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GEGENWIND/413: Brunsbüttel - Ein Atomkraftwerk - dazu vier Kohlekraftwerke?


Gegenwind Nr. 259 - April 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Brunsbüttel:
Ein Atomkraftwerk - dazu vier Kohlekraftwerke?

Von Karsten Hinrichsen und Stephan Klose


Dieser Beitrag stellt eher Fragen als dass er Antworten geben könnte. Die Bürgerinitiative Gesundheit und Klimaschutz Unterelbe/Brunsbüttel (BI), www.bi-unterelbe.net, würde sich freuen, wenn es zu einer intensiven Diskussion mit den Leserinnen käme, damit wir mit Hinweisen, Lösungsansätzen, politischen Ideen, Links usw. in unserem Widerstand gestärkt werden.


In Brunsbüttel plant die Gaz de France (GDF) ein Kohlekraftwerk der 800 Megawatt-Klasse. Das entspricht einer elektrischen Leistung, die 10 % größer ist als die des AKW Brunsbüttel.

Die Tübinger SüdWestStrom (SWS), ein "Stadtwerkeverbund" von derzeit ungefähr 70 regionalen Energieerzeugern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, plant einen Doppelblock mit gut 1800 Megawatt.

Im benachbarten Dorf Büttel plant die Hannoversche Firma Getec ein weiteres Kohlekraftwerk, ebenfalls mit 800 Megawatt Leistung.

In Schleswig-Holstein wird schon heute dreimal so viel Strom erzeugt wie verbraucht wird. Die geplanten Kohlekraftwerke könnten so viel Strom erzeugen wie die drei Atomkraftwerke (AKWs) in Schleswig-Holstein, Brunsbüttel, Brokdorf und Krümmel zusammen.

Bisher ist keines der Kohlekraftwerke genehmigt. Bebauungspläne (B-Pläne) liegen vor. Eine 370.000 Tonnen große Müllverbrennungsanlage (MVA) wurde 2009 genehmigt. Sie wird jedoch derzeit nicht gebaut, wahrscheinlich, weil es zu wenig Müll gibt. Es gibt schon zwei Sondermüllverbrennungsanlagen in Brunsbüttel, eine weitere, kommunale MVA ist im Gespräch.

Warum werden in Brunsbüttel Kohlekraftwerke geplant?

Die Antragsteller werben mit folgenden Argumenten:

drohende Stromlücke
hoher Bedarf an neuen Erzeugungskapazitäten, weil alte abgängig seien
höherer Wirkungsgrad als bei alten Kohlekraftwerken
bessere Schadstoffrückhaltung als bei alten Kohlekraftwerken
erneuerbare Energien seien auf absehbare Zeit zu teuer und könnten den Strombedarf nicht decken Aufbau einer Konkurrenz zu den großen Energieversorgungsunternehmen (EVU) und dadurch Senkung der Energiepreise preiswerte Kohleanlieferung durch Hochseehafen
keine Kühltürme erforderlich, da Frischwasserkühlung über die Elbe möglich
wohlwollende Begleitung durch die Landespolitik
Unterstützung durch die Stadt Brunsbüttel
der Widerstand in der Bevölkerung sei gering
Klimaschutz durch CO2-Abtrennung Arbeitsplätze
Gewerbesteuereinnahmen der Stadt Kohle komme aus politisch stabileren Regionen als Gas
erforderliche Bebauungspläne vorhanden bzw. unproblematisch zu erhalten

Anhörungen im Genehmigungsverfahren

Schon im Jahr 2006 begannen die Genehmigungsverfahren mit den Scoping-Terminen. Sie sind bei umweltrelevanten Planungen vorgeschrieben, um abzuklären, welche Auswirkungen das Projekt auf die Umwelt haben kann. Es ist nicht unüblich, dass bereits Jahre vorher Gespräche mit einflussreichen Politikern, Behörden und Ministerien geführt werden, um die Genehmigungsaussichten abzuklären. So ist uns vom Bütteler Bürgermeister Richard Schmidt bekannt, dass er schon ungefähr 18 Monate vorher Gespräche mit der Getec geführt hatte, bevor er seine Gemeinde davon in Kenntnis setzte.

Warum macht der Bürgermeister einer 40-köpfigen Gemeinde das? Büttel hat bereits das höchste Gewerbesteueraufkommen pro Kopf im Kreis Steinburg. Warum wurde er dennoch nach der Kommunalwahl erneut zum Bürgermeister gewählt? Warum verhindert er bis heute eine Abstimmung über die Frage: "Befürwortet die Gemeindeversammlung den Bau eines Kohlekraftwerks auf ihrem Gebiet?" Und: warum ergreift niemand in der Gemeinde die Initiative zur Klärung dieser Frage?

