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GEGENWIND/389: Weg von Öl und Gas zur Produktion von Energie


Gegenwind Nr. 252 - September 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

ENERGIE
Globale Erwärmung - Hohe Energiepreise - Sanierungsstau - Leere Kassen
Weg von Öl und Gas zur Produktion von Energie
Was können KommunalpolitikerInnen tun?

Von Karina Hennecke


Vor dem Hintergrund der globalen Erwärmung muss eine deutliche Reduzierung des CO2-Ausstoßes erreicht werden. Die Endlichkeit der Vorräte von Öl, Gas, Kohle und Uran bedeutet eine in den kommenden Jahren erhebliche Steigerung der Energiepreise. In Verbindung mit der weltweiten Wirtschaftskrise kann dies zum Kollabieren von öffentlichen wie privaten Haushalten führen.


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Energieeffizienz und der Ausbau der Erneuerbaren Energien sind die Lösung für die Wirtschaftskrise, die globale Erwärmung und die Endlichkeit der fossilen Brennstoffe. Doch fehlt es oft an den notwendigen Informationen, um im Bereich baulicher Anlagen entsprechend sinnvoll auszuschreiben und zu planen.

Bei öffentlichen Neubauten heben Entscheidungsträger in Kommunen hervor, die Ziele der Energie-Einsparverordnung (EnEV) eingehalten oder sogar übertroffen zu haben. Im Fall von (relativ teuren) Sanierungen reduziert sich der Energieverbrauch im Durchschnitt um 20 bis 30%, maximal um 50%. In beiden Fällen erreichen die Energiekosten in wenigen Jahren durch die zu erwartenden Preissteigerungen die gleiche Höhe wie jetzt. Die Ausgaben bzw. die Kredite rechnen sich auf diese Weise nicht und die Haushalte werden weiter belastet.

Um mittel- bis langfristig aus dieser Preisspirale herauszukommen, müssen bauliche Anlagen derart konzipiert werden, dass sie mindestens den Null-Energie-Standard, besser aber den Energie-Plus-Standard erreichen. In diesem Fall fungiert ein Gebäude als Mini-Kraftwerk, d.h. es produziert mehr Energie als es selbst verbraucht. Diese zusätzliche Energie kann entweder zur Versorgung eines benachbarten Gebäudes genutzt oder verkauft werden (Einspeisevergütung). Das Wissen um diese Möglichkeit besteht, doch schien dieses Ziel bisher als zu teuer und damit nicht finanzierbar.

An der Universität Siegen haben sich Wissenschaftler aus insgesamt fünf verschiedenen Disziplinen zum "Zentrum für Regenerative Energien und Optimierung (ZERO)" zusammengeschlossen. Das an ZERO beteiligte "Forschungsgebiet Energieoptimierte Baukonstruktion" (FEB) von Prof. Dr. Ing. Horst Höfler untersucht bisher für 9 Städte in NRW, wie kommunale Infrastruktur, d.h. Schulzentren, Rathäuser, Sportzentren, Freizeitbadanlagen energetisch so aufgerüstet werden können, dass sie zu 100% durch regenerative Energien betrieben werden können - mit dem Optimierungsziel, dass dadurch der Kapitaldienst der für die energetische Aufrüstung erforderlichen Investitionen voll durch die Heizkosteneinsparung gedeckt werden kann.

Höfler und seine MitarbeiterInnen verfolgen vor allem das übergeordnete Ziel: "Zukünftige Verwendung von Null fossiler Energie für alle Gebäude". Als erstes stellten die Siegener ForscherInnen eine Liste von insgesamt über 80 Maßnahmen zusammen, die zum Energiesparen sowie zur Erzeugung von Kühlung und Wärme jemals genutzt wurden. Höfler erläuterte: "Für jedes Gebäude muss ein individuell erstelltes Maßnahmenbündel entwickelt werden. Außerdem sollte jedes einzelne Bauteil möglichst mehrere Funktionen erfüllen." Also kein "Flickwerk" wie z. B. eine Fassadensanierung oder eine neue Heizungsanlage, sondern möglichst ein Gesamt-Konzept.

Der "Clou" an den bereits umgesetzten und laufenden Projekten Höflers steckt in der Tatsache, dass die Investitionen für die "Energetische Aufrüstung" durch die Heizkosteneinsparung gedeckt werden. Im optimalen Fall erreicht das Gebäude den Gewinn-Energie-Standard, d. h. es produziert mehr Energie als es verbraucht und fingiert so als "Mini-Kraftwerk". Dadurch und mit laufend steigenden Kosten für die Primärenergien Gas, Öl und Kohle verstärkt sich der positive finanzielle Effekt von Jahr zu Jahr.

