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GEGENWIND/621: Die Lösung des Plastikmüll-Problems als Aufgabe der Politik


Gegenwind Nr. Gegenwind 316, Januar 2015

Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Die Lösung des Plastikmüll-Problems als Aufgabe der Politik

von Angelika Beer und Andreas Halle,

Piratenfraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag



Die Belastung der Meere durch Kunststoffe hat ein bedenkliches Ausmaß angenommen. Seevögel halten Plastikteile für Nahrung und verschlucken diese. An Mikroplastikpartikeln lagern sich persistente organische Schadstoffe an, die über den Speisefisch sowie Muscheln in die Nahrungskette des Menschen gelangen. Am Meeresgrund behindert das Plastik den Sauerstoffaustausch. Zeit für die Politik, sich um Antworten zu bemühen.


Dass die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber der Vermüllung der Meere stetig zunimmt, demonstriert auf eindrucksvolle Weise der 19-jährige Boyan Slat, der über eine Crowdfundig-Aktion mehr als 2 Millionen US-Dollar für seine Idee eingesammelt hat, den Müll wieder aus den Meeren zu entfernen. Eben so viel Zuspruch erhält der 18-jährige Fabian Lehner, der die Deutsche Post dazu drängt, die Wurfsendung "Einkauf Aktuell" nicht mehr in Plastiktüten zu verteilen. 140 Tausend Menschen sagten ihm dafür ihrer Unterstützung zu.

Angesichts dessen darf man fragen: Was macht eigentlich die Politik um das Problem zu entschärfen?

Die einfachste politische Handhabe bieten an dieser Stelle Verordnungen und Gesetze. So ist es naheliegend, dass in der EU seit einigen Jahren über ein Verbot von Plastiktüten sowie eine Plastiktütengebühr verhandelt wird. Beispiele dafür gibt es bereits: In Irland konnte der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch durch eine Tütenabgabe in Höhe von 44 Cent von 328 auf nun 18 Plastiktüten gesenkt werden. Frankreich hat im November 2014 angekündigt, Plastiktüten vollständig zu verbieten.

In Deutschland sind derartige Überlegungen bislang kaum erwogen worden. Ein Grund dafür ist die europäische Verpackungsrichtlinie (EU-Richtlinie 94/62/EG), die die Erhebung einer Gebühr auf Plastiktüten derzeit nicht erlaubt. Wir Piraten haben deshalb im Mai 2014 einen Antrag in den Europa- sowie den Umweltausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtags eingebracht (Umdruck 18/2856), der die Landesregierung dazu auffordert, sich im Bundesrat für eine Änderung der EU-Verpackungsrichtlinie einzusetzen.

Umweltminister Robert Habeck berichtete daraufhin in der 36. Sitzung des Umwelt- und Agrarausschusses, dass er eine entsprechende Bundesratsinitiative bereits ergriffen habe. Derzeit findet er dafür jedoch keine Mehrheit. Anzumerken bleibt allerdings, dass die Deutsche Umwelthilfe ein Rechtsgutachten veröffentlicht hat, demzufolge es möglich ist, auf Landesebene eine örtliche Verpackungssteuer auf Plastiktüten zu erheben. Dieses Gutachten haben wir den Landtagsfraktionen übermittelt (Umdruck 18/3371, S. 16ff.).

Zwar haben sich auch das EU-Parlament und die EU-Kommission im November auf ein Gesetz geeinigt, das den Verbrauch von 200 Plastiktüten pro Kopf und Jahr bis 2025 auf 40 Stück reduziert soll, unabhängig davon stellt sich aber die Frage, was die Politik in Schleswig-Holstein konkret tun kann, um die vom Plastikmüll ausgehenden Probleme zu begrenzen. Denn wenngleich der Tütenverbrauch deutlich zu hoch ist, die Tüte ist lediglich das Aushängeschild eines sehr viel weiter reichenden Problems. Und wer kann oder will schon sämtliche Plastikartikel verbieten?

