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GLEICHHEIT/3288: Japan und China streiten über das Ostchinesische Meer


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Japan und China streiten über das Ostchinesische Meer

Von John Chan
30. September 2010


Die Verhaftung des Kapitäns eines chinesischen Fischerboots in umstrittenen Gewässern des ostchinesischen Meers durch Japan ist am Wochenende unversehens zu einer ernsten diplomatischen Krise zwischen den beiden Ländern eskaliert.

Trotz wiederholter chinesischer Forderungen nach einer Freilassung des Kapitäns Zhan Qixiong hat ein japanisches Gericht auf der Insel Okinawa am Sonntag bekannt gegeben, dass er weitere zehn Tage in Gewahrsam bleibt. Zhan wurde am 7. September festgenommen, weil er angeblich eine Kollision mit zwei japanischen Schiffen der Küstenwache verursacht hat. Peking besteht darauf, dass er ein chinesischer Staatsbürger ist, der auf chinesischem Territorium festgenommen wurde, und bestritt die Anwendbarkeit japanischen Rechts.

Als Reaktion auf die Entscheidung des japanischen Gerichts, warnte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Ma Zhaoxu: "Wenn Japan darauf besteht, einen Fehler nach dem anderen zu machen, wird die chinesische Seite wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen, für deren Folgen die japanischen Seite die volle Verantwortung trägt."

China hat die Aussetzung aller Kontakte mit Japan auf ministerieller Ebene und Provinzebene bekannt gegeben und einen Gesprächstermin, bei dem es um eine Ausweitung der Flüge zwischen beiden Ländern gehen sollte, abgesagt. Pläne für ein Treffen des chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao mit dem japanischen Ministerpräsidenten Naoto Kan am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen in der nächsten Woche wurden fallen gelassen.

Die japanische Regierung wird zweifellos von Washington angestachelt. In den letzten Monaten hat die Obama-Regierung Chinas Ansprüche im Südchinesischen Meer in Frage gestellt und plant, die gemeinsamen amerikanisch-südkoreanischen Manöver im Gelben Meer trotz der Einwände Pekings durchzuführen. Die Diaoyu Inseln (in Japan Senkaku Inseln genannt), die im Mittelpunkt des aktuellen Streits zwischen Japan und China stehen, liegen an einer strategisch bedeutsamen Stelle vor dem chinesischen Festland.

Die USA begrüßten Kans Sieg über seinen Herausforderer Ichiro Ozawa bei der Wahl in der vergangenen Woche, bei der es um den Vorsitz der regierenden Demokratischen Partei Japans (DPJ) und das Amt des Ministerpräsidenten ging. Im Gegensatz zur ausgesprochen pro-amerikanischen Haltung Kans hatte Ozawa klar gemacht, dass er eine unabhängigere Außenpolitik und engere Beziehungen mit China bevorzuge. Im Wahlkampf hatte Ozawa vorgeschlagen, die Verhandlungen mit Washington über die Verlegung der umstrittenen US-Militärbasis auf der Insel Okinawa wieder aufzunehmen.

Washingtons Bevorzugung Tokios wurde am vergangenen Mittwoch bei der Reaktion auf Japans geldpolitische Intervention offensichtlich, mit der es die Abwertung des Yen erzwang. Während sowohl im US Kongress als auch in Europa Kritik an Japans unilateraler Aktion laut wurde, hat die Obama-Regierung zu diesem Thema bisher ostentativ geschwiegen - in auffälligem Gegensatz zu den Aufforderungen an China, mehr zu unternehmen, um eine Aufwertung des Yuan im Verhältnis zum Dollar zu bewirken.

In seinem Kommentar zur Ernennung von Seiji Maehara zum neuen Außenminister Japans bemerkte der stellvertretende US-Außenminister James Steinberg, dass Maehara viele Freunde in Washington habe und viel für die Beziehungen zwischen beiden Ländern getan habe. In der Tat ist Maehara für seine militaristische Position gegenüber China und für die Unterstützung der Partnerschaft mit den USA bekannt.

Während seiner Zeit als DPJ Vorsitzender im Jahr 2005 hielt Maehara eine Rede am amerikanischen Zentrum für internationale und strategische Studien, in der er erklärte, dass Chinas militärische Expansion Anlass zu "sehr realer Besorgnis" sei. Er forderte eine Überarbeitung der so genannten pazifistischen Klausel der japanischen Verfassung, um dem Militär die Zusammenarbeit mit den USA bei internationalen Konflikten zu ermöglichen. Diese Bemerkung machte er, obwohl die Opposition gegen die Entsendung japanischer Truppen in den Irak im Jahre 2004 in Japan immer stärker wurde.

In der gleichen Rede ließ Maehara den Einsatz des Militärs anklingen, um japanische Unternehmen bei der Erschließung von Energieressourcen im Ostchinesischen Meer zu schützen, was eine direkte Missachtung von Chinas Ansprüchen darstellte. Er argumentierte, Japan sei "eine maritime Nation, die auf allen Seiten vom Meer umgeben ist. Aber berücksichtigen wir die Tatsache, dass es ihr an natürlichen Ressourcen mangelt und dass die japanische Wirtschaft sich im Wesentlichen auf Handelsaktivitäten stützt, dann müssen wir dem Schutz der Schifffahrtslinien eine überragende Bedeutung zumessen."

