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GEGENWIND/496: Buch - "Ein Mord, der keiner sein durfte. Der Fall Uwe Barschel ..."


Gegenwind Nr. 281 - Februar 2012
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

BUCH
Überschätzt

von Reinhard Pohl


Bereits im Dezember 2007 (Gegenwind 231) haben wir über dieses Buch berichtet. Damals hatte der Leitende Oberstaatsanwalt von Lübeck, Heinrich Wille, das Buch geschrieben, aber der Generalstaatsanwalt in Schleswig, Erhard Rex, die Veröffentlichung verboten - denn es handelte sich um dienstliche Erkenntnisse. Das Buch handelt - nach eigenen Angaben - vom Mord an Ministerpräsident a.D. Uwe Barschel.


Mit dem Verbot der Veröffentlichung veröffentlichte Erhard Rex damals ein eigenes Buch, das wir im Gegenwind vorstellten. Dieses Buch handelte vom Selbstmord des Ministerpräsidenten a.D. Uwe Barschel, und Erhard Rex erlaubte damals Heinrich Wille, das Nachwort zu schreiben (vgl. Gegenwind 231, Seite 23-26: "Was bleibt übrig?").

Jetzt ist Erhard Rex pensioniert, Heinrich Wille ist ebenfalls pensioniert, und auch die dritte Hauptperson Wulf Jöhnk ist pensioniert. Das Buch von Wille "Ein Mord, der keiner sein durfte" ist jetzt in einem Schweizer Verlag erschienen.

Das Wichtigste zuerst: Es wurde durch die Auseinandersetzung weit überschätzt. Im Buch finden sich keine neuen Informationen, der Autor fasst seine Meinung, seine Wertungen der Indizien noch einmal zusammen und liefert gleichzeitig eine kleine Biografie ab. Viele handelnde Personen aus Politik, Presse und Justiz kommen in diesem Buch vor, werden auch privat und mit ihren Beziehungen und Kontakte zu Heinrich Wille vorgestellt. Das beginnt mit Heinz-Werner Arens, über Ludger Fertmann, Norbert Gansel, Joachim Gauck, Gabriele Heinecke, Wulf Jöhnk, Werner Junge, Kerstin Kampe, Klaus Klingner, Wolfgang Kubicki, Michael Legband, Erich Maletzke, Carsten Malzan, Wolfgang Neskovic, Reiner Pfeiffer, Gert Postel, Erich Samson, Carl-Hermann Schleifer, Heide Simonis, Jochen Steffen, Gerd Walter bis zu Hans-Jürgen Wolter gibt es eine Übersicht über vieles, was in den letzten 30 Jahren in Schleswig-Holstein passiert ist und wer mit wem zusammengearbeitet oder gestritten hat.

Zum Mord selbst wird alles noch mal aufgeführt, was gegen die Selbstmord-These spricht: Die Spuren am Tatort sind dabei am Wichtigsten. Es geht um die Reihenfolge der eingenommenen Medikamente, die Lage der Kleidung, die Spuren die auf Anwesenheit anderer Personen schließen lassen. Es geht dann um den Vergleich von Kalender und Zeugenaussagen, wen er wo wann und weshalb getroffen hat. Ferner geht es darum, nicht nur seine Lügen auf der "Ehrenwort-Pressekonferenz" in den Blick zu nehmen, die Erhard Rex zum Ergebnis "Bilanz-Selbstmord" brachte, sondern seine geheimnisvollen DDR-Reisen (Gauck wollte die Akten nicht rausrücken) und seine Verstrickungen in den Waffenhandel, zum Beispiel mit dem Iran.

Die Schwäche des Buches besteht darin, dass nichts davon nachweisbar war - alle Spuren verliefen im Sand. Im Gegensatz zu anderen Veröffentlichungen zum "Fall Barschel" benennt Heinrich Wille aber die Personen, die ihn an den Ermittlungen gehindert haben, nämlich Klaus Klingner, Wulf Jöhnk und Erhard Rex, die faktisch die Täter aus übergeordnetem Interesse (das er nicht wirklich beschreiben kann) geschützt hätten. Er weiß es nicht, glaubt aber: Wenn diese Personen ihm die geplanten Ermittlungen erlaubt hätten, hätte er den Mord nachweisen und vielleicht auch den oder die Täter entlarven können.

Da alles anders gekommen ist, ist die Leserin oder der Leser darauf angewiesen, das zu glauben oder auch nicht. Vielleicht hilft und uns Werner Kalinka auch weiter, der ja (angeblich) an einem Buch zum Mord an Barschel antwortet, und Werner Kalinka hat ja bekanntlich mehr Quellen als wir normalen Menschen. Ich verspreche schon mal, das Buch von Kalinka, sollte es erscheinen, auch im Gegenwind vorzustellen.


