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GLEICHHEIT/3307: Beziehungen zwischen Indien und China gespannt


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Beziehungen zwischen Indien und China gespannt

Von Vilani Peris
12. Oktober 2010


Im letzten Monat verschärften sich die Spannungen zwischen Indien und China. Es gab Berichte, dass sich Tausende von chinesischen Soldaten im von Pakistan kontrollierten Teil von Kaschmir befinden, und zwar in der Gilgit-Baltistan Region nahe der Grenze zu China.

Die Kontroverse wurde durch einen provozierenden Artikel von Selig Harrison in der New York Times vom 26. August entfacht, der behauptete, dass Islamabad "praktisch die Kontrolle" über die strategische Region an China "übergeben" würde, indem es den Einmarsch von 7.000 bis 11.000 chinesischen Soldaten gestatte. Sein Artikel beruht auf "ausländischen Geheimdienstangaben, den Angaben pakistanischer Journalisten und pakistanischer Menschenrechtsaktivisten."

Harrison sah sich gezwungen zuzugeben, dass viele der "Soldaten" tatsächlich in den Bau von Strassen und Eisenbahnverbindungen zwischen China und Pakistan eingebunden seien. Dies hinderte ihn jedoch nicht an Spekulationen - ohne irgendeinen Beweis -, dass 22 Tunnel die sich im Bau befinden für die Unterbringung von Raketen genutzt werden könnten.

Der Artikel zeigte alle Anzeichen einer vom US Geheimdienst lancierten Geschichte, um die Beziehungen zwischen China und Pakistan zu belasten. Zur Überlandroute von China über Gilgit-Baltistan nach einem von China gebauten Hafen im südlichen Pakistan erklärte Harrison: "Gepaart mit seiner Unterstützung für die Taliban, sind Islamabads Bemühungen, China Zugang zum [Persischen] Golf zu gewähren, ein deutliches Zeichen das Pakistan kein 'Allierter' der USA ist."

Tatsächlich brach Pakistan die Verbindungen mit den Taliban 2001 ab und führt unter Druck der USA in seinen Grenzgebieten einen brutalen Krieg, um islamische Aufständische zu unterdrücken, die gegen die US-amerikanische Besetzung des benachbarten Afghanistan kämpfen. Soweit es den Transit durch Gilgit-Baltistan angeht, spricht Harrison für Teile des US-Militärs und bestimmende Kreise in der Außenpolitik, die nicht hinnehmen wollen, dass Pakistan China beim Ausbau von Handelswegen und Routen zur Energieversorgung zum Arabischen Meer behilflich ist.

Pakistan und China wiesen die Nachricht kurzerhand zurück. Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Jiang Yu, gab der Presse gegenüber an: "Die Geschichte, dass China Militär in die nördlichen Teile Pakistans entsandt hat, ist völlig aus der Luft gegriffen und dient eigennützigen Zwecken."

Wie die Dawn vom 1. September berichtete, sagte der Sprecher des pakistanischen Außenministeriums Abdul Basit: "Die Chinesen arbeiten mit der Genehmigung der pakistanischen Regierung in Gegenden die von Erdrutschen und Überflutungen betroffen sind und an dem zerstörten Korakoram Highway ... Die Behauptungen beruhen auf unvollständigen Informationen."

Die indische Regierung und die Medien verfolgen die Geschichte jedoch weiter. Gilgit-Baltistan ist Teil von Kaschmir, das von Pakistan und Indien gleichermaßen in Anspruch genommen wird. Seit die beiden Länder kurz nach ihrer Unabhängigkeit und der Aufteilung des indischen Subkontinents 1947 um die Herrschaft über das Land kämpften, ist die Region geteilt in das indisch kontrollierte Jammu und Kaschmir und das pakistanisch kontrollierte Azad Kaschmir.

Indien verwahrte sich wiederholt gegen jede chinesische Einmischung in einem Gebiet, das Neu-Delhi als sein Territorium betrachtet. Neu-Delhi lehnte chinesische Hilfe beim Bau des Bunji Damms und des Wasserkraftprojekts ab. Indien verurteilte des weiteren Pakistans Entscheidung, der Region Selbstverwaltung zu garantieren, im Zuge dessen wurde der ehemals als Nördliche Gebiete bezeichnete Landstrich in Gilgit-Baltistan umbenannt.

Als Antwort auf den Artikel der New York Times informierte der indische Premierminister Manmohan Singh mehrere indische Zeitungen über die Gefahren, die Chinas angebliche militärische Präsenz in Gilgit-Baltistan darstellt. Wie die Times of India vom 7. September berichtete, erklärte Singh: "China würde gerne einen Fuß nach Südasien setzen und wir haben uns auf diese Realität einzustellen." Er warnte weiter vor einem "neuen Durchsetzungsvermögen der Chinesen". Singh sagte, dass China Indiens "weichen Unterleib", Kaschmir, benutzen könnte, um "Indien auf kleiner Flamme zu halten."

Am 13. September gab Indiens Verteidigungsminister A.K. Antony auf einer Militärkonferenz an, dass "wir es uns nicht leisten können, in unserer Wachsamkeit [in Bezug auf China] nachzulassen." "Wir wünschen uns freundliche Beziehungen mit China ... Doch können wir nicht darüber hinwegsehen, dass China seine militärische und logistische Infrastruktur ausbaut. Tatsächlich gibt es auf chinesischer Seite verstärkte Bemühungen dahingehend."

