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GEGENWIND/466: "Demokratieforen" der Grünen in Schleswig-Holstein


Gegenwind Nr. 270 - März 2011
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

"Die Bevölkerung auf der einen und der Politikbetrieb auf der anderen Seite"


Ab März planen die Grünen in Schleswig-Holstein "Demokratieforen" in verschiedenen Städten (siehe unten). Wir trafen uns mit Eka von Kalben (Landesvorsitzende) und Thorsten Fürter (Landtagsabgeordneter).


GEGENWIND: Ihr ladet zu einem "Demokratieforum" ein. Was ist das, was plant Ihr konkret?

THORSTEN FÜRTER: Es gibt eine große Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Demokratie. Ein Beispiel dafür ist "Stuttgart 21" - aber eigentlich ist es nichts Neues, dass Menschen Unmut über die momentane Umsetzung der Demokratie äußern. Neu ist allerdings, dass das Bürgertum die klassischen Instrumente des Meinungskampfes wieder entdeckt. Das wollen wir aufgreifen und konkret überlegen, wie wir einerseits die direkte, aber auch die repräsentative Demokratie verbessern und erneuern können.

EKA VON KALBEN: Wir haben das "Demokratieforum" genannt, weil wir gerne mit möglichst vielen grünen Mitgliedern, aber auch mit der breiten Bevölkerung ins Gespräch kommen wollen. Wir bieten deshalb diese Foren an vier verschiedenen Standorten in Schleswig-Holstein an, jeweils mit vier Workshops zu verschiedenen Inhalten oder Themen.

GEGENWIND: Welche Themen sind das?

THORSTEN FÜRTER: Als erstes geht es um eine Betrachtung der direkten Demokratie, also um das, was man z. B. "Bürgerentscheid" nennt. Dazu gibt es nach dem Lübecker Entscheid zum Flughafen und der Entscheidung zur Schulreform in Hamburg auch bei den Grünen viele Fragen. Es gilt, sich jetzt genau anzugucken, was in dieser Zeit unsere Antworten sind. In einem zweiten Workshop werden wir uns mit der repräsentativen Demokratie befassen. Welche Defizite sehen wir da? Es gibt dort relativ wenig Reformbewegung.

EKA VON KALBEN: Deshalb haben wir dieses zweite Thema auch genannt: "BürgerInnen nehmen Einfluss auf die Parteilisten. Fluch oder Segen?" Viele Menschen möchten mehr Einfluss nehmen, wie es in Hamburg, Bayern und Baden-Württemberg der Fall ist. Andere halten das für eine Zumutung, weil die normalen Wählerinnen und Wähler viele Kandidaten gar nicht kennen und dadurch nur die Leute nach vorne kommen, die viel mediale Aufmerksamkeit finden. Das wird sicherlich eine spannende Debatte.

Der dritte Workshop soll sich mit der Parteienverdrossenheit insgesamt beschäftigen. Warum beteiligen sich immer weniger Menschen an den Parteien, engagieren sich nicht mehr innerhalb der Parteien? Ein Schwerpunkt soll sein: Wie können wir es schaffen, auch die Menschen mitzunehmen, die bisher besonders weit außerhalb stehen? Das sind Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch Jugendliche, die bisher erst ab dem 18. Lebensjahr wählen dürfen. Das sind Gruppen, die bisher von demokratischen Rechten ausgeschlossen sind.

THORSTEN FÜRTER: Und im vierten Workshop geht es dann darum, wie wir das Internet nutzen können, um Menschen an den demokratischen Prozess heranzuführen.

GEGENWIND: Wie macht Ihr Werbung innerhalb der Partei und außerhalb der Partei?

THORSTEN FÜRTER: Bisher vor allem per Internet. Die Resonanz, die wir bisher bekommen haben, ist überraschend groß. Es gibt in der Partei und darüber hinaus viel Interesse, über die Demokratie zu diskutieren. Wir wollen aber auch die Leute erreichen, die jetzt auf die Straße gehen und z. B. gegen die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken demonstrieren oder die Fehmarnbelt-Querung. Dafür nutzen wir auch die Presse, wie z. B. mit diesem Interview.

GEGENWIND: Eka, Du sagtest, Ihr wollt damit auch die Demokratieverdrossenheit und nachlassendes Engagement in den Parteien aufgreifen. Die SPD zeigt ja gerade mit ihren Veranstaltungen zur Kandidatenwahl, dass es überraschend viel Zulauf und Interesse gibt. Ist es auch eine Antwort der Grünen auf die Veranstaltungen der Konkurrenz?

EKA VON KALBEN: Wir wenden uns nicht gegen Demokratieverdrossenheit, da wir anhand der Menschenkette im letzten Jahr und dem Beispiel Stuttgart 21 gemerkt haben, dass die Demokratieverdrossenheit eigentlich eine Parteienverdrossenheit bzw. sogar eher eine Politikerverdrossenheit ist. Wir Grünen haben im Moment einen großen Zulauf von Menschen, die sich einbringen wollen und nicht verdrossen sind. Unsere Reihe ist keine Reaktion auf die Kandidatenkür der SPD. Ich finde den Vorwahlkampf der SPD aus Demokratiesicht gut, da die Grünen seit Jahren gute Erfahrungen mit der Einbeziehung der Basis in Entscheidungen haben. Es ist gut, wenn auch die SPD sich stärker ihrer eigenen Basis zuwendet.

