Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3375: Italien - Studentenproteste gegen Kürzungen im Bildungswesen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Italien: Studentenproteste gegen Kürzungen im Bildungswesen

Von Marc Wells
26. November 2010


Am Mittwoch gingen in mehreren italienischen Städten zehntausende Studenten auf die Straße. Sie protestierten gegen Kürzungen im Bildungswesen, welche die Regierung von Silvio Berlusconi zurzeit durchsetzt. Die Demonstrationen fielen zeitlich mit Massenprotesten britischer Studenten gegen Haushaltskürzungen zusammen.

In Italien hatten die Studenten in über fünfzig Städten zu Aktionen aufgerufen. Sie besetzten 44 der 66 staatlichen Universitäten, boykottierten Vorlesungen und stiegen auf die Dächer von Fakultätsgebäuden. Mehrere Gebäude blieben die ganze Nacht über besetzt.

Die größten Demonstrationen fanden in Rom statt. Eine Gruppe Studenten protestierte vor der Abgeordnetenkammer, während andere versuchten, in das Senatsgebäude einzudringen, was jedoch von Spezialkräften der Polizei verhindert wurde (Siehe: Youtube video).

Studenten riefen Slogans wie "Ridateci il nostro futuro!" (Gebt uns unsere Zukunft zurück!), "No ai tagli!" (Nein zu den Kürzungen!), "Dimissioni!" (Rücktritte!) and "I veri terroristi siete voi!" (Die wahren Terroristen seid ihr).

Beide staatlichen Gebäude wurden mit Steinen und Eiern beworfen. Etwa ein Dutzend Studenten, ein Polizeibeamter und acht Karabinieri (Militärpolizei) wurden leicht verletzt. Zwei Studenten wurden festgenommen, und gegen weitere 27 wurde Anzeige erstattet.

Weitere Demonstrationen fanden in Padua statt, wo die Polizei die Studenten angriff, in Pisa, wo Studenten mehrere Brücken sperrten, und in Siena, wo hundert Studenten sich auf die Eisenbahnschienen setzten. Auch in Florenz, Turin, Neapel, Pavia, Perugia, Palermo und Salerno gingen Studenten auf die Straße. Den Demonstrationen schlossen sich auch Lehrer, Dozenten und Forscher an.

Die Unione degli Universitari (Vereinigung von Studentengewerkschaften) erklärt, sie habe "nicht die Absicht, hier innezuhalten. Wir sind entschlossen, den Kampf zu verschärfen, wenn diese Regierung die Forderungen weiter ignoriert, die aus der ganzen akademischen Welt kommen".

Hauptzielobjekt der Proteste sind die Gelmini-Reformen (so benannt nach Mariastella Gelmini, der Bildungsministerin). Sie bestehen aus einer Reihe von neuen Gesetzen und Regierungsdekreten, die zusammen mit dem im letzten Dezember verabschiedeten Haushalt 2010 Teil eines massiven Angriffs auf das öffentliche Bildungswesen darstellen. Im Herbst 2008 löste das ursprüngliche Gesetz eine Kette von Massenprotesten und Streiks aus.

Die "Reformen" bedeuten, dass die Mittel für staatliche Erziehung drastisch zusammengestrichen werden, was zu Massenentlassungen und einem gedrosselten Bildungsprogramm führt.

Der Angriff auf die Bildung ist ein internationals Phänomen. In Großbritannien, wo die Studiengebühren verdreifacht werden, haben am Mittwoch zehntausende Studenten die Hörsäle verlassen. Tausende nahmen an einer Demonstration in London teil, wo über tausend Jugendliche eingekesselt und von der Polizei stundenlang festgehalten wurden. Unter Knüppeleinsatz hielten die Polizisten Studenten davon ab, ins Parlament einzudringen.

Nur zwei Wochen vor der Demonstration in London gingen Anfang November in ganz Großbritannien 55.000 Studenten auf die Straße. Bei einem Zusammenstoß mit staatlichen Kräften wurden Dutzende von ihnen festgenommen.

In den USA kam es ebenfalls zu Massenprotesten, und in Kalifornien wurden sogar mehrere Universitätsgebäude besetzt, weil die Studiengebühren um über dreißig Prozent erhöht worden waren.

