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DIE ROTE HILFE/003: Zeitung der Roten Hilfe e.V. 2.2009


Die Rote Hilfe 2.2009
Zeitung der Roten Hilfe e.V.


INHALT

EDITORIAL

IN EIGENER SACHE
Geld her! Dafür brauchen wir euer Geld - ausgewählte Unterstützungsfälle

REPRESSION
Versammelt Euch!
Delmenhorster Provinzposse
Waffen und gefährliche Gegenstände im Alltag und auf Demos
Repression gegen Antirepression
Rebel Clowns Army - "lästig", aber nicht verboten
Primat der Repression
Tränengas gegen Erfurter HausbesetzerInnen
Schmutzkampagne gegen antifaschistisches Archiv
Geheimdienste wollen auch Kinder bespitzeln
Ministerielles Diskussionsverbot zur Elektronischen Gesundheitskarte?
Aids im Strafvollzug
Auslandseinsätze der Bundeswehr lassen Gefahren im Inland steigen

SCHWERPUNKT: REPRESSION GEGEN MIGRANTISCHE LINKE
EU-Terrorliste: Feindstrafrecht auf Europäisch
129b
Politische Betätigung im Schatten des Ausländerrechts
Identitätsklärung und Passbeschaffung
Countershock!

INTERNATIONALES
Festung Europa auf High-Tech-Niveau
Der NATO-Gipfel der Repression
Nach dem Nato-Gipfel: Solidarität mit den Gefangenen!
Aufstieg der selbstorganisierten Kämpfe von Gefangenen Europas im Jahr 2008
Was machst du, wenn dein Anwalt erschossen wird?
SHAC 7 zu 50 Jahren Haft verurteilt
Die Skizze einer neuen Sicherheitsarchitektur
Nachtrag zur Situation der irisch-republikanischen Gefangenen

AZADI

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REZENSION
"Wer eine Aenderung der Regierungsform anstrebt, kann mit dem Tode bestraft werden"
Schmerzmaschinen

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Politisch aktive Migranten und Migrantinnen sind besonderer Repression ausgesetzt. Sie werden nicht nur mit dem Strafrecht, sondern auch mit dem Ausländerrecht verfolgt. Umso wichtiger ist für die Betroffenen Solidarität, die sie auffängt.

Raute

EDITORIAL

Liebe Genossinnen und Genossen,
Liebe Leserinnen und Leser,

da haben wir uns ja mal wieder ein schönes Schwerpunktthema ausgedacht -Repression gegen migrantische Linke. Das betrifft doch ganz viele Genossinnen und Genossen, dachten wir. Damit hat die Rote Hilfe doch immer recht viel zu tun, dachten wir. Da müssten eigentlich jede Menge Beiträge kommen. Dachten wir. Leider wurden unsere wohl zu hohen Erwartungen enttäuscht, die Anzahl der Beiträge zu diesem Thema blieb weit hinter unseren Hoffnungen zurück. Wir hatten erwartet, mit diesem Themenschwerpunkt mehr Interesse zu wecken ...

Natürlich ist Repression gegen migrantische Linke in Deutschland ein alltäglicher Zustand, und das ließe sich auch am Beispiel der Residenzpflicht, der Prozesse gegen The Voice oder der 129b-Prozesse in Stammheim etc. ganz gut verdeutlichen. Andere Aspekte dieses so wichtigen Themenfeldes ... findet ihr in unserem Schwerpunkt.

Um finden soll es auch in der nächsten Ausgabe gehen - wie finden uns die anderen? Mit der Außendarstellung, mit den Außenansichten der Roten Hilfe wollen wir uns beschäftigen. Wie wird unsere Organisation in den Medien wahrgenommen, in den gesellschaftlichen Gruppen, vom Staat sowieso? Von der Verteufelung bis hin zu Sympathie reicht da das Spektrum. Und was tut die Rote Hilfe, um dieses Bild zu beeinflussen?

Schreibt uns, wie ihr den Umgang mit der RH erlebt, welche Reaktionen ihr bekommt, wenn unser Name fällt. Wie steht eure allgemeinpolitische Organisation zur Roten Hilfe? Über eure Zusendungen bis zum Redaktionsschluss am 12. Juli freuen wir uns.

Bis dahin wünschen wir euch anregende Lektüre. Von den Konsequenzen der Auslandseinsätze der Bundeswehr für das Inland bis hin zur Bespitzelung von Kindern durch den Verfassungsschutz haben wir euch ebenso etwas ins Heft gepackt wie über den Nato-Doppelgipfel in Strasbourg und Baden-Baden sowie zwei interessante Rezensionen.

Mit roten Grüßen,

euer Redaktionskollektiv

Raute

IN EIGENER SACHE

Geld her!

Insgesamt wurden 9982,47 Euro an Unterstützungsgeldern bewilligt.

Auf der letzten Sitzung des Bundesvorstands wurden 43 Unterstützungsfälle behandelt. Bei 28 Anträgen wurde der Regelsatz (50 Prozent auf die anfallenden Kosten) beschlossen, es wurden sechs allgemeine Zusagen auf Unterstützung gegeben, von denen drei auf Berufungsverfahren entfielen. Drei Anträge wurden nach dem Regelsatz auf Pflichtverteidigergebühr entschieden (die Anwaltsrechnungen waren oberhalb der Pflichtverteidigergebühr). Ein Antrag wurde vertagt. Vier Fälle wurden abgelehnt. Ein Fall wurde auf 20 Prozent gekürzt.

Auch in dieser Ausgabe möchten wir euch Dankesschreiben nicht vorenthalten. Einige Zitate euch zur Kenntnis:

"Ich hatte der Roten Hilfe München schon eine mail geschickt mit einem dicken Dankeschön im Namen des Aktionsbündnisses gegen die Nato-Sicherheitskonferenz. Das gilt natürlich für die Rote Hilfe bundesweit auch! Also nochmal Dank für die finanzielle Unterstützung und für die Arbeit die Ihr macht!"

"Ich wollte nur Bescheid geben, dass das Geld auf meinem Konto eingegangen ist. Vor allem aber mich nochmals recht herzlich für eure Mühen sowie Vertrauen und letztendlich die finanzielle Unterstützung bedanken. In diesem Sinne merci beaucoup."

"Neben der finanziellen Erleichterung hat es mich auch emotional gestützt zu wissen, da gibt es Leute die einen im politischen Kampf unterstützen und die Tat erstmal akzeptieren. Mit solidarischen Dank, Kraft und Liebe für 2009."

"Ich möchte mich noch einmal recht herzlich bei euch für die finanzielle Unterstützung bedanken! Ich habe mich wirklich sehr gefreut, dass alles so schnell gelaufen ist und alles genehmigt wurde. Danke!"

"Vielen Dank für die bisherige Unterstützung und die Bewilligung meines Antrags. Ich kann euch gar nicht sagen, wie stark Solidarität hilft, auch psychisch, ich fühle mich seit einiger Zeit wirklich mitgetragen."


→  Hinweise zur Stellung eines Unterstützungsantrags und zu den Kriterien der Unterstützung findet ihr unter:
www.rote-hilfe.de/infoshtlfe/unterstuetzungsantrag



*


Aktion gegen Thor Steinar kostet 50 Euro

- Am Rande einer Kundgebung gegen einen "Thor Steinar"-Laden in Leipzig riss ein Antifaschist ein Werbeplakat der oben genannten Marke von einer Holztafel, die zum Schutz der Schaufenster am Laden angebracht war. Der Aktivist erhielt einen Strafbefehl über sage und schreibe 525 Euro. Im gerichtlichen Verfahren wurde die Strafe auf 50 Euro herabgesetzt. Bemerkenswert ist, dass die zuständige Richterin der politischen Motivation der Aktion persönlich zustimmte, wie sie sagte, als Richterin aber nach den Grundsätzen des Tatbestandes verurteilen müsse. Auf den Verurteilten kamen neben der Strafe Gerichtskosten (215,50 Euro) und Anwaltskosten (681,28 Euro, auf Pflichtverteidigersatz gekürzt: 553,95 Euro) zu. Die Rote Hilfe unterstützte den Antrag mit 409,73 Euro.


Abweichende Durchführung

- Gegen die Anmelderin einer Frauendemonstration am 22. November 2008 ermittelt das LKA wegen "abweichender Durchführung von Versammlungen und Aufzügen gemäß §25 Versammlungsgesetz". Bei der Demonstration, die vom "Verein freier Frauen aus Mesopotamien" veranstaltet wurde, beschlagnahmte die Polizei drei bis vier Fahnen mit dem Bild des politischen Gefangenen Abdullah Öcalan. Die Anmelderin erhielt von der Roten Hilfe eine allgemeine Zusage über die Übernahme von 50 Prozent der entstehenden Kosten.


Freiheitsstrafen für Antifaschisten

- Sieben Antifaschisten wird vorgeworfen, am 16. Februar 2007 einen körperlichen Angriff auf Neonazis, die von einer NPD-Veranstaltung in Sindelfingen kamen, verübt zu haben. Alle Angeklagten wurden lediglich aufgrund von Indizien in der ersten Instanz verurteilt. Drei Mal gab es Freiheitsstrafen von einem Jahr und vier Monaten ohne Bewährung und vier Mal zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen in Höhe von neun beziehungsweise zehn Monaten. Die Angeklagten haben Berufung gegen das Urteil eingelegt. Bisher belaufen sich die Anwaltskosten auf 1297,10 Euro. Die Rote Hilfe unterstützt bisher einen Aktivisten, der einen Antrag gestellt hat, mit dem Regelsatz von 50 Prozent. Für die Berufung wurde eine allgemeine Zusage gegeben. Es sind weitere Anträge von den übrigen Aktivisten zu erwarten.


NPD-Plakate beschädigt

- Im Herbst 2008 wurde in Aschaffenburg ein Antifaschist von der Polizei kontrolliert, dem vorgeworfen wurde, mehrere NPD- und REP-Plakate beschädigt zu haben. Der polizeilichen Vorladung ist der Betroffene nicht gefolgt. Das Verfahren wurde schließlich unter anderem deswegen eingestellt, weil die NPD versäumte eine Anzeige zu stellen. Der Genosse erhält nun eine Unterstützung in Höhe von 172,01 Euro für die entstandenen Anwaltskosten.


Besonderes Kennzeichen: Schwarzer Kapuzenpulli

- In diesem Fall wurde dem Antragsteller vorgeworfen, er hätte im Schutz einer ca. 100 Personen großen Gruppe von Antifaschist_innen anlässlich des NPD-Aufzugs am 1. Mai 2007 in Neubrandenburg eine Flasche in die Nazi-Demonstration geworfen. Er wurde wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 1275 Euro verurteilt, die er in Arbeitsstunden umwandeln konnte. Erwähnenswert ist, dass sich das Gericht auf die Aussage eines Polizeibeamten stützte, der den Angeklagten angeblich eine ganze Weile im Blick behielt und in beim Wurf einer Flasche gesehen habe. Er erinnere sich genau an den Angeklagten und seine Bekleidung, eine schwarze Jacke und einen schwarzen Kapuzenpullover. Eine Verwechslung mit anderen Aktivist_innen könne er eindeutig ausschließen. Die Rote Hilfe übernimmt die Hälfte der Anwaltskosten (255,90 Euro).


Hängen lassen ...

- ... wird auch eine Anti-Atom-Aktivistin von der Roten Hilfe nicht: Beim Probe-Castortransport 2007 hing die Aktivistin zwischen zwei Bäumen an einem Seil. Gleichzeitig fand unter ihr eine Sitzblockade auf den Gleisen statt. Alle Beteiligten erhielten zunächst ein Verwarngeld, das von einigen akzeptiert und bezahlt wurde. Andere verweigerten die Zahlung, warteten den Bußgeldbescheid ab und beantragten Akteneinsicht. Während die Blockierer auf den Schienen je 25 Euro Bußgeld bezahlen sollten, verlangte man von der Frau, die in der Luft hing, 250 Euro.

Dagegen legte die Betroffene Widerspruch ein. Ein gleichzeitig wegen Eingriffs in den Straßenverkehr laufendes Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Im Prozess im Juli 2008 verlas die Betroffene eine politische Erklärung, in der sie die Ablehnung von Castortransporten darlegte. Das Gericht bestätigte schließlich in seinem Urteil das Bußgeld, unter anderem weil die Aktivistin "unbelehrbar" sei und schon häufiger durch "Kletteraktionen" gegen den Castor aufgefallen sei. Die Aktivisten erhielten zusammen eine Unterstützung in Höhe von 651,12 Euro.


Volxsport & Aussageverweigerung

- In der Nacht zum 28. Mai 2008 wurde im extensiv von Gentrifizierung betroffenen Berliner Stadtteil Friedrichshain ein Kfz im Rahmen des so genannten "Volxsports" angezündet. Eine in der Nähe des Tatorts sich aufhaltende Anwohnerin wurde in Gewahrsam genommen und es wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Brandstiftung gegen sie eingeleitet. Mit Hilfe eines Anwalts konnte das Verfahren eingestellt werden. Es entstanden so 484,87 Euro Anwaltskosten. Die Rote Hilfe unterstützt denn Antrag in Höhe des Regelsatzes, denn die Antragstellerin hat zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens Aussagen gemacht und sich auf diese Weise solidarisch zu den Tätern verhalten.


mg und kein Ende in Sicht

- Die Ermittlungen gegen die "militante gruppe" ("mg") gehen in die nächste Runde. Es läuft aktuell ein neues Ermittlungsverfahren gegen eine mutmaßliche Unterstützerin der "mg". Sie habe beim Kauf zweier Handys, die ein momentan vorm Berliner Kammergericht stehender Angeklagter im "mg"-Verfahren nutzte, ein falsches Geburtsdatum angegeben. Zudem war sie in einer Autoniederlassung beschäftigt, auf die nach Ende ihrer Beschäftigung ein Anschlag der "mg" verübt wurde. Ferner zeige sie ein "konspiratives" Telefonverhalten, was typisch für das Umfeld der "mg" sei. Die Rote Hilfe hat der Antragstellerin eine allgemeine Zusage erteilt. Kosten entstanden bisher nicht.


1. Mai

- Gegen Ende der Revolutionären 1. Mai Demonstration 2008 in Berlin kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Dabei wurde der Antragsteller festgenommen. Vorgeworfen wurde ihm ein besonders schwerer Fall von "Landfriedensbruch" durch das Werfen von Steinen auf Polizeibeamte. In der Hauptverhandlung vor dem Jugendrichter wurde das Verfahren gegen die Ableistung von 120 Arbeitsstunden und die Teilnahme an einem "Anti-Aggressionstraining" eingestellt, nachdem er eingeräumt hatte, einen Stein geworfen zu haben. Entstanden sind 503,49 Euro Anwaltskosten, von denen die Rote Hilfe 50 Prozent übernommen hat.


Man kann es der Polizei auch nie recht machen...

- Am 9. Februar 2008 befand sich der Antragsteller auf dem Weg zu einer Demonstration anlässlich der Sicherheitskonferenz in München. Dabei wurde er von Polizeibeamten angehalten und aufgefordert, seine als Gürtel funktionierende Stahlkette abzulegen. Um der Aufforderung Folge zu leisten begab sich der Betroffene in den Bahnhof, um die Stahlkette in einem Schließfach aufzubewahren. Im Bahnhof wurde er von Polizisten angesprochen, ob er auf dem Weg zur Demo sei. Obwohl er dies verneinte, musste er sich einer Durchsuchung unterziehen, in deren Verlauf die Kette sowie ein Aufnäher mit der Aufschrift "A.C.A.B." sichergestellt wurden. Der Antragsteller wurde wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und Beleidigung angeklagt. Das Verfahren wurde im Zuge der Hauptverhandlung eingestellt, der Angeklagte blieb jedoch auf seinen Anwaltskosten in Höhe von 542,05 Euro sitzen. Die Rote Hilfe unterstützt den Antrag mit 271,03 Euro.


Streikunterstützung

- Am 14. Januar 2006 blockierten Streikende bei GateGourmet Fahrzeuge von Streikbrechern auf dem Weg zu Flugzeugen am Flughafen in Düsseldorf. Auch mehrere Menschen, die die Streikenden von außen unterstützten, beteiligten sich an den Blockadeaktionen. Der Betroffene wurde angeklagt, da er eine Personalienfeststellung verweigert und Widerstand gegen Polizeibeamte geleistet habe. Trotz Widersprüchen in den Aussagen der Beamten und der Tatsache, dass der Angeklagte durch die Polizisten erheblich verletzt worden war, wollte der Staatsanwalt einer Einstellung nicht zustimmen. Das Gericht verurteilte den Angeklagten schließlich zu einer Geldstrafe von 300 Euro, deren Zahlung allerdings zur Bewährung ausgesetzt wurde. Es entstanden Kosten in Höhe von 738,73 Euro für den Anwalt. Die Rote Hilfe übernahm 50 Prozent dieser Kosten (369,37 Euro).


Aggressiver Blick durch die Sonnenbrille

- Am 30. März 2007 war der Antragsteller auf einer Demo zum Gedenken eines ermordeten Antifaschisten in Köln. Dabei wurde von mehren Teilnehmern die Parole "Deutsche Polizisten Mörder und Faschisten" gerufen. Es folgte ein Strafbefehl mit der Aufforderung zur Zahlung von 600 Euro, gegen den der Antragsteller Widerspruch einlegte. Dem Betroffenen wurde vorgeworfen, einen Polizisten beim Rufen der Parole besonders aggressiv angeschaut zu haben und diesen dadurch beleidigt zu haben. Als Beweis wurde ein Foto herangezogen, das zwei Stunden nach dem Vorfall entstanden ist und den Angeklagten mit einer dunklen Sonnenbrille zeigt. Der Richterin genügte dies und sie verurteilte den Aktivisten zu 400 Euro Geldstrafe. Der Antragsteller ist nun in Berufung gegangen, das Urteil steht noch aus. Die Rote Hilfe hat eine Unterstützung von 50 Prozent auf die Kosten der ersten und zweiten Instanz zugesagt.


Einkaufen bis Mitternacht

- Im Oktober 2007 eröffnete in Lübeck ein real-Markt, der an sechs Tagen pro Woche von sieben bis 24 Uhr geöffnet hat. Mit Schildern, Flyern und Plakaten machte eine Gruppe in und um den Markt auf die schlechten Arbeitsbedingungen, die untertarifliche Bezahlung et cetera der Beschäftigten aufmerksam. Als die Polizei erschien, schickte diese die Aktivisten_innen auf die andere Straßenseite. Dort meldeten sie eine spontane Kundgebung an und hielten einen Redebeitrag. Nun erschienen weitere Beamte in Kampfmontur. Gegen die Beteiligten wurden Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs gefertigt. Das Verfahren wurde schließlich wegen Geringfügigkeit eingestellt. Die Rote Hilfe unterstützte den Fall mit 246,36 Euro für die entstandenen Anwaltskosten.


U-Haft

- Die Antragstellerin wurde bei den Protesten gegen die Sicherheitskonferenz in München am 9. Februar 2008 festgenommen und in U-Haft gesteckt. Ihr wurde vorgeworfen, sich in einer Gruppe von etwa 50 bis 60 schwarz gekleideten Personen befunden zu haben, die Feuerwerkskörper gegen Polizeibeamte geworfen haben soll. Als die Polizei versuchte, die Gruppe durch eine Polizeikette aufzuhalten und ihre Personalien festzustellen, soll die Beschuldigte versucht haben, die Polizeikette zu durchbrechen. Als sie dabei von einem Beamten festgehalten wurde, habe sie um sich geschlagen. Ende April wurde sie vom Amtsgericht München zu fünf Monaten Knast verurteilt. Die Rote Hilfe beteiligte sich mit 404,60 Euro an den Anwaltskosten von insgesamt 809,20 Euro.


Reclaim the Street

- Im November 2007 fand im Potsdamer Hauptbahnhof eine " Reclaim the streets"-Aktion gegen die Privatisierung öffentlicher Räume statt. Ein Genosse soll einen Platzverweis erhalten haben, dem er nicht nachgekommen sei. Daraufhin habe ein Polizeibeamter ihn an den Arm gegriffen. Vorgeworfen wird dem Genossen, dass er sich gegen diese "Maßnahme" gestemmt habe, indem er seinen ganzen Körper angespannt habe. Der Genosse verweigerte die Aussage. Vor Gericht wurde das Verfahren schließlich auf Kosten der Staatskasse eingestellt. Allerdings gegen die Auflage "Sozialstunden" abzuleisten. Der Betroffene musste Anwaltskosten in Höhe von 663,53 Euro bezahlen, wovon die Rote Hilfe 50 Prozent (331,77) übernahm.


Beispiele für abgelehnte Anträge - so solltet ihr euch nicht verhalten!

- Am 7. Juli 2007 fuhr der Antragsteller mit einem VW-Transporter, der einen großen Aufkleber eines linken selbstverwalteten Projekts am Heck hatte, auf der Autobahn, als er von Polizisten außer Dienst überholt wurde, die ihm den "Scheibenwischer" zeigten. Darauf zeigte der Aktivist ihnen den "Stinkefinger". An der nächsten Raststätte wurde er von mehreren Polizeifahrzeugen aus dem Verkehr gezogen. Es folgte eine Anzeige wegen Beleidigung. Laut Strafbefehl sollte der Antragsteller 750 Euro zahlen. Das Amtsgericht stellte das Verfahren gegen eine Auflage von 200 Euro ein. Die Rote Hilfe unterstützt diesen Fall nicht, da der Antragsteller hier keiner politischen Tätigkeit nachging. Es handelt sich um eine Alltagssituation, in der er sich zudem noch provozieren ließ.

- Ein anderer Fall betrifft das Verhalten am 1. Mai, lange nach Auflösung der letzten Demo. Der Antragsteller soll am 1. Mai 2008 in Berlin abends eine Flasche auf Polizeibeamte geworfen haben. Grund für die Ablehnung war, dass der Antragsteller unter erheblichem Alkoholeinfluss stand.

Raute

REPRESSION

Versammelt Euch!

Bayerisches Versammlungs(verhinderungs)-gesetzte teilweise gekippt

Redaktion Pressback, Hamburg

Das im Juli letzten Jahres in Bayern beschlossene Versammlungsgesetz, das wegen der darin enthaltenen massiven Beschränkungen der Versammlungsfreiheit die Bezeichnung "Versammlungsgesetz" nicht verdient, hat jüngst in Baden-Württemberg Nachahmung gefunden. Ebenso wie schon das bayerische Original sieht der Gesetzentwurf neue Ge- und Verbote sowie die Erweiterung und Anhebung des Bußgeldkataloges vor.

Geregelt wird unter anderem, dass Versammlungen bei Beeinträchtigung von Rechten Dritter beschränkt und verboten werden können, dass die Polizei ohne konkreten Anlass Übersichtsaufnahmen anfertigen darf, dass Kleidung, die den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelt und so eine einschüchternde Wirkung erzielt, nicht getragen werden darf (so genanntes Militanzverbot) und dass Ordner_innen auf Anforderung namentlich benannt werden müssen und Versammlungsleiter_innen abgelehnt werden können. Außerdem soll nach dem Entwurf die Versammlungsleitung für den Versammlungsverlauf verantwortlich gemacht werden. Sie wird unter Androhung von hohen Bußgeldern dazu verpflichtet, im Vorfeld und während der Demonstration Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalttätigkeiten zu treffen oder sonst die Versammlung für beendet zu erklären.

Aufgrund des andauernden und starken landesweiten Protestes eines breiten Bündnisses von linken Gruppen, Gewerkschaften und Parteien konnte das Inkrafttreten des Gesetzes, das von der baden-württembergischen Landesregierung für den 1. Januar 2009 geplant war, bisher verzögert werden.

Eine Wendung könnte nun die insgesamt erfreuliche Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts von Ende Februar bringen. Das Gericht setzte Teile des bayerischen Versammlungsgesetzes vorläufig mit der Begründung außer Kraft, dass das Militanzverbot sowie die die Versammlungsleitung betreffenden Vorschriften zu unbestimmt seien. Es stellte fest, dass sich mit den diesbezüglichen Bußgeldvorschriften "das schwer kalkulierbare Risiko einer persönlichen Sanktion verbindet, das bei den Bürgern zu Einschüchterungseffekten führen und die Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit beeinträchtigen kann". Einfacher gesagt: Wer nicht einschätzen kann, wie man sich zu kleiden hat, wird im Zweifel nicht demonstrieren gehen. Zur Videoüberwachung heißt es, dass "eine solche anlasslose Datenbevorratung, die allein an die Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit und damit an das Gebrauchmachen von einem für die demokratische Meinungsbildung elementaren Grundrecht anknüpft, zu durchgreifenden Nachteilen führt". Für Nichtjurist_innen: Wer seine Rechte nutzt, soll sich deswegen nicht filmen lassen müssen.

Deswegen setzte das BVerfG die Bußgeldvorschriften vorläufig außer Kraft und erlaubte die Anfertigung und Speicherung von Übersichtsaufnahmen von Demonstrationen nur dann, wenn die Polizei die "öffentliche Sicherheit und Ordnung" konkret gefährdet sieht. Das bedeutet aber auch, dass bis zur endgültigen Entscheidung Demonstrationen nach wie vor auf diese Ge- und Verbote gestützt aufgelöst werden können - allein Bußgelder sind nicht zu befürchten.

Es bleibt zu hoffen, dass die endgültige Entscheidung des Verfassungsgerichts den gesetzgeberischen Vorhaben zur Einschränkung des Versammlungsrechts einen Riegel vorschiebt. Unabhängig davon ist solchen repressiven Bestrebungen aber vor allem mit politischem Druck zu begegnen.

Raute

REPRESSION

Delmenhorster Provinzposse:
Verdächtig ist, wer das Versammlungsgesetz kennt - und befolgt!

Rechtsanwältin Claudia Schaefer, Bremen

In die Mühlen der staatlichen Repression kann auch geraten, wer das geschriebene Gesetz kennt - und sogar beachtet. Das erlebten zwei Genossen, die sich vor dem Amtsgericht in Delmenhorst verantworten mussten, obwohl sie sich bewusst rechtmäßig verhalten hatten. Die beiden hatten ebenso wie ihre GenossInnen das Versammlungsgesetz beachtet und befolgt. Nur glauben wollte es ihnen keiner! Es dreht sich um den §27 Abs. 1 VersG der besagt, dass keine Waffen auf eine Versammlung mitgeführt werden dürfen, die zur Verletzung von Personen oder Beschädigung von Sachen geeignet sind.


Aufzug in Delmenhorst

Die beiden rechtlich verfolgten Genossen waren in einer kleinen Gruppe nach Delmenhorst gefahren, um sich solidarisch mit den Teilnehmenden eines antifaschistischen Treffens zu zeigen. In Delmenhorst war es des öfteren dazu gekommen, dass (Neo-)Nazis sich in dem Treffpunktbereich aufhielten. Um sich jedoch nicht einschüchtern zu lassen, hatten die Delmenhorster AntifaschistInnen um solidarische Unterstützung anderer AntifaschistInnen gebeten. Die GenossInnen reisten auf diese Bitte hin zu einem gemeinsamen Treffen an.

Als Abschluss des Treffens wurde spontan beschlossen, eine kleine Demo durch das nahe gelegene Zentrum Delmenhorsts durchzuführen. So kam es zu einem überschaubaren Aufzug durch die Innenstadt, der nach einiger Zeit am Bahnhof wieder beendet wurde.

"AktivbürgerInnen", die die Aktion entdeckten, meldeten diese sogleich der Polizei, die auch in kleiner Besetzung auftauchte und den Aufzug beobachtete. Bevor etwas von Seiten der Polizei unternommen werden konnte, war die Versammlung bereits wieder beendet und die Teilnehmenden verstreuten sich in alle Winde.

An diesem Treffen und an dem Aufzug nahmen auch die beiden später Verfolgten teil. Vor Beginn des Aufzuges berieten sich die angereisten AntifaschistInnen und erinnerten sich gegenseitig, keine "verbotenen" Gegenstände auf die Versammlung mitzunehmen - wegen §27 Versammlungsgesetz! So kam es, dass zwei Genossen ihre Rucksäcke in die Runde hielten, damit die anderen ihre "für eine Versammlung verbotenen" Pfeffersprays und Gegenstände hinein tun konnten. So kam einiges in die Rucksäcke. Die Rucksäcke wurden natürlich nicht mit auf die Versammlung genommen, sondern am Veranstaltungsort zurückgelassen.

Nach Ende des Aufzuges und Treffens nahmen die beiden Eigentümer ihre Rucksäcke wieder an sich und man trat in der Gruppe die Heimreise an. Am Bahnhof warteten jedoch Delmenhorster Polizisten, denen sich nun die Möglichkeit bot, die kleine Reisegemeinschaft zu überprüfen. Bei der Durchsuchung der Taschen wurden auch die beiden Rucksäcke durchsucht. Hierbei wurden insgesamt sechs Pfeffersprays "entdeckt" - zwei in dem einen, vier in dem anderen.


Die Verfahren

Wie zu erwarten endete die Geschichte damit jedoch nicht, sondern begann erst. Die beteiligten Beamten sahen sich angesichts der für sie ungewöhnlichen Vorfälle wie den Aufzug und die Entdeckung der Sprays veranlasst, Aktenvermerke zu schreiben und gegen die beiden Rucksackbesitzer Ermittlungsverfahren einzuleiten. Die Zusammenfassung der Aktenvermerke ergibt, dass die beiden auf dem Aufzug waren - es wurden in den Rucksäcken Reizmittel (Pfeffersprays) gefunden. (In einem umfangreicheren Aktenvermerk fand sich jedoch zum Glück wieder, wie es war: Tatsächlich gab es einen Aufzug - der endete um 18.50 Uhr. Um 19.10 Uhr wurden die Beschuldigten am Bahnhof angetroffen - samt Reizmittel.)

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg, Staatsschutzabteilung, sah es trotz der eindeutigen Aktenvermerke der Polizei, aus denen wie dargelegt bereits hervorgeht, dass die Beteiligten erst deutlich nach Ende der Versammlung durchsucht wurden, als erwiesen an, dass all diese Pfeffersprays von den Beschuldigten auf der Versammlung mitgeführt wurden. Die Staatsanwaltschaft wusste nämlich trotz der polizeilichen Vermerke und des tatsächlichen Verlaufs besser, wie es war, so dass in den dann verfassten Strafbefehlen zu lesen war: "Sie nahmen an einem nicht angemeldeten Aufzug unter dem Motto 'Gegen Naziterror' in der Wittekindstr. in Delmenhorst teil. Hierbei führten Sie in Ihrem Rucksack vier Dosen Pfefferspray mit sich, die dazu geeignet waren, sowohl gegen Polizeibeamte als auch gegen rechte Nebendemonstranten eingesetzt zu werden, was Sie auch beabsichtigten." (Wörtliches Zitat - man achte auf die Wortkreation: Nebendemonstranten!)

So beantragte die Staatsanwaltschaft Oldenburg Strafbefehle gegen die beiden Rucksackbesitzer mit einer Geldstrafe in Höhe von 300 zuzüglich 63,50 Euro Verfahrenskosten. Das Amtsgericht Delmenhorst nickte diese nur ab - ganz offensichtlich ohne die Akte beziehungsweise den Aktenvermerk der Polizei zu lesen. Die Betroffenen holten rechtlichen Rat ein und es wurde Einspruch eingelegt gegen die Strafbefehle, so dass es zur mündlichen Gerichtsverhandlung kam.


Die Urteile - und die Staatsanwaltschaft Oldenburg

In den mündlichen Verhandlungen der beiden Verfahren setzte sich die Provinzposse fort. In dem einen Verfahren erzählte der Alt-68er Richter gerne, dass man ja früher auch auf "Demos" gegangen sei. Aber er konnte trotz Abgabe einer Erklärung durch die Verteidigung mit der Schilderung des tatsächlichen Verlaufs die Wahrheit nicht glauben und hörte zumindest einen Polizisten an. Dieser konnte sich nicht erinnern den Angeklagten auf dem Aufzug mit Rucksack gesehen zu haben - ein gewisses Bedauern war dabei anzumerken. Letztlich beantragte nicht nur die Verteidigung, sondern auch die Staatsanwaltschaft einen Freispruch.

Am Schluss schrieb der Richter dennoch ins Urteil, dass der Angeklagte durchaus ein Motiv gehabt habe, sich herauszureden. Der Freispruch des Urteils schloss mit den Worten: "Ein weiteres Beweismittel, durch das sich die Tat des Angeklagten hätte feststellen lassen können, war nicht ersichtlich, folglich die zumindest gut erdachte Äußerung des Angeklagten auch nicht zu widerlegen." Soll heißen: Der Angeklagte lügt - aber gut. Woher der Richter nun wissen will, was er zu glauben meint, ist nicht dargelegt. Unbeantwortet bleibt die Frage, ob es tatsächlich einen plausiblen Grund gibt, so viele Pfeffersprays bei sich zu führen.

Der zweite Angeklagte musste sich in einem anderen Prozess verantworten. Es wurde gegen ihn in dessen Abwesenheit verhandelt. Er hätte jedenfalls einem neutraleren Richter gegenüber gestanden. Trotz der Erklärung der Umstände und der Hinweise auf die Aktenvermerke sah sich der Richter veranlasst, die beiden geladenen Polizisten zu vernehmen. Diese konnten jedoch letztlich wieder nicht bestätigen, dass der Angeklagte mit seinem Rucksack an dem Aufzug teilgenommen hat. Der Staatsanwalt, der vertretungsweise an der Verhandlung teilnahm, wunderte sich öffentlich, wie es bei der eindeutigen Aktenlage überhaupt zur Anklage gekommen war. So beantragten auch hier Staatsanwaltschaft und Verteidigung Freispruch - und der Angeklagte bekam ihn auch.

Ende gut - alles gut. Aber nur fast: Sodann legte die Staatsanwaltschaft Oldenburg, vermutlich wiederum die Staatschutzabteilung, gegen diesen Freispruch Berufung ein. Obwohl der Freispruch auch von dem Staatsanwalt vor Ort beantragt worden war! Der Angeklagte sollte nicht ungestraft davonkommen - für sein rechtmäßiges Verhalten. Dies überraschte nun doch. Glücklicherweise zeigte sich die Staatsanwaltschaft auch im weiteren Verlauf als unberechenbar und nahm die Berufung später aus unbekannten Gründen zurück. Die beiden Verfahren sind damit beendet. Die Kosten hierfür hat der Staat zu tragen.

Diese Geschichte erinnert daran, dass der Repressionsapparat nicht logisch vorgeht und dennoch jederzeit funktioniert.

Raute

REPRESSION

Waffen und gefährliche Gegenstände im Alltag und auf Demos

Rechtsanwältin Rita Belter, Leipzig

Immer wieder kommt es zu Ermittlungsverfahren und Verurteilungen zu empfindlichen Strafen, wobei sich bei Tatbegehung gefährliche Dinge in mitgeführten Taschen befunden haben sollen. Im Allgemeinen verschärfen die gesetzlichen Regelungen dann die Strafe für ohnehin verbotene Delikte und knüpfen hierbei an die erhöhte Gefährlichkeit einer Tatbegehung mit Waffen oder ähnlichem an. So ist - wenn man denn eine Waffe bei sich führt - die Mindeststrafe für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Landfriedensbruch und Gefangenenmeuterei eine sechsmonatige Freiheitsstrafe, die im besten Fall zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Rechtsprechung war bislang davon getragen alles schärfer zu bestrafen, was einen gefährlicheren Anschein machte. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Einhalt geboten und am 1. September 2008 beschlossen, dass diese Verbote nur für technische Waffen (vgl. §1 WaffG) gelten dürfen (1). Steine, Flaschen, handelsübliche Taschenmesser et cetera fallen nicht darunter, sondern nur "Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit bei bestimmungsgemäßer Verwendung geeignet sind erhebliche Verletzungen zu verursachen". JedeR soll voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist.

