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GEGENWIND/589: Fracking in der Erdölregion Kiel


Gegenwind Nr. 307 - April 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Fracking in der Erdölregion Kiel
Was ist wichtiger: bezahlbares Benzin oder bezahlbares Trinkwasser?

von Hansjürgen Schulze



Was heute so abwegig scheint, könnte in wenigen Jahren zur Alternative mutieren. Zwischen 1998 und 2012 hat sich der Ölpreis verzehnfacht - Tendenz: weiter steigend. Einerseits wächst der Hunger der aufstrebenden Schwellenländer China und Indien nach dem Schwarzen Gold unaufhörlich, andererseits sind die am leichtesten zugänglichen Ölfelder längst ausgebeutet; die Entdeckung neuer Quellen wird selten, ihre Erschließung unter kilometerdickem Eis oder in der Tiefsee immer kostspieliger und riskanter.


Seit zwei Jahren stagniert der Ölpreis - dank Fracking in den USA. Glauben wir den Verheißungen moderner Scharlatane, dann wäre die Versorgung mit Kohlenwasserstoffen für die nächsten hundert Jahre gesichert: Mittels gewaltiger Wassermengen, Sand und Chemikalien wird das in dichten Poren eingeschlossene, bislang nicht förderbare Öl und Gas unter hohem Druck aus dem Gestein gesprengt und der volkswirtschaftlichen Verwendung zugeführt. Weil in Schleswig-Holstein die reichsten Öl- und in Niedersachsen die ergiebigsten Gasfelder Deutschlands liegen, sind beide Bundesländer durch Fracking besonders gefährdet.

Kiel liegt inmitten des ölhaltigen Ostholsteintrogs, der sich halbmondförmig von Elmshorn bis Angeln erstreckt (siehe Karte [in der Printausgabe]). Innerhalb des Ostholsteintrogs, durch eine mehr als tausend Meter dicke Schicht im Gestein getrennt, befindet sich über dem Erdöl unser Trinkwasser.

Vor allem eingedenk zahlreicher Havarien in den USA, aber auch in Niedersachsen, wo schon seit Jahrzehnten gefrackt wird, behauptet heute niemand mehr ernsthaft, Fracking sei ungefährlich. Doch die Konzerne und ihre politischen Interessenvertreter behaupten, bei achtsamem Umgang sei Fracking "beherrschbar". Es gleicht einem makabren Treppenwitz, dass ausgerechnet ein GRÜNER Umweltminister, dazu noch rechtswidrig, zwischen Frühjahr 2013 und Januar 2014 die Aufsuchungserlaubnis für das Feld Gettorf (es erstreckt sich in 25 km Breite von der Eckernförder Bucht bis nahe Neumünster und erfasst das gesamte Kieler Stadtgebiet) und die Bewilligungen für die Felder Plön-Ost, Preetz, Prasdorf, Warnau und Schwedeneck erteilte! Laut Bergrecht ist dies noch keine Fördergenehmigung - diese setzt ein anschließendes Betriebsplanverfahren voraus, in dem die Details offenzulegen sind. Die Aufsuchungserlaubnis enthält das Recht, innerhalb des abgesteckten Gebiets mittels moderner Methoden der Fernerkundung, ohne zu bohren, Erdöl zu suchen, während sich die Bewilligung auf deutlich kleinere Felder reduziert, in denen die Lagerstätten bereits bekannt sind. Allerdings setzt eine bereits erteilte Erlaubnis bzw. Bewilligung eine Dynamik in Gang, welche eine Ablehnung im späteren Betriebsplanverfahren nahezu ausschließt. Weil Minister Habeck entgegen einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.10.1998 die betroffenen Kommunen zuvor nicht informiert und ihnen keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, ist die Konzessionserteilung an RWE-dea und PRD Energy unseres Erachtens rechtswidrig erfolgt.


Risikofaktor Wasserverbrauch

Moderne Fördertechnologien ermöglichen es, nach Erreichen der vorgesehenen Tiefe horizontal in alle Richtungen weiter zu bohren. Dadurch sind nur noch vier bis fünf Bohrungen je Quadratkilometer erforderlich mit einem Wasserverbrauch bis zu 13 Millionen Litern pro Bohrloch. Der Wassertransport erfolgt durch Tausende LKW-Schwerlastfuhren, was einen zusätzlichen Flächenverbrauch durch Straßen, Schäden an der Infrastruktur (u.a. Straßenbelag, Rissbildungen an Brücken und Hauswänden durch die Erschütterungen) sowie starke Lärmbelästigungen bewirkt. Die Kosten dieser Schäden tragen meistens die Kommunen. Der enorme Wasserverbrauch hat in Texas bereits ganze Landstriche austrocknen lassen.


