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GEGENWIND/671: Buchvorstellung - Sklaverei als Menschenrecht?,


Gegenwind Nr. 334 - Juli 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Buchvorstellung
Sklaverei als Menschenrecht?
Weltweit sind rund 46 Millionen Menschen versklavt

von Günther Stamer


Offiziell ist die Sklaverei in der ganzen Welt abgeschafft. Doch diese Abschaffung existiert nur auf dem Papier. Weltweit werden rund 46 Millionen Menschen versklavt - das ist das erschreckende Ergebnis einer im Mai von der australischen Menschenrechtsorganisation Walk Free Foundation (WFF) veröffentlichten Studie
(www.globalslavery-index.org/findings).


Die Menschen würden zur Arbeit in Fabriken oder im Bergbau, in der Landwirtschaft oder zu sexuellen Diensten gezwungen. Viele sind auch schon in die moderne Sklaverei hineingeboren. Die Zahl der versklavten Menschen stieg im Vergleich zu 2014 noch einmal deutlich an - um rund zehn Millionen; die meisten Menschen sind der Studie zufolge in Indien von Sklaverei betroffen. Aber auch Katar, das Land in dem 2022 die Fußball-WM stattfinden soll, ist im Ranking ganz weit oben zu finden. Dort arbeiten an die 1,5 Millionen Wanderarbeiter (vor allem aus Nepal, Indien, Pakistan) sklavenmäßig an dem Bau der Wettkampfstätten. Nach einer Studie des Internationalen Gewerkschaftsbundes sollen seit der Vergabe der WM an den Wüstenstaat 1200 Arbeiter auf den Baustellen für das Megasportevent umgekommen sein.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), eine Sonderorganisation der UNO, bezifferte die Zahl der in Sklaverei befindlichen Menschen zuletzt auf 21 Millionen. Dass die WFF so viel mehr verzeichnet, liegt unter anderem daran, dass die Autoren der Studie moderne Sklaverei breiter definieren als beispielsweise die ILO. Demnach gehören auch Schuldknechtschaft, Zwangsheirat, Menschenhandel und Ausbeutung von Kindern dazu. Mit den herkömmlichen Vorstellungen von Sklaverei mit schweren Ketten und Peitschenhieben hat das in den meisten Fällen nichts zu tun - sondern vor allem mit Abhängigkeitsverhältnissen und Menschen, die recht- und wehrlos ausgenutzt werden. Nach der WFF-Studie werden vor allem in Teilen Westafrikas und Südasiens Menschen noch immer in Erbknechtschaft hineingeboren, andere werden entführt und verkauft oder mit falschen Versprechungen auf einen neuen Job oder eine bessere Ausbildung in eine Falle gelockt. "Die Ketten von moderner Sklaverei sind nicht immer physischer Art - manchmal sind es hohe Schulden, Einschüchterung, Betrug, Isolation, Angst oder eine erzwungene Heirat, die dazu dienen, Menschen gegen ihren Willen festzuhalten", schreiben die WFF-Autoren. In Europa leben demnach fast eine Million Menschen unter sklavischen Lebensverhältnissen. Etwa zwei Drittel sind Frauen, die meisten werden sexuell ausgebeutet. Viele von ihnen sind illegal in der EU, Flüchtlinge und Migranten, die Angst haben, von den Behörden entdeckt und zurück in ihre Heimat geschickt zu werden.

"Der Schoß, aus dem die Sklaverei kroch, ist auch heute fruchtbar noch"

Unlängst ist zum Umfang und zu den ideologischen und ökonomischen Grundlagen der Sklaverei in den "aufgeklärten" Demokratien England, USA und Frankreich eine umfangreiche Untersuchung des Sozialwissenschaftlers Rainer Roth erschienen. Roth, em. Professor für Sozialwissenschaft an der Fachhochschule Frankfurt, hat für diese Studie den durchaus provozierenden Titel "Sklaverei als Menschenrecht" (ohne Fragezeichen) gewählt.

Das Buch räumt gründlich mit der Vorstellung auf, dass die Menschenrechte, die in den bürgerlichen Revolutionen Englands, der USA und Frankreichs verkündet wurden, Rechte für alle Menschen gewesen seien. Wir, die wir uns als Vertreter "des aufgeklärte Westens" verstehen, halten uns gern für den Hort der Aufklärung und der bürgerlichen Freiheiten schlechthin und werfen anderen Völkern und Kulturen gerne vor, rückständig oder barbarisch zu sein. Und deswegen führen wir angeblich Krieg: für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - und die Verwirklichung "unserer" Menschenrechte allüberall.