Interessant ist das vor allem für Versammlungen. Die "Führung von Waffen" (§27 Versammlungsgesetz) ist die einzige Norm, die allein das Mitsichführen von "Waffen oder sonstigen Gegenständen, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigungen von Sachen geeignet und bestimmt sind" unter Strafe stellt. Nun gibt es zwar das Versammlungsgebot "friedlich und ohne Waffen" aus Artikel 8 Grundgesetz. Das ist aber kein Grund Menschen wegen mitgeführter Taschenmesser et cetera zu verfolgen und zu verurteilen. Üblicherweise entscheidet kein Richter, was in einer Versammlung zulässig ist, sondern die "Gefahrenprognose" der Polizei. So die Geschichte, als ein Angeklagter mit einem Strafbefehl kam, laut welchem er verurteilt werden sollte, weil er sich mit Stahlkappenschuhen "bewaffnet" auf dem Wege zu einer Demonstration befunden haben soll. Im Rahmen einer Vorkontrolle hatte man den "Täter" gestellt und später der zuständigen Richterin zugeführt, die die Auffassung vertrat, der stahlkappenschuhtragende Demonstrant sei ebenso gefährlich wie der schlagstockschwingende. Erst das persönliche Erscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung hat die Richterin zur Überzeugung gebracht, dass dieser "Straftäter" nicht die Absicht hatte seine "Waffen" gegen die Polizei einzusetzen und sprach ihn dann auch frei.

Diese Argumentation ist grundsätzlich falsch. So müssen Spontandemonstrationen Maß bei der Bewertung der Verbote sein. JedeR bestimmt selbst, warum er Dinge mit sich trägt. Die Polizei stellt in Auflagenbescheid und Vorkontrolle klar, was ihr zu gefährlich ist und der Richter entscheidet, ob der Angeklagte die beschlagnahmten - nicht allgemein verbotenen - Gegenstände in "Verwendungsabsicht" mit sich führte. Alles das, was man üblicherweise mit sich trägt/tragen darf, kann nicht mit einer Strafe wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz überzogen werden. Im Fernsehen werden zum Teil Demonstranten im Rahmen von Streiks oder DGB-Veranstaltungen gezeigt, die allesamt schutzbewaffnet bis an die Zähne sind. Mit Helmen auf dem Kopf stehen sie mitten in einer Versammlung: kein Polizist noch Staatsanwalt, der die Straftäter namhaft macht und schon gar kein Richter, der sie aburteilt.

Wesentlich ist lediglich, wie die betreffenden Gegenstände bestimmungsgemäß zu verwenden sind. So sollte das beschlagnahmte Taschenmesser nach der Demo zurückverlangt werden, weil man sich sonst ein neues auf Staatskosten kaufen muss. Wenn die Beschlagnahme aufrecht erhalten bleibt, kann man ein waffenrechtliches Gutachten beantragen zum Beweis der Tatsache, dass das Messer nach seiner Bauart nicht zum Einsatz als Verletzungsmittel bestimmt ist.

Problematischer ist das bei Pfefferspray, welches unter das Waffengesetz fällt. Da kommt mensch in Erklärungszwänge, warum dieses üblicherweise individuell mitgeführt wird. Im Rahmen von Ermittlungsverfahren wegen des Mitführens eines Zahnschutzes als "Schutzwaffe" ist auch beispielsweise der Hobbyboxer, der seinen Kauschutz vom letzten Training noch in der Tasche hat, besser gestellt als der Antifa, der einen kennt/von einem gehört hat, der seine Zahnleiste einem Schlagstockeinsatz der Polizei geopfert hat und deshalb vorsichtshalber immer einen Zahnschutz dabei habe. Allein die Mutmaßung, in solch gefährliche Situationen, da die Polizei Schlagstöcke einsetzen muss, überhaupt kommen zu können, kann je nach Richter zu einer "Gesinnungsverurteilung" führen. Beim Mitführen des Zahnschutzes zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit vor Angriffen von Nazis stellt sich dies gegebenenfalls anders dar. So ist mittlerweile anerkannt, dass gegen Fotografen der rechten Szene ein berechtigtes Interesse am Schutz des eigenen Bildes besteht, weshalb die Vermummung legitimes Mittel zur Abwehr solcher Angriffe darstellt und schon oft zum Freispruch geführt hat.

Die Rechtsprechung ist regional völlig verschieden und nicht zuletzt vom jeweiligen Richter abhängig. So neigen Jugendrichter eher dazu Verfahren - meist gegen Arbeitsstunden - einzustellen, währenddessen der Strafrichter gern auf die Einstellung wegen "geringer Schuld" nach §§153, 153a StPO oder auf die vereinfachte Form des Strafbefehlsverfahrens zurückgreift, das heißt er hat bereits die Überzeugung gewonnen, dass es sich zweifellos um eine strafbare Tat handelt, die sanktioniert werden muss. Dies mutet vor dem Hintergrund der gerichtlich festzustellenden Verwendungsabsicht der mitgeführten Sachen auf der Demo seltsam an, denn von dieser sollte sich der Richter nur dann überzeugen können, wenn er dem Beschuldigten rechtliches Gehör einräumt. Dafür ist das Strafbefehlsverfahren ohne mündliche Verhandlung nicht nur ein zweifelhaftes Instrument, sondern schlicht ungeeignet.

Nicht vergessen: Lediglich bei einem Freispruch oder einer Einstellung im Ermittlungsverfahren nach §170 Abs. 2 StPO gibt es in der Regel einen Anspruch auf die Löschung aller gewonnenen Daten aus dem Verfahren. Die Datenlöschung muss beantragt und beschieden werden. Wenn man die Mitteilung erhält, dass die Daten gelöscht wurden, dürfen diese niemals und nirgendwo mehr auftauchen...

(1) Vgl. www.bundesverfassungsgericht.de; Az: 2 BvR 2238/07


Kontakt:
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Kochstr. 116
04277 Leipzig
Tel: 0341 / 585 29 28
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Raute

REPRESSION

Repression gegen Antirepression

Rechtliche Einschätzung zu den Verbotsgründen gegen die Antirepressionsdemo vom 13. Dezember in Bremen

Ortsgruppe Bremen

In Bremen wurde die Anti-Repressionsdemo zum 13. Dezember 2008 vom Stadtamt verboten. Das Verbot wurde vom Verwaltungsgericht (VG) und dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Bremen bestätigt (zum rechtlichen Verständnis des einstweiligen Rechtsschutz siehe Anmerkung).

Im Folgenden geht es uns darum, die dem Verbot zugrunde liegenden Behauptungen offen zu legen und ans Licht zu holen. Nach unserem Kenntnisstand haben Behörden in anderen Bundesländern bereits die Verfügung und die Beschlüsse gegen DemoanmelderInnen ins Feld geführt. Die GenossInnen waren sodann in Unkenntnis der näheren Entscheidungsbegründung mit einem Phantom konfrontiert.

Dies hat nach unserer Einschätzung seine Gründe. Bei einer genaueren Betrachtung eignen sich die Bremer Beschlüsse gerade eben nicht dazu, Demos zu verbieten. Vielmehr sind die Verbotsbeschlüsse aus nachfolgenden Erwägungen heraus rechtlich nicht haltbar.

Als Rechtsgrundlage für das Verbot der Antirepressionsdemo vom 13. Dezember 2008 wird, sowohl vom VG als auch vom OVG Bremen, §15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG) herangezogen. Nach dieser Vorschrift kann die Behörde die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zum Zeitpunkt des Erlasses des Verbotes erkennbare Umstände die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.


1. Gefahrenprognose

Die Verbots-Beschlüsse mussten daher zunächst darlegen und begründen, wieso "erkennbare Umstände" vorliegen, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung "unmittelbar gefährdet" sein sollte. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz der Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Die Gefährdung dieser öffentlichen Sicherheit wird von der Rechtsprechung regelmäßig angenommen, wenn eine strafbare Verletzung der vorbezeichneten Rechtsgüter droht.

Um eine Demo verbieten zu können, müssen jedoch "erkennbare Umstände" vorliegen, dass eine Gefährdung der vorbezeichneten Rechtsgüter droht.

Die Bremer RichterInnen mussten also zunächst das Vorliegen "erkennbarer Umstände", also tatsächlicher Anhaltspunkte beziehungsweise nachweisbarer Tatsachen für eine "unmittelbare Gefährdung" darlegen, um sodann auszuführen dass der Eintritt eines Schadens für die oben bezeichneten Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Wobei immer ein hinreichend konkreter Bezug der Erkenntnisse zu der geplanten Veranstaltung bestehen muss.

Um so zu tun, als ob genau das die Bremer Situation sei, waren sich die Bremer RichterInnen für keine abenteuerliche Behauptung zu schade und bedienten sich so manch unterhaltsamen Zirkelschlusses. Das VG Bremen ist sich der Fehlerhaftigkeit seines Beschlusses offensichtlich bewusst. Entgegen der sonst üblichen Praxis wird dieser Beschluss weder auf der Homepage des VG Bremen, noch in juristischen Datenbanken veröffentlicht. Auch auf Nachfrage beim VG direkt wird der Beschluss zurückgehalten. Lediglich auf anwaltliche Faxanfrage erfolgte Übersendung.

Die Gefahrenprognose nach obigem Maßstab wurde damit begründet, dass aller Voraussicht nach mit einem unfriedlichen Verlauf der Versammlung zu rechnen sei. Die Bremer RichterInnen führten zum Beleg die nachfolgenden Aspekte auf.

a) Plakate/Aufrufe

Es sei von einem unfriedlichen Verlauf der Demo auszugehen, weil die Teilnahme zahlreicher gewaltbereiter Mitglieder aus der "linksextremen Szene" zu befürchten stände. Zur Begründung dieser Annahme hat bereits das Stadtamt im Wesentlichen die bildliche und textliche Gestaltung der Plakate, die zur Versammlung aufrufen sollen, angeführt. Diese Argumentation haben die Gerichte hier mit Freude übernommen, wobei es eigentlich nur ein Bremer Mobilisierungsplakat gab.

Das andere war das Plakat zum bundesweiten Aktionstag zum "mg"-Prozess. Im Hintergrund ein Feuer. In roter Schrift die Parole: "Feuer und Flamme der Repression". Der Staatsschutz sah hierin, wohlaus beruflichem Eigeninteresse, einen Aufruf zur Begehung von Brandstiftung. Die Bremer Gerichte übernahmen diese Einschätzung ohne weitere Erwägungen. Vielmehr habe der Antragsteller ja bereits bei dem Kooperationsgespräch beim Stadtamt "keinen Hehl daraus gemacht, dass die von ihm angemeldete Demo im direkten Bezug zu dem bundesweit geplanten Aktionstag stehen soll". Da half dem Anmelder dann auch nicht, dass er sich bereits schriftlich "in aller Deutlichkeit von jedweder Gewalt gegenüber Personen oder Dinge distanziere". Denn die Aufrufe mit ihrer Darstellung gewalttätiger oder gewaltbereiter DemonstrantInnen sprächen gezielt solche Personen an, die "willens und geneigt sind, sich in gleicher Weise zu verhalten".

Aber auch das Bremer Mobilisierungsplakat mit dem Text "we still stand together" und "Anti-Repressionsdemo Bremen 13.12.2008" richte sich ausschließlich an einen gewaltbereiten Personenkreis. Die dort dargestellten sechs Personen seien "entweder vermummt oder tragen Sonnenbrillen". Eine hatte eine Zwille in der Hand.

Diese Schlüssel-Argumentation, dass die Aufrufe lediglich auf einen gewaltbereiten Teilnehmerkreis abstellten, nahm auch das OVG auf und begründete die Zurückweisung der Beschwerde gegen den VG-Beschluss maßgeblich damit. Weil es Auf rufe gibt, auf denen nach nicht näher vermittelter Ansicht des Gerichts Gewalttätigkeiten erkennbar seien, richte sich die Versammlung an einen gewaltbereiten Personenkreis und dieser würde dann auch unverzüglich losschlagen und sodann die Repression in Feuer und Flamme setzen.

Gegen diese Argumentation hat sich schon Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gestellt. Nach Ansicht des höchsten Bundesgerichts würde die Versammlungsfreiheit durch eine solche Begründung immer gefährdet. Es sei ein leichtes, jede Demo mit dieser Argumentation zu verbieten, "da sich nahezu immer 'Erkenntnisse' über unfriedliche Absichten eines Teils der Teilnehmer beibringen lasse" (Brokdorf-Entscheidung, BVerfGE 69, 315, 361). Deswegen, so das BVerfG, genügen solche Anhaltspunkte zum Verbot einer Versammlung eben nicht.

Die Bremer RichterInnen haben nunmehr in ihrer Bauernschläue versucht die Rechtsprechung auf den Kopf zu stellen, indem sie so tun, als ob von Anfang an nur solche TeilnehmerInnen zu erwarten seien und die Grundsätze des BVerfG-Urteils deshalb nicht zuträfen. "Die hier im Streit stehende Veranstaltung wendet sich vielmehr von Anfang an (zumindest auch) an solche Personen, die Ausschreitungen aus der Versammlung heraus beabsichtigen." Eben dieses "...(zumindest auch)..." im OVG-Beschluss entlarvt hier die Verbotsbeschlüsse als offensichtlich rechtswidrig. Denn genau gegen die Begründung eines Verbotes, weil "zumindest auch" solche gewalttätige Personen erwartet würden, wendet sich das BVerfG in seiner vorzitierten Brokdorf-Entscheidung ganz entschieden, indem es auch konkret zu befürchtende Ausschreitungen nicht zum Versammlungsverbot genügen lässt.

Den Bremer Verwaltungsgerichten ist dies jedoch egal oder (zumindest auch) einerlei, lediglich das Ergebnis ist wichtig: Versammlungsverbot.

b) Vorhergehende Demos

Das Verbot wird sodann weiter begründet indem verschiedene Behauptungen, insbesondere des Staatsschutzes, vom Gericht ungeprüft eins zu eins übernommen werden.

So gab es in Bremen am 8. Dezember 2008 eine Spontandemo anläßlich der Ermordung eines Genossen durch die Polizei in Griechenland. Auf dieser will die Polizei eine nicht unerhebliche Anzahl vermummter TeilnehmerInnen gesehen haben. Auf dieser Spontandemo gab es keinerlei Auseinandersetzungen. Das Stadtamt hatte jedoch in der Verbotsverfügung ausgeführt, dass auch auf der Anti-Repressionsdemo wieder eine nicht unerheblichen Anzahl von Verstößen gegen das in §17a Abs. 2 Nr. 1 und 2 VersG enthaltene Vermummungsverbot zu erwarten sei. Das VG wiederum hatte keinen Zweifel, dass durch eine Vermummung "... eine Identifizierung erschwert werden soll und so die erhebliche Gefahr besteht, dass unter dem Schutz der Vermummung Straftaten beabsichtigt sind". Das muss man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen: Weil in der Vergangenheit gegen das Vermummungsverbot verstoßen worden sein soll, steht zu erwarten, dass dies wieder erfolgt. Und weil die Gefahr der Vermummung einiger TeilnehmerInnen bestehe, ergebe sich die erhebliche Gefahr, dass unter dem Schutz der Vermummung erhebliche Straftaten beabsichtigt seien. Für die Verbotsbeschlüsse genügt demnach die Befürchtung einer Vermummungsabsicht um die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar zu gefährden. Folglich lassen die Bremer Verwaltungsgerichte eine Vermummungserwartung genügen, um Gewalttätigkeiten hinreichend wahrscheinlich werden zu lassen. Jetzt sind wir aber gespannt, was das BVerfG davon hält.

c) Person des Anmelders

Die RichterInnen setzen aber noch einen drauf. Der antragstellende Anmelder habe nach ihrer Ansicht nicht alles Erforderliche getan, um solche Gewalttätigkeiten zu verhindern. Auch wenn er selbst nicht für die Aufrufe beziehungsweise Plakate verantwortlich sei, müsse "... er doch einkalkulieren, dass die Aufrufe mit ihrem gewaltfördernden Inhalt Einfluss auf die Teilnehmer haben werden. Von ihm muss unter solchen Umständen zumindest erwartet werden, dass er hinreichende Anstrengung unternimmt, die auf die Gewaltfreiheit der Versammlung gerichtet sind. (...) die 'Vorkehrungen', die der Antragsteller angeboten hat, lassen kein ernsthaftes und aussichtsreiches Bestreben in dieser Richtung erkennen. Das vage Versprechen, 20 bis 30 Ordner zu benennen und einen Lautsprecherwagen einzusetzen reicht dafür nicht". So das OVG. Wieso letzteres nicht reicht, wird im Beschluss leider nicht mitgeteilt. Es genügt dem OVG hier als Begründung dieser Einschätzung, dass das Wort Vorkehrung im Beschluss in Anführungszeichen gesetzt worden ist.

Die Rechtsposition der Bremer Verwaltungsgerichte wird einer rechtlichen Überprüfung jedoch aus weiteren Gründen nicht standhalten. Denn die Anforderungen an den Anmelder sind vollkommen überzogen und von der ständigen Rechtsprechung nicht gedeckt.

Der Anmelder selbst hatte, den Ausführungen des VG-Beschlusses folgend, einen Lautsprecherwagen mit vier erfahrenen Genossen und ihm Bekannte als OrdnerInnen für die Versammlung zur Verfügung gestellt. Zudem war die Telekommunikation zwischen ihm, der Polizei und dem Lauti sichergestellt. Darüber hinaus gab der Anmelder gegenüber den Repressionsorganen an, dass er keine Kenntnis von den Plakaten und keinen Kontakt zu den "Organisatoren" des bundesweiten Aktionstages habe. Da es sich bei der Demo um eine öffentliche Versammlung handele, kenne er den TeilnehmerInnenkreis nicht. Die Organisation der Veranstaltung als solche habe er in andere Hände abgegeben, ohne hierzu nähere Angaben zu machen. Präzise Angaben, durch wen die geplanten Kundgebung beziehungsweise Redebeiträge abgehalten werden sollte, hat der Anmelder auch nicht gemacht.

Das Gericht führte zu all dem aus, dass es im Laufe des Erörterungstermins den persönlichen Eindruck gewonnen habe, das der Antragsteller keinerlei Einfluss auf den zu erwartenden TeilnehmerInnenkreis ausüben kann und insgesamt nicht mit der Organisation der Veranstaltung vertraut sei. Demzufolge sei er nicht imstande, maßgeblichen Einfluss auf den Anlauf (sic!) der Versammlung auszuüben".

Angesichts dieses "Unvermögens" könne sich der Antragsteller auch nicht auf seine Kooperationsbereitschaft berufen. Dieser hatte zwar zunächst einer veränderten Streckenführung zugestimmt. Weiteren veränderten Streckenführungen oder einer stationären Kundgebung hatte der Anmelder dann nicht mehr Zugestimmt. Hierbei ist rechtlich festzustellen, dass an den Anmelder auch mit der ständigen Rechtsprechung keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen, da diese eine Beeinträchtigung des Versammlungsrechts darstellen. Gegen diese vollkommen überspannten Anforderungen ist unserer Einschätzung nach ein ganz entschlossenes Vorgehen geboten.


2. Bremer Situation

Zur Verbotsbegründung wird im Beschluss im Übrigen auf besondere Situationen im Vorfeld beziehungsweise während der Demo abgestellt. Im Ergebnis vermögen auch diese Verbotsgründe einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten.

a) Shopping und Fußball

Angreifbar ist insbesondere eine Abwägung, die die Bremer Gerichte zwischen Versammlungsfreiheit und dem Konsum sowie Bundesliga-Fußballspielen vornehmen.

Schon in der Vergangenheit haben sich die Bremer Obrigkeiten mit den Behauptungen hervorgetan, dass aufgrund von kaufoffenen Samstagen und der Beeinträchtigungen durch Fußballspiele keine Demos durchgeführt werden könnten. Insbesondere im Zusammenhang mit dem im Stadtzentrum stattfindenden Weihnachtsmarkt seien Demos dort nicht möglich.

In Bremen (aber sicher auch anderswo) werden gerne die "Bürgerrechte" auf ungestörten Konsum und Fußball, die noch keinen direkten Eingang in das Grundgesetz gefunden haben, mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit abgewogen.

So auch wieder hier für die Demo zum 13. Dezember. Im Hinblick auf die Enge und das erwartete Besucheraufkommen (Weihnachtsmarkt, "Shopping Nacht") einigten sich Stadtamt und Anmelder zunächst auf eine Route am Rande der City, statt durch die City hindurch. Jedoch wurde diese Route im späteren Verhandlungsverlauf wiederum wegen der prognostizierten Ausschreitungen untersagt.

Hinzu kommt ein spätes Fazit des Stadtamtes, bestätigt durch das VG: Auch die Durchführung einer Alternativroute führe in Kombination mit den anderen Publikumsveranstaltungen zwangsläufig zum Verkehrskollaps. Allerdings war dieser Umstand dem Stadtamt bereits zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Alternativroute bekannt und bewusst. Also ist dieses Verhalten als reine Hinhaltetaktik anzusehen. Auf diesen Umstand ist das Gericht jedoch nicht eingegangen.

Aber zu dem ewigen Dilemma der überfüllten Stadt kreierte das Verwaltungsgericht nun folgendes Szenario: "Neben den Autonomen sei mit einer Teilnahme der ebenfalls zur gewaltbereiten Linken Szene gehörenden Ultras als Gruppe der Fußballfans zu rechnen."

In keiner Weise gewertet wurde hierbei allerdings der Aspekt, dass das Spiel ja zeitgleich mit der Demo stattfinden sollte - und Ultras ja zunächst Fußballfans sind, also erwartungsgemäß zu dem Bundesligaspiel gehen.

b) Informationen des Staatsschutzes

Das Verwaltungsgericht stützt sich aber auch zu einem wesentlichen Teil auf die Einschätzung eines Beamten des Staatsschutzes in Bremen. Dessen Ausführungen sind tatsächlich teilweise erheblich zweifelhaft, gehen manchmal sogar ins lächerliche.

Konkretes Indiz für die Unfriedfertigkeit sei - so der Staatschutz - der Umstand, dass auch ein EA gebildet worden sei(!). Die Bildung eines EA macht aus Staatsschutzsicht nur Sinn, wenn die Szene konkret mit Festnahmen rechne - so der Beamte. Aber nach Kenntnis des Staatsschutzes sei der letzte EA zu einer NPD-Demo 2006 gebildet worden - und bei der Demo habe es dann auch Ausschreitungen gegeben. Diesen Ausführungen folgten die Gerichte.

(Aus diesen Ausführungen wird vor dem Hintergrund der wirklichen EA-Tätigkeit deutlich, dass der Staatsschutz keine Ahnung von den tatsächlichen Verhältnissen hat - oder Unwahres behauptet.)

Wie immer prognostizierte der Staatsschutz, es sei mit der Anreise gewaltbereiter Hamburger GenossInnen zu rechnen. Dies ist ein fast standardmäßig wiederholtes Argument für alle möglichen Einschränkungen des Demonstrationsrechts, das auf offene Ohren bei der Bremer Gerichtsbarkeit stößt.

Auch bei der "Ladenschlussdemo" in Bremen im November 2008 seien allein schon 50 bis 100 gewaltbereite Hamburger und Oldenburger GenossInnen gewesen. Die Gewaltbereitschaft der Teilnehmenden sei offenbar gewesen. Und jetzt im Original für alle: "Das habe man daran erkannt, dass die Teilnehmer begonnen hätten, an den Absperrungen zu rütteln und zu hüpfen. Das Hüpfen sei in der Szene ein sicheres Anzeichen für sich (sic!) unmittelbar bevorstehende Gewalttätigkeiten."

Dass ein solches Argument Eingang in die Entscheidung eines Gerichts finden kann, ist äußerst bedenklich.

Aber weiter: Die Lage habe man nur in Griff bekommen können, indem Wasserwerfer positioniert wurden, in der Ultraszene habe man großen Respekt vor Wasserwerfern - aber bei dieser Demo könne man nun keine Wasserwerfer positionieren wegen der Vermischung von Shopping, Fußball und Demo.

Ihr ahnt was Augenzeugen, die leider nicht im Verfahren gehört wurden, berichten: Die Wasserwerfer standen bereits vor dem Erreichen der Absperrung dort. Hier wird nicht zuletzt das (einsatzlose) Auffahren von Wasserwerfern gegen eine friedliche Demo nachträglich legitimiert, sondern auch das vollkommen überzogene, eskalierende "zero-tolerance"-Verhalten der Polizei als Beleg für zu erwartende Gewalttätigkeiten benutzt.

Ferner legte der Staatsschutz Fotos vor, auf denen ein Transparent im Weserstadion zu sehen sein sollte mit der Zahlenfolge: 1312. Der Staatsschutz sah hierin eine Aufforderung der Ultras zur Teilnahme an der Demo. Hier sind sich die Schreibenden nicht einig: ist das vorsätzlich oder dumm? Dass dieses Argument überhaupt aufgenommen wurde, zeigt wieder einmal dass die Kenntnisse und Ermittlungen in keiner Weise fundiert sind. Ob die Beamten sich wundern, wenn das Transparent wieder hängt - obwohl der 13. Dezember zunächst vorerst vorbei ist ... oder wird schon für die nächste Antirepressionsdemo geworben ...?


3. Fehlende Abwägung mit anderen Interessen

Neben dieser Bremer Situation, die durch die Gerichte falsch beleuchtet und eingeschätzt wurde, mangelt es aber auch an der notwendigen Abwägung mit den Grundrechten des Anmelders und der Teilnehmenden mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.

Erstaunlich ist auch, dass die tatsächlichen Beweggründe nicht einmal am Rande auftauchen, so zum Beispiel Mangel an Einsatzkräften - denn die hat der Staat mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Verfügung zu halten, damit die Bürger ihre Bürgerrechte ausüben können.

Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist im Grundgesetz verankert und richtungweisend durch das Bundesverfassungsgericht mit dem sogenannten Brokdorf-Urteil ausgeformt. Die Entscheidung ist eindeutig: Die Gewaltbereitschaft einzelner oder sogar einer kleinen Gruppe kann das Recht der anderen Teilnehmenden, sich friedlich zu versammeln, nicht aufheben.

Erforderlich ist hierbei eine Gefahrenprognose (die auf die bisher erwähnten Punkte gestützt wurde). Aber hiergegen hat das Gericht die Rechte und Situation von Anmelder und Teilnehmenden abzuwägen. Dazu findet sich in den beiden Beschlüssen recht wenig bis gar nichts.

Das Oberverwaltungsgericht geht mit keiner Silbe auf das Versammlungsrecht von Anmelder und Teilnehmenden ein.

In beiden Beschlüssen werden gegenüber dem öffentlichen Interesse auch nur die "privaten" Interessen des Antragstellers eingestellt. Es fehlt vollkommen die Einstellung der Interessen der sonstigen Beteiligten, also der anderen DemoteilnehmerInnen an der Ausübung ihrer Grundrechte. Deren Interessen sind jedoch nach herrschender juristischer Meinung, insbesondere bei so schwerwiegenden Eingriffen wie die in die Versammlungsfreiheit und der allgemeinen Handlungsfreiheit, mit einzustellen (Kopp/Schenke, VwGO, §80 Rn. 153 mit weiteren Nachweisen).

Auch wird die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 GG, zum Beispiel das Hüpfen auf Demos, nicht in die Abwägung eingestellt.

Auch sich so zu Kleiden wie es einem gefällt ist eigentlich durch die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet. Die Bremer RichterInnen sehen jedoch schon in einem schwarzen Kleidungsstil den Beginn von Gewalttätigkeiten und nutzen das Outfit um schwarz Gekleideten ein Versammlungsrecht abzusprechen.

Fakt ist, dass sich trotz des Verbotes einige - laut Polizei circa 200 Personen - in der City einfanden und dort einen kleinen Aufzug durchgeführt haben. Zu Gewalttätigkeiten - Feuer, Entglasungen et cetera kam es nicht. Tatsache war jedoch, dass Einige Mützen und Tücher dabei hatten - im Dezember. Dieser Umstand wurde als Vermummung ausgelegt. Aber auch selbst die Vermummung Einzelner kann das Versammlungsrecht Vieler nicht aufheben! Die an der Spontandemo teilnehmenden GenossInnen wurden im Verlauf eingekesselt. Eine Genossin erklärte sich bereit eine Spontandemo anzumelden - was ihr jedoch durch die Polizei untersagt wurde. Daraufhin erfolgten 174 Ingewahrsamnahmen und 30 Personalienfeststellungen, aber keine Ausschreitungen oder Straftaten.

Diese Ausführungen greifen die wesentlichen Punkte der Begründungen von Stadtamt, Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht auf. Es mangelt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts wesentlich an der Differenzierung zur Position des Stadtamtes. Das OVG selbst hat sich nur eine dreiviertel Stunde Zeit gelassen.

Aus unserer Sicht sollte es keinesfalls bei diesen Entscheidungen verbleiben. So ist zu berücksichtigen, dass beim Bremer Verwaltungsgericht stets gewalttätige Ausschreitungen prognostiziert werden - die regelmäßig nicht eintreten. Allenfalls gibt es mal kleine Rangeleien von Seiten der Polizei.

Die Bremer Gerichte werden versuchen ,sich auch künftig auf diese märchenhaften Ausführungen zu berufen. Diese stehen aber in Widerspruch zu den tatsächlichen Verhältnissen und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Ungeachtet dessen stellen die Bremer Gerichte das Versammlungsrecht stets zurück hinter Fußball, Shopping, Verkehrsbehinderungen, Polizeimangel.

Nach Ansicht der Ortsgruppe Bremen sollten die Polizeistaatstrategen in Verwaltung, Justizapparat und Landesregierungen zumindest dazu gebracht werden, sich an das zu halten, was in diesem Land bisher höchstrichterlich zu Demonstrationsrecht und Versammlungsfreiheit entschieden wurde.

Klarstellend wollen wir betonen, dass unsere Hoffnungen nicht auf politisch besetzten Richterämtern ruhen. Dem fortschreitenden Abbau von demokratischen Rechten kann nur durch eine entschlossen auftretende Linke in politischer Auseinandersetzung begegnet werden.


Anmerkung:

Der OVG-Beschluss Az. 1 B 595/08, 1 S 596/08 (VG 5 V 3914/08) ist veröffentlicht unter www.oberverwaltungsgericht-bremen.de Entscheidungen.

Im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes wird im Rahmen einer Interessenabwägung ermittelt, ob die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verbotsverfügung wiederherzustellen ist. Hierbei werden in einer summarischen Prüfung die "öffentlichen Interessen" an der sofortigen Vollziehung der Verbotsverfügung mit dem Interesse an der aufschiebenden Wirkung abgewogen.

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REPRESSION

Rebel Clowns Army - "Lästig, aber nicht verboten

Verwaltungsgericht Dresden kippt Clowns-spezifische Auflage

Sven Richwin und Peer Stolle, Berlin

Am 13. und 14. Februar fand in Dresden eine Reihe von Demonstrationen gegen die zeitgleich stattfindenden Neonazi-Aufmärsche statt. Unisono wurden alle Gegendemonstrationen mit folgender Auflage beschieden:

"13. Sollten sich Teilnehmer, die in der Aktionsform der Rebel Clowns Army auftreten und diese Aktionsform anwenden, an der Versammlung beteiligen und aus dieser heraus durch ihr spezifisches Auftreten agieren, werden nachfolgende Auflagen festgelegt:

- Das Mitsichführen von Wasserpistolen, Sprühgeräten, Pumpen oder sonstigen Gegenständen, die geeignet sind, Polizeibeamte mit Seifenlaugen, Säuren oder anderen Flüssigkeiten zu bespritzen, wird untersagt.

- Teilnehmer, die in der Aktionsform der Rebel Clowns Army auftreten und diese Aktionsform anwenden, ist es untersagt, die Einsatzkräfte zu behindern. Es ist ihnen insbesondere untersagt, sich den Einsatzkräften weiter als bis auf drei Metern zu nähern.

- Kleidungsstücke, die geeignet sind, die Identität zu verschleiern, dürfen nur dann getragen werden, wenn dadurch keine dem Friedlichkeitsgebot entgegenstehende Wirkung erzeugt wird. Das Gleiche gilt für Verdeckungen oder Verfremdungen der Gesichtspartie durch maskieren oder Schminken."

Begründet wurden diese Auflagen für Demonstrationen mit einer Scheingefahr beziehungsweise einem Gefahrenverdacht, der von der Clowns Army ausginge. Wörtlich heißt es dazu im Auflagenbescheid:

"(...) Einsatzkräfte werden bei den unter dem Begriff 'Rebel Clowns Army' bekannten Aktionsformen an der Wahrnehmung ihrer durch das Gesetz übertragenen Aufgaben insbesondere durch tatsächlichen und angetäuschten Körperkontakt vorsätzlich behindert. Im Falle einer solchen Behinderung besteht die Gefahr, dass Einsatzkräfte weder die Grundsätze der Eigensicherung einhalten noch die unter dem Schutz des Art. 8 GG stehenden Versammlungsteilnehmer begleiten (...)."

Verwiesen wird seitens des Ordnungsamtes der Stadt Dresden auf die Möglichkeit eines Freisetzens von gesundheitsgefährdenden Flüssigkeiten. Fazit der Behörde: "Die Anwendung der unter dem Namen 'Rebel Clown Army' genannten Aktionsformen würde eine unmittelbare Gefahr für den Schutz der angemeldeten Versammlung darstellen."

Diese Auflage wurde von den Anmeldern angegriffen und konnte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Verwaltungsgericht Dresden gekippt werden. Die Richter haben sich dazu mit knappen, aber deutlichen Worten geäußert:

"Die vom Antragsteller angegriffene Auflage Nr. 13 ist hingegen nicht gerechtfertigt. Sie beruht auf keiner hinreichenden Gefahrenprognose. Die Antragsgegnerin konnte weder aufgrund eigener Erkenntnisse aus vergangenen Jahren konkrete Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der den Aufzug begleitenden Polizeibeamten oder anderer Teilnehmer mitteilen noch sind dem Gericht solche Anhaltspunkte aus Veranstaltungen an anderen Orten bekannt."

Schon im Vorfeld wurde seitens der Behörden die Rebel Clowns als "lästig" bezeichnet. Auf den Hinweis der Rechtsanwälte der Versammlungsanmelder, dass versammlungsspezifische Auflagen nur bei einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erlassen werden können, nicht aber gegen Verhaltensweisen, die für einige der Beteiligten oder Nicht-Beteiligten als "störend" oder "lästig" angesehen werden, wurde nicht eingegangen. Mit dieser Auflage wären faktisch alle Aktivitäten, die zentraler Bestandteil der Clowns Army sind, auf Versammlungen verboten. Das gesamte dahinter stehende Konzept würde ins Leere laufen.

Diese Auflage kann als Folge der Desinformationspolitik der Polizei während des G8-Gipfels in Heiligendamm gesehen werden. Während der Proteste im Juni 2007 wurde seitens der Polizei die Behauptung verbreitet, dass Clowns säurehaltige Flüssigkeiten verspritzt hätten, die zu Verletzungen bei Polizeibeamten geführt haben sollen. Später hat sich dann herausgestellt, dass es sich dabei um handelsübliche Seifenlauge gehandelt hat (1).

Der Versuch, die Rebel Clowns Army mit Instrumenten des Versammlungsrechts auszugrenzen, ist vorerst gescheitert. Abzuwarten bleibt, wie Polizei und Ordnungsbehörden in Zukunft mit Formen des kreativen Straßenprotestes umgehen werden, die nicht in das herkömmliche "Störer"-Raster der Sicherheitsbehörden passen.

Anmerkung
(1) Dazu RAV/Legal Team (Hrsg.): Feindbild Demonstrant. Der G8-Gipfel aus Sicht des Anwaltlichen Notdienstes. Berlin 2007


Peer Stolle, Rechtsanwalt
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REPRESSION

Primat der Repression

Bericht vom Europäischen Polizeikongress 2009

www.german-foreign-policy.com

Nach dem diesjährigen Europäischen Polizeikongress in Berlin fordert die Bundesregierung eine rasche Ausweitung polizeilicher Kompetenzen in der EU. Vor allem müssten nationale Datenbestände dem Zugriff ausländischer Behörden ungehindert offenstehen, verlangt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium Peter Altmaier.


