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GLEICHHEIT/2482: Obama ist hundert Tage im Amt


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI)

Obama ist hundert Tage im Amt

Von Tom Eley
30. April 2009
aus dem Englischen (29. April 2009)


Seit Präsident Franklin Roosevelts legendären "einhundert Tagen" werden die ersten hundert Tage einer amerikanischen Präsidentschaft von den Medien immer wieder gerne als Gelegenheit genommen, sie mit Roosevelt zu vergleichen. Dies geht in der Regel auf Kosten der Geschichte und der Wahrheit.

Dieses Jahr sind diese Vergleiche besonders zahlreich. Das liegt zum Teil daran, dass die ersten Monate Barack Obamas von einer globalen Wirtschaftskrise überschattet sind, wie man sie seit der großen Depression nicht mehr gesehen hat. Zum andern versuchen Obamas liberale Anhänger, ihm eine moderne Version von Roosevelts New Deal-Reformismus anzudichten.

Aber Obamas erste hundert Tage machen den rechten Charakter seiner Regierung deutlich und lassen die Klasseninteressen sichtbar werden, denen sie dient.

Zur Zeit von Obamas Inauguration stellte die World Socialist Web Site fest, früher oder später würden "die wachsenden Widersprüche des amerikanischen Kapitalismus im Ausland und die scharfen gesellschaftlichen Spannungen im Innern" Millionen Menschen ihrer Illusionen in Obama berauben.

Wenn man den Umfragen glauben kann, dann hoffen immer noch viele Arbeiter und Jugendlichen darauf, dass Obama den "Wandel" bringen werde, den er im Wahlkampf versprochen hat, auch wenn sie die Politik der Regierung ablehnen. Aber mehr und mehr breitet sich das Gefühl aus, dass bei allen Änderungen im Stil - die sich als weit weniger dramatisch herausstellen, als erwartet - die Substanz im Wesentlich gleich geblieben ist.

In der Außenpolitik hat Obama die militaristische und aggressive Grundrichtung der Bush-Regierung beibehalten.

Der Krieg im Irak geht weiter, die Zahl der eingesetzten Truppen ist praktisch unverändert. Mit der Verschlechterung der Sicherheitslage sprechen hohe amerikanische Generäle schon darüber, dass Obamas Zeitplan für einen begrenzten Rückzug nicht haltbar sei. Gleichzeitig hat Obama den Krieg in Afghanistan nicht nur ausgeweitet, sondern ihn unter Verletzung internationalen Rechts sogar nach ins benachbarte Pakistan getragen. Sein Haushaltansatz für das Pentagon ist der höchste in der Geschichte.

Obama unternimmt nichts gegen die antidemokratischen Projekte, Programme und Institutionen, die in den Bush-Jahren im Namen des "Kriegs gegen den Terror" auf den Weg gebracht worden sind.

Seine Regierung greift in Gerichtsprozesse ein, um Informationen über die umfangreiche Bespitzelung der Regierung gegen die eigene Bevölkerung der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Er lässt sie zum Staatsgeheimnis erklären, weil er sie beibehalten und ausweiten will. In anderen Fällen verhindert er, dass Verantwortliche für amerikanische Verbrechen, wie z.B. für "außerordentliche Überstellungen", zur Rechenschaft gezogen werden, und hintertreibt die Bestrebungen der Opfer, die Schuldigen vor Gericht zu bringen.

Obamas Aufforderung, "vorwärts zu schauen", dient dem Versuch, jede Ermittlung oder gar Strafverfolgung gegen Mitglieder der Bush-Regierung und der Geheimdienste, die Folter befohlen oder ausgeführt haben, zu verhindern.

Obama hat zwar versprochen, das Gefangenenlager Guantánamo irgendwann zu schließen, aber noch ist es offen. Seine Insassen sind mit der Aussicht konfrontiert, in andere Militärgefängnisse im Irak oder in Afghanistan transportiert zu werden. Derweil hat die Obama-Regierung erneut in Prozesse eingegriffen, um Gefangenen in amerikanischen Lagern in Afghanistan das Recht auf Haftprüfung zu verweigern. Sie hat das "Recht" des Präsidenten verteidigt, Personen als feindliche Kämpfer einzustufen, sie eines fairen Prozesses zu berauben und ohne zeitliche Begrenzung einzusperren.

Besonders deutlich zeigt sich die Klassenorientierung der Obama-Regierung in ihrer Reaktion auf die Wirtschaftskrise.

Im letzten Jahr hat die Mehrheit der Bevölkerung erlebt, wie sich ihre soziale Existenz infolge Entlassungen, Lohnsenkungen und einem massiven Verfall der Immobilienwerte und Altersersparnisse rapide verschlechterte. Die epidemische Ausbreitung von Zwangversteigerungen hält an. Hunger und Obdachlosigkeit sind weit verbreitet. Nach Jahrzehnten von Ausgabenkürzungen gleichen die Sozialprogramme der Regierung mehr einem Sieb als einem Sicherheitsnetz.

