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GEGENWIND/667: Gedenken in Gudendorf - Kreuzzug gegen den "jüdischen Bolschewismus"


Gegenwind Nr. 333 - Juni 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Gedenken in Gudendorf:
Kreuzzug gegen den "jüdischen Bolschewismus"

Von Günther Stamer


Am 22. Juni 2016 sind es 75 Jahre her, dass Nazi-Deutschland die Völker der Sowjetunion überfiel. In einem "Blitzkrieg" wollten die Hitlerfaschisten den "jüdischen Bolschewismus" vernichten.


Das Ende ist bekannt. Den "Kreuzzug gegen den Bolschewismus" mussten 27 Millionen Sowjetbürger mit dem Leben bezahlen. Schon vor dem Angriff auf die Sowjetunion wurden von der NSDAP und Repräsentanten des Finanzkapitals (so von Thyssen, Krupp, Siemens, den IG Farben, der Deutscher Bank) wirtschaftspolitische Zielsetzungen zur Ausbeutung der UdSSR formuliert. Hierbei ging es vor allem darum, schnell die sowjetischen Ölquellen in die Hand zu bekommen und auszubeuten. Die längerfristigen Überlegungen zielten auf eine Kolonialisierung der UdSSR, die vor allem Mineralöl, Erze und Lebensmittel liefern sollte. Konzeptionell ausgearbeitet wurden diese ökonomischen Überlegungen vor allem von der "Gesellschaft für europäische Wirtschaftsplanung und Großraumwirtschaft", deren stellvertretender Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Direktor des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Andreas Predöhl, war.

Blumen für Gudendorf

Seit nunmehr dreiunddreißig Jahren findet alljährlich, um den 8. Mai herum, in Gudendorf (Kreis Dithmarschen) eine Gedenkveranstaltung an den Massengräbern sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter statt.

"Niemals soll vergessen werden, dass zwischen dem Überfall Deutschlands am 22. Juni 1941 und dem 8. Mai 1945 27 Millionen Menschen in den zur Sowjetunion gehörenden Ländern umgebracht wurden. Zuerst waren es die Juden, dann die Sinti und Roma, schließlich traf es die sowjetischen Kriegsgefangenen. Über fünf Millionen sowjetische Soldaten gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft, 3,3 Millionen wurden durch Hunger, Seuchen, Erschießungen und menschenunwürdige Behandlung in Verantwortung von Wehrmacht, SS und SD ums Leben gebracht. Zu diesen Opfern gehören auch die sowjetischen Soldaten, die in den Dünen von Gudendorf in Massengräbern anonym verscharrt wurden und umgebettete Zwangsarbeiter aus den östlichen Ländern, die ihre Heimat nicht wiedergesehen haben", so Günther Wilke für die "Initiative Blumen für Gudendorf" in seiner Rede auf der Gedenkveranstaltung an der Gedenkstätte Gudendorf am 7. Mai.

Außer ihm sprachen der örtliche Bürgermeister, die stellv. Kreistagspräsidentin des Kreises Dithmarschen und die Konsularin des Hamburger Konsulats der Russischen Föderation zu den zahlreichen Teilnehmern des Gedenkens.

Die Gedenkstätte Gudendorf erinnert an über 3.000 sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die in diesem "Sterbelager", das bald nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion als Kriegsgefangenenlager errichtet worden war, ums Leben gekommen sind.

1983 hatte sich ein Kreis von Personen aus der antifaschistischen und der Friedensbewegung unter dem Namen "Initiative Blumen für Gudendorf" gegründet, die alljährlich auf einer Gedenkveranstaltung an die Toten des Lagers, an die Verbrechen des Faschismus, an fortwirkende antirussische Feindbilder erinnert und zu Frieden und Völkerverständigung aufruft.

"Wir ahnten bei der Gründung unserer Initiative nicht, welche Widerstände zu überwinden waren, um ein würdiges Gedenken möglich zu machen. Wir wurden vielfach als Nestbeschmutzer angesehen. Die Landesregierungen Schleswig-Holsteins gaben uns insbesondere in der Zeit des Kalten Krieges zu verstehen, dass antifaschistische Erinnerungsarbeit nicht erwünscht sei," sagte Wilke und hob gleichzeitig hervor, dass von Anfang an die Gudendorfer Bürgermeister (sämtlich der CDU angehörig) in dieser Initiative aktiv mitwirkten und sich nicht im antikommunistischen Sinne instrumentalisieren ließen.