Wo Verordnungen keine Option sind, bleibt also nur die Möglichkeit Anreize zu setzen, die den Handel davon überzeugen, freiwillige Maßnahmen zu ergreifen. Genau hierzu haben wir dem Landtag in einem weiteren Schritt eine Umweltpartnerschaft vorgeschlagen (siehe Drucksache 18/2384).


Welche Überlegung steht hinter der Umweltpartnerschaft?

Aufgrund der weiten Verbreitung und in Ermangelung von Alternativen lassen sich Kunststoffe nicht generell abschaffen. Der Gebrauch kann allerdings auf ein notwendiges Maß reduziert werden. Dazu bedarf es in erster Linie eines bewussten Umgangs mit Plastik. Letztlich muss also jeder Verbraucher selbst überlegen, wo im Alltag er tatsächlich auf Plastik angewiesen ist und wann er genauso gut darauf verzichten kann. Um eine bewusste Entscheidung treffen zu können, muss der Verbraucher dann aber auch eine Wahlmöglichkeit haben. Sofern wir allerdings nicht bei "Unverpackt" in Kiel einkaufen, sondern im Supermarkt um die Ecke, ist diese Wahl meist deutlich eingeschränkt. Im herkömmlichen Supermarkt ist kaum ein Produkt unverpackt bzw. umweltfreundlich verpackt erhältlich.

Da der Handel und das produzierende Gewerbe das Plastik in den Umlauf bringen, kommt ihnen auch eine besondere Verantwortung zu. Das Problem lässt sich letztlich also nur lösen, wenn der Handel sein Angebot verändert. Beispielsweise, indem er Plastiktüten durch Mehrwegtaschen ersetzt, oder Peelings, die Mikroplastik enthalten, aus dem Sortiment nimmt und durch solche Produkte austauscht, die stattdessen Nussschalen enthalten. Diese einfachen Beispiele können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die tatsächliche Herausforderung gewaltig ist. Denn neben Tüte und Peeling gilt es Alternativen für hunderte unterschiedlicher Anwendungen und Produkte zu finden. Hier ist jeder Händler aufgefordert, sein Sortiment peu à peu zu durchforsten und nach besseren Lösungen Ausschau zu halten.

Gegenüber Vorschriften haben solche freiwillige Vereinbarungen sogar einen Vorteil. Vorschriften werden häufig nur widerwillig umgesetzt. Sie sind daher kaum geeignet, Menschen dazu zu motivieren, kreativ zu werden und über Lösungen nachzudenken. Freiwillige Maßnahmen hingegen setzten ein grundsätzliches Interesse an der Sache voraus. Aus Sicht von uns Piraten ist es daher Aufgabe der Politik, ein Umfeld zu schaffen, dass Motivation freisetzt, indem Ideen, die zu guten Lösungen führen, auch belohnt werden. Im Rahmen einer Umweltpartnerschaft würde diese Motivation dadurch gefördert werden, dass die teilnehmenden Händler mit ihrem Engagement werben können. Etwa, indem sie bereits an der Ladentüre darauf hinweisen können "offizieller Umweltpartner Schleswig-Holsteins" zu sein.


Warum wir einen Markt für die bessere Umweltperformance brauchen

In Ideen zu investieren lohnt sich für einen Händler nur dann, wenn er sich damit von seinen Mitbewerbern abgrenzen kann und der Mehrwert, den er anzubieten hat, für den Kunden auch erkennbar ist. Was wir Piraten daher wollen, ist ein Markt für "die bessere Umweltperformance", der Qualitätsunterschiede sichtbar macht. Die Eigenwerbung und die vielen unterschiedlichen Siegel, mit denen der Handel häufig in eigener Regie für sein Engagement wirbt, helfen dem Verbraucher hier nur bedingt. Denn solange jeder seine eigene Werbung macht, ist ein fairer Vergleich kaum möglich. Zu wenig weiß der Konsument über die Kriterien, die beworben werden, zu häufig hat er von Greenwashing gehört oder gelesen, als dass er sich auf die Eigenwerbung der Unternehmen noch verlassen möchte. Solange kein fairer Vergleich möglich ist, hat der Kunde also immer noch keine richtige Wahlfreiheit.