Rainer Roth stellt in seinem Buch die These auf - und belegt diese faktenreich -, dass die auch nach den bürgerlichen Revolutionen beibehaltene und weiter ausgedehnte Sklaverei kein Verstoß gegen die mit viel Pathos verkündeten "Menschenrechte" war, sondern die Verwirklichung des wichtigsten bürgerlichen Menschenrechts, des geheiligten Rechts auf Eigentum - und zu diesem Eigentum gehörten auch die Sklaven, denn diese galten nicht als "Menschen", sondern als "Sachen".

Und er verweist gegen Ende des Buches darauf, dass die offene Sklaverei - vor allem aus ökonomischen Erwägungen - durch verschiedene Formen der versteckten Sklaverei abgelöst wurde, zu denen er auch die Lohnarbeit zählt.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen äußerte sich erst 2006 in einer Resolution "zutiefst betroffen" darüber, dass die "internationale Gemeinschaft" fast 200 Jahre gebraucht habe, um Sklaverei und Sklavenhandel, die zu den "schlimmsten Menschenrechtsverletzungen in der Geschichte der Menschheit gehören" als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" einzustufen. "Sklaverei wird als Verbrechen eingestuft, wer aber waren die Verbrecher? Napoleon, Washington, Jefferson, die britischen Monarchen usw. waren es. Wieso gibt es dann aber allerorts Denkmäler für sie? Und die ehemaligen Sklavenhalterstaaten des Südens der USA strotzen von Denkmälern und Erinnerungen an die heroischen Kämpfer für die Ausdehnung der Sklaverei. Und diese barbarische Vergangenheit ist nach wie vor lebendig. Der Kapitalismus, der sich durch jahrhundertelang offene Sklaverei skrupellos bereicherte, existiert in moderneren Formen weiter. Ausgerechnet die Nachfolger der größten Sklavenhalternation der Neuzeit spielen sich dabei heute als die berufenen Kämpfer für Menschenrechte in der ganzen Welt auf und verwandeln ganze Länder in Schutthaufen, wenn sie sich dem Einfluss beispielsweise der USA zu stark entziehen. Versklavung im Namen von Freiheit und Menschenrecht ist also bis heute aktuell. Der Schoß, aus dem die Sklaverei kroch, ist auch heute noch fruchtbar," so Rainer Roth in einem Interview auf den NachDenkSeiten (7.3.16).

Bürgerliche Revolution und Aufschwung der Sklaverei

Vorreiter des Sklavenhandels der modernen bürgerlichen Staaten war England. Zu Beginn der bürgerlichen Revolution (1650) wiesen die britischen Kolonien in Amerika rund 10.000 Sklaven auf, Mitte des 18. Jahrhunderts schufteten schon an die eine Million Sklaven auf den Plantagen. Damit hatte es das feudalgeprägte Portugal mit seinen 700.000 Sklaven (vor allem in Brasilien) den Rang abgelaufen (S; 16ff.) In den USA schwoll die Zahl der Sklaven nach Verabschiedung der Bill of Rights (1791) binnen siebzig Jahren von 700.000 auf nahezu vier Millionen an. Roth räumt dabei auch mit dem weit verbreiteten Vorurteil auf, die Sklaverei nur mit den Südstaaten in Verbindung zu bringen. "In den Nordstaaten residierten die Sklavenhändler sowie die Reeder und Kaufleute, die die Sklavenprodukte verschifften und verkauften Hier saßen auch die Finanziers und Versicherer der Plantagenbesitzer des Südens. (...) New York war die Drehscheibe es Sklavenhandels" (S. 71/72). Und er zitiert ein zutreffendes Bonmont George Bernard Shaws: "Ich bin bekannt für meine Ironie. Aber auf die Idee, im Hafen von New York eine Freiheitsstatue zu errichten, wäre selbst ich nicht gekommen."

Und auch das revolutionäre Frankreich macht in seiner Menschenrechtserklärung (August 1789) der Sklaverei kein Ende. Der Artikel 1, wonach "alle Menschen frei und gleich geboren werden und es auch bleiben" gilt nicht für Sklaven, da sie das Eigentum von Besitzern sind. "Da das Eigentum ein unverletzliches und geheiligtes Recht ist, kann es niemandem genommen werden," heißt es in dem abschließenden Artikel 17 der Menschenrechtserklärung. Dies wird - konkret bezogen auf die Rechte der Sklavenhalter - durch die Nationalversammlung im März 1790 ausdrücklich bestätigt: "Die Nationalversammlung erklärt, dass sie nicht beabsichtigt hat, in irgendeinem Zweig des direkten oder indirekten Handels Frankreichs mit seinen Kolonien Neuerungen einzuführen. Sie stellt die Kolonisten und ihr Eigentum unter den besonderen Schutz der Nation und erklärt jeden des Verrats für schuldig, der Erhebungen gegen sie zu schüren sucht" (S. 146/147).