Risikofaktor Giftstoffe

Viele der eingesetzten chemischen Substanzen sind hoch toxisch und haben bereits zu Unfruchtbarkeit, Krebs und Missbildungen geführt. Benzol, Methan, Chloroform, Butan, Propan, Toluol und Xylol in der Atemluft, große Konzentrationen an Sulfaten, Chrom und Strontium im Brunnenwasser - dies ist ein reales Messergebnis auf einer Farm in North Dakota. Im Gehirn des Farmers wurden neurotoxische Substanzen entdeckt, in seinem Blut Spuren mehrerer Schwermetalle ("Le Monde diplomatique", 13.9.2013). Um in dieser Weise wirksam zu werden, muss die Fracflüssigkeit zuvor an die Oberfläche oder ins Grundwasser gelangt sein - durch Rissbildungen im Gestein oder undichte Rohrleitungen. Die Wahrscheinlichkeit von Rissbildungen ist im Großraum Kiel durch die Besonderheiten der Struktur des Gesteins überdurchschnittlich hoch.

Wie marode die Rohrleitungen binnen zwei Jahrzehnten werden, zeigt sich immer deutlicher etwa in der Schachtanlage "Asse". Methan ist, bezogen auf den Klimawandel, zwanzigmal so schädlich wie CO2. Feuer aus dem Wasserhahn durch austretendes Methan, ein häufiges Ereignis im Marcellus-Feld am Oberlauf von Strömen, die durch dicht besiedeltes US-Gebiet in den Atlantik fließen, hat sich auch ins Bewusstsein vieler entsetzter Europäer gebrannt. - Umweltminister Dr. Habeck will "toxisches Fracking" verbieten. Selbst wenn nicht-toxisches "Green Fracking" eines mehr oder minder fernen Tages machbar wäre, wäre die Fracflüssigkeit durch ihren Kontakt mit den Salzstöcken, innerhalb derer das Schwarze Gold in Schleswig-Holstein lagert, auf Dauer kontaminiert, Landwirtschaft in herkömmlicher Qualität nicht mehr möglich.


Risikofaktor Flowback

Der größte Teil der eingesetzten Fracflüssigkeit gelangt wieder an die Oberfläche, zusätzlich angereichert durch natürliche Substanzen des Erdinneren wie z.B. Radon und weitere Radonnukleide, Salze, Quecksilber und weitere Schwermetalle sowie Substanzen wie Benzol mitsamt Reaktionsprodukten aus den chemischen Zusätzen. Kommunale Kläranlagen sind bei weitem überfordert. Spezielle Industriekläranlagen können zwar einen Teil der giftigen Substanzen herausfiltern, doch das löst das Entsorgungsproblem nicht wirklich. Zudem kostet ihr Einsatz viel Geld, sodass der Flowback gewöhnlich mittels Tausender LKW-Ladungen wegtransportiert und an scheinbar geeigneten Stellen in den Boden verpresst wird. Doch Wasser sucht sich auch hier über kurz oder lang seinen Weg, daher gerät die Flowback-Entsorgung zur tickenden Zeitbombe.


Risikofaktor Erdbeben

Am 20. Oktober 2004, 8:59 Uhr, geschah bei Rotenburg auf halber Strecke zwischen Hamburg und Bremen, was Geologen in Norddeutschland, fernab von Erdplattengrenzen, für unmöglich gehalten hatten: ein mittleres Erdbeben der Stärke 4,5 auf der Richterskala. Hochhäuser schwankten, Risse "verzierten" Zimmerwände, Menschen stürzten voller Panik ins Freie. Im Unterschied zu Süddeutschland sind die Gebäude nicht auf Erdbeben ausgelegt. Gefährdet waren plötzlich auch die geplanten unterirdischen Atomendlager Gorleben und Schacht Konrad; man könne von Glück sagen, dass das Epizentrum relativ weit entfernt von großen Städten lag.

