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GEGENWIND/615: Kein Chance für die "mutige Löwin"


Gegenwind Nr. 315 - Dezember 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Keine Chance für die "mutige Löwin"
Bundesweit für ihre Zivilcourage ausgezeichnet, bleibt Margrit Herbst eine Anerkennung im Kreis Segeberg verwehrt

Von Olaf Harning



Weil die Veterinärin Margrit Herbst 1994 mit Vorwürfen an die Öffentlichkeit ging, das Land Schleswig-Holstein und der Kreis Segeberg würden BSE-Verdachtsfälle vertuschen, wurde sie kurzerhand aus dem Dienst als amtliche Tierärztin entfernt. Während sie für ihr Engagement inzwischen mehrfach als "Whistleblowerin" ausgezeichnet wurde, verweigerte der zuständige Kreistag der 74jährigen jetzt die die Rehabilitation. Es müssen widerwärtige Umstände gewesen sein, unter denen die etwa ein Dutzend Veterinäre Anfang der 90er Jahre im Schlachthof Bad Bramstedt gearbeitet haben. Da wurden kranke neben gesunden Tieren geschlachtet, bereits verendete Rinder sollen einfach mit ans Schlachtband gehängt, die Böden nicht einmal von aus Abzessen geflossenem Eiter gereinigt worden sein.


Und dann waren da noch diese anderen Tiere. Unsicher auf den Beinen, mit schreckhafter Reaktion auf Lichtreize und auffälligem Zungenspiel. Tierärztin Margrit Herbst, damals 50 Jahre alt, war alarmiert und nach einigen Recherchen sicher: Diese Rinder weisen Anzeichen der Bovinen spongiformen Enzephalopathie auf - Kurzform: BSE. Die bis heute rätselhafte und wohl durch das Verfüttern von Fleisch- und Knochenmehl ausgelöste Tierseuche, wurde in den 1980er Jahren zunächst in England nachgewiesen, breitete sich von dort aus nach Kontinentaleuropa aus. Während Politik und Verbände Anfang der 90er Jahre bemüht waren, Deutschland als "BSE-frei" zu erklären, könnten die von Herbst beobachteten Rinder tatsächlich die ersten Anzeichen der Seuche gewesen sein.

Könnten. Denn bei ihren Vorgesetzten stieß die Veterinärin mit ihrer Befürchtung auf taube Ohren. Erst die direkte Kontaktaufnahme mit spezialisierten Pathologen führte zur Untersuchung verdächtiger Tiere. Doch trotz mehrerer unklarer Befunde erklärte das Landwirtschaftsministerium die Ergebnisse schließlich für "eindeutig negativ". Am Ende gelangten sämtliche 21 von Herbst zwischen 1990 und 1994 beanstandeten Rinder in den Handel, obwohl schon damals der Verdacht bestand, BSE-verseuchtes Fleisch könnte bei Menschen die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auslösen.

Nach den ersten Verdachtsfällen wurde die Veterinärin nun immer häufiger vom Stall des Schlachthofes direkt ans Schlachtband versetzt, wo sie kaum noch Gelegenheit hatte, die Tiere zu untersuchen. Daran änderte auch ein Gespräch nichts, zudem sie der Segeberger Landrat Georg Gorrissen im März 1992 lud. Der gewährte ihr zwar freie Hand und bot Unterstützung an. Weil sie jedoch schon bald darauf erneut gegängelt wurde, verlor Herbst schließlich jedes Vertrauen in den Dienstweg. Inzwischen durch die strapaziösen Arbeitsbedingungen und das anhaltende Mobbing erkrankt, ging sie an die Öffentlichkeit. Am 16. Dezember 1994 erhielt Margrit Herbst ihre fristlose Kündigung.

Ihren Fall wieder auf die Tagesordnung gebracht hat nun die kleine Fraktion der Segeberger LINKEN. Die war Mitte Februar von einem Mitglied auf die "Akte Herbst" hingewiesen worden, Fraktionschef Heinz-Michael Kittler schrieb eine knappe Anfrage zur Sache. Doch schon die sollte Wellen schlagen - nicht zuletzt, weil der inzwischen zum niederländischen Vion-Konzern gehörende Schlachthof Bad Bramstedt nur Tage später erneut bundesweit in die Schlagzeilen geriet. Ermittler von Zoll, Polizei und Staatsanwaltschaft hatten bei einer Durchsuchung Anhaltspunkte für Verstöße gegen das Lebensmittel- und Tierschutzgesetz gefunden, der Fall Herbst geriet da fast automatisch mit in den Fokus.

