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GLEICHHEIT/3364: EU Rettungsplan für Irland kündigt Eurokrise an


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

EU Rettungsplan für Irland kündigt Eurokrise an

Von Barry Grey und Stefan Steinberg
19. November 2010


Nach zweitägigen Krisentreffen in Brüssel haben die europäischen Finanzminister ein Team von Vertretern der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds nach Irland entsandt. Sie sollen die Bücher der irischen Banken inspizieren und einen "Rettungsplan" vorbereiten, der die politische Souveränität Irlands beschneidet und noch brutalere Angriffe auf die Arbeiterklasse bedeutet.

Die Intervention Europas und des IWF wird von den globalen Bankern diktiert, die die riesigen Verluste aus dem Zusammenbruch des irischen Bankensystems der Bevölkerung des Landes aufladen wollen. Das wäre auch ein Präzedenzfall für ähnliche "Stabilisierungsprogramme" in anderen hoch verschuldeten europäischen Ländern und über Europa hinaus.

In den letzten Wochen haben Investoren und Spekulanten massiv gegen die Verbindlichkeiten der irischen Regierung und der praktisch insolventen und inzwischen verstaatlichten Banken des Landes gewettet. Das ist zum Teil eine Reaktion auf einen Vorschlag von Kanzlerin Angela Merkel vom Oktober, der inzwischen eingeschränkt wurde, dass bei einem künftigen Rettungsplan in Europa die privaten Gläubiger stärker zur Finanzierung herangezogen werden sollen.

Die Zinsen für die Kreditaufnahme sind nicht nur in Irland stark angestiegen, sondern auch in Portugal und Spanien. Das beschwört erneut das Gespenst einer Kettenreaktion von Bank- und Staatsbankrotten herauf, die möglicherweise zu einem Kollaps des Weltfinanzsystems führen könnte. Die Gefahr des Scheiterns der gemeinsamen europäischen Währung, die im Frühjahr mit dem Rettungspaket für Griechenland und der Gründung des Europäischen Stabilisierungsfonds (EFSF) geringer wurde, ist wieder akut.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy erklärte am Dienstag: "Wir stecken in einer Überlebenskrise", und warnte, dass die Zukunft der Europäischen Union auf dem Spiel stehe. Kanzlerin Merkel sagte: "Es geht um alles. Wenn der Euro scheitert, dann scheitert Europa und mit ihm die Idee der europäischen Werte und Einheit."

Die europäische Schulden- und Eurokrise ist selbst der konzentrierte Ausdruck einer umfassenderen globalen Krise. Die Krisenmaßnahmen kommen nur Tage nach dem Scheitern des G-20-Gipfels der führenden Wirtschaftsmächte in Seoul. Er vermochte nicht, die wachsenden wirtschaftlichen Ungleichgewichte zu bereinigen und die immer erbitterter ausgetragenen Währungs- und Handelsstreitigkeiten zu lösen, besonders zwischen dem Hauptdefizitland, den Vereinigten Staaten, und dem größten Überschussland, China.

Das System der Wirtschaftsbeziehungen, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert worden war, bricht zusammen. Angetrieben wird dieser Zusammenbruch von dem gewaltigen wirtschaftlichen Niedergang und Verfall des amerikanischen Kapitalismus. Das Anwachsen zentrifugaler Kräfte, die die Europäische Union und ihre Währung zu zerreißen drohen, sind ein Ausdruck dieser internationalen Krise.

Insbesondere nehmen die Spannungen zwischen Ländern mit relativ niedrigen Schulden und aktuellem Wirtschaftswachstum zu - wie z.B. Deutschland und den Niederlanden - und zahlreichen anderen Ländern, die von riesigen Schuldenbergen erdrückt werden und deren Wirtschaften entweder in der Rezession oder Stagnation stecken. Letzteres betrifft vor allem Irland, Portugal, Griechenland und Spanien.

Die österreichische Regierung drohte am Montag, ihren Beitrag zur nächsten Tranche der Notkredite an Griechenland zurückzuhalten, weil Athen die vereinbarte Senkung des Defizits nicht erreicht habe. Das EU-Mitglied Slowakei hatte überhaupt abgelehnt, sich an dem 110 Mrd. Euro Rettungspaket zu beteiligen, weil es noch ärmer als Griechenland sei.

Die irische Regierung hatte Forderungen der Eurozonenländer und der Europäischen Union, formell unter den Rettungsschirm der EU zu schlüpfen, Widerstand geleistet. Das hatte wirtschaftliche und politische Gründe.

Die EU unter der Führung von Deutschland hat klar gemacht, dass Irland im Gegenzug zu einem Rettungspaket in Höhe von schätzungsweise 80 Mrd. Euro die Kontrolle über seine Haushalts- und Wirtschaftspolitik verlieren würde. Die republikanisch-nationalistische Fianna Fail-Regierung, und die gesamte irische Bourgeoisie, ist besonders über Forderungen einiger europäischer Regierungen besorgt, dass Irland seine extrem niedrigen Unternehmenssteuern von nur 12,5 Prozent anheben müsse.

Dublin lehnt auch die von der EU geforderten hohen acht Prozent Zinsen auf die Kredite ab. Das ist zwar weniger als die aufgeblähten Zinsen an den internationalen Anleihemärkten, aber bedrückend genug, um Irland für Jahrzehnte an die EU, die EZB und den IWF zu fesseln.