Im Juni 2007 erschien das Grünbuch "Schleswig-Holstein Energie 2020" des damaligen Wirtschaftsministers Dietrich Austermann. Die folgenden Wirtschaftsminister Werner Marnette, Jörn Biel und Jost de Jager haben sich zu den darin vertretenen Inhalten zumindest bisher nicht geäußert: Der Zug ist eben auf die Schiene gesetzt, und die nachgeordneten Ministerien, Fachbehörden, Landesämter, unteren Wasserbehörden usw. funktionieren dank weisungsgebundener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Entspricht es rechtsstaatlicher Gewaltenteilung, dass Minister die Genehmigungen vorweg nehmen?


Aus einem Brief der BI vom 3.2.2010 an die Umweltministerin:

Die Bürgerinitiative fürchtet, dass vier Kohlekraftwerksblöcke der 800- bis 900-MW-Klasse die Region in und um Brunsbüttel und die Wilstermarsch grundlegend verändern werden:

die Qualität der hier erzeugten landwirtschaftlichen Produkte wird sich durch Tonnen schwermetallhaltiger Stäube verschlechtern, die auf den Flächen deponiert werden.
der Schadstoffgehalt im Elbwasser und in den Elbfischen wird wieder ansteigen; auch der Landessportfischerverband befürchtet eine Verschlechterung des Zustandes der betroffenen Ökosysteme
eine ganze Reihe von FFH- und EVG-Gebieten mit ihrer teilweise gefährdeten Fauna und Flora bis hin zu prioritären Arten ist negativ betroffen
der aufblühende Tourismus in der Region wird einen Rückschlag erleiden
die Naherholungsfunktion von Elbe und Landschaft wird gemindert
der ländliche Raum wird seinen Charakter einbüßen
der klimarelevante CO2-Ausstoß von Schleswig-Holstein wird sich verdoppeln
der Küstenschutz wird durch den zu erwartenden Meeresspiegelanstieg erschwert.

Fragen an die Landespolitik

Oben wird aus einem Brief der BI an die Ministerin Dr. Rumpf (CDU) zitiert. Der Brief macht deutlich, wie viele Ressorts im Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume bei den Genehmigungen mithelfen - es ist beeindruckend, in wie vielen für die Erteilung der Genehmigungen relevanten Fragen sie die Fachaufsicht führt. Dr. Juliane Rumpf hat bislang nicht ihre Position zu den Kohlekraftwerks-Planungen bekannt gegeben. Es muss davon ausgegangen werden, dass die schwarz-gelbe Landesregierung die Ansiedlungen von Kohlekraftwerken genauso protegiert wie die schwarzrote. Das mag noch angehen. Doch warum äußert sich die aus der "Regierungsverantwortung" entlassene SPD nicht? Wo sind die Versuche der neuen Opposition, die Kohlekraftwerke parlamentarisch zu stoppen? Die erforderliche wasserrechtliche Erlaubnis zur Entnahme von Elbwasser und zur Einleitung von Schadstoffen mit dem erwärmten Kühlwasser ist eine Ermessensentscheidung. Sie muss also nicht erteilt werden.

Das Grünbuch unterstützt die Planungen von Kohlekraftwerken: "In Schleswig-Holstein könnten bis 2011 mindestens drei Offshore-Windparks ans Netz gehen. Allerdings muss dies mit Kohlekraftwerken vergleichbarer Leistung abgestützt werden, die den CO2-Ausstoß in Schleswig-Holstein verdreifachen können." Warum unterstützt die Landespolitik die Ansiedlung von drei Kohlekraftwerken mit einem beantragten CO2-Ausstoß von fast 20 Millionen Tonnen pro Jahr? Außerdem müsste der Kai des Elbehafens um ungefähr 330 Meter verlängert werden, um die Kohlefrachter entladen zu können. Dafür wird die Landesregierung wohl Zuschüsse bewilligen.