THORSTEN FÜRTER: Was die SPD im Moment macht, ist sicherlich ein Instrument, mit dem man Menschen motivieren kann, sich wieder für Politik zu interessieren. Die Kandidaten gehen in die Kreisverbände, stellen sich der Diskussion und beantworten Fragen. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt, wenn wir zu einer Bürgerdemokratie kommen wollen.

GEGENWIND: Du hast als Beispiele für direkte Demokratie die Abstimmungen in Hamburg und Lübeck genannt. Die Grünen haben beide Abstimmungen verloren. Warum wollt Ihr mehr davon?

THORSTEN FÜRTER: Wir sind nie rumgelaufen und haben gesagt, wir wollen mehr direkte Demokratie, weil dann die Ergebnisse stimmen. In der Demokratie müssen wir damit leben, dass wir in solche Debatten gehen und sie verlieren. Aber das Hamburger Ergebnis war besonders interessant. Am Schluss war es ja so, dass die gesamte Bürgerschaft gesagt hat: "Wir wollen diese Primarschule einführen", also die sechsjährige Grundschule mit gemeinsamen Unterricht für alle Kinder. Das war einstimmig, von der CDU bis zur Linken. Dagegen stand dann die Entscheidung der Bevölkerung, die das nicht wollte. So etwas kommt in einer Demokratie vor, allerdings ist das nicht mein Verständnis von einer idealen Demokratie. Es sollte nicht zu dieser Aufspaltung kommen: Die Bevölkerung auf der einen und der Politikbetrieb auf der anderen Seite. Es muss Wege geben, diese Vorstellungen zusammenzuführen, bevor es zu solch einem Volksentscheid kommt. Daran müssen wir arbeiten. Wie können wir es schaffen, dass die Kommunikation zwischen Politik und Bevölkerung verbessert wird?

EKA VON KALBEN: Wichtig ist auch, dass wir einerseits die Kommunikation verbessern, andererseits aber auch fair gestalten. Es darf nicht der gewinnen, der die besten finanziellen Mittel oder die besten Möglichkeiten hat, in den Medien aufzutreten. Es muss klare Spielregeln geben. Die Schweiz hat solche Spielregeln aufgestellt - ich glaube, da müssen wir noch nacharbeiten.

GEGENWIND: Wie sieht denn die Demokratie und Beteiligung innerhalb der Partei aus? Wie steht Ihr zum imperativen Mandat, der Bindung der Abgeordneten an Parteibeschlüsse?

EKA VON KALBEN: Ich hatte ja das Beispiel Listenaufstellung in Zusammenhang mit dem Wahlrecht schon angesprochen. Innerhalb der Partei sind wir Grünen schon immer basisdemokratisch aufgestellt. Wir legen den Delegierten keine abgesprochene Gesamtliste vor, sondern für jeden Platz können sich Mitglieder bewerben und tun dies in der Regel auch. Inhaltliche Beschlüsse werden auf Parteitagen gefasst und häufig vorher auch strittig diskutiert.

THORSTEN FÜRTER: Es gibt bei den Grünen eine starke Erwartungshaltung, dass Parteitagsbeschlüsse ernst genommen werden. Das hat nach meinem Eindruck bei den Grünen schon eine besondere Bedeutung. Am Ende muss aber auch der Abgeordnete seine Entscheidung mit dem eigenen Gewissen vereinbaren können.

GEGENWIND: Welche Größenordnungen stellt Ihr Euch für die Veranstaltungen vor?

EKA VON KALBEN: Wir erhoffen uns für jede Veranstaltung 50 bis 100 Teilnehmende, so haben wir bisher die Räume reserviert. Bei den Grünen ist nichts unmöglich. Wenn wir größeren Zulauf haben, werden wir auch das organisieren können.

THORSTEN FÜRTER: Die Veranstaltungen müssen von den Leuten vor Ort getragen werden. Wir hatten uns bei der Vorbereitung überlegt, ob wir Experten einladen wollen. Darauf haben wir verzichtet, denn dann würde es in die klassischen Podiumsdiskussionen münden: Vorne diskutieren drei oder vier kluge Leute und das Publikum kommt in den letzten fünf Minuten zu Wort. Wir planen anders, da wir mit der Bevölkerung und unseren eigenen Mitgliedern in die Diskussion kommen wollen. Die Veranstaltung soll von unten getragen werden.

GEGENWIND: Was wünscht Ihr Euch als Ergebnis? Volksbegehren und Volksentscheid gibt es in Schleswig-Holstein ja schon.

