Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GEFANGENEN INFO/089: Ausgabe 352, Januar 2010


Gefangenen Info

Hervorgegangen aus dem Angehörigen Info. Das Angehörigen Info entstand im Hungerstreik der politischen Gefangenen 1989.

Nr. 352, Januar 2010


Inhalt dieser Ausgabe

- Zur Geschichte des Infos

Schwerpunkt

- Euskal Herria - Widerstand und Repression im Baskenland
- Interview mit einem Aktivisten der Izquierda Abertzale
- Aus einem Brief des baskischen Gefangenen Markel Ormazabal
- Interview mit Jone Artola Ibarretxe von der Angehörigenorganisation Etxerat

Inland

- Solidarität organisieren Der Kampf gegen den §129b
- "Früchte eines vergifteten Baumes"
- Eure Unterstützung ist nicht unsichtbar geblieben
- Break the Silence! Gerechtigkeit für Oury Jalloh
- Sand im Getriebe der Meinungsmacher?

International

- Türkei: Justiz des 12. September
- Kampagne für Georges Cipriani und Jean-Marc Rouillan
- Repression in Kopenhagen
- Auszüge aus einem Gedächtnisprotokoll
- Der Kampf für Mumias Leben
- Schwerbehinderter Savvas Xiros läuft Gefahr, beide Beine zu verlieren
- Folter an palästinensischen Kindern

Gefangene

- Brief von Cengiz Oban
- Prekariat im Gefängnis
- Schreibt den Gefangenen


*


Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

wir möchten uns zunächst bei allen Gefangenen, Leserinnen und Lesern, Unterstützerinnen und Unterstützern bedanken, die es ermöglicht haben, die Zeitung am Leben zu erhalten. Dank der solidarischen Unterstützung in Form von Spenden und Verbreitung der Zeitung können wir sagen, dass wir das Jahr 2009 trotz einiger schwieriger Momente mit einer positiven Bilanz hinter uns gelassen haben. Wir möchten das Vorwort dazu nutzen, einige Resultate unserer Auswertung und einige wichtige Veränderungen mitzuteilen.

Nach Auswertung unserer einjährigen Erfahrung haben wir einige Veränderungen vornehmen müssen. Dies betrifft zunächst die finanzielle Ebene. Nachdem wir aus verschiedenen Gründen vom monatlichen Erscheinen zum 6-Wochen-Rhytmus gewechselt haben und es zu Veränderungen hinsichtlich der Auflage und des Drucks gekommen ist, haben wir die Abopreise neu bestimmen müssen. Die aktuellen Preise, die für das Jahresabo etwas günstiger werden und in In- und Auslandspreise aufgeteilt sind, können weiter unten im Impressumsteil nachgelesen werden. Daneben haben wir es uns nicht nehmen lassen, einige grafische Verbesserungen vorzunehmen und den strukturellen Aufbau etwas zu überarbeiten.

Wir berichteten in unseren letzten Ausgaben, dass unser presserechtlicher Verantwortlicher Wolfgang Lettow wegen eines Artikels mit dem Titel "Blind in Beugehaft" (Ausgabe 348) eine Strafanzeige erhalten hatte. Nun folgte dem ein Strafbefehl in Höhe von 2.800 Euro (40 Tagessätze), gegen den Einspruch erhoben wurde. Wir erwarten nun eine Gerichtsverhandlung, die wir natürlich nicht undokumentiert lassen werden.
Bereits zuvor hatte die Herausgeberin der Onlinezeitung »scharf-links«, Edith Bartelmus-Scholich, einen Strafbefehl über 12.000 Euro wegen desselben Artikels erhalten. Der Prozess gegen Edith beginnt am 16. Februar 2010 vor dem Amtsgericht Krefeld.(*)

Diese Ausgabe hat den Konflikt im Baskenland als Schwerpunkt und versucht, einen aktuellen Ein- und Überblick zur Situation baskischer politischer Gefangener und zur Repression dort zu liefern . Wir schließen uns damit dem Aufruf für die europaweiten Aktionstage an. Wir verweisen in unserem Einleitungsbeitrag auf Seite 4 auf die baskischen politischen Gefangenen, die ab März diesen Jahres in den Widerstand treten werden. Diese gilt es in ihren Forderungen und in ihrem Kampf zu unterstützen.

Kurz vor Redaktionsschluss hat uns außerdem die Mitteilung über den Prozessbeginn gegen Cengiz, Nurhan und Ahmet erreicht. Der Prozess, der am 11. oder 12. März 2010 vor der OLG Düsseldorf beginnen soll, wird somit neben dem Stammheimer- und dem Düsseldorfer Prozess der dritte laufende §129b-Prozess sein. Es gilt, die Angeklagten nicht alleine zu lassen, die Prozesse zu besuchen und Öffentlichkeit zu schaffen.

Eine andere Meldung, die uns kurzfristig erreichte, betrifft die Situation von Mumia Abu-Jamal. In seinem Fall habe das 3. Bundesberufungsgericht am 19. Januar vom US Supreme Court die Anweisung erhalten, die Entscheidung neu zu würdigen. Auch wenn damit eine mögliche Hinrichtung Mumias erstmal aufgeschoben zu sein scheint, sollte die Mobilisierung für Mumia und gegen die Todesstrafe weiterhin mit bisherigem Tempo fortgesetzt werden.

In diesem Sinne:
Solidarität ist eine Waffe!
Nutzen wir sie!

Die Redaktion


(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion: Das Verfahren gegen Edith Bartelmus-Scholich endete am 16.2.2010 mit einem Freispruch. Siehe dazu unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Recht -> Fakten
MELDUNG/011: Verhandlung vor dem Amtsgericht Krefeld gegen 'scharf-links' endet mit Freispruch (scharf-links)

Das Verfahren gegen Wolfgang Lettow beginnt am 21.4.2010 im Amtsgericht Tiergarten in Berlin.


*


Seite 3

Zur Geschichte des Infos

Wolfgang Lettow, Mitarbeiter des Infos seit Ende 1991

Das heutige "Gefangenen Info" ist im Frühjahr 1989 anlässlich des zehnten kollektiven Hungerstreiks der Gefangenen aus der RAF und des antiimperialistischen Widerstands unter dem Titel "Hungerstreik-Info" entstanden. Lange Jahre wurde es von den Angehörigen der politischen Gefangenen aus der BRD herausgegeben und vom GNN-Verlag verlegt.

Seitdem sind beinahe 21 Jahre vergangen. Um den damaligen Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Gefangenenfrage besser zu verstehen, müssen wir uns die damalige politische Situation noch einmal vergegenwärtigen. Insbesondere wurde die Haftsituation und deren Auswirkungen auf die Eingesperrten kritisiert. Diese als "weiße Folter" bezeichneten Haftbedingungen hinterließen oft keine sichtbaren physischen Spuren. Selbst die UNO hatte die Isolationshaft als Folter geächtet. 9 politische Gefangene hatten bisher den Knast nicht überlebt. Dieser besagte zehnte (und letzte) kollektive Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF wurde gemeinsam mit den Gefangenen aus dem antiimperialistischen Widerstand geführt. Diese Gefangenen hatten draußen im Gegensatz zu denen aus der RAF nicht bewaffnet als Stadtguerilla gekämpft. Die GenossInnen aus dem Widerstand wurden u.a. dafür kriminalisiert und eingesperrt, weil sie sich mit den Illegalen aus der RAF zum Gedankenaustausch trafen, mit den Gefangenen aus der Guerilla kommunizierten, oder sich öffentlich oder verdeckt für die Verbesserungen der Haftbedingungen einsetzten.

Auch wenn diese Gefangenengruppen einen unterschiedlichen Erfahrungshintergrund hatten, verband beide die politische Zielsetzung, für eine befreite Gesellschaft und eine kommunistische Perspektive einzutreten. Dieses Ziel konnte nur durch ein abgestimmtes internationales Handeln erreicht werden. Der Versuch, eine "westeuropäische Front" aufzubauen, war ein Ausdruck dieser Linie.

Am 1. Februar '89 begann der Hungerstreik mit der Forderung nach der Zusammenlegung aller dieser Gefangenen in ein oder zwei Gruppen und der nach der Freilassung aller haftunfähigen Gefangenen, wie z.B. Günter Sonnenberg. Eine weitere Forderung bezog sich auf die Zusammenlegung aller Gefangenen, die dafür kämpfen. Zirka 40 Gefangene beteiligten sich anfangs an dieser Aktion, etwa die Hälfte waren RAF-Gefangene, der Rest kam aus dem Widerstand. Dem Streik schlossen sich diverse soziale und migrantische Gefangene mit eigenen Zielen an. Verschiedene Gruppen aus der Kirche, den Gewerkschaften und Linksradikale aus dem In- und Ausland unterstützten die Gefangenenforderungen. Eine bundesweite Demonstration in der damaligen Hauptstadt Bonn Ende April mit über 10.000 TeilnehmerInnen war der Mobilisierungshöhepunkt der Solidarität mit den Gefangenen. Die Forderungen konnten im Ergebnis nicht durchgesetzt werden. Es gab lediglich minimale Verbesserungen, die Isolation der Gefangenen blieb aber weiter bestehen. Statt dessen wurde das Modell bundesdeutscher Isolationshaft in diverse Länder exportiert, nach Spanien, Chile oder in die Türkei.

Das den Gefangenenkampf begleitende "Hungerstreik-Info" erschien zu dieser Zeit wöchentlich mit einer Auflage bis zu 10.000 Exemplaren. Nach dem Hungerstreik wurde das Info in "Angehörigen-Info" umbenannt. Es erschien zuerst alle zwei, später alle vier Wochen.

Das Engagement, sich für die Gefangenen und deren Forderungen einzusetzen, bröckelte zunehmend ab. Ein Grund war bestimmt, dass "vergessen" wurde, dass es nicht nur um die Freiheit der Gefangenen gehen konnte, sondern auch um die eigene im globalen Zusammenhang. Hinzu kamen die weltweiten Umbrüche Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre, die die gesamte Linke in eine Krise stürzten, und logischerweise auch nicht vor den politischen Zusammenhängen dieser Zeitschrift Halt machten.

Das Kollektiv der Gefangenen aus der RAF, das über 20 Jahre ein wichtiger Faktor war, spaltete sich und löste sich letztendlich auf. Die solidarischen Zusammenhänge außerhalb der Knasttore waren von einer parallelen Entwicklung betroffen. Eine Transformation in eine neue politische Kraft gelang nicht, obwohl sich die Bedingungen in Großdeutschland auf allen Ebenen verschärften und eine starke linke internationalistische und antagonistische Bewegung wichtig gewesen wäre bzw. ist.

Das "Info" nannte sich ab 2004 "Gefangenen Info", nach dem die Angehörigen auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters die HerausgeberInnenschaft aufgeben mussten. Das Blatt hatte in der Folgezeit weiterhin die Funktion, dazu beizutragen, dass alle Gefangenen aus diesem vergangenen Kampfprozess rauskommen. Bis auf Birgit Hogefeld sind alle Inhaftierten aus der RAF inzwischen auf freiem Fuß!

Der Staat versuchte wiederholt unter der Federführung der Bundesanwaltschaft diese Zeitschrift durch rund 30 Verfahren mundtot zu machen:

Im Info wurde häufig das staatliche Vorgehen gegen Gefangene kritisiert, statt die Bedingungen zu ändern, reagierte der Staat zum Beispiel mit Verfahren nach §187 (Verleumdung);
oder es wurde ein § 129a-Verfahren "wegen Werbung für eine terroristische Vereinigung" eröffnet, weil Erklärungen der RAF dokumentiert worden sind, die in Prozessen verlesen wurden;
weitere Anlässe waren Artikel, die die staatliche Version z.B. der Selbstmorde in Stuttgart-Stammheim am 18.10.1977 oder von Wolfgang Grams am 27.6.1993 in Bad Kleinen thematisierten und damit in Frage stellten.

Mit dem neuen Verfahren nach § 187, das im Sommer 2009 gegen das "Info" angestrengt wurde, zeigt sich, dass die Behörden weiterhin verhindern wollen, dass die Isolationshaft "Made in Germany" thematisiert wird. So wurde in den neunziger Jahren dieses Haftmodell in die Türkei exportiert. Aktuell wird die Isolationshaft an türkisch-kurdischen Gefangenen exekutiert, die wegen des § 129b inhaftiert sind. Auch die Sondergesetze und -gerichte bestehen weiter und werden ausgebaut.

Im "Info" wurde auch die Geschichte des weltweiten Aufbruchs von 1968 authentisch dargestellt, aus denen die Gefangenen aus der RAF kamen. Diese Geschichte des Widerstandes soll aus dem Gedächtnis und den Köpfen der alten und jungen Menschen ausradiert werden, damit es schwieriger wird, heute zu kämpfen. Neben der Leugnung der Isolationshaftbedingungen werden auch die Gründe der weltweiten Rebellion für eine freie und emanzipatorische Gesellschaft, durch die herrschende Klasse regelmäßig durch Typen wie Stefan Aust u.a. umgeschrieben und damit verfälscht, weil sie sich vor einem neuen Aufstand fürchten.

Sie wissen natürlich, dass ein neuer globaler Aufstand kommen wird...


*


Schwerpunkt

Euskal Herria
Widerstand und Repression im Baskenland

Verschärfte Repression...

So alt wie der politische Konflikt zwischen der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung und den Regierungen Spaniens und Frankreichs, der historisch gewachsen ist und dessen Entwicklung und Verfestigung entscheidend von Ereignissen wie dem Spanischen Bürgerkrieg, der Franco-Diktatur und der sogenannten spanischen "transición democrática" (dt. Übergang zur Demokratie) beeinflusst wurde, so alt sind auch die Repression und die aggressive Gefangenpolitik der beiden Staaten gegen die baskische Linke.

Seit Jahrzehnten werden baskische politische Gefangene im Rahmen der sogenannten Zerstreuungspolitik möglichst weit entfernt vom Baskenland inhaftiert, zu - von der Justiz durch "Terrorverdacht" legitimierten - unverhältnismäßig hohen Haftstrafen verurteilt, zum Teil auch nach bereits verbüßter Strafe nicht freigelassen und in Incomunicado-Haft gefoltert. Diese Maßnahmen werden von den Regierungen geleugnet oder mit der Vorgabe "alles ist ETA" gerechtfertigt. Diese staatliche Strategie, institutionalisiert u.a. durch den "Antiterrorpakt" von 2000 und das Parteiengesetz von 2003, nach dem Parteien verboten werden können, die sich nicht öffentlich von "terroristischer Gewalt" distanzieren, zielt auf die Kriminalisierung der gesamten linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung ab. Ein einschlägiges Beispiel dafür ist das Verfahren 18/98, bei dem linke politische Vertretungen, Gewerkschaften, Parteien, Medien, Frauen-, Jugend- und Gefangenorganisationen wegen Unterstützung der ETA angeklagt wurden.

Wie die jüngsten Ereignisse zeigen, spitzt sich diese Entwicklung zu: Illegalisierung der Fotos der Gefangenen, Verbot von Solidaritätsdemonstrationen, Verhaftung von linken PolitikerInnen, GewerkschafterInnen und AktivistInnen aus der Jugendbewegung sowie deren Misshandlung und die neue Verordnung zur Durchsuchung der Angehörigen der Gefangenen bei Besuchen.

Aus diesem Grund und aus Anlass der europaweiten europaweiten Aktionstage zum Baskenland vom 13. - 20. Februar 2010 möchten wir der aktuellen Situation in Euskal Herria (dt. Baskenland) den Schwerpunkt widmen und unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen lassen, die von den politischen Umständen und Formen des Widerstands berichten.

Einleiten sollen dies ein paar Sätze zu einer aktuellen Erklärung, mit der die politischen Gefangenen eine neue Etappe auf dem Weg gegen die repressive Gefangenenpolitik betreten.