Störfeuer

Das Erscheinen des Buches wurde überlagert durch die Nachrichten, die nach der Pensionierung des Oberstaatsanwalts Wille das Licht der Öffentlichkeit erblickten und zu einer heftigen Diskussion im Innen- und Rechtsausschuss des Landtags führten. Im Zimmer des toten Uwe Barschel war auf der Bettdecke ein Buch gefunden worden, in dem er anscheinend unmittelbar vor seinem Tod gelesen hatte, daneben war ein Haar sichergestellt worden, das nicht von Uwe Barschel stammte. Dieses Haar sollte im Herbst 2011 noch mal gentechnisch untersucht werden, um festzustellen, ob es vielleicht vom Mörder stammt oder etwas unspektakulärer vielleicht vom Zimmermädchen, das vormittags das Bett hergerichtet hat. Dieses Haar, das auch eine wichtige Rolle im Buch spielt, gab es bei der Staatsanwaltschaft Lübeck nicht mehr, die kleine Plastiktüte war leer.

Bei der Gelegenheit fiel auf, dass auch einige andere Asservate dieses Falls nicht in der Asservatenkammer lagen, sondern auf diverse Büros verteilt waren, das erwähnte Buch hatte Heinrich Wille anlässlich seiner Pensionierung schlicht mit nach Hause genommen, um es dort zu lesen. PolitikerInnen und Presse hatten den Eindruck, einige beteiligte Staatsanwälte sahen die sichergestellten Gegenstände nicht als Asservate in einem Mordfall, sondern als Trophäen einer Buchveröffentlichung - Heinrich Wille wirkte plötzlich nicht mehr wie ein engagierter Strafverfolger. Im Januar 2012 erwähnte Heinrich Wille diesen Vorgang beiläufig im "Stern", er sah es als einzigen Fehler an, diese Gegenstände nicht ordnungsgemäß "ausgebucht" zu haben.


Hilfreich

Das Buch ist indirekt auch eine Biografie von Barschel. Sein Aufstieg wird nachgezeichnet, Stichwörter dafür sind der Auftritt von Großadmiral Dönitz in seiner Schule mit anschließendem Selbstmord des Direktors, die Vorgänge um "Damp 2000" und die Kontakte mit dem Apartheidsregime in Südafrika, Stichwort "U-Boot-Geschäft". Beschrieben wird auch der Flugzeugabsturz in Lübeck, den er knapp überlebte.

Ebenso ist es eine Biografie vieler anderer Persönlichkeiten aus Schleswig-Holstein. An prominenter Stelle natürlich seine eigene Ehefrau, die eine Hauptrolle in der Geiselaffäre von Lübeck-Lauernhof spielte.


Ärgerlich

In der Autobiografie kommt auch die Brandstiftung in der Lübecker Hafenstraße am 18. Januar 1996 vor. Ein Flüchtlingsheim wurde angezündet, zehn Menschen starben, 38 wurden zum Teil schwer verletzt, vier Nazis direkt am Brandhaus festgenommen. Einer gestand die Tat.

Die Überschrift dieses Kapitels lautet: "Überlastung der Lübecker Staatsanwaltschaft". Wertvolle Arbeitskraft wurde durch diesen ärgerlichen Zwischenfall von den wichtigeren Mordermittlungen im Fall Barschel abgezogen. Die Sache ist für Heinrich Wille klar: Die Nazis wurden nur festgenommen, weil sie "ins Schema passten", schnell wurde aber der Verdacht gegen einen Hausbewohner handfest und durch eine Abhöraktion in Untersuchungshaft auch bestätigt. Doch die Beweise reichten nicht, so dass "jeder Strafverteidiger" einen Freispruch erreicht hätte. Er ist aber besonders sauer, dass die Rechtsanwältin Gabriele Heinecke den ursprünglichen Verteidiger Hans-Jürgen Wolter "aus dem Verfahren gedrängt" hätte. Sie habe die Unschuldsvermutung für ihren Mandanten in Anspruch genommen, aber für die "vermeintlichen Rechtsradikalen" nicht gelten lassen.

Inhaltlich befasst sich Heinrich Wille nicht damit, auch nicht mit der Tatsache, dass ein zehnfacher Mord in seinem eigenen Verantwortungsbereich ungeklärt blieb. Vielmehr beklagt er sich wortreich darüber, die Aktivitäten der Verteidigerin hätten zu einem "Fegefeuer" geführt, in dem die Staatsanwaltschaft "die Nerven behalten" musste - und sie habe einfach für die wichtigen Aufgaben nicht genug Leute gehabt, drei Staatsanwälte fehlten ihm. Besonders gemein von der Regierung: "Während die Staatsanwaltschaft personell weiter in Engpässe manövriert wurde, wurde die Polizei im entsprechenden Bezirk der Direktion Schleswig-Holstein Süd verstärkt." (Seite 224) Damit kein Missverständnis entsteht: Darüber darf sich ein Oberstaatsanwalt natürlich rückblickend beklagen. Es ist aber sein einziges Problem mit den zehn Toten. Dass seine eigene Behörde den Freispruch für Sawfan Eid beantragt und bekommen hat, dass seine eigene Behörde gegen die vier Nazis nicht ermitteln wollte, erwähnt er nicht einmal - die Begründung wäre weitaus interessanter gewesen als seine Klage über die personelle Verstärkung der Polizei in Lübeck.


Heinrich Wille:
Ein Mord, der keiner sein durfte.
Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtsstaates.
Rotpunktverlag, Zürich 2011, 382 Seiten, 24 Euro.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 281 - Februar 2012, S. 64-65
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2012