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GEGENWIND/580: Einwanderung und Willkommenskultur - Koalitionsvertrag 2013


Gegenwind Nr. 304 - Januar 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Einwanderung und Willkommenskultur:
Koalitionsvertrag 2013

von Reinhard Pohl



Am 28. November wurde der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD veröffentlicht. Er wurde in der SPD auf Regionalkonferenzen vorgestellt und diskutiert, anschließend stimmte die SPD-Mitglieder bei einer Briefwahl mit rund 76 Prozent zu. CDU und CSU stimmten in den Gremien zu.

Ich hatte im August die Programme von sechs Parteien in Bezug auf die Vorstellungen zu Einwanderung in Integration verglichen (Gegenwind 299, Seite 20). [siehe im Schattenblick unter www.schattenblick.de → Medien → Alternativ-Presse: GEGENWIND/561: Was steht in den Parteiprogrammen zur Einwanderung und Integration?] Hier sollen jetzt die entsprechenden Punkte aus dem Koalitionsvertrag vorgestellt werden.

Dabei ist es wichtig zu sagen, dass in den vergangenen Jahren kaum eine Veränderung auf diesem Gebiet im jeweiligen Koalitionsvertrag angekündigt oder geplant wurde, fast alles ergab sich während der Regierungszeit aus aktuellen Diskussionen. Insofern gibt die jetzige Einigung der drei Regierungsparteien sicherlich einen Trend wieder, aber die konkrete Politik kann durchaus von denen beeinflusst werden, die sich auf diesem Gebiet engagieren.


Migration

Ich will auf zwei Punkte hinweisen, die oft nicht in den Blick geraten:

  • Die Koalition will die Richtlinien für den Rüstungsexport nicht verändern. Das steht nicht im Kapitel über die Sicherheitspolitik, sondern im Kapitel zur Wirtschaft unter "Wachstum, Innovation und Wohlstand" (Seite 16).
     
  • Die Koalition will die Rohstoffsuche weltweit intensivieren und gezielt Verträge zur eigenen Versorgung abschließen. Diese Strategie wird ausführlich (eine Seite lang) beschrieben (Seite 17/18).

Beide Punkte haben, obwohl das im Koalitionsvertrag keine Rolle spielt, natürlich Auswirkungen auf die Migration und Flucht.


Fachkräfte

Der Schwerpunkt soll in Zukunft auf der besseren Ausbildung hier lebender Menschen, weniger auf der Anwerbung im Ausland liegen. Die jetzigen Regeln für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse sollen beibehalten werden. Allerdings will man die Kosten "sozialverträglicher" gestalten (Seite 38).

Bei der Entsendung und Überlassung sowie dem Missbrauch von Werkverträgen will man Leiharbeiter nach neun Monaten mit der Stammbelegschaft gleichsetzen und die Lücken in den Regelungen überprüfen.


Frauenhandel

Für Opfer von Frauenhandel und Zwangsprostitution soll das Aufenthaltsrecht verbessert werden (Seite 104), es wird nicht gesagt wie.


Einwanderung

Die Optionspflicht für hier geborene Kinder von Ausländern, die mit der Geburt deutsch werden, wird abgeschafft. Im übrigen soll die doppelte Staatsangehörigkeit (bei Einbürgerungen) nicht generell erlaubt werden (Seite 105).

Ansonsten wird auf den Nationalen Aktionsplan Integration verwiesen: Die interkulturelle Öffnung von Behörden soll unterstützt, die Diskriminierung bekämpft werden, konkrete Konzepte stehen im Koalitionsvertrag nicht (Seite 106).

Im Blick auf die Mordserie des NSU soll auch die interkulturelle Kompetenz bei den Sicherheitsbehörden verbessert werden.

Die Sprachkurse sollen geöffnet werden, auch für Flüchtlinge, allerdings soll das mit den Bundesländern besprochen werden. Vermutlich will die Bundesregierung es also nicht (alleine) bezahlen.

"Bei Neuzuwanderern wollen wie (...) Vorintegrationsmaßnahmen schon im Herkunftsland (...) verstärken." (Seite 107) Das wird nicht näher erläutert, bisher gibt es für die meisten die Pflicht, ein A1-Zertifikat zum Visumantrag zu legen.

Die Integrationskurse sollen verbessert werden, das bezieht sich unter anderem auf eine "angemessene Honorierung der Lehrkräfte" (Seite 107).