Warum ist der zuständige Fachbeamte im Wirtschaftsministerium, Dr. Gustav Sauer, der Auffassung, die Schwankungen von Wind und Sonne müssten ausgerechnet mit wenig regelbaren Kohlekraftwerken "abgestützt" werden? Auf der Internet-Seite der Leipziger Strombörse werden immer häufiger Tage genannt, an denen wegen des Überangebots an Windstrom Stromhändler Strom ordern konnten und noch Geld dazu bekommen, weil Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke nicht weit genug gedrosselt wurden. Warum behindert der gleiche Beamte die Ansiedlung eines Gaskraftwerks und die Errichtung von Biomassekraftwerken in Brunsbüttel?

Warum hat die Landesplanung kerne Einwände dagegen, dass die vorrangig für Erdöl verarbeitende Chemieanlagen vorgesehenen Industrieflächen in Brunsbüttel für Kohlekraftwerke missbraucht werden; und damit auch die Entwicklungsmöglichkeiten des Elbehafens eingeschränkt werden?

Warum hat die Landesplanung darauf bestanden, dass der Bebauungsplan der Stadt Brunsbüttel für die SWS geändert werden musste, um mit dem Zusatz "nur Frischwasserkühlung erlaubt" den Bau von Kühltürmen zu verhindern, die immerhin das Ökosystem Elbe entlasten würden? Weil das Land wegen seinen Spekulationen mit der HSH-Bank dringend Geld benötigt? Die drei Kohlekraftwerke würden immerhin ungefähr 25 Millionen Euro pro Jahr über die Oberflächenwasserabgabe einspielen. Verkauft die Regierung die Gesundheit und Lebensqualität der Anwohner an Heuschrecken-Firmen und das Klima gleich mit?


Schadstofffrachten gemäß Scopingunterlagen und Kosten nach einer Studie des Umweltbundesamtes:

Feinstaubproblematik

Grenzwertempfehlung WHO:        
Grenzwert Schweiz
Grenzwert Deutschland
    10 μg/m3
    20 μg/m3
    40 μg/m3
Belastung in Brunsbüttel bereits VOR den Kraftwerksneubauten

ca. 23 μg/m3

Belastungen durch insgesamt 4 geplante Kohlekraftwerksblöcke


Kohlendioxid:
Schwefeldioxid:
Stickstoffdioxid:
Feinstaub:
Blei, Cadmium:
Quecksilber:
Arsen, Nickel:
17 Mio. Tonnen/Jahr(*)
13.000 Tonnen/Jahr  
13.000 Tonnen/Jahr  
1.300 Tonnen/Jahr  
2.800 Kilo/Jahr    
2.200 Kilo/Jahr    
1.000 Kilo/Jahr    
Schadstoffkosten(**) 4 Milliarden
40 Millionen
40 Millionen
15 Millionen



(*) Quelle errechnet nach Angaben der Antragsteller
(**) Quelle Studie des Umweltbundesamtes (April 2007) über Folgekosten für Klima, Gesundheit, Ernteausfälle etc., in Euro


Die Tabelle oben zeigt die Gesundheits- und Klimakosten in Euro pro Jahr durch die in Brunsbüttel geplanten Kohlekraftwerke, ermittelt nach Angaben der Antragsteller und einer Studie des Umweltbundesamts (April 2007).

Das Land hat der SWS landeseigene Flächen als Baugelände verkauft. Da die Kaufsumme ungefähr 7 Millionen Euro beträgt, musste der Landtag dem Vertrag zustimmen. Unseres Wissens kannte keiner der "die Regierung kontrollierenden" Landtagsabgeordneten den Wortlaut des Optionsvertrags zwischen Land und SWS. Dass dies überhaupt problematisch sein könnte, war offensichtlich keiner Partei bewusst; denn so ist es eben üblich und durch die Geschäftsordnung festgelegt. Nicht einmal der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Hans-Jörn Arp (CDU), will den Vertrag zu Gesicht bekommen haben. Auch die Grünen haben sich - trotz Bitten der BI - nicht die Mühe gemacht, Einblick in den Vertrag zu nehmen, was (mit der Verpflichtung, die Inhalte nicht auszuplaudern) auf Antrag möglich wäre. Ist das Demokratie oder Kontrolle der Exekutive? Wer kennt den Vertrag überhaupt, außer dem Notar?

Die BI hat eine teilweise "geschwärzte" Fassung durch eine Anfrage nach Informationsfreiheitsgesetz erhalten.


Brunsbüttel und seine Bebauungspläne

Die Stadt Brunsbüttel ist hinter den Kohlekraftwerken her wie der Teufel hinter der Seele. So wurde auch voller Missgunst der Nachbar-Gemeinde Büttel angedroht, die Errichtung der Kohletransportbänder zur Versorgung des dort geplanten Kohlekraftwerks der Getec zu verhindern.

