den industrialisierten Ländern. Der Anteil der BRICS-Mitglieder an der Weltwirtschaft stieg zwischen 2001 und 2009 von 17,7 Prozent auf 24,2 Prozent. Der Anteil der BRICS am Wirtschaftswachstum der Weltwirtschaft sprang exponentiell von nahe Null Anfang der 1990er Jahre auf mehr als sechzig Prozent im vergangenen Jahr und könnte 2011 siebzig Prozent erreichen.

Seit dem ersten BRIC-Gipfel in Russland 2009 hat die Gruppe einen antiamerikanischen Anstrich, besonders in der Frage einer neuen globalen Weltreservewährung, die den Dollar ersetzen könnte. Russland, China und Brasilien haben unter sich schon bilaterale Abkommen getroffen, dass sie ihren zwischenstaatlichen Handel in den eignen Währungen, und nicht mehr in Dollar, abwickeln wollen. Auf diesem Gipfel sind die BRICS einen Schritt weiter gegangen und haben beschlossen, gegenseitig gewährte Kredite in den eigenen Währungen zu begeben.

Diese Schritte der BRICS-Länder, den Dollar zu ersetzen, sind weitgehend symbolischer Natur. Aber sie weisen auf einen wachsenden Antagonismus gegen Washingtons Währungspolitik hin. Der Zorn richtet sich vor allem gegen die amerikanische Politik der "quantitativen Lockerung", die praktisch darauf hinausläuft, Dollars zu drucken, um die wirtschaftlichen Probleme der USA auf Kosten ihrer Rivalen zu lösen. In China führt es zu steigenden Lebensmittel- und Energiepreisen. In Brasilien ist die Landeswährung, der Real, gegenüber dem Dollar im Wert gestiegen und bedroht die Exportwirtschaft.

Obwohl die BRICS gemeinsam einen größeren Einfluss in den globalen Institutionen verlangen, sind sie bei weitem kein einheitlicher Block. Sie haben auch unterschiedliche und sogar gegensätzliche Interessen.

Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Brasilien sind ein Beispiel. In den letzten beiden Jahren hat China die USA als größten Handelspartner und ausländischen Investor Brasiliens verdrängt. Aber Brasilien sieht Chinas "unterbewertete Währung" kritisch und argumentiert, sie benachteilige die brasilianische Industrie.

Die brasilianische Präsidentin Rousseff warf die Frage des chinesischen Yuan nicht auf, weil sie eine riesige Delegation von 400 Wirtschaftsführern im Schlepptau hatte, die auf Abschlüsse mit China hoffen. Der chinesische Elektronikgigant Foxconn plant, in einem Zeitraum von fünf bis sechs Jahren zwölf Milliarden Dollar in Brasilien zu investieren, zusätzlich zu den fünf Fabriken, die der Konzern schon seit 2005 dort betreibt. China hingegen wies Brasiliens Antrag ab, sein Frachtflugzeug Embraer E190 auch in China bauen zu dürfen. Peking will stattdessen seine Eigenentwicklung ARJ21 vorantreiben.

Die indisch-chinesischen Beziehungen sind nach wie vor angespannt. Der indische Ministerpräsident Manmohan Singh und der chinesische Präsident Hu kamen überein, den militärischen Austausch wieder aufzunehmen, der im Juli eingefroren worden war. China hatte damals einem indischen Armeekommandeur ein volles Visum mit der Begründung verweigert, er habe in Kaschmir gedient, einer Region, auf die auch Pakistan Anspruch erhebt. Der Zwischenfall war Ergebnis von andauernden Grenzkonflikten zwischen Indien und China und dem Aufbau von Truppenpräsenzen beider Länder in den Grenzregionen. China ist auch über den Ausbau der strategischen Partnerschaft Indiens mit den USA besorgt, während Indien die zunehmende Präsenz Chinas im Indischen Ozean mit Sorge betrachtet.

Trotz dieser und anderer Konflikte haben sich die BRICS-Länder zusammengetan, um ihre gemeinsamen Interessen gegen die zunehmend aggressiven militärischen Interventionen der USA und der europäischen Mächte zu verteidigen, die immer noch die globale Wirtschaft dominieren. Die etablierten kapitalistischen Mächte denken gar nicht daran, den "aufstrebenden Mächten" Platz zu machen. Sie sind entschlossen, ihre militärische und ökonomische Macht einzusetzen, um ihre Vorherrschaft zu behaupten.


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2011 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 20.04.2011
BRICS-Gipfel verurteilt "Gewaltanwendung" gegen Libyen
http://www.wsws.org/de/2011/apr2011/bric-a20.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2011