Armutswanderung

Der "ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch EU-Bürger" soll entgegengewirkt werden, um die Akzeptanz der Freizügigkeit zu erhalten. Ansonsten will sich die Bundesregierung dafür einsetzen, über die EU die Bedingungen in den Herkunftsländern zu verbessern, insbesondere soll die europäische Krankenversicherungskarte diskriminierungsfrei ausgestellt werden. Für Kommunen, die Probleme haben, sollen Förderprogramme des Bundes (z.B. Soziale Stadt) geöffnet werden.


Flüchtlinge

Die Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete soll ohne Stichtag im Gesetz verankert werden, wie der Bundesrat es schon beschlossen hat, die Anforderungen an die eigene Sicherung des Lebensunterhalts bleiben. Für Jugendliche soll die Bleiberechtsregelung erleichtert werden. (Seite 108)

Asylanträge sollen in Zukunft innerhalb von drei Monaten bearbeitet werden. Dazu sollen die Stellen im Bundesamt (BAMF) aufgestockt werden.

Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien sollen in Zukunft als "sichere Herkunftsländer" eingestuft werden. Das bedeutet, dass Asylanträge in Zukunft schneller und einfacher abgelehnt werden können.

Bei der Grenzsicherung im Mittelmeer durch FRONTEX sollen menschenrechtliche und humanitäre Standards eingeführt werden und die Pflicht zur Seenotrettung durchgesetzt werden (Seite 109).

Außerdem sollen Migrations-, Asyl-, Außen- und Entwicklungspolitik in Zukunft besser zusammen arbeiten, um in den Herkunftsländern die Verhältnisse zu verbessern.

Die Residenzpflicht, die hier für ganz Schleswig-Holstein gilt, soll bundesweit auf die jeweiligen Bundesländer ausgedehnt werden. Beim Verlassen bis zu einer Woche soll in Zukunft eine schriftliche Mitteilung reichen. (Seite 109). Bei einer Arbeitsstelle oder einem Studienplatz außerhalb soll die Residenzpflicht gestrichen werden.

Jugendliche Flüchtlinge sollen in Zukunft erst mit 18 Jahren asylmündig werden.

AsylbewerberInnen und Geduldete sollten in Zukunft nur noch drei Monate Arbeitsverbot haben und danach eine Arbeitserlaubnis beantragen dürfen. Eine generelle Arbeitserlaubnis soll es auch in Zukunft erst nach vier Jahren geben.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bezüglich der
Asylbewerberleistungen soll umgesetzt werden.

Das Resettlement soll fortgesetzt und spätestens 2015 quantitativ deutlich ausgebaut werden (Seite 109).


NSU-Morde

Die Verfassungsschutzämter sollen in Zukunft besser zusammen arbeiten. Außerdem sollen die technischen Analysemöglichkeiten verbessert werden. (Seite 144)

Bei Polizei und Justiz sollen die interkulturelle Kompetenz verbessert werden (der Verfassungsschutz wird hier nicht erwähnt) (Seite 144).


Visa-Erleichterungen

Es soll keine neuen Einreiseerleichterungen geben, bevor nicht ein europäisches Einreise- und Ausreiseregister existiert. (Seite 150)


Fazit

Wichtig ist auch, welche Punkte nicht angesprochen werden: Familienzusammenführung, kommunales Wahlrecht für AusländerInnen oder auch Konzepte für den Umgang mit Menschen ohne Papiere. Hier sind keine Änderungen geplant oder man hat sich nicht einigen können.

Allerdings wird grundsätzlich positiv über Einwanderung gesprochen, was darin zum Ausdruck kommt, dass viele Maßnahmen (allgemein) erwähnt werden, wie die "Verstärkung der Willkommenskultur".

Auf keinem Gebiet der Einwanderung oder Integration ist eine Politikänderung, eine Richtungsänderung zu erwarten. Die beabsichtigten Verbesserungen wären auch bei einem anderen Bündnis möglich, weil sie alle bereits seit längerem gefordert oder diskutiert werden. Eine Richtungsänderung wäre nur möglich, wenn die Regierung komplett wechseln würde, hier erfolgt nur ein Austausch des kleineren Koalitionspartners.

Das bedeutet aber auch, dass andere Änderungen, die jetzt nicht vereinbart wurden, möglich erscheinen. Die vereinbarten Veränderungen sind einfach und schnell umzusetzen, danach müssten alle drei Parteien für weitere Vorschläge offen sein. Viele der angekündigten Änderungen sind auch wenig konkret, so dass Interessenvertretungen ihre Forderungen einbringen können.


https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf

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Quelle:
Gegenwind Nr. 304 - Januar 2014, Seite 22-23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2014