Während die Regierungen Indiens und Chinas die Gilgit-Baltistan Frage selber herunterspielen, wird sie in der indischen wie pakistanischen Presse weiterhin lebhaft diskutiert. Ein Kommentar in der Dawn vom letzten Sonntag griff Harrisons Artikel in der New York Times an, weil er "sich in der Gilgit-Baltistan-Frage auf die Seite Indiens stellt". In einem Kommentar vom Mittwoch warnte der ehemalige indische Außen- und Verteidigungsminister Jaswant Singh vor der großen Anzahl chinesischer Truppen in Gilgit-Balistan: " China hungert nach Wasser und Rohstoffen und lässt seine Muskeln spielen. Es verletzt den Himalaya-Schutzwall und fordert Indien direkt heraus."

Die andauernde Kontroverse ist ein weiteres Zeichen für die Zerwürfnisse zwischen den beiden aufsteigenden Wirtschaftsmächten, die schon 1962 einen Grenzkrieg ausfochten. China erhebt des Weiteren Anspruch auf rund 90.000 km2 Land, das heute zum nordöstlichen indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh gehört, während Indien seinerseits Anspruch auf 33.000 km2 Land der Aksai Chin Region Chinas erhebt, welches nordwestlich der Jammu und Kaschmir Region liegt. 1962 besetzten chinesische Streitkräfte in einem schnellen Vormarsch die umstrittene Region, erklärten einen Waffenstillstand und zogen sich 1963 freiwillig zurück.

Die ungelösten Grenzstreitigkeiten zerren weiterhin an den Beziehungen der beiden Länder. Im April 2009 versuchte Peking einen 2,9 Milliarden US$ umfassenden Kredit der Asian Development Bank an Indien, der auch ein Projekt zur Hochwasserkontrolle in Arunachal Pradesh abdecken sollte, zu blockieren. Indien bekam dann den Kredit im Juni, anscheinend mit Unterstützung seitens der USA und Japans, unter dem Protest der chinesischen Seite. Ebenfalls im Juni 2009 gab Indien die Entsendung von 60.000 weiteren mit Panzern und Flugzeugen ausgestatteten Truppen nach Assam, nahe Arunachal Pradesh, bekannt, was verärgerte Reaktionen in der chinesischen Presse auslöste.

Die Grenzgebiete sind für Indien und China von vitalem Interesse. Arunachal Pradesh grenzt direkt an Tibet, wo China wiederholt Proteste gegen seine Herrschaft erfährt. Peking lehnt die tibetische Exilregierung unter Führung des Dalai Lama im nördlichen Indien, die von der indischen Regierung Asyl erhält, erbittert ab. Die umstrittenen Gebiete Kaschmir und Aksai Chin grenzen an die chinesische Provinz Xinjiang, in der Peking einer muslimischen Separationsbewegung gegenübersteht. Für Indien untergräbt Chinas Zusammenarbeit mit Pakistan und dem pakistanisch kontrollierten Kaschmir Neu Delhis Ansprüche auf die Region.

Ende August verweigerte China General B. S. Jaswal, dem Leiter des Nordkommandos der indischen Armee, ein Visum aufgrund seiner Herkunft aus Jammu und Kaschmir, dem Gebiet das Pakistan für sich beansprucht. Jaswal war Mitglied einer hochrangigen indischen Militärdelegation nach China. Neu-Delhi antwortete indem es zwei chinesischen Offizieren die Einreise verweigerte, die an einem Verteidigungskursus der indischen Armee teilnehmen sollten. Einem chinesischem Colonel wurde der Vortrag einer Rede an einem von der Armee geführten Institut gestrichen.

Der Schlüsselfaktor bei der Destabilisierung einer ohnehin gespannten Situation sind die Vereinigten Staaten, die im Verlauf des letzten Jahrzehnts eine enge strategische Partnerschaft mit Indien aufgebaut haben Sie zielen darauf ab, dem wachsenden Einfluss Chinas in Asien entgegenzuwirken. Im letzten Jahr verstärkte die Obama-Regierung in einer Reihe von Fragen in Nordost- und Südostasien den Druck auf China, was Indien ermutigen wird, auch entschiedener aufzutreten.

Ein bedeutender Aspekt in den amerikanisch-indischen Beziehungen war die Unterzeichnung eines Atomvertrages 2008, der Indien ermöglicht, Rohmaterial und Technologien einzukaufen, um sein ziviles Atomprogramm voranzutreiben, auch wenn Indien kein Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags (NPT) ist und Atomwaffen besitzt. Die USA stellen sich jedoch gegen Chinas Pläne Atomreaktoren für Pakistan herzustellen, das ebenfalls über ein Atomarsenal verfügt und den NPT nicht unterzeichnet hat.

Die Beziehungen in Südasien komplizieren sich weiter durch Washingtons Abhängigkeit vom pakistanischen Militär, um islamische Aufständische in den Grenzregionen zu Afghanistan zu bekämpfen. Die US-amerikanische Unterstützung für die pakistanische Regierung erweckt in Indien Zweifel an der Dauerhaftigkeit seiner eigenen strategischen Beziehungen mit Washington. Gleichzeitig würde Indien stillschweigend jede US-amerikanische Bemühung begrüßen, die Chinas Beziehungen zu Pakistan untergraben würde - besonders wenn es um die Grenzgebiete im umstrittenen Kaschmir geht.

Unter dem Vorwand einer "de facto chinesischen Kontrolle" über Gilgit-Baltistan entfacht der Artikel der New York Times einen lange schwelenden Konflikt aufs Neue und zieht die USA in einen Streit, an dem drei Atommächte beteiligt sind - Indien, Pakistan und China.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 12.10.2010
Beziehungen zwischen Indien und China gespannt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2010