Beim Europäischen Polizeikongress, der Mitte Februar stattfand, erörterten Vertreter von Politik, Behörden und "Sicherheitsindustrie" eine geeignete Umsetzung dieser Vorgaben und weitere Schritte zum Ausbau der europäischen Repression. Die so genannte Sicherheitsindustrie gilt als krisenfeste Boombranche, deren globales Marktvolumen sich 2015 auf eine Viertelbillion US-Dollar belaufen dürfte; Banker empfehlen den Kauf von Aktien. Die Entwicklung, die Experten mit wachsender Ungleichheit auf nationaler wie internationaler Ebene in Verbindung bringen, führt zu neuer Verschmelzung staatlicher Behörden. Jüngster Schritt ist eine Kooperationsvereinbarung des vorgeblich zivilen Technischen Hilfswerks (THW) mit der Bundespolizei.

Wie der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium Peter Altmaier (CDU) bekräftigt, besteht die Bundesregierung auf einer raschen Ausweitung polizeilicher Kompetenzen innerhalb der EU. Vor allem müsse der Zugriff auf nationale Datenbestände fremder Staaten stets in vollem Umfang möglich sein. Dies gelte auch für den "Austausch von Lichtbildern, Fingerabdrücken oder DNA-Daten". Man solle künftig Daten zwischen den einzelnen EU-Staaten so austauschen können wie bislang "zwischen Nordrhein-Westfalen und Bayern, zwischen Hamburg und Bremen" (1). Altmaier erinnert daran, dass "noch technische Hindernisse" überwunden werden müssen, um dies zu ermöglichen - Hindernisse, die auf dem Europäischen Polizeikongress in Berlin erörtert wurden, in gemeinsamen Gesprächen zwischen Politikern, Praktikern aus den Behörden und Technikern aus der Repressionsindustrie.


Repression als krisensichere Anlagemöglichkeit

Die so genannte Sicherheitsindustrie, die beim Europäischen Polizeikongress zahlreich vertreten war, gilt in Wirtschaftskreisen als krisensichere Boombranche. Sie profitiert von privater Nachfrage, daneben aber vor allem von staatlichen Programmen, die in mehrfacher Hinsicht wirken: Neben traditioneller Aufrüstung der Repressionsbehörden kommt den einschlägigen Unternehmen die Einführung neuer Technologien, darunter etwa biometrische Verfahren, zugute. Die deutsche Industrie zieht zusätzlichen Gewinn aus Programmen der EU, die auf deutschen Druck hin ihre Polizeikooperation vertieft und dabei zu einer Normierung der technischen Standards gezwungen ist. Alles in allem geht es um Milliardensummen. Der "globale Markt für Sicherheitsdienstleistungen" könne sich von 113 Milliarden US-Dollar im Jahr 2005 auf gut 230 Milliarden US-Dollar 2015 verdoppeln, heißt es in einer Untersuchung, die das Hamburgische WeltWirtschaftsinstitut und die Hamburger Berenberg Bank vor wenigen Monaten veröffentlichten (2).

Die Studie sieht große Chancen insbesondere für deutsche Unternehmen. "Bereits heute ist Deutschland bei einer Vielzahl von Basistechnologien gut positioniert" (3), heißt es in dem Papier, das unter anderem Informations- und Kommunikationstechnologien, Biotechnologien, optische Technologien und Sensorik als Beispiele nennt. Mit Blick auf die staatliche Förderung, die bis zum Jahr 2010 Zuschüsse in Höhe von 120 Millionen Euro für die Repressionsforschung an Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie in privaten Betrieben umfasst, heißt es: Es "ist zu erwarten, dass die bereits vorhandenen Kernkompetenzen in vielen innovativen, hochtechnologischen Bereichen gezielt ausgebaut werden". "Damit sollten die Chancen geradefürdeutsche Unternehmen gut stehen", die "Technologieführerschaft" bei diversen Repressionstechnologien übernehmen zu können. Die Branche müsse "ganz eindeutig als Zukunftsbranche identifiziert werden", heißt es weiter. Die Autoren von der Berenberg Bank raten zu Aktienkauf: Der Repressionssektor werde "Anlegern viele Chancen eröffnen" (4).


Soziale Ungleichheit gefährdet auch den Wohlstand der Reichen

Dabei lassen die Autoren der Studie keine Illusionen über den Ursprung des Branchenbooms und des aus ihm fließenden Aktionärsreichtums zu. Ihnen zufolge führt neben diversen anderen Faktoren vor allem "eine größere finanzielle Ungleichheit tendenziell zu einem erhöhten Gefährdungspotenzial durch Kriminalität". Dazu trage auch Armut durch Arbeitslosigkeit bei. Im Vergleich zu den 1970er Jahren sei die Kriminalität dramatisch gestiegen. Die Autoren stellen eine weitere "Zunahme der Ungleichheit" fest, die ahnen lasse, "dass die Kriminalität zukünftig steigen könnte". Das gilt den Autoren zufolge gleichermaßen "innerhalb" wie auch "zwischen den Nationen" (5). Diesem "Trend" könne durch erhöhte Repression begegnet werden. Wie die Studie zeigt, liegen die Ausgaben für Repressionsmaßnahmen - gemessen, aus analytischen Gründen, pro Kopf der städtischen Bevölkerung - in Deutschland um ein Mehrfaches über dem weltweiten Durchschnitt (6). "Es ist zu beobachten", schreiben die Autoren lakonisch, "dass mit steigendem Wohlstand die Bereitschaft zunimmt, diesen sichern beziehungsweise schützen zu wollen".

Dass all dies mittlerweile Einfluss auf Tätigkeit und Struktur der staatlichen Behörden gewinnt, zeigt exemplarisch die jüngste Kooperationsvereinbarung des vorgeblich zivilen Technischen Hilfswerks (THW). Laut der am 29. Januar 2009 unterzeichneten Übereinkunft wird das THW die gelegentliche Zusammenarbeit mit der Bundespolizei verstetigen und "noch intensiver gestalten" (7). Wie die Bundespolizei berichtet, konnte sie sich bereits in der Vergangenheit auf das THW stützen, beispielsweise beim "Ausleuchten von Kontrollstellen im Rahmen von Fahndungsmaßnahmen". Davon wird sie künftig häufiger Gebrauch machen und auf diese Weise ihren Handlungsspielraum deutlich vergrößern. Das THW hatte erst im Dezember 2008 eine Übereinkunft mit der Bundeswehr zur Kooperation im Ausland geschlossen und damit seine Verfügbarkeit zu Repressionszwecken erhöht. Tatsächlich offenbart die immer engere Zusammenarbeit des THW mit Polizei und Bundeswehr die zunehmende Verschmelzung der staatlichen Behörden unter dem Primat der inneren und äußeren Repression.


Anmerkungen

(1) "Wir brauchen ein internationales Polizeirecht"; news.de 11.2.2009

(2), (3) Hamburgisches WeltWirtschaftsinstitut, Berenberg Bank: Sicherheitsindustrie. Strategie 2030, Hamburg 2008

(4) Als Beispiele für Firmen mit "vielversprechende(n) Perspektiven" in der Repressionstechnologie nennt die Studie unter anderem Bosch Sicherheitssysteme, Dräger, Panasonic (Netzhaut-Untersuchung), Rheinmetall und Siemens.

(5), (6) Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut, Berenberg Bank: Sicherheitsindustrie. Strategie 2030, Hamburg 2008

(7) Bundespolizei und Technisches Hilfswerk schließen Vereinbarung zur intensiveren Zusammenarbeit; www.bundespolizei.de 29.1.2009

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Tränengas gegen Erfurter Hausbesetzerinnen

Am frühen Morgen des 16. April wurde das seit nunmehr acht Jahren bestehende sozio-kulturelle Zentrum im Erfurter Stadtteil Daberstedt durch Spezialeinsatzkräfte der Polizei (SEK und USK) geräumt.

Beim dem Einsatz, der von Vielen als völlig überzogen bezeichnet wurde, kam es auch zum Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern. Eine Anwohnerin bezeichnete die Räumung, die sich über vier Stunden hinzog, als eine Art "Kriegszustand". Insgesamt wurden 60 Besetzer_innen und Sympatisant_innen in Gewahrsam genommen. Ihnen wird nun gemeinschaftlicher Land- und Hausfriedensbruch vorgeworfen. Noch am selben Tag fanden in mehreren deutschen Städten Solidaritätsdemonstrationen mit hunderten von Teilnehmer_innen statt. Das Topf & Söhne-Gelände galt als eines der letzten linken, selbstverwalteten Projekte in der Region. 2001 besetzt als Nachfolger für das 1998 geschlossene Korax und ein besetztes Gebäude in der Erfurter Schottenstraße, entwickelte es sich zum Treffpunkt der alternativen Szene Erfurts und darüber hinaus.

2008 wurde das Gelände der Topf & Söhne-Fabrik, welche unter anderem Krematorienöfen für die Vernichtungslager der Nazis im Zweiten Weltkrieg produzierte, vom Mühlhäuser Bauunternehmer Helmut Golla gekauft, der hier Wohn-und Geschäftshäuser errichten lassen will. Verhandlungen zwischen den Besetzer_innen, Golla und Stadt fanden kaum statt. Am 3. April beschloss das Erfurter Landgericht die Räumung des Geländes, welche zwei Wochen später erfolgte.

Die Aktivist_innen werden weiterhin ein selbstverwaltetes Projekt in Erfurt fordern und dafür auch kämpfen. Da jetzt 60 Genoss_innen mit schweren Anschuldigungen konfrontiert sind, brauchen sie unsere Unterstützung.

Schafft Rote Hilfe!


Kontakt:
Web: topf.squat.net
Email: squat.ef@gmx.net

Spendenkonto:
Name: Müller
BLZ: 76026000
Kto: 8794762008


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Mit einem martialischen Aufgebot stürmte die Polizei das besetzte Gebäude

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Schmutzkampagne gegen antifaschistisches Archiv

Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.)

Die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.) dokumentiert seit 1990 die Aktivitäten der extremen Rechten und informiert darüber Presse und Öffentlichkeit.(1) Initiativen gegen Rechts schätzen die Arbeit des mehrfach ausgezeichneten Archivs(2), so etwa die Münchner Grünen(3) oder der Bayerische Jugendring, bei dem auch die Landeskoordinierungsstelle Bayern gegen Rechtsextremismus(4) angesiedelt ist.

Die erfolgreiche Zusammenarbeit im Kampf gegen die extreme Rechte ist dem Bayerischen Innenministerium aber offensichtlich ein Dorn im Auge. Scheinbar will sich die bayerische Staatsregierung die alleinige Informations- und Deutungshoheit über das Thema Rechtsextremismus, das sich dagegen richtende Engagement sowie die Bildungsarbeit in diesem Bereich sichern. Linke, kritische, zivilgesellschaftliche Gruppen stören dabei offensichtlich.


Angriff von zwei Seiten

Vor diesem Hintergrund sieht sich a.i.d.a. mit einer Diffamierungskampagne der bayerischen Staatsregierung konfrontiert, deren Höhepunkt jetzt die Aufnahme des seit 1990 arbeitenden Vereins in den Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 ist. Die Publikation des Verfassungsschutzes listet a.i.d.a. in einer Tabelle unter der eigens dafür geschaffenen Kategorie "sonstige Linksextremisten" auf. Darüber hinaus taucht a.i.d.a. an zwei weiteren Stellen im bayerischen Verfassungsschutzbericht 2008 auf: In der Rubrik "Freie Nationalisten München" als Ziel einer Neonazi-Demonstration unter dem Motto "Linksextreme Strukturen erkennen - A.I.D.A.-Archiv verbieten!"(5) sowie als Ziel extrem rechter Aktivitäten unter "3.3 Linksextremistisch motivierte Straftaten / 3.3.1 Gewalttaten", wo es heißt:

"Eine Vortragsveranstaltung über 'den Stand der extrem rechten Szene in München' der linksextremistischen 'Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V.' (a.i.d.a.) im 'Kafe Marat', einem örtlichen Anlaufpunkt auch des autonomen Spektrums in München (vgl. auch Nummer 3.1.2 dieses Abschnitts), veranlasste Rechtsextremisten zu Gegenprotesten. Ein Aufzug der 'Freien Nationalisten München' am 13. Juni unter dem Motto 'Linksextreme Strukturen erkennen - a.i.d.a.-Archiv verbieten!', der am 'Kafe Marat' vorbeiführen sollte, war dabei ein Höhepunkt linksautonomer Gewaltanwendung in München. Unter dem Slogan 'Kein Mal und nie wieder - Keine Nazis vor dem Kafe Marat oder sonst wo!' mobilisierten Autonome gegen die rechtsextremistische Versammlung. Repräsentanten der Partei DIE LINKE. meldeten unter dem Motto "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen - Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda; Die Linke, in den Bayerischen Landtag' eine Gegenveranstaltung an. Trotz erheblicher Ausschreitungen kam es aufgrund des massiven Polizeiaufgebots zu keinem direkten Aufeinandertreffen der Versammlungsteilnehmer mit den Gegendemonstranten."(6)

Der Bericht nennt a.i.d.a. also lediglich als Ziel extrem rechter Agitation und als Veranstalter eines Vortrags und bleibt jeglichen Beleg für die Nennung im Bericht schuldig.


"Linksextremistische Verstellungen verbreiten"

Der bayerische Staatsminister des Inneren, Joachim Herrmann, geht sogar noch einen Schritt weiter und unterstellt a.i.d.a., die Arbeit des Archivs diene nicht der Bekämpfung des Rechtsextremismus, sondern es handle sich um "Unterwanderungsversuche", mit denen a.i.d.a. versuche, "verstärkt bei demokratisch initiierten Projekten gegen Rechtsextremismus Fuß zu fassen und hier Einfluss zu gewinnen" (7). Weiter stellt er die aus der Luft gegriffene Behauptung auf, a.i.d.a. wolle nur "linksextremistische Vorstellungen verbreiten" und habe in Wahrheit andere Ziele, nämlich "die Beseitigung unserer Grundordnung". Belege bleibt Herrmann schuldig, auch im Verfassungsschutzbericht findet sich dazu nichts. Selbst auf Nachfragen von Journalisten konnte Herrmann keine konkreten Nachweise für die Anschuldigungen liefern.

Was zunächst absurd anmutet, hat eine Vorgeschichte. Bereits Mitte Februar verschickte das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz ein Fax an den Bayerischen Jugendring und eine nicht bekannte Zahl weiterer Empfänger, das dazu auffordert, die Zusammenarbeit mit a.i.d.a. zu beenden. Seine Aufforderung unterstreicht das Landesamt mit unvollständigen Zitaten von der a.i.d.a.-Website, einem Zitat von einem Flugblatt, das gar nicht von a.i.d.a. stammt und mit vermeintlich von der Archiv-Website verlinkten Homepages. Doch bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, dass ein Großteil der Zitate gar nicht von a.i.d.a. verlinkten Seiten entnommen sind, sondern auf Internetauftritten, die sich erst aus einer weiteren Verlinkungen ergeben. a.i.d.a. weist auf seiner Website zudem darauf hin, dass es keine Verantwortung für verlinkte Websites übernehmen kann, eine regelmäßige Kontrolle der über 100 verlinkten Seiten ist zudem nicht leistbar.

Da hier offenbar die langjährige Vereinsarbeit und die aktiven Vereinsmitglieder in Misskredit gebracht werden sollen, hat der Verein nun eine Rechtsanwältin eingeschaltet. Denn die Auflistung im Verfassungsschutzbericht hat Folgen, aktuell droht uns etwa der Verlust der im Januar ausgewiesenen Gemeinnützigkeit unserer Arbeit. Marcus Buschmüller, Vereinsvorstand von a.i.d.a. e.V. dazu: "Wir müssen gemeinsam verhindern dass die bayerische Staatsregierung mit dieser Schmutzkampagne erfolgreich ist. Wer weiß, wo diese Diffamierungspolitik sonst Halt macht oder welche Gruppierung als nächstes betroffen ist. Wir danken allen, die sich dieser Tage mit uns solidarisch gezeigt haben."


→  Weitere Infos unter www.aida-archiv.de

Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.)
Postfach 400 123, 80701 München
Internet: www.aida-archiv.de

Eingetragener Verein beim Registergericht: Amtsgericht München, Registernummer: VR 12973


Fußnoten

(1) Die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.) sammelt seit 1990 Material zu Themenbereichen wie Nationalismus und Rassismus, Informationen von und über neokonservative, extrem rechte und faschistische Gruppierungen sowie Publikationen zum Thema Antifaschismus und vieles mehr. Weitere Informationen über das Archiv finden sich unter
http://aida-archiv.de/index.php?option=com_content&view=article&id= 224&Itemid=153

2) a.i.d.a. wurde in den Jahren 2005 und 2006 vom bundesweiten "Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt" im Wettbewerb "Aktiv für Demokratie und Toleranz" für sein vorbildliches zivilgesellschaftliches Engagement ausgezeichnet. Im Januar 2008 zeichneten die Landeshauptstadt München, der Ausländerbeirat München sowie der Verein Lichterkette e.V. die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. mit dem "Förderpreis Münchner Lichtblicke" aus.
Siehe auch http://aida-archiv.de/index.php?option=com_content&view= article&id=224&Itemid=1153.

3) siehe http://www.gruenemuenchen.de/index.php?id=74&tx_ttnews[tt_news]=539&tx_ttnews[backPid]=779&cHash=389819fe57

4) In einem dem Archiv vorliegenden Schreiben des 2. Präsidenten des Bayerischen Jugendrings (BJR), Christoph Bär, an Franz Gruber, den Vizepräsidenten des Bayr. Landesamts für Verfassungsschutz, bestätigt dieser die Bedeutung von a.i.d.a in der Zusammenarbeit gegen Rechts und schreibt weiter "Wir kennen A.l.D.A. e.V. jedoch ausschließlich als einen Verein, der wie kaum ein zweiter, seit fast 20 Jahren Informationen aus der rechtsextremistischen Szene in München und Bayern sammelt. Der Verein wurde vom bundesweiten Bündnis 2005 und 2006 für sein vorbildliches zivilgesellschaftliches Engagement ausgezeichnet."

5) Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 (Internetfassung), S. 139

6) Verfassungsschutzbericht Bayern 2008 (Internetfassung), S. 205/206

7) Rede des Bayerischen Staatsministers des Innern, Joachim Herrmann, anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts Bayern 2008 am 30. März 2009 in München, im Internet unter http://www.stmi.bayern.de/imperia/md/content/stmi/service/reden/090330_verfschbericht.pdf

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Geheimdienste wollen auch Kinder bespitzeln

Die bundesrepublikanischen Geheimdienste wie Verfassungsschutz (VS), Bundesnachrichtendienst (BND) und Militärischer Abschirmdienst (MAD) haben 2007 offiziell insgesamt 43 Mal bei Telekommunikationsunternehmen, Banken und so genannten Finanzdienstleistern Auskunft über Verbindungsdaten oder KontoinhaberInnen verlangt. Das geht aus einer Untersuchung durch das Parlamentarische Kontrollgremium über so genannte "Anti-Terror- Maßnahmen" hervor, wie der Pressedienst des Bundestages im Januar mitteilte. Danach verlangte das Bundesamt für Verfassungsschutz in 34 Fällen Auskunft über Telekommunikationsverbindungen, der Bundesnachrichtendienst sowie der Militärische Abschirmdienst in jeweils zwei Fällen. Von Banken und Finanzdienstleistern wollte der Verfassungsschutz fünfmal Auskunft. Insgesamt neunmal wurde vom Verfassungsschutz und vom Militärischen Abschirmdienst die technische Möglichkeit genutzt, den Standort eines Handys festzustellen. Soweit die offiziellen Angaben.

Zur Überwachung durch Polizei wie Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter sowie Bundespolizei und den damit verbundenen Anfragen wurden keine Zahlen genannt.

Mit den "Anti-Terror-Gesetzen" wurde den Nachrichtendiensten die weitreichende Befugnis eingeräumt, unter bestimmten Voraussetzungen von Unternehmen wie zum Beispiel der Lufthansa, Ryanair und anderen Transportfirmen zu Wasser, Land und Luft, von Kreditinstituten, Post- und Teledienstunternehmen wie auch Telekommunikationsunternehmen Auskünfte zu erlangen.

Die "Anti-Terror-Maßnahmen" werden derweil, in den Bestrebungen alle zu überwachen und bespitzeln, immer abstruser. Der innenpolitische Sprecher der CSU-Bundestagsfraktion Hans-Peter Uhl will die Altersgrenze für die Speicherung personenbezogener Daten von 16 auf 14 beziehungsweise zwölf Jahre herabsetzen. Die lakonische Begründung dieses weiteren Schrittes hin zu einer gläsernen Bevölkerung lautet "eine bessere Überwachung terrorverdächtigter Minderjähriger". Dabei sind bisher nur zwei Fälle von so genannten "terrorverdächtigen Minderjährigen in der BRD" bekannt.

Der gegebene Anlass um die Datenschutzüberwachung auszuweiten: Die zweijährige Praxis des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt, die Daten von mehreren Dutzend Kindern zu sammeln, die alle im Zusammenhang mit neofaschistisch motivierter Kriminalität auffällig geworden sind, ist von Gerichten für unzulässig erklärt worden. Nun soll die geheimdienstliche Überwachung von Kindern legitimiert und bundesweit eingeführt werden.

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Ministerielles Diskussionsverbot zur Elektronischen Gesundheitskarte?

Komitee für Grundrechte und Demokratie, Köln

Die AOK Rheinland/Hamburg, vertreten durch den Vorsitzenden des Vorstands, Wilfried Jacobs, wendet sich in einem Brief an den Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW, Karl-Josef Laumann. Der "Basis-Rollout" der elektronischen Gesundheitskarte, so befürchtet die AOK gemeinsam mit sechs weiteren nordrhein-westfälischen Krankenkassen, könnte durch den öffentlichen Willensbildungsprozess gestört werden. Sie fordert deshalb den Minister auf, "geeignete Maßnahmen" zu ergreifen, damit die "Leistungserbringer" - also vor allem die Ärzte und Zahnärzte - die Patienten und Patientinnen nicht mehr über Risiken und Nebenwirkungen der elektronischen Gesundheitskarte informieren. Keinesfalls "könnte geduldet werden", dass die Kritik "in einer den Prozess nicht fördernden bzw. abträglichen Weise an Patienten und Versicherte herangetragen wird".

Ziemlich ungeschminkt geht aus dem Brief hervor, dass das bisherige Akzeptanzmanagement nicht funktioniert hat. Kritik an der "kleinen, schlauen Karte", wie die Bundesgesundheitsministerin die Gesundheitskarte bezeichnet hat, wird überall im Land laut (vgl. RHZ 4/08). Ärzteverbände wollen an diesem Projekt zur zentralen Speicherung von Gesundheitsdaten nicht mitwirken. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat die Bürger und Bürgerinnen aufgefordert, aus Protest gegen diesen Umbau des Gesundheitssystems zu einem Kontrollsystem den Krankenkassen keine Fotos zur Verfügung zu stellen.

Da es in der Startregion aber besonders schwierig sei, die Fotos für die eGK zu beschaffen, fordert die AOK nun das Ministerium auf, dafür zu sorgen, dass die Ärzte positiv mit ihren Patienten über das Projekt kommunizieren.

Welch undemokratische Vorstellung liegt diesem Brief zugrunde! Wenn Akzeptanzmanagement nicht zum schnellen Erfolg führt, dann sollen undemokratische, grundrechtswidrige Eingriffe in die Meinungsfreiheit das Gewinnstreben der Krankenkassen absichern? "Die Gesetzliche Krankenversicherung ist Teil der sozialen Selbstverwaltung", die auch für "praktizierte Demokratie" steht - so liest man auf der Internet-Seite der AOK Nordrhein/Hamburg. Der Vorsitzende des Vorstands belegt mit diesem Brief, dass er von Demokratie keine Ahnung hat. Für Gesundheitsminister Laumann sollte der Brief Anlass sein, dieses Projekt, das scheinbar nur grundrechtswidrig durchgesetzt werden kann, auf den demokratischen Prüfstand zu nehmen. Die Bürger und Bürgerinnen werden sich nicht entmündigen lassen.

→  info@grundrechtekomitee.de
→  www.grundrechtekomitee.de

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Aids im Strafvollzug

Thomas Meyer-Falk

Über die gesundheitliche Lage von Inhaftierten in Deutschland existieren keine zusammenfassenden Erkenntnisse, deshalb gibt es auch keine Statistiken über HIV-positive Gefangene. Die Landesjustizverwaltungen gehen von einer geringen bis rückläufigen Anzahl HIV-positiver Gefangener aus (vgl. Feest, AK-Strafvollzugsgesetz, 5. Auflage, vor §56 Ziffer 48).

Bei AIDS/HIV handelt es sich um eine schwere Schwächung des körpereigenen Abwehrsystems. Das Virus macht letztlich den Körper wehrlos gegen viele Krankheitserreger.

Die Stigmatisierung von HIV-positiven Menschen in Freiheit findet ihre Fortsetzung hinter den Knastmauern. Das fängt an, indem man diese Gefangenen zum Beispiel von bestimmten Arbeitsplätzen fernhält, zwecks "Vermeidung einer Beunruhigung bei den Mitgefangenen" (so die Argumentation in NRW) oder aus "psychologischen Gründen" (so in Baden-Württemberg) und sich faktisch der Status nicht geheim halten lässt. Das heißt, das Outing erfolgt systemimmanent zwangsläufig, wenn beispielsweise "Sonderkost" (also Ernährungszulagen und -ergänzungen), die nur die HIV-positiven Gefangenen erhalten, vor aller Augen verteilt wird, was sich im Alltag einer Haftanstalt letztlich nicht vermeiden lässt.

Gab es bis Ende 2007 noch regelmäßige finanzielle Unterstützung der Deutschen AIDS-Stiftung (http://www.aids-stiftung.de) für "positive" Gefangene, damit diese sich gerade im Bereich Ernährung mit dem erforderlichen Zusatzbedarf versorgen konnten, strich die Stiftung mit Schreiben vom 19. Dezember 2007 diese Ernährungsbeihilfen" und unterließ es nicht, in ihrem Informationsbrief "beste Wünsche für ein entspannendes und besinnliches Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr" zu übermitteln, was betroffene Gefangene nicht wirklich erheiterte.

Inhaftierte im Allgemeinen und HIV-Positive im Besonderen sind in aller Regel arm. Sie haben keinerlei finanzielle Polster, sind sogar verschuldet. Vor diesem Hintergrund diente die finanzielle Unterstützung durch die AIDS-Stiftung der Sicherung einer vollwertigen Ernährung. Bedenkt man, daß gerade dann, wenn das AIDS-Vollbild ausbricht, die Betroffenen kaum mehr(voll) arbeitsfähig sind und dann von der JVA mit 31,50 Euro Taschengeld im Monat ausgestattet werden, von dem sie jegliche Ausgaben bestreiten müssen (angefangen bei Stromkosten von bis zu fünf Euro/Monat; TV-Kabelgebühr: fünf Euro - in manchen Anstalten auch gerne mal zehn Euro - über Körperpflegemittel, vielleicht auch mal Tabak und Kaffee), wird schnell deutlich, daß die Streichung ein existenzieller Einschnitt war. Die Ortsgruppen der AIDS-Hilfe versuchen die Aktion der Stiftung zu kompensieren, zum Beispiel durch Einwerbung von Spenden. Aber für Gefangene zu werben ist nicht besonders lukrativ.

Die ärztliche Behandlung von "positiven" Gefangenen ist von Anstalt zu Anstalt unterschiedlich, je nach Bereitschaft des ärztlichen Dienstes, mit externen Personen zu kooperieren. Dabei sind die Inhaftierten vollständig abhängig vom "good will" der Anstaltsärzte, denn eine freie Arztwahl besteht hinter Gittern nicht.

In der JVA Sehnde (Niedersachsen) wollte die Anstalt auch schon mal einen in Isolationshaft sitzenden Gefangenen für die regelmäßige Blutentnahme auf einer Liege festketten, erst nach Intervention der AIDS-Hilfe wurde hiervon Abstand genommen. Ein Gefangener, der offenbar gedroht hatte Dritte zu infizieren, wurde in der JVA Heilbronn in Einzelhaft gehalten und Wärter betraten dessen Zelle nur in Ganzkörperanzug und mit Schild und Knüppel: Tag um Tag, Monat um Monat, Jahr um Jahr. Als er dann in Haft verstarb, hielt es die Anstalt nicht für notwendig, seinen Verteidiger zu informieren.

Die Zahl derer, die in Haft sterben, wird sich wohl erhöhen, oder man entlässt sie kurz vor dem Tod in ein Sterbehospiz. Da es jedoch schon Arbeitsgruppen in den Landesjustizverwaltungen gibt, welche sich mit "menschenwürdigem Sterben im Strafvollzug" befassen, darf man bezweifeln, dass ein Hospiz in einigen Jahren überhaupt noch erwogen werden wird.


Thomas Meyer-Falk
c/o JVA - Z. 3113
Schönbornstr. 32
76646 Bruchsal
http://www.freedom-for-thomas.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Ein Apfel und ein halber Liter Milch täglich - Ernährungszulage für HIV-positive Gefangene in der JVA Straubing.

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Auslandseinsätze der Bundeswehr lassen Gefahren im Inland steigen

www.german-foreign-policy.com

Berlin bereitet sich auf Terroranschläge in der Bundesrepublik als Reaktion auf die weltweiten deutschen Militärinterventionen vor. Als möglich gelten unter anderem Angriffe auf die Versorgungsinfrastruktur, etwa in Form einer gezielten Vergiftung des Trinkwassers deutscher Großstädte. Um die prognostizierten Gefahren zu kontern, fördert die Bundesregierung die Entwicklung von Überwachungs- und Repressionstechnologien mit Staatsgeldern im dreistelligen Millionenbereich.


Aktuell steht die Absicherung des Warenverkehrs von und nach Deutschland auf dem Programm. Begleitet wird das Vorhaben von sozialwissenschaftlichen Untersuchungen. Diese sollen die Widerstände in der Bevölkerung gegen den eiligen Ausbau von Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen ausloten, mit dem Deutschland im Inneren kriegsfest gemacht wird, und die Grundlagen für eine entsprechende Akzeptanzwerbung liefern.

Aktuelle Ausschreibungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) stellen Rüstungskonzernen, Hochschulen und außeruniversitären Wissenschaftseinrichtungen weitere Millionensummen im Rahmen des bereits laufenden Programms "Forschung für die zivile Sicherheit" in Aussicht. Bisher wurden öffentliche Mittel in Höhe von insgesamt 97,2 Millionen Euro vergeben - für Arbeiten in den Bereichen "Schutz von Verkehrsinfrastrukturen", Integrierte Schutzsysteme für Rettungs- und Sicherheitskräfte" sowie "Detektionssysteme für chemische, biologische, radiologische, nukleare und explosive Gefahrstoffe" (1). Von dem letztgenannten Projekt profitiert unter anderem die Waffenschmiede Diehl. Forschungsgelder aus dem Programm, mit dem die Verwundbarkeit der Bundesrepublik minimiert werden soll, fließen aber auch an Unternehmen wie die Berliner Wasserbetriebe, die sich mit der "Trinkwasserüberwachung und schnellen Alarmierung bei Anschlägen" befassen (2).


Warenketten sichern, Exporte fördern

Zentraler Aspekt der jetzt vom BMBF neu ausgeschriebenen Forschungsprojekte ist die "Sicherung der Warenketten", die zwischen der "Exportnation" Deutschland und anderen Ländern bestehen. Wie aus dem Ministerium zu vernehmen ist, geht es darum, die Belieferung der Bundesrepublik mit den gewünschten Gütern gegen Angriffe zu sichern: Demnach sollen "Sicherheitsszenarien betrachtet werden, in denen die Warenversorgung durch Anschläge, Naturkatastrophen, Großunfälle oder kriminelle Handlungen bedroht oder betroffen ist". Ausgangspunkt dieser Szenarien ist ein "vollständige(r) oder teilweise(r) Ausfall von Produktionsprozessen", der zu gravierenden "Versorgungsengpässen" führt. Der Mangel an lebenswichtigen Gütern wiederum könne "erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit" nach sich ziehen, heißt es (3).

Im Vordergrund des Maßnahmenkatalogs steht nicht der Schutz der deutschen Zivilbevölkerung, sondern die Stärkung der Exportindustrie. Laut BMBF werden von der Forschung "Lösungen" erwartet, die "den internationalen Markt für Sicherheitsprodukte und -verfahren aus Deutschland erschließen". Des weiteren müssten die Forschungsvorhaben "über die Erarbeitung technischer Sicherheitslösungen weit hinaus" gehen und betriebswirtschaftliche Rentabilität sowie soziale Eskalationspotenziale in Rechnung stellen, heißt es. Gefragt sind die Beschäftigung mit" Bedrohungsszenarien", "Kosten/Nutzen-Analysen" sowie Arbeiten über die "Dynamik von Personen und Organisationen in Krisensituationen" (4).


Totalmobilisierung gegen Widerstände

Entscheidend für die Aufnahme von Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen in das Förderprogramm der Bundesregierung ist außerdem die Behandlung von "geistes- und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen" im Rahmen eines umfassenden "Risikomanagements". Dabei geht es explizit auch um die Steigerung der "Technik- und Maßnahmenakzeptanz" in der Bevölkerung; man müsse "Ganzheitlichkeit" und "Breitenwirkung" der Repression in Rechnung stellen, warnt das BMBF vor Widerständen gegen die innere Aufrüstung der Bundesrepublik (5).

Zu diesem Zweck hat das BMBF jetzt auch das eigenständige Programm "Gesellschaftliche Dimensionen der Sicherheitsforschung" aufgelegt. Es beinhaltet die Erfassung von "Werten", "Wahrnehmungen" und "Verhaltensweisen" in der Bevölkerung und dient dem Zier, die "gesellschaftlichen Voraussetzungen" für die Akzeptanz der "avisierten Sicherheitslösungen" zu verbessern. Laut BMBF müsse letztlich ein "besseres Verständnis" für die Repressionsforschung "in Wissenschaft und Öffentlichkeit" entwickelt werden. Als möglicher Ansatzpunkt gilt das "Sicherheitsbewusstsein", dessen Erforschung daher vorgeschlagen wird -ausdifferenziert und milieuspezifisch: "Soziokulturelle Unterschiede" müssten berücksichtigt werden (6).

Es sei außerdem auch zu erforschen, welche Perspektiven eine "Einbeziehung von Kommunen, Verbänden, Bürgerinnen und Bürgern sowie insbesondere kommerziellen Sicherheitsanbietern" in eine gesamtgesellschaftliche "Sicherheitsarchitektur" biete, heißt es über den Versuch, sämtliche Kräfte für die innere Mobilisierung zu gewinnen (7).

Die Förderung durch das BMBF ist an die Vorlage eines differenzierten "Verwertungsplans" gebunden. Die beteiligten Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen sollen, wenn nötig, auch neue "Vorschriften, Richtlinien und rechtliche Rahmenbedingungen" entwerfen, also die Anpassung geltender Normen an die Erfordernisse künftiger Repression vorbereiten. Ausschlaggebend für den "Projekterfolg" sei zudem, schreibt das Ministerium, eine "öffentlichwirksame Präsentation des Vorhabens" in Form von Konferenzen, Podiumsdiskussionen, Medienbeiträgen oder Ausstellungen: So erziele man "Medienpräsenz", eine Bedingung für Akzeptanz der Repressionstechnologien (8).


Sprengfallen untersuchen, Repression verdichten

Im Rahmen des Förderprogramms "Forschung für die zivile Sicherheit" hat das BMBF den deutschen Rüstungskonzernen Diehl, Siemens und EADS bisher mehr als fünf Millionen Euro an Staatsbeihilfen zugesagt. Diehl erhält einen Teil der Subventionen für die Entwicklung von "Detektionssysteme(n) für chemische, biologische, radiologische, nukleare und explosive Gefahrstoffe"; das Unternehmen ist unter anderem an dem Projekt "IRLDEX" beteiligt, das sich mit dem Infrarot-Laser-gestützten Aufspüren von Explosivstoffen befasst. "Angestrebter Einsatzzweck" ist laut BMBF die "Untersuchung" von "Sprengfallen" (Förderkennzeichen 13N9545) (9) - eine Maßnahme, die sich in erster Linie gegen die Guerillakriegführung von Aufständischen in den Operationsgebieten des deutschen Militärs richtet.

