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GEGENWIND/438: Protest gegen schwarz-gelbe Weichenstellung in der Energiepolitik


Gegenwind Nr. 265 - Oktober 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Protest gegen schwarz-gelbe Weichenstellung in der Energiepolitik

Von Ingrid Nestle


In der Energiewirtschaft werden die Weichen für den ökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft gestellt. Es geht um gigantische Investitionen, harte Fakten und den größten Beitrag zu den CO2-Emissionen Deutschlands.

Die zentralen Fragen sind:

Wie erzeugen wir in Zukunft die Energie, die wir benötigen?
Wie können wir durch Energie-Einsparung erreichen, dass die benötigte Menge Energie möglichst klein ist?
Wie stellen wir sicher, dass die Energieerzeugung nachhaltig wird und die Energiekosten bezahlbar bleiben?

Die Antworten auf diese Fragen können nur die Erneuerbaren Energien verbunden mit Anstrengungen zur Steigerung der Energieeffizienz liefern. Denn wer den Klimaschutz ernst nimmt, muss im Energiesystem eine klare Entscheidung für die Umstellung auf Erneuerbare Energien treffen. Nur eine grundlegende und verlässliche Wende schafft die notwendige Planungssicherheit für erforderliche Investitionen in Erzeugungskapazitäten sowie Infrastruktur und verhindert Fehlinvestitionen in Atom- und Kohlekraftwerke.

Die Energiepolitik der Bundesregierung steht diametral zu einer sozial, ökologisch und ökonomischen ausgerichteten Grünen Energiepolitik. Bundeskanzlerin Merkel fährt ohne Rücksicht auf Verluste in eine politische Sackgasse. Mit der Unterstützung von Kohlekraftwerken mit CO2-Abscheidung und der damit verbundenen Einlagerung (CCS) und dem Ausstieg aus dem Atomausstieg beschreitet sie einen energiepolitischen Kurs, den weite Teile der Bevölkerung nicht mittragen werden.


Gefährlicher Atom-Deal

Nach dem rot-grünen Atomkonsens und nach dem geltenden Recht sollte mit Atomstrom in gut zehn Jahren Schluss sein. Doch Schwarz-Gelb will sogar die gefährlichsten Reaktoren wie Brunsbüttel und Biblis bis 2020 weiterlaufen lassen. Und Krümmel, einer der störanfälligsten und gefährlichsten Reaktoren überhaupt, bekommt sogar 14 Jahre extra und läuft somit bis 2033 - oder länger. Allein diese Entscheidung zeigt, dass Sicherheit keine Rolle gespielt hat beim Atomdeal der Bundesregierung mit den Konzernen.

Großdemonstrationen mit über 100.000 Menschen wie die Menschenkette gegen Atomkraft am 24.4. und am 18.09. in Berlin sollten Schwarz-Gelb eigentlich zeigen, dass sie sich energiepolitisch in der Sackgasse befinden. Doch von Einsicht keine Spur: Schwarz-Gelb will, dass in Deutschland bis weit in die 2040er Atomkraftwerke laufen. Dabei könnten wir Studien zufolge und dem Grünen Programm schon 2030 den gesamten benötigten Strom erneuerbar produzieren.

Schwarz-Gelb ignoriert den Wunsch der klaren Mehrheit der Bevölkerung. Sie kündigt den vor zehn Jahren mühsam gefundenen gesellschaftlichen Konsens auf. Dabei hat dieser Konsens unserem Land gut getan. Im Schatten dieses Konsens wurde ein von kaum jemandem erwartetes Wachstum der Erneuerbaren Energien erreicht. Dieser Erfolg wird nun durch den Atomdeal von Schwarz-Gelb gefährdet.