...und eine "neue Dynamik des Kampfes"

Am 4. Januar 2010 hat das Kollektiv baskischer politischer Gefangener (Euskal Preso Politikoen Kolektiboa, EPPK) in einem Schreiben die Aufnahme einer "neuen Dynamik des Kampfes" erklärt, die in unterschiedlichen Phasen über das Jahr hinweg realisiert werden soll.

Erinnert wird daran, dass das "EPPK in den letzten Jahren in allen Gefängnissen einen permanenten politischen Kampf geführt" hat, so beispielsweise gegen das Verschwinden Jon Anzas, das Verbot, in französischen Gefängnissen zu studieren und die jüngste Verordnung zur Durchsuchung der Angehörigen. Mit der neuen Initiative soll nun der "Impuls für eine neue politische Dynamik gegeben werden".

Nach Ansicht der rund 750 Gefangenen, die das Kollektiv konstituieren, gehen die politische Situation und die Situation in den Knästen "Hand in Hand": Die Gefangenenpolitik verfolge "das Ziel, den baskischen Befreiungsprozess zu determinieren".

Daher wird zum Einen die baskische Gesellschaft angesprochen und die Notwendigkeit betont, "einen starken politischen Prozess in Euskal Herria anzustoßen, der die politische Situation ändert". Politische und soziale Akteure werden dazu aufgerufen, sich für "politische und demokratische Perspektiven" einzusetzen.

Zum Anderen wird von den Regierungen Spaniens und Frankreichs ein Ende der "allumfassenden Unterdrückung Euskal Herrias" verlangt. Konkrete Forderungen sind 1. die Entlassung aller Gefangenen, welche ihre Strafe bereits abgesessen haben (keine Sicherungsverwahrung), 2. die Entlassung aller Gefangenen, welche gesetzlich das Recht auf bedingte Haftentlassung haben, 3. die Entlassung aller Gefangenen, welche unter schweren Krankheiten leiden und nicht haftfähig sind, 4. die Einhaltung der Menschenrechte (z.B. körperliche Unversehrtheit) und die Anerkennung des Status als politische Gefangene sowie 5. die Zusammenlegung der Gefangenen.

Zur Durchsetzung dieser Forderungen hat das Gefangenenkollektiv Kampfformen wie Hungerstreik und "encierro" (dt. Selbsteinschließung) angekündigt, die ab März in einem Rotationsprinzip organisiert werden sollen. Gegen die erniedrigenden Durchsuchungen der Angehörigen wehrt sich das Kollektiv derzeit, indem es auf Besuche verzichtet.

Mit ihren Forderungen und Kämpfen können die Gefangenen seitens der baskischen Bevölkerung auf Unterstützung zählen. Die Solidaritätsbewegung ist nämlich, trotz massiver Einschüchterungsversuche und zunehmenden Repressalien, stark in der Gesellschaft des Baskenlandes verankert.

Das zeigt u.a. das Beispiel der Solidaritätsdemonstration am 2. Januar 2010 in Bilbo (span. Bilbao), die alljährlich am ersten Samstag im Januar stattfindet. Es kamen 44 000 Menschen zusammen, und das, obwohl den OrganisatorInnen der Angehörigenorganisation Etxerat (dt. nach Hause) die Demonstration von der Madrider Justiz verboten worden war. Die neuen AnmelderInnen, ein breites Bündnis aus baskischen Parteien und Gewerkschaften, erhielten erst kurz vor Demonstrationsbeginn die richterliche Genehmigung für den Protestmarsch. Entschieden übernahmen sie das Motto der verbotenen Demonstration und übergaben die Führung und die Abschlusskundgebung an Etxerat. So konnten am Ende Zehntausende ihre Solidarität mit den politischen Gefangenen auf die Straßen Bilbos tragen - ein guter Impuls für eine neue Dynamik. (red.)


*


Schwerpunkt

Interview mit einem Aktivisten der Izquierda Abertzale

geführt am 2. September 2009, Donostia

Gefangenen Info: In den letzten Monaten hat sich die Repression gegen die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung verstärkt. Sie richtet sich zunehmend gegen Solidaritätsaktionen wie z.B. die encarteladas von Etxerat, die Demonstrationen von Pro Amnistía oder die Präsenz der Fotos der politischen Gefangenen.

Siehst du einen Zusammenhang zwischen dieser Entwicklung und der neuen baskischen Regierung mit Beteiligung der PSE?

Aktivist der Izquierda Abertzale: Ich sehe eine direkte Beziehung zwischen der baskischen Regierung unter der PSE und der Verstärkung der Repression gegen die baskische Linke. Kurz nachdem die PSE durch ein Bündnis mit der PP die Regierung übernommen hatte, entschieden sie, die finanzielle Unterstützung von 16 000 Euro für die Angehörigenorganisationen der baskischen Gefangenen einzufrieren.

Im Sommer, der Zeit vieler Feste und Aktivitäten in den Dörfern und Städten der CAV (dt. Autonome Gemeinschaft Baskenland), traf die Repression verstärkt Menschen und Gruppen, die sich mit den politischen Gefangenen solidarisieren. Mittlerweile ist es nicht mehr möglich, die Fotos der Gefangenen auf den Demos zu zeigen, ohne ein Verbot der Aktion oder Angriffe durch die Polizei zu riskieren. Das hat zu vielen Zusammenstößen und einer angespannten Situation geführt.

Das einzige, was sie erreicht haben, ist die Stärkung der Solidarität, denn wir wissen, dass diese immer richtig und wichtig ist.

In Gernika, einem Ort in Bizkaia, hat die Ertzaintza (Polizei der Autonomen Gemeinschaft Baskenland, die jetzt der PSE und PP untersteht) die TeilnehmerInnen von Festlichkeiten mit Gummigeschossen und Schlagstöcken angegriffen, da Transparente, Plakate und Aufkleber die Aktivitäten begleiteten, die die Solidarität mit den baskischen politischen Gefangenen zum Ausdruck brachten.

Unter der PNV (dt. Baskische Nationalistische Partei), bevor die PSE an die Macht kam, war die Repression gegen die baskische Unabhängigkeitsbewegung zumindest auf der Straße nicht so stark. Auf medialer Ebenen war sie es, von der institutionellen Ebenen ganz zu schweigen. Man bedenke, dass die linke Partei Batasuna unter der PNV illegalisiert wurde und heute von der EU, den USA und vielen anderen Ländern als "terroristisch" eingestuft wird.

GI: Welche Rolle spielt die PNV in diesem Prozess?

A.: Die PSE in ihrem Bündnis mit der PP ist noch nicht länger als 120 Tage an der Macht. In diesen 120 Tagen hat die PNV die zunehmenden repressiven Maßnahmen gegen die baskische Linke beobachten können und hat sich als Partei nicht dazu verhalten, obwohl sie sich in der Opposition befindet. Einige leitende Persönlichkeiten der PNV haben in Interviews geäußert, dass dieses brutale Vorgehen gegen die Solidaritätsbewegung nicht gerechtfertigt sei. Aber wie gesagt, diese Aussagen waren individueller und nicht repräsentativer Natur.

Ich glaube, dass die PNV momentan abwartet und dass sie, wie immer in der Vergangenheit, dabei enden wird, die Repression zu rechtfertigen.

GI: Welches Ziel verfolgt die Regierung deiner Meinung nach mit der Kriminalisierung der Solidarität mit den politischen Gefangenen?

A.: Ich denke, um die Antwort auf diese Frage verstehen zu können, muss man die spanische Theorie zum baskischen Konflikt verstehen. Nach dieser Theorie sind alle baskischen linken AktivistInnen automatisch der ETA zugehörig. Da ETA als terroristische Organisation angesehen wird, kann alles, was mit ihr in Verbindung gebracht wird, ebenfalls als terroristisch eingestuft werden.

Mit dieser Strategie sollen meines Erachtens die Daumenschrauben der Repression enger gezogen und die Möglichkeit geschaffen werden, auch die Solidarität mit den politischen Gefangenen zu kriminalisieren. Sie wollen den Menschen Angst machen und sie zum Stillschweigen bringen.

GI: Welche Konsequenzen hat die Repression für die Organisierung einer linken baskischen Bewegung? Wie reagieren die linken Gruppierungen?

A.: Die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung wird schon seit vielen Jahren kriminalisiert. Schritt für Schritt verschärft sich die Repression. Linke Parteien werden auf Grundlage eines Gesetzes verboten, nach dem Parteien, die sich nicht von "terroristischer" Gewalt distanzieren, illegalisiert werden können. Gut...aber hat die PP den Franquismus verurteilt? Hat die PSOE die GAL (dt. antiterroristische Befreiungsgruppen, Todesschwadronen, Anm.) verurteilt? Nein, aber sie sind 100% legal.

Historisch gesehen war die baskische Linke immer sehr aktiv. Auch wenn wir eine schwierige Situation erleben, gehen die Menschen auf die Straße und fordern ihr Recht auf Selbstbestimmung. Das beste Beispiel ist der Versuch der Kriminalisierung der Solidarität mit den baskischen politischen Gefangenen. Sie haben nicht mehr erreicht, als einen sehr aktiven Teil der baskischen Bevölkerung sehr wütend zu machen und dass sich in den Straßen die Fotos der Gefangenen häufen.

Nach jedem Verbot folgte eine Reaktion der Bewegung. So ist das hier.

Meiner bescheidenen Meinung nach, gibt es viele Aktivitäten auf der Straße. Vor allem, nachdem der Innenminister Rodolfo Ares angekündigt hat, die Straßen einzunehmen und sie von den etarras (dt. Mitglieder der ETA) zu befreien. Das werden wir nicht zulassen und verstärkt auf die Straße gehen.

GI: Worum handelt es sich bei der Izquierda Abertzale?

A.: Die Izquierda Abertzale übernimmt die Funktion, der unterdrückten baskischen Bevölkerung eine Stimme zu geben, die frei und unabhängig leben will. Es geht um ein selbstbestimmtes Leben, mit der baskischen Sprache und den politischen Gefangenen in den Straßen, ohne jedes Geräusch einer Waffe, ohne jede Repression und Erpressung. Historisch gesehen ist die Izquierda Abertzale die einzige Bewegung, die in Euskal Herria für die Unabhängigkeit und den Sozialismus gekämpft hat.

GI: Wie lässt sich die Izquierda Abertzale in die unterschiedlichen linken Strömungen in Euskal Herria einordnen?

A.: Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Grundsätzlich ist die Izquierda Abertzale eine Bewegung unterschiedlicher Gruppierungen, die gemeinsam für ein unabhängiges, sozialistisches Baskenland kämpfen. Die verschiedenen Organisationen sind sich über diese Ziele einig, sei das die Jugendorganisation Segi oder die linke Partei Batasuna. Es gibt aber auch viele Gruppen, die außerhalb der Izquierda Abertzale agieren. Ich denke, diese sind mit den Zielen der Izquierda Abertzale nicht einverstanden; auch lehnen einige von ihnen den bewaffneten Kampf zur Erreichung politischer Ziele ab.

GI: Möchtest du abschließend noch etwas sagen?

A.: Wie ihr lesen konntet, wird die Situation für baskische linke AktivistInnen in Euskal Herria immer schwieriger.

Wir werden weiterhin aus Euskal Herria berichten, damit die Menschen erfahren, was hier vor sich geht.

Wir laden euch ein, Euskal Herria zu besuchen, damit ihr euch selbst ein Bild von dem machen könnt, was hier passiert ist und passiert. Das ist die beste Form, sich zu informieren: es selber sehen.

Wir würden uns sehr freuen, mit euch gemeinsam über die politischen Ereignisse zu sprechen und uns auszutauschen!

Independentzia eta sozialismoa! Ez gaituzue geldiko! - Ihr werdet uns nicht aufhalten!

Interview, Übersetzung und Anmerkungen: Red.


*


Schwerpunkt

Ausschnitte aus einem Brief des baskischen Gefangenen Markel Ormazabal

Vor ungefähr einer Woche wurde ich zur sogenannten "Kunda" geholt (so nennt man hier die temporäre Überführung oder die wirkliche Verlegung in ein anderes Gefängnis).

Grund dafür war, dass die Audiencia Nacional Ende Oktober fünf GenossInnen im Rahmen des Makroprozesses gegen "Jarrai-Haika-Segi" verurteilt hat, von dem auch das Verfahren gegen mich Teil war. Die fünf Angeklagten waren im Prozess von 2005 nicht vor das Gericht getreten. Nun wurden sie vor kurzem festgenommen und dem Richter vorgeführt. In dem dreitägigen Prozess musste ich als Zeuge aussagen. Es ging um Aussagen von Polizeibeamten während meiner Festnahme im Jahr 2002, bei der ich Misshandlungen und Folter erlitt und anzeigte.

So fand ich mich am 28. Oktober in einem Bus der Guardia Civil auf dem Weg zum Madrider Gefängnis Valdemoro wieder. Am nächsten Tag wurde ich direkt zum Gericht gebracht. Ich war insgesamt drei Wochen in diesem Knast.

Beim ersten Hofgang stellte ich fest, dass sich in diesem Gefängnistrakt mehrere Nazis befanden. Natürlich gab es Probleme mit ihnen, und zwar nur, weil wir unter den Genossen Euskera (dt. Baskisch) sprachen. Es kam zur ein oder anderen Drohung, aber mehr passierte nicht.

Abgesehen von der Provokation durch die Faschisten, die vor allem der Gefängnisleitung zuzuschreiben ist, da diese die sogenannte "ideologische Inkompatibilität" missachtete, hatte die Reise auch ihre guten Seiten. Da die "Kides" (Genossen), die der Audiencia Nacional vorgeführt werden sollen, im selben Trakt untergebracht sind, hatte ich die Möglichkeit, neue Gesichter kennenzulernen. Und nicht nur neue... Als nur noch ich und ein anderer Genosse übrig geblieben waren, wer erscheint? Zwei Freunde aus meinem Barrio! Unglaublich.

Ich möchte noch kurz ein paar Worte zu der Diskussion um das Verhältnis zwischen politischen und sozialen Gefangenen verlieren, die, wie ich erfahren habe, im Gefangenen Info geführt wird.

Zunächst sollten wir nicht vergessen, dass neben den politischen und den sozialen Gefangenen viele hinter Gittern sitzen, die wirklich unschuldig sind. Das System braucht angesichts bestimmter Situationen oftmals Sündenböcke und die Gefängnisse sind voll von Unschuldigen - mehr, als wir normalerweise annehmen.

Für mich stellt sich nicht die Frage, ob man sich mit allen Gefangenen solidarisieren kann. Man muss! Das Gefängnis ist kein guter Ort (na ja...vielleicht für dessen Besitzer!). Die Knäste und das Strafsystem im Allgemeinen sind eine Verirrung der Gesellschaft, deshalb muss man dagegen ankämpfen. Eine Form dieses Kampfes ist die Solidarität mit den Inhaftierten.

Zygmunt Bauman und David Garland zufolge, sind die Gefängnisse heutzutage explizit als ein Mechanismus des Ausschlusses und der Kontrolle konzipiert. Heute werden die Mauern als das wichtigste und wertvollste Element dieser Institution angesehen und nicht das, was in ihrem Inneren passiert. Das Hauptziel der Gefängnisse besteht in der Eliminierung des "gesellschaftlichen Abfalls". Soweit die Gefangenen direkt Opfer des Systems sind, verdienen sie uneingeschränkte Solidarität. Wir müssen die Situation sehen, nicht die "Anschuldigung".

