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GLEICHHEIT/2990: 60. Berlinale, Februar 2010 - Teil 1


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Roman Polanskis Der Ghostwriter, eine neue Version von Metropolis und andere Fragen

Von Stefan Steinberg
27. Februar 2010
aus dem Englischen (24. Februar 2010)

Dies ist der erste einer Reihe von Artikeln über die Berlinale, die am 21. Februar zu Ende ging.


Mehrere Kommentatoren haben aus Anlass des 60. Jahrestages der Berlinale zur Rolle der Weltpolitik in der Entstehung des Festivals geschrieben und über die Filme der Nachkriegsperiode berichtet, die hier zu Kontroversen geführt haben. Das Festival wurde 1951 in Westberlin auf Initiative eines amerikanischen Besatzungsoffiziers ins Leben gerufen, der einen prowestlichen kulturellen und politischen Kontrapunkt zum stalinistisch besetzten Ostdeutschland setzen wollte.

Mehrfach in seiner Geschichte hat das Festival politische Stürme durchlebt, vor allem in den 1970er Jahren, als ein erbitterter Streit um den Anti-Vietnam-Kriegsfilm O.K. des deutschen Regisseurs Michael Verhoeven ausbrach und den Wettbewerb zum Stillstand brachte. Solche Kontroversen sind inzwischen graue Vergangenheit. Die 60. Berlinale zeichnete sich durch einen deutlichen Mangel an gesellschaftlichen und politischen Filmen mit Substanz aus, obwohl der Weltkapitalismus seine schlimmste Krise seit den 1930er Jahren erlebt. Dennoch versuchten zumindest einige der über 400 gezeigten Werke, wenn auch oft nur indirekt, die sich schnell verändernde gesellschaftliche und ökonomische Lage zu verstehen.

Einige der sensibleren Filmemacher, besonders der jüngeren Generation, spüren offensichtlich wie der Boden unter ihren Füßen schwankt. Sie scheinen ein Gespür dafür zu haben, dass die Jugend in der heutigen Gesellschaft keine Zukunft hat, die ihnen die relative Sicherheit verspricht, deren sich ihre Eltern und frühere Generationen erfreuten. Viele junge Filmemacher sind sich aufgrund von Erfahrungen in ihrer eigenen unmittelbaren Umgebung akut drohender prekärer, schlecht bezahlter Arbeit bewusst, die keine Zukunft bietet. Das trifft inzwischen auch gut ausgebildete soziale Schichten.

Es gab weniger selbstgefällige, beliebige Werke, von der Art, wie sie das Festival in den letzten Jahren bestimmten. Auffällig waren dieses Jahr mehrere Filme, die sich entweder direkt mit Eingesperrtsein befassten oder mit dem Schicksal von Häftlingen nach ihrer Entlassung... etwa nach der Maxime der berühmten deutschen literarischen Figur Franz Biberkopf (in Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz), der nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis ausruft: "Endlich frei... Die Strafe beginnt!"

Die Filmemacher haben immer noch ein recht geringes Verständnis der Ursachen der gegenwärtigen Krise. Manchmal hinken die Regisseure breiten gesellschaftlichen Schichten deutlich hinterher. Ein interessanter Festivalbeitrag war Kanikosen, ein neuer japanischer Film, der sich auf ein Buch aus den 1920er Jahren stützt, das leidenschaftlich für die Abschaffung des Kapitalismus argumentiert.

Von dem wieder aufgelegten Roman Kanikosen wurden alleine in Japan über eine halbe Million Exemplare verkauft. Ich führte ein Interview mit dem Regisseur Sabu, in dem es zu folgendem Wortwechsel kam:

Stefan Steinberg: Ihr Film spricht sich im Grunde für eine Revolution aus. In den 1920er Jahren, als das Buch geschrieben wurde, war das ein Appell, den Kapitalismus durch Sozialismus zu ersetzen. Glauben Sie daran? Denken Sie, dass es notwendig ist, in Japan und anderen Ländern, den Kapitalismus zu ersetzen?

Sabu: Das ist überhaupt nicht meine Zielrichtung. Ich denke einfach, dass die Menschen härter arbeiten müssen, und dass Arbeiter ihren gerechten Lohn bekommen sollten.

(Kanikosen wird gesondert besprochen werden.)

Sabu scheut vor den Implikationen seines Films zurück. Andere Filmemacher befassten sich mit wichtigen Fragen und Problemen, wie den Konflikten von Einwanderern mit islamischem Hintergrund (Shahada, On the Path, Die Fremde), waren aber oft defensiv und hatten einen begrenzten Anspruch. Die Handlung spielt weitgehend im Kreis der Familie und der Freunde. Dem breiteren gesellschaftlichen Kontext, der oft die Ursache solcher Konflikte ist, wird wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Einige der interessantesten Festivalfilme werden in weiteren Artikel besprochen werden.