Von der Mitte der 1990er Jahre bis 2008 zog Irland mit seinen niedrigen Steuern ausländische Investitionen an, besonders aus den USA. Das Land, das den Beinamen "keltischer Tiger" erhielt, erzielte hohe Wachstumsraten, weil spekulatives Geld in sein Bankensystem strömte und eine Immobilienblase produzierte, die vor zwei Jahren platzte und die praktische Insolvenz der Banken entlarvte.

Ausländische Banken pumpten Geld nach Irland und machten während des Booms Rekord-Profite. Sie sind entschlossen, nicht für die Pleite zu bezahlen, sondern lieber die Kosten an die irische Bevölkerung weiterzureichen. Sie soll ein Rettungsprogramm für die irischen Banken mit noch höherer Arbeitslosigkeit als den momentanen 13,9 Prozent, und mit noch brutaleren Kürzungen bei den Löhnen und Sozialprogrammen bezahlen.

Bei nur vier Millionen Einwohnern hat Irland seinen Haushalt seit 2008 schon um vierzehn Mrd. Euro gekürzt und plant weitere fünfzehn Mrd. Euro Kürzungen in den nächsten vier Jahren. Pro Kopf der Bevölkerung ist das das Doppelte der verheerenden Kürzungen, die die konservativ-liberaldemokratische Cameron-Regierung jüngst in Großbritannien durchgesetzt hat.

In den letzten Wochen kam es zu einer Welle von Geldabhebungen bei den großen irischen Banken, die inzwischen für ihr Überleben völlig von Krediten der Europäischen Zentralbank abhängig sind. Ausländische Banken haben bei diesen Banken riesige Außenstände. Großbritannien ist nach neuesten Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich mit 140 Mrd. Pfund (164 Mrd. Euro) der größte Gläubiger. Aber auch deutsche, französische und amerikanischen Banken haben im irischen Bankensystem Dutzende Milliarden Euro investiert.

Die Fianna Fail-Regierung hat auch politische Gründe, die Forderungen der EU und des IWF zur Annahme ihres Rettungsangebots abzulehnen. Sie verfügt im Parlament nur über eine hauchdünne Mehrheit und hat am 25. November eine wichtige Nachwahl zu bestreiten. Dabei wird sie von der konservativen Partei Fine Gael angegriffen, die sie beschuldigt, die irische Souveränität zu gefährden und vor EU und IWF einzuknicken.

Premierminister Brian Cowen von der Fianna Fail hofft, die Sache bis nach der Nachwahl und bis nach der Vorlage des Haushalts seiner Regierung für 2011 im Dezember hinauszuzögern. Aber am Mittwoch signalisierten er und andere Regierungsvertreter, dass sie das unabwendbare Hilfspaket von EU, IWF und EZB, das von den Banken diktiert wird, akzeptieren, indem sie das Team begrüßten, das ab heute die Bücher der irischen Banken inspizieren wird.

Cowan betonte zwar, dies sei eine "technische" Mission und bekräftigte, dass Irland keinen Rettungskredit beantragt habe, aber sein Europaminister war entgegenkommender und gab zu, dass "der Markt nicht ausreichend" auf die erste Runde der Sparmaßnahmen der Regierung "reagiert habe". Er fügte hinzu: "Wir nehmen bittere Medizin ein, und wir sind bereit noch mehr einzunehmen."

Die Financial Times gab in einem Kommentar vom Dienstag eine ungewöhnlich offene Einschätzung der Sozialpolitik, die dem EU-IWF-Plan für Irland zugrunde liegt. Die Zeitung schrieb, der Plan werde die europäische Schuldenkrise nur noch vertiefen: "Er würde auch dem schmutzigen Geheimnis Europas die offizielle Billigung der EU verleihen, d. h. dass der staatliche Fiskus alles tun wird, um die privaten Gläubigerbanken zu schonen."

Das "schmutzige Geheimnis", von dem die Times spricht, ist die Klassenpolitik, die in jedem Land als Reaktion auf den Finanzzusammenbruch von 2008 verfolgt wird - von den USA über Europa bis nach Japan und Australien, d.h. die Plünderung der öffentlichen Kassen, um die Spielschulden der globalen Finanzelite zu bezahlen.

In einem düsteren Kommentar vom Dienstag unter der Überschrift "Europa auf dem Weg zurück in den Sturm" warnte die Financial Times, dass die irische Krise nur das Vorspiel eines größeren Zusammenbruchs sei.

"Nur Monate, nachdem die Eurozone sich dazu gratulierte, gerade noch einmal davongekommen zu sein, bewegt sie sich wieder rasant auf um sich greifende Zahlungsunfähigkeiten zu. Der amateurhafte Umgang mit der explosiven Instabilität des irischen Bankensystems macht wenig Hoffnung, dass die anderen tickenden Zeitbomben, mit denen die europäischen Volkswirtschaften gespickt sind, rechtzeitig entschärft werden.

Irlands eigentliches Problem besteht darin, dass es jetzt zwischen seiner staatlichen Zahlungsfähigkeit und der Zahlungsfähigkeit seiner Banken wählen muss. Andere europäische Länder - innerhalb und außerhalb der Eurozone - könnten bald vor der gleichen Wahl stehen. In einer solchen Welt riskiert eine Politik, die Banken mit Staatsgeld flüssig zu halten, den Untergang des Staats selbst - und mit ihm des ganzen Bankensystems."


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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.11.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2010