Hinsichtlich der Schwierigkeit der Kategorisierung, die sich dadurch ergibt, dass viele soziale Gefangene für "Verbrechen" einsitzen, die wir als Angriffe auf das politische System bewerten könnten, denke ich Folgendes: Man muss auch hier über die "Anschuldigungen" hinausgehen, auf Basis derer die Gefangenen verurteilt wurden. Der Gefangene ist ein Gefangener, und zwar aufgrund einer Anklage, aber vor allem ist er eine Person mit einem Bewusstsein und einer bestimmten Art des Handelns. Es ist nicht dasselbe, für die Finanzierung von Drogen oder für die Selbstverwaltung des ärmsten Barrios der Stadt zu stehlen. Kann aber nicht das eine und das andere Bedürfnis direkte Konsequenz des Systems sein? Ja. Aber es gibt einen Unterschied zwischen dem kollektiven, bewussten Angriff auf das Privateigentum (auch wenn es dabei um die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse geht) und der egoistischen Aneignung, hinter der keine politische Ideen, sondern nur die eigenen Interessen stehen.

Das Verbrechen, für das der Gefangene verurteilt wurde, kann kein Kriterium für seine Definition sein. Es ist die Einstellung zu den Dingen, die den politischen Charakter der Person und deren Handlungen ausmacht.

Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber hier macht oftmals das System den Unterschied. Das geschieht unter anderem durch spezifische Gesetze, die noch im Moment der Festnahme zur Anwendung kommen. Das ist es, was den baskischen Menschen passiert. Zündest du einen Container in Málaga an, verbringst du höchstens eine Nacht auf der Polizeiwache und wirst zu einer Geldstrafe verurteilt. Tust du das Gleiche in Donostia, wenden sie das "Anti-Terrorismus-Gesetz" an, auf Grundlage dessen sie dich in Incomunicado-Haft stecken und bis zu zehn Jahren Knast verurteilen können. Einmal verurteilt und im Gefängnis, stufen sie dich als Gefangenen "ersten Grades" ein und grenzen dich damit von der Mehrheit der Gefangenen ab. Das, was uns neben der "Anklage" und unserer Einstellung zu politischen Gefangenen macht, ist die Behandlung, die wir in Haft erfahren. Ein Beispiel: Vor einem Monat erreichte eine Verordnung die Gefängnisse, die es erlaubt, die Angehörigen vor den Besuchen der Inhaftierten zu filzen und zu durchsuchen. "Zufällig" betraf diese Verordnung unsere Angehörigen. Das Gefangenenkollektiv (EPPK) hat entschieden, diese Schikane gegen die Angehörigen nicht zu akzeptieren. Ich habe gerade gelesen, dass am letzten Wochenende 120 compañeros ohne vis a vis-Besuch geblieben sind. Ich glaube, wir werden unsere Familienangehörigen und PartnerInnen eine Zeit lang nicht sehen können.

Ocaña, wo die Nacht vier Ecken hat.
26.11.2009


Schreibt Markel Ormazabal!

Jon Markel Ormazabal Gaztañaga
C.P. Ocaña 1
c/ Mártires de Ocaña, 4
45 300 Ocaña (Toledo)
Spanien


*


Schwerpunkt

Interview mit Jone Artola Ibarretxe von der Angehörigenorganisation Etxerat

geführt am 4. Januar 2010, Bilbo

Gefangenen Info: Zu welchem Zeitpunkt und aus welchen Gründen wurde die Organisation Etxerat (dt. nach Hause) ins Leben gerufen?

Jone: Unser Zusammenschluss ist entstanden, als wir die Notwendigkeit erkannten, uns als Angehörige der politischen Gefangenen zu organisieren. Die Angehörigen haben sich in den vergangenen dreißig Jahren immer schon gegenseitig unterstützt. Doch wir hielten es für angebracht, über die Grenzen hinweg einen wirklichen Zusammenhang von Angehörigen und FreundInnen aus ganz Euskal Herria zu gründen.

GI: Worin besteht eure politische Arbeit und welche Ziele verfolgt ihr?

Jone: Wir unterstützen die Gefangenen und helfen uns gegenseitig als Angehörige, indem wir Busse zu den Gefängnissen organisieren, Erfahrungen austauschen und uns finanziell unter die Arme greifen. Außerdem führen wir in vielen Orten in Euskal Herria wöchentliche encarteladas und Kundgebungen durch, während der wir die mittlerweile verbotenen Fotos der Gefangenen auf die Straße tragen. Am wichtigsten ist es jedoch, unseren eingesperrten Angehörigen ein Sprachrohr zu sein, damit die Gesellschaft erfährt, was hinter den Mauern vor sich geht. Wir sind direkte ZeugInnen und fordern die Beendigung der Zerstreuungspolitik und der willkürlichen, illegalen Maßnahmen, die gegen die Gefangenen angewendet werden.

GI: Wie beeinflusst die zunehmend auch gegen gegen Solidaritätsgruppen gerichtete Repression eure Arbeit?

Jone: Die ständigen Verfolgungen, Verbote, Strafen und Angriffe erschweren unsere alltägliche Arbeit erheblich, doch unsere Forderung ist einfach und wir werden weitermachen, bis unsere Angehörigen und FreundInnen zu Hause sind!

GI: Kannst du etwas über die aktuelle Situation der Gefangenen sagen?

Jone: Aufgrund der Kürze der Zeit nur soviel: Heute wurde in den baskischen Tageszeitungen Gara und Berria eine Erklärung des baskischen Gefangenenkollektivs veröffentlicht, in dem sie eine Reihe von Aktionen, wie z.B. Hungerstreiks, ankündigen, um die Anerkennung des Status als politische Gefangene zu fordern.

GI: Möchtest du abschließend noch etwas sagen?

Jone: Die Regierungen Spaniens und Frankreichs verschleiern, was in Euskal Herria, insbesondere hinsichtlich der politischen Gefangenen, passiert. Gerade deshalb ist es sehr wichtig für uns, dass unsere Lebensrealität in Europa bekannt wird.

Wir danken euch von Herzen für euer Interesse und Engagement und senden euch eine solidarische Umarmung aus Euskal Herria. Eskerrikasko - Danke!

Interview, Übersetzung und Anmerkungen: Red.

Bücher zum politischen Konflikt im Baskenland:
Josef Lang: Das baskische Labyrinth, 1983, isp-Verlag.
Ingo Niebel: Das Baskenland - Geschichte und Gegenwart
eines politischen Konflikts, 2009, Verlag Promedia.

Aktuelle Informationen:
www.info-baskenland.de, www.euskalherria.indymedia.org (span./bask.),
www.gara.net (span./bask.), www.askatu.org (span./bask.)


*


Inland

Solidarität organisieren - Der Kampf gegen den §129b

Wie ihr den letzten Berichten zu den §129b-Prozessen gegen die GenossInnnen aus der DHKP-C entnehmen konntet ist die Kriminalisierung der migrantischen Linken, sowie der Menschen die diese Prozesse verfolgen weiter auf dem Vormarsch. Die Prozesse gegen Ahmet D. Yüksel und Devrim Güler in Stuttgart Stammheim, sowie der Prozeß gegen Faruk Ereren laufen weiter. Dazu gibt es die Verleumdungsklagen gegen das Onlineportal "Scharf Links" und auch gegen uns.

Der Prozeß gegen Faruk Ereren begann im neuen Jahr, genauer am 7. Januar, mit einer Erklärung des §129b-Gefangenen. Faruk stellte die aktuellen Vorgänge in der Türkei in Zusammenhang mit seinen Verfahren und legte eindeutig dar, dass der 2. Strafsenat des OLG Düsseldorf sich gemeinsam mit der Bundesanwaltschaft zu Erfüllungsgehilfen der türkischen Regierung mache. In diesem Zusammenhang wies Faruk auf die neuesten Fakten im UN-Menschenrechtsbericht zur Türkei hin: Vor dem Hintergrund politischer Instabilität und militärischer Auseinandersetzungen kam es auch im vergangenen Jahr zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen. Berichte über Folter und andere Misshandlungen nahmen zu. Auf kritische Äußerungen reagierten die Behörden mit Einschüchterungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen. In seinen anschaulichen Ausführungen zur aktuellen Situation in der Türkei konnte Faruk dies dann mit konkreten Beispielen belegen.

Seit dem 60. Gründungstag der NATO gibt es in der Türkei massiven Widerstand gegen die westliche Militärallianz. 24 linke Parteien, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen. In der Kampagne "Amerika defol" wird vor allem die Schließung des US-Stützpunkts Incirlik gefordert. Dieser Stützpunkt wird seit Jahrzehnten als Angriffszentrum gegen die Völker in der benachbarten Nahostregion genutzt. 143.000 Soldaten sollen auf diesem Militärstützpunkt untergebracht werden, um in Afghanistan eingesetzt zu werden.

Drei Mitglieder eines Jugendvereins in Edirne: Harika Kizilkaya, Cevahir Erdem und Gürbüz Sönmez, die sich dieser Kampagne angeschlossen haben um die Schließung des Militärstützpunkts zu fordern, wurden am 19. Dezember ohne rechtliche Grundlage verhaftet. Dazu sollte mensch wissen, dass in der Türkei tausende Strafverfahren gegen Jugendliche laufen, die angeblich an Protesten gegen die türkischen Behörden teilgenommen haben. Im ganzen Land fanden daraufhin Aktionen zur Solidarität mit den Inhaftierten und aus Protest gegen Polizeigewalt und Angriffe zivilfaschistischer Gruppen auf protestierende Jugendliche statt. Bis zu Redaktionsschluß kam es zu zahlreichen Verletzten und 34 Festnahmen, die teilweise mit Folter in Polizeigewahrsam einhergingen. Faruk bekundete in seiner Prozesserklärung seine Solidarität mit den willkürlich verhafteteten Menschen in der Türkei.

In einem Brief an GenossInnen draußen machte Faruk deutlich, dass er mittlerweile nicht nur durch die direkte Androhung einer Verurteilung durch die deutsche Justiz bedroht wird, sondern auch durch die Androhung einer direkten Auslieferung an die Türkei. Der 3. Strafsenat des OLG Düsseldorf habe sich, entgegen vorausgehender Aussagen, dazu entschieden Bedingungen für eine Auslieferung zu gewährleisten. Faruk wörtlich: "Was mich erwartet wenn ich in die Türkei ausgeliefert werden sollte, ist Repression, Folter und Haft bis zum Tod. Der faschistische Staat in der Türkei hat eh schon zur Sprache gebracht, mich bis zu meinem Tod ins Gefängnis stecken zu wollen."

Außerdem nahm er Stellung zur Solidaritätsarbeit draußen: "Die größte Solidaritätsarbeit, die draußen für mich geführt werden kann ist ohne Zweifel den Klassenkampf gegen Unrecht, Ungerechtigkeit und Repression, für Gleichheit und Freiheit zu stärken und zu verbreitern. Dies ist die größte Unterstützung, die uns politischen Gefangenen zukommen kann. Sie besteht darin, die Bedingungen für eine aktive Teilnahme daran zu gewährleisten und uns mitzuteilen, was von uns erwartet wird. Die Moral und die Widerstandskraft, die ihr dadurch vermittelt, kann durch nichts ersetzt werden. Darüber hinaus steht an zweiter Stelle, uns über die Entwicklungen innerhalb der Linken und deren Diskussionen zu informieren und uns die Möglichkeit zu eröffnen, uns daran zu beteiligen. Drittens: Die Realität der politischen Gefangenen, ihre Haftbedingungen und welche Bedrohungen diese für die Zukunft der Bevölkerung darstellen und was die intensiven Beziehungen zum Faschismus in der Türkei bedeuten, so breit wie möglich kundzutun."

Wir sollten die Stellungnahmen von Faruk Ereren, die sich auch in weiteren Briefen der anderen §129b-Gefangenen widerspiegeln, als Anreiz nehmen, unsere Arbeit draußen zu intensivieren: Schreibt den Gefangenen, geht zu den Prozessen, überlegt was ihr darüber hinaus tun könnt.

Eine weitere Aufgabe wird darin bestehen, die noch anstehenden Prozesse zu begleiten und die jeweils Angeklagten zu unterstützen. Am 16. Februar wird der Prozeß um die Verleumdungsklage des OLG Düsseldorf gegen das Onlineportal "Scharf Links" bzw. deren Herausgeberin Edith Bartelmus-Scholich vor dem Amtsgericht Krefeld beginnen. Außerdem soll am 11. oder 12. März 2009 der Prozeß gegen Cengiz Oban, Ahmet Istanbullu und Nurhan Erdem auch auf der Grundlage des §129b und zusätzlich dem Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz (§ 34 AWG) vor dem OLG Düsseldorf beginnen. Also achtet auf weitere Meldungen und Nachrichten zu den anstehenden Verfahren. (red.)


*


Inland

"Früchte eines vergifteten Baumes"

PRO ASYL fordert das OLG Stuttgart dazu auf, die Vernehmung von Folterern einzustellen.

Mit einer Presseerklärung vom 18. Januar 2010 forderte die Flüchtlingshilfsorganisation PRO ASYL das OLG Stuttgart dazu auf, die Vernehmung des Vorsitzenden einer Istanbuler Antiterrorabteilung einzustellen.

In dem §129b-Verfahren, das gegen Ahmet Düzgün Yüksel und Devrim Güler wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der DHKPC fortgesetzt wird, war jener Vorsitzende, Serdar Bayraktutan, bereits einmal angehört worden, was durch Recherchen seitens der Verteidigung bezüglich seiner anhängigen Folterverfahren in der Türkei aber abgebrochen wurde.

Was wir damals als einen kleinen Teilerfolg werteten, scheint nun wieder hinfällig zu werden, da sich der Senat nicht davor zu scheuen scheint, diesen Folterer erneut anhören zu wollen.

PRO ASYL verfasste aufgrund dieser Entwicklung eine Presseerklärung mit der Überschrift "Deutsche Justiz darf Folter nicht legitimieren" und protestierte somit gegen das Vorgehen des OLG Stuttgart. In der Erklärung heißt es:

"In der am heutigen Tage vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) stattfindenden Hauptverhandlung gegen zwei mutmaßliche Mitglieder der verbotenen türkischen Organisation DHKP-C ist der Leiter der Anti-Terror-Abteilung der Polizei Istanbul als Zeuge geladen. Damit soll der Leiter derjenigen politischen Abteilung der Polizei vernommen werden, die regelmäßig Folter als Mittel gegen politische Widersacher anwendet. Von dieser Faktenlage ausgehend wird in Deutschland politischen Flüchtlingen aus der Türkei auch heute noch Asyl zugesprochen, wenn ihnen wegen Überstellung an diese Abteilung Folter droht (z.B. Urteil des VGH Hessen vom 29.4.2009, Az. 4 A 676/07.A).

Gegen einen früheren Versuch, den türkischen Leiter der Antiterror-Einheit als Zeugen zu vernehmen, hatten die Verteidiger der Angeklagten heftigen Widerspruch eingelegt. Sie wollten die Akten der Ermittlungsverfahren gegen den geladenen Zeugen beiziehen lassen und drängten auf Aufklärung über dessen Verstrickungen in Folterpraktiken. Nach Angaben türkischer Anwälte wurden gegen den Geladenen mehrere Strafanzeigen wegen Folter gestellt. Trotz der Foltervorwürfe hat das OLG Stuttgart den türkischen Zeugen - unter Mitwirkung des Bundeskriminalamtes - heute erneut geladen.

"Eine Abschöpfung von unter Folter zustande gekommenen Informationen darf es in einem Rechtsstaat nicht geben," erklärte am Montag Marei Pelzer, rechtspolitische Referentin von PRO ASYL. Die deutsche Justiz dürfe Folter nicht legitimieren, indem sie für Folter Verantwortliche als Zeugen anhöre. Es handele sich um "Früchte eines vergifteten Baumes", die in einem Rechtsstaat nicht geerntet werden dürfen.

PRO ASYL fordert das OLG Stuttgart auf, die Vernehmung des türkischen Zeugen umgehend einzustellen. (...)"

