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GEGENWIND/779: Buchvorstellung - Neuer Kolonialismus?


Gegenwind Nr. 362 - November 2018
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Neuer Kolonialismus?
Das "Dritte Reich" hatte ein "Kolonialministerium"

von Reinhard Pohl


Um die Pläne Hitlers, die Pläne des Dritten Reiches geht es in diesem Buch. Dass Deutschland unter Hitlers Herrschaft expandieren wollte, ist klar. Aber wohin? Erst wurde Österreich besetzt, dann die Tschechische Republik, dann folgten Angriffe auf Polen, Dänemark, Norwegen, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Jugoslawien, Griechenland, Libyen, Ägypten, Sowjetunion ... Wo sollte das hinführen?


Der Nationalsozialismus bildete sich Anfang der 20er Jahre heraus. Im Mittelpunkt standen die Reparationen und die Beschränkungen durch den Versailler Vertrag. Deutschland musste die Kriegsgegner des Ersten Weltkrieges mit hohen Summen entschädigen, ein Pfand dafür war das französisch besetzte Ruhrgebiet. Außerdem durfte Deutschland nur eine Armee von 100.000 Soldaten unterhalten, die weder Panzer noch Flugzeuge noch große Schiffe haben durften.

Außerdem verlor Deutschland alle Kolonien - in China, im Pazifik und in Afrika. Mit Abstand das größte Gebiet mit den meisten Einwohnern war Ostafrika, heute Tansania, Ruanda und Burundi. Außerdem ging es um Südwestafrika (heute Namibia), um Kamerun und Togo. Deutschland unterschrieb im Friedensvertrag, dass es unfähig sei, Kolonien zu verwalten, diese zu treuen Händen den Siegermächten übertrug und nie wieder Kolonien haben werde. Es bildeten sich in Deutschland sofort Vereine, die dies bekämpfen, oft angeführt von ehemaligen Kolonialoffizieren. Sie waren nicht immer Nationalsozialisten, standen diesen aber immer zumindest nahe.

Dabei konzentrierten sich die Vereine immer auf Afrika. Das lag daran, weil die Kolonien in China und im Pazifik nie populär waren, in China war es auch offiziell ein "Pachtgebiet" für eine begrenzte Zeit. Sie lagen weit weg und konnten eigentlich nur wieder gewonnen und gehalten werden, wenn man von einem langen Frieden mit anderen Industriestaaten, vor allem Großbritannien, USA und Japan ausging. Das lag den Nationalsozialisten fern.

Dagegen wurde die Kolonialzeit in den vier afrikanischen Besitzungen verklärt. Zwar waren sie auch ein Zuschussgeschäft, aber man träumte davon, sie hätten später Gewinn abwerfen können, wenn man nur länger Zeit gehabt hätte. Es hatte außerdem schwere Kriege gegeben, in Namibia auch einen Völkermord, der erst 2015 von der Bundesregierung als solcher anerkannt wurde. Das war den Vereinen aber nicht so wichtig. Die Vertreter der Kolonialvereine fanden es so normal, dass sie es auch nicht leugneten - das Töten von Zehntausenden Einheimischen machte Deutschland in ihren Augen auch nicht ungeeignet für die Rückgewinnung von Kolonien, sondern das gehörte einfach dazu.

Diskutiert wurden in den 20er Jahren Konzepte zur Rückgewinnung; Sobald die NSdAP stark genug war, schuf sie erst innerhalb der Partei ein "Kolonialpolitisches Amt", nach der Machtübernahme auch eine staatliche Behörde. Diese legte sich bald auf ein Konzept fest: Man wollte Kamerun, Südwestafrika und Ostafrika zurück gewinnen und dann miteinander verbinden, also Zentralafrika und das Kongobecken erobern. Dazu hätte man sich mit Belgien (Kolonialmacht im Kongo) und Frankreich (Kolonialmacht in Zentralafrika) anlegen müssen, zum Zurückgewinnen der ehemaligen Kolonien mit Großbritannien, Frankreich und Südafrika.

Aber man bereitete sich sorgfältig vor. Im Kolonialpolitischen Amt, geleitet von General von Epp, wurden Pläne für Militär und Verwaltung, für Schulen und Bauarbeiten ausgearbeitet, die man benötigen würde, um die Kolonien zu kontrollieren. Es wurden Kolonialschulen für Farmer geöffnet, in denen künftige Siedler und - in Rendsburg - Siedlerinnen ausgebildet wurden. Frühzeitig legte sich die NSdAP darauf fest, dass Siedlerinnen und Siedler nicht einfach in die Kolonien auswandern durften, sondern vom Deutschen Reich entsandt werden müssten.

Vorgeschrieben werden sollte eine strikte "Rassentrennung" mit einem absoluten Sexverbot und Heiratsverbot. Dabei sollte für einheimische Männer, die mit deutschen Frauen Sex hatten, die Todesstrafe gelten - für deutsche Männer gab es solche Vorschriften nicht. Dabei muss man natürlich sagen, dass es sich in allen Fällen nur um Entwürfe für Gesetze handelte, die nie erlassen wurden - sie wären also vielleicht später noch vervollständigt worden.

