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GEGENWIND/567: Buchbesprechung - "Syrien - Zerstörung ohne Wiederaufbau"


Gegenwind Nr. 301 - Oktober 2013
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

BUCH
Syrien: Zerstörung ohne Wiederaufbau

Von Reinhard Pohl



Der Untertitel zeigt schon das Thema des Buches: "Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine Gesellschaft islamisiert". Die Autorinnen und Autoren kommen aus der Linken oder ihrem Umfeld.


Zunächst wird die Geschichte Arabiens seit dem Ersten Weltkrieg geschildert. Der Widerstand gegen die türkische Kolonialherrschaft wurde von den Briten instrumentalisiert, die unter dem Vorwand der Unterstützung der nationalen Bewegung in Wirklichkeit ihre eigene Kolonialpolitik verfolgten und letztlich - gemeinsam mit Frankreich - auch umsetzten. Dennoch entstand eine nationale Bewegung, die Baath-Partei, der sogenannte "arabische Sozialismus" und einiges mehr. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Rückzug der britischen und französischen Verwaltung bildeten sich die heutigen Nationalstaaten, vor allem aber wurden sie gebildet. Gerade die Grenzen Syriens und des Libanon wurden eher nach den Interessen Europas ausgestaltet und nicht nach historischen oder religiösen Gegebenheiten oder gar dem Willen der dort lebenden Bevölkerung.

Für die aus Mitteleuropa vertriebenen Juden bzw. den relativ wenigen Überlebenden des Völkermordes musste ebenfalls eine "Heimstätte", wie die britische Regierung das ursprünglich nannte, geschaffen werden, mit den bekannten Folgen für die einheimische palästinensische Bevölkerung.

Mehrere Versuche der Korrektur der Grenzen scheiterten, nur Israel konnte die von der UNO gezogene Waffenstillstandslinie überwinden und ein lebensfähiges Staatsgebiet etablieren. Vor allem pan-arabische Projekte scheiterten aber an der Ablehnung durch Europa und die USA sowie zuviel Egoismus der Beteiligten - auch Israel wandte sich immer gegen solche Versuche. Zweimal gab Syrien formell seine Unabhängigkeit auf, musste aber wieder zum alten Zustand zurückkehren.

Die syrische Regierung, säkular und sozial (nicht sozialistisch) eingestellt, war theoretisch für das Land mit heterogener Bevölkerung am besten geeignet, entwickelte sich aber zu einer brutalen und blutigen Diktatur - eine Entwicklung, die in diesem Buch nicht weiter untersucht oder geschildert wird. Die mit dem "arabischen Frühling" einsetzende Wirtschaftskrise und die Proteste wurden dann aber vom Ausland sehr einseitig unterstützt. Die Demokratiebewegung wurde von Saudi-Arabien, Katar, Türkei, EU oder USA so gut wie gar nicht unterstützt, dagegen der militärische Widerstand gegen die Diktatur unabhängig oder abhängig von dessen ideologischer Ausrichtung sehr gerne. Dabei bekamen schnell die Bewegungen die Oberhand, die in den Nachbarländern Unterstützung in Form einer militärischen Ausbildung und Ausrüstung erhielten, vor allem die fundamentalistischen islamischen Gruppen. Zum Teil konnten die USA, die Türkei und Saudi-Arabien, die das am heftigsten vorantrieben, auf frisch trainierte Gruppen aus Libyen zurückgreifen, was auch0 fir Libyen eine Erleichterung war, zum Teil wurden sie neu gebildet.

In eigenen Kapiteln werden die Interessen und die Politik der türkischen AKP-Regierung und Israels geschildert. Während die Türkei Kampfgruppen von Al Kaida trainiert und ausrüstet, die auch gegen kurdische Autonomiebestrebungen im Norden Syriens kämpfen, interessiert sich Israel vor allem für Ruhe an der Grenze und einen Stopp von Waffenlieferungen an libanesische Israel-Feinde - und wenn das mit Präsident Assad zu machen ist, dann auch mit ihm zusammen. Außerdem interessiert sich Israel für die Kontrolle über die Süßwasserquellen im Golan. Gleichzeitig mit den Verhandlungen und Bombardierungen ist Israel aber durchaus bereit, verwundete Rebellen in den eigenen Krankenhäusern zu versorgen, sie dürfen anstandslos die Grenze passieren.

Die Bundesregierung hat lange mit Assad gut zusammengearbeitet, das betraf den Handel, aber auch die Möglichkeit, Flüchtlinge aus Syrien wieder in die Diktatur abzuschieben. Jetzt beteiligt sich die Bundesregierung an der Verteilung von Hilfsgeldern an verschiedene Oppositionsgruppen und bemüht sich ebenfalls darum, sich mehrere Möglichkeiten offen zu halten, immer ohne die geringsten moralischen Bedenken und ohne demokratische Organisationen zu bevorzugen - im Gegenteil. Die verschiedenen Gruppen, einschließlich der Regierung, finden um so mehr Aufmerksamkeit, je mehr sie ihre militärischen Fähigkeiten unter Beweis stellen.

Politisch raten die Autoren, darunter ein Mitglied des Bundesvorstandes, der Linken und der eigenen Partei eine Distanzierung von der Regierung ohne eine Unterstützung der bewaffneten Opposition. Dabei treten sie meiner Meinung nach viel zu vorsichtig auf, denn an der Basis findet man zu viele Kriegsgegner, die sich beim berechtigten Engagement gegen eine US- oder NATO-Intervention für eine "Solidarität mit Assad" und damit einem hunderttausendfachen Mörder aussprechen. Allen Autorinnen und Autoren scheint eine 20-jährige Erfahrung im Austausch mit syrischen Flüchtlingen zu fehlen, das könnte gegen solche Kurzschlüsse immunisieren. Allerdings schließt das Buch dann sehr konstruktiv: Im Zusammenhang mit der demokratischen und nicht bewaffneten Opposition wird von einer "enteigneten Revolution" gesprochen und der Prozess der Aneignung durch den vom Ausland ausgerüsteten Widerstand erläutert, und ausführlich kommen verschiedene Vertreterinnen und Vertreter der demokratischen Opposition zu Wort. Außerdem wird ausführlich die Struktur und die Bündnisse verschiedener Oppositionsgruppen und Bündnisse erläutert, das allerdings naturgemäß mit kurzer Halbwertszeit, denn die Bündnisse ändern sich schnell.

Giftgas wurde erst nach Abschluss der Arbeiten am Buch eingesetzt, das kommt also nicht vor. Wenn man aber bedenkt, dass täglich weit mehr Menschen durch Kleinwaffen ums Leben kommen als durch Bomben, Raketen oder Giftgas, braucht man das auch nicht, um in diesem Konflikt eine Position zu finden, und dazu leistet das Buch einen guten Beitrag und liefert wertvolle Hintergrundinformationen.


Wolfgang Gehrcke / Christiane Reymann (Hg.):
Syrien. Wie man einen säkularen Staat zerstört
und eine Gesellschaft islamisiert.

PapyRossa Verlag, Köln 2013, 9,90 Euro.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 301 - Oktober 2013, Seite 69-70
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2013