Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3361: Das Wiedererwachen des deutschen Militarismus


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Das Wiedererwachen des deutschen Militarismus

Von Peter Schwarz
18. November 2010


Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat letzte Woche eine neue "Gefechtsmedaille" für die Bundeswehr eingeführt. Presseberichte bezeichnen sie auch als "Kämpfer-Orden". Mit ihm werden Soldaten ausgezeichnet, die "mindestens einmal aktiv an Gefechtshandlungen teilgenommen oder unter hoher persönlicher Gefährdung terroristische oder militärische Gewalt erlitten" haben. Er kann auch posthum an gefallene Soldaten verliehen werden.

Der neue Orden ist symptomatisch für die grundlegende Verwandlung, die die Bundeswehr seit der deutschen Vereinigung vor zwanzig Jahren durchgemacht hat.

Die Bundeswehr war 1955 gegen massiven Protest und Widerstand gegründet worden. Hitlers Wehrmacht war 1945 von den Siegermächten aufgelöst worden, nachdem sie in einem Angriffskrieg halb Europa in Schutt und Asche gelegt und Millionen Menschen umgebracht hatte. Breite Bevölkerungsschichten wollten danach nichts mehr von Krieg und Militarismus wissen.

Um gesellschaftlich akzeptiert zu werden, musste sich die Bundeswehr auf defensive Aufgaben beschränken. Sie sollte nur zur Abwehr eines äußeren Angriffs zum Einsatz kommen. Als Wehrpflichtigenarmee verfügte sie zwar über eine hohe Mannschaftsstärke, aber über keine Atomwaffen, Flugzeugträger und Transportkapazitäten, die ihr weltweite Einsätze erlaubt hätten. Sie stand an der europäischen Frontlinie des Kalten Krieges und hätte im Fall eines wirklichen Kriegs hohe Verluste zu erleiden gehabt.

Krieg, Kämpfen und Töten galten daher nicht als Zweck der Bundeswehr, sondern als etwas, das es zu vermeiden galt. Ideal des Soldaten sollte nicht der Frontkämpfer, sondern der "Bürger in Uniform" sein; an die Stelle des willenlosen Befehlsempfängers sollte - zumindest in der Theorie - der politisch mündige Soldat treten. Für das Offizierskorps galt das Primat der Politik.

Das hat sich seit der deutschen Vereinigung gründlich geändert. Die Einführung eines neuen Ordens ist Ausdruck dieser Veränderung. "Schon lange hört man nur noch wenig vom Bürger in Uniform, dafür immer mehr vom Kämpfer für deutsche Interessen in aller Welt. Und gute Kampfsoldaten brauchen nicht nur eine ordentliche Ausrüstung, sondern auch Anerkennung", bemerkte die Frankfurter Rundschau dazu treffend.

Schon kurz nach der Wiedervereinigung waren die Ziele der Bundeswehr in den offiziellen verteidigungspolitischen Richtlinien neu definiert worden. Zu ihren Aufgaben gehörten neben der Landesverteidigung nun auch die "Förderung und Absicherung weltweiter politischer, wirtschaftlicher, militärischer und ökologischer Stabilität" sowie die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des Zugangs zu strategischen Rohstoffen".

1994 ebnete das Bundesverfassungsgericht dann den Weg für weltweite Einsätze der Bundeswehr, indem es die Verfassung überraschend völlig neu interpretierte. 1998 gab die gerade gewählte rot-grüne Bundesregierung grünes Licht für den ersten internationalen Kampfeinsatz im Jugoslawienkrieg. Seither sind Bundeswehrsoldaten an zahlreichen Konfliktherden der Welt präsent. Allein in Afghanistan sind bis zu 5.000 deutsche Soldaten im Einsatz. Nach den USA und Großbritannien stellt Deutschland dort das drittgrößte Kontingent.

Der derzeitige Verteidigungsminister Karl-Theodor von und zu Guttenberg (CSU) hat nun die Aufgabe übernommen, die Verwandlung der Bundeswehr aus einer territorialen Verteidigungsarmee in eine imperialistische Interventionsstreitmacht zu vollenden. Seine Reformpläne beinhalten den Abbau ziviler Verwaltungsstrukturen, die Stärkung der militärischen Befehlsstränge und eine Verschlankung der Truppe bei gleichzeitiger Erhöhung der Anzahl Soldaten, die für internationale Einsätze verfügbar sind. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht verwandelt er die Bundeswehr de facto in eine Berufsarmee. Auf dem Papier bleibt die Wehrpflicht erhalten, damit sie sofort wieder eingeführt werden kann, wenn im Kriegsfall Kanonenfutter gebraucht wird.