Neben dem Prozess in Stuttgart-Stammheim ist der §129b-Prozess in Düsseldorf gegen Faruk Ereren ebenfalls ein Beispiel dafür, dass versucht wird, Folteraussagen als gültiges Beweismaterial an deutschen Gerichten salonfähig zu machen. Den restriktiven Maßnahmen wie die praktizierte Isolationshaft gegen die Gefangenen, die Unterbindung ihrer medizinischen Behandlung - wie aktuell die Unterbindung der Behandlung der Speiseröhre- und Magenerkrankungen A. D. Yüksels wegen angeblicher Sicherheitsmaßnahmen - oder den Kontaktsperren und der Zensur muss sich entschieden entgegengestellt werden. (red.)

Weitere Infos:
www.no129.tk


*


Eure Unterstützung ist nicht unsichtbar geblieben...

www.einstellung.so36.net

Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde,

Solidarität zu fordern und Solidarität zu bekommen ist zweierlei - und bekommen haben wir eine ganze Menge. Für manche hätte es in einzelnen Phasen auch noch etwas mehr sein können, angesichts der ursprünglich formulierten Anklage sind wir in der Rückschau mit dem Erreichten aber sehr zufrieden. Deshalb: Danke!

Am 16.10.2009 fand die Urteilsverkündung im mg-Prozess statt. Mit 3 1/2 Jahren Haft für Axel und Oliver und 3 Jahren für Florian folgte das Gericht den Urteilsforderungen und den Begründungen der Staatsanwaltschaft, ohne auch nur eine Intervention der Verteidigung zu berücksichtigen.

Dieses Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Nach der unmittelbaren Revisionsankündigung der Verteidigung bei Gericht warten die Angeklagten und Ihre VerteidigerInnen auf das schriftliche Urteil, das gegen Ende Januar erwartet wird.

Die Verteidigung bekommt nach Zugang des Urteils 4 Wochen Zeit für Ihre Revisionsbegründung, für die gerichtliche Prüfung dieses Schreibens hat das Gericht dann mehrere Monate. Bis zu dieser Entscheidung bleiben Axel, Florian und Oliver unter wöchentlichen Meldeauflagen in Freiheit.

Das Einstellungsbündnis ist seit der Urteilsverkündung weiterhin aktiv. Nach einer kurzen Verschnaufpause sind wir mit der Auswertung des Prozesses und der damit verbundenen Ereignisse beschäftigt und arbeiten noch an einer Abschluss-Ausgabe der Prozess-Zeitung "Ende einer Dienstfahrt". Wir möchten uns an dieser Stelle auch noch einmal herzlich für die solidarische Unterstützung von den vielen Gruppen und Einzelpersonen bedanken, ohne die unsere Arbeit nicht möglich gewesen wäre.

Vielen Dank an alle Anwältinnen und Anwälte, die unter widrigen Umständen eine hervorragende Arbeit gemacht haben - für alle Beschuldigten und deren Umfeld. Ebenfalls danken möchten wir dem Ermittlungsausschuß, der durch seine Arbeit die Position aller potenziellen ZeugInnen in diesem Verfahren sehr gestärkt hat. Die tatkräftige Unterstützung durch die Rote Hilfe soll in diesem Zusammenhang auch nicht unerwähnt bleiben.

Ein besonderer Dank gebührt aber vor allem den vielen unsichtbar gebliebenen UnterstützerInnen, die mit Veranstaltungen und Soli-Parties unsere Arbeit ergänzt und weitergetragen haben. In diesem Zusammenhang noch einmal ein ausdrückliches Dankeschön an die vielen Bands und sonstige Beteiligte bei der Herstellung des Soli-Samplers "Out of Control", die die Angeklagten und uns mit Solidarität in ganz praktischer Form bedacht haben.

Jenseits dieses Prozesses wurde aus unserer Sicht einiges erreicht. Nicht nur vermehren sich weiterhin die Stimmen gegen deutsche Kriegsambitionen - insgesamt hat der antimilitaristische Widerstand an Kraft gewonnen. Dabei haben militante Interventionen gegen den Krieg die Öffentlichkeit und auch eher pazifistisch orientierte Kreise erreicht und finden unserer Einschätzung nach mittlerweile auch mehr Akzeptanz.

Über den Prozess sind Menschen enger miteinander in Kontakt gekommen, die sich teilweise kannten, aber nicht zusammengearbeitet haben oder sich im Kontext des Prozess kennen und schätzen gelernt haben. Trotz aller Bitternis über die unverschämten Urteile hat diese schwierige lange Periode dazu geführt, dass wir auf dieser Grundlage gemeinsam auch morgen wieder kraftvoll zubeißen können ...

Euer Einstellungsbündnis


*


Break the Silence!

Gerechtigkeit für Oury Jalloh!

Genau fünf Jahre nach dem grausamen Feuertod von Oury Jalloh kommt wieder Bewegung in den Fall: Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied am 7. Januar 2010 dass das Verfahren vor dem Landgericht Magdeburg wieder neu aufgerollt werden muss. Oury Jalloh war vor dem Bürgerkrieg in Sierra Leone nach Deutschland geflohen und verbrannte lebendig in einer Polizeiwache in Dessau. In dem rassistisch geprägten Klima der Stadt bildet sein Tod einen traurigen Höhepunkt.

Unter dem Vorwand "unzureichender Beweise" lehnte das Landgericht Dessau ein Gerichtsverfahren gegen die verantwortlichen Polizisten ab. Erst das Durchhaltevermögen und der massive Protest der "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" erzwangen die Eröffnung eines Prozesses. Doch die in das Gerichtsverfahren gesetzten Hoffnungen verflogen schnell: das Landgericht Dessau ermittelte nie wegen "Mord" sondern ging trotz anderer Hinweise immer von einer "Selbstmordversion" aus. Nur wenige Jahre zuvor starb in dieser Polizeiwache unter "Aufsicht" des gleichen Polizisten Andreas S. eine obdachlose Person an Kopfverletzungen. In Tonbandprotokollen lässt sich nachweisen, dass Andreas S. gerne mal rassistische Witze am Telefon machte. Alles Zufall? Der Korpsgeist der Dessauer Polizei, welcher vom Landgericht "hilflos" akzeptiert wurde, das "Verschwinden" zentraler Beweisstücke wie der Handschelle, mit der Ourys rechte Hand gefesselt wurde, und die zunächst nur oberflächlich durchgeführte Obduktion am Leichnam Ourys, fegten bei den ProzessbeobachterInnen schnell die letzten Reste von Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit weg.

Nachdem sein Tod in Polizeigewahrsam lange Zeit in der bürgerlichen Presse totgeschwiegen wurde, schlug der Fall zunehmen höhere Wellen und wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Sein Fall wurde auch von den großen Tageszeitungen aufgegriffen, mehrere Dokus und ein Film wurden veröffentlicht. Mouctar Bah, die treibende Kraft in der "Initiative Oury Jalloh", wurde mit einem Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Exakt einen Tag vor der Verlesung beim BGH in Karlsruhe, erhielt Mouctar Bah "Besuch" von der Dessauer Polizei. Sein Internetcafé wurde ohne Durchsuchungsbeschluss mehrere Stunden lang erfolglos "nach Betäubungsmitteln" durchsucht. Die extralegale Aktion darf als weiterer Einschüchterungs- und Diffamierungsversuch verstanden werden.

Die Entscheidung des BGH und die Wiederaufnahme des Prozesses vor dem Landgericht Magdeburg nähren die Hoffnung, dass die verantwortlichen Beamten doch noch juristisch belangt werden könnten. Doch dazu muss die Öffentlichkeitsarbeit und der Protest auf der Straße weiter organisiert werden! Nur auf politischen Druck hin wurde das Verfahren wieder aufgenommen, deswegen muss dieser Druck auch weiter aufrecht erhalten werden. Die Initiative Oury Jalloh arbeitet derzeit an der Bildung einer internationalen Untersuchungskommission, welche die Todesursachen Oury Jallohs und das Dessauer Gerichtsverfahren unabhängig untersuchen soll. Mit der Untersuchungskommission soll ein Präzedenzfall geschaffen werden auch für andere Fälle tödlicher Polizeigewalt gegen Menschen nichtdeutscher Herkunft, die bis heute ungeklärt sind! (red.)


Auszug aus der Presseerklärung der Initiative Oury Jalloh zur Demo am 7. Januar 2010:

"Oury Jalloh wurde am Morgen des 7. Januar 2005 von der Dessauer Polizei aufgegriffen, in der Zelle Nr. 5 an Händen und Füßen gefesselt, an Wand und Boden gekettet und dadurch gezwungen, auf einer feuerfesten Matratze zu liegen, auf der er kurz nach Mittag lebendig verbrannte. Die Black Community in Dessau forderte eine Untersuchung der Todesumstände Oury Jallohs: Wie kann es möglich sein, dass sich ein an Händen und Füßen gefesselter Mensch selbst anzündet, obwohl sich die Matratze nicht ohne Hilfsmittel anzünden lässt?

Wir fordern: Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung

Obwohl in der zweiten, unabhängig durchgeführten Obduktion - im Gegensatz zur ersten - Verletzungen am Körper, wie z.B. die gebrochene Nase und das verletzte Trommelfell, gefunden wurden, schloss das Landgericht Dessau die Akte, unter dem Vorwand unzureichender Beweise, und lehnte ein Gerichtsverfahren ab. Durch starkes Durchhaltevermögen und Widerstand der "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh", der African/ Black Communities sowie vieler verschiedener Menschen, wurde der Prozess am 27. März 2007 eröffnet, um den Widersprüchen und Ungereimtheiten in diesem Fall zu begegnen. Wie konnten eine Handfessel und ein Video vom Tatort während der Ermittlungen einfach verschwinden?

Oury Jalloh - Das war Mord!

Die zwei Angeklagten Andreas S. und Hans Ulrich M. wurden am 8. Dezember 2008 freigesprochen. Nach dem Prozess betonte Richter Manfred Steinhoff zwar, dass die Dessauer Polizei geschlampt hat und die "Falschaussagen der Beamten (...) dem Land Sachsen-Anhalt schaden" würden, während des gesamten Prozesses unternahm er dagegen jedoch nichts. Ein Aktivist meint dazu: 'Es war das Abscheulichste, was wir hier gesehen hatten. Der Mord an Oury Jalloh zeigte uns, dass unsere Kinder morgen hier nicht mehr sicher sein werden. Er öffnete uns die Augen und machte und die Dringlichkeit unserer Aktivitäten klar.'"


Spenden

Der Kampf um Gerechtigkeit für Oury und andere Opfer rassistischer Polizeigewalt darf nicht am Geld scheitern! Spendet an:

The VOICE e. V.
Sparkasse Göttingen
Ktonr.: 127 829
BLZ: 260 500 01
Stichwort: Oury Jalloh

Kontakt & weitere Infos:
www.initiativeouryjalloh.wordpress.com
www.thecaravan.org
www.thevoiceforum.org


*


Sand im Getriebe der Meinungsmacher?
Zur Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Gudrun Ensslin und Bernward Vesper

von Ron Augustin

"Ich suche im Dunkeln einen Bezugspunkt in der Zeit."
(Saïda Menebhi) (1)

Es ist immer etwas fragwürdig, die Privatpost von Verstorbenen zu veröffentlichen, noch dazu die persönlichen Briefe aus dem Knast. Briefe also, die unter einer gewissen Komplizenschaft zustandegekommen sind, um die Zensur zu umsegeln, und die, wenn sie ohne diese Komplizenschaft gelesen werden, dazu neigen, als voyeuristisch pervertierter Intimkitsch konsumiert zu werden.

Im Aufbruch der 60er Jahre wurde das Persönliche als politisch begriffen, damit aber nicht zugleich als öffentlich. Auch wenn eine solche Spießer-Interpretation zu den üblichen Fälschungen der "68er" Geschichtsschreibung gehört. Das 'Privatleben' als Teil der politischen Praxis zu begreifen, schließt keineswegs aus, daß es noch sowas wie Intimität gibt, und die politische Praxis selbst muss ja nicht immer 'öffentlich' sein. Es hat seit Mitte der 60er Jahre nicht wenige gegeben, die das so verstanden und danach gelebt haben. "Das legale Land ist nicht das wirkliche Land", sagte schon Gramsci, aber anscheinend muss das alles erst wieder aufs neue entdeckt werden.

Felix Ensslin, jedenfalls, hat vor kurzem die Briefe seiner Eltern, Gudrun Ensslin und Bernward Vesper, zur Veröffentlichung freigegeben. In der Hoffnung daß sie, wie er sagt, "in die Zwangsläufigkeit der großen Erzählmaschine, wonach alles immer schon auf den Tod, den Mord, den Selbstmord hinausläuft, ein wenig Sand zu werfen helfen." Auszüge aus dem Briefwechsel waren schon vor sieben Jahren vermarktet worden, in einem Buch das nur so strotzt von zynischgeilen Geschichtsklitterungen: Koenen's "Vesper Ensslin Baader, Urszenen des deutschen Terrorismus" das bald auch als Film in die Kinos kommen soll. Nun liegt die komplette Korrespondenz also in einem eher unauffälligen aber gründlich annotierten Bändchen der edition suhrkamp vor, mit einem Titel, den ich nur als Trash bezeichnen kann. Vesper selbst hat ihn - als die Überschrift einer Mappe - 'makaber' genannt.(2)

Wie schon in einem früheren Sammelband (3), ist an den Briefen selbst nichts auszusetzen. Da sprechen halt welche, so wie sie waren und wie sie sich entwickelten, mit einem grandiosen Sinn für Stil, einem hohen Wissensstand, und sich ganz und gar ihrer Widersprüche bewußt. Was auffällt, ist wie die Rezensenten in den Medien auf solche Werke reagieren. Da werden aus denen, die sonst nur als Monster dargestellt werden, ganz plötzlich "menschliche" Wesen, wird die "Vorgeschichte" der RAF "demystifiziert", obschon Koenen selbst sich da schon in der "Vorhölle" der RAF wähnt.

Mich erinnert das an die Veröffentlichung der Briefe von Rosa Luxemburg aus dem Knast. Da wo sie für lange Zeit als die 'blutige Rosa' (und schlimmer) firmiert hatte, entstand auf einmal eine nette Frau, die sich um ihre Katze kümmerte, eine Person, der damit aber zugleich auch ihrem politischen Bemühen das Genick gebrochen werden sollte. Bezeichnend ist, daß so eine Quellenausgabe im Verlagswesen dieses Landes immer noch nur möglich zu sein scheint, wenn es die individuellen Personen betrifft und nicht den kollektiven Zusammenhang, aus dem sie im Getriebe der "großen Erzählmaschine" immer wieder rausgerissen werden. Aber darum geht es immer wieder: die Zusammenhänge herstellen, in einem System das davon lebt, sie zu verneinen. Oder wie Gudrun einmal schrieb: "Kontinuität bedeutet, eine quälende Wirklichkeit, das Schema der Bezahlung und Schuld, die Psychologie der Macht so oft und solange zu brechen, bis wir Menschen sind, stärker als sie."(4)

In dem jetzt veröffentlichten Briefwechsel zwischen Gudrun Ensslin und Bernward Vesper sind die einzelnen Briefe schön und stark. Wenn die Lektüre dieser Zusammenstellung aber nicht nur Konsum bleiben soll, kann sie nicht isoliert, aus dem Zusammenhang und der Dialektik der weiteren Geschichte, betrachtet werden. So zeigen die Briefe Gudrun als die, die sie war - damals, nachher, bis zu ihrem Tod. Und den Vesper auch nicht als den hirnverbrannten Ausgeflippten, wie manche ihn gerne darstellen, sondern als einen linken Intellektuellen, der keine Mühe gescheut hat, sich und andere in ihrer politischen Entwicklung weiterzubringen.

Eindringen in die Privacy oder Sand im Getriebe - das hängt jetzt von dir ab, lieber Leser, liebe Leserin.

