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GEGENWIND/601: Buchbesprechung - Grüne Lügen verhindern Paradigmenwechsel


Gegenwind Nr. 311 - August 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Grüne Lügen verhindern Paradigmenwechsel

von Klaus Peters



Einen treffenderen Titel wäre für das von Friedrich Schmidt-Bleek vorgelegte Buch zur chaotischen und völlig unzureichenden Umweltpolitik kaum möglich gewesen. Die Partei "Die Grünen" hatte Anfang der achtziger Jahre maßgeblich dazu beigetragen, den Schutz von Natur und Umwelt und den Gesundheitsschutz in der politischen Agenda zu etablieren. Gut zehn Jahre später, einige Nationalparks, das "Grüne Band" waren gesichert, die Umweltgesetze der Bundesrepublik galten jetzt auch auf dem Gebiet der Ex-DDR, entdeckten die etablierten Parteien zusammen mit den Grünen, dass sich mit bestimmten Formen des Umweltschutzes auch wunderbar Profite machen und Wählerstimmen gewinnen lassen. Die Energiewende erwies sich als dafür besonders geeignetes Projekt. Fast alle machten mit - alles andere war nicht mehr so wichtig.


Der Chemiker Friedrich Schmidt-Bleek hat die umweltpolitische Entwicklung von Beginn an und über vier Jahrzehnte als Wissenschaftler, viele Jahre in maßgeblicher Position im Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie begleitet, hat verschiedene wegweisende Ideen, Konzepte und auch Gesetzesvorlagen entwickelt. Seine Aktivitäten und die seiner Mitstreiter, die auf einem ganzheitlichen Ansatz basieren, sind dann aber seit den neunziger Jahren nicht mehr ausreichend von der Umweltbewegung unterstützt worden. Seine auch von verschiedenen anderen internationalen Experten getragene Kritik an der einseitigen und profitorientierten Umweltpolitik setzt er ein Konzept entgegen, in dem der Ressourcenschutz, die drastische Reduzierung des Ressourcenverbrauchs, einschließlich des Landschaftsverbrauchs, im Mittelpunkt steht. Der Energiebedarf, der bekanntlich eng mit dem Ressourcenverbrauch verbunden ist, würde sich damit ebenfalls ganz erheblich verringern. Mit diesem Ansatz ist dann allerdings eine grundlegende Transformation der Gesellschaft verbunden. Schmidt-Bleek nennt zahlreiche unverzichtbare Begleitmaßnahmen für eine "Ressourcenwende": unbedingter Vorrang für das Vorsorgeprinzip, Etablierung eines neuen Wohlstandsindikators anstelle des Bruttoinlandsprodukts (BIP), der den "ökologischen Rucksack" berücksichtigt, Nachhaltigkeitsberichterstattung auf der Basis der "Materialintensität pro Serviceeinheit (MIPS)", Abbau von Subventionen, erhebliche steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit, steuerliche Belastung des Ressourceneinsatzes, Forcierung der Kreislaufwirtschaft, Intensivierung der Umweltbildung u.a.m. Der Autor legt sogar einen Entwurf für ein Rahmengesetz zum Ressourcenschutz vor.

Am Beispiel Auto-Mobilität macht Schmidt-Bleek deutlich, wie Ressourcen bis zum Faktor 10 eingespart werden könnten. Zu den 20 vorgestellten Maßnahmen gehören beispielsweise eine Absenkung der maximal zulässigen Geschwindigkeit auf 100 km/h, die Erhöhung der Gesamtfahrleistung eines Fahrzeugs auf 500.000 km, die Einführung einer Maut und eine drastische Gewichtsreduzierung. Im Falle Gewichtsreduzierung wird allerdings der Aspekt Verkehrssicherheit übergangen. Die Einführung und Förderung von Elektro- oder Hybridfahrzeugen hält Schmidt-Bleek für eine schwerwiegende Fehlentwicklung, deren Massenherstellung erfordert unter anderem den Einsatz enormer Mengen von Kupfermetall.

Der geforderte Paradigmenwechsel ist außerordentlich gut begründet und leicht nachvollziehbar. Der Autor verweist darauf, dass in den letzten Jahren im Auftrag der Bundesregierung zwar eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt worden ist, an deren Umsetzung bei den verantwortlichen Politikern offenbar aber kein besonderes Interesse besteht. Einige Elemente, die zumindest in einigen Kommunen angewandt worden sind, wie die Aufstellung von Naturhaushaltsplänen, werden im vorliegenden Buch nicht explizit genannt, lassen sich aber leicht integrieren. Publikationen anderer Autoren, die auch im Gegenwind vorgestellt worden sind, enthalten bereits ähnliche Ansätze, etwa die Kritik der Ausrichtung an der Profitmaximierung oder die Begrenzung des Wachstums. Eine konsequente Übernahme dieser Ansätze in politische Programme und deren Umsetzung ist bisher jedoch nicht erfolgt.

Trotz der grundlegenden Kritik am System und der rhetorischen Frage, ob Karl Marx heute wohl ein Verfechter ökologischer Interessen wäre, will der Autor offensichtlich am Prinzip der (ökosozialen) Marktwirtschaft festhalten. In vorrangig auf Profit ausgerichteten, durch extrem ungerechte Vermögensverteilung, durch Egoismen und Entfremdung geprägten Gesellschaften dürften Publikationen und Appelle allein allerdings nicht ausreichen, um grundlegende gesellschaftliche Transformationen in überschaubaren Zeiträumen zu erreichen. Es müssen neue Bewegungen und Bündnisse wachsen, um die Zerstörungen unserer Landschaften, der Ökosysteme, unserer Lebensgrundlagen aufzuhalten und um das Fortschreiten eklatanter sozialer Ungerechtigkeiten zu verhindern.


Friedrich Schmidt-Bleek: Grüne Lügen, Nichts für die Umwelt, alles fürs Geschäft - wie Politik und Wirtschaft die Welt zugrunde richten, Ludwig-Verlag (2014), 304 Seiten, 19,99 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 311 - August 2014, Seite 54
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2014