Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3116: Mittlere Einkommensgruppe in Deutschland bricht weg


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Mittlere Einkommensgruppe in Deutschland bricht weg

Von Dietmar Henning
18. Juni 2010


Die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland geht immer weiter auseinander, die mittlere Einkommensgruppe schrumpft. Das ist das zentrale Ergebnis einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zur Einkommensverteilung in Deutschland. Die DIW-Forscher sehen ihre Studie vor allem als Warnung vor einer Destabilisierung der Gesellschaft.

Die Studie zeigt deutlich, dass seit rund zehn Jahren nicht nur die Anzahl der Armen stark und die der Reichen langsamer, aber stetig wachsen. Die Armen werden dabei auch immer ärmer, die Reichen immer reicher. Beides geht zu Lasten der mittleren Einkommensschicht. "Aus dieser Gruppe sind einige in die obere Einkommensgruppe auf- und viele in die untere Einkommensgruppe abgestiegen", heißt es in der Studie.

Danach gehören nur 60 Prozent der Menschen in Deutschland noch zur Mittelschicht mit monatlichen Nettoeinkommen zwischen 860 und 1.844 Euro (Singlehaushalte). Im Jahr 2000 waren es noch mehr als 66 Prozent gewesen. Stark gestiegen ist vor allem die Zahl der Menschen mit niedrigem Einkommen, von 18 Prozent 2000 auf fast 22 Prozent 2009. In Ostdeutschland zeigt sich ein noch stärkerer Anstieg dieser Gruppe von rund 24 Prozent im Jahr 2000 auf inzwischen 31 Prozent im letzten Jahr.

Die Geringverdiener erhielten im Jahr 2000 durchschnittlich noch 680 Euro im Monat. 2008 waren es nur noch 645 Euro. Der mittlere Verdienst höherer Einkommensgruppen ist dagegen gestiegen, von 2.400 Euro auf 2.700 Euro. Detaillierte Analysen zeigen, dass sich der Zuwachs an der Spitze der Gesellschaft "ausschließlich auf die reichsten fünf Prozent der Bevölkerung" konzentriert, sagte DIW-Verteilungsforscher Markus Grabka der Frankfurter Rundschau. "Der Abstand zwischen Arm und Reich vergrößerte sich also erheblich", so das DIW.

Die allein nach Einkommen definierte Mittelschicht umfasst einen Großteil der Arbeiterklasse, die ihr Einkommen ausschließlich aus ihrer Erwerbsarbeit erzielt. Sie verfügt in der Regel über keine größeren Besitztümer, erst recht nicht über Kapitalbesitz. Daher ist die Bedeutung des Arbeitsmarkts und mit ihm die Arbeitsmarktpolitik entscheidend für diese Entwicklung: "Wenn die Zahl der Beschäftigten zurückgeht, steigt die Zahl der Menschen in unteren Einkommensgruppen."

Aufgrund der Kurzarbeit und anderer Regelungen hat die Wirtschaftskrise 2009 noch keine größeren Auswirkungen auf die Einkommensverteilung gehabt. Doch selbst bei sinkender Arbeitslosigkeit und wachsender Beschäftigung würde diese Entwicklung nicht umgekehrt. "Wir sehen hier einen langfristigen, relativ gleichmäßigen Trend", sagt Jan Goebel, einer der Autoren der Studie.

Der Inhalt der Studie ist indes nicht völlig überraschend. Schon 2006 hatte das DIW vor der Erosion der Mittelschicht gewarnt. Regelmäßig veröffentlichen die DIW-Forscher und andere Institute Zahlen, nach denen die Armut wächst, während am oberen Ende der Gesellschaft die Geldsäcke bersten.

So leben 14 Prozent der Bevölkerung in Deutschland in Armut, haben also weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Die im Vergleich zu Westdeutschland (13 Prozent) höhere Armutsquote in Ostdeutschland (19 Prozent) ist dabei vor allem auf die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit zurückzuführen.

Erst letzte Woche wurden Zahlen veröffentlicht, laut denen die Superreichen noch reicher aus der aktuellen Krise hervorgehen. In Deutschland lebten im letzten Jahr 430.000 Dollar-Millionäre, so viele wie noch nie. Die Anzahl der Millionärshaushalte stieg allein im letzten Jahr um 23 Prozent.

Die Gründe sind bekannt. Die rot-grüne Regierung von Gerhard Schröder (SPD) und Joschka Fischer (Grüne) hatte die Vermögen und Einkommen seit 1998 stark umverteilt. Sie senkte den Spitzensatz bei der Einkommenssteuer von 53 auf 42 Prozent, befreite Unternehmen und Kapitalbesitzer von Steuern und schuf mit der Einführung der Hartz-Gesetze die Voraussetzungen für einen riesigen Niedriglohnsektor. Inzwischen arbeiten fast sieben Millionen Menschen darin.

Ab 2005 führte die Große Koalition aus CDU und SPD unter Bundeskanzlerin Merkel (CDU) diesen Kurs weiter.

Die Gewerkschaften tragen ihren Teil dazu bei, indem sie die Bundesregierungen seit Jahren in ihrer Politik unterstützen und nur noch geringe Lohnerhöhungen vereinbaren, die starke Reallohnsenkungen zur Folge haben. Die Reallöhne befinden sich inzwischen wieder auf dem Stand, den sie vor 25 Jahren, Mitte der 1980er Jahre hatten.

Nun hat die aktuelle Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP ein Sparpaket verabschiedet, das diese Entwicklung weiter beschleunigt. Während die Reichen und Unternehmen ungeschoren bleiben, sollen die einzusparenden Milliarden bei den Arbeitslosen, armen Familien, Arbeitern und Rentnern geholt werden. Jan Goebel kritisiert daher das geplante Sparpaket der Bundesregierung: "Die bisher gemachten konkreten Vorschläge betreffen nur die unteren Einkommen. Der Anteil der Reichen aber steigt stetig und die Reicheren verdienen auch immer besser. Da stellt sich schon die Frage, ob diese Gruppe nicht auch einen Sparbeitrag leisten sollte."

Es ist offensichtlich, dass die DIW-Forscher ihre Studie vor allem als Warnung an die Bundesregierung verstehen. Die wachsende Polarisierung der Gesellschaft halten sie für "besorgniserregend." Die von ihnen dargestellte Entwicklung verunsichere die Mittelschicht, fürchten sie. "Eine starke Mittelschicht ist aber wichtig für den Erhalt der gesellschaftlichen Stabilität." In ihrer Studie gehen sie ausdrücklich auf die stabilisierende Wirkung der mittleren Einkommensschichten auf die deutsche Gesellschaft seit dem Zweiten Weltkrieg ein: "Die Sicherung der Mitte [ist] als eine wichtige Voraussetzung für die Stabilität demokratischer Entscheidungsprozesse anzusehen."

Siehe auch:
Rechtsruck in den Niederlanden
(12. Juni 2010)
http://www.wsws.org/de/2010/jun2010/holl-j12.shtml


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2010 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 18.06.2010
Mittlere Einkommensgruppe in Deutschland bricht weg
http://wsws.org/de/2010/jun2010/diw-j18.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2010