(1) Politische Gefangene in Casablanca, Marokko, am 11.12.1977 in einem kollektiven Hungerstreik gestorben.
(2) Gudrun Ensslin, Bernward Vesper, "Notstandsgesetze von Deiner Hand" - Briefe 1968/1969, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2009
(3) Gudrun Ensslin, "Zieht den Trennungsstrich, jede Minute", Briefe, Konkret Literatur Verlag 2005
(4) Gudrun Ensslin, September 1976, in: Pieter Herman Bakker Schut, das info, Neuer Malik Verlag 1987, S. 290 (www.labourhistory.net/raf/0019770000_02)

Zum Autor des Textes: Ron Augustin, Niederländer, war seit 1971 in der RAF organisiert. Ron wurde am 23.07.1973 bei seiner Einreise in die Bundesrepublik im Zug festgenommen. Verurteilt wurde er (Prozeß 1975 in Lüneburg) wegen Mitgliedschaft in der Roten-Armee-Fraktion u.a. Er wurde zu 6 Jahren Haft verurteilt. Desweiteren erhielt er eine 6-monatige Beugehaft, die er wegen Aussageverweigerung im Prozeß gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe erhielt, plus weiterer Ordnungsstrafen aus seinem eigenen Prozeß. (red.)


*


Kurzmeldungen bundesweit

Berlin: Am 29. Dezember 2009 wurde Tobias P. nach 42 Tagen aus der U-Haft entlassen. Er soll versucht haben Autos anzuzünden und wurde von Bullen in Zivil festgenommen. Trotz Aufhebung der U-Haft werden ihm "aus ermittlungstaktischen Gründen" immer noch 76 Postsendungen vorenthalten. Briefe an ihn in den Knast wurden kopiert, beschlagnahmt oder verzögert an die Absender zurück geschickt. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen Beschwerde gegen die Aufhebung des Haftbefehls eingelegt. (red.) Weitere Infos: http://freiheitfuertobias.tk

Dresden/Berlin: Am 19. Januar 2010 wurden im Zusammenhang mit der Mobilisierung gegen den Naziaufmarsch am 13. Februar 2010 in Dresen mehrere Hausdurchsuchungen gemacht. Betroffen waren der linke Berliner Laden "Red Stuff" sowie die Dresdner Landesgeschäftsstelle der Partei "die Linke". Es wurden Rechner und sämtliches Mobilisierungsmaterial mitgenommen. Die Aktion richtete sich sowohl gegen das bundesweite Antifabündnis "No Pasaran" als auch gegen das zivilgesellschaftliche Bündnis "Dresden-Nazifrei". (red.)

Berlin: Das Büro für Antimilitaristische Maßnahmen (BamM) und der Berliner Landesverband der DKGVK wurden wegen ihrer "Tag Y"-Kampagne u. a. vom Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und dem Deutsche Bundeswehrverband angezeigt. Sie rufen dazu auf, den Tod "gefallener" Soldaten mit einem Sektumtrunk am "Bendlerblock", dem Ehrenmal der Bundeswehr, zu feiern. Die "entsetzten" Reaktionen in der bürgerlichen Presse haben der Aktion zu einiges mehr an Bekanntheit verholfen. (red.) Siehe: www.bamm.de

Stuttgart: Am 11. Dezember 2009 wurden Gökhan A. und Ümit B., zwei kurdische Genossen, die seit Jahren politisch aktiv sind, festgenommen. Sie sitzen seitdem in der JVA Stuttgart-Stammheim in Untersuchungshaft. Der Vorwurf lautet auf "räuberische Erpressung", wobei der einzige Beweis hierfür ein Telefongespräch sein soll. Die Inhaftierung der beiden Genossen muss trotz der "unpolitischen" Vorwürfe im Kontext einer kontinuierlichen Repression der die migrantische Linke ausgesetzt ist, gesehen werden und reiht sich ein in die zahlreichen Kriminalisierungsversuchen von migrantischen politischen AktivistInnen. (red.)


*


International

Türkei: Justiz des 12. September

Nach 29 Jahren wurde am 15. Dezember 2009 der politische Prozess gegen die Devrimci Sol mit 39 lebenslänglichen Haftstrafen zu Ende gebracht.

Der Devrimci Sol-Hauptprozess, der während der faschistischen Herrschaft der Militärjunta unter General Kenan Evren vor dem 1. Militär-Notstandsgericht eingeleitet worden war, endete nach 29 Jahren vor dem 1. Schwurgericht von Üsküdar/Istanbul mit 39 lebenslänglichen Haftstrafen, 139 Freisprüchen und 999 Einstellungen der Verfahren wegen Verjährung. Die lebenslänglichen Urteile wurden gegen die Angeklagten Hüseyin Solgun, Murat Karabulut, Tugrul Özbek, Mehmet Mustafa Dalkiran, Celal Abbas Lesanoglu, Alisan Yalçin, Hüseyin Hami Sakir Özsomar, Vehbi Ersan, Yasar Yavuz, Hüseyin Albayrak, Mahmut Alp, Kenan Motor, Ugur Tuncel, Mustafa Kadir Gül, Selah Odabas, Ilyas Arduç, Hasan Bektas, Erdal Ketenci, Semdin Simsir, Özer Çetin Senyurt, Saban Tasçi, Mehmet Dogan, Mehmet Ünal, Cenap Özek, Abdülaziz Demirayak, Haci Ramazan Isik, Selahi Kayadibi, Mehmet Koca, Orhan Avci, Mustafa Kamil Uzuner, Ersin Tezcanli, Emrullah Çetin, Mehmet Kiliç, Namik Kemal Cibaroglu, Cemal Can, Ekrem Kiliç, Süleyman Özcan Bulgu, Aydin Açikgöz und Fikret Gülbahar verhängt. Das Gericht stellte darüber hinaus das Verfahren gegen den Devrimci Sol-Generalsekretär Dursun Karatas ein, der 15 Monate zuvor in den Niederlanden ums Leben gekommen war.


Aber nicht nur das Militärgericht klagte an, auch die Devrimci Sol

Die kommunistische Devrimci Sol (Revolutionäre Linke), die sich 1994 als DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) konstituierte, gehörte zu jenen Organisationen, die ihre Wurzeln im Aufbruch der 68er hatte und bis zum Putsch mitunter die spektakulärsten Aktionen durchführte. Insbesondere der faschistische Terror, der sich im Massaker vom 1. Mai 1977 in Istanbul, im Massaker in Kahramanmaras und in den Ermordungen Ermordungen zahlreicher linker AktivistInnen zeigte, war ein zenrales Interventionsfeld der Devrimci Sol. Im Rahmen ihrer antifaschistischen Kampagnen erschossen Stadtguerilleros der Devrimci Sol 1980 den führenden MHP (Partei der nationalen Bewegung; auch bekannt als Graue Wölfe)-Funktionär Gün Sazak und ebenfalls 1980 den ehemaligen Premierminister Nihat Erim, den die Devrimci Sol für die Hinrichtung von drei Revolutionären im Jahre 1972 verantwortlich machte. Als der politische Prozess gegen die 1243 Mitglieder der Devrimci Sol im Jahr 1982 begann, war die Militärjunta bereits seit rund einem Jahr an der Macht. Der Putsch, der mit tatkräftiger Unterstützung der NATO am 12. September 1980 durchgeführt worden war, hatte binnen kürzester Zeit zu über 650.000 Festnahmen, hunderten Foltermorden, extralegalen Hinrichtungen und Verboten von Parteien, Gewerkschaften und demokratischen Massenorganisationen geführt.

Während die Anklage des Militärgerichts auf "Terrorismus"vorwürfen basierte, verfassten die Gefangenen aus der Devrimci Sol eine 1.700 Seiten umfassende Verteidigungsrede mit dem Titel "Wir sind im Recht - Wir werden siegen". In dieser Verteidigungsrede klagten die Angeklagten ihrerseits die Militärjunta und die Elite der Herrschenden wegen Kollaboration mit der imperialistischen Aggression und der Ausbeutung der Völker der Türkei an. Die Verteidigungsschrift, die auch als Devrimci Sol Manifest interpretiert wird, enthielt darüber hinaus analytische und strategische Positionen, die eine Vertiefung und Weiterentwicklung der politischen Linie der 1972 zerschlagenen THKP-C (Volksbefreiungspartei-Front der Türkei) darstellen dürften.


Gefangenenkämpfe und Hungerstreiks

Das Gesicht der Junta zeigte sich allerdings nicht nur auf den Straßen, sondern auch in den Knästen, die militärisch geführt wurden. Von den 650.000 Festgenommen, bekamen 210.000 einen Strafprozess, für 7.000 wurde die Todesstrafe gefordert, von denen 49 verhängt wurden. Neben den über 300 ungeklärten Todesfällen wurden 171 durch Folter ermordert. 16 Menschen starben auf der Flucht, 95 bei Auseinandersetzungen, von 43 Menschen wurde behauptet, Selbstmord begangen zu haben und 14 Menschen starben bei Hungerstreiks. Auch die Gefangenen aus der Devrimci Sol beteiligten sich am Widerstand in den Knästen und initiierten 1984 gemeinsam mit dem Gefangenenkollektiv der TIKB (Revolutionäre Kommunistische Einheit der Türkei) ein Todesfasten gegen Folter und die symbolische Gefängniskleidung, die die revolutionären Gefangenen ablehnten. Vier Menschen starben bei dem Todesfasten.


Das "Recht der Militärjunta" wurde gesprochen

Der 29 Jahre dauernde politische Prozess, der in diesem Umfang wohl eher selten sein dürfte, dokumentiert die Geschichte der Türkei, die sich nicht aus den Fängen der Unterdrückung befreien konnte. Das Militär, das 1983 "freie" Wahlen zuließ, schaffte sich vor Abtritt mit dem MGK (Nationaler Sicherheitsrat) ein Instrument, welches dem Militär die Führungsfunktion innerhalb des Staates garantiert.

Die Mitglieder der Devrimci Sol wurden im Sinne der Anklagen zwar verurteilt, aber die Verantwortlichen für die Folter und die Morde, die vor, während und nach dem Putsch von faschistischen Gruppierungen, der Polizei, dem Militär und durch die Konterguerilla verübt wurden und werden, blieben und bleiben ungestraft. (red.)


*


International

In Frankreich entwickelt sich eine neue Kampagne für die Freilassung von Georges Cipriani und Jean-Marc Rouillan - Gefangene aus Action directe

Die relative Ruhe, die es während eines ganzen Jahres um die Gefangenen aus Action directe gab, hat gezeigt, dass sich ohne Bewegung außerhalb des Knastes für die Gefangenen nichts tut, bzw. sich ihre Situation stetig verschlechtert.

Seit November 2009 finden sich in verschiedenen Veranstaltungen, Arbeitstreffen und Versammlungen wieder verstärkt Militante / AktivistInnen zusammen, um eine neue Kampagne für die Freilassung der Gefangenen zu starten.

Georges Cipriani und Jean-Marc Rouillan sind seit Februar 87 im Gefängnis. Sie wurden gemeinsam mit Joëlle Aubron und Nathalie Ménigon als Militante aus Action directe verhaftet.

Action directe war eine Organisation, die sich in den 80er Jahren für den bewaffneten Kampf in Westeuropa entschieden hat. Ab Mai 1979 organisierte Action directe Angriffe gegen Einrichtungen, an denen politische Entscheidungen des Staates gefällt wurden. 85/86 führte AD unter anderem die Operationen gegen den Verantwortlichen des französischen Staates für Waffenhandel (General Audran) und gegen den Renault-Chef (Georges Besse) durch, der die treibende Kraft für industrielle Umstrukturierungen und Massenentlassungen war.

Die vier von AD wurden zu lebenslänglich mit 18 Jahren Mindesthaftdauer verurteilt. Die vom Staat an ihnen praktizierte Sonderbehandlung - Trakt, Isolationsfolter, Verhinderung bzw. Beschneidung der Kontakte und der Kommunikation nach innen wie nach außen - zielte auf ihre psychische und physische Vernichtung.

Nach 17 Knastjahren wurde bei Joëlle Aubron eine vorangeschrittene Krebserkrankung festgestellt.

Die Mobilisierung führte zu ihrer Haftaussetzung im Juni 2004. Joëlle starb am 1. März 2006.

Nach den 18 Jahren Mindesthaft wurde die Mobilisierung für die Freilassung von Georges Cipriani, Nathalie Ménigon und Jean-Marc Rouillan verstärkt. Pressearbeit, öffentliche Aktionen, Veranstaltungen, Solidaritätskonzerte, Kundgebungen und andere Solidaritätsaktionen machten die Freilassung der Gefangenen aus Action directe in der Öffentlichkeit zum Thema.

Nach über 20 Jahren Haft erhielten Nathalie Ménigon und Jean-Marc Rouillan endlich "offenen Vollzug". Die damit verbundenen Auflagen enthielten das Verbot, sich öffentlich zu ihrer Geschichte und zu den politischen Zusammenhängen zu äußern, wegen derer sie verurteilt worden waren.

Jean-Marc hat ein Interview gegeben. Deswegen wurde ihm der "offene Vollzug" wieder gestrichen.

Georges Cipriani ist im Gefängnis von Ensisheim im Elsaß inhaftiert. Sein letzter Antrag auf "offenen Vollzug" wurde in der letzten Instanz u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass er sich politisch äußert und immer noch als Gefangener aus Action directe unterschreibt. Weiterhin wurde ihm vorgeworfen, dass er keine Reue zeigt und "dass er keinerlei Fortschritt in Bezug auf seine Einstellung hinsichtlich der Legitimität des Kampfes gegen den Kapitalismus, den Action directe in den 80er Jahren führte, gemacht hat." Er ist der einzige Gefangene aus AD, der nach über 22 Jahren Haft noch keinen Tag draußen war. Ende September 2009 hat er einen neuen Antrag gestellt, der bis Ende April 2010 geprüft werden soll.

Wenige Monate nach Streichung des "offenen Vollzugs" verschlechterte sich Jean-Marc Rouillans Gesundheitszustand besorgniserregend. Die Knastverwaltung wartete bis zum letzten Moment mit einer Noteinweisung ins Krankenhaus. Eine schwere, voranschreitende Erkrankung (Chester-Erdheim) wurde diagnostiziert.

Nach Aussagen medizinischer Experten muss diese Krankheit behandelt werden, bevor es zu einem neuen Schub kommt. Eine solche Behandlung ist mit der Haft nicht zu vereinbaren.

Trotzdem wurde Jean-Marc in den Knast zurückverlegt und wird nicht behandelt.

Staatsanwälte haben ihm als Vorbedingung für eine eventuelle Haftverschonung nahe gelegt, sich von der Geschichte von Action Directe zu distanzieren und Reue zu zeigen. Der Staat nimmt somit seinen Tod in Kauf.

Sofortige Freilassung von Georges Cipriani und Jean-Marc Rouillan

Weitere Info wieder unter:
www: action-directe.net

Schreibt Jean-Marc Rouillan!

9496 / A109
Centre de détention de Muret
Route de Seysses
31600 Muret
Frankreich

Schreibt Georges Cipriani!

5250 / 2108
MC Ensisheim
49 rue de la 1ère armée
68190 Ensisheim
Frankreich


*


Kurzmeldungen international

Türkei/Edirne: Die seit mehreren Monaten laufende Kampagne "Amerika Verschwinde, dieses Land gehört uns", bei der vor allem die Schließung des US-Stützpunkts Incirlik gefordert wird, sieht sich mit ständiger Polizeirepression konfrontiert. Dutzende Menschen wurden bei Plakat- und Unterschriftenaktionen festgenommen und misshandelt. In Edirne sind fünf Jugendliche seit dem 19. Dezember bzw. 27. Dezember 2009 ohne rechtliche Grundlage in Haft, in Erzincan wurden weitere 11 Jugendliche und auch in Kars 16 Personen in Haft genommen. (red.)