Der auf das Vorhaben bezogene B-Plan für das Kohlekraftwerk der SWS wurde vom Stadtrat fast einstimmig - nur gegen die Stimmen der WIR, die mit ihrer ablehnenden Haltung Kommunalwahlkampf gemacht hatte - verabschiedet. Der Satzungsbeschluss für den B-Plan der GDF (ca. ein Jahr später) erfolgte nur noch mit 12 zu 11 Stimmen. Das schreibt sich die BI ihrer ständigen Aufklärungsarbeit zu.

Übrigens: Um als Diskussionspartner von den Parteien akzeptiert zu werden, hat die BI sich einer gemäßigten Sprache bedient und Reizthemen wie "Stilllegung des AKW" ausgeklammert. Dass dies nicht von allen BI-Mitstreitern gut geheißen wurde, ist klar. Die BI musste auch viel Überzeugungsarbeit leisten, um die am meisten betroffene Bevölkerung im Stadtteil Süd, nur knapp 400 m entfernt vom Kraftwerk der GDF, zur Mitarbeit zu gewinnen.

Verdrängen die am meisten betroffenen Menschen die auf sie zukommenden Gefahren? Weil die Vorstellung nicht auszuhalten ist? Auch wenn z.B. die Immobilienpreise dramatisch sinken werden?

Der Bürgermeister der Stadt, Wilfried Hansen, und der Rat haben in den B-Plänen keinerlei Vorgaben gemacht, um die Bevölkerung vor Schadstoffbelastungen zu schützen. Die Anträge unterschreiten zwar zum Teil die Vorschriften und Höchstgrenzen des Bundesimmissionsgesetzes, erreichen jedoch die Umweltschutzauflagen in vielen anderen europäischen Ländern nicht! Besonders skrupellos verhalten sich die beteiligten Investoren aus der Schweiz, wo überhaupt keine Kohlekraftwerke gebaut werden dürfen!

Eine Reihe von Kommunen, in denen Kohlekraftwerke geplant sind, hat mittlerweile von ihrem Planungsrecht Gebrauch gemacht, bis hin zur Ablehnung z.B. Krefeld. Nicht einmal eine Versorgung der Stadt Brunsbüttel mit Fernwärme wurde vereinbart. Die Stadt ist ihrer Abwägungspflicht bei viele Rechtsfragen nicht nachgekommen, sondern hat die Klärung den folgenden Genehmigungsverfahren überlassen. Das ist sträflich leichtsinnig, wie sich jetzt nach dem Urteil des OVG Münster zum in Datteln bereits im Bau befindlichen Kohlekraftwerk der e.on herausstellt Warum stellt die Stadt derart nachlässige B-Pläne auf, mit denen sie sogar Gefahr läuft, schadensersatzpflichtig zu werden? Warum begrenzt sie den Lärm für die Bevölkerung nicht entsprechend den wohnbaulichen Gegebenheiten? Warum opfert die Stadt Filetgrundstücke in Hafennähe für Kohlekraftwerke, so dass sie gleichzeitig drei namhafte Hersteller von Windkraftanlagen (Vestas, Repower, Siag) nicht halten konnte? Gibt es Absprachen zwischen Land und Stadt, dass Brunsbüttel der neue "Kohlenpott" werden soll und neue Technologien, die mit viel mehr Arbeitsplätzen verbunden sind, sich anderswo ansiedeln sollen?

Immerhin: Es läuft bereits eine Normenkontrollklage gegen den B-Plan für die SWS. Gegen den B-Plan für die GDF ist eine Klage in Vorbereitung.


Aus der Arbeit der BI

Die BI gründete sich im Dezember 2007. Sie arbeitet überparteilich, hat keinen Vorstand und ist (nach mehreren Debatten) kein eingetragener Verein. Trotz (oder wegen?) dieser lockeren Struktur funktioniert die Arbeit ausgesprochen gut: Wer eine Idee hat, muss eben andere zum Mitmachen gewinnen oder es allein machen. Bei der Pressearbeit hat sich das Vier-Augen-Prinzip als ausreichend erwiesen. Die Zahl derjenigen, die an den alle 14 Tage stattfindenden BI-Sitzungen teilnehmen, wächst moderat. Derzeit sind es meistens 30 Personen. Dennoch lastet die Arbeit zwischen den Sitzungen auf wenigen Schultern, weil die allermeisten berufstätig sind.