Flankiert werden die beiden großen Themen Atomausstieg und CCS durch kleinere Maßnahmen, die nicht immer sofort im Blickpunkt der Bürgerinnen und Bürger liegen. So wurden in diesem ersten Jahr der Legislatur die Fördermittel für Wärmedämmung in Gebäuden massiv zusammengestrichen, ein wirkungsloses Energie-Effizienz-Gesetz verabschiedet und eine transparente Verbrauchskennzeichnung von PKW verhindert.


Energieeffizienz

Die Einsparpotenziale in der Industrie, in Gebäuden und bei Elektrogeräten sind gigantisch. Das Bundesumweltministerium quantifiziert die Potenziale auf 19 Milliarden Euro Einsparungen an den Energiekosten bzw. 77 Millionen Tonnen CO2-Vermeidung bis 2020. Gleichzeitig könnten 260.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Damit ist Energieeffizienz nicht nur ein hochwirksames Mittel für den Klimaschutz, sondern auch ein Motor für die Wirtschaft.

Daher muss sich ein Energieeffizienzgesetz auch daran messen lassen, inwieweit es dieses riesige Potential heben kann. Grüne Vorschläge dazu sind u.a.: eine verbindliche Energieeinsparquote, die Energielieferanten zu Energiesparmaßnahmen am Endkunden bringt; Einrichten eines Energiesparfonds ausgestattet mit 3 Mrd. Euro, damit Gebäudesanierung, Austausch alter Heizungen, Zuschüsse und günstige Kredite für Energiesparmaßnahmen, aber auch Energieberatung unterstützt werden und nachhaltig in den Fokus der Gesellschaft rücken sowie das Einführen von Energiemanagementsystemen für energieintensive Unternehmen.

Von der Regierung wurde hingegen ein Gesetz vorgelegt, das noch nicht einmal die von der Europäischen Union in der Energiedienstleistungsrichtlinie geforderte und noch dazu wenig ambitionierte Einsparung um neun Prozent bis zum Jahr 2016 erreicht. Das Einzige, was von diesem Energieeffizienzgesetz bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern ankommt, ist ein Hinweis auf eine Internetseite auf ihrer Stromrechnung. Also praktisch nichts, das Effizienzgesetz dient lediglich als Feigenblatt. In dieses Bild passen auch die Streichungen im CO-Gebäudesanierungsprogramm, die Streichung des Mini-KWK Programms und Kürzungen beim Marktanreizprogramm, das Zuschüsse für Solarthermie, Heizungen mit Biomasse und Wärmepumpen vergibt.

Dabei tragen sowohl das Programm zu Gebäudesanierung als auch das Marktanreizprogramm der Langfristigkeit von Klimaschutzinvestitionen Rechnung und fördern gleichzeitig Arbeitsplätze in der Region. Denn jeder Euro, der im Rahmen des Marktanreizprogramms investiert wird, zieht bis zu acht Euro an Folgeinvestitionen nach sich. Daher sollten die Mittel des Programms nicht gekürzt, sondern viel eher aufgestockt werden.


Netze / Leitungen

Im Kreis Nordfriesland wird besonders deutlich, dass der Ausbau der Netze für Energie mit den wachsenden Anforderungen nicht Schritt hält: Im Kreis wird mehr als doppelt so viel Energie erzeugt wie verbraucht. Doch ein Teil des Stroms kann mangels ausreichender Netzkapazitäten nicht ins Netz eingespeist werden. Der Ausbau der Stromübertragungsnetze hat also eine Schlüsselfunktion für die schnelle Steigerung der erneuerbaren Stromproduktion.

Die grüne Fraktion hat gleich zu Beginn des Jahres einen Haushaltsantrag vorgelegt, der den Ausbau der Netze und Leitungen massiv beschleunigen soll und der Anschubfinanzierung für die Modernisierung der Stromnetze dient.

Darunter fühlt auch der Aufbau einer Infrastruktur für die verlustarme Langstrecken-Stromübertragung wie zum Beispiel HGÜ-Leitungen (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung).