Für Neubauten gilt das gleiche Prinzip: keine fossile Energie. Dass solche Gebäude nicht teurer sein müssen als ein "herkömmlicher, konventioneller" Bau, zeigt die Schulmensa in Attendorn, Sauerland. Sie versorgt nicht nur sich selbst mit Energie, sondern die benachbarte Hauptschule gleich mit. Die Heizenergie wird aus dem neu entwickelten "Absorberkollektoren-Doppeldach" voll durch regenerative Energien erzeugt. Be- und Entlüftung sowie Kühlung des Speisesaals erfolgen auf natürliche Weise, d. h. im Wesentlichen ohne Zufuhr von Primärenergie durch sogenannte passive Maßnahmen wie z. B. durch die thermoaktivierte Süd-, Ost- und Westfassade mittels Lüftungskaminen und durch adiabatische Kühlung über umgehende Wasserflächen (Regenwassernutzung).

Auch beim Eigenheim lohnt sich energiebewusstes Bauen. Die Familie Schäfer in Schmallenberg ließ ihr neues Haus komplett von Höflers Team planen. Die mit dem Schweizer Architekten Fent gemeinsam entwickelte Pufferfassade sorgt für natürliche Lüftung, d. h. warme Luft im Winter und kalte Luft im Sommer. Umgesetzt wurde das 1. Energie-Plus-Haus (Begriff stammt vom bekannten Solararchitekten Rolf Disch, Freiburg) in NRW unter der Leitung des Architekten Hermann Berls zu einem Preis von 1.200 Euro/qm (Baujahr 2006). Rechnungen für Öl oder Gas gibt es nicht. Dagegen verdient die Familie ca. 3.000-4.000 Euro/Jahr als Vergütung für den eingespeisten Solarstrom. Sonnige Aussichten!

Noch weiter als "ZERO" der Universität in Siegen geht das Klima-, Energie- und Ressourcensparprogramm der Stadt Stuttgart: "TRIPLE ZERO". Unter der Regie von Oberbürgermeister Wolfgang Schuster haben sich Wissenschaftler, Architekten und das Amt für Umweltschutz der Stadt Stuttgart zusammengetan und einen klimafreundlichen Gebäudetyp konzipiert. Dieser verbraucht nicht nur keine fossile Energie für das Heizen, sondern gibt auch keine schädlichen Emissionen ab. Drittens werden kein neues Bauland und neue Baumaterialien benötigt, da man recyclingfähige Materialien verarbeitet und auf Baulücken sowie Brachland zurückgreift. Angedacht ist die Umsetzung in drei verschiedenen Gebieten. Leider besteht dieser Ansatz bisher nur auf dem Papier.


Handlungsoptionen zusammengefasst:

Fordert individuelle Konzepte mit dem Ziel Null-Energie-Standard oder noch besser Plus-Energie-Standard bei Neubauten und bei Sanierungen. Verweist auf die oben aufgezeigten Forschungsansätze mit bereits umgesetzten Projekten. Genaue Information und Planung sind mehr als wichtig, damit Steuergelder und Ressourcen zum Nutzen von uns allen sinnvoll eingesetzt werden.
Initiiert und fördert Projekte zur "Energetischen Aufrüstung von Gebäuden". Neubauten sollten nur unter strengen Auflagen genehmigt werden.
Organisiert Info-Veranstaltungen.
Sucht das Gespräch und den Austausch mit Fachleuten wie Architekten, Ingenieuren und Handwerkern sowie mit Wissenschaftlern, Kommunalpolitikern, Vertretern von Geldinstituten und Akteuren der AktivRegionen. Versucht diese gemeinsam an einen Tisch zu bringen. Falls vorhanden, bezieht Interessengemeinschaften und Bürgerinitiativen mit ein.
Bemüht Euch darum, die bestehende "Energieberatung" gemeinsam mit den entsprechenden Fachleuten zu erweitern und in Richtung Energie-Plus-Standard voranzubringen. Das Motto: keine fossile Energie.
Helfen könnte auch eine Befragung aller BürgerInnen zu den Themen globale Erwärmung, Energiesparen und effiziente Sanierung, um das Bewusstsein für diese Themen zu erfassen und gleichzeitig zu vergrößern.
Sorgt dafür, dass entsprechende Projekte bekannt gemacht werden: z. B. Internetseiten der jeweiligen Städte und Gemeinden, Presse. Die "Signalwirkung" sollte unbedingt genutzt werden.

Durch die aufgezeigten Optionen können wir die CO2-Emissionen drastisch reduzieren und einen signifikanten Beitrag zum Klimaschutz leisten. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, die Haushalte durch steigende Energiepreise nicht weiter zu belasten und sogar mittelfristig Einnahmen zu erwirtschaften. Darüber hinaus wird durch die Aufträge für ArchitektInnen, IngenieurInnen und HandwerkerInnen die heimische Wirtschaft angekurbelt, die Einnahmen für die Kommunen über die Gewerbesteuern steigen, Arbeitsplätze werden erhalten bzw. neu geschaffen. Durch die Investitionen profitieren letztendlich alle, denn das Geld bleibt vor Ort.


Beispiel:

50 Häuser werden saniert mit einer durchschnittlichen Investition von 12.000 Euro.

Dieser relativ gering angesetzte Betrag bedeutet bereits einen Umsatz für die regionalen HandwerkerInnen von 600.000 Euro!


Karina Hennecke, Energie- und Umweltgruppe Blumenthal


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Quelle:
Gegenwind Nr. 252 - September 2009, Seite 45-46
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2009