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GEGENWIND/381: Kohlendioxid-Lagerung im Wattenmeer?


Gegenwind Nr. 250 - Juli 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Untersuchungen für CCS-Lagerstätte im nördlichen Schleswig-Holstein
Kohlendioxid-Lagerung im Wattenmeer?

Von Klaus Peters


Ziemlich überraschend sind die Bürger in Nordfriesland und Umgebung mit der Tatsache konfrontiert worden, dass in ihrer Region möglicherweise eines der größten Kohlendioxidendlager in Deutschland entsteht.


Die bisherigen spärlichen Informationen zur Carbon-Capture-Storage-Technologie (CCS; Abtrennung und Speicherung/Ablagerung von Kohlendioxid, mit Transport ein dreiteiliger Prozess) hatten eher den Eindruck vermittelt, die Technologie sei erst am Anfang der Entwicklung und es kämen, wenn es denn soweit sei, ehemalige Erdgaslagerstätten oder Lagerstätten in unbewohnten Gebieten in Betracht. Beim Bau des Vattenfall-Kraftwerks in Hamburg-Moorburg ist eine Verpflichtung zur (zukünftigen) Anwendung des Verfahrens noch abgelehnt worden. Doch nun hat die RWE Dea AG ausgerechnet für ein geplantes Kraftwerk in Hürth bei Köln geologische Formationen unterhalb der Region Nordfriesland, Teilen des Kreises Schleswig-Flensburg und des nördlichen Teils des schleswig-holsteinischen Wattenmeeres als Endlagerstätte für Kohlendioxid in Betracht gezogen. (Das Kraftwerk soll mit heimischer Braunkohle betrieben werden; Steinkohle, die im größten Teil des vorhandenen und geplanten Kraftwerksparks eingesetzt wird, muss auch aus Übersee/Australien importiert werden.)

Voruntersuchungen der Beteiligten, des Instituts für Geowissenschaften der Universität Kiel, der Bundesanstalt für Geologie und der RWE Dea AG haben ergeben, dass die geologischen Formationen im nördlichen Schleswig-Holstein und in Ostholstein im Raum Oldenburg in Tiefen von 1000 bis 3000 Metern für eine Endlagerung von Kohlendioxid geeignet sein könnten. Die Lagerkapazitäten wären im nördlichen Schleswig-Holstein allerdings größer. Die RWE Dea AG hat sich nun offenbar den Zugriff auf seismische Untersuchungen und die Option auf die mögliche Nutzung im Norden des Landes gesichert. Die Begleitforschung zur CCS-Technologie umfasst 64 Projekte, an denen 28 Institute beteiligt sind.

Das geplante Vorhaben ist mit vielfältigen Problemen und Unsicherheiten verbunden, wie sich auf einer Anhörung des Kreistages des Kreises Nordfriesland am 3. Juni herausstellte. Unter den Bürgern der betroffenen Region ist die Verärgerung groß, viele sind geschockt. Schon die Untersuchungen sind außerordentlich problematisch, da mit bis zu 10.000 Sprengungen gerechnet werden muss. Diese Sprengungen können nicht nur zu Belästigungen, sondern auch zu Schäden an Gebäuden und Leitungen führen. Inzwischen formiert sich Widerstand der betroffenen Bürger, von denen sich mehrere Hundert in einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen haben, und Gemeinden. Unterstützung kommt von Vertretern von Umweltverbänden, auch die neu gegründete ATTAC-Gruppe will sich einbringen.


Zur kurzen Vorgeschichte

Nachdem im Mai erste Informationen in zwei Gemeinden erfolgten, berichtete auch die Lokalpresse. Wie lange die Planungen und Voruntersuchungen laufen, ist nicht genau bekannt. Dem Deutschen Bundestag liegt seit 2006 eine vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erstellte Studie über Kohlendioxidarme Kraftwerke vor. Die Bundesregierung, die Stromkonzerne, interessierte Institute und Experten befassen sich aber spätestens seit 2007 intensiver mit der CCS-Technologie. In 2007 wurden die Meseberger für ein integriertes Energie- und Klimaprogramm gefasst. Im gleichen Jahr erschien ein erster umfassenderer Bericht über den Entwicklungsstand und die Perspektiven von CCS-Technologien in Deutschland. Gut ein Jahr später, nämlich im Dezember 2008, hatte das EU-Parlament eine Richtlinie zur Geologischen Speicherung von Kohlendioxid verabschiedet und bereits im Mai dieses Jahres beriet der Bundestag über einen Gesetzentwurf. So schnell kann es gehen, wenn Großkonzerne aktiv werden und sichere Profite zu erwarten sind.

Als Triebkraft wird natürlich der Klimaschutz eingesetzt, der, wenn es beispielsweise um die Neuausrichtung des Verkehrs auf eine nachhaltige Entwicklung, um Geschwindigkeitsbegrenzungen, Begrenzungen des Flugverkehrs oder die Attraktivitätssteigerung der Bahn geht, kaum eine Rolle spielt. Energieeinsparprogramme sind entweder nicht vorhanden oder werden nachrangig behandelt.


Zahlen und Fakten zum Projekt
450 MW Braunkohlekraftwerk der RWE in Hürth! NRW, Lagerung von jährlich ca. 2,5 Millionen Tonnen CO2 (Abscheideraten zwischen 85 und 95%)
Verringerung des Wirkungsgrades des Kraftwerkes durch zusätzliche Leistungsverluste zwischen 10 und 15 %, dadurch verringert sich auch der tatsächliche Abscheidegrad auf ca. 65%
Speicherung in 2000 bis 3000 Meter Tiefe, Fertigstellung zwischen 2015 und 2020, einschließlich einer über 500 Kilometer langen Pipeline zum Zielraum Stadum/Hörup
Untersuchungen möglicherweise ab Herbst auf einer Fläche von 270 Quadratkilometern, rund 20 Gemeinden sind betroffen
Gesamtkosten ca. 2,5 Mrd.

