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GLEICHHEIT/2960: Nordrhein-Westfalen - SPD-Vorsitzende fordert Arbeitseinsatz von Hartz-IV-Empfängern


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Nordrhein-Westfalen:
SPD-Vorsitzende fordert Arbeitseinsatz von Hartz-IV-Empfängern

Von Dietmar Henning
11. März 2010


Acht Wochen vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl hat die Spitzenkandidatin und stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Hannelore Kraft, deutlich gemacht, dass die SPD uneingeschränkt an der unsozialen Politik von Ex-Kanzler Gerhard Schröder festhält. Kraft will die sozialen Angriffe der Agenda 2010 nicht nur fortsetzen, sondern ausweiten.

In einem Interview mit dem Spiegel erklärte sie, dass ein Großteil der Hartz-IV-Empfänger keinerlei realistische Chance auf Eingliederung in "reguläre Arbeit" habe. "Wir müssen endlich ehrlich sein: Rund ein Viertel unserer Langzeitarbeitslosen wird nie mehr einen regulären Job finden", sagte sie.

Diese Langzeitarbeitslosen müssten als Gegenleistung für regelmäßige staatliche Unterstützung dazu angehalten werden, "im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die Gesellschaft etwas zu leisten". Kraft schlug vor, Dauerarbeitslose für "gemeinnützige Arbeit" einzusetzen. Sie sollten etwa in Altenheimen vorlesen oder aushelfen, in Sport- und Freizeitvereinen arbeiten oder auch beim Straßenfegen eingesetzt werden.

Mit unverhohlenem Zynismus begründete sie ihre Vorschläge mit der Behauptung, durch diese Arbeitsverpflichtung werde den Betroffenen ein "Gefühl der Würde" vermittelt.

Viele Medienkommentare werteten Krafts Äußerungen aus einem engen wahltaktischen Blickwinkel. Sie wolle der FDP oder der CDU für die Zeit nach der Wahl vom 9. Mai Zusammenarbeit signalisieren; sie wolle einem möglichen Regierungs- oder auch nur Tolerierungsbündnis mit der Linkspartei einen Riegel vorschieben; usw.

Andere Kommentare bezeichneten die "Kraftausdrücke" (Frankfurter Rundschau) als wenig durchdachten Schnellschuss, der in der Praxis nicht zu verwirklichen sei. Arbeitsmarktexperten warnten, eine groß angelegte Ausweitung gemeinnütziger Arbeit gefährde nicht nur eine Vielzahl von regulären Arbeitsplätzen, sondern stelle auch die Existenz vieler kommunaler Betriebe in Frage. Doch diese Kommentare bleiben an der Oberfläche.

Krafts Aussagen sind Ausdruck einer scharfen Rechtswende der SPD. Ihre Erklärung, ein Großteil der Arbeitslosen werde ein Leben lang ohne reguläre Arbeit bleiben, bedeutet eine Abkehr von der bisherigen Arbeitsmarktpolitik der Sozialdemokraten, die zumindest ein Lippenbekenntnis zur "Eingliederung in den Ersten Arbeitsmarkt" ablegte. Angesichts der Wirtschaftskrise erklärt die SPD nun offen, dass viele Menschen ihr gesamtes Leben in Arbeitslosigkeit und Altersarmut verbringen müssen.

Der Vorschlag, Dauerarbeitslose künftig verstärkt für gemeinnützige Arbeit einzusetzen, leitet den Übergang von staatlicher Unterstützung zu staatlichem Zwang ein. Die in späteren Interviews von Kraft nachgeschobene Betonung der Freiwilligkeit ändert daran nichts.

Die SPD, die in der rot-grünen Bundesregierung und in der darauf folgenden Großen Koalition von 1998 bis 2009 durchgehend den Arbeits-, den Sozial- und den Finanzminister stellte, weiß, dass die sozialen Auswirkungen der Wirtschaftskrise noch bevorstehen. Mit ihren Äußerungen bietet Hannelore Kraft die SPD den Wirtschaftsverbänden und der herrschenden Klasse insgesamt als Partei an, die konsequent und effektiv Sozialabbau durchsetzt und dabei vor staatlichen Zwangsmaßnahmen nicht zurückschreckt.

