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GEGENWIND/365: Kieler Verkehrsbetriebe rekommunalisiert


Gegenwind Nr. 247 - April 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Kieler Verkehrsbetriebe rekommunalisiert
Kein gewöhnlicher Vorgang

Von Lutz Oschmann


Der erste 1997 direkt gewählte Oberbürgermeister von Kiel, Norbert Gansel (SPD), hat gestützt auf eine absolute Mehrheit der SPD-Fraktion in der Kieler Ratsversammlung in großen Stile Tafelsilber privatisiert.


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Nach dem Verkauf der 100-%-Anteile an der Kieler Wohnungsbaugesellschaft (KWG) und dem Verkauf von 51-%-Anteilen an den Stadtwerken, sollte auch für die Kieler Verkehrsgesellschaft (KVG) ein strategischer Partner gefunden werden. Nach einer Ausschreibung im Jahr 2002 bekam die Norddeutsche Busbeteiligungsgesellschaft (NBB) im März 2003 den Zuschlag zu einem eher symbolischen Preis von 12.500 Euro für 49-%-Anteile an der KVG. Hinter der NBB stehen die Hamburger Hochbahn mit zwei ihrer Töchter sowie die Fa. Vineta, ein privates Kieler Bus- und Taxiunternehmen.

Was wollte die SPD mit dem Anteilsverkauf erreichen? Der neue Anteilseigner, die NBB, sollte sein ÖP-NV-Know-how in die KVG einbringen und er sollte Defizitrisiken der KVG mit übernehmen. Beide Ziele wurden nicht erreicht. Im Gegenteil, nachdem die Kosten der KVG unter den Gesamteinnahmen aus Zuschüssen und dem Verkehrsentgelt lagen, wies die KVG Gewinne aus. Und unser Partner, die NBB, bestand darauf dass die Gewinne zu 100% an die Anteilseigner ausgeschüttet wurden. Erst nach einigen Jahren konnte erreicht werden, dass die Ausschüttung nur noch 50 % der Gewinne betrug.

Zu dem Teilverkauf gab es eine Auflage des Bundeskartellamtes: die Stadt Kiel als Aufgabenträger wurde verpflichtet zur Vergabe der Verkehrsleistungen im Wettbewerb zum 1.1.2011 und zum 1.1.2013, jeweils 50 % der Verkehrsleistung. Bei einer europaweiten Ausschreibung kann es passieren, dass die KVG alle Linien verliert und ein Global Player, der mit aller Macht in den Kieler Markt will, ein Kampfpreisangebot abgibt und gewinnt. Im Kaufvertrag waren 2 Put-Optionen vorgesehen für die Stadt Kiel, weitere Anteile an der KVG zu verkaufen. Die Put I-Option konnte bis zum Ende 2006 gezogen werden, das hieß Verkauf weiterer 2 %, die NBB hätte dann die Mehrheit von 51 % gehabt. Die Put II-Option konnte bis 2010 gezogen werden, das hätte den vollständige Verkauf bedeutet, die NBB wäre dann 100-%-Anteilseigner gewesen.

Das war die Situation ab 2003. Die Kommunalwahl im gleichem Jahr bescherte der SPD einen Absturz auf 32%, während die CDU auf 44% und die Grünen auf 14,1 % zulegten. Bei der parallelen Oberbürgermeisterwahl triumphierte die CDU-Kandidatin. Nach intensiven Verhandlungen kam es zu einer Kooperation auf gleicher Augenhöhe aus Grünen und CDU. Nicht verwunderlich war, dass CDU und OB frühzeitig erklärten, von den Put-Optionen I und II Gebrauch machen zu wollen. Die grüne Fraktion hat aber gegen gehalten und während der gesamten Kooperationszeit immer wieder verhindert, dass die Stadt ihre Mehrheit an der KVG verkauft. Diese Position hatten die Grünen im engen Kontakt mit Ver.di und der Belegschaftsvertretung der KVG entwickelt und durchgezogen. Dafür musste an anderen, nicht strategischen Fragen, gegenüber der CDU nachgegeben werden.

Die alte Kooperation aus CDU und Grünen hatte noch vor der Kommunalwahl im Mai 2008 einen Rats-Antrag beschlossen, in dem die OB gebeten wurde, Verhandlungen mit der NBB über denn Rückkauf der 49% Anteile an der KVG zu führen. Die Verhandlungen wurden aufgenommen, spät zwar, aber nicht zu spät. Die Kommunalwahl am 25.5.2008 hatte das Ergebnis: SPD 31,2 % (-1,5 %), CDU 28,6 % (-16,1 %) GRÜNE 16,5 % (+2,5 %), Die Linke 11,1 % (+11,1 %), FDP 8,1 % (+4,4 %) und SSW 1,7 (+0,9%). Die Grünen, SPD und SSW bildeten eine neue Kooperation, im Vertrag wurde festgelegt, dass die KVG-Anteile zurückgekauft werden.

Die Ratsversammlung beschloss am 19.2.2009 einstimmig den Rückkauf der KVG-Anteile zu einem Preis von 1,5 Mio. Euro. Das war kein gewöhnlicher Vorgang in der Kieler Ratsversammlung, sondern ein echtes kommunalpolitisches Highlight. Einer der politischen Fehler der Gansel-Ära wurde korrigiert. Damit vermeidet Kiel die Ausschreibungen der Verkehrsleistungen, die nun direkt an die KVG vergehen werden.

Es ist ein großes Paket geschnürt worden, damit der Rückkauf über die Bühne gehen konnte.

a. Es ist ein neuer Tarifvertrag abgeschlossen worden, ca. 800.000 Euro an Personalkosten werden pro Jahr eingespart. Hier möchte ich auf die Kritik von Attac eingehen, die diesen Tarifabschluss kritisierte. Es geht um einen wettbewerbsfähigen Tarif, denn wir dürfen nicht vergessen, es gibt weiterhin den Genehmigungswettbewerb, der täglich von einem Konkurrenten eingefordert werden kann. Die KVG muss ein durchschnittliches, wirtschaftlich gut geführtes Unternehmen sein. Wir sind auf dem Weg dahin.

b. Der Anspruch einer Reihe von Busfahrern auf Höhergruppierung ab 2010 ist mit einer Einmalzahlung abgekauft worden. Das so erreichte Tarifniveau wird sich schon bemerkbar machen im neuen Verkehrsentgelt ab 2010.

c. Als Gegenleistung der Stadt Kiel gilt eine Beschäftigungssicherung für alle KVG-Beschäftigten bis 2020 und damit für 558 kommunale Arbeitsplätze.

d. Die LH Kiel erhält ihre volle Steuerung für den ÖPNV zurück.

Dank gilt der Belegschaft, dem Betriebsrat, Ver.di, dem Geschäftsführer der KVG und auch Frau Poullain vom Eigenbetrieb Beteiligungen Kiel als harter Verhandlungsführerin.

Der Rückkauf konnte nur stattfinden, weil bis 2008 keine weiteren Anteile an der KVG verkauft wurden. Diese wichtige Grundlage für die jetzt vollzogene Rekommunalisierung hat die Ratsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen erkämpft.

Lutz Oschmann
Vorsitzender der Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen in der Kieler Ratsversammlung und Mitglied des KVG-Aufsichtsrates


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Quelle:
Gegenwind Nr. 247 - April 2009, Seite 17-18
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2009