Verkehr

Mit einem ambitionierten Label zur Kennzeichnung von PKW könnten laut Umweltbunde samt bis 2020 jährlich 4,1 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Die von der Bundesregierung vorgelegte PKW-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung ist jedoch keine sinnvolle Entscheidungshilfe für den Kauf verbrauchsarmer Pkw. Die Verordnung sieht vor, farbig gekennzeichnete Effizienzklassen von "A++" bis "G" aus dem Verhältnis von CO2-Ausstoß pro Kilometer zum Fahrzeuggewicht abzuleiten. Nach Berechnungen des Verkehrsclub Deutschland bekäme der Porsche Cayenne Hybrid, eine geländegängige Luxuslimousine mit einem Verbrauch von 8 Liter auf 100 Kilometer, die gute Kennzeichnung B. Kleinwagen wie ein Toyota Aygo mit einem Verbrauch von 4,5 Liter auf 100 Kilometer bekämen hingegen ein deutlich schlechteres D. Mit dieser Kennzeichnung. ist wohl niemandem geholfen, außer den Herstellern von schweren Spritfressern. Dies haben die Regierungsfraktionen im Wirtschaftsausschuss auch ganz offen zugegeben: Es geht ihnen nicht um Energieeffizienz, sondern allein um die Förderung deutscher Autoindustrie. Richtig traurig ist, dass sie bei absehbar stark ansteigenden Ölpreisen noch nicht einmal der Autoindustrie etwas Gutes tun, wenn sie sie zum Bau möglichst schwerer Wagen ermutigen.


Wettbewerb

Die Bundesregierung selbst erhebt an ihr Konzept den Anspruch, die angestrebte Laufzeitverlängerung wettbewerbsneutral ausgestaltet zu haben. Davon ist aber nichts zu merken. Dieser "Kompromiss" nutzt nur den vier Atomkonzernen. Deren Gewinne sollen nur zu 50 % abgeschöpft werden. Nach allem, was bisher über den zunächst ganz geheim gehaltenen Vertrag mit den vier Konzernbossen bekannt ist, wird es jedoch noch weit weniger sein. So gehen zum Beispiel alle Sicherheitskosten jenseits von 8,5 Milliarden auf Kosten der Erneuerbaren - das BMU schätzt die notwendigen Nachrüstungen aber auf 20 Milliarden! Ähnliches gilt für andere Kosten.

Auch das Versprechen, durch eine Laufzeitverlängerung den Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht zu verlangsamen, musste die Regierung brechen. Denn wie selbst das von Schwarz-Gelb in Auftrag gegebene Energiekonzept gezeigt hat, führt die Laufzeitverlängerung zwangsläufig zu einem verlangsamten Ausbau von Windstrom.


Fazit

Mit der Aufkündigung des Atomkonsens von 2000 befeuert Schwarz-Gelb die Renaissance des Widerstandes. Das ist auch verantwortungslos gegenüber den Polizisten, die im Wendland und anderswo für eine falsche Politik gerade stehen müssen. Eine Politik gegen die Bevölkerung, das Aufreißen gesellschaftlicher Gräben, das Ignorieren wissenschaftlicher Erkenntnisse und das ungebremste Hinterlassen ungelöster Probleme für unsere Kinder ist nicht gut für Deutschland. Auf welchen Werten auch immer die Politik der Christlich Demokratischen Union Deutschlands beruht - auf christlichen Werten jedenfalls nicht.


Ingrid Nestle
schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete, sitzt seit einem Jahr für Bündnis 90/ Die Grünen im Bundestag. Die Diplom-Wirtschaftsingenieurin mit dem Schwerpunkt "Nachhaltige Energieversorgung" arbeitete vorher fünf Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Flensburger Universität im Bereich Energiewirtschaft und Umweltpolitik. In ihrer Fraktion ist Ingrid Nestle Sprecherin für Energiewirtschaft.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 265 - Oktober 2010, Seite 23-25
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2010