Der Ghostwriter

Ein Film auf dem Festival, der den Stier bei den Hörnern packt, war Der Ghostwriter, der neue Film des erfahrenen polnischen Regisseurs Roman Polanski. Der Film gewann einen Silbernen Bären für die beste Regie. Diese Entscheidung war wohl teilweise eine bewusste Solidaritätserklärung für Polanski, der gegenwärtig von den amerikanischen Behörden für ein Vergehen gejagt wird, das mehr als drei Jahrzehnte zurückliegt. Polanski musste die Schlussredaktion seines Films in einem schweizerischen Gefängnis und unter Hausarrest in der Schweiz durchführen.

Der Ghostwriter stützt sich auf den Roman Ghost des Bestseller-Autors Robert Harris. Seine zentrale Figur, Adam Lang, ist dem Vorbild des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair nachempfunden. Beim Ghostwriting von Langs Memoiren stößt der ungenannte Ghostwriter auf entscheidende Informationen, die die völlige Unterordnung des britischen Premierministers unter die Regierung in Washington bweisen. Diese Unterordnung geht so weit, dass die Figur Lang-Blair sogar in Kriegsverbrechen verwickelt wird.

Der Ghostwriter ist Polanskis erster Film seit seinem Thriller Chinatown von 1974, der in Amerika spielt. Wegen des anhängigen amerikanischen Haftbefehls konnte Polanski nicht in Amerika drehen und baute deshalb Martha's Vineyard - die bekannte Urlaubsinsel vor der Küste von Massachusetts, wo Lang sich im Film die meiste Zeit aufhält, auf der Nordseeinsel Sylt nach.

Mit einer oder zwei Ausnahmen hielt sich Polanski an die Romanvorlage von Harris, der auch das Drehbuch geschrieben hat. Der Autor war früher politischer Journalist und ursprünglich begeisterter Anhänger Blairs und seiner Regierung. Harris flog 1997 im Wahlkampf für die Unterhauswahl in Blairs Privatflugzeug mit und war bei ihm, als er in seinem Wahlkreis auf das Wahlergebnis wartete. Harris brach später wegen der Beteiligung Großbritanniens am Irakkrieg mit Blair, hat aber weiterhin gute Kontakte zu führenden Mitgliedern der Labour Party. Harris widmete sein jüngstes Buch mit dem Titel Cicero einem von Blairs (und jetzt Gordon Browns) engsten politischen Vertrauten, Lord Peter Mandelson.

Auf dem Festival in Berlin versuchte Harris die Parallelen zwischen Lang und Blair herunterzuspielen, aber die Ähnlichkeiten und der politische Kontext, in den das Buch und der Film gestellt sind, sprechen für sich. Lang (Pierce Brosnan) steht auf seiner Rednertour durch die USA das Privatflugzeug einer Firma zur Verfügung, deren Namen unwillkürlich an Halliburton denken lässt, und eine Condoleezza Rice sehr ähnliche Frau verteidigt ihn gegen den Vorwurf von Kriegsverbrechen. Weil er inzwischen unter Anklage wegen solcher Verbrechen steht, sieht Lang im Fernsehen Bilder mit Unbehagen, die zeigen, wie dem irakischen Ex-Präsidenten Saddam Hussein in Vorbereitung auf seine Exekution Haare und Bart geschoren werden.

Roman und Drehbuch von Harris verflachen die Komplexität des Eingreifens der britischen Regierung im Irak und ihre Unterordnung nach dem Zweiten Weltkrieg unter die USA wird auf eine Verschwörung der CIA reduziert, aber die talentierten Schauspieler und die feste Handschrift des Regisseurs haben einen überzeugenden politischen Thriller geschaffen, der Polanski in Westminster und Washington wohl kaum neue Freunde gemacht hat.

Einige Besprechungen des Films - darunter auch in der New York Times - versuchen zu argumentieren, dass der Antrieb für Polanski, diesen Film zu produzieren, psychologischer Natur gewesen sei und sein eigenes persönliches Dilemma reproduziere. Als Lang im Film die Nachrichten verfolgt, dass er wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden soll, ist er praktisch zu einem Leben im Exil in den Vereinigten Staaten verdammt. Polanski ist seit Jahrzehnten außerhalb der USA im Exil. Lang und Polanski seien beide "Opfer", so wird argumentiert. Aber für eine solch oberflächliche Interpretation gibt es keine ernstzunehmenden Hinweise.

Polanski hatte ursprünglich mit Pompeji einen anderen Roman von Harris verfilmen wollen, konnte aber nicht genug Geld für das Projekt auftreiben. Kurzfristig, und augenscheinlich durch seinen politischen Inhalt motiviert, entschloss sich Polanski dann, Ghost zu verfilmen. Dafür ist er zu loben.