Doch nicht nur die bürgerlichen Revolutionen der drei Vorzeigedemokratien werden entlarvt, sondern auch die Geistesgrößen der Deutschen: Kant und Hegel. Für Kant entschlüsselte die Hautfarbe die menschliche Fähigkeit schlechthin. Über "den Neger" sagte Kant "er wäre vom Kopf bis auf die Füße ganz schwarz, ein deutlicher Beweis, dass das, was er sagte, dumm war. Afrikaner blieben angeblich ewig Kinder, die sich abrichten ließen, so dass sie eine Bildung der Knechte annehmen könnten. Kant war ein universeller Theoretiker der Rechtfertigung kolonialer Unterwerfung Amerikas, Afrikas und Asiens unter die europäischen Kolonialmächte, die er als Hort der Zivilisierung begriff" (S. 229). Und Hegel hielt "die Neger" ebenfalls. für eine "Kindernation", die keinen "Trieb zur Kultur hätten und an denen nichts an das Menschliche Anklingende zu finden ist" (S. 230).

Herrenhaus Emkendorf verdankt seinen Glanz dem Sklavenhandel

Als kleine Abschweifung darf in diesem Zusammenhang angemerkt werden, dass das Herrenhaus Emkendorf (Ausdruck weltläufiger schleswig-holsteinischer "Hochkultur") seinen Glanz dem Sklavenhandel verdankt. Sein Hausherr, Heinrich Carl Schimmelmann (1724-1782), Kommerzienrat und Reeder in Diensten des dänischen Königs, war einer der größten Sklavenhändler Europas, zentrale Gestalt des sog. Dreieckshandels. Schiffe, beladen mit Tuchen, Branntwein und Gewehren, steuern die afrikanische Goldküste an, um diese Waren dort gegen Sklaven einzutauschen. Vollgestopft mit angeketteten Männern, Frauen und Kindern, nehmen diese Schiffe dann Kurs auf die Westindischen Inseln, wo sich die Sklaven auf den Zuckerrohrplantagen zu Tode zu arbeiten hatten. Mit dem rohen Zucker beladen fahren die Schiffe zurück nach Flensburg oder Kopenhagen. Manchmal werden auch etliche "Stück" Sklaven mit dem Zucker nach Europa exportiert, als feudales Spielzeug.(1)

Fazit

Als kleiner Mangel an Rainer Roths Buch mag angemerkt werden, dass der Anteil z.B. der deutschen, dänischen, niederländischen Bourgeoisie am einträglichen Sklavenhandel und der im Kolonialismus fortwirkenden Sklaverei (Südafrika, Namibia, Indonesien - um nur einige Beispiele zu nennen) ausgeblendet wird. Aber im Verhältnis zu den Vorzügen des Buches ist dies eine Marginalie.

Das 610seitige Buch verfügt über ein sehr detailliertes Inhalts- wie Stichwortverzeichnis, was dazu einlädt, in Teilaspekte des Themas "hineinzulesen" und ein umfangreiches Literaturverzeichnis. All denen, die sich von dem Umfang des Buches und der Fülle des aufbereiteten Materials abgeschreckt fühlen, möchte ich zurufen: Die selbstausbeuterischen 15 Euro, die für dieses im besten Sinne engagiert-wissenschaftlichen Werkes verlangt werden, lohnen allein für die 130 Seiten der Kapitel 6 (Sklaverei und Kapitalismus) und 7 (Universale Menschenrechte unmöglich), die den Bogen in die Gegenwart spannen. Und wenn man dann (irgend wann mal) Zeit und Lust hat, kann man/frau die anderen Kapitel immer noch lesen (meine Lektüre des Marx'schen Kapitals, Band 1 begann auch mit Kapitel 24).


Rainer Roth, Sklaverei als Menschenrecht, Frankfurt 2015, 612 S. ISBN 978-3-932246-80-7 Preis: 15 Euro; Erhältlich im Buchladen zapata, Kiel, Wilhelmplatz 6 oder Bestellung: info@dvs-buch.de bzw. info@klartext-info.de


Anmerkung

(1) Näheres hierzu: Bettina Erche, Amor in Ketten. Das Herrenhaus Emkendorf verdankt seinen Glanz dem Sklavenhandel. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.5.2002 / Catharina Lüden, Sklavenfahrt mit Seeleuten aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Lübeck im 18. Jahrhundert, Heide 1983

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Quelle:
Gegenwind Nr. 334 - Juli 2016, Seite 35 - 37
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2016

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