Die Bildungskürzungen in Italien und Großbritannien sind Teil einer Welle von Sparmaßnahmen in ganz Europa, die den Zweck haben, Arbeitern und Jugendlichen die Kosten der Wirtschaftskrise aufzubürden.

Spekulationen an den Geldmärkten gegen die Schulden Irlands erreichten diese Woche ein solches Ausmaß, dass eine neue, 90 Milliarden Euro schwere Rettungsaktion für irische Banken unausweichlich wurde. Das Geld dafür wird durch weitere Sparmaßnahmen aus der irischen Arbeiterklasse herausgepresst werden. Schon ist die Rede von einer "Ansteckungsgefahr", und Portugal und Spanien stehen unter scharfer Beobachtung. Ein Zahlungsausfall Spaniens würde die Lebensfähigkeit des Euro und der gesamten EU ernsthaft in Frage stellen.

Nach Spanien kommt gleich Italien in der Reihe der Länder, die wirtschaftlich am Abgrund stehen. Auch Italien hat eine kriselnde Wirtschaft, ein gewaltiges Schuldenloch, eine massive Regierungskrise und hohe Arbeitslosigkeit.

Wie in Großbritannien reagiert auch die italienische herrschende Klasse mit Repressionen. Der Neofaschist Gianfranco Fini, Präsident der Abgeordnetenkammer, reagierte auf die Studentenproteste mit den Worten, er verurteile aufs Schärfste diesen "inakzeptablen Vorfall von Gewalt und Intoleranz". Vor zwei Wochen ist Fini aus der Berlusconi-Regierung ausgetreten, womit er eine politische Krise auslöste. Am 14. Dezember wird es zu einem Misstrauensvotum im Parlament kommen. Dies wird einen Tag nach der Verabschiedung eines weiteren Sparpakets stattfinden: Für den 13. Dezember ist die Abstimmung über das Haushaltsgesetz 2011 (jetzt "Stabilitätsgesetz" genannt) angesetzt.

Senatspräsident Renato Schifani, ein Mitglied von Berlusconis Partei Popolo della Libertà (PdL - Volk der Freiheit), wurde noch deutlicher und drohte den Studenten offen mit Gewalt. Er sagte, die Regierung habe nicht mit "Appellen an das Verantwortungsgefühl gespart, um den Ton zu senken und eine Situation zu vermeiden, wo die Zunahme von Gewalt und Intoleranz ... in Akte münden könnte, die nicht nur unbotmäßig, sondern auch sehr unheilvoll sind".

Das ist eine klare Warnung, dass die herrschende Klasse bereit und willig ist, die notwendige Gewalt anzuwenden, um jeden Protest und jede Unmutsäußerung zu ersticken. Die Drohung kommt in einer Situation, der jahrelange, immer schärfere Angriffe auf den Lebensstandard und die demokratischen Rechte der Italiener vorangingen. Jede Regierung, sei sie eine Mitte-Links- oder eine Rechtsregierung, hat diese Angriffe fortgesetzt.

Die so genannte Opposition unterstützt ebenfalls die Bildungskürzungen. Pierluigi Bersani, der Parteisekretär der Demokraten, zog eine Show ab und besuchte die Studenten und Lehrer auf dem Dach des Architekturgebäudes in Rom. Während er sich als Unterstützer des Protests ausgab, sollte seine Präsenz der Bourgeoisie bedeuten, dass die Demokraten bereit sind, die Kontrolle über die Situation zu übernehmen und die Opposition in sicheres Fahrwasser zurückzuführen.

Bersanis Erklärung gibt eine Vorstellung davon, wie eine Regierung der Demokraten die Bildungskrise lösen würde. Er sagte: "Sogar in Griechenland führen sie Reformen im gesellschaftlichen und Bildungsbereich ein. Früher oder später werden wir auch dahin kommen."

Genau wie in Griechenland, wo die Arbeiterklasse Lohnkürzungen um dreißig Prozent und beispiellose Angriffe auf die Renten erlebt, bietet Bersani seine Dienste in Italien an, um die harten Sparmaßnahmen in die Praxis umzusetzen.


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2010 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 26.11.2010
Italien: Studentenproteste gegen Kürzungen im Bildungswesen
http://www.wsws.org/de/2010/nov2010/ital-n26.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2010