Mit Beginn des Krieges gab es mehrere wichtige Veränderungen. In den Plänen wurde die Zahl der deutschen Soldaten drastisch reduziert, weil man jetzt davon ausging, dass sie nicht zur Verfügung stehen würden. Viele bereits für die Tropen ausgebildete Soldaten waren inzwischen auch eingezogen worden und kämpften jetzt in Norwegen, Frankreich oder Jugoslawien. Stattdessen wurden jetzt in der Planung Truppen vorgesehen, die aus Einheimischen Söldnern mit deutschen Offizieren bestanden. Ähnliche Abstriche und auch "Rassenmischungen" gab es bei den Plänen für Verwaltung und Schulen. Auffällig: Während vorher die Schulen für Einheimische nur Lesen, Schreiben und Rechnen versahen, anschließend sollten sie auf den deutschen Farmen arbeiten, wurden jetzt höhere Schulen für Einheimische geplant, in denen sie für die Arbeit in der Verwaltung ausgebildet werden sollte.

Das Kolonialpolitische Amt bekam jetzt Außenstellen in Brüssel und Paris. Dort holten sie sich die recht wertvollen Landkarten der Provinzialverwaltungen der belgischen und französischen Regierung. Damals gab es für viele Gebiete in den Kolonien keine allgemein verfügbaren Landkarten, diese waren von einzelnen Forschungsreisenden im Auftrag einer Regierung hergestellt und wurden geheimgehalten. Deshalb konnte Deutschland auch für viele Gebiete Straßen und Eisenbahnlinien nur ungefähr planen, weil weder Flüsse noch Gebirge bekannt waren. Das änderte sich jetzt für ganz Zentralafrika.

Allerdings gab es ein großes Problem, das das Kolonialpolitische Amt nicht lösen konnte: Dem Amt fehlten auch viele Karten von den ehemaligen deutschen Kolonien. Sie forderten die natürlich an, sie lagen im Auswärtigen Amt. Das allerdings weigerte sich, sie herauszugeben: Sie wären geheim. Sie könnten auch nur von einem speziellen Sachbearbeiter entziffert werden, der wäre aber nicht abkömmlich. Und überhaupt könnten geheime Unterlagen eines deutschen Ministeriums höchstens einem anderen Ministerium, nicht aber einem Amt weitergegeben werden. Das war Teil der von Hitler bewusst geförderten Konkurrenz, der "Führer" teilte sie Verantwortung für jedes Thema auf mehrere auf, damit kein Minister oder Parteifunktionär zu viel Macht in den eigenen Händen oder der eigenen Behörde vereinigen konnte. Dieser Konflikt wurde auch Hitler vorgetragen, der ihn aber nicht entschied, sondern schwelen ließ.

In dieser Situation wurde dann über den Afrika-Einsatz der Wehrmacht entschieden. Italien war in Libyen in Schwierigkeiten geraten, Weil die britischen Truppen in Ägypten stärker waren als erwartet. Wehrmachts-Einheiten wurden entsandt, und in Deutschland wurde in freudiger Erwartung der "Kolonialstab Libyen" eingerichtet - und bald darauf auf Befehl Hitlers wieder aufgelöst. Bereits vorher war diskutiert werden, Italien auch in Abessinien, dem heutigen Äthiopien, zu Hilfe zu kommen. Das Land hatte Italien 1937 erobert, 1939 wurde es aber von britischen Truppen aus dem Sudan und Kenia angegriffen. Doch die Idee, deutsche Truppen zu schicken, wurde bald wieder aufgegeben.

1940 wurde dann das Reichskolonialministerium gegründet. General von Epp, jetzt Reichskolonialminister, verstrickte sich gleich in unendliche Auseinandersetzungen mit der SS, um ein Ministeriumsgebäude mit 600 Büros in Berlin zu bekommen. Er wollte das Gebäude des Marstall auf der Spreeinsel haben, dort waren aber die Stadtbibliothek und das Iberoamerikanische Institut untergebracht. Letztlich bekam er das Gebäude nicht, und zwei Jahre später wurde das Reichskolonialministerium wieder aufgelöst, die Angestellten zumeist zur Wehrmacht einberufen. Der Grund war die Niederlage von Stalingrad, außerdem hatte Hitler entschieden, dass der "Lebensraum" für das deutsche Volk im Osten, also der Ukraine und Russland, liegen würde, nicht in Afrika.

Das Buch arbeitet diese Periode und die Planungen zwischen 1923 und 1943 gründlich auf und gibt einen Einblick in diesen Teil der nationalsozialistischen Ideologie und Planung, den viele nicht kennen. Ein wichtiger Beitrag, der zwischen der "Kolonialzeit" (bis 1919) und der Zeit des "Neokolonialismus" (ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts) liegt. Denn die Ideologie gab es immer!


Volker Koop: Hitlers Griff nach Afrika.
Kolonialpolitik im Dritten

Reich. Verlag J. H. W. Dietz Nacht, Bonn 2018,
213 Seiten, 24 Euro.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 362 - November 2018, Seite 71 - 72
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2018

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