Die größten Anteile an staatlicher Förderung erhält Siemens; die vom BMBF zugesagte Summe beläuft sich bisher auf mehr als 3,2 Millionen Euro. Der Konzern ist an mehreren Projekten aus dem Bereich "Schutz von Verkehrsinfrastrukturen" beteiligt; so entwickelt Siemens ein "umfassendes Sicherheitssystemkonzept" für Großflughäfen, das je nach "Bedrohungseinstufung" aufeinander abgestimmte Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen umfasst. Erklärtes Ziel ist der Aufbau einer "Sicherheitsarchitektur" nach dem "Zwiebelschalenprinzip": Sie soll eine "Verdichtung" der Überwachung und Repression von "außen" ("Flughafenumfeld") nach "innen" ("Flughafenkernbereich") und die "Früherkennung von Gefahren" ermöglichen (10).


Personenströme erfassen, Handelsrisiken minimieren

Des weiteren befasst sich Siemens mit dem "Schutz kritischer Brücken und Tunnel", deren Beschädigung oder Zerstörung, wie es heißt, "erhebliche volkswirtschaftliche Kosten" verursachen würde. Um "Gewaltdelikten" und "terroristischen Anschlägen" gegen den Bahn- und Flugverkehr vorzubeugen, soll außerdem eine "umfassende Systemlösung" geschaffen werden, deren "umsichtiges Sicherheitsmanagement" auch das "Erfassen von Personenströmen" vorsieht (11).

Der deutsch-französische Rüstungskonzern EADS schließlich erhält staatliche Zuschüsse in Höhe von knapp 1,3 Millionen Euro allein für seine Beteiligung an dem Forschungsprojekt "SiVe". Dieses beinhaltet die Entwicklung eines Simulationssystems zum "umfassende(n) Risikomanagement" für Flughäfen. Das System ermöglicht es laut Projektbeschreibung, "Bedrohungsszenarien" aller Art mit dem Ziel durchzuspielen und zu analysieren, "eine Reaktion im Krisenfall zu optimieren und entsprechende Handlungsvorschriften abzuleiten" (12).

Die Subventionierung von EADS wird von einer unlängst zwischen Berlin und Paris geschlossenen Vereinbarung flankiert. Sie gilt der Zusammenarbeit im Bereich der "zivilen Sicherheitsforschung". Das Abkommen sieht gemeinsame Forschungsprojekte und Ausschreibungen auf all jenen Gebieten vor, die laut BMBF "sowohl für Deutschland als auch für Frankreich von strategischer Bedeutung sind". Insbesondere geht es darum, "Risiken beim Transport von Waren, wie die Einschleusung von Explosivstoffen, Waffen oder auch Plagiaten zu minimieren". Die Vereinbarung knüpft dabei an bereits bestehende Kooperationen an, die französische Wissenschaftseinrichtungen mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und den staatlichen Fraunhofer-Instituten unterhalten (13).

Eine enge Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Entwicklung von Überwachungs- und Repressionstechnologien besteht auch zwischen der Bundesrepublik und Israel. Hierbei geht es um die "Früherkennung chemischer, biologischer, nuklearer, radiologischer und explosiver Gefahrstoffe" nebst einer verbesserten Ausrüstung der staatlichen Repressionskräfte. Ein weiterer Schwerpunkt der deutsch-israelischen Kooperation ist der Umgang mit dem "Versagen kritischer Infrastrukturen", deren Funktionsfähigkeit in "Krisen lagen" sichergestellt werden soll. Der Schutz der jeweiligen Zivilbevölkerung ist dabei offenbar zweitrangig; vom BMBF gefordert wird die Durchführungvon Forschungsprojekten, die "gemeinsame Wettbewerbsvorteile auf internationalen Hochtechnologiemärkten" bringen. Das Ministerium verlangt außerdem die "Einbeziehung gesellschaftlicher Ziele und Wirkungen" in die Entwicklung neuartiger Überwachungs- und Repressionstechnologien - mit dem Ziel, deren "Akzeptanz" bei der Bevölkerung sicherzustellen (14).

Allen vom BMBF derzeit vergebenen und ausgeschriebenen Forschungsaufträgen ist gemein, dass sie nicht nur die Entwicklung von Überwachungs- und Repressionstechnologien sozialwissenschaftlich flankieren, sondern auch die "Endnutzer" einbeziehen sollen. Entstehen wird auf diese Weise eine "Innovationskette", die von den beteiligten Wissenschaftseinrichtungen über die Industrie bis hin zu Polizei- und Zolldienststellen oder dem Technischen Hilfswerk (THW) reicht (15). Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass die gesamte Koordination der staatlichen Subventionspolitik in den Händen einer Abteilung des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) liegt: Das "VDI Technologiezentrum" im nordrhein-westfälischen Düsseldorf sieht seine Aufgabe nach eigener Aussage darin, für einen "schnellen Transfer neuer Schlüsseltechnologien von der Wissenschaft in die betriebliche Praxis" zu sorgen (16).


Anmerkungen

(1) Förderung in der Sicherheitsforschung; www.bmbf.de

(2) Angaben nach: Forschung für die zivile Sicherheit - bewilligte Projekte; vditz.de und foerderportal.bund.de

(3), (4), (5) Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von Richtlinien über die Förderung zum Themenfeld "Sicherung der Warenketten" im Rahmen des Programms "Forschung für die zivile Sicherheit" der Bundesregierung vom 18. Dezember 2008; www.bmbf.de

(6), (7), (8) Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von Richtlinien über die Förderung zum Themenfeld "Gesellschaftliche Dimensionen der Sicherheitsforschung" im Rahmen des Programms der Bundesregierung "Forschung für die zivile Sicherheit" vom 21. Oktober 2008; www.bmbf.de

(9), (10), (11), (12) Angaben und Berechnungen nach: Forschung für die zivile Sicherheit - bewilligte Projekte; vditz.de und foerderportal.bund.de

(13) Deutschland und Frankreich stärken Sicherheits-Forschung; Pressemitteilung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung 30.01.2009

(14) Bekanntmachung zur Kooperation in der zivilen Sicherheitsforschung zwischen Deutschland und Israel im Rahmen des Programms "Forschung für die zivile Sicherheit" der Bundesregierung vom 30. Oktober 2008; www.bmbf.de

(15) Siehe hierzu die Ausschreibungen zur "Förderung in der Sicherheitsforschung"; www.bmbf.de

(16) VDI im Überblick; www.vdi.de

Raute

SCHWERPUNKT

EU-Terrorliste: Feindstrafrecht auf Europäisch

Rolf Gössner

Nach der Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, das Gefangenenlager Guantánamo zu schließen, diskutieren nun die europäischen Länder, was mit den Inhaftierten passieren soll, die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können. In der Bundesrepublik fordern Vertreter der Grünen und der Linkspartei mit Blick auf das Schicksal von Murat Kurnaz (1) sowie auf die von vielen europäischen Regierungen geduldeten CIA-Entführungen die Aufnahme unschuldiger Häftlinge. Ähnlich äußerte sich auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Diesem Ansinnen verweigern sich vor allem die Unionsparteien. Man könne, so der Europa-Abgeordnete der CSU, Manfred Weber, "von den USA verlangen, dass sie das Problem, das sie selbst geschaffen haben, auch selber lösen."(2)

Weber vergisst hier allerdings einen wesentlichen Aspekt - nämlich dass auch in der EU eine von der Öffentlichkeit wenig beachtete Terrorliste existiert, auf deren Grundlage vermeintliche Terroristen zwar nicht wie in Guantánamo gefoltert und über Jahre hinweg interniert werden, die aber dennoch eine Vielzahl von Existenzen bedroht.


Willkürlich und fehleranfällig

In der EU-Terrorliste werden zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen als "terroristisch" eingestuft und Sanktionen unterworfen, die zwangsläufig zu Menschenrechtsverletzungen führen.

Dieser Index ist weder demokratisch legitimiert noch unterliegt er einer demokratischen Kontrolle. Lange Zeit ist den Betroffenen noch nicht einmal rechtliches Gehör gewährt, geschweige denn Rechtsschutz gegen das amtliche Terrorstigma zugestanden worden.

Als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 hatte die EU eine Verordnung erlassen, nach der allen Mitgliedstaaten untersagt wird, Terrorverdächtigen und deren Organisationen Gelder und sonstige Finanzmittel zur Verfügung zu stellen oder mit ihnen Geschäftskontakte zu unterhalten. Alle EU-Staaten, ihre öffentlichen und privaten Institutionen, alle Banken, Geschäftspartner und Arbeitgeber, letztlich alle EU-Bürger sind rechtlich verpflichtet, die drastischen Sanktionen gegen die Betroffenen durchzusetzen, ansonsten machen sie sich strafbar (3).

Seitdem werden durch Ratsbeschluss Terrorverdächtige oder mutmaßliche Unterstützer in eine "Schwarze Liste" aufgenommen, die immer wieder aktualisiert wird. In ihr sind im Laufe der Jahre zwischen 35 und 46 Einzelpersonen aufgelistet worden sowie zwischen 30 und knapp 50 Organisationen: Dazu gehören die baskische Untergrundorganisation ETA und ihr zugerechnete Einzelpersonen, die islamistische Hamas, die arabischen Al-Aksa-Brigaden, die iranischen Volksmudschaheddin, aber auch die Linksgerichtete türkische DHKP-C oder die kurdische Arbeiterpartei PKK und deren Nachfolgeorganisationen, ungeachtet der Tatsache, dass Letztere in Europa friedenspolitische Aktivitäten entfaltet haben (4).

Die einst militanten Volksmudschaheddin waren 2002 auf Druck des iranischen Regimes, das von der UNO selbst wegen massiver Menschenrechtsverletzungen verurteilt worden ist, und auf Antrag Großbritanniens auf die EU-Terrorliste geraten. Sie sind Objekt eines skandalösen Handels geworden: Um mit dem Iran lukrative Handelsbeziehungen aufzubauen und das Regime zum Verzicht auf sein Atomprogramm zu bewegen, haben England, Frankreich und Deutschland im Gegenzug angeboten, die Volksmudschaheddin als Terrororganisation zu führen - mit dem Effekt, dass sich die iranischen Herrscher durch das Terrorstigma ihrer ärgsten Gegner ermuntert fühlten, noch skrupelloser gegen Oppositionelle vorzugehen (5). Seit 2001 haben die Volksmudschaheddin keine Gewalttaten mehr verübt und der Gewalt abgeschworen, wie bereits das oberste britische Berufungsgericht feststellte (6).

Man kann von der exil-iranischen Oppositionsgruppe halten, was man will; man kann ihre Organisation, die einen ausgeprägten Personenkult pflegt, für undemokratisch und autoritär halten. Und trotzdem muss man das Unrecht, das ihr und ihren Mitgliedern hier in Europa widerfahren ist, auch Unrecht nennen. Denn sie sind Opfer der Antiterrorpolitik der EU geworden, Opfereiner "Guantánamoisierung" des europäischen Rechts. Erst nach einem langen Rechtsstreit und aufgrund internationaler Proteste hatte die Gruppe nun endlich Erfolg: Im Januar 2009 musste sie von der Terrorliste gestrichen werden - übrigens gegen das Votum Deutschlands (7).

Der zuständige EU-Ministerrat hatte sich zuvor beharrlich den Urteilen verweigert, mit denen das Gericht Erster Instanz beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg die Listung der Volksmudschaheddin für rechtswidrig und nichtig erklärt und den Rat verpflichtet hatte, die Annullierung unverzüglich umzusetzen und die verhängten Sanktionen gegen die Organisationen einzustellen (8). Die Ratsentscheidungen seien ohne ausreichende Begründung und Beweise ergangen, also willkürlich, sowie unter Missachtung der Verteidigungsrechte der Betroffenen. Das Gericht spricht gar von ernsthaften Hinweisen auf Machtmissbrauch.

Doch nicht nur Organisationen, sondern auch Einzelpersonen sind von der Terrorliste unmittelbar betroffen - so etwa der philippinische Professor José Maria Sison. Der 66-jährige Schriftsteller und Gründungsvorsitzende der philippinischen Kommunistischen Partei saß von 1977 bis 1986 unter Diktator Marcos in Folterhaft und floh Ende der 80er Jahre vor der andauernden Verfolgung in die Niederlande, wo er seitdem als anerkannter politischer Flüchtling lebt. Der EU-Ministerrat setzte ihn 2002 als angeblich verantwortlichen Führer der militanten philippinischen Befreiungsbewegung New People's Army auf die Terrorliste, ohne diese Entscheidung dem Betroffenen offiziell mitzuteilen. Die Terrorliste wird von einem geheim tagenden Gremium des Ministerrates erstellt. Die Entscheidungen erfolgen im Konsens, wobei die für eine Aufnahme vorgebrachten Verdachtsmomente und Indizien zumeist auf dubiosen Geheimdienstinformationen einzelner Mitgliedstaaten beruhen. Eine unabhängige Beurteilung der Fälle auf der Grundlage gesicherter Beweise findet jedenfalls nicht statt - weshalb der vom Europarat beauftragte Sonderermittler, Dick Marty, mit Entsetzen feststellt: Er habe selten "etwas so Ungerechtes erlebt, wie die Aufstellung dieser Listen", deren Verfahren er als "pervers" bezeichnet (9).

Marty hält das Listungsverfahren für höchst fehleranfällig: So reichten schon einfache Verdächtigungen, oder es komme zu Namensverwechslungen, so dass auch Unbeteiligte auf die Liste geraten können; in solchen Fällen müssen die Betroffenen unter widrigsten Umständen in einer Umkehr der Beweislast ihre Unschuld nachweisen. Bei Organisationen ist die Einschätzung, ob es sich um eine Terrorgruppe oder um berechtigten Widerstand gegen Diktaturen und damit um eine legitime Befreiungsbewegung handelt, oft schwierig - nicht selten hängt die Einstufung von politischen, ökonomischen und militärischen Interessen ab. So galt etwa der Befreiungskampf des militanten ANC gegen das südafrikanische Apartheidsystem im Westen lange Zeit als terroristisch - und Nelson Mandela landete als "Terrorist" auf der Terrorliste der USA, von der er erst 2008, kurz vor seinem 90. Geburtstag, wieder gestrichen wurde.


"Zivile Todesstrafe"

Hinsichtlich der verhängten Sanktionen spricht Marty von "ziviler Todesstrafe" und schildert Ende 2007 in einem Bericht sehr anschaulich, was eine Aufnahme in die EU- oder auch die UN-Terrorliste für Betroffene bedeutete: Sie wurden nicht verständigt, sondern erfuhren davon, wenn sie etwa eine Grenze überschreiten oder über ihr Bankkonto verfügen wollten. Es gab keine Anklage, keine offizielle Benachrichtigung, kein rechtliches Gehör, keine zeitliche Begrenzung und keine Rechtsmittel gegen diese Maßnahme.

Wer einmal auf der Liste steht, hat kaum mehr eine Chance auf ein normales Leben. Er ist quasi vogelfrei, wird politisch geächtet, wirtschaftlich ruiniert und sozial isoliert. Das gesamte Vermögen wird eingefroren, alle Konten und Kreditkarten werden gesperrt, Barmittel beschlagnahmt, Arbeits- und Geschäftsverträge faktisch aufhoben; weder Arbeitsentgelt noch staatliche Sozialleistungen dürfen ausbezahlt werden; hinzu kommen Passentzug und Ausreisesperre sowie Überwachungs- und Fahndungsmaßnahmen. Mit Verweis auf die Terrorliste werden Wohnungsdurchsuchungen, Beschlagnahmungen oder Festnahmen begründet. Hinzu kommen die Verweigerung von Einbürgerungen und Asylanerkennungen sowie der Widerruf des Asylstatus' von Mitgliedern oder Anhängern gelisteter Gruppen (10).

Nachdem José Maria Sison auf die EU- Terrorliste gesetzt worden war, wurde seine bürgerliche Existenz von einem Tag auf den anderen praktisch ausgelöscht. Die niederländische Regierung strich ihm die Sozialhilfe. Seine Konten wurden gesperrt. Allen Finanzdienstleistungsunternehmen, auch der Krankenversicherung, sowie anderen Handelspartnern ist bei Strafe untersagt, Verträge mit ihm zu schließen oder Leistungen an ihn auszuzahlen. Er sollte sogar aus dem Haus ausziehen, in dem er und seine Familie in einer Sozialwohnung leben - nur aus humanitären Gründen durfte er dort wohnen bleiben.

Sisons Anwälte kämpfen seit Oktober 2002 gegen die Entscheidung des Ministerrats. Sie erhielten keine Einsicht in die Akten, weil diese der Geheimhaltung unterliegen. Eher zufällig erfuhren sie aus seiner "Ausländerakte", dass Geheimdienstinformationen vorlägen, wonach der Professor Chef der im Untergrund kämpfenden New People's Army auf den Philippinen sei - obwohl er doch nachweislich seit fast zwei Jahrzehnten in den Niederlanden lebt und zuvor zehn Jahre entweder in Haft gesessen oder unter Überwachung des philippinischen Staates gestanden hatte.


Rechtswidrig und nichtig

Der Fall Sison ist vielleicht der drastischste. Aber auch die Folgen für andere gelistete Personen und Organisationen sind gravierend - mit unmittelbaren Auswirkungen auf deren Familien und Anhänger, deren soziale und wirtschaftliche Existenz damit schwer beeinträchtigt und beschädigt wird. Manches Mal eilen Freunde und Bekannte den Geächteten zu Hilfe, die sich damit aber dem schweren Verdacht der Terroristenunterstützung aussetzen oder gar strafbar machen. Die EU greift mit ihrer Terrorliste im "Kampf gegen den Terror" gewissermaßen selbst zu einem Terrorinstrument aus dem Arsenal des so genannten Feindstrafrechts - eines menschenrechtswidrigen Sonderrechts gegen angebliche "Staatsfeinde", die praktisch rechtlos gestellt und gesellschaftlich ausgegrenzt werden. Ihre drakonische Bestrafung erfolgt vorsorglich und wird im rechtsfreien Raum exekutiert - ohne Gesetz, ohne fairen Prozess, ohne Beweise, ohne Urteil und ohne Rechtsschutz. Ein Serienkiller habe mehr Rechte, so Dick Marty, als ein Mensch, der auf einer Terrorliste steht.

Trotz der systematischen Entrechtung der Gelisteten sind beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg einige Klagen von Betroffenen eingegangen. Und es gibt auch Urteile, mit denen die Aufnahme einzelner Personen und Organisationen auf die Terrorliste und das Einfrieren ihrer Gelder für rechtswidrig und nichtig erklärt werden. Ihr Anspruch auf rechtliches Gehör und effektive Verteidigung, so die Richter, sei grob missachtet worden.

Das gilt nicht allein für die Volksmudschaheddin, sondern auch für die kurdische PKK, die niederländische Stiftung Al-Aksa und José Maria Sison. Zwar sind die Betroffenen inzwischen pro forma benachrichtigt und angehört worden, doch konkrete Abhilfe geschaffen wurde offenbar immer noch nicht - abgesehen von den Volksmudschaheddin. Und so wirken die existenzbedrohenden Sanktionen beispielsweise gegen Sison weiter, nunmehr im siebten Jahr.

Das heißt: Die Geheimgremien des EU-Ministerrats bleiben in ihrem nach wie vor undemokratischen Verfahren - ohne Anflug von Unrechtsbewusstsein - stur bei ihren ursprünglichen Beurteilungen. Die Verfemten bleiben also verfemt - mit allen freiheitsberaubenden Konsequenzen, unter Verstoß gegen die Unschuldsvermutung und die Europäische Menschenrechtskonvention.


Anmerkungen
(1) Vgl. die Dokumentationen in "Blätter", 7/2008, S. 121-124 sowie "Blätter", 11/2007, S. 1403-1404.
(2) Zit. nach "die tageszeitung" (taz), 5. Februar 2009.
(3) EG-Verordnung 2580/2001.
(4) Vgl. European Union-Factsheet, The EU List of persons, groups and entities subject to specific measures to combat terrorism, 15. Juli 2008.
(5) Vgl. "Der Tagesspiegel", 22. September 2008.
(6) Zuletzt in einem Urteil vom Mai 2008; vgl. "Spiegel-online", 19. September 2008.
(7) Vgl. "Financial Times Deutschland", 26. Januar 2009.
(8) Urteile des Gerichts Erster Instanz der EG, T-228/02 (Dezember 2006), T-256/07 (Oktober 2008) und T-284/08 (Dezember 2008); vgl. Pressemitteilung Nr. 84/2008, 4. Dezember 2008.
(9) Zit. nach www.humanrights.ch.
(10) Vgl. den Bericht vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Nr. 11454, 16. November 2007; vgl. auch Rolf Gössner, Menschenrechte in Zeiten des Terrors, Hamburg 2007, S. 176 ff.


Dieser Text erschien zuerst in Blätter für deutsche und internationale Politik", Ausgabe 3/2009
→  www.blaetter.de.

Wir danken dem Autor und der Redaktion der "Blätter" für die freundliche Genehmigung des Abdrucks.

Der Artikel von Rolf Gössner "Gefährliche Entgrenzung. Zum neuen Antiterror-Strafrecht" in der RHZ-Ausgabe 1/09, S. 38, ist kein Originalbeitrag; vielmehr handelt es sich um die Dokumentation eines Rundfunkbeitrags, der am 14. Januar 2009 in der Sendung "Politikum" auf WDR 5 gesendet wurde. Leider ist versäumt worden, hierauf hinzuweisen.

Der Vollständigkeit halber: Bei dem Artikel "Geheimdienstliche Langzeit-Beobachtung nach 38 Jahren eingestellt" in der RHZ-Ausgabe 1/09, S. 36-37, handelt es sich um eine Pressemitteilung der "Internationalen Liga für Menschenrechte" vom 18. November 2008.

Raute

SCHWERPUNKT

Der §129 b - Ein weiteres Kampfmittel gegen die migrantische Linke und die internationale Solidarität

Ortsgruppe Magdeburg

Vorabdruck aus der Broschüre "Der Hunger des Staates nach Feinden. Die Geschichte der Paragrafen 129, 129a und 129b und ihre Anwendung gegen die radikale Linke" der Roten Hilfe.

Unter dem Deckmantel des weltweiten "Kampfes gegen den Terrorismus" wurde nach den Anschlägen vom 11. September 2001 neben vielen weiteren Einschränkungen der BürgerInnenrechte der Paragraf 129 in das politische Strafrechteingeführt. Seitdem 11. September 2002 sind demnach Organisationen, die im Ausland agieren und von staatlicher Seite als kriminell oder terroristisch eingestuft werden, in der BRD nach den §§129 zu verfolgen. Von den Charakteristika unterscheidet er sich hinsichtlich polizeilicher Ermittlungsmethoden und -befugnissen nicht vom §129a. Er basiert in jeder Hinsicht auf den bereits beschriebenen §§129, stellt jedoch eine nicht zu unterschätzende Perfektionierung im Sinne der Repressionsorgane dar. Vor der Einführung des neuen Gesetzes war es den Repressionsbehörden zwar auch schon möglich, mit den Vereinigungsparagrafen gegen migrantische Strukturen vorzugehen, wovon hauptsächlich türkische und kurdische GenossInnen betroffen waren und sind. So sind auch heute schon die meisten 129a-Gefangenen in der BRD migrantische Linke. Der Paragraf 129b erleichtert jedoch die Kriminalisierung von internationalistischer (Solidaritäts-)Arbeit, da nicht mehr nachgewiesen werden muss, dass die jeweilige Organisation auch im Inland besteht. Des Weiteren muss eine direkte Beteiligung an strafbaren Handlungen im Ausland nicht nachgewiesen werden, wenn von einer Mitgliedschaft ausgegangen wird.

Dem entsprechend sind neben einigen islamistischen Organisationen hauptsächlich linke Strukturen von dem neuen Paragrafen betroffen: Von den 27 Ermittlungsverfahren nach §129b, die im Jahr 2007 gegen Organisationen eingeleitet wurden, richteten sich elf gegen linke Gruppierungen, nämlich sieben gegen die TKP/ML, drei gegen die DHKP-C und eines gegen die PJAK (Partei für ein freies Leben in Kurdistan). Vorwand waren jeweils angebliche "terroristische Vereinigungen", die innerhalb der Parteien existieren sollen.

Im Fokus stehen insbesondere die "Sympathiewerbung" sowie das Sammeln von Spendengeldern für die kriminalisierten Organisationen. Informations- und Öffentlichkeitsarbeit, die positiv auf diese Gruppierungen Bezug nimmt, oder die finanzielle Unterstützung von Aktivitäten, die ihnen in irgendeiner Form zugute kommen können, werden damit zur Zielscheibe staatlicher Verfolgungswut.


Hintergrund

Bereits im Jahre 1999 lag ein entsprechender Vorentwurf beim Bundesjustizministerium vor, der auf Vorschlag des "Rates der Innen- und Justizminister der EU" entworfen wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch Einschränkungen der BürgerInnenrechte in diesem Umfang nicht durchsetzbar. Dies änderte sich mit dem 11. September 2001, welcher insofern eine Bedeutung für die Einführung des §129b hat, als er die Grundlage bildete, jegliche Gesetzesverschärfungen im Bereich der "Inneren Sicherheit" unter dem Vorzeichen des internationalen "Kampfes gegen den Terrorismus" zu legitimieren. Weltweit wurde im Zuge des 11. September 2001 die "Chance" genutzt, auf internationaler Ebene Gesetzesverschärfungen, deren Entwürfe schon lange Zeit vorher in den Schubladen lagerten, ohne großen Widerstand durchzusetzen und anzugleichen. Die Erweiterung der §§129, welche schon 1999 von der EU diskutiert wurde, muss in diesem Zusammenhang gesehen werden.

Seit der Einführung des §129b in das politische Strafrecht gab es bis dato mehr als 150 Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang. Er dient - wie die §§129a - in der Praxis hauptsächlich der Ausschnüffelung und Einschüchterung von politischen Strukturen. Die Methoden der polizeilichen Ermittlungen sind die gleichen.

Bisher sind die wirklichen Auswirkungen des §129b schwer absehbar. Der erste Prozess gegen eine revolutionäre Organisation aus dem Ausland, die türkische DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front) läuft derzeit in Stuttgart-Stammheim. Der Ausgang des Verfahrens gegen die fünf Angeklagten wird maßgeblich sein für die folgenden Prozesse.


Wichtiger Bezugspunkt "Schwarze Listen"

Die ebenfalls im Zuge des 11. September 2001 geschaffenen so genannten "Terrorlisten" von EU und USA beruhen nicht auf rechtsstaatlichen Prinzipien, sondern gehorchen politischen Spielregeln. Personen und Organisationen, die auf diesen Listen geführt werden, gelten als "terroristisch" mit alten dazugehörigen repressionstechnischen Konsequenzen (z.B. §§ 129/a/b-Verfahren). Der terroristische Charakter einer Gruppierung muss in aktuellen Verfahren nicht mehr nachgewiesen werden: Sobald eine Organisation auf besagten Listen steht, ist sie "terroristisch". Auch ihre sämtlichen Bankkonten und ähnliches werden in Europa und den USA eingefroren. Betrachtet mensch die Listen näher, wird schnell deutlich, zu wessen Bekämpfung sie geschaffen wurden. Neben einigen islamistischen Vereinigungen findet mensch fast ausschließlich revolutionäre Organisationen wie FARC in Kolumbien, PFLP in Palästina, DHKP-C und PKK in Türkei/Kurdistan, ETA im Baskenland und so weiter. Der §129b, ebenso die "Schwarzen Listen", sind wie schon die §§129/a neue Mittel einer präventiven Konterrevolution der Herrschenden. Sie müssen durch uns Linke als solche auch benannt und bekämpft werden.

In diesem Sinne:
Unterstützt die von Repression Betroffenen!
Kampf der Klassenjustiz!


*


Ausblick:

Womit haben wir zukünftig zu rechnen? Eine Erweiterung der §§129 ff. steht immer noch im Raum. Einsätze der Bundeswehr im Innern werden zunehmen. Andere Länder werden dem Beispiel Bayerns, Baden-Württembergs und Niedersachsens folgen und das Versammlungsrecht verschärfen. Nicht zuletzt werden unter propagandistischer Beihilfe der Medien neue Bedrohungsszenarien entworfen werden.

Dies bedeutetfürsoziale Kämpfe aller Art ein Anziehen der Repressionsschraube. Andererseits sind die zu erwartenden Entwicklungen auch ein Anzeichen für eine zunehmende Nervosität in den Chefetagen von Staat und Wirtschaft.

Um dem Staatsterror gegen die Linke entgegenzuwirken, bedarf es in erster Linie ernsthafter und starker politischer Kämpfe, aber eben auch einer aktiven Antirepressionsarbeit.

Dem Kampf gegen den Paragrafenkomplex 129 kommt dabei eine zentrale Rolle zu. In diesem Sinne gilt für die gesamte radikale Linke:

Informiert euch - Werdet aktiv - Unterstützt die Betroffenen.
Solidarität ist eine Waffe!

Raute

SCHWERPUNKT

Politische Betätigung im Schatten des Ausländerrechts

Ortsgruppe Hannover

Für Menschen ohne deutschen Pass gelten Sondergesetze wie das Aufenthaltsgesetz. Ihre politische Betätigung wird dadurch eingeschränkt. Die Ortsgruppe Hannover der Roten Hilfe hat sich aufgrund der Repression gegen türkische und kurdische GenossInnen und vermehrter Anfragen von jugendlichen MigrantInnen aufgrund ihrer politischen Arbeit mit den geltenden Rechtsgrundlagen auseinandergesetzt. Der folgende Text ist eine erste Zusammenfassung dieser Recherche. Interessant wäre, konkrete Fälle und Grundsatzurteile zu analysieren und daraus eine Handlungsempfehlung für den Umgang mit politischen Prozessen und Vorgehensweisen gegen die Repression der GenossInnen ohne deutschen Pass zu entwickeln.


Allgemeingültige Vorschriften bei Strafverfahren als Folge politischer Arbeit

Bei Verfahren wegen politischer Betätigung gelten Rechtsgebiete wie das Strafrecht (festgelegt im StGB) und die Strafprozessordnung (StPO), das Versammlungsrecht oder das Ordnungswidrigkeitengesetz gleich für MigrantInnen und für Menschen mit deutschem Pass. In den jeweiligen Gesetzen sind die Strafen für Vergehen gegen definierte Tatbestände festgelegt - sie gelten für alle Betroffenen.

Im Strafgesetzbuch sind Tatbestände definiert, die unter Strafe stehen. Die §§80 bis 130 bezeichnen Straftaten von Landesverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates über Straftaten gegen ausländische Staaten oder die Landesverteidigung oder die öffentliche Ordnung, Widerstand gegen die Staatsgewalt et cetera, die Grundlage für viele politisch motivierte Strafverfahren sind.

Die Strafprozessordnung regelt, wie der Ablauf von Strafverfahren aussieht. Dieser ist auch für alle Betroffenen gleich, egal welchen aufenthaltsrechtlichen Status sie haben. Das bedeutet, dass die Empfehlung, nicht zu polizeilichen Vorladungen zu erscheinen und keine Aussagen bei Polizei und Staatsanwaltschaft zu machen unabhängig vom Aufenthaltsstatus gilt. Ebenso die Pflicht, bei Vorladungen durch Staatsanwaltschaft und Ermittlungsrichter sowie zum eigenen Prozesstermin zu erscheinen. Beschuldigte haben prinzipiell das Recht, die Aussage zu verweigern.


Ausländerrecht und politische Betätigung

MigrantInnen, die sich politisch betätigen und insbesondere an Demonstrationen teilnehmen, gehen ein doppeltes Risiko ein. Ihnen drohen im Zweifel nicht nur eine strafrechtliche Verurteilung, sondern auch aufenthaltsrechtliche Konsequenzen von Ablehnung einer späteren Einbürgerung bis hin zu einer Ausweisung.

Für Menschen ohne deutschen Pass gelten neben den allgemeingültigen Regelungen wie dem Straf- oder Versammlungsrecht Sondergesetze wie das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) oder das Asylverfahrensgesetz (AsylVfG). Ihre politische Betätigung wird durch Vorschriften wie §47 des AufenthG und die Residenzpflicht als Folge der §§56 ff. des AsylVfG eingeschränkt.


Ausweisung

Besonders bedrohlich für politisch aktive Menschen ohne deutschen Pass ist die Möglichkeit der Ausländerbehörden, zusätzlich zu Strafen nach allgemeingültigem Recht aufenthaltsrechtliche Sanktionen zu ergreifen.

Im AufenthG sind Gründe für zwingende Ausweisung, Regelausweisung und Ermessensausweisung definiert. Am schwierigsten ist es, gegen Begründungen für eine Zwingende Ausweisung nach §53 AufenthG vorzugehen. Dies trifft zum Beispiel Menschen, die wegen Landfriedensbruchs zu Strafen ohne Bewährung verurteilt wurden. Am größten ist die Gefahr einer Ausweisung oder Abschiebung nach einer Verurteilung. Auch ohne dass eine Freiheitsstrafe von bestimmter Dauer verhängt worden sein muss, gelten AusländerInnen als "besonders gefährlich", wenn sie ohne Bewährung wegen Landfriedensbruchs im Rahmen einer verbotenen öffentlichen Versammlung verurteilt wurden. Die Ausländerbehörde kann aber schon während eines Ermittlungsverfahrens (also vor der Verurteilung) versuchen, politisch aktive MigrantInnen unter dem Vorwurf einer "schweren" Straftat, zum Beispiel schweren Landfriedensbruchs auszuweisen.

Eine Regelausweisung nach §54 wird verfügt, wenn sich der/die Betreffende an "Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen" aus einer Menschenmenge heraus im Rahmen einer verbotenen oder aufgelösten öffentlichen Versammlung beteiligt hat. Eine strafrechtliche Verurteilung ist nicht Bedingung der Ausweisung.


Einbürgerung

Bei dem Antrag auf Einbürgerung werden Behörden und Polizei standardmäßig nach Einwendungen gegen die Einbürgerung gefragt. Auch eine Anfrage beim Verfassungsschutz wird als Regel durchgeführt. Da alle Verfahren an die Ausländerbehörde weitergeleitet und gespeichert werden, besteht hier die Gefahr, dass bekannte politische Betätigung als Hinderungsgrund bei einem Antrag auf Einbürgerung geltend gemacht wird. Es ist ebenfalls möglich, dass Menschen, deren Einbürgerung noch nicht drei bis fünf Jahre zurückliegt, Schwierigkeiten aufgrund politischer Strafverfahren bekommen und ein Widerrufsverfahren eingeleitet wird.


Was tun?

Bei politischen Prozessen gegen MigrantInnen ist die Unterstützung durch Solidaritäts-Gruppen und AnwältInnen besonders wichtig. Die Frage, wie Prozesse geführt werden sollen ist gut zu überlegen.

Es ist unbedingt notwendig, auf Widerspruchsfristen bei aufenthaltsrechtlichen Fragen zu achten, Verfahren genau zu dokumentieren und rechtzeitig juristisch gegen die Ausweisung beziehungsweise Abschiebung oder sonstige Einschränkungen wie Ablehnung eines Einbürgerungsantrages unter Einschaltung einer AnwältIn vorzugehen.

Der Rechtsweg läuft bei Fragen des Aufenthaltsgesetzes über das Verwaltungsrecht und die Verwaltungsgerichte. Flüchtlinge, deren Asylantrag anerkannt ist oder die eine Duldung wegen drohender Folter oder drohender Todesstrafe haben, werden durch die Europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention vor Abschiebung geschützt. Aber: Die politische Zusammenarbeit, zum Beispiel zwischen BRD und Türkischer Republik, führt zu praktischen und juristischen Aufweichungen.

Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis sind generell stark bedroht! Deshalb: Sofort nach einer Verhaftung durch die Polizei mit anwaltlicher Hilfe einen (zweiten) Asylantrag stellen um eine drohende Abschiebung zu verzögern und Zeit für weitere Schritte zu gewinnen.


*


Ausländerrecht und politische Betätigung - Wichtige Paragraphen aus dem Aufenthaltsgesetz

§47 Verbot und Beschränkung der politischen Betätigung
[1] Ausländer dürfen sich im Rahmen der allgemeinen Rechtsvorschriften politisch betätigen. Die politische Betätigung eines Ausländers kann beschränkt oder untersagt werden, soweit sie

1. die politische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland oder das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern oder von verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet, die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet,

2. den außenpolitischen Interessen oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zuwiderlaufen kann,

3. gegen die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere unter Anwendung von Gewalt, verstößt oder

4. bestimmt ist, Parteien, andere Vereinigungen, Einrichtungen oder Bestrebungen außerhalb des Bundesgebiets zu fördern, deren Ziele oder Mittel mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung unvereinbar sind.

[2] Die politische Betätigung eines Ausländers wird untersagt, soweit sie

1. die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder den kodifizierten Normen des Völkerrechts widerspricht,

2. Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Belange öffentlich unterstützt, befürwortet oder hervorzurufen bezweckt oder geeignet ist oder

3. Vereinigungen, politische Bewegungen oder Gruppen innerhalb oder außerhalb des Bundesgebiets unterstützt, die im Bundesgebiet Anschläge gegen Personen oder Sachen oder außerhalb des Bundesgebiets Anschläge gegen Deutsche oder deutsche Einrichtungen veranlasst, befürwortet oder angedroht haben.


§53 Zwingende Ausweisung
Ein Ausländer wird ausgewiesen, wenn er

1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,

2. (...) wegen Landfriedensbruches unter den in §125a Satz 2 des Strafgesetzbuches genannten Voraussetzungen oder wegen eines im Rahmen einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder eines verbotenen Aufzugs begangenen Landfriedensbruches gemäß §125 des Strafgesetzbuches rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist (...)


§54 Ausweisung im Regelfall
Ein Ausländer wird in der Regel ausgewiesen, wenn

1. er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, (...)

4. er sich im Rahmen einer verbotenen oder aufgelösten öffentlichen Versammlung oder eines verbotenen oder aufgelösten Aufzugs an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt,

5. Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat; auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen kann die Ausweisung nur gestützt werden, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen,

5a. er die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht,

6. er in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus verdächtig sind; (...); oder

7. er zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weit seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet.


§95 Strafvorschriften
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. entgegen §3 Abs. 1 in Verbindung mit §48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält, (...)

6a. entgegen §54a wiederholt einer Meldepflicht nicht nachkommt, wiederholt gegen räumliche Beschränkungen des Aufenthalts oder sonstige Auflagen verstößt oder trotz wiederholten Hinweises auf die rechtlichen Folgen einer Weigerung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme nicht nachkommt oder entgegen §54a Abs. 4 bestimmte Kommunikationsmittel nutzt,

7. wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach §61 Abs. 1 zuwiderhandelt oder

8. im Bundesgebiet einer überwiegend aus Ausländern bestehenden Vereinigung oder Gruppe angehört, deren Bestehen, Zielsetzung oder Tätigkeit vor den Behörden geheim gehalten wird, um ihr Verbot abzuwenden.

Raute

SCHWERPUNKT

Identitätsklärung und Passbeschaffung

Einige Hinweise insbesondere zur Verteidigung in Strafverfahren

Rechtsanwalt Peter Fahlbusch, Hannover

Identitätsklärung und Passbeschaffung sind für Ausländerbehörden seit jeher ein zentrales Anliegen. Dies deshalb, als bei ungeklärter Identität und/oder fehlendem Pass(ersatz) aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht möglich sind. Bei dem Versuch, die Identität von Betroffenen festzustellen und/oder einen Pass zu erlangen agieren die beteiligten Ausländerbehörden - mal mehr, mal weniger kreativ - in unterschiedlichster Weise. Die meisten Leser kennen das von den Behörden angewandte Instrumentarium: Strafverfolgungsbehörden werden bemüht, Wohnungen durchsucht, Betroffene in Abschiebungshaft genommen und/oder zwangsweise Botschaften vorgeführt, Leistungen nach dem AsylbLG auf das Unabweisbare gekürzt et cetera.

Was in der Beratungspraxis nach meinem Eindruck häufig leider nicht erkannt wird: Die von den Behörden ergriffenen "Disziplinierungsmaßnahmen" sind regelmäßig mit dem Gesetz nicht vereinbar. Die landläufig anzutreffende Meinung "Da kann man nichts machen" ist unzutreffend. Nachstehende Beispiele verdeutlichen, dass Gegenwehr sich lohnen kann.


I. Strafrechtliche Maßnahmen

§95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (= §92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG)

Ein typischer Fall: Einem iranischen Staatsangehörigen wird mit einem so genannten Strafbefehl vorgeworfen, sich seit Jahren entgegen §§ Abs. 1 in Verbindung mit §48 Abs. 2 AufenthG im Bundesgebiet aufzuhalten. Obschon er nicht im Besitz seines Passes sei, weigere er sich, entsprechendes Papier beim iranischen Generalkonsulat zu beantragen. Eine erste Verurteilung nach §95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG habe ihn nicht bewegt, sein Weigerungsverhalten aufzugeben. Insofern sei eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen festzusetzen, wobei die Höhe des Tagessatzes fünf Euro betrage.

Das Beispiel stellt einen Klassiker in der Beratungspraxis dar. Leider wird hier viel zu früh die Flinte ins Korn geworfen. Die Verteidigungsmöglichkeiten sind mannigfach. Hierbei wird man zunächst zu beachten haben, dass ein Strafbefehl rechtskräftig und damit vollstreckbar wird, wenn nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung bei dem jeweiligen Amtsgericht Einspruch eingegangen ist.

In der Sache selbst gibt es verschiedene Vertretungsmöglichkeiten: Zunächst einmal ist es so, dass der Straftatbestand des §95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG voraussetzt, dass der Betroffene einen Pass weder besitzt noch auf zumutbare Weise erlangen kann (õ48 Abs. 2 AufenthG). Einen Pass besitzt man auch dann, wenn dieser nicht bei sich geführt, sondern - zum Beispiel im Heimatland - verwahrt wird. Dass der Betroffene einen Pass nicht (weder im Heimatland noch andern Orts) besitzt, muss von der Staatsanwaltschaft nachgewiesen werden. Wie ihr das gelingen kann, wenn der Betroffene keine Angaben zur Sache macht, ist unklar. Dieser Punkt bleibt in Strafverfahren regelmäßig unbeachtet.

Des Weiteren ist es so, dass eine Strafbarkeit dann ausscheidet, wenn der Betroffene einen Pass nicht in zumutbarer Weise erlangen kann. Verschiedene Staaten - so auch der Iran - verlangen von Betroffenen bei der Pass(ersatz)beschaffung die Angabe, dass man freiwillig in den Iran zurückkehren wolle (so genannte "Freiwilligkeitserklärung"). Wenn nun die Betroffenen - was regelmäßig der Fall ist - eben gerade nicht freiwillig in ihr Heimatland (hier in den Iran) zurückkehren wollen, müssten sie lügen, um an einen Pass zu gelangen. Nach wohl mittlerweile herrschender Meinung der Strafgerichtsbarkeit kann von einem Betroffenen eine derartige Lüge nicht verlangt werden, sodass eine Strafbarkeit ausscheidet (vergleiche mit ausführlichen Anmerkungen OLG Nürnberg, Urteil vom 16. Januar 2007, 2 St OLG Ss 242/06). Unzumutbar ist darüber hinaus zum Beispiel die Anforderung, sich wiedereinbürgern zu lassen, um an einen Pass zu gelangen.

Regelmäßig nicht beachtet wird darüber hinaus, dass ein Betroffener erneut bestraft werden kann, wenn er nach erster Verurteilung nach §95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG seine Weigerungshaltung nicht aufgibt. §95 Abs. 1 NR. 1 AufenthG ist ein so genanntes "Unterlassungsdauerdelikt". Eine zweite Verurteilung bei gleichbleibender Verweigerungshaltung würde nämlich das Schuldprinzip, das unser Strafrecht durchzieht, verletzten. Fraglich ist einerseits, ob durch die bloße Fortsetzung des Nichthandelns (keine Bereitschaft bei der Passbeschaffung mitzuwirken) ein erneut rechtlich verbotenes Verhalten gezeigt wird, dass eigenständiger Sanktionierung zugänglich ist. Andererseits steht einer bei gleichbleibender Verweigerungshaltung erfolgenden erneuten Bestrafung das Schuldprinzip deshalb entgegen, als in einem solchen Fall der Strafe eine mit dem Schuldprinzip nicht zu vereinbarende Beugewirkung zukäme. (vergleiche Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Dezember 2006, 2 BvR 1895/05, in einem vergleichbaren Verfahren). Der Betroffene würde bei einer erneuten Verurteilung wegen seines gezeigten "Ungehorsam" mit Strafen belegt, deren Ende nicht absehbar sei. Ungehorsam aber - so das Bundesverfassungsgericht am angegebenen Ort - ist einem rechtsstaatlichen Strafrecht als Strafgrund fremd.


§95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG/§271 StGB

Ein weiterer Klassiker: Ein Betroffener ist seit Jahren im Besitz einer Duldung. Als er heiraten beziehungsweise die Vaterschaft für ein Kind anerkennen will, wird für die Ausländerbehörde deutlich, dass die von dem Betroffenen über Jahre bei der Duldungsverlängerung angegebenen Personalien (Name, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit) unzutreffend waren. Auf Anzeige der Ausländerbehörde ergeht ein Strafbefehl (siehe Exkurs) wegen des Verstoßes gegen §271 StGB ("mittelbare Falschbeurkundung") und/oder des Verstoßes gegen §95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (" unrichtige Angaben gemacht zu haben, um zu...").

Auch hier sind die Verteidigungsmöglichkeiten gut. Die den Betroffenen in entsprechenden Fällen erteilten Duldungen enthalten regelmäßig den Hinweis, dass die Personalien auf eigenen Angaben des Betroffenen beruhen. Dann aber scheidet eine Strafbarkeit nach §271 StGB aus. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Normzweck des §271 StGB ist der Schutz der Beweiskraft öffentlicher Urkunden. Vom Wahrheitsschutz des §271 StGB werden nur diejenigen Teile der Urkunde erfasst, auf die sich diese erhöhte Beweiskraft der öffentlichen Urkunde erstreckt. Vorausgesetzt wird also, dass die beurkundete Tatsache (das heißt vorliegend: die Personalien) mit der Urkunde gegenüber jedermann bewiesen werden kann. Dies ist bei einer Duldung mit dem Zusatz "Personalien beruhen auf eigenen Angaben" eindeutig nicht der Fall. Die ausstehende Behörde übernimmt mit entsprechendem Zusatz gerade nicht die Gewähr für die Richtigkeit dieser Angaben. Dann aber scheidet eine Strafbarkeit nach §271 StGB aus, wie unter anderem das Amtsgerichts Bremen in einem von mir geführten Verfahren (Urteil vom 12. April 2007, 94 Cs 200 Js 35942/06-3/07) entscheiden hat.

Aber auch eine Bestrafung nach §95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist - häufig - nicht möglich. Entscheidend ist hier, wann der Betroffene falsche Angaben gemacht haben soll. Ist dies vor dem 28. Juli 2007 (also vor dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19. August 2007) der Fall gewesen, ist das Verhalten nicht strafbar. Dies deshalb, als §95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in der Fassung des AufenthG, das in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis 27. Juli 2007 galt, eine Strafbarkeit nur für den Fall vorsah, dass ein Betroffener unrichtige Angaben macht, um für sich einen Aufenthaltstitel zu beschaffen. Eine Duldung stellt aber keinen Aufenthaltstitel dar (vergleiche §§ Abs. 1 S. 2 AufenthG):

Sollte die Falschangabe vor dem 1. Januar 2005, das heißt unter der Herrschaft des AuslG erfolgt sein, scheidet eine Strafbarkeit ebenfalls aus. Zwar war nach §92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG unter Strafe gestellt, wenn ein Ausländer unrichtige Angaben machte, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung zu beschaffen, so dass eigentlich eine Strafbarkeit gegeben wäre. Dies ändert sich aber dadurch, dass es vom 1. Januar 2005 bis zum 27. Juli 2007 nach §95 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht strafbar war, falsche Angaben zu machen, um eine Duldung zu beschaffen (siehe oben). Diese Regelung kommt nach §2 Abs. 3 StGB auch den Betroffenen zu Gute, die unter der Herrschaft des AuslG falsche Angaben gemacht hatten, um sich eine Duldung zu beschaffen. Eine Bestrafung ist in diesen Fällen nicht möglich (vergleiche oben: Amtsgericht Bremen).


Exkurs:

Unabhängig von vorstehenden Erwägungen weise ich darauf hin, dass häufig die Strafe selbst viel zu hoch angesetzt wird. Regelmäßig beziehen Betroffene, die sich seit geraumer Zeit weigern, an der Passbeschaffung mitzuwirken, lediglich Leistungen nach §1a AsylbLG. Zumeist verfügen sie über keinerlei Geldleistungen mehr. Bei der Bemessung einer Geldstrafe knüpft das Gesetz aber an das Einkommen eines Betroffenen an, das dieser in einem Monat erzielt/erzielen könnte. Dieses Einkommen - geteilt durch 30 - ergibt die so genannte Tagessatzhöhe (§40 Abs. 2 StGB). Wenn ein Betroffener nur noch über ein von der Kommune gestelltes Bett mitsamt Verpflegung verfügt, hat er keinerlei - einsetzbares - Einkommen mehr, von dem er eine Geldstrafe bezahlen kann. Meiner Ansicht nach ist in einem derartigen Fall die Verhängung einer Geldstrafe nicht zulässig, da sie eben gar nicht bezahlt werden kann. Jedenfalls aber wird der Tagessatz auf das Minimum des vom Gesetz vorgesehenen Betrages, nämlich einen Euro festzusetzen sein (§40 Abs. 2 Satz 3 StGB). In diesem Sinne hat unlängst auch das OLG Celle in einem von mir geführten Verfahren entschieden (Beschluss des OLG Celle vom 10. Juli 2007, 32 Ss 95/07).


§95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG

Regelmäßig erhalten Betroffene Strafbefehle, weil sie sich geweigert haben, Passersatzpapieranträge der Botschaften zu unterschreiben. Ein derartiges Verhalten unterfällt nicht dem Straftatbestand des § Abs. 1 Nr. 5 AufenthG. Nach dieser Norm kann nur derjenige bestraft werden, der keine oder unrichtige Angaben gegenüber den Ausländerbehörden macht. Verweigerte, unterlassene, falsche oder unvollständige Erklärungen gegenüber der Botschaft sind nach dieser Norm nicht strafbar (vgl. OLG Celle, Entscheidung vom 14. Februar 2007, 21 Ss 84/06).


II. Abschiebungshaft:

Es ist völlig unstreitig, dass Abschiebungshaft nicht angeordnet werden darf, um den Betroffenen zur Erzwingung von Passbeschaffungsmaßnahmen zu motivieren, da es sich hierbei um unzulässige Beugehaft handeln würde. Wenn Abschiebungshaft in einem derartigen Fall dennoch angeordnet/vollstreckt wird, muss hierauf sofort reagiert werden (sofortige Beschwerde, Haftaufhebungsantrag).


III. Wohnungsdurchsuchungen:

Immer wieder werden Wohnungen von ausreisepflichtigen Betroffenen durchsucht, um den dort vermuteten Pass beschlagnahmen zu können. Entsprechende Durchsuchungen erfolgen entweder auf strafrechtlicher oder polizeirechtlicher Grundlage. Beides ist unzulässig.

Eine Durchsuchung auf strafrechtlicher Grundlage ist nur dann möglich, wenn gegen den Betroffenen ein Verfahren wegen Verstoß gegen §95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Verdacht des unerlaubten Aufenthalts im Bundesgebiet ohne erforderlichen Pass) geführt wird. Im Rahmen eines derartigen Strafverfahrens wird gelegentlich beantragt, die Wohnung des Betroffenen zu durchsuchen, da dies zum Auffinden von Beweismitteln (nämlich des Passes) führen werde.

Diese Vorgehensweise ist rechtswidrig. Entweder verfügt nämlich der Betroffene über einen Pass, der sich in seiner Wohnung befindet. Dann aber ist der Straftatbestand des §95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht gegeben (§95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, siehe oben), oder aber der Betroffene verfügt über keinen Pass in seiner Wohnung. Dann aber darf seine Wohnung auch nicht durchsucht werden, da nicht wahrscheinlich ist, dass der entsprechende Pass dort aufgefunden wird. Eine Durchsuchung ist also so oder so auf strafrechtlicher Grundlage nicht zulässig. In diesem Sinne hat das LG Lüneburg in einem von mir geführten Verfahren unter dem 24. März 2008 (26 Qs 48/06) entschieden.

Eine Durchsuchung ist aber auch nicht auf polizeirechtlicher Grundlage zulässig. Auch dies hat das LG Lüneburg in einem von mirgeführten Verfahren (Beschluss vom 18. Oktober 2006, 10 T 15/06) entschieden. Der bloße Verdacht der Ausländerbehörde, ein ausreisepflichtiger Ausländer würde seinen Pass in seiner Wohnung verwahren, kann eine Durchsuchung nach Polizeirecht nicht rechtfertigen, so das LG Lüneburg. Zudem ist es so, dass eine Durchsuchung nach Polizeirecht nur dann ergehen darf, wenn von der gesuchten - und zu beschlagnahmenden - Sache eine Gefahr ausgeht. Dies aber ist bei einem gesuchten Pass nicht der Fall.

Da vorbeugender Rechtsschutz gegen Durchsuchungsanordnungen regelmäßig nicht erlangt werden kann (Durchsuchungen werden nicht angekündigt!) sind die Betroffenen darauf angewiesen, nach erfolgter Durchsuchung feststellen zu lassen, dass die Durchsuchung rechtswidrig war. Auch dies hat disziplinierenden Charakter!


IV. Zwangsweise Botschaftsvorführungen, §82 Abs. 4 AufenthG

Immer wieder ist festzustellen, dass Betroffene gegen ihren Willen zwangsweise im Rahmen der Pass(ersatzpapier)beschaffung ihren vermeintlichen Heimatvertretungen vorgeführt werden. Entsprechende Vorführungen verstoßen regelmäßig gegen § 82 Abs. 4 AufenthG.

Hiernach ist nämlich zunächst einmal Voraussetzung, dass ein Betroffener eine ordnungsgemäße Aufforderung des persönlichen Erscheinens vor der Heimatvertretung erhält. In vielen Fällen mangelt es bereitsan einer entsprechenden ordnungsgemäßen Verfügung. Gelegentlich ordnen die Ausländerbehörden nicht die sofortige Vollziehung einer entsprechenden Verfügung an. In einem derartigen Fall kann erst nach Eintritt der Bestandskraft eine Vorführung erfolgen.

Wichtig ist weiter, dass konkrete Anhaltspunkte für die vermutete Staatsangehörigkeit des Betroffenen bestehen. Auch hieran mangelt es regelmäßig. Unzulässig ist es daher, wenn Betroffene ohne konkrete Anhaltspunkte einer Botschaft nach der anderen vorgeführt werden, was gerade bei Betroffenen aus Afrika häufig zu beobachten ist. Das Gesetz erlaubt keinen derartigen "Wanderzirkus"!

Weithin nicht beachtet wird, dass bei einer Weigerung des Betroffenen, bei der Heimatvertretung vorzusprechen, eine vorherige richterliche Entscheidung einzuholen ist. §82 Abs. 4 S. 2 AufenthG verweist insofern auf die entsprechenden Regelungen im Bundespolizeigesetz. Erforderlich ist also, dass die zuständige Behörde einen Haftantrag beim zuständigen Amtsgericht stellt und der Betroffene geladen und (für den Fall, dass er verheiratet ist, auch sein Ehepartner) vom Amtsgericht angehört wird. Sollte das Gericht Haft anordnen wollen, wäre diese für maximal vier Tage zulässig, unmittelbar nach Vorsprache wäre zudem die Haft sofort zu beenden.

Trotz der insofern völlig eindeutigen gesetzlichen Regelung "verzichten" Behörden regelmäßig auf die Einholung entsprechender richterlicher Beschlüsse und führen Betroffene gegen deren Willen bei vermeintlichen Heimatvertretungen vor. Diese mit Freiheitsentziehungen einhergehende Praxis ist rechtswidrig! Ähnlich wie bei Wohnungsdurchsuchungen kommt auch hier regelmäßig vorbeugender Rechtsschutz zu spät, so dass im Nachhinein beim Amtsgericht festgestellt werden kann, dass die mit der Vorführung verbundene Freiheitsentziehung rechtswidrig war. Hieran anschließen können sich dann Amtshaftungsansprüche des Betroffenen aufgrund der zu Unrecht erfolgten Freiheitsentziehung. Ausländerbehördenmitarbeiter, die trotz ersichtlicher Weigerung eines Betroffenen diesen bei seiner Heimatvertretung vorführen, riskieren zudem ein Strafverfahren wegen Freiheitsberaubung.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang schließlich, dass es einer richterlichen Anordnung auch dann bedarf, wenn ein Betroffener sich bereits in Haft (auch in anderer Sache wie etwa Abschiebungshaft oder Strafhaft) befindet. Dies hat zu Recht das VG Braunschweig unter dem 19. April 2006 (7 T 116/06) in einem von mir geführten Verfahren entschieden und eine laufende Vorführung gestoppt, da die Behörde nicht angeordnet hatte, dass der Betroffene bei seiner Heimatvertretung persönlich erscheine. Auch bei Botschaftsvorführungen lohnt es sich also, der Sache genau auf den Grund zu gehen.


V. Fazit:

Bedauerlicherweise nehmen Behörden und Gerichte auch im Bereich der Identitätsfeststellung/Passbeschaffung das Gesetz häufig nicht ernst. Ebenso wie bei der Aburteilung von Verstößen gegen die so genannte "Residenzpflicht" (vergleiche hierzu meine Anmerkungen in der "Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen", Heft 1 und 2, S. 51 ff.) und bei der Anordnung und Vollstreckung von Abschiebungshaft (siehe hierzu meine Ausführungen in "Zeitschrift für Flüchtlingspolitik in Niedersachsen", Heft 119, S. 21 f.) sind Fehlentscheidungen an der Tagesordnung. Es lohnt sich, jeden Einzelfall genau zu betrachten.


Der Text ist eine gekürzte Zusammenfassung des Referates, das der Autor am 8. November 2008 vor dem Niedersächsischen Netzwerk Flüchtlingshilfe gehalten hat.

Raute

SCHWERPUNKT

Countershock!

Widerstand aufbauen gegen das verstärkte Bestreben von Militär und Industrie, Klimaflüchtlinge als Bedrohung zu inszenieren!

Steve Wright

Übersetzung: Redaktion Rote-Hilfe-Zeitung


"Countershock!" ist dem Katalog entnommen, der zur Ausstellung "Embedded Art - Kunst im Namen der Sicherheit" vom 24. Januar - 22. März 2009 in der Akademie der Künste, Berlin, erschienen ist. Leider ist der Katalog nur in Englisch erhältlich. Ihm liegt eine DVD bei, die die während der Ausstellung gezeigten Arbeiten, Beiträge der beteiligten Künstlerinnen und Künstler und einiges mehr enthält. Wir danken Steve Wright ganz herzlich für die Genehmigung zum Abdruck und Olaf Arndt für den persönlichen Einsatz.

Steve Wright war von 1989 an Direktor der Omega Foundation, die sich in Zusammenarbeit unter anderem mit Amnesty International mit dem Export von Militär- und Repressionstechnologie in Folterstaaten beschäftigt hat. 1998 war er federführend beteiligt an der Erstellung des STOA Reports "Technologien der politischen Kontrolle" des Europäischen Parlaments.


Homeland-Security auf dem Hinterhof

Landesgrenzen verdeutlichen geographischen, politischen und ethnischen Ausschluss. Flüchtlinge, die vor Naturkatastrophen, vor den negativen Konsequenzen politischer Desaster oder negativen Umwelteinflüssen fliehen, werden darauf aber wohl keine Rücksicht nehmen und sich auch nicht einfach fügen. Viele Regierungen arbeiten mittlerweile im weiten Feld derjenigen hi-tech-Technologien, mit denen sich Menschen an Grenzen immobilisieren lassen. Bis zu 100 Millionen Menschen könnten durch den Klimawandel zur Migration gezwungen werden und das Pentagon beginnt bereits, das alles unter Sicherheitsaspekten zu betrachten.

Durch die Katastrophe des Hurricanes Katrina im August 2005 war es uns möglich, die Nachwirkungen einer Politik zu betrachten, die ihr Hauptaugenmerk auf den Schutz der staatlichen Infrastruktur gelegt hatte statt zeitnah zu handeln oder sich um die Bedürfnisse der einfachen Menschen zu kümmern. Ein weit verbreiteter Spruch aus dieser Zeit lautet "homeland security runs through my back yard" und soll daran erinnern, dass auch in "Zeiten des Terrors" die krakenhaften Sicherheitsbedürfnisse des Staates die gemeinsamen Grundbedürfnisse menschlicher Gemeinschaften nicht unter sich begraben dürfen. Und deshalb wird die Schlüsselherausforderung für Konfliktforscher sein, einander Informationen über humanere Alternativen zukommen zu lassen - und Sicherheit so zu organisieren, dass die Menschen zählen.

Während sich politische, wissenschaftliche und spezifische umweltpolitische communities intensiv über die Realitäten des Klimawandels auseinandersetzen, gibt es nur wenige praktische Schritte, Licht in die erwarteten, schier unglaublichen Auswirkungen auf menschliche Ansiedlungen zu bringen. Die offizielle Seite scheint währenddessen ihr Vertrauen mehr und mehr in die Atomkraft zu legen: Eine Option, die sich wirtschaftlich gesehen verbietet - und absurderweise während des gesamten Prozesses Materialien produziert, wie sie in "Zeiten des Terrors" sensibler nicht sein könnten.

Think-tanks der Militärs planen derwellen - besonders in den Vereinigten Staaten - mit technisch hochentwickelten "area denial systems" (frei übersetzt etwa "Gelände-" oder auch "Abschnitts-Verweigerungssysteme") und erörtern dabei unter dem allumfassenden Diktat des Sich-Vorbereitens für den asymmetrischen "Krieg gegen den Terror" auch Realisierungsstrategien und Stationierungsplanungen. Dazu kamen sie jedoch eher durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Zusammenhänge als durch wirkliches Vorausplanen einer Reaktion auf den Klimawandel. Viele dieser Systeme haben ihre Legitimation dadurch erlangt, dass sie der sich wandelnden Natur moderner Kriegsführung als flexibel einsetzbare, weniger-tödliche Option galten. Ganz besonders in den Vereinigten Staaten sind für bahnbrechende Konzepte und Prototypen dieser Systeme beachtliche Summen bewilligt worden. In dieser Zeit wachsender politischer Umwälzungen sollten wir uns keinen Illusionen hingeben über den Willen zukünftiger Generationen von Politikern, diese "Abschnitts-Verweigerungssysteme" gegen klimabedingte Migrationsströme auch tatsächlich anzuwenden.


... in Bewegung

Es gibt Millionen Flüchtlinge auf der Welt, viele von ihnen fliehen vor Krieg und Verfolgung. Obwohl viele dieser Menschen entweder in ihrem Heimatland oder in naheliegenden Ländern Aufnahme gefunden haben - und sei es auch nur befristet -, so hat das Flüchtlings"problem" die Regierungen vieler reicher Länder dazu gebracht, drastischere Maßnahmen gegen illegale Einreise zu ergreifen. Zur selben Zeit haben sie die öffentliche Meinung gegen die Flüchtlinge mobilisiert. Die Globalisierung der Wirtschaft lässt traditionelle Gesellschaften zusammenbrechen und öffnet Wirtschaftssysteme für fremde Investments. Aber der freie Fluss des Kapitals trifft nicht auf einen gleichermaßen freien Fluss der Arbeitskräfte. Zu einer Zeit, in der die Regierungen Einreisebedingungen verschärfen, präsentieren die Massenmedien der Welt weiter unrealistische Visionen westlichen Wohlstands. Während Flüchtlinge durch westliche Regierungen und Massenmedien dämonisiert wurden, sind Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten in die Defensive gedrängt. Und es könnte noch schlimmer kommen.

Nach dem 11. September 2001 brach eine neue Ära sub-staatlicher Kriegsführung an, in der alle Flüchtlinge als verdächtig erschienen; in der über neue Maßnahmen nachgedacht wurde, um Flüchtlinge außerhalb der Grenzen reicher Staaten zu halten, solange ihre Gesuche verhandelt wurden (Statewatch 2003), oder "Asylsuchende" biometrisch verfolgt wurden, sobald sie sich erstmal innerhalb der Grenzen des Zufluchtsstaates ihrer Wahl befinden.

Entsprechend Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention wird "keiner der vertragschließenden Staaten einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde." Wie auch immer - innerhalb Europas sind gewaltige "EURODAC"-Datensysteme installiert worden, um jedem Flüchtling die Fingerabdrücke zu nehmen; Versuche, erneut die Grenzen eines EU-Staates zu übertreten, wenn ein anderer die Einreise bereits verweigert hat, sollen so vereitelt werden (SEMDOC 2002). Rasante Entwicklungen in den Technologien der Iris- und Gesichtserkennung werden diese Vorgehensweisen standardisieren und "offizielle Nicht-Einwohner" können effektiv mit Barcodes ausgestattet und beim Passieren interner oder externer Zugänge elektronisch etikettiert werden.


Neue Staatssicherheit

Solche Migration jedoch vollzieht sich nicht im luftleeren Raum. Wohlhabende Länder schaffen hochentwickelte Waffentechnologien, die dann in genau jenen Kriegen eingesetzt werden, die zur Entwurzelung von Zivilisten führen. Energieverschlingender Wohlstand spielt seine Rolle beim Klimawandel, der schon jetzt seinen Einzug in die Terminologie des Sicherheitswesens gehalten hat, denn er hat das Potenzial, sehr schnell eine große Anzahl von Flüchtlingen zu verursachen. Durch die Menschheit verursachter Klimawandel könnte zu einer Erhöhung des Meeresspiegels um mehrere Meter führen. Die meisten der Schlüsselzentren der Bevölkerung liegen an den Küsten und sind damit für die negativen Auswirkungen von Überflutungen höchst anfällig.

Von 1995 an hat die EU die Betrachtung der Umwelt unter dem Sicherheitsaspekt konzeptualisiert, jedoch ohne dabei eine Möglichkeit zu haben, auf die Armeen der Mitgliedsländer strategisch einzuwirken. In einer Resolution des Europäischen Parlaments von 1990 wird angemerkt, "dass die Zahl der umweltbedingten Flüchtlinge mittlerweile die Zahl der traditionellen Flüchtlinge übertrifft (25 Millionen zu 22 Millionen" (EU 1999: 93). Analysten wie Vogler (2002) haben bemerkt, dass, obwohl die EU vor dem Charakterisieren von Flüchtlingen als "Sicherheitsrisiko" zurückschreckt, sie sehr wohl bemerkt hat, dass der Zustrom von Flüchtlingen "direkten Druck auf Einwanderungs- und Innenpolitik der EU ausübt".

Berater des US-Militärs waren da weitsichtiger. Ein geheimer Bericht, 2003 für das Pentagon erstellt und den Medien zugespielt, warnt vor katastrophalen Folgen des Klimawandels und ausbrechenden Kriegen, die mehr mit reinem Überleben zu tun haben als mit Religion, Ideologie oder nationaler Ehre (Schwartz und Randall 2003). Der Bericht prognostiziert, dass reiche Gebiete wie die Vereinigten Staaten und die EU buchstäblich zur Festung würden, um Millionen von Migrantinnen und Migranten vom Grenzübertritt abzuhalten, nachdem ihr Land vom ansteigenden Meeresspiegel verschlungen wurde oder unfruchtbar geworden ist; hier ist die Rede von 400 Millionen betroffenen Menschen allein in den subtropischen Regionen. Er sagt eine enorme Anzahl von MigrantInnen aus den am härtesten betroffenen Gebieten Afrikas an den südlichen europäischen Grenzen ebenso voraus wie Mega-Dürren mit Auswirkungen auf die Brotkörbe der Welt, einschließlich des mittleren Westens der USA, wo starke Winde für Verluste von Mutterboden sorgen. Verschieden Regionen der Welt würden verschieden getroffen; Chinas unglaublich große Bevölkerung macht das Land ganz besonders verletzlich und das Bangladesh der Zukunft wird aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels gar als buchstäblich unbewohnbar bezeichnet.

Andere Ursachen für große Migrationsströme sind politische Krisen oder Katastrophen. Die Explosion einer einzigen Nuklearwaffe in einer Stadt, zum Beispiel im Mittleren Osten oder im südlichen Asien, könnte eine Lawine von Fluchtbewegungen auslösen - vor der Explosion selbst, dem Fallout oder zukünftigen Attacken. Ein ernsthafter Zwischenfall in einer Atomanlage könnte ganz ähnliche Auswirkungen haben. Diese Eventualitäten könnten bestimmte Staaten dazu bringen, ihre Grenzen versiegeln zu wollen und Technologien zu entwickeln, die den Grenzübertritt durch Zivilisten verunmöglichen.

Wir sagen hier nicht die Zukunft voraus, wir geben nur zu bedenken, dass es verschiedene Umstände gibt - Klimawandel, Krieg, terroristische Angriffe, politischer Notstand - die große Zahlen von Menschen dazu bringen könnten, ihre Häuser zu verlassen, und die Staaten dazu bringen könnten, ihre Grenzen gegen die Massen von Asylsuchenden hermetisch abzuschließen. Mehr noch, sogar ohne einen massiven Anstieg der Migrationsbewegungen ist es für Regierungen eine Option, die Angst vor einem solchen Szenario im Sinne ihrer Einwanderungspolitik auszunutzen. Mit anderen Worten: "Bedrohung" durch Flüchtlinge ist sozial konstruiert - es gibt keine wirkliche Veranlassung, Technologien in Stellung zu bringen (Pickering 2004). Und mehr noch: Allein die Erörterung dieser Maßnahmen fördert die Bereitschaft zu der Annahme, es gäbe ein Sicherheitsrisiko, und hilft, spätere Entwürfe zu legitimieren.


Das Neudefinieren von Migrationsstrategien

Schwartz und Randall (2003) schlussfolgern, dass es eventuell bereits zu spät sei, eine Katastrophe zu verhindern, die sich allein deshalb als einzigartiges Sicherheitsrisiko erweisen könnte, weil ganz einfach der Feind fehlt, den es anzugreifen gälte. Das, wie auch immer, hat US-Militärstrategen nicht davon abgehalten, sie als eine Bedrohung zu begreifen, der man mit technologischen Mitteln entgegentreten muss.

Obwohl diese Anmerkungen von Schwartz und Randall im Jahr 2003, als sie geschrieben wurden, als alarmistisch abgetan wurden, sind sie jetzt nicht länger nur theoretisch. Die im Jahre 2005 auf der Welt verursachten Wetterschäden in Höhe von 200 Milliarden Dollar wurden als die kostenintensivsten seit Bestehen des UN-Umweltprogrammes (UNEP) gewertet. UNEP erklärte dazu, dieser Rekord sei auch verursacht durch die höchste Anzahl von Hurricanes und tropischen Stürmen seit Beginn der Aufzeichnungen vor 150 Jahren(1).

Der britische Verteidigungsminister Dr. John Reid hat in einer Rede im Februar 2006 davor gewarnt, dass sich britische Truppen auf Konflikte um schwindende Ressourcen vorbereiten müssten. Er stufte den Klimawandel als die Hauptursache für die Auseinandersetzungen der nächsten dreißig Jahre ein, auch weil Staaten über den Zugang zu Wasserreserven in Konflikt geraten würden. Dr. Reid drückte seine Besorgnis darüber aus, dass es durch die wachsende Weltbevölkerung und den gleichzeitig erschwerten Zugang zu sauberen Wasserreserven vermehrt gewalttätige Auseinandersetzungen geben könnte, denn die Kontaminierung von Wasserreserven würde ansteigen, Ackerland mehr und mehr zur Wüste und das Abschmelzen großer Eisfelder zunehmen(2).