Wir haben viel Zeit für den Internet-Auftritt der BI investiert, für die Erstellung professioneller Info-Schriften, Faltblätter, Formulierung von Sammeleinwendungen, Beratung von Gemeinden, Vernetzung mit anderen Umweltverbänden und BIs.

Wir erläutern unseren Standpunkt bei Verbänden, Berufsgruppen wie z. B. Landwirten, waren zur Aufklärung in der Schweiz, haben eine machtvolle Demonstration organisiert. Wir freuen uns über die nicht nur finanzielle Unterstützung durch die Klima-Allianz und die Deutsche Umwelthilfe. Die BI wurde bereits mehrmals durch Spenden der Gemeinden, des BUND und der GRÜNEN und - natürlich - von Einzelpersonen gefördert. Wir haben schmerzlich erkannt, dass im Umweltschutz kaum etwas ohne Geld möglich ist, schon gar nicht die Anrufung von Gerichten.


Woran mangelt es unserem Widerstand?

Die Verbände (Gewerbeverein, Kirche, Sportvereine, Bauernvertretung usw.) können sich nicht dazu durchringen, öffentlich gegen die Kohlekraftwerke Stellung zu beziehen. Die Gemeinden haben zwar alle gegen die Kohlekraftwerke schriftliche Einwendungen erhoben, jedoch bleibt die Ablehnung ansonsten merkwürdig still. Der Kreisbauernverband hat zwar auch Einwendungen für die Landwirte formuliert, hat sich aber auf den beiden letzten Erörterungsterminen nicht blicken lassen. Die Landwirtschaftskammer, in der alle Bauern in Schleswig-Holstein Zwangsmitglied sind, durfte auf Druck aus dem Landwirtschaftsministerium keinen Vertreter entsenden! Warum das keinen Proteststurm entfacht hat, ist uns unbegreiflich; schließlich geht es vor allem um die Existenz der Landwirte, die Gefahr laufen, dass ihre Produkte wegen der Schadstoffe in den Lebensmitteln, die über Luft und Wasser auf die Felder und in die Pflanzen geraten, nicht mehr verkäuflich sein werden.

Der Tourismusverband schweigt - die Zahl der Übernachtungsgäste an der Unterelbe stieg bisher, das wird kaum so bleiben.

Unsere Spendenaufrufe an Privatpersonen finden nur ein geringes Echo. Viele Menschen in Brunsbüttel und der Wilstermarsch wollen möglichst nicht mit der Bedrohung durch die vielen Kohlekraftwerke konfrontiert werden - daher können sie auch die verschiedenen Vorhaben nicht auseinanderhalten. So erklärt es sich, dass beim Sammeln von Unterschriften gegen die Planungen - es waren bislang fünf solcher Sammlungen erforderlich! - zu hören war: Aber ich habe doch schon unterschrieben.

Dennoch wurden ca. 6.000 Unterschriften gegen die Genehmigungs-Anträge der SWS geleistet: bei 30.000 Einwohnern in der näheren Umgebung sind das beachtliche 20%.

Die Ablehnung der Kohlekraftwerke hat sich auch in der Kommunalwahl und in den Wahlen zum Landtag und Bundestag bemerkbar gemacht; jedoch erwartungsgemäß nicht in einem Ausmaß, dass die oberen Funktionäre von SPD und CDU hätten zurückrudern müssen.

Besonders erbittert hat uns der Informationsbrief Nr. 10 der SWS vom Januar 2007, in dem mit folgendem Argument um Gesellschafter geworben wird: "Da die Brunsbüttler Bürger aber schon seit Jahren mit Großindustrie leben, ist nicht mit Problemen bzw. unvernünftigen Einwendungen zu rechnen."


Worin liegen die Unterschiede im Widerstand gegen Kohlekraftwerke und CO2-Deponierung?

Wir würden zu gern wissen, warum der Aufstand gegen die geplante CO2-Verpressung in Nordfriesland in salinen Aquifären derart massiv war. Er hat dazu geführt, dass das zur Verabschiedung reife CCS-Gesetz im Bundestag von der Tagesordnung genommen wurde. Es war zu schön mitzuerleben, mit welch Riesensprüngen unser Ministerpräsident der Volksmeinung hinterher hüpfte. Sage also niemand, Widerstand habe ja doch keinen Zweck. Leider tun es aber viele - vielleicht aus Bequemlichkeit? Wenn Politiker befürchten, ihr Mandat zu verlieren, sind sie (zumindest vorübergehend) zur Umkehr bereit.