Während LINKE, GRÜNE und einzelne Politiker der Piraten nun die Rehabilitation der Veterinärin forderten, winkten die übrigen Parteien im Kreis ab - auch die SPD und ihre Fraktiaonschefin Edda Lessing. Deren Bundestagsfraktion hatte noch 2012 einen Gesetzesentwurf zum Schutz von Whistleblowern ausdrücklich mit dem Fall Herbst begründet und die 74jährige auch jetzt, nur einen Tag nach der entscheidenden Debatte des Kreistags, wieder als Beispiel für schützenswerte Zivilcourage angeführt (siehe Video).

Dennoch warf Lessing der Veterinärin jetzt erneut vor, den Dienstweg umgangen, nicht alle vorgeschriebenen Mittel ausgeschöpft zu haben, bevor sie an die Öffentlichkeit ging. Unterstützung kommt von CDU-Politiker Henning Wulf: "Es ist ganz klar so, dass wir Frau Herbst dafür danken, dass sie den Landrat damals auf Missstände aufmerksam gemacht hat", räumt der zwar gegenüber dem Infoarchiv ein. Anschließend aber habe sie wohl resigniert und lieber den einfacheren Weg gewählt, den Weg der Medien. Und das könne er nicht akzeptieren: "Wenn wir uns in unserem Staat nicht mehr darauf verlassen können, dass jemand den Job macht, den er übertragen bekommen hat, dann können wir einpacken", so der ehemalige Leiter der Segeberger Polizeiinspektion. Sein Parteifreund Uwe Voss wirft der LINKEN vor, den Fall zu instrumentalisieren: "Einzelschicksale interessieren die SED-Fortsetzungspartei heute genau so wenig, wie ihre Vorgänger im einstigen DDR-Unrechtsstaat."

Union und SPD stützen sich in ihrer Argumentation vor allem auf Arbeitsgerichtsurteile, die die Kündigung der Whistleblowerin 1995 und 1997 bestätigten, doch ausgerechnet ihre ehemalige Richterin stärkt Herbst inzwischen den Rücken: Die Zurückweisung der Kündigung sei vor dem Landesarbeitsgericht damals nur aus formellen Gründen gescheitert, betont Ninon Colneric. Und im Lichte der heutigen Rechtsprechung würde die Entlassung der Whistleblowerin ohnehin nicht bestehen. Zudem war 1997 schon ein Schadensersatzprozess des Schlachthofbetreibers gegen Herbst jäh gescheitert, weil das Oberlandesgericht befand, ihr habe sich der Verdacht aufdrängen können, "daß den staatlichen Stellen durchaus im Einklang mit den fleischerzeugenden (...) Betrieben sehr daran gelegen war, einen amtlichen BSE-Nachweis wenn irgendmöglich zu verhindern."

Margrit Herbst ist auch heute noch sicher, "dass sie 1994 keine andere Wahl hatte, als an die Öffentlichkeit zu gehen. Und dass sie mit ihrem Verdacht Recht hatte: "Fakt ist, dass Anfang der neunziger Jahre im Schlachthof der Norddeutschen Fleischzentrale (...) neun Rinder mit klinisch manifester BSE-Erkrankung und etliche Tiere mit BSE-Verdacht geschlachtet worden sind und als Lebensmittel und Tierfutterbeigabe in den Handel gingen." Während Herbst für ihr Verhalten inzwischen mehrfach ausgezeichnet wurde, unter anderem mit dem renommierten Whistleblower-Preis und der "Mutigen Löwin" des Deutschen Ärztinnenbundes, hat der Kreistag ihre Rehabilitation am 6. November mit 41 zu 9 Stimmen abgelehnt.

Margrit Herbst lebt heute in einer kleinen Wohnung in Brokstedt - keine fünf Kilometer vom Schlachthof Bad Bramstedt entfernt. Nach ihrer Kündigung hat sie nie wieder eine Anstellung gefunden.


Eine ausführliche Dokumentation des Falles Herbst hat die Piratenpartei unter
https://wiki.piratenpartei.de/Dokumentenarchiv_Margrit_Herbst online gestellt.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Kaum ein Thema hat den Kreis Segeberg in den letzten Jahren derart bewegt, wie der Fall der 74jährigen Whistleblowerin Margrit Herbst

- Margrit Herbst beim Ausritt mit ihrer Scheckstute Sally

- Am 7. November sprach der Abgeordnete Gerald Reichenbach (SPD) im Bundestag zum Fall Herbst, forderte einen besseren Schutz für Whistleblowerinnen, wie sie. Nur einen Tag zuvor hatte seine Partei im Kreis Segeberg eine Rehabilitation der Veterinärin abgelehnt (Screenshot bundestag.de).

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Quelle:
Gegenwind Nr. 315 - Dezember 2014, Seite 6 - 7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2015