Seit vielen Jahren bemüht sich die Initiative, die Namen der im Lager Gudendorf umgekommene und hier verscharrten Opfer ausfindig zu machen. Im Herbst letzten Jahres konnten im Beisein der schleswig-holsteinischen Ministerin Anke Spoorendonk, des russischen Konsuls Andrey Rumyantsev, des Bürgermeisters Werner Höfs und Professor Fouquets (Bürgerstiftung Schleswig-Holstein) Namenstafeln mit 310 Namen der im Lager zu Tode gekommenen der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Es ist zu hoffen, dass noch weitere Namen dokumentiert werden können. Auf dem Stahlband mit dem Namenverzeichnis verbleibt noch viel Platz. Die freien Flächen zwischen den Tafeln weisen somit auf die namenlosen Toten hin. Die Initiative "Blumen für Gudendorf" will sich auch weiterhin bemühen, den ermordeten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern ihre Namen zurückzugeben und ihr Schicksal aufzuklären.

SchülerInnen des Gymnasiums Heide-Ost auf den Spuren des Vernichtungskrieges

Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Heide-Ost haben in Kooperation mit der Stiftung gegen Extremismus und Gewalt in Heide und Umgebung an einem Projekt unter dem Titel "Vernichtungskrieg - der andere Holocaust - der rassenbiologische Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion als Voraussetzung für den NS-Völkermord" gearbeitet. Das Besondere dieses Unterrichtsprojekts, das vom Geschichtslehrer Dr. Matthias Duncker begleitet wurde, ist, dass sie den Zusammenhang von NS-Euthanasie, Vernichtungskrieg und industriell vollzogener Menschenvernichtung herstellt.

Die Schülerinnen und Schüler besuchten die Mordstätten Majdanek und Treblinka, das ehemalige Warschauer Ghetto und eine sowjetische/russische Gedenkstätte.

In dem Nachwort zu ihrer Projektarbeit schreiben die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums: "Unser Blickwinkel auf Politik und die Taten der Nationalsozialisten hat sich grundlegend geändert. Vor allem aber werden wir immer dafür einstehen, dass solch schreckliche Taten nie wieder geschehen." Die Schüler haben diesem erklärten Willen inzwischen Taten folgen lassen: Es wurden Ausstellungen organisiert, Stolpersteine in der Stadt geputzt, Kriegsgräberanlagen gepflegt und neu angelegt und in Gudendorf eine Besuchergruppe aus Minsk in Weißrussland geführt und betreut.

Braunes Personal in schleswig-holsteinischen Nachkriegsregierungen

Auf die unrühmliche "braune" Nachkriegsrolle Schleswig-Holsteins eingehend sagte Günther Wilke in seiner Gedenkrede: "Noch nach dem 8. Mai 1945 erklärte Hitler-Nachfolger Dönitz von seinem 'Regierungssitz' Flensburg aus, dass er bestrebt sei, die 'wahre Volksgemeinschaft, die der Nationalsozialismus geschaffen hat', zu erhalten. Er sorgte tatkräftig dafür, Kriegsverbrecher zu verstecken und 'Volksgenossen' vor den vorrückenden alliierten Truppen 'heim ins Reich' zu holen. War Schleswig-Holstein vor 1933 eine frühe Hochburg der NSDAP, so spielte es auch beim Kriegsende und in den Jahrzehnten danach eine unrühmliche Rolle. Eine gerade vom Historiker Uwe Danker (Institut für Zeit- und Regionalgeschichte) veröffentlichte Studie kommt zu dem Ergebnis: In den CDU-geführten Landes-Regierungen von 1950 bis 1971 waren zwei Drittel bis drei Viertel der Minister ehemalige NSDAP-Mitglieder, bei den Staatssekretären betrug der Anteil zeitweilig 85 Prozent."

Wilke schloss mit dem Appell: "Für alle von uns ist der 8. Mai der Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus nicht einfach der Tag des Kriegsendes und der Kapitulation und schon gar nicht der Niederlage, des Zusammenbruchs und der Katastrophe. Zu denen, die uns und die Völker der Welt vom Hitlerfaschismus befreiten, gehörte in erster Linie die Rote Armee. Und dazu zählen auch die in den Gudendorfer Massengräbern liegenden sowjetischen Soldaten.

Wir fordern: Der 8. Mai muss auch in unserem Land endlich als "Tag der Befreiung" gesetzlicher Feiertag werden. Und wir betonen, dass nachbarschaftliche Beziehungen zu Russland eine Voraussetzung für den Frieden in Europa sind. Wir fühlen uns dem Schwur von Buchenwald verpflichtet, den die Überlebenden des Konzentrationslagers auf dem einstigen Appellplatz leisteten: 'Eine Welt des Friedens zu errichten, ist unser Ziel. Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg.'"

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Quelle:
Gegenwind Nr. 333 - Juni 2016, Seite 36 - 37
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2016

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