EKA VON KALBEN: Das Demokratieforum soll erst mal ein Marktplatz der Ideen sein. Die Diskussion soll offen sein, da wir kein definiertes Endziel haben. Die nach der Veranstaltung gezogenen Schlussfolgerungen wollen wir nutzen, um hinterher Vorschläge zur Änderung zum Beispiel des Kommunalwahlrechts oder zu Volksentscheiden innerhalb der Partei zu diskutieren auf einem Parteitag zu beschließen und hoffentlich anschließend im Landtag umzusetzen.

THORSTEN FÜRTER: Die klassischen Fragen bei Volksentscheiden waren immer: Wie hoch muss das Quorum sein? Ist der Entscheid auch verbindlich? Wir müssen aber auch zu neuen Instrumenten kommen. Nehmen wir das Beispiel Fehmarnbeltquerung: Wo soll denn ein Volksentscheid durchgeführt werden? Soll die Abstimmung in ganz Deutschland und ganz Dänemark stattfinden? Zu welchem Zeitpunkt? Oder soll man nur auf Fehmarn abstimmen? Der Volksentscheid allein ist noch keine Antwort. Er passt streng genommen eigentlich gar nicht. Kann man im Internet neue Instrumente der Mitwirkung finden? Können wir eine frühzeitige Beteiligung organisieren? Wie können Politik, die Bevölkerung und die Verwaltung näher zusammenrücken? Für mich ist es ein persönliches Ziel, hier Ideen zu diskutieren und zu entwickeln. Ich hoffe, auf dem Demokratieforum können Menschen persönlich sagen, wie sie sich einbringen können und wollen.

GEGENWIND: Sprecht Ihr bestimmte Vereine und Verbände gezielt an, sich an den Foren zu beteiligen?

EKA VON KALBEN: Ja, wir haben sehr engen Kontakt mit zum Beispiel "Mehr Demokratie", die auch an den Foren teilnehmen werden. Aber es gibt auch Kontakte zu Stadtplanern, weil es eben, wie Thorsten sagte, auch darum geht, früher eine Bürgerbeteiligung zu erreichen. Es gibt Beispiele von Planungswerkstätten, die wir gerne vorstellen wollen. Es gibt natürlich auch Einladungen an Bürgerinitiativen etc.

GEGENWIND: In welchen Zeiträumen denkt Ihr? Wann sollen die Ergebnisse in Parteibeschlüsse münden?

THORSTEN FÜRTER: Die Idee Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen und transparent zu diskutieren führt automatisch zur Frage: Macht Ihr das nur jetzt in der Opposition oder noch immer, wenn Ihr in der Regierung seid? Auch bei den Grünen besteht die Gefahr, in der Regierung gute Vorsätze über Bord zu werfen. Ich will, dass wir vor der Wahl ein Versprechen für einen neuen Politikstil abgeben. Wir wollen unsere Politik nicht gegen die Bevölkerung durchdrücken, sondern Menschen mitnehmen, diskutieren und überzeugen. Die schwarz-gelbe Regierung zeigt im Moment einen solchen Stil überhaupt nicht. Wir wollen uns davon unterscheiden und das im Wahlkampf so benennen. Und wenn wir gewählt werden, werden wir auch so handeln.

EKA VON KALBEN: Auf jeden Fall wollen wir die Ergebnisse konkret auch ins Wahlprogramm übernehmen, das wir verabschieden wollen. Die letzte Konferenz soll ja im September sein. Wir hoffen noch immer, dass 2011 Neuwahlen stattfinden. Dann wollen wir die Dinge auch konkret umsetzen. Die Punkte, die zu einer BürgerInnen-Demokratie führen, wollen wir auch kurzfristig umsetzen.


Einladung zum Demokratieforum BÜRGERinDEMOKRATIE

Die Proteste gegen Stuttgart 21 sind zum Symbol geworden für BürgerInnen, die sich von "der Politik" nicht mehr verstanden fühlen. Die Massenproteste, verknüpft mit der Debatte um so genannte "Wutbürger", Politiker- und Parteienverdrossenheit sowie Wahlverweigerung sind klare Signale für Unzufriedenheit mit der existierenden Demokratie.

Wie weiter mit unserer Demokratie? Diese und viele andere Fragen wollten wir in Workshops mit Ihnen und Euch diskutieren. Die Einladung richtet sich ausdrücklich nicht nur an Parteimitglieder.

Nähere Informationen - auch über die einzelnen Workshops - gibt's im Veranstaltungsflyer (www.sh.gruene.de). Um den Raumbedarf planen zu können, bitten wir um Anmeldung per Formular.

Wir bieten die Veranstaltung in vier verschiedenen Städten Schleswig-Holsteins an:

- Sa., 12. März 2011, Pinneberg, Sitzungssaal des Kreistages, Am Drosteipark 19
- Sa., 2. April 2011, Lübeck, Rathaus, Breite Straße 62
- Sa., 7. Mai 2011, Kiel, Landeshaus, Düsternbrooker Weg 70 (für den Einlass ins Landeshaus ist ein gültiger Personalausweis erforderlich)
- Sa., 10. September 2011, Schleswig, Zeit und Ort stehen noch nicht fest


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Quelle:
Gegenwind Nr. 270 - März 2011, Seite 42-44
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2011