Der Widerstand in Nordfriesland war äußerst emotional; denn die RWE hatte versäumt, die positiven Aspekte ihres Vorhabens zu kommunizieren, falls es die gibt. Die Vorstellung, CO2 könnte aus dem Boden quellen und Menschen ersticken, erzeugte Ängste. Außerdem schlug der nachlässige Umgang mit dem Atommüll gerade hohe Wellen.

Die Kohlekraftwerke in Brunsbüttel werden dagegen eindringlich mit positiv besetzten Schlagworten beworben: "wir brauchen Strom", "zusätzliche Arbeitsplätze", "Aufträge ans örtliche Handwerk", "Steuereinnahmen", "Dezentralisierung der Stromerzeugung", "sinkende Strompreise", "moderne Technik", "Grenzwerte zum Schutz der Bevölkerung werden unterschritten", "höherer Wirkungsgrad als alte Kraftwerke", "alte Kraftwerke werden dafür abgeschaltet" und so weiter.

Unsere Überzeugung ist: All dies kann mit dem Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien viel eher erreicht werden.

Obwohl die BI immer wieder erklärt hat, sie begrüße umweltverträgliche Investitionen, z. B. die Ansiedlung von Windenergieanlagenherstellern, auch ein Gaskraftwerk, dessen anfallende Wärme zur Beheizung der Stadt und als Prozesswärme für die benachbarte Industrie genutzt wird, wird uns nur zu gern Industriefeindlichkeit vorgeworfen. Leider haben wir es bisher nicht geschafft, ein Energiekonzept für den Raum Brunsbüttel zu erarbeiten.

Die Brunsbütteler Presse hat zwar über unseren Widerstand berichtet, doch dies erfolgte oft unwillig, manchmal wurden unsere Argumente sogar ins Lächerlich gezogen. Die Werbeeinnahmen und die Einflussnahme der in der Landespolitik wichtigen Lokalmatadoren mag ein Grund sein. Überregional erschienen nur zweimal Berichte.

Ganz anders die Berichterstattung über den Widerstand in Nordfriesland: Wir gratulieren der dortigen BI. Für Hinweise, wie die vorhandene Ablehnung der Kohlekraftwerke sichtbar gemacht werden kann, sind wir dankbar.


Anmerkungen zu den Erörterungsterminen

1. GDF

Die Erörterungstermine über den Antrag der GDF nach Bundesimmissionsschutz-Gesetz und nach Wasserrecht fanden Anfang 2009 statt. Obwohl das renommierte Büro Fichtner die Antragsunterlagen erstellt hatte und auf dem Termin begründete, konnten wir EinwenderInnen, unterstützt von Sachbeiständen und Anwälten, viele Mängel aufdecken.


Beispiel 1:

Die Lärmbelastung der AnwohnerInnen und die Kühlwasserentnahme stellten sich als Hauptprobleme heraus. Die von Einwenderseite gestellten Anträge auf Beseitigung der Fehler in den vorgelegten Gutachten erwiesen sich als fundiert. Beispiele: die Ausbreitung des erwärmten Kühlwassers war vom Bundesamt für Wasserbau (BAW) berechnet, das gern als behördlicher, d. h. unabhängiger Obergutachter beauftragt wird. Die Verhandlungsleitung hat es zugelassen, dass es ca. 3 Stunden dauerte, bis der Antragsteller zugab, dass das BAW auch schon für die GDF im Genehmigungsverfahren Stade "gegutachtet" hatte, also mehrfach als Parteigutachter tätig war. Im Gutachten für Brunsbüttel tauchte dummerweise mehrmals der Name Stade auf.


Beispiel 2:

Die Firma, welche die Fischscheuchanlage bauen soll, musste - wieder nach vielen Versuchen, diese Information zu erhalten - zugeben, noch nie eine Anlage für Brackwasser (mit bei Ebbe und Flut wechselndem Salzgehalt) gebaut zu haben. Es ist bekannt, dass das AKW Brunsbüttel, wenn es in Betrieb war, immer der größte Fischer an der Unterelbe war; bis zu 160 Tonnen Fische pro Jahr wurden angesogen und getötet - denn die Fische ließen sich partout nicht scheuchen. Das Kohlekraftwerk der GDF soll pro Sekunde 30.000 Liter Elbwasser zur Kühlung einsaugen.