Metropolis

Ein wichtiges Ereignis auf der Berlinale war die Vorführung einer vollständigen und restaurierten Version von Fritz Langs Stummfilmepos Metropolis, die durch den Fund einer ungekürzten Version des Films in Argentinien möglich geworden war. (Die englische Ausgabe des WSWS berichtete darüber ("Complete print of Fritz Lang's Metropolis discovered in Argentina" 16 September 2008)

Metropolis war der erste Film, dem von der UNESCO der Welterbestatus zuerkannt wurde. Aber die Version, die Kinogängern am besten bekannt ist, unterscheidet sich stark von dem Originalfilm, der vor 83 Jahren in Berlin aufgeführt wurde. Die (fast) vollständige Version wurde zum Auftakt des Festivals simultan im Berliner Friedrichstadtpalast, der Oper in Frankfurt (mit einer einleitenden Rede des rechten hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch) und in eisiger Kälte auf einer Großleinwand am Brandenburger Tor gezeigt.

Die restaurierten Elemente des Films stechen in ihrer jetzigen Form heraus. Trotz bester Bemühungen der Restauratoren belegt die grobkörnige Qualität der zusätzlichen halben Stunde, dass die unbeachtet in Argentinien lagernden Filmrollen großen Schaden genommen haben. Die ergänzten Sequenzen fügen dem Film bedeutsame Details hinzu. So erhöht der Versuch, kleine Kinder zu retten, die Spannung der Szene, in der die unterirdische Stadt geflutet wird. Auch erfahren wir, dass der Wissenschaftler Rotwang und der Industrielle Fredersen Rivalen in der Liebe waren.

Die Ergänzungen des Films ändern aber nicht die große Richtung der Erzählung. Metropolis war zweifellos aus mehreren Gründen ein Meilenstein der Filmgeschichte und seine vollständige Restaurierung ist unbedingt zu begrüßen. 1927 war er der teuerste bis dahin in Deutschland produzierte Film und er setzte neue Techniken und Ideen ein, die seitdem zum Standard bei der modernen Filmproduktion geworden sind. Dennoch fiel der Film damals durch und Lang distanzierte sich später von dem Werk.

1965 erläuterte Lang seine Vorbehalte gegenüber dem Film, für den seine damalige Frau Thea von Harbou das Drehbuch geschrieben hatte: "Ich habe schon oft gesagt, dass ich Metropolis nicht mag, und zwar deswegen, weil ich das Leitmotiv der Botschaft des Films nicht akzeptieren kann. Es ist absurd zu sagen, dass das Herz Mittler zwischen Hand und Kopf sei, das heißt ja zwischen Arbeiter und Unternehmer. Das Problem ist gesellschaftlich und nicht moralisch."

Was an dem Film auffällt, ist die Darstellung der gesellschaftlichen und Klassenbeziehungen. Die Arbeiter im Untergrund sind wie Sklaven an infernalische Maschinen gekettet. Sie werden als eine weitgehend unbewusste Masse dargestellt (Hand ohne Hirn), die von jedem Demagogen manipuliert werden kann. Obwohl Lang und Harbou bahnbrechende kinematische Techniken einsetzten, um ihre Stadt der Zukunft zu zeichnen, ist die grundlegende Aussage des Films eine Warnung vor den Gefahren der Technologie.

Der Film schildert drastisch die extreme Ausbeutung in der kapitalistischen Gesellschaft, zelebriert aber am Ende soziale Harmonie, als der Industrielle (das Hirn) die Hand des Führers der Arbeiterrevolte schüttelt.

Lang wusste, dass ein solcher Standpunkt leicht von den reaktionärsten Kräften für ihre Zwecke genutzt werden konnte. 1941 berichtete der Filmemacher, dass er unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme von Nazi-Propagandaminister Joseph Göbbels zu einer Audienz einbestellt worden sei. Der eröffnete ihm, dass "er und der Führer schon vor vielen Jahren meinen Film Metropolis in einem Kleinstadtkino gesehen hätten. Hitler habe ihm damals gesagt, dass ich in Zukunft die Filme der Nazis drehen solle".

Lang lehnte Göbbels' Angebot ab, die Leitung der Filmindustrie in Deutschland zu übernehmen und floh umgehend in die USA, wo er einige seiner besten Filme drehte. Seine Frau von Harbou blieb in Deutschland, diente sich den Nazis an und erfreute sich einer blühenden Karriere unter der Patronage von Göbbels

Wird fortgesetzt

Siehe auch:
59. Berlinale: Ein alarmierendes Zurückbleiben hinter der Zeit
(28. Februar 2009)
http://wsws.org/de/2009/feb2009/berl-f28.shtml


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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.02.2010
Roman Polanskis Der Ghostwriter, eine neue Version von Metropolis und andere Fragen
http://wsws.org/de/2010/feb2010/berl-f27.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2010