Guttenberg setzt sich auch offensiv für die Verteidigung deutscher Wirtschaftsinteressen mit militärischen Mitteln ein. Bisher hatten Politiker diese Frage heruntergespielt, obwohl sie in den verteidigungspolitischen Richtlinien längst festgeschrieben war. Bundespräsident Horst Köhler war vor einem halben Jahr sogar zurückgetreten, nachdem er wegen entsprechenden Äußerungen unter Kritik geraten war. Guttenberg hat Köhler öffentlich verteidigt, den "engen Zusammenhang" zwischen "Sicherheit und deutschen Wirtschaftsinteressen" betont und so einer klassischen imperialistischen Außenpolitik das Wort geredet, die auch vor militärischer Gewalt nicht zurückschreckt.

Guttenberg ist von den Medien systematisch zum Politstar aufgebaut worden. Mit dem 38-jährigen Spross eines alten fränkischen Adelsgeschlechts tritt der Vertreter einer sozialen Schicht auf die politische Bühne, die in der deutschen Geschichte eine verheerende Rolle gespielt hat. Zwischen 1871, der Gründung des Kaiserreichs, und 1945, der Niederlage des "Dritten Reichs", hatte der weitverzweigte deutsche Adel in den Schaltstellen von Militär und Außenpolitik den Ton angegeben. Studiert man Geschichtsbücher, findet sich hier kaum ein Name ohne das obligatorische "von" und "zu".

In der Bundesrepublik wurde der gut vernetzte Adel in den Hintergrund gedrängt, er löste sich aber nicht auf. Die alten Seilschaften blieben bestehen. Guttenberg, dessen Familie bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht, ist bestens vernetzt. Seine Frau ist eine Ur-Ur-Enkelin Otto von Bismarcks. Seine Mutter, eine geborene Gräfin von und zu Eltz, ist in zweiter Ehe mit dem Sohn von Hitlers Außenminister Joachim von Ribbentrop verheiratet. Bevor er in die Politik ging, widmete sich der heutige Verteidigungsminister der Verwaltung des Familienvermögens, das neben umfangreichen Wäldern und Ländereien auch Anteile an einem privaten Krankenhauskonzern umfasst und auf 600 Mio. Euro geschätzt wird.

Noch hat die Bundeswehr einen weiten Weg zu gehen, um an die Schlagkraft früherer deutscher Armeen anzuknüpfen. Mit jährlich 46 Mrd. Dollar machen die deutschen Militärausgaben gerade ein Zwölftel der amerikanischen aus. Auch gemessen an der Wirtschaftsleitung gibt Deutschland mit 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts weit weniger aus als die USA (4 Prozent) oder Frankreich (2,3 Prozent) und England (2,2 Prozent), die zusammen für die Hälfte der europäischen Militärausgaben aufkommen. Doch die Weichen sind gestellt. Es bedarf nur noch eines erschütternden Ereignisses, um den weit verbreiteten Widerstand zu durchbrechen, der einer starken Erhöhung der Ausgaben für die neu ausgerichtete Bundeswehr bisher im Wege steht.

Das Wiedererwachen des deutschen Militarismus 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist eine Entwicklung von weltpolitischer Bedeutung. Es ist untrennbar mit der tiefen Krise des Weltkapitalismus verbunden. Während sich die Finanz- und Wirtschaftskonflikte zwischen den Großmächten verschärfen, ist der Militarismus überall auf dem Vormarsch.

Die USA versuchen seit langem, ihr sinkendes wirtschaftliches Gewicht durch den Einsatz ihrer militärischen Übermacht auszugleichen. Ihre wirtschaftlichen Rivalen in Europa und Asien reagieren, indem sie ihrerseits aufrüsten und - in den Worten Guttenbergs - den "engen Zusammenhang zwischen Sicherheit und Wirtschaftsinteressen" betonen.

Schon der Erste und der Zweite Weltkrieg erfolgten "unerbittlich aus den Widersprüchen der internationalen kapitalistischen Interessen", wie Leo Trotzki 1940 feststellte. Ein weiterer Weltkrieg ist unausweichlich, wenn die arbeitende Bevölkerung den kapitalistischen Kriegstreibern nicht rechtzeitig entgegentritt und den Kampf für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft aufnimmt.


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2010 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 18.11.2010
Das Wiedererwachen des deutschen Militarismus
http://www.wsws.org/de/2010/nov2010/pers-n18.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2010