Bis heute hat die GDF keine neuen Unterlagen vorgelegt. Das mag auch daran liegen, dass die GDF mit dem Standort Stade noch ein zweites Eisen im Feuer hatte (in Wilhelmshaven wird bereits gebaut). Der Standort Stade wurde vor kurzem aufgegeben, weil auch dort die Wohnbebauung zu nah an das vorgesehene Kraftwerksgelände heranreicht. Nun wird sich GDF vermutlich mit Nachdruck dem einzig verbliebenen Standort Brunsbüttel widmen.


2. SWS

Die Erörterungstermine über den Antrag der SWS nach Bundesimmissionsschutz-Gesetz und Wasserrecht fanden Anfang 2010 statt.

Die Anträge der SWS litten unter dem Mangel, dass sie mit "Bordmitteln" erstellt waren - obwohl die Geschäftsführerin auf den Erörterungsterminen der GDF "Mäuschen" gespielt hatte. Ursache dafür war wohl, dass der als Planerin vorgesehene spanische Energiekonzern Iberdrola, der ursprünglich einen der zwei geplanten Blöcke betreiben wollte, sich vorher von dem Projekt verabschiedet hatte.

Probleme, die zur Erlangung der Genehmigungen zu beseitigen sind:

a) Die SWS hat ein um 20 % größeres Kraftwerk beantragt als auf dem Baugelände zulässig ist.

b) Die SWS verfügt nicht über die zur Baustelleneinrichtung erforderlichen Flächen.

c) Es werden bis zu 600 kg Quecksilber und zusätzlich weitere krebserregende Schadstoffe pro Jahr auf die landwirtschaftlichen Flächen niederrieseln.

d) Es sollen Stoffe in die Elbe eingeleitet werden, die die Wasserqualität extrem gefährden.

e) Der Kühlwassereinlauf von 60.000 Liter pro Sekunde für zwei Blöcke soll genau da liegen, wo nach Auskunft der Elbfischer die meisten Fische vorbeischwimmen.

f) Die erforderliche Fischscheuchanlage wurde lediglich als "Prinzipskizze" vorgestellt.

g) Der Stickstoffeintrag in Naturschutzgebiete in der Nähe ist - nach Europarecht - zu hoch.

h) Eine rechtliche Posse am Rande: Es ist nicht klar, ob die Schadstoffeinträge auf Flächen, die bei Ebbe trocken fallen, nach Wasserrecht oder Immissionsschutzrecht zu bewerten sind: Das Wasserrecht stellt höhere Anforderungen.


Das Verhalten von Behördenmitarbeitern auf den Erörterungsterminen

Die EÖT fanden in einer vergleichsweise entspannten Atmosphäre statt: man/frau kannte sich ja mittlerweile. Die Versammlungsleitung hatte (so unser Eindruck) die Aufgabe, einen Abbruch der EÖT - trotz fehlender und fehlerhafter Antragsunterlagen - zu vermeiden. Alle Wortbeiträge wurden geduldig angehört, bei drohenden Befangenheitsanträgen wurde sofort zurückgerudert.

Ansonsten waren die in Vielzahl anwesenden Behördenvertreter auffällig ruhig bis desinteressiert: an den Antragsteller wurden keine Fragen gestellt, Fragen der Einwender wurden häufig ausweichend beantwortet, keine Hinweise darauf, welche Themen genehmigungsrelevant sein könnten. Wenn ein Behördenvertreter sich kritisch zur Genehmigungsfähigkeit äußerte, war spürbar, dass dies missbilligt wurde. Dr. Gustav Sauer aus dem Wirtschaftsministerium machte mit seinen Ausführungen überdeutlich, dass es Ärger gäbe, falls die untere Behördenebene nicht genehmigen sollte.

Die wasserrechtliche Erlaubnis wird von der Wasserbehörde der Kreises Dithmarschen erteilt; die immissionsschutzrechtliche vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR). Aber es war offensichtlich, dass die Spitze des Ministeriums selbst die Fäden in der Hand hält. So gibt es Hinweise, dass Bestrebungen, die Kohlehalden wenigstens einzuhausen, von der Ministeriumsleitung abgeblockt wurden. Die Behörden achten lediglich darauf, möglichst fehlerfreie Bescheide zu erlassen, damit eventuelle Klagen keinen Erfolg haben. Die Behauptung von Peter-Harry Carstensen, es müsse bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen genehmigt werden, ist insbesondere beim Wasserrecht falsch. Wir lassen uns nicht täuschen; er und seine Helfer tragen die Verantwortung dafür, dass unsere Region Schaden nehmen wird.