Mit der Umweltpartnerschaft wird hingegen ein wirklicher Markt für Umweltvorteile geschaffen, indem definierte Kriterien einen Vergleich ermöglichen, was letztlich auch dazu führt, dass der Kunde tatsächlich auswählen kann. Angelehnt an das Zertifizierungsmodell der EPEA Internationale Umweltforschung GmbH könnte dabei - je nach Engagement des Händlers - in Abstufungen wie Bronze-, Silber- und Goldpartner unterschieden werden. Besondere Innovationen, die innerhalb einer Branche zahlreiche Nachahmer finden, könnten mit besonderen Auszeichnungen wie "Bester Innovator" oder "Best Inventer" zusätzlich honoriert werden.

Die konkrete Ausgestaltung der Umweltpartnerschaft sollte aus Sicht der Piraten gemeinsam von Umweltgruppen, Verbraucherschützern, beratenden Unternehmen wie EPEA sowie den beteiligten Händlern entwickelt werden. Die Politik würde eher als Schirmherr fungieren, der die Umweltpartnerschaft offiziell absegnet, die Qualität sichert und für öffentliche Aufmerksamkeit sorgt. Über einen Ideenwettbewerb, der als Startschuss für die Umweltpartnerschaft dienen könnte, ließe sich das öffentliche Interesse zusätzlich steigern.

Ein weiterer Vorschlag der Piraten sieht vor, eine Modellregion einzurichten, in der neue Lösungsansätze entwickelt und auf ihre Praxistauglichkeit hin überprüft werden. Dazu könnte die Erprobung neuer Pfandsysteme ebenso gehören wie die Verbesserung der Rohstoffkreisläufe.

Zur Finanzierung der vorgeschlagenen Maßnahmen wollen wir den Erdölförderzins um 0,1 Prozentpunkte anheben. Rund 160.000 Euro würden damit zur Verfügung stehen. Eine Anhebung des Erdölförderzinses um 0,1 Prozentpunkte ist aber auch symbolisch zu verstehen, denn dahinter steht eine ganz konkrete, umweltpolitische Überlegung. Zunächst wird über die Preiserhöhung einen Anreiz gesetzt, den Ölverbrauch zu senken. Setzt man die daraus eingeworbenen Mittel in einem zweiten Schritt zur Finanzierung von Maßnahmen ein, die die Abhängigkeit vom Erdöl reduzieren, wird der Einspareffekt zusätzlich verstärkt. Die Erhöhung des Erdölpreises entfaltet so ihr maximales Einsparpotential. Aus unserer Sicht und vor dem Hintergrund der politischen Möglichkeiten ist dies der ideale Weg, um den Ressourcenverbrauch zu steuern.

Und wer würde nicht alles auf Schleswig-Holstein blicken und sich fragen, wie wir auf die Idee kommen, den Erdölförderzinses um 0,1 Prozentpunkte anzuheben?! Die Aufmerksamkeit der anderen Bundesländer wäre uns gewiss.


Dieser Text basiert auf einem Beitrag der Piratenfraktion zum Symposium "Plastikarme Inselumwelt" des BUND am 18.11.2014 auf Föhr:
http://www.bund-foehr.de/unsereprojekte_auf_foehr/plastikarme_inselumwelt/


Links zu den erwähnten Dokumenten

Antrag "Verbot von dünnwandigen Einmal-Plastiktüten; hierzu Änderung der EU-Richtlinie 94/62/EG" (Umdruck 18/2856):
http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/umdrucke/2800/umdruck-18-2856.pdf

Entwurf für einen interfraktionellen Antrag "Vermeidung von Plastikmüll in Schleswig-Holstein" sowie Hintergrundpapier und Gutachten (Umdruck 18/3371 neu):
http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/umdrucke/3300/umdruck-18-3371.pdf

Antrag "Vermeidung von Plastikmüll in Schleswig-Holstein" (Drucksache 18/2384):
http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/drucks/2300/drucksache-18-2384.pdf

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Quelle:
Gegenwind Nr. Gegenwind 316, Januar 2015, Seite 4-6
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2015


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