Frankreich/Vincennes: Am 25., 26., und 27. Januar 2010 werden zehn Häftlinge des Internierungslagers Vincennes vor Gericht stehen. In Vincennes gab es im Frühjahr 2009 mehrere Revolten. Als am 21. Januar 2009 ein Abschiebehäftling aufgrund mangelnder Fürsorge starb, wurde am nächsten Tag das Gefängnis in Brand gesteckt. Die Angeklagten wurden wegen Brandstiftung und Angriffen auf die Polizisten in Präventivhaft genommen. Außerhalb der Mauern wurde neben zahlreichen militanten Angriffen ab dem 16. Januar 2010 eine Solidaritätswoche organisiert. (red.)

Türkei/Ankara: Am 06. Januar 2010 fand in Ankara eine antimilitaristische Pressekonferenz auf offener Straße statt. Sie erklärte sich solidarisch mit dem Wehrdienstverweigerer Enver Aydemir, der sich zur Zeit im Hungerstreik befindet, nachdem er in Istanbul verhaftet wurde und mehrfach Folterungen ausgesetzt war. Im Anschluss griff die Polizei die TeilnehmerInnen an und verhaftete 23 Personen. Der Anarchist Volkan ist immer noch in Haft, weil er maßgeblich an der Planung der Pressekonferenz beteiligt gewesen sei und angeblich eine Schusswaffe dabei hatte - von der aber jede Spur fehlt. (red.)

Kolumbien: In der ersten Januarwoche wurde die Offensive gegen die FARC verstärkt und 2 Basen mit 200 Personen angegriffen. Dabei starben 25 Guerillakämpfer der FARC und 13 wurden festgenommen. Sechs weitere Guerillakämpfer wurden bei einer Schießerei mit kolumbianischen Spezialeinheiten der Armee getötet. Unter ihnen war der zweite Kommandant der 51. Front, Eliseo Mancilla Garces. Drei weitere Guerilleros wurden von der Task Force Omega (Bild) etwa 250 km südlich von Bogota gefangen genommen. (red.)


*


Repression in Kopenhagen

Im Dezember 2009 fand in Kopenhagen der COP15 (15. Klimagipfel) statt. Dagegen gab es zahlreiche Protestaktionen und eben auch die erwartete Repression. Nach Informationen der TAZ vom 18. Januar 2010 wurden rund 2000 Menschen verhaftet, gegen 14 wurde mittlerweile Anklage erhoben und zwei sind immer noch inhaftiert. Wir veröffentlichen an dieser Stelle einen Brief der Gefangenen:

"Irgend etwas ist faul in Dänemark (nicht nur in Dänemark). In der Tat, tausende Menschen haben zugestimmt, ohne jegliche Anhaltspunkte, dass eine Bedrohung der Gesellschaft existiert. Hunderte Menschen wurden bereits eingeknastet, einige sind festgenommen und warten auf ein Urteil oder es wird weiterhin gegen Menschen ermittelt. Darunter zählen auch wir, die Unterzeichner dieses Briefes. Wir wollen gern die Geschichte von einem besonderen Standpunkt derer erzählen, die den Himmel nur hinter Schloss und Riegel betrachten können.

Eine UN-Versammlung von entscheidender Bedeutung ist auf Grund von verschiedenen Widersprüchen und Spannungen in Bezug auf die COP15 gescheitert. Das Hauptanliegen der Mächtigen war die Herrschaft über die Energievorräte für ein unbeschränktes Wachstum. Das war das Argument, vollkommen egal woher sie kamen, ob von Industrieländern wie der USA oder aus der EU, oder aus sog. Entwicklungsländern wie Brasilien oder China.

Im Widerspruch dazu haben hunderte Delegationen und tausende von Menschen in den Straßen den Druck erhöht, dass die Grundprinzipien des Lebens (und aktuell ist es so), denen der Profite entgegensteht. Wir haben mehrfach unseren Willen bekräftigt, dem vom Menschen verursachten Druck auf die Biosphäre etwas entgegenzusetzen.

Eine Krise des allgemeinen Denkmuster über die Energie wird bald kommen. Der Mechanismus der globalen Herrschaft hat die gefährlichen Machenschaften bewiesen. Die Mächtigen scheiterten nicht nur an einer Vereinbarung zur internen Aufteilung, sondern auch daran die formale Kontrolle der Diskussion zu behalten.

Der Klimawandel ist ein extremer und ultimativer Ausdruck der Gewalt der kapitalistischen Wachstumsbestrebungen. Weltweit nehmen die Menschen zu, die gegen diese Gewalt rebellieren. Das haben wir in Kopenhagen gesehen, und wir haben die gleiche Gewalt gesehen. Hunderte von Menschen wurden ohne Gründe eingesperrt, weil sie an friedlichen und legalen Demonstrationen teilgenommen hatten. Eben diese einfachen Beispiele des zivilen Ungehorsams wurden als erhebliche Bedrohung der sozialen Ordnung betrachtet.

Als Antwort fragen wir uns, welche Ordnung wir bedrohen und wer das veranlasst? Ist das die Ordnung in derer wir nicht mehr wir selbst sind? Diese Ordnung ist außerhalb der Bestimmungen von sinnvollen gesellschaftlichen Grundlagen, welche wir immer unterschreiben würden, wo unsere Körper gefasst, geführt, genötigt und eingeknastet werden ohne jegliche Anhaltspunkte von einem Verbrechen. Ist das die Ordnung in welcher Entscheidungen mehr und mehr abgeschirmt von sozialen Konflikten getroffen werden? Wo die Herrschaft immer weniger von den Menschen bestimmt wird, nicht mal durch ein Parlament? In der Tat, nicht demokratische Organisation wie die WTO (Welthandelsorganisation), die NB, die G-was auch immer haben jegliche Kontrolle in ihrer Hand.

Wir werden gezwungen zu bemerken, dass das Theater der Demokratie zusammenbricht, sobald man sich dem Zentrum der Macht nähert. Deshalb wollen wir die Macht der Menschen zurückgewinnen. Wir besinnen uns der Macht unseres eigenen Lebens. Vor allem besinnen wir uns unserer eigenen Kraft zur Rückgewinnung der Grundprinzipien des Lebens und nicht der bürgerlichen Prinzipien des Profites. Es wurde bisher als illegal abgetan, aber wir betrachten es als vollkommen legal.

Da kein echter Raum im gebrochenen Theater verlassen wird, forderten wir unsere kollektive Kraft - in Wirklichkeit erwarteten wir sie - um über das Klima und Energieemission zu sprechen. Angelegenheiten, die unserer Ansicht nach, kritische Schnittstellen zu globaler Gerechtigkeit, Überleben der Menschheit und Unabhängigkeit von Energie umfassen. Wir sind mit unseren Körpern marschiert. Wir ziehen es vor, den Raum wo die Macht eingesperrt ist, lachend und tanzend zu betreten. Das hätten wir auch gern beim Bella Zentrum versucht, hätten die Tagung mit hunderten von Delegierten gestört. Aber wir wurden wie immer von der Polizei daran gehindert. Sie haben unsere Körper weggesperrt um somit unsere Ideen zu verstecken. Wir haben unseren eigenen Körper riskiert, um zu versuchen beieinander zu bleiben und gerade sie zu schützen. Wir schätzen unseren Körper: Wir brauchen sie, um zu lieben, um zusammen zu bleiben und uns unseres unseres Lebens zu erfreuen. Sie halten unseren Verstand mit vielen schönen/guten Ideen und Sichtweisen fest. Sie halten unsere Herzen, gefüllt mit jeder Menge Leidenschaft und Heiterkeit, fest. Dennoch riskierten wir es. Wir riskierten unsere Körper, die in Gefängnisse gesteckt wurden. Mal ganz ehrlich, wie würde der Wert des Denkens und des Fühlens sein, wenn sich unsere Körper nicht bewegen würden? Das Geschehenlassen, das Nichtstun wäre die schlechteste Form der Mitschuld an diesem Geschäft, um die Sitzung der Vereinten Nationen zerhacken zu wollen. An dem Punkt der COP15 bewegten wir uns und wir werden uns auch weiterhin bewegen.

Genauso wie Liebe kann ziviler Ungehorsam nicht einfach nur erzählt werden. Wir müssen es selbst mit unseren Körpern tun. Sonst würden wir nicht wirklich daran denken was wir lieben, und wir würden nicht wirklich lieben, woran wir denken. Nichts ist einfacher als das. Es ist eine Sache der Liebe, der Gerechtigkeit und der Würde.

Wie der COP15 beendet wurde, zeigt uns, das wir Recht hatten. Viele von uns bezahlen, was für eine zwanghafte, durchdringende und ganze Verdrängung obligatorisch ist: Einen Schuldigen auf Kosten einer erfundenen Geschichte (vielleicht in Verbindung mit einem Verbrechen) zu finden.

Wir werden mit absurden Beschuldigungen entweder über Gewalttaten, das Organisieren von gesetzbrechenden Handlungen, oder aufgrund von Verschwörungen oder nicht stattgefundenen Sachen in Haft behalten. Wir fühlen uns nicht schuldig, zusammen mit Tausenden, die Unabhängigkeit unseres Lebens von Regeln des Profites aufzuzeigen. Wenn die Gesetze dem etwas entgegensetzen, war es zu friedlich, zu legitim - aber wäre es noch konfliktbeladener - würden sie brechen.

Wir sind zwar gerade hier eingedockt, doch wir sind bereit wieder mit einem Wind zu segeln, der stärker wird als jeher. Es ist eine Sache der Liebe, der Justiz und der Würde.

Luca Tornatore - from the Italien social
centres network "see you in Copenhagen".
Natasha Verco - Climate Justice Action
Stine Gry Jonassen - Climate Justice Action
Tannie Nyboe - Climate Justice Action
Johannes Paul Schul Meyer
Arvip Peschel
Christian Becker
Kharlanchuck Dzmitry
Cristoph Lang
Anthony Arrabal"


*


Gedächtnisprotokoll einer Festnahme in Kopenhagen

"Zeit der Festnahme: Gegen 10 Uhr am 16.12.2009

Mir wurde nicht gesagt, ich wäre festgenommen. Mir wurde nicht gesagt, warum ich festgenommen wurde.
Mein Ausweis wurde nicht kontrolliert. Ich wurde mit Kabelbindern um die Hände gefesselt und in eine Reihe mit ungefähr 25-30 anderen Frauen gesetzt. (...)
Ich wurde an meinen Armen zum Gefangenenbus (ein Bus in Größe eines konventionellen Reisebusses mit ca. 50 Plätzen) getragen, meine Füße schleiften auf dem Boden, (...). Zweimal brach Ärger aus: das erste Mal in der letzten Reihe von vorne zum Treppenbereich. Zwei französischsprachige Männer wurden mit Schlagstöcken bedroht. Das zweite Mal weiter hinten auf der rechten Seite von vorne. Die Bullen sprangen über mich über und ich hörte später, dass sie einen der Gefangenen, die alle mit Kabelbindern auf dem Rücken handlos gemacht wurden, gewürgt hätten. (...)
Dann kamen wir bei einer großen Lagerhalle an. Ungefähr 200 Leute wurden in der "Eingangshalle" in Reihen auf Isomatten gesetzt. (...)
- In der ersten Stunde wurden Frauen nicht auf die Toilette gelassen und mussten lange darauf warten (...). Später haben sie uns bewusst länger warten lassen (Machos), besonders wenn sie nicht höflich gefragt wurden, sondern aufgefordert wurden uns zur Toilette zu lassen. Das Spiel guter Polizist, böser Polizist wurde auch gespielt. Einer der jungschen Bullen trug später auch Ohrstöpsel. (...) - Ein anderer Mann wurde von einem der Riotcops mit einem Pfeifen und einem "hophop" aufgefordert aufzustehen und mit zu kommen. Jemand sagte ihm, dass er sich nicht an einen Hund wenden würde, sondern an einen Menschen. Er antwortete, dass er das wüsste. (...)
Ich wurde zu einem der 5 oder mehr Registrierungspunkte gebracht. Dort fragte man mich nach meiner Muttersprache: deutsch, meinem Ausweis und meiner Adresse. (...)
Ich wurde aufgefordert mich in 4 Positionen mit meiner Strassenkleidung und meinem Rucksack vor dieser Tafel fotografieren zu lassen: von vorne, von beiden Seiten im Profil und von hinten. (...) Als ich nach dem Grund meiner Ingefangennahme fragte, wurde mir gesagt, es stünde auf dem Blatt, dass der Bulle vor sich liegen hatte (allerdings auf dänisch) und man gab mir ein anderes Papier auf dem Informationen über die Präventive Ingefangennahme (auf deutsch) standen. Sollte ich jetzt raten oder was? (...)
Dann wurde ich dazu aufgefordert, meine Schuhe auszuziehen, wogegen ich protestierte, weil meine Füße dann auf dem kalten Boden der Lagerhalle gehen müssten. (...) dann wurde ich sogleich bedroht, (...) nach kurzem zögern, ließ ich ihn das dann machen. (...)
Es war ungefähr 14.30 Uhr, als ich in einen der Käfige überführt werden sollte. (...) Wir konnten etwas mitgebrachtes essen und ich "durfte" meine Schuhe wieder anziehen. Um 14.45 Uhr wurde ich in den ersten Käfig rechts von der Tür geleitet und eingesperrt. (...) Die Käfige waren 3 m lang, 2 m breit und 2 m hoch (zaunartige Wände) und durchsichtig. Viele hatten Isomatten bekommen. Doch in dem Käfig, in dem wir zu neunt untergebracht waren, war gerade mal genug Platz zum sitzen, nicht zum schlafen. Wie Tiere in Käfige gepfercht. Wir blieben eingeschlossen bis nach dem Schichtwechsel um 20 Uhr.
Mir wurde kein Telefonanruf gewährt, als ich danach fragte(...). [Ich] solle ich doch verstehen, dass es eine Ausnahmesituation sei, in der wir uns gerade befinden. Aber der Bulle meinte, sie hätten eine Priesterin, mit der ich reden könnte! Und für wahr da liefen eine Priesterin und ein Priester von Käfig zu Käfig. (...)
In einem anliegenden Käfig fragte eine Frau nach einem Arzt, sah aber nie einen. Gefangene Menschen wurden in ihren Käfigen mit Pfefferspray besprüht. (...)
Nachdem einige Käfige zu Bruch gingen, wurden Reparaturen durchgeführt. Es wurde namentlich gebohrt und nur diejenigen, die reparierten trugen Gehschutz. (...) Wir bekamen keinen Gehschutz über die ersten zweieinhalb Stunden. Wir konnten uns nur die Ohren zuhalten. [Es gab Gefangene] (...) die wegen "Rioting" wieder Kabelbinder in den Käfigen tragen mussten, und die sich nicht die Ohren zuhalten konnten. (...) Nachdem es wieder einmal lautstark Proteste gab, bekamen wir endlich! Ohrstöpsel.(...)" (Der Text musste aus redaktionellen Gründen gekürzt werden)

Die schikanöse Festnahme endete spät in der Nacht - ohne dass den festgenommenen Personen mitgeteilt wurde warum. Polizeiliche Willkür und massive Rechtsbrüche gehören spätestens seit den Schüssen beim EU-Gipfel in Göteburg und der Ermordung von Carlo Guiliani während der Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua 2001, zu jedem größeren Gipfeltreffen dazu. Die massive Polizeibrutalität in Genua und bei anderen Gipfeltreffen traumatisierte viele AktivistInnen - was neben dem "Schutz" der Gipfeltreffen erklärtes Ziel der Polizeikräfte sein dürfte. Die als "Ausnahmezustand" bewusst aufgebauschte Situation wird genutzt um neue (auch extralegale) Repressionsmethoden und Polizeitaktiken einzusetzen, sowie um besonders harte Urteile und Knaststrafen wegen der (auch angeblichen) Teilnahme an Riots zu fällen. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns auch nach dem Aktionstag mit den von Repression Betroffenen solidarisieren und sie unterstützen! Betroffen sind wenige - gemeint sind wir alle! (red.)