Der weitere Ablauf, Risiken und Folgen

Zwischenzeitlich ist bekannt geworden, dass weltweit bereits einige Pilotprojekte durchgeführt werden. Wann die Technologie in großem Stil einsatzbereit sein wird, ist noch offen. Geeignete Ablagerungsstätten wie ehemalige Erdgas- und Erdöllagerstätten oder Saline Aquifere (Salzwasser führende, tiefe poröse Gesteinsschichten) stehen nur begrenzt zur Verfügung. Experten, Umweltverbände und Parteien haben erhebliche Sicherheitsbedenken und darüber hinaus wird befürchtet, dass die Entwicklung und Nutzung erneuerbarer Energie wegen der Umschichtung von Fördergeldern auch eine Neuausrichtung der Konzerne behindert.

Zum Inhalt des von der EU vorgegebenen Rechtsrahmens für die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid:

Beim Bau neuer Kraftwerke (ab 300 MW) ist zu prüfen, ob eine Nachrüstung mit CCS technisch und ökonomisch machbar ist. Ist dies der Fall, muss der Betreiber hierfür Flächen freihalten.
20 Jahre nach der Einstellung der CO2-Einlagerung kann der Betreiber die volle Verantwortung für die Lagerstätte auf den Staat übertragen
sofern das CO2 dauerhaft zurückgehalten wird.
Der Betreiber zahlt nach Schließung des Lagers noch 30 Jahre lang einen Beitrag an die Behörde, die mindestens die Überwachung der Stätte abdeckt.

Ferner sieht die EU-Emissionshandelsrichtlinie vor, CCS-Projekte bis 2016 mit 300 Millionen aus Emissionshandelszertifikaten zu subventionieren (etwa 4,5 Mrd.). Außerdem gelten abgeschiedene und eingelagerte CO2-Emissionen als nicht emittiert.

Mit der geplanten Demonstrationsanlage in Deutschland wird allerdings Neuland beschritten. Die größten Risiken bestehen offenbar im Bereich der Speicherung. Abscheidungs- und Transporttechnologien sind prinzipiell erprobt bzw. erfolgen bereits über längere Zeiträume mit anderen Medien.

Trotzdem sind Risiken nicht auszuschließen. Grundsätzlich müssen diese neuen Risiken zu vorhandenen Risiken addiert werden.

Die Risiken der Speicherung beginnen wie erläutert bereits mit den Untersuchungen. Die Untersuchungen können nicht so weitreichend sein, so dass sich mögliche Veränderungen in den Gesteinsschichten, insbesondere durch das Einbringen von Fremdstoffen wie Kohlendioxid und dessen Beimengungen, vorhersagen lassen bzw. ausschließen lassen. Störfälle während des Betriebs sind grundsätzlich immer möglich. Die unteren Erdschichten des gesamten Gebiets sind für andere Nutzungen (z. B. Erdgas, Erdwärme) auch nach dem Ende der Betriebszeit von 30 bis 40 Jahren problematisch bzw. tabu.


Alternativen, offene Fragen

Maximal können durch CCS in Deutschland ohnehin nur 10 % der deutschen Kohlendioxidemissionen gespeichert werden. Eine Nutzung ausländischer beispielsweise sibirischer ehemaliger Gasförderstätten ist nicht vorgesehen. Neben Risiken- und Akzeptanzproblemen sind Haftungsprobleme zu erwarten. Konsequent wäre es ohnehin, wenn Pipelines, die der öffentlichen Versorgung [dienen,] wie Eisenbahnstrecken oder Strom- und Wasserleitungen, nur von öffentlichen Einrichtungen betrieben würden. Festzustellen ist ferner, dass es sich bei der CCS-Technologie um eine Übergangstechnologie handelt, da die Speicherkapazitäten spätestens nach einigen Jahrzehnten erschöpft sein werden. Abzuwarten bleibt, welche Wirkungen die voraussichtlich parteiübergreifend gestützten, ablehnenden Stellungnahmen des Kreises und der Ämter und Gemeinden haben werden.


Literatur:
BMWi, BMU und EMEF: Entwicklungsstand und Perspektiven von CCS-Technologien in Deutschland, 19.11.2007
BMU (Hrsg.):
• Kyoto-Protokoll vom 11.12.1997; in Kraft getreten am 16.02.2005
• Leitstudie 2008, Weiterentwicklung der "Ausbaustrategie Erneuerbare Energien" (2008)
Bundeszentrale für politische Bildung: 20 Jahre Weltklimarat (2008)
Bündnis 90/Die Grünen: Klare Regelungen für CCS-Technik - Vorrang für erneuerbare Energien, Fraktionsbeschluss 3. März 2009
BUND: Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Abscheidung, Transport und dauerhafte Speicherung von Kohlendioxid (CCS-Gesetz), Berlin, März 2009
Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Kohlendioxidarme Kraftwerke (2006)
Umweltbundesamt: Wirkung der Meseberger Beschlüsse vom 23.08.2007 auf die Treibhausgasemission in Deutschland im Jahr 2020 (2007)

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Quelle:
Gegenwind Nr. 250 - Juli 2009, Seite 14-16
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2009