Es ist bemerkenswert, dass Dr. Reid kurz nach diesen Statements begann, die US-Forderung nach Neuformulierung der Genfer Konvention nachzuplappern(3).

Für Länder, die an Afrika grenzen, etwa Spanien, hat sich diese Bedrohung bereits materialisiert, und der Umgang damit ist alles andere als human. Berichte erzählen von Migrantinnen und Migranten, die in der Sahara zum Durchqueren von Minenfeldern gezwungen wurden, nachdem sie bei dem Versuch gescheitert waren, den Stacheldrahtzaun um die Enklave von Melilla zu überwinden(4).


Die Techno-Politik des Ausschlusses

Wie sollen Armeen mit der Möglichkeit von Hunderttausenden Flüchtlingen umgehen, die über die Grenzen strömen? Nun, uns ist allen klar, dass sich nach Ende des kalten Krieges die Aufmerksamkeit auf "Military Operations Other than War" (MOOTW) gerichtet hat. Ein Teil dieser Denke hat sich auf die Entwicklung einer zweiten Generation von "Verunmöglichungs"-Technologie ("incapacitating technology", Anm. d. Ü.) konzentriert, hi-tech, lukrativ und mit der Fähigkeit, Repression zu industrialisieren.

Nach dem 9.11. haben diverse Initiativen im Rahmen der US Homeland-Security die Erwartungen derjenigen Unternehmen in Industrie und Handel befördert, die das Beliefern staatlicher Sicherheitsstrukturen als DEN gewinnträchtigsten und am schnellsten wachsenden Bereich des zukünftigen Rüstungsmarktes begriffen haben. Schon früher ist argumentiert worden, dass die Wirkungen einiger dieser Waffen "auf Folter hinauslaufen" und das wir Zeugen des Anfangs einer neuen Politik werden, die die Mikro-Induzierungen von Schmerz sowohl zur Kontrolle von Massenbewegungen als auch großer Proteste einsetzen (Wright, 2002; Amnesty, 2003).

Die Technologien, die weiter unten diskutiert werden, beinhalten elektrische Zäune, Selbstschussanlagen, Taser-Minen, die auf fünfzigtausend Volt aufgeladene Pfeile verschießen, Systeme direkter Energieabgabe, die mit gebündeltem Licht arbeiten beziehungsweise Menschenmengen mit unerträglicher Hitze entgegentreten, bio-chemische Waffen, die es auf bestimmte menschliche Rezeptoren abgesehen haben, um Angst und Schrecken auszulösen und Energie-Projektile, die dadurch eine behindernde Schockwelle auslösen, dass sie das Wasser, das unsere Körper als Nebenprodukt unseres Stoffwechsels enthält, in Plasma wandeln.

Die Akten von Amnesty International sind zum Bersten gefüllt mit Berichten über "Folter auf Knopfdruck". Die Vorfälle in Guantanamo und Abu Ghraib enthüllen den Willen zum Umschreiben des demokratischen Konsenses der zivilisierteren Gesellschaften und zum Wiedereinführen von Folter als Regierungsoption. Amerika wird seinen "Krieg gegen den Terror" mit den neuen Doktrinen der "full spectrum dominance" und neuen Strategien führen. Diese beinhalten Ideen von der "vielschichtigen Verteidigung" - eine Militärdoktrin die sich um die Vorstellung rankt, es könne möglich sein, eine Art regelbare Gewalt zu installieren, und zwar von "Verletzen" am einen Ende der Skala bis hin zu "einstellbarer Tödlichkeit" am anderen. Doch was heißt das wirklich? Nun, die sich abzeichnende US-Militärdoktrin geht von einem vielschichtigen Schlachtfeld aus, ähnlich einer Zwiebel, auf dem Zuschauer und Nicht-Kombattanten sich in den weniger tödlichen Randbezirken aufhalten, und sich fortschreitend mit jeder Schicht die Tödlichkeitsrate erhöht, bis letztlich den bewaffneten Aufständischen in der Mitte mit ausnahmslos tödlicher Wucht begegnet werden kann. Es gibt neue Technologien - inklusive der angeblich so "harmlosen" nicht-tödlichen Waffen der Direkten-Energie-Systeme, chemische und biologische Gase, Roboter, Soundwellen, Mikrowellen, Laser und Drohnen -, doch was heißt das für echte Lebewesen? Alle Annahmen sind schwer zu überprüfen.

Diese neuen Technologien haben Effekte, die in sich variabel sind, und wie Dominique Loye vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) mir in einem Gespräch auf der Konferenz in Ettlingen 2003 (5) mit Bezug auf Operationen mit Feindkontakt deutlich machte, ist die Versuchung für Einsatzkräfte hoch, immer die maximale Einstellung zu wählen - denn wie ließe sich sonst beurteilen, welcher der verletzten oder benommenen Gegner noch immer die Möglichkeit zur Gegenwehr besitzt? Auch mit den besten Absichten tendieren Experten und Spezialisten auf internationalen Sicherheits- und Grenzkontrollkonferenzen dazu, eher die Sichtweise der Staatssicherheit zu verinnerlichen, als sich Perspektiven der Sicherheit des Menschen zu eigen zu machen.

In diesem Kontext ist es einfach, die "Bedrohung" durch die Flüchtlingsthematik vom Aspekt der humanitären Hilfestellung hin zu den Entwürfen für die neuen Technologien der Ausgrenzung zu verschieben.


Vorhandene immobilisierende Grenzkontrolltechnologien

Es gibt im Wesentlichen zwei Klassen von Immobilisierungs-Technologien, nämlich die gegenwärtige Technik vom Grabbeltisch, die sich bereits auf dem Markt befindet, und die Zukunftsvarianten dieser Waffen, die bislang noch nicht in kommerziellen Versionen auf dem Markt sind. Manche sind passiv oder auch "Opfer-aktiviert", andere sind aktiv beziehungsweise "Opfer-suchend". Bereits existierende nicht-tödliche Grenzkontrolltechnologien beinhalten die bekannten rasiermesserscharfen Barrieren und spannungsführenden Zäune (und schon jetzt gibt es die mit doppelten Schaltungen, um eine tödliche Option offenzuhalten). Kommerzielle Varianten aus dem Supermarkt schließen Zäune mit integrierter semi-intelligenter Sensortechnologie ein - diese ist in der Lage, eine Störung festzustellen, die Anzahl von Personen oder Fahrzeugen aufzuzeichnen und automatisch eine zentrale Kontrolleinrichtung oder eine Wachmannschaft zu alarmieren.

Tödlichere Varianten sind im Wesentlichen die geächtete Antipersonen-Landminen (APL), die nach wie vor Grenzabschnitte zwischen Kambodscha und Thailand, Nord- und Südkorea und die Grenzen von Indien, Pakistan und Kaschmir befestigen, um nur mal ein paar zu nennen. Diese Technologie selber ist im Wandel begriffen, da die herstellenden Firmen versuchen, das Ottawa-Abkommen über Landminen von 1997 zu umgehen, und sich Märkte suchen, die auf die militärischen Möglichkeiten, die APL bieten, nicht verzichten wollen. Während 154 Staaten das Abkommen ratifiziert haben, haben 40 nicht unterschrieben, darunter Russland, China und die USA.

Neue Systeme sind hier die verharmlosend "weniger-tödlich" genannten, mit Hartgummi-Kugeln gefüllten Claymore-Minen (im Irak gerne als Antipersonen-Modul an Einsatzfahrzeugen installiert), die Taser-Mine, ein Abschnitts-Verweigerungssystem basierend auf Laser-Blendung und semi-intelligente Minen-Netzwerke wie zum Beispiel "The Matrix" oder "The Spider". Die letzten beiden können mit einem Master an- oder ausgeschaltet werden, was die Unsicherheit über die Begehbarkeit eines Abschnitts vervielfacht. Die Vereinigten Staaten haben sich sehr in Programmen der Grundlagenforschung engagiert, die sich mit der Entwicklung alternativer Minen befasst haben. Das schließt das "Wide-Area Munition Product Improvement Programm" (WAM PIP), ein so genanntes selbstzerstörendes Minensystem, und das alternative, nicht-selbstzerstörende Minensystem NSD-A mit ein. Letzteres erlaubt einem Operator im Netzwerk, das Minenfeld an- oder abzuschalten(6). Diese Programme beinhalten sowohl tödliche als auch verniedlichend "nicht-tödlich" genannte Varianten(7).

Es gibt verschiedene Sichtweisen auf die Sicherheit dieser high-tech-Ausführungen. Während einer Anti-Landminen-Konferenz in Japan fragte ich einen hochrangigen US-Offizier und sein diplomatisches Gegenüber nach ihrem persönlichen Vertrauen. Der Diplomat war gewillt, seine gesamte Familie durch ein abgeschaltetes Minenfeld zu führen; der Soldat sagte, dazu würde er seine Kameraden zu sehr schätzen.

Andere tödliche Systeme beruhen auf opfersuchenden Kleinwaffen. Beispiele hierfür sind die US-Entwicklung "Autaga Arms", das ist eine an eine Kamera montierte Pistole mit einer gewissen Art von Intelligenz. Die Pistole kann automatisch betrieben werden, oder aber die Kamera gewährleistet eine sichere Distanz zwischen Waffe und Schütze. Eine andere US-Firma, Precision Remotes, produziert ein ähnliches System, das auch entweder einen "Mann im Schaltkreis" besitzt oder die Möglichkeit der automatischen Nutzung. Langsam zeichnet sich eine wirklich vollautomatische "Wächter-Pistole" ab und auch Garagen-Erfinder sehen in diesem Feld der Sicherheitstechnik die Möglichkeit, den ein oder anderen Dollar zu machen(8).


Neue Grenzkontrollsysteme am Horizont ...

Wright und Martin(9) haben letztlich acht dieser neuen Mechanismen von Immobilisierungstechnologien identifiziert, als da wären: Taser-Antipersonen-Minen; immobilisierende Netze; Haftendes und Glitschiges; Hochleistungs-Mikrowellen; akustische Vorrichtungen/Vortex-Ringe; ionisierende und gepulste Energie-Laser; chemische Sedativa, Immobilisatoren, Konvulsive, Bioregulatoren und Gase sowie automatische selbst-entscheidende Vehikel. Diese Technologien stimmen im Ganzen mit denen im letzten "Joint Non Lethal Weapons Program"-Newsletter (JNLWP) genannten überein.

Nehmen wir uns die unterschiedlichen Modelle derjenigen Waffen vor, die für eine zukünftige Rolle in Grenzkontrollsystemen in Frage kommen, so stoßen wir auf eine Reihe von Firmen, die sich bei den neuen Technologien besonders ins Zeug legen beziehungsweise Feldversuche mit folgenden Prototypen vorantreiben:

- Taser-Antipersonen-Mine. Ein Taser ist eine Elektroschock-Waffe. Es setzt das Ziel unter Spannung, üblicherweise fünfzigtausend Volt, was zu qualvollen Schmerzen führt, zu einem Ausfall wichtiger Muskelgruppen und damit zum körperlichen Zusammenbruch. Die typische Waffe im Gebrauch der Sicherheitsbehörden feuert zwei mit Drähten mit dem Gerät verbundene Pfeile auf das Ziel. Ist die Verbindung erst einmal hergestellt und die Spannung angelegt, wird das Ziel durch einen enormen elektrischen Schock, und zwar auch durch die Kleidung hindurch, außerstande gesetzt, sich weiter zu bewegen. Die Idee der Taser-Mine ist nun, eine Mine nicht mit Explosivstoff, sondern mit Taser-Technologie auszustatten. Eine Person, die die Mine auslöst, würde durch mehrere Taserpfeile getroffen und so immobilisiert. Der Taser versetzt der Person über eine bestimmte Zeit regelmäßige Schocks, und zwar bis zu eine Stunde lang. Ein Minenfeld aus Taser-Minen könnte als nicht-tödliche Grenzsicherungsanlage dienen. Ein Gelände würde vermint, und ein paar Wachleute würden reichen, um Minenopfer zu befreien oder festzusetzen.

Der Wendepunkt beidieser Technologie kam, als zwei US-Gesellschaften, nämlich Primex (wurden später zu General Dynamics) und Tasertron (aus denen wurde Taser Technologies) sich zusammentaten und erfolgreich bei der JNLWP um ein unterstützendes Programm bewarben.

- Hochleistungs-Mikrowellen. Diese Geräte sind in der Lage, einen Mikrowellenstrahl von der Dicke eines Bleistifts über eine bestimmte Entfernung punktgenau auf einen menschlichen Körper zu bündeln. Das Ergebnis ist ein nahezu augenblicklicher Schmerz, dem man nur entgehen kann, wenn man dem Strahl aus dem Wege geht.

Zu der Zeit, zu der ich dieses schreibe, ist dieses Gerät noch auf einer mobilen Plattform installiert, aber es gehört nicht viel dazu, es sich als umherwandernden Strahl auf irgendwelchen Grenzanlagen vorzustellen. Ganz offensichtlich gäbe es auch Gegenmaßnahmen, zum Beispiel das Außerkraftsetzen durch Zerstören, durch Steinwürfe etwa, oder den Strahl auf seine Quelle zurückzuspiegeln. Die Gefahr solchen Widerstands ist aber, dass er geeignet ist, die Installation weit tödlicherer Technologie zu befördern. Eine defensivere Strategie wäre, eine Art Wasservorhang zu sprühen (wenn Wasser denn zur Verfügung steht), denn das würde die gerichtete Energie als Hitze im Wasser zerstreuen. Für Individuen wären verspiegelte Sonnenbrillen und Aluminiumfolien ein gewisser Schutz, und die wären auch in Fahrzeugen einsetzbar. Eine hochtechnisierte Gegenmaßnahme wäre der Gebrauch von "Mikrowellen-Brücken", um die Strahlung zurück zu ihrer Quelle zu dirigieren. Wie sehr solche Techno-Jiu-Jitsu-Gerätschaften prinzipiell auch denkbar sind, ohne die Fähigkeit, sie angemessenen Feldversuchen zu unterziehen, werden sie regierungsfinanzierten Counter-Programmen überlassen bleiben - und die untersuchen schon jetzt, wie sich solche Grenzsicherungseinrichtungen überwinden lassen.

- Akustische Einrichtungen/Vortex-Ringe. Sie produzieren Desorientierung durch das Erzeugen von extremem Lärm. Durch zwei Ultrasound-Strahlen lässt sich weiterhin so genannter Infrasound einsetzen. Pyrotechnisch generierte Sound-Ringe können Effekte haben, die einen durch ihre Druckwellen von den Beinen holen, und auch immobilisierende Gase transportieren(11). Kritiker jedenfalls bezweifeln die Tauglichkeit einiger dieser akustischen Waffen, weil eine Dauerschädigung des Gehörs nicht auszuschließen sei. Die Vortex-Ring-Technik befindet sich noch im Stadium des Prototyps, doch entstehende Prellungen und Traumata ähnlich denen bei Wasserwerfereinsatz gelten als wahrscheinlich.

- Ionisierende und gepulste Laserenergie. Laserlicht im UV-Spektrum ist in der Lage, die Luft derart zu ionisieren, dass sie leitend für Hochspannung wird, was wiederum den Einsatz von "Directed Energy"-Waffen möglich macht. Deren Verletzungspotenzial entspricht im Wesentlichen dem, was in der Bevölkerung mit 'elektrischem Schlag' assoziiert wird, nämlich stressinduzierte Herzanfälle, Versagen des Herzschrittmachers, Azidosis und das Auslösen von posttraumatischem Stress. Werbebroschüren der US-Gesellschaft Ionatron für diese Art von Gerätschaften weisen ihre Produkte explizit als "partial denial systems" und "effektive Sicherheitseinrichtung auf stationären Objekten" aus(12).

Über eine neue Variante berichtete kürzlich das US "Joint Non Lethal Weapons Directorate", nämlich über das "pulsed energy projectile", das noch in diesem Jahrzehnt für den Einsatz auf den Straßen vorgesehen ist. Das Licht der Welt erblickte es als " Pulsed Impulsive Kill Laser" (Moore 2006), doch man nahm es sich noch einmal vor und entwickelte es in eine Richtung, in der es dann das erste Ding, auf das es traf, verdunsten ließ(13). Dessen technische Spezifikationen sind ein wohl gehütetes Geheimnis, aber überflüssige Verletzungen und das Auslösen traumatischer Schocks sind anzunehmen. In diesem Stadium der Entwicklung scheinen sich die besten Abwehrmaßnahmen darum zu drehen, ganz allgemein die inhumane Natur einer Waffe in den Vordergrund zu stellen, deren physiologische Effekte auf eine heterogen zusammengesetzte Menschenmenge niemand im Voraus beurteilen kann.

- Sedativa, Immobilisatoren, Konvulsive, Bioregulatoren und Gase. Es gibt eine Reihe von Chemikalien, die einen paralysierenden Effekt auslösen und mittels bereits vorhandener Waffensysteme, die dafür entwickelt wurden, chemische oder gasende Wirkstoffe in ein Ziel zu tragen, transportiert werden können. Bioregulatoren zielen ab auf einen Eingriff in körpereigene Prozesse, die unter anderem zum Beispiel eine gleich bleibende Körpertemperatur, Herzfrequenz und Atmung oder andere stabilisierende Körperfunktionen regeln. Wie auch immer, das, was den einen beruhigt, ist die tödliche Dosis für einen anderen. Unter Einsatzbedingungen ist es unmöglich, einheitliche Wirkung zu garantieren. Sich abzeichnende Fortschritte in der Molekularbiologie richten sich aus auf bestimmte Hirnbereiche und Rezeptoren, die Furcht und Angstzustände kontrollieren. Durchbrüche in diesen Forschungsfeldern eröffnen Möglichkeiten, mit denen bislang offensichtlich noch keine Regierung verantwortungsvoll umgegangen ist. Entwicklungen dieser Art bedeuten für NGOs, die ein Wettrüsten bei den Biowissenschaften verhindern wollen, eine große Herausforderung. Der größte Einwand gegen zukünftige Entwicklungen dieser Art bleibt aber wohl die Tatsache, dass ihr Einsatz in den meisten vorstellbaren Situationen schlichtweg illegal wäre(14).

- Robotische selbstentscheidende Vehikel. Diese intelligenten mobilen Geräte sind mit tödlichen oder weniger-tödlichen Waffen bestückt und als Grenzkontrolleinheiten einsetzbar. Was einst Science-Fiction war ist mittlerweile Realität. Mit immobilisierender Technologie ausgerüstete Roboter werden als programmierbare Wächter vermarktet, die ohne Unterbrechung mit organisierter Gewalttätigkeit zur Verfügung stehen. Mögliche Risiken werden die sein, die beim Agieren ohne ausgebildete eigene Urteilsfähigkeit zu erwarten sind, beziehungsweise wie sie bei missbräuchlicher Programmierung oder auch bei der Jagd im Rudel auftreten.

Isaac Asimovs Science-Fiction wurde durch die Regel geprägt, dass niemals Roboter programmiert werden dürfen, ein menschliches Wesen zu schädigen. Dieses Entwicklungskriterium bleibt fiktiv: Diese Geräte haben das Potenzial zu einer derart unbarmherzigen Grenzkontrolle, das Rottweiler alt aussehen lässt. Und anders als Rottweiler werden sich diese "selbstentscheidenden Geräte" auch nicht mit einem saftigen Steak ablenken lassen. Wie dem auch sei, all diese Gerätschaften müssen mobil sein und die Wege ihrer Kontrollgänge werden sich auf bestimmte Geländeformen beschränken. Wie die fiktiven Daleks auch waren altmodische Roboter nicht in der Lage, Treppen zu ersteigen, mit großen Gefällen umzugehen oder mit Löchern fertig zu werden, und so wäre das Errichten entsprechender Hürden ein Weg gewesen, genügend roboterfreie Abschnitte zu schaffen, um zumindest kurzfristig Begehbarkeit zu gewährleisten. Für neue Roboter, wie zum Beispiel den bewaffneten Militärroboter von Foster-Miller, sind Treppen kein Problem mehr. Die Tatsache, dass Foster-Miller Eigentum der semi-britischen Qinteq ist, birgt zumindest einen kleinen Ansatzpunkt für politischen Druck.


Harmlose Waffen?

Viele der zukünftig für den Einsatz als Grenzkontrolltechnik denkbaren Technologien sind auf Grundlage ihrer angenommen Nicht-Tödlichkeit promoted worden. Harmlosigkeit wiederum ist etwas, das sich bei Waffen aller Art weitaus schwieriger erreichen lässt. Diese hängt von einer komplexen Interaktion verschiedener Faktoren ab, unter anderem einer entsprechenden technischen Bewertung der Charakteristika einer Waffe, zum Beispiel Mündungsgeschwindigkeit, Genauigkeit, Wirkung auf den menschlichen Körper (auf kurze, mittlere und lange Sicht): Ist die Behauptung der Nicht-Tödlichkeit bezogen auf eine absolute Einhaltung der Einsatzbestimmungen in Bezug auf Zielentfernung, der Vermeidung verletzunganfälliger Punkte und so weiter? Ist das Waffensystem konstruktionsbedingt ausreichend gegen Missbrauch gesichert? Gibt es ausreichend entsprechende Qualitätskontrollen, die sicherstellen, dass die Waffe die spezifizierten technischen Wirkweisen auch aufweist?; Falls eine Waffe in der Lage ist, weniger-tödliche ("sub-lethal", Anm. d. Ü.) Effekte hervorzurufen, berücksichtigt diese Einschätzung auch dauerhafte Entkräftung oder Verkrüppelung beziehungsweise rufen diese Effekte eventuell langfristig Behinderungen, Krankheit oder mentale Beeinträchtigungen hervor? Sind die Sicherheitskräfte verantwortlich dafür, diese Waffen entsprechend demokratischer Gepflogenheiten überprüfbar einzusetzen oder stehen sie in der Tradition von Folter, Menschenrechtsverletzungen und extra-legalen Tötungen?

Die Antworten auf diese Fragen geben Auskunft darüber, wie harmlos ein bestimmtes Waffensystem ist. Wir alle sollten uns auch jederzeit die Prozesse schleichender Verwässerung von Technik, Einsatzbedingungen und Entscheidungsprozessen vergegenwärtigen. Was situationsbedingt relativ gerechtfertigt sein mag, kann einer Reihe sich verstärkender Wandlungen unterzogen sein - mit einem Ergebnis, das von Beginn an zurückgewiesen worden wäre, wenn es denn in dieser Ausformung zur Entscheidung gestanden hätte. Bleiben wir beim obigen Beispiel: Verglichen mit dem hohen Maß an Schmerzen, das durch ein paar Sekunden Taser-Schock hervorgerufen wird, sind die Konsequenzen eines minutenlangen Schocks wirklich der reine Horror und würden wahrscheinlich ein posttraumatisches Stresssyndrom hervorrufen ... oder Schlimmeres. Mikrowellenwaffen tragen alle das Gefährdungspotenzial in sich, das gemeinhin mit Mikrowellen assoziiert wird, dabei sind ganz besonders die Augen anfällig für einen Erhitzungs-Effekt. Der induzierte Schmerz gilt dabei als individuell selbst-dosiert, aber höhere Dosen sind wahrscheinlich, sollten tödliche Bedrohungen oder Absperrungen Fluchtwege blockieren. Die Regierungslinie bezeichnet Mikrowellenwaffen als sicher, jedoch ist dazu sehr wenig offizielles technisches Material veröffentlicht worden. Im November 2004 stellte eine Konferenz über nicht-tödliche Waffen der Bradford-Universität die Frage nach der Sicherheit. Ein Teilnehmer gab zu bedenken, die natürliche Reaktion auf schmerzende Augen sei es, die Augen zu schließen - was heißt, Zielpersonen blind zu machen, so dass sie einen sicheren Ausweg gar nicht mehr finden könnten. Ein anderer Experte sagte, seiner Kenntnis nach besäßen die Geräte keine Notabschaltungen, die dann automatisch eingreifen, wenn ein Mensch versehrende Temperaturen erreicht. Solcherart blinde Ziele würden durch Mikrowellen dann massenhaft zerkocht. Eine effektive Herausforderung für die Apologeten dieser Waffen ist das Eintreten für Transparenz und Rechenschaftspflicht. Wir brauchen Möglichkeiten entweder der Kontrolle oder der Verweigerung gegenüber solchen Innovationen, sonst werden wir uns damit abfinden müssen, zukünftige Generationen von AktivistInnen und Flüchtlingen als Labormäuse für jede Neuerung im wachsenden Arsenal unkonventioneller Immobilisierungswaffen benutzt zu sehen.

Tatsächlich hat das Internationale Rote Kreuz massive Vorbehalte gegen den Einsatz regelbarer Waffen wie etwa das fahrzeuggestützte ADS (VADS), das Menschen auf unerträgliche sechzig Grad erhitzt. Das System gilt als "selbstregulierend" - weil davon ausgegangen wird, dass das Opfer dem schmerzauslösenden Strahl ausweichen wird. Doch werden Flüchtlinge, die von bewaffneten Todesschwadronen verfolgt werden, das auch tun? Und wer wird sie behandeln, um posttraumatischen Stress zu vermeiden?

David Hamblings Feature im New Scientist stellte die Frage nach der zukünftigen Rolle, der Funktion und der Ethik von Waffen wie etwa dem "drahtlosen Taser", der Menschenmengen mit Blitzen belegen kann, in dem er sie zuerst in leitendes Plasma hüllt(15). Hambling stieß auf andere Varianten, zum Beispiel das "Close Quarters Shock rifle"-Projekt von Xtreme Alternative Defense Systems, das sich mit ionisiertem Gas beschäftigt, und eine Star-Wars-Variante der Firma Mission Research Cooperation (MRC), die Laser nutzt, um mit "Pulsed Energy Projectiles" (PEP) die Kleidung und den Schweiß von Zielperson zu ionisieren(17). Bereits bis hin zum Vorvertragsabschluß mit dem Department of Defense deuten sich Strategien an, VMAD und PEP zusammen anzuwenden: VMAD für die ganz allgemeine Schmerzverabreichung bei größeren Menschenmengen und PEP zur "Behandlung" von renitenten Anführern(18).


Rechtliche Kontrollen

Einige dieser Technologien liegen jenseits bestehender Ideen oder Vorstellungen von Waffen, die internationale Normen, geltende Verträge oder internationale Menschenrechtsabkommen verletzen, manche jedoch tun das nicht(19). Das Rote Kreuz war eine der ersten NGOs, die erkannt hat, dass eine Reihe der sich abzeichnenden so genannten "nicht-tödlichen" Waffen gegen die Genfer Konvention verstoßen würde. Das IKRK war im Einzelnen besorgt darüber, diese neuen Waffen könnten etablierte Prinzipien aufweichen, so zum Beispiel die Klauseln gegen Waffen, die überflüssige Verletzungen oder unnötiges Leid verursachen, die Klauseln zur Unterscheidung von Zivilisten und Kombattanten und die so genannte Martins-Clause, die Zivilisten und Kombattanten auch dann unter den Schutz stellt, der sich aus den Grundsätzen der Humanität, des öffentlichen Anstands und der allgemein anerkannten bürgerlichen Rechte ergibt, wenn die Anwendung eines anderen Abkommens oder allgemeinen Rechts nicht greift(20).

Auch andere Tagungen beschäftigen sich mit der Entwicklung und Verbreitung dieser Art von Technologie, so zum Beispiel das Anti-Landminen-Abkommen von Ottawa aus dem Jahre 1997, das Verbot von Sprengfallen ("booby-traps"), das sich aus dem Zusatzprotokoll zum Abkommen über die Beschränkungen des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen vom Mai 1996 ergibt, das Abkommen über Chemische Waffen von 1993, das Abkommen über Biologische Waffen und Gifte von 1972 und das UN-Abkommen über Inhumane Waffen von 1980. Hier bestehen bemerkenswerte Kontroversen und das IKRK hat kürzlich ein sehr hilfreiches Update zu der Frage veröffentlicht, was eine verbotene Waffe eigentlich ausmacht(22).

Diese Debatten über das "International Humanitarian Law" (IHL) und sich abzeichnende Waffensysteme sind von größter Wichtigkeit, wenn wir die Errungenschaften vergangener Entscheidungen über das, was eine erlaubte Waffe ist und was nicht, bewahren wollen. Natürlich ist eine weitaus genauere Prüfung der gesamten Thematik notwendig, wenn existierende internationale Menschenrechtsabkommen nicht der Aushöhlung durch die Kriegsdoktrinen einer winzigen Minderheit von Staaten überlassen werden sollen.

Die Aussichten sind nicht rosig, wenn wir diese Debatten im Hinblick auf die kürzlichen Erfolge betrachten, die das Bemühen um eine Einschränkung der Verbreitung selbst der mittelalterlichsten Militärausrüstung gebracht hat: der Folterinstrumente. Europa ist berechtigterweise stolz auf seine demokratischen Traditionen. Man könnte denken, wir hätten ein Rechtssystem, das stabil genug ist, um dem Einsatz von menschenrechtsverletzenden Grenzkontrollsystemen zu widerstehen. Das zu glauben wäre bequem. Und trotzdem wirkt es erstaunlich, dass sogar die liberalen Demokratien des Westens versagt haben, als es darum ging, dem Vertrieb, der Lizensierung oder dem Vermakeln von Foltertechnologien durch inländische Firmen entgegenzutreten. Und selbst wenn eine prinzipielle Entscheidung fällt, so sind Geschäfte durch Verzögerungen auf allen Ebenen nach wie vor möglich. Warum zum Beispiel hat es von Januar 2003 bis zum Sommer 2005 gedauert, bis sich die Europäische Gemeinschaft über Kontrollmaßnahmen gegenüber Technologien einigwar, die zu Exekutionen, Folter und Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden können?

Starkes Lobbying durch NGOs drängte den Ministerrat dazu, neue, verwässerte Exportkontrollen erst verspätet zu verabschieden. Gerätschaften zum Vollzug der Todesstrafe und Technologie, die sich einzig zur Folter einsetzen lässt, wurden verboten. War das vielleicht die Angst vor zentralisierter Kontrolle aus Brüssel? Frühere Entwürfe, die der Kommission umfassende Aufsichtsrechte eingeräumt hätten, wurden zurückgestutzt - das Umsetzen dieser Beschränkungen, und ob einige Technologien nun verboten sind oder nur entsprechend "kontrolliert" werden, obliegt nun dem Ermessen der Mitgliedsstaaten(22).


Business vs. Menschenrechte

Der brutale Handel mit Beinschellen, Guillotinen, Gaskammern, Galgen, Seilen und elektrischen Schockern gibt finanziell nicht allzuviel her. Mittelalterliche Fesselungseinrichtungen wie etwa Beineisen werden nur noch von fünf europäischen Firmen hergestellt - davon hat mindestens eine auch schon in den Anfängen des Sklavenhandels mitverdient. Moralisch gesehen bräuchte man sich über die dringend notwendigen Kontrollen nicht den Kopf zu zerbrechen, denn elektronische Fünfzigtausend-Volt-Schocker symbolisieren Menschenrechtsverletzungen doch recht anschaulich - Amnesty International nennt sie das "universelle Instrument für Folterer".

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Theo van Boeven, hat in seinem Abschlussbericht fünfzehn europäische Firmen genannt, die Elektro-Schocker herstellen - und erwähnte 255 weitere, die an Herstellung, Vertrieb und Handel beteiligt sind(23).

Er gab seiner Enttäuschung darüber Ausdruck, dass die neu gefassten Regulierungen Geschäftsabschlüsse über "Drittländer" nicht berücksichtigten - das schwächste Glied erlaube hier weiterhin business as usual, insbesondere wenn Handel nur reguliert, nicht aber verboten wird. Warum das eine Rolle spielt? Nun, wenn wir nicht in der Lage sind, die Nachschublinien der rohesten, mittelalterlichsten Einrichtungen, die für Menschenrechtsverletzungen genutzt werden, zu kontrollieren, dann sind Hoffnungen auf politischen Willen und Vorstellungskraft, die nötig wären, um die wirkliche Hochtechnologie der dritten Generation von immobilisierenden Waffen zu überwachen, sinnlos - bis es schließlich zu spät ist. Der britische Komiker und Menschenrechtsbeobachter Mark Thomas enthüllte, wie groß diese Schlupflöcher sind, als er aufzeigte, dass in diesem Land sogar Kinder in der Lage sind, einen "After School Arms Club" aufzumachen und erfolgreich verbotene Waffen in Embargo-Staaten zu verkaufen(24).

Die EU-Regulierungen sind notwendig, aber sie sind wirkungslos, wenn es um Neuerungen geht die Systeme betreffen, die Willfährigkeit mittels Schmerz erzeugen. Niemand nennt diese Produkte Foltertechnologie. Stattdessen haben wir einen kieferverrenkenden Orwell'schen Euphemismus: "elektromuscular disruption technology" (EMDT). Wenn wir dieses grässliche mittelalterliche Zeug nicht unter Kontrolle bekommen, werden wir alle uns an den Grenzen oder auf den Straßen bei zukünftigen "military operations other than war" (MOOTW) steuerbaren, hochentwickelten, immobilisierenden und ganzen Menschenmengen Schmerzen induzierenden Systemen gegenübersehen. Wären diese Waffen wirklich legal und harmlos - frag' doch einen Anwalt, welche Strafe du zu erwarten hast, wenn du damit auf einen höheren Politiker schießen würdest ... Ich denke, er würde von "versuchtem Mord" ausgehen, nicht von einfacher Körperverletzung.

Bevor er 2005 aus dem Amt schied, verlieh der Sonderberichterstatter seinen Bedenken darüber Ausdruck, dass international neue Produkte vermarktet würden, bei denen praktisch ein substantielles Risiko des Missbrauchs oder ungewollten Verletzung besteht, und er gab zu bedenken, dass "die Wirkungen dieser Produkte Gegenstand von strengen Untersuchungen durch Medizin-, Wissenschafts- und Rechtsexperten hätten sein müssen, die völlig unabhängig sind von den Herstellern, Händlern und Sicherheitsbehörden, die diese Produkte bewerben, und deren Vorgehensweisen und Schlüsse transparent hätten sein müssen und die sich in öffentlich zugänglicher wissenschaftlicher Literatur einer Überprüfung stellen müssten."(26)

Diese Vorschläge sind von der Praxis weit entfernt. Stattdessen wurden Delegierte der "Non-Lethal Defence IV"-Konferenz(26) (März 2005) von einem Repräsentanten des Büros für Öffentlichkeitsarbeit des Secretary of Defence angewiesen, ihren Kritikern doch entgegenzutreten, anstatt sie mit Informationen zu versorgen(27). Taser war so ein Fall, deren Börsenkurs geriet ins Schlingern, nachdem Amnesty International darauf hinwies, ihr Produkt sei in Nordamerika an 70 Todesfällen beteiligt (Amnesty, 2004). Im März verklagte Taser zwei Forensiker, die Sicherheitsbedenken geäußert hatten. Laut "Guardian" weisen die beiden Verklagten darauf hin, sie hätten berechtigte technische Argumentationen geliefert, und "die Firma nutze das Gericht, um Andersdenkende zu ersticken"(28). Selbst wenn die Firma hier nicht erfolgreich sein sollte, ist das ein besorgniserregender Fall, denn es stellt den Einstieg dar in eine Vorgehensweise, die in Zukunft helfen könnte, die Kritiker der hier diskutierten komplexen Technologien zum Schweigen zu bringen. Unabhängig von der Phrasendrescherei besteht eine enorme Empfindlichkeit gegenüber gut informierten Herausforderern, die die Ethik dieser Systeme in Frage stellen. Eine der Schlüsselpersonen bei der Einführung fortgeschrittener paralysierender Systeme konnte sich neulich nicht beherrschen und reagierte überaus wütend auf das Editorial der März-Ausgabe des New Scientist über neue Schmerzwaffen und Folter(29). Das Podium mit einer zusammengerollten Ausgabe des New Scientist prügelnd wies sie albernerweise darauf hin, dass man auch damit Menschen verletzen oder sie unter Verwendung von Vaseline als Folterinstrument nutzen könne. "Vielleicht sollten wir den New Scientist verbieten?"(30)

Der UN-Sonderberichterstatter formulierte Vorahnungen, "dass eine Reihe von Ländern Ausrüstungsgegenstände zum Zwecke der Kontrolle von Menschenmengen durch Sicherheitskräfte entwickeln. Diese Ausrüstung beinhaltet einen weiten Bereich neuer Technologien, der als nicht-tödliche Waffen bezeichnet wird, einschließlich Gerätschaften, die Sounds mit hohen Dezibelwerten und Mikrowellen verbreiten ... Diese Technologien haben das Potenzial für Folter und Misshandlung, inklusive der Massenbestrafung, wenn sie missbraucht werden. Und deshalb sollten Forschungen über ihre Auswirkungen auf Menschen, strenge Unterweisungen und Handelsbeschränkungen erwogen werden.(31) Darauf, dass das Recht schritthält mit aufblühenden technologischen Neuerungen, können wir eventuell noch eine Weile warten.