*


Kurzmeldungen international

Italien/Milano: Das Schwurgericht Milano entschied am 29. Dezember 2009, dass sich die 4 GenossInnen, die sich seit den Festnahmen am 12. Februar 2007 in Hausarrest befanden, wieder frei bewegen dürfen. Sie müssen sich drei Mal wöchentlich bei der Polizei melden. Im Zuge des gegen die PC P-M gerichteten Repressionsschlags unter der Bezeichnung "Tramonto" wurden am 12. Februar 2007 zahlreiche Hausdurchsuchungen und Festnahmen durchgeführt. Die 15 kommunistischen Gefangenen wurden letztes Jahr nach einem langen Prozess in Mailand zu 3-15 Jahren Knast verurteilt. (red.)

Russland/Moskau: Am 19. Januar 2010 jährt sich der Todestag des Anwalts Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasia Baburowa. Die Gedenk-Kundgebung in Moskau wurde wegen der angeblich zu späten Anmeldung abgesagt. In der Presse wurde daneben eine üble Hetzkampagne gegen das veranstaltende Komitee begonnen. Stanislaw und Anastasia engagierten sich gegen die äußerst starke Nazi-Szene in Russland und wurden am 19. Januar 2009 erschossen - die Killer blieben umbekannt. (red.)

Schweiz/Arau: Die beiden Anarchisten I. und P. wurden am 15. November 2009 um 5 Uhr morgens verhaftet und sind seitdem in U-Haft. Seit längerem sind Arau viele politische Sprayereien gemacht worden und gab es eine Serie von Brandstiftung gegen Luxus-Autos für die I. und P. verantwortlich gemacht werden sollen. Obwohl die "Beweislage" sehr unklar ist, wird die Haft weiterhin aufrecht erhalten und eine massive Hetze gegen die beiden in der Presse betrieben! (red.)
Post an sie über: Infoladen Reitschule, -Arau-, Postf. 5053, 3001 Bern

Serbien/Belgrad: In Serbien wurden am 03. September 2009 sechs Mitglieder der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft "Anarhosindikalistica inicijativa" (ASI) des "Internationalen Terrorismus" beschuldigt und sind bis zum heutigen Tag inhaftiert. Grund war eine Aktion an der griechischen Botschaft in Belgrad, bei der durch Brandflaschen geringer Sachschaden an der Außenfassade entstand. Zu dem Anschlag hatte sich zudem die klandestine Gruppe Crni Ilija bekannt. (red.)
Mehr zu den "Belgrade 6": www.fau.org/soli/belgrade6


*


Auf Leben und Tod
Mumia's Leben steht noch immer auf der Kippe!

Am Dienstag, den 19. Januar 2010, sollte der Supreme Court der USA über das Leben von Mumia Abu-Jamal entscheiden. Das Höchste Gericht gab dem Berufungsantrag der Staatsanwaltschaft, das Einspruch gegen die Aufhebung der Todesstrafe erhoben hatte, statt. Die Todesstrafe wurde ursprünglich 2001 und 2008 von zwei Bundesgerichten aufgehoben mit der Entscheidung des Supreme Courts aber wieder für hinfällig erklärt.

Das Supreme Court entschied nicht über Leben oder Tod von Mumia und verwies den Fall zurück an das 3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia, das nun darüber entscheiden soll ob die Todesstrafe vollzogen werden soll oder Mumia lebenslänglich in Haft bleibt.

Bei der erneuten Verhandlung geht es um die Frage, ob die Geschworenen ausreichend über die Berücksichtigung mildernder Umstände informiert worden seien. Die Entscheidung darüber soll vor dem Hintergrund eines ähnlichen Falles getroffen werden, in dem der Supreme Court das Todesurteil gegen einen Gefangenen Anfang Januar endgültig bestätigte. Kommt das Gericht in Philadelphia zu dem Schluss, die Geschworenen seien ausreichend informiert worden, droht Mumia die Hinrichtung.

"Im Klartext heißt das, Mumia darf weiterhin hoffen und bangen, aber der Strick um seinen Hals wird immer enger zugezogen, denn der Fall, der zum Vergleich herangezogen werden soll, ist endgültig entschieden - und zwar für die Todesstrafe", kommentierte Anton Mestin vom Berliner Free Mumia Bündnis am 19. Januar 2010 die Entscheidung des Supreme Court.

Mumia's Hauptverteidiger Robert R. Bryan äußerte sich folgendermaßen: "Die Entscheidung ist nicht schlecht, weil wir Zeit gewonnen haben. Wir gehen einen Schritt zurück und verhandeln erneut über das Todesurteil vor einem unteren Gericht." Gleichzeitig warnte er aber davor dies als Erfolg zu werten: "Sein Leben ist weiter in Gefahr! Der Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung ist nur aufgeschoben" so der Anwalt.

So ist das Urteil zwar ein kleiner Erfolg, jedoch ist dieser nur mit Vorsicht zu genießen: Da die Entscheidung des Supreme Courts nicht richtig begründet wurde dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass die Entscheidung vermutlich auch unter taktischen Aspekten heraus gefallen ist. Sei es dass sich das Supreme Court nicht die Finger schmutzig machen muss, oder sei es um dem erwarteten Protest gegen eine Hinrichtung durch einen lange Verhandlung ein letztes Mal den Wind aus den Segeln zu nehmen, um Mumia tatsächlich ungestört hinrichten zu können.

Vergessen dürfen wir auch nicht, dass unsere Forderung nach Freiheit für Mumia Abu-Jamal in keinster Weise erfüllt worden ist, sondern einzig und allein die Frage verhandelt wird ob Mumia lebenslang in Haft bleibt oder die Todesstrafe vollzogen wird.

Vor diesem Hintergrund, sowie dass das Urteil des 3. US-Bundesberufungsgericht das endgültige Urteil über Mumia's Leben sein wird und dass selbst bei einer Entscheidung gegen die Todesstrafe Mumia für immer hinter Schloss und Riegeln verbringen wird, macht uns die Notwendigkeit deutlich auch weiterhin für die Freiheit von Mumia Abu Jamal und aller anderen politischen Gefangenen zu kämpfen, bis wir ihn wieder in Freiheit begrüßen können. Dafür müssen wir bis zu der Entscheidung einen möglichst breiten Protest organisieren, um dadurch Druck ausüben zu können. So sollten wir uns die gewonnene Zeit nutzen um diesen Protest auf verschiedenen Ebenen zu organisieren und gemeinsam die Hinrichtung von Mumia Abu-Jamal verhindern!

Zeigt euch solidarisch mit Mumia Abu Jamal! Werdet aktiv und verhindern wir gemeinsam die Hinrichtung von Mumia Abu Jamal! (red.)


Free Mumia - Abolish The Death Penalty

Wie können wir Mumia unterstützen?

Aufgrund der aktuellen Entwicklung sind letzten Meldungen der Solibewegung zufolge die Notfallproteste erstmal für unbestimmte Zeit ausgesetzt.
Das bedeutet aber nicht, dass mit einer möglichen Hinrichtung Mumias nicht mehr zu rechnen ist, sondern dass wir weiterhin auf alles vorbereitet sein müssen.

Werdet aktiv: In zahlreichen Städten wollen verschiedene Bündnisse, Komitees und Initiativen die Hinrichtung von Mumia verhindern und organisieren vor Ort den Protest. Eine Übersicht, sowie auch Treffpunkte und Termine der Treffen findet ihr unter: www.mumia-hoerbuch.de

Petition unterzeichnen: Eine Möglichkeit sich mit Mumia solidarisch zu zeigen ist eine Petition an Barack Obama zu unterschreiben, die von der Verteidigung zusammen mit Mumia Abu-Jamal erarbeitet wurde und zur Unterschrift ins Internet gestellt wurde:
"WIR, DIE UNTERZEICHNER, ersuchen Sie hiermit, sich gegen die Todesstrafe für Mumia Abu-Jamal auszusprechen sowie gegen die Todesstrafe für viele Männer, Frauen und Kinder überall auf der Welt, die ihrer Hinrichtung entgegensehen. Diese höchste Form der Bestrafung ist für eine zivilisierte Gesellschaft ist inakzeptabel und untergräbt die Menschenwürde." Zu finden ist die Petition unter: www.petitiononline.com/mumialaw

Weitere Informationen:
www.mumialegal.org
www.freedom-now.de
www.mumia-hoerbuch.de

Schreibt Mumia Abu-Jamal!

AM 8335
SCI Greene Prison
175 Progress Drive
Waynesburg, PA 15370
USA


*


Schwerbehinderter Savvas Xiros läuft Gefahr, beide Beine zu verlieren

Heike Schrader (red. gekürzt)

Im Fall des seit mehr als sieben Jahren im Gefängnis sitzenden fast blinden, schwer hörbehinderten und unter Gefäßerkrankungen des zentralen Nervensystems leidenden Savvas Xiros reicht augenscheinlich selbst eine hundertprozentige Schwerbehinderung in Verbindung mit einer unter Haftbedingungen nicht behandelbaren offenen Erysipel an den Beinen nicht aus. Das im Sommer 2002 nach der vorzeitigen Explosion einer Bombe schwerverletzt von der Polizei aufgegriffene Mitglied der griechischen Stadtguerillaorganisation 17N (Organisation 17. November) leidet seit über einem Jahr an einer bakteriellen Infektion beider Beine. Seit April werden ihm bei diversen Aufenthalten im Krankenhaus starke Antibiotika gespritzt oder per Tropf verabreicht. Weil die Krankheit nur wenige Wochen nach Rückkehr in die Zelle jedoch wieder bedrohliche Ausmaße angenommen hat, pendelt Savvas Xiros seitdem zwischen Gefängniskrankenhaus und Zelle.

Die Krankheitsschübe sind mittlerweile so stark geworden, dass Teile des Beinfleisches komplett absterben und nur allmählich wieder nachwachsen. Es besteht die Gefahr irreparabler Schäden, die zur Amputation der Beine führen könnten. Auch die Haftbedingungen tragen zur Verschlechterung der Krankheit bei. Nach Angaben der behandelnden Ärzte wären Tageslicht, gesunde Ernährung und frische Luft unabdingbar für den Heilungsprozeß. Im unterirdischen Kleingruppenisolationstrakt des Gefängnisses von Korydallos, in dem Savvas Xiros zusammen mit neun weiteren politischen Gefangenen inhaftiert ist, kann jedoch weder die Luft ausreichend zirkulieren, noch dringt Tageslicht in die Zellen. Nichts aber deutet darauf hin, dass man den Kranken dauerhaft in ein zur Behandlung geeignetes Krankenhaus verlegen wird. Statt dessen habe ihm ein Gefängnisarzt gesagt, so Savvas Xiros gegenüber junge Welt, dass man ihn in Zukunft in der Zelle behandeln würde, da die Aufenthalte auf der Krankenstation keinen Erfolg gezeigt hätten.


*


Anklage: Palästinensische Kinder werden in israelischen Gefängnissen gefoltert

von: Defence for Children International/Palestine Section (DCI/PS) 9. Januar 2010 (Pal Telegraph)

Am Mittwoch (6.1.) legte DCI dem UN-Sonderberichterstatter 13 Fälle über Folter zur Untersuchung vor.

Die Fälle stehen in Zusammenhang mit Misshandlung und in einigen Fällen mit Folter zwischen Februar 2008 und März 2009. Es handelt sich um palästinensische Kinder, die in dem berüchtigten Al-Jalame-Verhör- und Haftzentrum in der Nähe Haifas in Israel waren. In jedem Fall berichten Jungen zwischen 16 und 17 Jahren, dass sie in Zelle 36 im Verhörzentrum gehalten wurden. Die Zelle Nr. 36 wird wie folgt beschrieben:

2 mal 3 Meter groß, das Kind wird gezwungen, in einem Betonbett oder auf einer dünnen Matratze auf dem Boden zu schlafen. Mahlzeiten werden durch eine Klappe in der Tür gereicht. So hat es keinerlei menschlichen Kontakt. Ein Kind berichtete, dass es 65 Tage lang in Einzelhaft in der Zelle 36 gehalten worden war.

Die Wände der Zelle 36 sind dem Bericht nach in grauer Farbe mit scharfen Vorsprüngen, sodass man sich nicht einmal gegen die Wand lehnen kann, berichtet das Kind. Und was vielleicht noch mehr stört: die Zelle hat kein Fenster und nur eine einzige schwache Beleuchtung, die 24 Stunden pro Tag an ist. Einige Kinder berichten, dass sie Schmerzen hinter den Augen hatten und nachteilige psychologische Wirkungen, nachdem sie in Zelle 36 eingesperrt waren.

Der Hauptzweck des Eingesperrtseins in Zelle 36 scheint der zu sein, die Kinder psychisch zu brechen, um dann Eingeständnisse/ Aussagen von ihnen zu bekommen.

Diese Schlussfolgerung wird durch das Zeugnis eines Kindes bestätigt, das angibt, dass es am 10. Tag des Verhörs, und weil es so unter Druck war, sich entschieden hat, auszusagen, um aus dieser Zelle herauszukommen. Alle Kinder, die zwischen längeren Verhörsitzungen in Zelle 36 gehalten wurden, in der klar verbotene Techniken benützt wurden, wie Handschellen an Händen und Füßen als auch in Körperstellungen, die man als Missbrauch bezeichnen kann.

Kinder, die in Al-Jalame zum Verhör gehalten werden, haben keinen Zugang zu einem Anwalt und erhalten keinen Besuch ihrer Familie - das steht im Widerspruch zur Vierten Genfer Konvention und einer Reihe von Menschenrechtskonventionen.

Die Kinder erhalten in diesen Einrichtungen keinen Unterricht. Außerdem ist die Verhaftung von Palästinensern aus den besetzten Gebieten in Al-Jalame eine klare Verletzung von Artikel 76 der Vierten Genfer Konvention (1949): eine Besatzungsmacht muss Bewohner der besetzen Gebiete innerhalb dieser Gebiete halten d.h. in der Westbank. DCI-Palestine hat darum gebeten, dass der UN-Sonderberichterstatter über Folter Nachforschungen macht und über Behauptungen von Misshandlungen und Folter an palästinensischen Kindern in der al-Jalame-Haftanstalt berichtet. Im Augenblick werden 306 palästinensische Kinder in israelischen Haftzentren festgehalten.


*


Kurzmeldungen international

Nepal: Der maoistische Kader Rajesh Mandal wurde am 12. Januar 2010 ermordet. Er war verantwortlich im Regierungsausschuss des Bundesstaats Bhojpura. Eine Gruppe bewaffneter Separatisten aus der Region Téraï hatte sich zur Tat bekannt. Sie wollen den Landesteil zu einer autonomen Provinz machen. Ein paar Tage vorher waren weitere 3 maoistische Militante getötet worden und zwei weitere verletzt. Aus Protest gegen die Morde lancierten die Maoisten wegen Streiks und Straßenblockaden im südlichen Teil Téraïs. (red.)

Indien/Orissa: Das maoistische Kader und Frau der gesuchten maoistischen Führungsfigur Sabyasachi Panda aus Orissa wurde am 14. Januar 2010 festgenommen. Subhashree Panda, alias Mili, war für das Sammeln der Spenden für die Kommunistische Partei Indiens (Maoistisch) verantwortlich. Mili wurde von Spezialeinheiten der Polizei festgenommen, die eigens für anti-maoistische Operationen in der Region Orissa ausgebildet wurden. Sie wurde dann unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen vom Polizeirevier in Mahila zum Verhör an einen unbekannten Ort gebracht. (red.)