Zehn Monate später bebte die Erde erneut - diesmal wurden "nur" 3,8 Einheiten ermittelt. Seitdem kommt die Region nicht mehr zur Ruhe, wenngleich die Erschütterungen nicht mehr ganz so hoch ausfallen. Ohne genauere Prüfung beeilte sich die dem Bundeswirtschaftsminister Müller, einem SPD-Mann aus dem Steinkohlesektor, unterstehende Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, zu erklären, uralte Schwächezonen im Gestein seien in acht Kilometern Tiefe aufgerissen. Neuere Untersuchungen, namentlich in England, kamen jedoch zu dem Ergebnis, das Aufsprengen des Gesteins unter hohem Druck, also Fracking, sei als Ursache der Bedrohung keineswegs auszuschließen. Spezielle Erdbebensensoren, welche Klarheit geben können, sind im Unterschied etwa zu den benachbarten Niederlanden nicht vorgesehen. Das Ereignis des 20.10.2004 kann sich jederzeit wiederholen, zumal vorgesehen ist, Fracking auf weitere Gebiete auszudehnen und zu intensivieren.


Risikofaktor Haftung bei auftretenden Schäden

Wer haftet für auftretende Schäden? Dem Bundesberggesetz zufolge haftet in erster Linie das fördernde Unternehmen. Die PRD Energy GmbH, Tochter eines kanadischen Konzerns mit Sitz in Berlin, verfügt aber nur über ein Eigenkapital in Höhe der gesetzlich vorgeschriebenen 25.000 Euro. In den meisten Fällen sind private Grundeigentümer von Bergschäden betroffen, doch Nachweise über die Schadensursache (etwa durch Gutachten) sind so teuer, dass der Schadensverursacher nur selten zur Haftung herangezogen wird, zumal alle Rechtsschutzversicherungen derartige Fälle ausklammern. (Daraus resultiert die Forderung nach Beweislastumkehr, die bislang noch nicht durchgesetzt ist.)

Sollte es dennoch gelingen, einen aufgetretenen Schaden dem fördernden Unternehmen rechtskräftig zuzuordnen, ist die Gefahr groß, dass es Konkurs anmeldet und der Grundeigentümer für den ihm entstandenen Schaden selbst aufkommen muss. Bei allen größeren Schäden haftet letztlich die Gemeinde, deren Gebiet betroffen ist: Profite werden privatisiert, Verluste sozialisiert.


Ausblick: Für eine postfossile Zukunft!

Es reicht uns nicht, durch gesetzliche Maßnahmen die Risiken lediglich zu verringern, z.B. Fracking in Trinkwasserschutzgebieten auszuschließen, die Öffentlichkeit einzubeziehen, Umweltverträglichkeitsprüfungen vorzuschreiben oder Green Fracking zu akzeptieren (so wichtig die Durchsetzung einzelner Punkte auch innerhalb des Gesamtprozesses ist): Wir fordern "Ein sofortiges ausnahmsloses Verbot sämtlicher Formen von Fracking bei der Erforschung, Aufsuchung und Gewinnung fossiler Energieträger. Dies ist unabhängig davon, ob die Rissbildung mit oder ohne den Einsatz giftiger Chemikalien, hydraulisch oder andersartig erzeugt wird" (Korbacher Resolution, Punkt 1).

Immer mehr ExpertInnen sprechen von einem kurzfristigen, nur wenige Jahre andauernden Fracking-Boom in den USA. Schon jetzt sind die Investitionsvolumina dramatisch gesunken. Auch die Peak-Oil-Studie des Zentrums für Transformation der Bundeswehr vom August 2010 schätzt die Wirkung des Frackings in Bezug auf das Schwinden des Schwarzen Golds eher gering ein. Es komme darauf an, sich auf die Zeit nach dem Erdöl einzustellen: "Der Faktor Zeit kann für den Erfolg der Transformation zu postfossilen Gesellschaften(...) entscheidend sein. Um diesbezügliche demokratische Entscheidungsprozesse zu beschleunigen, müssen die Gefahren einer erodierenden Ressourcenbasis im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert werden. Nur so kann das notwendige Problembewusstsein für anstehende Weichenstellungen entstehen".


Aktionsgemeinschaft "Stoppt Fracking im Großraum Kiel - für eine postfossile Zukunft!". Wir treffen uns an jedem vierten Donnerstag im Monat, 19 Uhr, in der "Pumpe", Kiel, Haßstr. 22.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 307 - April 2014, Seite 11-13
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2014