Algorhythmische Grenzkontrollen

Ältere Foltermethoden beruhten auf Techniken, die Folter nur auf einer Eins-zu-eins beziehungsweise einer Mehrere-zu-eins-Basis ermöglichten.

Weiterentwickelte schmerzinduzierende Technologien sind in der Lage, auf einer Eins-zu-Mehrere-Basis zu paralysieren und haben das Potenzial, Folter dadurch zu industrialisieren, dass sie durch Nutzung semi-automatisierter Netzwerke das Recht, Protest unbeschadet zu überstehen, untergraben.

In diesem Kontext meinen "Algorhythmische Systeme" eine Kombination aus einem elektronischen Nervensystem, einer wie auch immer gearteten Recheneinheit und angebundenen schmerzerzeugenden Gerätschaften. Diese algorhythmischen Systeme sind semi-intelligent und haben Möglichkeiten, unabhängig Entscheidungen zu treffen. Ein gutes Beispiel für ein tödliches zeitgenössisches System dieser Art ist das so genannte "sich-selbst-heilende Minenfeld" ("self-healing Minefield", Anm.d.Ü.). Dieses Minenfeld nutzt neurale Netzwerktechnologie zum Überwachen von Breschen - folglich die eigene Verletzbarkeit -, und ob es Lücken durch früheres Eindringen gibt. Jede Mine besitzt einen kolbenartigen Fuß. Die Minen kommunizieren miteinander und können hüpfen, um eventuelle Lücken zu schließen(32). Diese Innovation wird von DARPA durch kommerzielle Verträge mit diversen US-Rüstungfirmen unterstützt, darunter unter anderem Alliant Tech Systems, Inc., Sandia National Laboratories, SAIC, Foster-Miller und ITT Industries & Quantum Magnetics Inc.

Metal Storm Systems, um die es weiter unten gehen wird, tendieren zu solchen quasi-intelligenten Funktionen, doch wir sollten unsere Aufmerksamkeit auf die rasanten Entwicklungen sowohl bei den Dronen ("unmanned aerial vehicles", UAV) als auch bei den Roboter-Soldaten konzentrieren. Das JNLWD hat bereits unbemannte Fahrzeuge als den passenden Ort für immobilisierende Waffen verkündet. Im Irak sehen wir bereits eine zunehmende Nutzung von Dronen und Robotern, und für riskantere Unternehmungen können wir den Einsatz von Warbots annehmen(33). Foster-Miller in Massachussets hat bereits den Talon-Roboter im Feldversuch, der entweder mit dem M240 oder M249 Maschinengewehr oder einer weniger-tödlichen Alternative ausgestattet ist. Oder beidem. Diese Einheit ist ferngesteuert, nicht automatisch, doch Experten halten das für durchaus möglich, sollten thermische Zielerkennung und automatische Navigationssysteme hinzugefügt werden. Die SWORDS-Version arbeitet bereits mit Scharfschützen-Funktionen(34) Solche Warbots könnten Fiaskos, wie sie durch friendly fire entstehen, zwar vorbeugen, doch in Operationen gegen Zivilisten ... wer stellt einen Roboter vor Gericht, wenn es dabei zu Menschenrechtsverletzungen oder extra-legalen Hinrichtungen kam?


Wie auf Erden also auch im Himmel

Nach dem 11.9. wurden riesige Budgets für diese Art von Waffentechnik bereitgestellt, zum Beispiel wurden allein 2004 3,2 Millionen Dollar an MRC (Microwace Radio Communications Industry) vergeben, und einige der Verträge beinhalten sowohl tödliche als auch nicht-tödliche Anwendungen. Diese Arbeiten wurden institutionalisiert und mit Neuerungen versehen. Bei der "FPED V Exhibition" 2005 im Hauptquartier des US Marine Corps und der JNLWD in Quantico gab es opferaktivierte Taser-Minen zu bewundern, die ihre Opfer bis zu eine Stunde lähmen. "Metal Storm" waren auch da, nach einem erfolgreichen Test ihrer Mörsersysteme im März 2005 jetzt DARPA-gefördert.

Beide Firmen haben bereits die Möglichkeiten einer Fernaktivierung erkundet, entweder durch Satellitenobservation oder indem ein automatischer Prozess ferngesteuerter Zielerkennung und Reaktion genutzt wird. "Metal Storm" hat es fertiggebracht, virtuelle Minenfelder zu entwickeln, die sich im Datenspeicher eines erdumkreisenden Satelliten befinden. Jeder, der diese Gebiete durchquert, wird durch satellitengestützte Kameras entdeckt - was wiederum einen Angriff auslöst. Dieses Unternehmen ist hoch innovativ und hat den Durchbruch mit mechanischen Feuerwaffen geschafft, Feuerwaffen, die mit einer Feuergeschwindigkeit im Pixelbereich aufwarten können. In der Presse ist die Rede von Feuergeschwindigkeiten zwischen 500.000 und 1.000.000 Schuss pro Minute. Kürzlich erhielten sie von DARPA einen Vertrag, der die Entwicklung von sub-lethalen Systemen vorsieht.


Die fünf R des Widerstands

Leider haben wir das Prototyp-Stadium in der Entwicklung opferaktivierter Systeme schon hinter uns gelassen; einige beruhen auf implementierten nicht-menschlichen Algorhythmen, die menschenrechtsfreie Zonen verwehrten Zutritts schaffen, andere sind unsichtbare Waffen, entwickelt um Gruppenparalyse zu erzeugen, Willfährigkeit durch Schmerzzufügung zu erreichen oder ganze Abschnitte durch Massenimmobilisation zu verriegeln. Die Lektion aus der Besetzung des Moskauer Theaters, wo der falsche Einsatz eines Fentanyl-Derivats über 169 Geiseln getötet hat, ist nicht gelernt worden. Die russischen Behörden haben zwischenzeitlich weitere, ähnliche Gase waffenfähig gemacht und auch bereits wieder eingesetzt(35). Auf dem 3. Symposium über nicht-tödliche Waffen im Mai 2005 priesen tschechische Mediziner vom Institut für klinische und experimentelle Medizin in Prag ihre Fähigkeiten als Anästhesisten, neue "beruhigende" Waffen zu entwickeln(36).

Es wäre ermutigend, jedoch völlig nutzlos, wollte man glauben, dass die Pugwash-Mission eines Ethik-Codex' für Wissenschaftler solchen wissenschaftlichen Unverantwortbarkeiten vorbeugen könnte(37). Auch der Ruf der Royal Society nach globaler Kooperation, um durch einen Verhaltenscodex dem Missbrauch von Wissenschaft vorzubeugen, wird wirkungslos bleiben(38). Idealerweise sollten Forscher, wenn sie wissentlich Geräte oder Ausrüstungsgegenstände ("tools of punishment") entwickeln, die internationale Menschenrechtsstandards verletzen, beruflichen Sanktionen und strafrechtlicher Verfolgung gegenüberstehen. Tatsächlich erhalten sie dicke Verträge. Eine der großen Sorgen sind die gegenwärtigen Neigungen der USA, ihre etwas hässlicheren Forschungen und Hilfsprogramme dorthin zu verlagern, wo selbst kleinste Bemerkungen über Verantwortlichkeit Kritiker bereits der Gefahr der Sonderbehandlung aussetzen.

Wohin führt uns das? Bequem wäre es zu glauben, dass aus dem rasanten Klimawandel sich ergebende Konflikte technisch gelöst werden können. Am Bequemsten wäre es zu glauben, dass die Lösung dieser Fragen vom US-amerikanischen "Krieg gegen den Terror" getrennt werden könnte und dass das eine vorübergehende Phase sei. Die Herausforderung für uns alle aber ist, dass alle diese Prozesse essentiell verknüpft sind mit dem, was sich zusammengefasst als gigantisches Wachstumsprogramm bezeichnen ließe. Wir wissen, dass solche Programme sich zunehmend militarisieren und dass nur geringer politischer Wille besteht, einen solchen Moloch mitsamt seinen Konsequenzen zu vereiteln.

Wenn das ein Kampf David gegen Goliath wird, dann bestehen unsere größten Hoffnungen darin, zusammen mit Hilfe existierender demokratischer Schutzmöglichkeiten und Kontrollen die schnelle Einführung der beängstigerenden Technologien zu verzögern und die Frage nach der Legitimität solcher Systeme zu stellen. Das sollte in dem Bewusstsein geschehen, dass die alleinige Nutzung offizieller Kanäle wahrscheinlich keinen Erfolg bringen wird. Was sollten besorgte Aktivistinnen und Aktivisten tun? Es gibt die ganz eindeutige Notwendigkeit nach neuen Allianzen zwischen so genannten ForschungsaktivistInnen, um durch die organisierte Nutzung ihres gemeinsamen Wissens die neuen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen zur Fehlzündung werden zu lassen. Sollten wir also über die Verbreitung von Counter-Technologien nachdenken, um Menschenmassen das Überwinden von hochtechnologiegeschützten Grenzanlagen zu ermöglichen? Damit habe ich mich auf Grundlage von Theorien der Gewaltfreiheit schon in meinem bereits erwähnten Text "looming struggles"(39) befasst. Das ist eine Perspektive, die auf der Annahme beruht, dass ein Angriff auf friedliche Flüchtlinge sich gegen den Angreifer wenden wird. Verschiedene Vorgehensweisen erleichtern diese Art von politischem Jiu-Jitsu und lassen sich lose als die "fünf Rs" zusammenfassen:

REVEAL: enthüllt die Ungerechtigkeit, verhindert das Vertuschen;
REDEEM: nehmt den Gegner ernst, lasst euch nicht abwerten;
REFRAME: betont die Ungerechtigkeiten, widersetzt euch einer Umdeutung;
REDIRECT: mobilisiert Unterstützung, Vorsicht bei offiziellen Kanälen;
RESIST: steht auf gegen Einschüchterung und Bestechungsversuche.

Natürlich gibt es viele Methoden, die die Repressionstechnokraten und ihre Apologeten nutzen werden, um solch politisches Jiu-Jitsu zu behindern. Aber ohne einen neuen Denkansatz werden die meisten Gegenmaßnahmen gegen Grenzkontrolltechnologien mal eben auf die Schnelle hervorgeholt und damit amateurhaft bleiben. In Zeiten eines rasanten Klimawandels werden mehr von uns zum Verlassen ihrer Wohnorte gezwungen werden, als wir uns gegenwärtig vorstellen können. Und die Frage ist einfach: Sollten wir uns Gedanken machen darüber, wie wir Voraussetzungen schaffen, die die Grenzen durchlässiger werden lassen, oder über Maßnahmen, die sie weiter befestigen?


Anmerkungen

(1) Independent Online 7.12.2005; http://news.independent.co.uk/environment/article331621.ece (letzter Zugriff 2.4.06)

(2) http://www.terradaily.com/reports/British_Defense_Secretary_Warns_Of_Looming_Water_Wars.html (letzter Zugriff 2.4.06)

(3) R. Norton-Taylor, "International laws hinder UK troops - Reid; Guardian, 4.4.2006, S. 1

(4) "Migrants made to cross Sahara army mine-field'; The Observer, 23.10.2005

(5) Zweites Europäisches Symposium über Nicht-Tödliche Waffen, 13.-14. Mai 2003 in Ettlingen, organisiert vom Fraunhofer Institut für Chemische Technologie

(6) http://www.nationalacademies.org/news.nsf/isbn/0309073499?OpenDocument (letzter Zugriff 28.03.06)

(7 ) http://www.nationalacademies.org/news.nsf/isbn/s0309073499?OpenDocument (letzter Zugriff 2.4.06)

(8) So haben zum Beispiel zwei US-Studenten eine Firma gegründet, USMechatronics, um eine auf einem Collegeprojekt basierende menschensuchende Pistole zu vermarkten.
Siehe http://www.technovelgy.com/ct/Science-Fiction-News-Comments.asp ?NewsNum=502 (zuletzt besucht 2.4.06)

(9) In "looming struggles over technology for border control; http://www.imresearch.org/RIPs/2005/RIP2005-3.pdf (zuletzt besucht 28.3.2006)

(10) Solche Programme unterstützen zuerst die Entwicklung bestimmter Technologien, dann deren Einsatzmöglichkeiten (siehe auch: D. Murphy, 2002, Taser Anti-Personnel Munition; http://dtic.mil/ndia/2002mines/murphy.pdf) (zuletzt besucht 2.4.06)

(11) Deiming et. al., "Infrapulse Generator: An Effective Non-lethal Weapon"; ein Papier, präsentiert auf der Konferenz über 'Nicht-tödliche Waffen: Neue Optionen für die Zukunft', Ettlingen, Deutschland, 25. u. 26. September 2001, Fraunhofer Institut für Chemische Technologie.

(12) Ionatron Directed Energy Technologies, Broschüre 2006, in der zugegeben wird, dass "die Spezifikationen dieser Technologie geheim bleiben werden"; www.ionatron.com

(13) Hambling, "Star Wars Hits the Streets" 176 New Scientist 42-45, 12.10.02; für eine überarbeitete Fassung siehe auch: D. Hambling, "Stun Weapons to Target Crowds", 182 New Scientist 24, 19.6.04.

(14) Für eine detailliertere Erörterung siehe: M. Dando, "Future Incapacitating Chemical Agents: The lmpact of genomics" in N. Lewer, S. 167-181, 2002.

(15) http://www.mindfully.org/Technology/2003/
Electric-Shock-Weapons21mayo3.htm

(16) http://www.newscientist.com/article.ns?id=dn6014

(17) http://www.newscientist.com/article.ns?id=mg17623645.300

(18) Office of Naval Research (2004) - Sensory Consequences of electromagnetic pulses emitted by laser induced plasmas (Contract No. M67854-04-C-5074); http://thememoryhole.org/milweapons/navy-ufl.pep_contract.pdf
http://www.newscientist.com/article/ dn16339-us-police-could-get-pain-beam-weapons.html

(19) Ein exzellenter, detalreicher Diskussionbeitrag hierzu: D.P. Fiddler, "Non-Lethal Weapons and International Law"; Medicine, Conflict & Survival, Vol. 17, No.3, July/September 2001, S. 194-2006.

(20) R. Coupland; "Criteria for Judging Excessively Harmful Weapons and Weapons Which Cause Superflous Injury and Unnecessary Suffering", SIrUS Project, ICRC Health Division, Genf 1997

(21) Das IKRK beschäftigt sich in aller Tiefe mit den rechtlichen Aspekten neuer Waffensysteme und der Art und Methoden der Kriegsführung, insbesondere gemessen an Artikel 36. Ein kleines Beispiel dafür, wie diese Herausforderungen zu handhaben sein könnten, geben die Taser-Minen: Taser-Minen enthalten keine Explosivstoffe, und fallen deshalb nicht unter das Abkommen von Ottawa. Sie werden jedoch vom Zusatzprotokoll zum Abkommen vom Mai 1996 abgedeckt, das sich mit dem Verbot von Sprengfallen befasst.

(22) European Scrutiny Committee, "Trade in Products used for capital punishment, torture etc."; ESC, 11th Report, 2004-2005

(23) Bericht des UN-Sonderberichterstatters Theo van Boven, Item 11a, E/CN.4/2005/62, 15.12.2004

(24) Gesendet auf Channel4, 3.4.2006. Die Kids traten als Broker auf und schlossen erfolgreich Deals über Waffen und Folterwerkzeugen ab, obwohl die angegebenen Destinationen angeblich unter das Embargo fielen. (Siehe auch Thomas, 2006)

(25) Bericht des UN-Sonderberichterstatters Theo van Boven, Item 11a, E/CN.412005/62, 15.12.2004

(26) http://www.dtic.mil/ndia/2005nonlethdef/2005nonlethdef.html

(27) http://www.bradford.ac.uk/acad/nlw/research_reports/docs/BNLWRPRResearchReportNo7_May05.pdf

(28) J. Anderson, "Stun gun makers sue experts over safety criticism" Guardian, 9.3.2006

(29) http://www.newscientist.com/channel/mech-tech/mg18524894.500

(30) Col. John Alexander während des "3. Symposiums über nicht-tödliche Waffen", Mai 2005 in Ettlingen.

(31) Bericht des UN-Sonderberichterstatters Theo van Boven, Item 11a, E/CN.4/2005/62, 15.12.2004

(32) http://www.darpa.mil/ato/programs/SHM/proginfo.html

(33) http://www.physorg.com/news/62940690.html

(34) http://web.mit.edu/ssp/seminars/wed_archives_05spring/ machak-platt.htm

(35) In Nalchik sind Berichten zufolge (Nachrichten 15.10.05) nach einer Militäroperation zur Befreiung von Geiseln mehr als Hundert Opfer in Krankenhäuser eingewiesen worden. (http://kavkaz-uzel.ru/printnews/news/id).

(36) J. Schreiberova, J. Fusek, H. Kralove: "Pharmacological non-lethal weapons"; ein Papier, präsentiert auf dem 3. Symposium über nicht-tödliche Waffen, Ettlingen, Mai 2005

(37) Beispiel: http://onlineethics.org

(38) Presseveröffentlichung der Royal Society, "Global Cooperation needed To prevent Misuse of Science"; 09.06.2006

(39) "looming struggles over technology for border control"; http://www.imresearch.org/RIPs/2005/RIP2005-3.pdf (zuletzt besucht 28.3.2006)


"Embedded Art - Art in the Name of Security"
Published by argobooks, Berlin, Germany;
www.argobooks.de, www.adk/embedded_art
182 Seiten, 30,- Euro, Format 21 x 26,5 cm, Softcover;
ISBN 978-3-941560-09-3


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S.36: US-Soldaten im vom Wirbelsturm "Katrina" zerstörten New Orleans 2005.
Abb. S.37: Grenze zwischen den USA und Mexiko.
Abb. S.38: Kein Durchkommen: Simbabwische Flüchtlinge an der Grenze zu Südafrika.
Abb. S.39: Dicht gemacht: Die Grenze zwischen den USA und Mexiko.
Abb. S.40: Ferngesteuerte Drohne zur Grenzüberwachung. Abb. S.41: Von "Star Trek" inspiriert: das PHaSR - eine Blendwaffe, die Menschen orientierungslos machen soll (oben). Schon länger im Einsatz sind die Predator-Drohnen (unten).
Abb. S.42: Das "Laser Area Defense System" (LADS) - eine Laser-Selbstschussanlage.
Abb. S.43: Der Tactical High Energy Laser (THEL): Produktion eingestellt wegen zu hoher Kosten und zu geringer Effizienz.


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INTERNATIONALES

Festung Europa auf High-Tech-Niveau

Auf dem Weg zur europaweiten biometrischen Zentraldatei

Kolumne von Ulla Jelpke

Die Abschottungsmethoden der Europäischen Union (EU) und der Bundesrepublik Deutschland werden immer mehr perfektioniert. Während nordafrikanische Staaten zu Grenzschutzdiensten herangezogen werden, um afrikanische Flüchtlinge noch vor der Überquerung des Meeres nach Europa in Lager zu sperren und die EU-Grenzagentur Frontex Flüchtlingsboote kapert, sollen gigantische Datenbanken auch die legale Einreise europaweit erfassen. Jeder Urlauber und jeder Einlader steht damit unter terroristischem oder kriminellem Generalverdacht.

Hier sei an erster Stelle das Visa-Informationssystem (VIS) als größte grenzüberschreitende Datenbank in Europa genannt. Das VIS enthält alle Daten von jedem Besuchs- oder Transit-Visa-Antrag in jedem EU-Mitgliedsstaat, unabhängig davon, ob der Antrag erfolgreich war oder zurückgewiesen wurde. Nicht nur der Stand des Visaverfahrens und die Entscheidung der Visabehörde werden dokumentiert, sondern auch biometrische Daten, digitalisierte Fotografien und Fingerabdrücke. Jedes Jahr sollen 20 Millionen neue Datensätze dazukommen und für fünf Jahre gespeichert bleiben. Mit der Speicherung von Informationen von rund 70 Millionen Menschen wird das VIS die größte biometrische Datenbank der Welt werden. Ab Mai 2009 sollen die ersten Fingerabdrucklesegeräte in Konsulaten in Nordafrika installiert werden. Bis Mitte 2011 sollen weitere Auslandsvertretungen an das System angeschlossen sein, so dass die biometrische Datenspeicherung im VIS ab 2012 lückenlos sein soll.

Das VIS soll so genanntes Visa-Shopping verhindern. Antragstellern soll es so unmöglich gemacht werden, wenn sie aufgrund der besonders restriktiven Visavergabepraxis eines EU-Landes gescheitert sind, für ein anderes Land erneut einen Visa-Antrag zu stellen. Doch auch zur Fahndung ausgeschriebene Personen sollen so schneller identifiziert und Abschiebungen "Illegaler" erleichtert werden. Dafür wird das VIS mit dem Schengener Informationssystem (SIS), das Daten von zur Fahndung ausgeschriebenen Personen enthält, verknüpft." Das VIS wird durch den europaweiten Datenaustausch über Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt dazu beitragen, Bedrohungen der inneren Sicherheit vorzubeugen, Visumbetrug zu verhindern, Kontrollen an den Außengrenzen und im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten zu erleichtern sowie die Identifizierung und Rückführung illegaler Einwanderer zu ermöglichen", heißt es dazu vom Auswärtigen Amt. Im Februar und März 2009 stimmten Bundestag und Bundesrat mit den Stimmen der Regierungskoalition einem Gesetzentwurf zur nationalen Umsetzung von EU-Recht zu, wonach deutsche Polizei- und Justizbehörden sowie Geheimdienste Zugriff zum VIS erhalten. Die Dateneinsicht ist zur "Verhütung, Aufdeckung und Ermittlung terroristischer und sonstiger schwerwiegender Straftaten im Einzelfall" zulässig.

Hier wird ein monströses Datensystem mit höchst sensiblen Daten geschaffen, dessen vorrangiger Zweck die Absicherung der "Festung Europa" auf High-Tech-Niveau ist. Wir haben es hier aber auch mit einem geradezu universellen Datenschutzproblem zu tun. Es werden immer mehr gemeinsam genutzte Datenbanken mit immer mehr Inhalt geschaffen. Systeme wie das Schengener Informationssystem und demnächst eben auch das VIS werden immer weiter miteinander verknüpft. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Behörden, denen der Zugriff erlaubt ist, immer weiter zu. Ursprünglich sollten nur die Grenzpolizeien sowie die Botschaften und Ausländerbehörden Zugriff auf das VIS bekommen. Nunmehr wird der Kreis der Zugriffsberechtigten auf die Sicherheitsbehörden im Inland einschließlich der Geheimdienste erweitert. Der frühere Zweck der Grenzkontrolle wird ergänzt durch den Zweck der "Prävention, Aufdeckung und Untersuchung" schwerer Straftaten. Die eigentlich datenschutzrechtlich verankerte Zweckbindung der erhobenen Daten wird so mehr und mehr ignoriert. Dazu kommt: Es findet kaum noch eine Kontrolle und unabhängige Auswertung der bestehenden Systeme statt. Die Datenschutzbeauftragten haben lediglich beratende Funktion.


Flüchtlinge als Versuchskaninchen

Das erste Opfer dieses Datenerfassungswahns sind zweifellos Flüchtlinge und Migranten. Schließlich dienen diese Systeme explizit dem Ziel, Migrationsströme in die EU zu verhindern und nur diejenigen Migranten durchzulassen, an denen ein wirtschaftliches Interesse besteht. So besteht bereits seit 2003 die europaweite Fingerabdruckdatei EURODAC, in der die Fingerabdrücke aller Asylsuchenden und an den EU-Außengrenzen aufgegriffenen "Illegalen" ab dem 14. Lebensjahr zentral in Luxemburg gespeichert werden. Doch machen wir uns nichts vor: Migranten als eine ohnehin weitgehend rechtlose Menschengruppe ohne Lobby sind nur das Versuchskaninchen für die neuen Überwachungstechnologien. Im nächsten Schritt werden diese Systeme auf andere Gruppen ausgeweitet - wie jetzt mit dem VIS schon auf Kurzbesucher.

Der nächste geplante Schritt in der Bundesrepublik ist die so genannte Visa-Warndatei, mit der Weltoffenheit unter Generalverdacht gestellt wird. Betroffen sind hier schon EU-Bürgerinnen und -bürger. Gespeichert werden sollen nach dem Willen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Daten aller Bürgerinnen und Bürger, die Freunde, Bekannte oder Verwandte aus dem Ausland einladen oder für sie bürgen - und das für mindestens drei Jahre. Durch die Datei entstünden jährlich hunderttausende neue Datensätze. Wer nur im Verdacht steht, ein Urlaubsvisum für eine unerlaubte Beschäftigung genutzt zu haben oder einen abgelehnten Asylantrag gestellt hat, von dem werden so genannte Warndaten aufgenommen und dort für mindestens fünf Jahre gespeichert. Die Betroffenen erfahren dabei unter Umständen niemals, dass ihre Daten gespeichert wurden und welche Auswirkungen die Speicherung hat. So müssen künftig Flüchtlinge, deren Asylbegehren abgelehnt wurde, damit rechnen, kein Visum für Verwandte aus dem Ausland zu erhalten. Die Visa-Warndatei soll zur Bekämpfung von Schleusern und Menschenhändlern dienen. Nicht zuletzt sollen so nicht weiter klassifizierte "Terrorverdächtige" herausgefiltert werden. In letzter Minute scheiterte dieses Vorhaben der großen Koalition am Einspruch von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Die SPD hatte nach einer "erheblichen Anzahl von Beschwerden" von Sportvereinen, Gewerkschaften und Kirchen, die sich unter Generalverdacht gestellt sahen, zuletzt doch Muffensausen bekommen. Einen Kompromissvorschlag, nur noch so genannte Vieleinlader, nicht jedoch diese Verbände zu erfassen, lehnte Schäuble ab. Dass die Visa-Warndatei noch in dieser Legislaturperiode beschlossen wird, ist damit unwahrscheinlich. Die Unionsparteien werden dieses Projekt nach der Bundestagswahl wieder forcieren.

Wenn jetzt der Widerstand gegen die systematische Erfassung von Drittstaatenangehörigen in solchen Datei-Systemen nicht fortgesetzt wird, droht am Ende eine biometrische Zentraldatei für alle EU-Bürgerinnen und -bürger. Hier kann ich nur warnen: Wehret den Anfängen! Stoppt den Datenerfassungswahn!

Wir wollen ein Europa, das auch offen ist nach Süden und Osten. Wir wollen ein Europa der internationalen Freizügigkeit - für Menschen und nicht nur für ihre Daten.


Die Autorin ist innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

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INTERNATIONALES

Der NATO-Gipfel der Repression

Bundesvorstand der Roten Hilfe

Beim grenzüberschreitenden Versuch der staatlichen Repressionsorgane, den NATO-Jubiläums-Gipfel in Strasbourg und Baden-Baden weiträumig und total von den zahlreichen Linken KritikerInnen abzuschotten, ist es mehrere Tage lang zur behördlich koordinierten Außerkraftsetzung rechtsstaatlicher Schutzstandards und bürgerlicher Freiheitsrechte gekommen. Bereits im Vorfeld des Anfang April stattfindenden Gipfels wurden bundesweit Meldeauflagen erteilt, Hausdurchsuchungen durchgeführt und vermehrt Anwerbeversuche des Verfassungsschutzes gestartet. Zahllose Aus- und Einreiseverbote, rigide Kontrollen an Raststätten oder Bahnhöfen und permanente Polizeiangriffe auf das Widerstandscamp in Strasbourg sollten dann ein Übriges tun.

Und nachdem es im Rahmen der linken Proteste gegen den NATO-Gipfel, an dem schließlich fast 30 RegierungsvertreterInnen aus aller Welt teilgenommen haben, bereits am Rande der Demonstration "Make Militarism History" in Freiburg am 30. März zu massiven staatlichen Repressionsmaßnahmen in Form von schikanösen Kontrollen, kurzzeitigen Ingewahrsamnahmen und martialischer Polizeipräsenz gekommen war, setzte sich das behördliche Bemühen, jeglichen Protest gegen das 60 Jahre alte Militärbündnis bereits im Keim zu ersticken, in den Tagen darauf fort.

Angesichts des "größten Polizeieinsatzes in der Geschichte des Landes Baden-Württemberg" (Innenminister Heribert Rech) und aufgrund juristischer Schikanen, umfangreicher Vorkontrollen und rigoroser Grenzschließungen konnte die linke Bündnisdemonstration am 3. April in Baden-Baden so klein gehalten werden, dass der Wanderkessel, in den sie von den Einsatzbehörden vor Ort verwandelt wurde, nur noch das "Tüpfelchen auf dem I" war. Aber selbst als es fast 7000 Menschen gelang, sich am 4. April zu einer Anti-NATO-Demonstration in Kehl zusammenzufinden, um gemeinsam über den Rhein nach Strasbourg zu ziehen und sich dort den etwa 20.000 DemonstrantInnen anzuschließen, sollte es zu einer Behinderung und Unterbindung von politischem Protest seitens der Behörden kommen. Die Brücke über den Rhein wurde einfach gesperrt, weil es dieser Demo laut Polizei nicht zugemutet werden konnte, "direkt ins brennende Strasbourg zu laufen".

In Strasbourg selbst war es ab den frühen Morgenstunden dieses Samstags immer wieder zu einer direkten Umsetzung der Sarkozyschen "Hochdruckreinigungspolitik" gekommen, die in diesem Falle darin bestand, linke Versammlungen jeglicher Couleur mit Tränengas, Schockgranaten, Gummigeschossen, Pfefferspray, Hubschraubern und Wasserwerfern anzugreifen. Während der Einsatz von Gas im Krieg verboten ist, wird es staatlicherseits gegen politische AktivistInnen ebenso benutzt wie andere gefährliche Waffen: Die tennisballgroßen Gummigeschosse sind sehr schmerzhaft und verursachen große Hämatome. Indem die französische Polizei diese gezielt auf Augenhöhe abschoss, nahm sie den möglichen Verlust des Augenlichts bei DemonstrantInnen billigend in Kauf. Schockgranaten, die die Einsatzkräfte in großen Mengen und zeitweilig fast im Sekundentakt abfeuerten, zielen darauf ab, in größeren Menschenansammlungen Massenpanik und Orientierungsverlust auszulösen.

Viele KriegsgegnerInnen erlitten Langzeithörschäden durch die ohrenbetäubenden Explosionen oder Splitterwunden im Gesicht und am Körper durch herumfliegende Aluminiumfragmente der Granaten. Viele "OrdnungshüterInnen" griffen auch zu unkonventionelleren Waffen, indem sie beispielsweise den Protestzug von einem Bahndamm aus mit Steinen angriffen. Daneben wurden auch an verschiedenen Orten polizeiliche "agents provocateurs" dabei beobachtet, wie sie in "Black-Bloc"-Kleidung die Auseinandersetzungen anheizten und sich danach an der brutalen Festnahme von linken DemonstrantInnen beteiligten. Die Polizei agierte während der Proteste völlig entfesselt und sah in jeder Aktivistin, in jedem Aktivisten eine Terroristin, einen Terroristen "ultralinker und anarcho-autonomer Couleur".

Schließlich wurde ein großer Teil der DemonstrationsteilnehmerInnen auf einer Insel im Osten der Stadt zusammengepfercht und dort mit sämtlichen polizeilichen Mitteln so lange terrorisiert, bis die Situation eskalierte.

Am Ende der Anti-NATO-Proteste waren fast 300 Menschen in Gewahrsam genommen und zahlreiche Personen schwer verletzt worden. Tausende wurden durch die Polizei - zumeist durch die massiven Tränengaseinsätze - verletzt. Eine Vielzahl von AktivistInnen wurde mit Verfahren überzogen. Auf französischer Seite gab es bereits erste Schnellverfahren und Urteile. So wurden zwei deutsche Staatsbürger am 06. April 2009 in Schnellverfahren, bei denen es keine Beweisaufnahme gab, jeweils zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung und fünf Jahren Einreiseverbot verurteilt. Ein anderer Deutscher hat drei Monate auf Bewährung bei ebenfalls fünf Jahren Einreiseverbot nach Frankreich aufgebrummt bekommen. Gegen neun weitere Gefangene, die die Schnellverfahren abgelehnt haben, wird es in den nächsten Wochen Prozesse geben.

Die Rote Hilfe hofft weiterhin, dass das Kalkül der staatlichen Repressionsorgane, mit solchen drakonischen Maßnahmen die Einschüchterung für zukünftige Mobilisierungen zu verschärfen und permanent einen unerträglichen "rechtswidrigen Überwachungsdruck" aufzubauen, der politisches Handeln lähmen soll, nicht aufgehen wird. Repressionstechnisch steht hinter diesem martialischen Vorgehen letztendlich die möglichst lückenlose Behinderung und Unterbindung von politischem Protest - Protest, der legitim ist in all seinen Ausdrucksformen.

Die Rote Hilfe wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um dem Abbau des Demonstrationsrechts und der Versammlungsfreiheit und der Einschränkung der Bewegungsfreiheit etwas entgegenzusetzen.

Solidarität mit den verhafteten GenossInnen!

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INTERNATIONALES

Nach dem Nato-Gipfel: Solidarität mit den Gefangenen!

Soli Gruppe Freiburg und Bundesvorstand der Roten Hilfe

Während der Proteste gegen die Nato-Kriegspolitik vom 3. bis 5. April kam es in Strasbourg zu massiven Übergriffen durch die Polizei. Etwa 500 Menschen wurden von der Polizei mitgenommen und zum Teil einer bis zu vierstündigen Identitätsfeststellung unterzogen oder in Gewahrsam genommen und in der Regel nach 48 Stunden wieder freigelassen. Eine Person wurde von der französischen Polizei sogar während einer ärztlichen Untersuchung im Krankenhaus festgenommen.

Aber nicht alle Nato-GegnerInnen sind wieder auf freiem Fuß. Bereits am 6. April wurden in Schnellverfahren gegen sieben Personen Strafen zwischen drei und zwölf Monaten verhängt. Davon sind drei zur Bewährung ausgesetzt, außerdem wurden Einreiseverbote für Frankreich ausgesprochen. Bei diesen Schnellverfahren handelt es sich um eine inquisitorische Politik gegenüber kritischen Personen, die exemplarisch für die Nato-GegnerInnen verurteilt werden. Sie sind Symbol einer Eskalationsstrategie der französischen Polizei, die mit ihren völlig überzogenen Einsätzen die bürgerkriegsähnliche Situation in Strasbourg massiv provoziert hat. Die DemonstrantInnen werden von den Herrschenden nun mit völlig überzogenen Methoden kriminalisiert, um deren Kriegspolitik zu rechtfertigen. Zur Veranschaulichung ein Beispiel: Zwei FranzösInnen bekamen Bewährung, während für den selben Tatvorwurf die deutschen GenossInnen zu sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt worden sind. Ein Genosse ist wieder frei mit der Auflage von drei Monaten Bewährung und einem Einreiseverbot für Frankreich.