Obama reagiert auf dieses Elend, indem er der Finanzindustrie Hunderte Milliarden Dollar öffentliche Gelder in den Rachen wirft. Seine Taten und Erklärungen zielen in erster Linie darauf ab, der Wall Street seine Entschlossenheit zu vermitteln, dass er ihren Reichtum und ihre Macht schützen werde.

Die Botschaft ist angekommen. Der Anstieg der Aktienpreise an den großen amerikanischen Börsen, der Anfang März einsetzte, spiegelt in erster Linie das Vertrauen der großen Investoren wider. Obama ist ihr Mann.

Schon vor seiner Amtseinführung akzeptierte Obama den Umgang der Bush-Regierung mit der Krise. Im Oktober setzte sich Obama als Präsidentschaftskandidat der Demokraten entschlossen für die Annahme des Bankenrettungsprogramms Troubled Asset Relief Program (TARP) ein. Als gewählter Präsident machte er sich beim Kongress für die Freigabe der zweiten TARP-Tranche von 350 Milliarden Dollar stark.

Als Präsident berief er Timothy Geithner zum Finanzminister. Geithner hatte als Präsident der New Yorker Federal Reserve Bank die engsten Beziehungen zur Wall-Street-Elite aufgebaut. Als die Finanzkrise zuschlug, agierte er als Propagandist für Bushs Wall-Street-Rettungsprogramm. Seine Ernennung war das sicherste Signal an die Banker, dass sie einen Freund im Weißen Haus haben.

Vergangenen Monat gab Geithner die Details des Public-Private Investment Program bekannt. Das ist die nächste Phase des Rettungsprogramms der Regierung. Mit den Subventionen aus diesem Paket garantiert die Regierung den Hedge Fonds und privaten Investmentfirmen hohe Profite, wenn sie den Banken vergiftete Papiere zu überhöhten Preisen abkaufen.

Man schätzt, dass die Rettungsprogramme der Bundesregierung für die Wall Street in der Form von direkten Zuschüssen, Krediten und Garantien inzwischen mehr als zehn Billionen Dollar umfassen. Dagegen nimmt sich Obamas Konjunkturprogramm von 787 Milliarden Dollar ausgesprochen bescheiden aus. Es trägt auch kaum etwas dazu bei, die Not von Millionen Menschen zu lindern.

Die Übergabe von Steuergeldern an die Banken hat keineswegs, wie versprochen, dazu geführt, dass der Kreditfluss und das Geldverleihen wieder in Gang gekommen wären. Vielmehr horten die Banken das billige Regierungsgeld und zahlen damit höchstens wieder den gleichen Managern riesige Gehälter, die mit ihren verantwortungslosen und betrügerischen Methoden die Krise erst beschleunigt haben.

Als bekannt wurde, dass der mit Staatsgeld gerettete Versicherungsriese American Insurance Group (AIG) Dutzende Millionen Dollar Boni an die Top-Händler und Manager der Abteilung für Finanzprodukte ausgezahlt hatte, und als die Empörung hohe Wellen schlug, heuchelte Obama anfangs "Entsetzen". Doch schon kurz danach sprach er sich gegen gesetzliche Maßnahmen des Kongresses aus, als es darum ging, die Boni-Empfänger bei den geretteten Firmen mit hohen Strafsteuern zu belegen.

Gleichzeitig zögerte Obama keine Minute, als es um die Autoarbeiter ging: Er forderte die Zerstörung ihrer Tarifverträge und massive Arbeitsplatzvernichtung, Lohnkürzung und die Verschlechterung von Sozialleistungen. Obamas Eingreifen in der Autoindustrie zeigt, dass er im Interesse der Finanzoligarchie einen entschlossenen Klassenkrieg führt.

Nach nur einhundert Tagen der neuen Regierung sind Arbeiter und Jugendliche mit der Tatsache konfrontiert, dass Obama nicht für eine Kursänderung steht. Er wird die arbeiterfeindliche, undemokratische und militaristische Politik seiner Vorgänger nicht stoppen. Seine Präsidentschaft hat jetzt schon gezeigt, dass es unmöglich ist, mittels Wahlen im Rahmen des bestehenden Zwei-Parteien-Systems oder durch Appelle an die Demokratische Partei eine wirkliche Veränderung der Politik der Regierung zu erreichen.

Für die Interessen der arbeitenden Bevölkerung muss die Arbeiterklasse selbst kämpfen. Unabhängig von den beiden Parteien der herrschenden Elite muss sie ihre soziale und politische Stärke zum Tragen bringen, die Kontrolle der Finanzaristokratie über die Gesellschaft brechen und für ihre eigene, sozialistische Alternative zum bankrotten kapitalistischen System kämpfen.

Siehe auch:
Folter und die Krise der amerikanischen Demokratie
(22. April 2209)

Warum steigen die Aktienkurse an der Wall Street?
(7. April 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 30.04.2009
http://wsws.org/de/2009/apr2009/obam-a30.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2009