Zitate wie "Die Landesregierung wirkt dem Klimawandel entschlossen entgegen", "Landwirtschaft ist wichtig", "Fischreichtum soll erhalten bleiben" (Werbesprüche aus dem LLUR) und der forcierte Neubau von Kohlekraftwerke sind so lange kein Widerspruch, wie wir uns das gefallen lassen.


Werden die geplanten Kohlekraftwerke in Brunsbüttel & Büttel gebaut?

Genehmigungshindernisse

Der größte Energiekonzern Europas, die GDF, hat einen äußerst problematischen Bauplatz, der sehr nah an der Wohnbebauung liegt.

Die SWS muss einen neuen B-Plan beantragen. Sie hat bisher keinen Investor für den zweiten Block, hat aber ein cleveres Geschäftsmodell: das Investitionsrisiko tragen allein die beteiligten Stadtwerke.

Beide Firmen müssen ihre Anträge gehörig nachbessern. Es bestehen gute Aussichten, dass beide in diesem Jahr keine Genehmigung erhalten.

Die Getec wird ihren Antrag überhaupt erst in der zweiten Jahreshälfte 2010 stellen.

Damit wird der Betriebsbeginn der Kohlekraftwerke nicht vor dem Jahr 2015 liegen. Die SWS hatte ursprünglich mit 2012 geliebäugelt.

Bis dahin werden Risiken, ob neue Kohlekraftwerke wirtschaftlich zu betreiben sind, deutlich: Die von der EU geforderte Verknappung (und damit Verteuerung) der CO2-Zertifikate, die mögliche Laufzeitverlängerung der AKWs, der Engpass am Netzknoten Brunsbüttel durch die Anlandung des OfT-shore-Windstroms und der Ausbau der erneuerbaren Energien. Die BI hofft, dass sich die Investoren und Banken vom Neubau der Kohlekraftwerke zurückziehen, so wie es schon eine Reihe von Konkurrenten (Dong, Iberdrola, RWE) getan haben, und wie es etliche Wirtschaftlichkeitsstudien empfehlen.

Die BI wird weiterhin versuchen, auf die an der SWS beteiligten Städte einzuwirken und ihnen das wirtschaftliche Risiko sowie den Imageverlust bei ihren KundInnen darlegen.


Welche Energieversorgung wollen wir?

Die Energieversorgung sollte umweltverträglich, nicht Klima ändernd und nicht gesundheitsgefährdend sein - auch nicht in den Brennstoff-Förderländern. Sie muss ethischen und sozialen Zielen verpflichtet sein sowie Handelskonflikte und Kriege vermeiden. Eine zentrale Energieversorgungsstruktur in der Hand weniger großer Monopolgesellschaften macht Menschen ökonomisch abhängig und kann zu einer Destabilisierung von Staaten führen.

Es ist ersichtlich, dass diese Gefahr von großen zentralen Energieerzeugungsanlagen (Kohlekraftwerken und Atomkraftwerken) eher ausgeht als von vielen dezentral betriebenen Erneuerbare Energie-Kraftwerken. Die Umweltzerstörung und soziale Unterdrückung vielerorts beim Kohle- und Uranabbau erinnert an die Praktiken schlimmsten Imperialismus' früher Jahrhunderte.

Die Milliardeninvestitionen in CO2-Abscheidung (CCS) für Kohlekraftwerke soll als Klimafeigenblatt die Monopolstruktur der weltweiten Energieversorgung aufrecht erhalten.

Viel mehr BürgerInnen sollten Verantwortung übernehmen und selbst Energie erzeugen oder sich an Anlagen beteiligen, und Gemeinden sollten die Netze wieder übernehmen. Dann wären große Kohlekraftwerke, deren Abwärme wie in Brunsbüttel ungenutzt und das Ökosystem schädigend in die Elbe geleitet wird, Schnee von gestern.

Ein jeder kann seinen Beitrag leisten. Und sei es durch gewissenhaften Umgang mit Energie. Und wie wär's mit dem Wechsel zu einem der Ökostromanbieter (EWS, Naturstrom, Greenpeace, Lichtblick)? Sie sind oft sogar preisgünstiger als der bisherige Versorger (siehe www.verivox.de).

In der BI (www.bi-unterelbe.net) werden auch diese
gesellschaftsrelevanten Themen erörtert.

Wenn jeder seinen Energieverbrauch um 2 Prozent pro Jahr verringert, haben wir in 25 Jahren gut 50 % eingespart!


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Quelle:
Gegenwind Nr. 259 - April 2010, Seite 45-51
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2010