Es ist kein Zufall, dass die Bundesführung der SPD im Willy-Brandt-Haus die Vorschläge der NRW-Spitzenkandidatin unterstützt. Generalsekretärin Andrea Nahles, die sich in der Vergangenheit als Sprecherin des linken Parteiflügels bezeichnete, verteidigte Kraft mit den Worten: "Der gemeinnützige oder soziale Arbeitsmarkt muss eine klare Alternative zu den Ein-Euro-Jobs sein". (Spiegel Online)

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im nordrhein-westfälischen Landtag, Ralf Jäger, hatte schon am Rande des letzten Landesparteitags Ende Februar in einem Interview gesagt: "Wir wollen gute Arbeit schaffen. Dass heißt: Menschen, die nicht mehr so leistungsfähig sind, in einen sozialen Arbeitsmarkt geben." Auf diesem Landesparteitag war Hannelore Kraft mit über 99 Prozent im Amt der Landesvorsitzenden bestätigt worden.

Dass die rechte Offensive der SPD aus Nordrhein-Westfalen kommt, ist symptomatisch. In keinem anderen Bundesland ist die SPD so eng mit den Gewerkschaften und ihrem bürokratischen Apparat verbunden. Die Gewerkschaften reagieren auf die Wirtschaftskrise, die zum Ansteigen der Massenarbeitslosigkeit und zu wachsendem Widerstand in der Bevölkerung führt, indem sie enger an den Staatsapparat heranrücken und sich teilweise mit ihm verschmelzen.

Schon in der Vergangenheit haben sie ihre Politik der Sozialpartnerschaft und ihre Rolle im Sozialstaat als wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der bürgerlichen Herrschaft betrachtet. Sie sind entschiedene Gegner des Klassenkampfs und setzen den gesamten gewerkschaftlichen Apparat einschließlich einer Vielzahl von Betriebsfunktionären ein, um jede selbstständige Regung der Arbeiterklasse zu unterdrücken und für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, seinen sechzigsten Geburtstag gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und führenden Wirtschaftsvertretern im Kanzleramt feiern wird. Das ist nur der sichtbarste Ausdruck der engen Verbindung von Gewerkschaften und Staat.

Mit den Äußerungen von Hannelore Kraft bietet sich die SPD als Partei an, die in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften am ehesten in der Lage ist, die nächste Welle von sozialen Angriffen durchzusetzen. Ob dazu eine Koalition mit der CDU oder mit der FDP und den Grünen sinnvoll ist, wird sich erst am Wahlabend entscheiden. Die SPD bereitet ihre Fühler in alle Richtungen aus.

Spiegel Online berichtete, es gäbe "immer mehr Anzeichen, dass die Freidemokraten an Rhein und Ruhr nach der Wahl umsatteln könnten". Auf kommunaler Ebene sei die so genannte Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen in NRW längst ein Trend. "Doch auch weiter oben wird sondiert, wo es nur geht", schreibt das Magazin und berichtet von vertraulichen Treffen und Gesprächen zwischen FDP-Generalsekretär Christian Lindner mit SPD-Kollegin Andrea Nahles.

Auch die Stellungnahme von FDP-Landeschef Andreas Pinkwart gegen den Steuerkurs der Bundespartei vor einigen Wochen wertet Spiegel Online als "Bereitschaft zu inhaltlichen Zugeständnissen".

So könnte die Landtagswahl in NRW einmal mehr ihrer Bedeutung als Weichensteller für die Bundespolitik gerecht werden und den Anfang vom Ende der Bundesregierung von Angela Merkel und Guido Westerwelle einläuten.

Interessant in diesem Zusammenhang ist das Verhalten der Linkspartei. Sie hielt sich mit kritischen Äußerungen auffällig zurück, und ihr Landessprecher Wolfgang Zimmermann erklärte ausdrücklich, dass die SPD auch weiterhin ein koalitionsunfähiger Gesprächspartner für die Linke bleibe.

Siehe auch:
Die Bedeutung der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen
(5. März 2010)

Westerwelle bereitet neue Angriffe auf Arbeitslose vor
(17. Februar 2010)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 11.03.2010
Nordrhein-Westfalen:
SPD-Vorsitzende fordert Arbeitseinsatz von Hartz-IV-Empfängern
http://wsws.org/de/2010/mar2010/kraf-m11.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2010