Auf seiner ersten Pressekonferenz am vergangenen Freitag, beschuldigte Maehara China, einseitig Gasbohrungen in Gebieten des Ostchinesischen Meeres vorzubereiten, die von Japan beansprucht werden. 2008 waren beide Länder nach jahrelangem Streit übereingekommen, Öl- und Gasreserven gemeinsam zu erschließen. Inmitten der jüngsten Spannungen hat China nun geplante Gespräche über die Gasfelder ausgesetzt, die in diesem Monat stattfinden sollten. Maehara drohte, die "notwendigen Maßnahmen" - einschließlich von Gasbohrungen in der gleichen Gegend - zu ergreifen, wenn Peking die Bohrarbeiten fortsetze.

Das umstrittene Gebiet im Ostchinesischen Meer umfasst 210.000 Quadratkilometer, einschließlich einer 970 Kilometer langen Mulde, in der 495,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas und zwanzig Millionen Barrel Öl vermutet werden. Tokio wirft China die Verletzung des Abkommens von 2008 vor, weil es mit Bohrungen in der Nähe der umstrittenen Gebiete begonnen habe, was Gas aus der von Japan beanspruchten "Ausschließlichen Wirtschaftszone" entweichen lasse.

Diaoyu liegt genau in dem umstrittenen Gebiet und in der Nähe der Gasfelder. Zum Schutz der Inseln hat Japan in der Gegend zwanzig Schiffe der Küstenwache stationiert und regelmäßige Flugzeugpatrouillen mehrmals pro Tag eingeführt. Außerdem hat Tokio zur Überwachung der Region Radarstationen auf in der Nähe gelegenen Inseln installiert. Auch China hat in den vergangenen zwei Jahren eine nachdrücklichere Haltung an den Tag gelegt und Kriegsschiffe sowie Kampfflugzeuge ausgesandt, die bei den Gasfeldern und den Diaoyu Inseln patrouillieren. Es hat mehrere Zusammenstöße zwischen chinesischen und japanischen Schiffen und Flugzeugen gegeben.

Am vergangenen Freitag stellte Maehara die Berechtigung der militärischen Aufrüstung Chinas generell in Frage und forderte "eine Erklärung" von Peking. Tatsächlich hat die Kan-Regierung die "chinesische Bedrohung" benutzt, um die Aufrüstung des japanischen Militärs zu rechtfertigen. Die Nachrichtenagentur Kyodo berichtete am Montag, dass Tokio darüber nachdenkt, die Bodentruppen seiner Selbstverteidigungsstreitkräfte von 155.000 auf 168.000 zu vergrößern. Das wäre die erste Erweiterung seit 1972. Im Juli kündigte Kans Kabinett eine Erweiterung der U-Boot-Flotte an, die erste seit Japan die Zahl seiner U-Boote im Jahr 1976 beschränkte.

Es geht aber nicht nur um wirtschaftliche und strategische Interessen. Tokio und Peking nutzen den aktuellen Streit auch aus, um reaktionäre nationalistische Stimmungen zu schüren und so von sozialen und politischen Spannungen im eigenen Land abzulenken. Medien in Hongkong haben berichtet, dass eine Reihe von Schulen für chinesische Einwanderer in Japan in den letzten Tagen Bombendrohungen und beleidigende Briefe von rechtsextremen japanischen Nationalisten erhalten haben. Letzte Woche brachten japanische Medien unbegründete Behauptungen über chinesische "Cyber-Angriffe" auf das japanische Verteidigungsministerium und Webseiten der Polizei.

In China gab es am vergangenen Samstag zum Jahrestag der japanischen Invasion in der Mandschurei von 1931 eine Reihe kleinerer anti-japanischer Proteste. Die Proteste, die ohne die stillschweigende Zustimmung der Regierung nicht hätten stattfinden können, wurden von rassistischen Parolen dominiert wie "Nieder mit dem kleinen Japan", "Runter von den Diaoyu Inseln" oder "Vernichtet die japanischen Teufel! "

In China wird die Debatte über Gegenmaßnahmen gegen Japan schärfer. Am Montag forderte General Peng Guangqian von der chinesischen Akademie für Militärwissenschaften provokativ die endgültige Aussetzung der Gespräche mit Tokyo über die Gasfelder im Ostchinesischen Meer. Darüber hinaus forderte er die Entsendung von bewaffneten Patrouillenschiffen zu den Diaoyu Inseln, um chinesische Fischerboote zu schützen, und die Verwendung Diaoyus "für Schießübungen" der chinesischen Streitkräfte, so wie es die USA während des Kalten Krieges taten.

Wirtschaftliche Vergeltungsmaßnahmen werden ebenfalls diskutiert. Feng Zhaokui von der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften argumentiert, dass der Boykott japanischer Waren nicht so effizient sei wie der Kauf japanischer Vermögenswerte, der den Wert des Yen in die Höhe treiben und zu einer Rezession in Japan führen würde. Andere Kommentatoren haben hohe Steuern für japanische Unternehmen in China gefordert oder Beschränkungen bei der Ausfuhr von Rohstoffen nach Japan.

Der rasch eskalierende Streit um die Diaoyu Inseln unterstreicht sowohl die Gefahr einer Konfrontation zwischen den beiden Großmächten wie auch die Rücksichtslosigkeit der Obama-Regierung, die absichtlich die Spannungen mit China in der gesamten Region verschärft.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 30.09.2010
Japan und China streiten über das Ostchinesische Meer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2010