Österreich: Der §278a-Prozess wegen "krimineller Vereinigung" gegen die 10 TierrechtsaktivistInnen wird am 2. März 2010 am besonders konservativ geltenden Landgericht Wiener Neustadt beginnen. Seit Gründung der Sonderkommission 2006 ist dieser Kriminalisierungsversuch von tendenziösen Ermittlungen, zahlreichen Widersprüchen, politischer Einflussnahme sowie Grundrechtsverletzungen gekennzeichnet. Zum Prozessauftakt mobilisiert die Soligruppe in Wien. (red.)

Mexiko/Chiapas: Nach fünf Monaten unbefristeten Protestlager gegenüber dem Rathaus von Las Rosas wurde das den Zapatisten nah stehende Lager am 23. Dezember 2009 von den Weißen Garden des Bürgermeisters mit Messern, Macheten und Schusswaffen überfallen und geräumt. Die Anwesenden wurden brutal zusammengeschlagen und teilweise lebensgefährlich verletzt. Der Compañero Roberto Mendez de la Torre wurde nach brutaler Misshandlung lebendig verbrannt. Die Compañeras Juana Pérez Santiz, Rosalba Micaela Núñez, Cleotilde García Santiago und weitere gelten seitdem als verschwunden! (red.)


*


Gefangene

Cengiz Oban

Wir sind regelmäßig mit Schikanen und Willkür konfrontiert, wenn wir uns mit den §129b Gefangenen befassen. Sei es Zensur, Besuchsverbote oder eben die Probleme, die beim Briefwechsel geschaffen werden. Der folgende Brief von Cengiz Oban ist mit dem 29. November 2009 datiert. Es dauerte ganze sieben Wochen, bis der folgende Brief seinen Adressaten am 19. Januar 2010 erreichte. (red.)

Lieber., Am Tag ihrer Entlassung habe ich Güler Zere im Fernsehen mit erhobener Faust ebenfalls gesehen. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Hätte sie ihre politische Identität aufgegeben, wäre sie viel früher rausgekommen. Das ist ein gutes Beispiel zu der Diskussion, um humanitäre und politische Forderungen. Es geht nicht allein um das Rauskommen, sondern um den Kampf für Rechte und die der Würde. Auf Grund ihres gesundheitlichen Zustandes hätte sie das Recht auf sofortige Entlassung und einer menschenwürdigen Behandlung gehabt. Doch der Staat verzögerte das und versuchte vergeblich, ihre politische Identität zu brechen. Güler lehnte diese Erpressung trotz ihres lebensbedrohlichem Zustandes ab. Um so kostbarer ist jetzt der Sieg durch ihre errungene Freiheit.

Zu der Diskussion deutsche Linke und der Linken aus der Türkei:

Es gibt sicher gegenseitige Blockaden. Es geht nicht darum wer "Schuld" daran hat. Es liegt sowohl an uns, als auch an der deutschen Linken. Es gibt viele Streitpunkte. Du hast einige davon erwähnt. Mir fallen auch dutzend weitere ein. Über einzelne Punkte zu diskutieren bringt uns nicht weiter. Jeder hat seine eigene Geschichte, jeder baut darauf auf. Grundsatzdiskussionen finde ich effektiver und wichtiger.

Die Entfremdung der hiesigen Linken ist für mich einer der wichtigsten Diskussionspunkte. Es gibt hier viele Gruppen, für die sind Beziehung untereinander herzustellen genauso schwierig wie zu uns.

Ich möchte auf folgendes hinaus: Viele antifaschistische Gruppen nehmen kaum Bezug zum Kapitalismus. Genauso existieren antikapitalistische Gruppen, die den Imperialismus nicht problematisieren. Auch Anti-imps beziehen sich nicht auf internationale Bewegungen.

Sie nehmen keinen Bezug zum Kern ihrer Existenz und damit zur Quelle ihres Daseins. Diese Merkmale kennzeichnen die gesamte linke Bewegung. Die deutsche Linke hat sich nach meiner Einschätzung von ihrem Ursprung entfremdet. Solch eine Diskussion würde sie weiter und uns näherbringen.

Die wachsende Solidarität der einheimischen Linken mit unseren Verfahren bekomme ich ebenfalls mit. Der Staat fühlt sich auch hier gestört und versucht die Solidarität mit Kriminalisierung des Infos, der Gruppen und von Einzelnen zu unterbinden. Auch die Erklärung des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg (nach der Demonstration im Sommer 2008 für die damals 5 türkischen 129b-Gefangenen in Stuttgart-Stammheim) zu der Zusammenarbeit der deutschen Linken und der linken Gruppen aus der Türkei zeigte, wie sie sich gestört und bedroht fühlen.

Lieber...., ich mache hier mal Schluss mit der Erwartung einer baldigen Antwort.

revolutionäre Grüsse
Cengiz Oban

P.S Ich habe dem Symposium (in London) mitgeteilt, dass ich mich an dem Hungerstreik vom 19-21. Dezember beteiligen werde...


*


Prekariat im Gefängnis

Thomas Meyer-Falk, 6. Januar 2010

Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden; so lautet § 3 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz (Bund). In aller Regel nutzen die Vollzugsanstalten jedoch diese Bestimmung nur immer weitere Verschlechterungen für sie Gefangenen durchzusetzen. Während beispielsweise heute in fast jedem Haushalt ein Computer steht, wird Gefangenen konsequent der Besitz eines PCs verboten.

Im Folgenden soll von prekären Arbeitsverhältnissen hinter Gittern die Rede sein. Gefangene und Sicherungsverwahrte sind zur Arbeit verpflichtet (§ 41 Abs. 1 Satz 1 StrVollzG-Bund). Als Arbeitsbelohnung zahlt der Staat zwischen knapp 8 Euro und 13 Euro pro Arbeitstag, was einem Stundenlohn von etwas mehr als einem Euro bis zu 1,70 Euro entspricht.

Dem jeweiligen Arbeitsplatz ist eine bestimmte Lohnstufe zugeordnet (vgl. Strafvollzugsvergütungsordnung); angefangen bei Lohnstufe 1 (welche für Arbeiten einfacher Art, die keine Vorkenntnisse erfordern gedacht ist), über Lohnstufe 2, 3 und 4, bis hin zu Lohnstufe 5, für Arbeiten die ein besonderes Maß an Können, Einsatz und Verantwortung, welche über die eines Facharbeiters hinausgehen, erfordern.

In den letzten Monaten fand nun in der JVA Bruchsal eine radikale Neubewertung der Arbeitsplätze statt; offenbar einzig diktiert von dem Ziel Gelder einzusparen. So werden heute konsequent Gefangene, die noch vor kurzem mit Lohnstufe 3 eingestellt wurden (also für Arbeiten, die eine Anlernzeit erfordern und durchschnittliche Anforderungen an die Leistung und Geschicklichkeit stellen) bei Arbeitsaufnahme die Lohnstufe 2 (Arbeiten die eine Einarbeitungszeit erfordern und im übrigen zur Lohnstufe 1 gehören) bezahlt, erhalten also statt etwas mehr als 10 Euro pro Arbeitstag, nur wenig mehr als 9 Euro. Sieht die o.g. Strafvollzugsvergütungsordnung bei überdurchschnittlicher Leistung eine Zulage von bis zu 30% vor, so darf nach Vorgabe der Betriebsleitungen maximal 7,5% im Durchschnitt gewährt werden. Wird also jemand 10% Zulage ergattern muss jemand anders auf 2,5% verzichten.

Beliebt ist auch, Gefangene die aus Mangel an Aufträgen (denn vielfach arbeiten Gefangene Aufträge aus der freien Wirtschaft ab) nicht beschäftigt werden können, nach einem Monat formal zu "kündigen", sprich sie verlieren ihren Arbeitsplatz, um dann bei Verbesserung der Auftragslage wieder eingestellt zu werden. Jedoch, die geneigte Leserschaft kann es sich denken, zu verschlechterten Konditionen, nämlich im Regelfall nach Lohnstufe 2 ohne jegliche Zulagen, egal wie gut die Arbeitsleistung auch sein mag.

Eine wahrhaft punktgenaue Umsetzung des eingangs zitierten Paragrafen und eine Vorbereitung auf das Leben "draußen". So macht zum Beispiel die Drogeriemarktkette SCHLECKER regelmäßig Schlagzeilen, wenn sie kleinere Märkte schließt, die Belegschaft entlässt um oftmals nur wenige Meter entfernt SCHLECKER-XXL-Märkte zu eröffnen. Dort werden dann Beschäftigte nur noch über eine Zeitarbeitsfirma (welche dem Schleckerkonzern zugerechnet wird seitens der Gewerkschaft) eingestellt, zu einem Lohn von unter 7 Euro die Stunde, ohne Urlaubsgeld, ohne Weihnachtsgeld und mit weniger Urlaub.

Die Bereitschaft sich zu wehren ist jedoch nicht sonderlich ausgeprägt bei den betroffenen Gefangenen, denn sie fürchten als Querulant abgestempelt, dann auch noch den nur spärlich entlohnte Job zu verlieren und am Ende mit 30 Euro Taschengeld im Monat dazustehen, anstatt mit 50 oder 60 Euro (das ist der Betrag der effektiv für den Kauf von Nahrungs-/Genuss- und Körperpflegemitteln verwandt werden kann, denn hierfür dürfen 3/7 des Lohn verwandt werden. 4/7 wandern auf ein Sperrkonto zu Schuldentilgung oder für die Zeit nach einer Entlassung).

Und so setzt sich auch hinter Gittern die rigide Wirtschaftspolitik fort.


*


Gefangene

Schreibt den Gefangenen aus unserer Bewegung!

Gefangenenadressen in aktualisierter Form auf www.political-prisoners.net

Ahmet Düzgün Yüksel
JVA Stuttgart Stammheim
Asperger Str. 60
70439 Stuttgart
www.no129.info
www.political-prisoners.net

Ahmet Istanbullu
JVA Wupperal
Simonshöfchen 26
42327 Wuppertal
www.no129.info
www.political-prisoners.net

Birgit Hogefeld
Obere Kreuzäckerstr. 4
60435 Frankfurt

Cengiz Oban
JVA Bochum
Krümmede 3
44791 Bochum
www.no129.info
www.political-prisoners.net

Devrim Güler
JVA Stuttgart Stammheim
Asperger Str. 60
70439 Stuttgart
www.no129.info
www.political-prisoners.net

Faruk Ereren
JVA Düsseldorf
Ulmenstr.95
40476 Düsseldorf
www.no129.info
www.political-prisoners.net

Gabriel Pombo da Silva
JVA Aachen
Krefelder Str. 251
52070 Aachen
www.escapeintorebellion.info

Jose Fernandenz Delgado
JVA Rheinbach
Aachener Str. 47
53359 Rheinbach
www.escapeintorebellion.info

Laurynas Mogila
Buch-Nr. 890/09-0
JVA Moabit
Alt-Moabit 12a
10559 Berlin

Lukas Winkler
JVA Ebrach
Marktplatz 1
96157 Erbach
www.hausbesetzerinnensoli.de.vu

Marco Camenisch
Postfach 3143
CH-8105 Regensdorf
www.rhi-sri.org

Nurhan Erdem
JVA Köln
Rochusstraße 350
50827 Köln
www.no129.info
www.political-prisoners.net

Stephanie Träger
JVA Aichach
Münchner Str. 33
86551 Aichach
www.hausbesetzerinnensoli.de.vu

Sven Mauer
JVA München-Stadelheim
Stadelheimerstr. 12
81549 München
www.hausbesetzerinnensoli.de.vu

Thomas Meyer-Falk
JVA Bruchsal, Z. 3117
Schönbornstraße 32
76646 Bruchsal
www.freedom-for-thomas.de
www.freedomforthomas.wordpress.com

Werner Braeuner
JVA Sehnde
Schnedebruch 8
31319 Sehnde


Gedanken aus dem Trakt

Freiheit!
Eine Sehnsucht, die mit jedem Tag größer wird.
Ich habe Menschen vermisst, ich habe vermisst
mit Menschen zu sprechen.
Freiheit - bedeutet für mich nicht nur mich frei
bewegen zu können, sondern Menschen zu
sehen und mit ihnen lachen, sprechen zu
können.

Freiheit!
Ein ganz menschliches Verlangen, was uns
aber geraubt worden ist - durch Isolationsfolter.
Hoffnung ist unsere Stärke, im Recht zu sein
ist unsere Stärke, egal wie viele Jahre vergehen
werden, irgendwann werden wir frei sein!

Nurhan Erdem, JVA Ossendorf.


*


Antiknast Kalender 2010

Der knastkritische Taschenkalender für 2010 mit vielen Aktionstipps kann für 3 Euro bestellt werden. Für Gefangene ist der Kalender natürlich umsonst. Zu bestellen bei:

Seitenhieb Verlag
Jahnstr. 30
35447 Reiskirchen


Knast und Justiz - Das Info gegen Rebellion

jeden Freitag
von 19 bis 20 Uhr auf Radio - FSK -
FM 93,0 MHz / 101,4 MHz (im Kabel)
livestream: www.fsk-hh.org/livestream

E-Mail: knastundjustiz@fsk-hh.org
Telefon: 040 - 432 500 46
Postbox: Redaktion K&J c/o Schwarzmarkt
Kleiner Schäferkamp 46
20357 Hamburg


radio flora - hannovers webradio

"Wieviel sind hintern Gittern, die wir
draußen brauchen!"
Politische Gefangene -
Sendung zu Repression und Widerstand

Freundeskreis Lokal-Radio e.V.
Zur Bettfederfabrik 3, 30451 Hannover
Jeden ersten Dienstag im Monat von 18 bis
19 Uhr.

Zu empfangen per Livestream über:
www.radioflora.de


*


IMPRESSUM

Gefangenen Info
Januar 2010, Nr. 352

Das Gefangenen Info ist aus dem Angehörigen Info hervorgegangen, welches im Hungerstreik der politischen Gefangenen 1989 entstand.

HerausgeberInnen:
Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen und FreundInnen

V.i.S.d.P.:
Wolfgang Lettow c/o Stadtteilladen Lunte e.V.
Weisestraße 53, 12049 Berlin

Nichtredaktionelle Texte spiegeln nicht unbedingt die
Meinung der Redaktion wider. Beiträge der Redaktion
sind entsprechend gekennzeichnet.

Redaktionsanschrift:
Gefangenen Info, c/o Stadtteilladen Lunte e.V.
Weisestraße 53, 12049 Berlin
E-Mail Redaktion: redaktion@gefangenen.info
E-Mail Vertrieb: vertrieb@gefangenen.info
Internet: www.gefangenen.info

Bestellungen: Einzelpreis: 2 Euro. Ein Jahresabonnement kostet 29,90 Euro (Förderabo 33,20 Euro), Buchläden, Infoläden und sonstige Weiterverkäufer erhalten bei Bestellungen ab 3 Stück 30% Rabatt. Bei Bestellungen erhalten Sie eine Rechnung, die anschließend auf das Konto des Gefangenen Info zu überweisen ist.

Bankverbindung:
Johannes Santen, Ra
Treuhandkonto
Gefangenen Info
Konto-Nr.10382200
Bankleitzahl: 20010020
Postbank Hamburg

Eigentumsvorbehalt: Nach diesem Eigentumsvorbehalt ist die Zeitung solange Eigentum der/des AbsenderIn, bis es den Gefangenen ausgehändigt worden ist. "Zur-Habe-Nahme" ist keine Aushändigung im Sinne des Vorbehalts. Wird das Info den Gefangenen nicht persönlich ausgehändigt, ist es der/dem AbsenderIn mit dem Grund der Nichtaushändigung zurückzuschicken.


*


Quelle:
Gefangenen Info Nr. 352, Januar 2010
Redaktionsanschrift: Gefangenen Info, c/o Stadtteilladen Lunte e.V.
Weisestraße 53, 12049 Berlin
E-Mail: redaktion@gefangenen.info
Internet: www.gefangenen.info


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2010