Drei Linke aus Tours, denen "Beschaffung brennbaren Materials für den Bau von Brandsätzen" vorgeworfen wurde, wurden am 5. Mai aufgrund formaler Verfahrensfehler freigesprochen und umgehend aus der Haft entlassen. Dennoch müssen sie mit weiteren Repressionsmaßnahmen rechnen.

Mit einem skandalös harten Urteil endete das Verfahren gegen einen Genossen aus Berlin, dem Steinwürfe aus einer Menschenmenge ("violence aggravée"), "rébellion" und Widerstand bei der Festnahme vorgeworfen wurden. Zu der Haftstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung kommen noch ein zweijähriges Einreiseverbot nach Frankreich, eine Geldstrafe wegen Beleidigung und die Kosten für eine unabhängige medizinische Untersuchung des verletzten Polizisten, wobei dieser eventuell noch weitere Schadensersatzansprüche geltend macht.

Am 12. Mai folgten weitere Prozesse.


Wir rufen Euch auf zur Solidarität mit den von Repression Betroffenen und bitten um eure Spenden für die Kosten der Gerichtsverhandlungen.

Konto: Rote Hilfe e.V.
Kto-Nr: 19 11 00 462, BLZ: 440 100 46,
Postbank Dortmund
IBAN: DE75 4401 0046 0191 100462
BIC: PBNKDEFF, Stichwort "NATO"

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INTERNATIONALES

Aufstieg der selbstorganisierten Kämpfe von Gefangenen Europas im Jahr 2008

Anarchist Black Cross Berlin

Wenn wir zurückblickend das vergangene Jahr betrachten, können wir feststellen, dass selbstorganisierte Kämpfe seitens der Gefangenen stark zugenommen haben. In verschiedenen Ländern Europas ist zu beobachten, wie die Unzufriedenheit der Gefangenen zu einer Protestwelle wurde.


Im letzten August hat es den größten selbstorganisierten Kampf von denjenigen, die in deutschen Gefängnissen eingesperrt sind, gegeben. Über 500 Gefangene traten für eine Woche in den Hungerstreik, in Solidarität miteiner Mitgefangenen, Nadine Tribian, die verschiedenen Schikanen seitens der Knastleitung unterworfen war, sowie für bessere Bedingungen in den Knästen. Einen derartig großen und breiten Protest gab schon seit vielen Jahren nicht mehr und er zeigt, dass es auch im Knast möglich und notwendig ist weiterzukämpfen und kämpferische und solidarische Beziehungen gegen die Individualisierung und den Entsolidarisierungsprozess innerhalb der Gesellschaft und ihren Kerkern aufzubauen, anstatt sich der Abstumpfung der Alltäglichkeit der Einsperrung stumm zu unterwerfen.

Die Proteste wurden hauptsächlich von der Iv.I., einem Gefangenenverein, und verschiedenen anarchistischen Gefangenen wie Gabriel Pombo da Silva und Jose Delgado (bekannt als die Aachen4 beziehungsweise 2) getragen. Unterstützung gab es auch von Gefangenen in anderen europäischen Knästen. Die Protestaktion wurde draußen von verschiedenen Seiten auf unterschiedliche Art und Weise unterstützt. Seitens des staatlichen Apparates und der JustizministerInnen wurde der Streik totgeschwiegen.

Im November ging es dann weiter, in den griechischen Knästen wurde ein massiver Hungerstreik organisiert, um gegen die unerträglichen Bedingungen zu protestieren und die Solidarität unter den Gefangenen zu stärken. Über 8.000 Inhaftierte beteiligten sich an den Protesten, wozu erwähnt werden muss, dass die dortigen Knäste etwa 13.000 "Gäste" haben. Durch die hohe Beteiligung und das daraus folgende Zeichen der Stärke kann dieser Protest als extrem erfolgreich bezeichnet werden. Auf der anderen Seite der Mauern trugen solidarische Menschen, vor allem AnarchistInnen, ihre flammende Unterstützung auf die Straße, um die Regierung daran zu erinnern, dass es welche gibt, die den Kampf der Gefangenen zu dem ihren machen.

Diese ganze Situation setzte die Regierung dermaßen unter Druck, dass ein Teil der Forderungen durchgesetzt werden konnte. Gefangene, die aufgrund kleinerer Delikte sitzen, sollen nach einem Drittel ihrer Haft entlassen werden, diejenigen mit ernsthaften Krankheiten kommen unter bestimmten Bedingungen frei. Die Untersuchungshaft soll von 18 Monaten auf zwölf verkürzt werden. Dies alles hat zur Folge, dass demnächst mindestens 1500 Gefangene freikommen werden. Allerdings muss angemerkt werden, dass die Situation für den Großteil der Gefangenen unverändert bleibt. Für sie geht das Leiden weiter und Todesfälle bleiben weiterhin eine dramatische, fast tägliche Realität. Trotzdem haben die große Beteiligung und die vielfältige Unterstützung von draußen gezeigt, dass es möglich ist innerhalb eines Kampfes Teilerfolge zu erzielen. Dies bedeutet aber nicht, dass man sich damit zufrieden geben sollte, wobei auch die Gefangenen wissen, dass der Kampf nicht beendet wurde, sondern nur ein kleines Kapitel davon.

Seit dem 1. Dezember 2008 läuft in italienischen Knästen ein gestaffelter Hungerstreik gegen die lebenslängliche Strafe. In Italien ist es möglich, diese ab dem 26. Jahr zu revidieren, wobei allerdings den meisten Gefangenen diese Möglichkeit nicht zugestanden wird, aufgrund der Schwere ihrer Tat (vor allem bei Vereinigungsdelikten wie bewaffneter Kampf und so weiter) und/oder ihres Unwillens zur Kooperation mit den Behörden. Schon im Jahr davor traten über 700 Gefangene in einen unbefristeten Hungerstreik, allerdings blieb ihre Stimme ungehört und sie brachen nach einigen Wochen die Aktion ab. Dieses Mal wurde wieder die Aktionsform des Hungerstreiks gewählt, außerdem gab es eine gemeinsame Beschwerde an das Europäische Parlament über die rechtswidrige Situation innerhalb der Knäste. Am Eröffnungstag beteiligten sich alle, die sich zur Beteiligung entschlossen haben, jetzt befindet sich wöchentlich jeweils eine andere Region im Streik. Am i6. März, wieder ein Tag an dem sich alle beteiligten, endete der Protest vorerst. Über 1000 der insgesamt 1300 Lebenslänglichen sind involviert und erhalten Unterstützung von ihren Angehörigen und anderen solidarischen Menschen draußen. Auch in Italien wird die Solidarität hauptsächlich von den AnarchistInnen sowie einigen Vereinen getragen. Bis jetzt gab es unter anderem mehrere Kundgebungen vor Knästen. Trotz der Proteste schweigt der Staat, genauso wie die Presse und die "demokratischen" VerteidigerInnen des Rechtsstaates.

Die Proteste in diesen drei Ländern zeigen die Bereitschaft der Gefangenen, wieder kollektive Kämpfe zu organisieren, um sich gegen den Staat zur Wehr zu setzen und kollektive Gefühle zu entwickeln. Wie die Situation in Deutschland und Italien zeigt, lässt sich der Staatsapparat aber ohne einen entschlossenen Druck auf der Straße von den Protesten nicht beeindrucken: in Griechenland wurden gerade deshalb Teilerfolge durchgesetzt und nicht durch eine Skandalisierung durch die Medien oder die "Hilfe" der PolitikerInnen. Es zeigt sich die Notwendigkeit den Druck zu erhöhen und mit den von Knast Betroffenen gemeinsam gegen die Existenz aller Zwangsanstalten vorzugehen. Denn Knast bleibt keine Lösung für soziale Konflikte, die von den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen verursacht werden.


Mehr Infos zu aktuellen Knastkämpfen:

www.abc-berlin.net (deutsch, es gibt auch eine Broschüre über den Hungerstreik in Italien zum Download)
www.anarcores.blogspot.com (english/griechisch)
www.informa-azione.info (italienisch)
www.informacarcere.it (englisch)

Solidarische Grüße an alle kämpfenden Gefangenen!

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INTERNATIONALES

Was machst du, wenn dein Anwalt erschossen wird?

Repression gegen Antifas in Russland

Buvo-Pit

Aleksej Olesinov - unter Freunden nur "Shkobar" genannt - sitzt seit seiner Festnahme am 6. November 2008 in einem Moskauer Knast. Er ist langjähriger engagierter Aktivist der antifaschistischen Bewegung in Russland und in den angrenzenden ehemaligen Sowjetrepubliken.

In der russischen Hauptstadt Moskau ist Aleksej politisch aktiv, vor allem mit der lokalen RASH-Gruppe (Red and Anarchist Skinheads). Er arbeitet an Broschüren mit, beteiligt sich an Aktionen und organisiert auch im subkulturellen Leben viele Konzerte und Veranstaltungen mit.

Aleksej, der sich selber als Sozialist begreift, gehört zu den wenigen AktivistInnen, die die kleinen zersplitterten linken und antifaschistischen Gruppen und Fraktionen zusammen bringen kann, sagen viele seiner engeren MitstreiterInnen. Sie beschreiben ihn zudem als eine der wichtigsten Figuren der linken Bewegung Moskaus.

Es ist nur allzu verständlich, dass Aleksej sowohl in faschistischen Kreisen als auch bei staatlichen Behörden bereits sein einiger Zeit kein Unbekannter mehr ist.

Am Morgen des 10. Oktober 2009 wird Feodor Filatov, ebenfalls antifaschistischer Aktivist und enger Freund Aleksejs, auf dem Weg zur Arbeit von Neonazis erstochen. Viele MitstreiterInnen glauben nun, dass auch Aleksej ganz oben auf der Gegner-Liste der FaschistInnen steht.

Aleksej Olesinov wird dann am 6. November im Moskauer Club "Cult" in eine Schlägerei mit Securities des Veranstaltungsortes, die als faschistisch gelten, verwickelt und kurz danach von der Polizei festgenommen.


Das Propagieren antifaschistischer Ideale und Ideen

Von staatlicher Seite wird der Kampf in dem städtischen Club erst als unpolitischer Kneipenstreit abgehandelt, Aleksej "Hooliganismus" und Körperverletzung vorgeworfen.

AktivistInnen beschreiben aber, dass die Polizei schon kurze Zeit später gegen Aleksej im Zusammenhang mit militanten Angriffen gegen FaschtstInnen ermittelt. Er soll als eine Art Rädelsführer an mehreren Aktionen beteiligt gewesen sein.

Dass Aleksejs Fall politischer Natur und ein klares Statement der Staatsmacht gegen die gesamte Bewegung ist, zeigt sich nun ganz klar. In einer ersten Stellungnahme der russischen Justiz wird Aleksej auch ganz direkt vorgeworfen "antifaschistische Ideale und Ideen propagiert" zu haben. Es wird auch bekannt, dass die Repressionsorgane bereits mehrfach versucht haben von Aleksej Namen und Informationen von anderen AktivistInnen zu erpressen.

Eingeknastet ist Aleksej bis zum heutigen Tag in einem speziellen Teil eines Moskauer Knastes, einem sogenannten "SIZO"-Trakt, in dem vor allem als schwerkriminell geltende Gefängnisinsassen einsitzen. Bekannt sind diese Trakte vor allem auch durch sanitäre Einrichtungen, die sich oftmals in einem erbärmlichen Zustand befinden, sowie durch die unhygienischen und maroden Zustände in den Zellen und Gemeinschaftsräumen. Krankheiten wie Tuberkulose sind in den "SIZO"-Trakten keine Seltenheit.

Relativ schnell ist klar, dass Aleksejs Verteidiger Stanislav Markelov wird. Er ist einer der wenigen Anwälte in Russland, die linke AktivistInnen bei Strafprozessen verteidigen und ist dafür und für seine regierungskritische Haltung bekannt. Er ist bei politischen Fällen wie dem von Aleksej erfahren. Viele rechnen damit, dass Aleksej mit ihm gute Chancen hat, die Situation noch halbwegs gut zu überstehen.

Doch dann kommt alles ganz anders. Am 19. Januar 2009 wird Stanislav Markelov auf offener Straße erschossen. Bei dem Anschlag stirbt auch die Journalistin der "Nowaja Gasteta", Anastassija Baburowa.

Aleksej steht nun ohne seinen Verteidiger da. AktivistInnen, die sich um das Schicksal des Antifaschisten kümmern, versuchten vorerst vergeblich einen neuen Anwalt, der politisch halbwegs akzeptabel ist, für den Prozess gegen Aleksej zu finden. Nach einiger Zeit werden sie jedoch fündig.


Ein Ex-KGB-Agent als Verteidiger

Aleksejs neuer Anwalt ist der berühmt-berüchtigte ehemalige KGB-Agent und Kreml-Kritiker Michail Trepashkin. Der bis 1997 im Dienste des sowjetischen Inlandsgeheimdienstes und dessen Nachfolgers FSB stehende ehemalige Oberst ist in jüngster Zeit immer wieder als populärer Kritiker der russischen Regierung aufgefallen.

So verteidigte der seit seinem Austritt aus dem FSB als Anwalt arbeitende Trepashkin 1999 einige Angeklagte der tschetschenischen Minderheit, denen der Staat Anschläge auf Wohnhäuser in Moskau und Wolgodonsk anhängen wollte.

Trepashkin selber saß auch schon in russischen Knästen ein, Im Oktober 2003 verurteilte ihn ein russisches Militärgericht zu 4 Jahren in der Strafkolonie IK-13 bei Nischni Tagil im Ural. Bereits im Sommer 2005 kam er auf Bewährung frei und ist seitdem weiter aktiv als Kritiker der Politik des russischen Staates und hilft nun als Anwalt auch Aleksej Olesinov.

Noch ist nicht ganz genau festgelegt, wann der Prozess gegen Aleksej eröffnet wird. Klar ist aber, dass für die anwaltliche Verteidigung, für Gerichtskosten und für die Solidaritätsarbeit dringend mehrere hundert Euro benötigt werden!

Zeigt euch solidarisch mit Aleksej und dem antifaschistischen Widerstand in Russland!

Macht den Fall öffentlich, organisiert Soliparties, spendet für seine Verteidigung!


Spendet für die Anwalts- und Prozesskosten:
Rote Hilfe e.V.
"Antifa Russland"
Konto Nr. 191 100 462
Postbank Dortmund
BLZ 440 100 46

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INTERNATIONALES

SHAC 7 zu 50 Jahren Haft verurteilt

Kriminalisierung der Tierrechtsbewegung geht weiter

Valerie Smith

Am 21. Januar diesen Jahres veröffentlichte die britische National Extremism Tactical Coordination Unit (NETCU) eine Pressemitteilung, in der sie jubilierend die Straffestlegung im Verfahren gegen sieben Mitglieder der Kampagne Stop Huntingdon Life Sciences (SHAC) am Tag zuvor verkündet. Seit Monaten bemühte sich diese Abteilung der politischen Polizei Großbritanniens TierrechtsaktivistInnen im Allgemeinen und die SHAC-Kampagne im Besonderen als Extremisten zu brandmarken. Bereits im Dezember letzten Jahres waren vier der insgesamt acht Angeklagten nach einem dreieinhalb Monate dauernden Prozess vom Gericht in Winchester der Verschwörung zur Erpressung schuldig gesprochen worden. Während der Beweisaufnahme bemühte sich die Staatsanwaltschaft darzustellen, wie die Hierarchie in dieser Gruppe funktioniere. Dieser Vorgabe der Staatsanwaltschaft folgte das Gericht. Entsprechend verurteilte sie Heather Nicholson zu elf Jahren Haft und Greg und Natasha Avery, die sich bereits letzten Sommer in einem abgetrennten Verfahren schuldig bekannt hatten, zu jeweils neun Jahren Haft. Gavin Medd Hall bekam eine Strafe von acht Jahren, Daniel Wadham wurde zu fünf Jahren, Daniel Amos und Gerrah Selby zu jeweils vier Jahren verurteilt. Lediglich ein Angeklagter wurde freigesprochen. Zudem wurden an vier der Verurteilten unbegrenzte Anti-Social-Behaviour-Orders (ASBO) ausgehändigt, die ihnen effektiv verbieten jemals wieder gegen die Tierversuchsfirma Huntingdon Life Science oder ihre Zuarbeiter sowie gegen Tierversuche generell (!) zu demonstrieren. Wie schon in anderen Bereichen des Kriminalrechtes werden diese unbeschränkten ASBOs erstmals ausgestellt und beweisen wieder einmal, dass die Tierrechtsbewegung das Testfeld für die Erprobung von neuen gesetzlichen Kriminalisierungsmitteln ist.

Die Formulierung der ASBOs könnte dazu führen, dass die AktivistInnen daran gehindert werden, jemals wieder ihre politische Meinung auszudrücken, ohne Gefahr zu laufen, sofort wieder in den Knast zu wandern. Eine ASBO ist ähnlich wie ein Platzverweis/Aufenthaltsverbot (Injunction), obwohl es zwei wesentliche Unterschiede gibt. Zum einen richtet sich das Aufenthaltsverbot auf eine bestimmte geografisch festgelegte Region und soll die Öffentlichkeit insgesamt schützen und nicht eine oder mehrere individuelle Personen. Zum anderen begeht der oder diejenige, die sich nicht an die ASBOs hält eine Straftat und muss mit einer Strafe von bis zu fünf Jahren Haft rechnen. Ein ASBO kann jegliche Art des Verbots beinhalten, zum Beispiel eine bestimmte Region nicht mehr betreten oder bestimmte Leuten nicht mehr ansprechen zu dürfen. Dies trifft selbst dann zu, wenn es sich nicht um einen "anti-sozialen" Tatbestand handelt. Beispielsweise gab es ASBOs für Vandalismus, Raub, Belästigung, Ausfallendes Verhalten, Wildes Plakatieren, Betteln, das Organisieren illegaler Raves, Pfeifen, Nötigung und Selbstmordversuche. Obwohl es reichlich Kritik an der Umsetzung der ASBOs gab, da sie ohne genug rechtliche Begründung ausgegeben würden, haben sie sich mittlerweile nicht nur bei der Entfernung unliebsamer Personen aus Problemgebieten bewährt sondern werden vor allem auch gegen politische AktivistInnen und hier vor allem TierrechtlerInnen eingesetzt.

Damit, dass er die Höchststrafe vergeben hat, hat Richter Butterworth festgelegt, dass sich die Beschuldigten der schlimmsten Form der Erpressung schuldig gemacht hätten. Was sie real gemacht haben war, Briefe an die mit Huntingdon Life Science in Geschäftsbeziehungen stehenden Firmen zu schreiben, in denen höflich auf die Tierversuche aufmerksam gemacht wurde und sie dazu aufgefordert wurden, die Geschäftsbeziehungen aus diesem Grund zu beenden, da sie sonst selbst Ziel einer Kampagne werden würden. Weiterhin rief die SHAC-Kampagne ihre UnterstützerInnen dazu auf, entsprechende Briefe zu verschicken und ihren Protest lautbar zu machen. In manchen Fällen kam es zu direkten Aktionen gegen Huntingdon Life Science und seine Zulieferbetriebe. Auch wurden falsche Anschuldigen gegen Mitarbeiter dieser Firmen laut. Allerdings konnte keine dieser Handlungen den Angeklagten nachgewiesen werden, bei einigen wurde jedoch die Kenntnisnahme derartiger Aktionen festgestellt. Des Weiteren wurde wiederholt suggeriert, dass es sich bei SHAC und der Animal Liberation Front um ein und dieselbe Gruppe handeln würde. So konnte SHAC gleichsam der ALF als urbane Terroristengruppe gebrandmarkt werden. Ihr Ziel sei es gewesen, unbescholtene Händler zu terrorisieren, die legalen und legitimen Geschäften nachgingen.

Die meisten Angeklagten wurde jedoch wegen ihrer langjährigen Arbeit als TierrechtsaktivistInnen und in der SHAC-Kampagne verurteilt. Heather Nicholson wurde mit der höchsten Strafe von elf Jahren belegt, weil das Gericht ihre Wichtigkeit für die SHAC-Kampagne herausstrich. Im Fall der Angeklagten, die zu geringeren Haftstrafen verurteilt wurden, begründete sich die Verurteilung auf deren Redebeiträge bei Demonstrationen. Dies ist eine mehr als beunruhigende Entwicklung. Die mündliche Äußerung auf Demonstrationen wurde, wenn sie denn zu Gewalt aufrief, bisher unter dem Versammlungsrecht geahndet. Hier ist es auch wiederum der Bezug zur scheinbar alles umfassenden Verschwörung zur Erpressung, der höhere Strafen aufgrund der unterstellten gemeinsamen Straftaten mit anderen Personen legitimierte. Diese hohen Strafmaße aber reichten dem Vorsitzenden Richter Butterfield nicht aus. Er legte dem Department of Public Prosecutions (vergleichbar mit der Generalstaatsanwaltschaft) nahe, doch über unbeschränkte Inhaftierung in Erpressungsfällen nachzudenken.

Was diesen Fall besonders macht ist, dass die AktivistInnen nicht wegen Erpressung, sondern wegen Verschwörung zur Erpressung verurteilt worden sind. Der Vorwurf der Verschwörung wurde schon in den 1980er Jahren gegen TierbefreierInnen angewendet. So konnten wegen des Diebstahls einiger Tiere, der, da Tiere juristisch immer noch als Sachen angesehen werden, höchstens eine Bewährungsstrafe mit sich gebracht hätte, bereits damals langjährige Haftstrafen verhängt werden. Ähnliche Verschwörungsklagen wurden bereits gegen Antikriegsdemonstrierende und UmweltschützerInnen erhoben. Der Sinn des Verschwörungsvorwurfs ist es, einige Personen als RädelsführerInnen herauszugreifen, um ein Exempel zu statuieren und dadurch vor politischem Protest insgesamt abzuschrecken. Bereits im Februar war Mel Broughton wegen der Verschwörung zur Brandstiftung zu zehn Jahren Haftverurteilt worden. Broughton hatte sich aktiv in der sogenannten SPEAK-Kampagne gegen den Neubau eines Versuchtierlaboratoriums an der Universität von Oxford engagiert und war als deren Sprecher aufgetreten.


Die Adressen der Gefangen kann man abrufen unter:
http://www.shac.net/features/prisoners.html
oder
http://www.alfsg.org.uk/current%20prisoners.html

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INTERNATIONALES

Die Skizze einer neuen Sicherheitsarchitektur

Englische TierbefreiungsaktivistInnen erhalten hohe Haftstrafen für ihre Mitarbeit an Antivivisektionskampagne

"Our aim is to remove uncivilized people from civil society."
(Christopher Christie, im Jahr 2006 U.S.-Staatsanwalt im Distrikt New Jersey und Chefankläger im Fall der SHAC 7)


In England wurden am 21. Januar zum wiederholten Male TierbefreiungsaktivistInnen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Gerrah Selby (20 Jahre alt), Daniel Wadham (21), Gavin Medd-Hall (45) und Heather Nicholson (41), die alle vor Gericht auf nicht schuldig plädierten, erhielten Haftstrafen von vier bis elf Jahren. Gregg Avery (41), Natasha Avery (42) und Daniel Amos (22), die sich bereits im Sommer 2008 schuldig im Sinne der Anklage bekannten, um das Strafmaß zu verringern, müssen für sieben bis neun Jahre ins Gefängnis. Den Prozessen am Winchester Court ging die so genannte "Operation Achilles" voraus, bei der die englische Polizei 32 Personen festnahm, mehrere Objekte durchsuchte und Computer, Unterlagen, und so weiter beschlagnahmte. Daraufhin wurden gegen 15 der 32 Personen Strafprozesse eingeleitet. Der Prozess gegen die restlichen acht Angeklagten steht noch aus.

Die sieben aktuell Betroffenen waren in der Zeit von 2001 bis 2007 aktive Mitglieder der Kampagne Stop Huntingdon Animal Cruelty (SHAC) in England, die sich für die Schließung des größten europäischen und weltweit bedeutenden Tierversuchsauftragslabors Huntingdon Life Sciences (HLS) eingesetzt hat.

Ihnen wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, dass sie sich gemeinschaftlich "verschworen" hätten, um den Konzern zu erpressen ("conspiracy to blackmail"). Mit einer Ausnahme konnte aber keine Verbindung zwischen militanten Aktionen und der SHAC-Kampagne nachgewiesen werden. Dennoch hielt die Staatsanwaltschaft an der Konstruktion einer "Verschwörung" zwischen den Mitgliedern der SHAC-Kampagne und militanten Gruppen fest. Dem entsprechenden Gesetz zufolge ist ein Nachweis für diese Verbindung nicht zwingend erforderlich. Es reicht aus, wenn es im Rahmen einer Kampagne militante Aktionen gibt beziehungsweise. gab, um eine "Verschwörung" von legalen und illegalen Handlungen zu unterstellen.

Für die Rote-Hilfe-Zeitung sprach Wilhelm Wood mit der Sozialwissenschaftlerin und langjährigen Tierbefreiungsaktivistin Melanie Bujok über den aktuellen Fall aus England, die Hintergründe der Repression gegen Kampagnenarbeit und die weltweite Verschärfung der Rechtslage und -auslegung zugunsten der reibungslosen, brutalen ökonomischen Reproduktion der bürgerlichen Gesellschaft, der jährlich Millionen Tiere zum Opfer fallen.

Was macht Huntingdon Life Sciences, wieso haben sich AktivistInnen weltweit zu einer Kampagne gegen das Unternehmen entschlossen und worin besteht die Kampagne konkret?

Huntingdon Life Sciences ist ein Pars pro Toto der Gewaltmaschine "Tierausbeutungsindustrie". Alle Ausgangs- und Endprodukte, die zum Beispiel von Chemie- oder Pharmaunternehmen hergestellt und schließlich als Waren verkauft werden, testen Tierversuchsauftragslabore wie Huntingdon Life Sciences am so genannten Tiermodell. Mit den Tests sichert sich die Wirtschaft weitestgehend gegen etwaige spätere Schadensersatzklagen von VerbraucherInnen ab. Außerdem experimentiert HLS beispielsweise mit biotechnologischen Eingriffen. Und die Biotechindustrie ist ein expandierender Markt mit unzähligen Entwicklungsmöglichkeiten neuer Produkte. Um die 70.000 tierliche Individuen - Ratten, Fische, Hunde, Affen und andere - werden in den Laboren von HLS in England und in den USA auf Modelle reduziert und vernutzt. In mehreren Undercover-Recherchen dokumentierten bei HLS eingeschleuste TierrechtlerInnen auf Video und auf Papier das Elend der so genannten Versuchstiere: Tiere, deren Körper auf dem Seziertisch noch bei Bewusstsein geöffnet wurde und die von MitarbeiterInnen geschlagen wurden. Es erschien der globalen Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung angesichts der Aporie politischer Praxis und der Ohnmacht gegenüber der totalitären Ökonomie als vernünftig, einzelne Sektoren der Tierausbeutungsindustrie sukzessive und gezielt anzugehen und die Instrumentalisierung der Tiere in diesen Bereichen zu beenden. Es wurde der Beschluss gefasst, Huntingdon Life Sciences zu schließen mittels der Kampagne Stop Huntingdon Animal Cruelty (SHAC).

Wie erklären Sie sich, dass ähnlich wie in anderen Fällen teils geringfügige Sachbeschädigungen und dergleichen nicht mit den bestehenden Gesetzen als Straftaten verfolgt werden, sondern ein Verfahren angestrengt wird, in dem laut englischer Polizei die "führenden Figuren der Kampagne" auf der Anklagebank sitzen?

Zum einen benötigt jeder politische Angriff auf DissidentInnen bei seinem Bemühen, Unterstützung zu erhalten und Kritik abzuwehren, Symbolik und mediale Inszenierung. Die staatlich-wirtschaftliche Allianz konnte nicht öffentlich wirkungsvoll klagen. Angesichts des Massakers an Tieren erhielten die Beschädigung von Sachen und die Blockaden, Run-Ins und dergleichen, die direkte Befreiung von Tieren ohnehin, zu viel Zuspruch in England und in den USA. Und da einige der GeschäftspartnerInnen von HLS ihren Firmensitz in anderen Ländern hatten, so zum Beispiel Bayer in Deutschland, schlossen sich immer mehr Gruppen anderer Länder dieser SHAC-Kampagne an. Um diesen Prozess zu behindern, bedurfte es einer Symbolik, die stark genug war, die Aktionen der SHAC-Kampagne zu skandalisieren: Dies ist heute das Stigma des Terrorismus. Die Bezeichnung von politischen DissidentInnen als TerroristInnen ermöglicht in Folge auch ihre Behandlung mittels Anti-Terror-Maßnahmen, die besonders repressive Strategien einbeziehen. Und dass zuerst jene AktivistInnen angegangen werden, die koordinierende Aufgaben übernehmen, um die gesamte Kampagne erst einmal zu schwächen, ist ja nicht verwunderlich.

In den USA sind bereits 2006 zum ersten Mal sechs Personen und die Kampagne Stop Huntingdon Animal Cruelty (SHAC 7) auf der Grundlage des so genannten Animal Enterprise Terrorism Acts als "Terroristen" verurteilt worden, weil sie dem Unternehmen ökonomischen Schaden mit ihrer Kampagne zugefügt hätten. De facto wird ihnen vorgeworfen, die Website der Kampagne betrieben zu haben, auf der über die Proteste gegen HLS berichtet und damit die Kampagne ideologisch unterstützt worden sein soll. Zum Beispiel in der BRD kann man gleichzeitig feststellen, dass Kampagnen gegen Unternehmen wie Escada behindert werden, indem schrittweise die Ausübung von Grundrechten eingeschränkt wird. Warum richten sich diese staatlichen Maßnahmen denn vorrangig gegen die politischen Kampagnen?

Die Kampagnen der Tierbefreiungsbewegung zielen nicht mehr in erster Linie auf die Aufklärung und Bewusstseinsbildung des Individuums, sondern auf die Strukturen und Arbeitsprozesse der ökonomischen Reproduktionsbasis der spezifischen Gesellschaft. Mit den moralischen Appellen, die der klassische Tierschutz und die Tierrechtsbewegung im Gegensatz zur Tierbefreiungsbewegung an die Menschen richtet, hat das Wirtschaftssystem geringe Probleme. Dass TierbefreiungsaktivistInnen dazu übergingen, die Financial Times und Geschäftsberichte zu lesen und die Schwachpunkte der Unternehmen auskundschafteten, alarmierte die Tierausbeutungsindustrie und ihre KollaborateurInnen. Die TierbefreierInnen legten die Wirtschaftsstrukturen und Geschäftsbeziehungen teilweise offen, machten die unsichtbare Hand des komplexen, funktional-arbeitsteiligen und anonymisierten kapitalistischen Systems ein wenig sichtbar. Sie benannten mitunter, zu welchen realen Personen diese Hand gehört und hielten vor ihren Häusern Home-Demos ab. Gerade die Aufhebung der Anonymität der Verantwortlichen war neben der Störung des Wirtschaftsbetriebs über die Unterbrechung der Kommunikationsstrukturen und der Arbeitsabläufe offensichtlich eines der effektivsten Mittel.

Welche Gegenmaßnahmen treffen die einzelnen Staaten und Konzerne, um ihre Interessen durchzusetzen und die politischen Proteste zurückzuschlagen? Gibt es Gemeinsamkeiten in ihrem Vorgehen?

In fast allen Ländern, in denen eine starke Tierrechts- oder Tierbefreiungsbewegung organisiert ist, wurden im Zuge der Anti-Terror-Gesetzgebungen nach dem 11. September 2001 auch deren Aktionen unter diese neuen Gesetze gefasst. Am deutlichsten war die Reaktion in den USA. Dem Animal Enterprise Terrorism Act ist eigen, dass es nicht mehr auf die Qualität der schädigenden Handlung ankommt, sondern auf den in finanziellem Verlust quantifizierbaren Schaden oder aber auf eine bloße Regelverletzung. Die Aktionsform hat hierbei so gut wie keine Bedeutung mehr. Der angebliche Terror liegt nicht in einer etwaigen Bedrohung für Leib und Leben, sondern in der Bedrohung für den Profit und für die Ausbeutungslogik des Kapitalismus. Terrorismus ist längst zu einem Kampfbegriff gegen jede erfolgreich organisierte Form des Einspruchs und Widerstands gegen Versklavung und Vernichtung geworden. Als weitere Maßnahme gegen Protest wird von der staatlich-wirtschaftlichen Allianz zunehmend in das Versammlungs- und Vereinigungsrecht eingegriffen: Sozialer Protest wird über eine Architektur der geschlossenen Gesellschaft und der Umwandlung vormals öffentlicher zu kommerzialisierten und privaten Räumen per se von den Orten, an denen sich das Protestziel befindet, verbannt, ausgeschlossen. Oder er wird in einen ihm zugewiesenen Raum eingeschlossen und von der öffentlichen Wahrnehmung getrennt. Damit werden die angesichts der asymmetrischen Machtverteilung ohnehin nur geringen Möglichkeiten, an der Politikgestaltung teilzunehmen, unerträglich verringert. Nicht nur die Zunahme an gerichtlichen Verfügungen, über die Unternehmen vor ihren Firmensitzen "exclusion zones" schaffen und damit Proteste in einen Raum verschieben, der außerhalb der Sichtbarkeit und Hörbarkeit liegt, verweist auf diese Tendenz. Auch im virtuellen Raum greifen die gerichtlichen Verfügungen in die Meinungs- und Informationsfreiheit ein, wenn Tierrechtskampagnen in der Vergangenheit gezwungen wurden, Aktionsberichte von den Websites zu nehmen.

Ausgehend von den USA über Großbritannien gibt es eine deutliche Entwicklung zu einer ausgefeilten Antiterrorgesetzgebung. Seit 2008 führt Europol in seinem EU Terrorism Situation and Trend Report (TESAT) die Aktionen und Organisation militanter TierbefreierInnen als "single issue terrorism". Welche Rolle spielt die Debatte über "Terrorismus" für den Umgang mit der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung?

Über die Sprachgewalt des Terrorismus können Aktionen disqualifiziert werden, die an sich zu legitimen Protestformen der Zivilgesellschaft gegen großes Übel, wie das der Produktion tierlicher Gewaltopfer, gehören. Bereits die Anwendung des Gewaltkriteriums auf gewaltlose Aktionen wie zum Beispiel auf die des so genannten zivilen Ungehorsams oder der direkten Tierbefreiung haben in der Vergangenheit zu diskursiven Verschiebungen und in Folge zu absurden Verfolgungen und Verurteilungen geführt. Indem als Terrorisierung gefasst wird, wenn Unternehmen oder deren Ausführungspersonal mitgeteilt wird, dass sie mit Protesten zu rechnen haben, wenn sie ihre Gewalthandlungen oder ihre Verwicklung in diese nicht einstellen, dann gibt es keine Möglichkeit mehr, Kritik effektiv zu kommunizieren. Die Entwicklung, dass jeglicher Protest mittlerweile quasi als Nötigung, also als Drohung mit einem empfindlichen Übel ausgelegt wird, bedeutet in ihrer Konsequenz, dass Protest per se illegalisiert würde. Und dies scheint offensichtlich das Ziel der totalitären Ökonomie zu sein: jeglichen Einspruch und Widerstand gegen das schlechte Bestehende als niederzuschlagende Abweichung von einer von ihr gesetzten Norm auszurufen.

Nicht die Aktionsformen der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung haben sich geändert oder wurden gar "militant", sondern die ökonomischen und in Folge die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Mit diesen wurde, wie Peer Stolle und Tobias Singelnstein in ihrem Buch "Die Sicherheitsgesellschaft" ausführen, eine neue Sicherheitsarchitektur errichtet, die den gesellschaftlichen und damit vor allem ökonomischen Transformationsprozessen Rechnung tragen soll. Die repressiven Strategien gegen Tierrechts- und TierbefreiungsaktivistInnen bestätigen die These von Singelnstein und Stolle: Soziale Kontrolle wird zunehmend in den präventiven Bereich vorverlagert. Nur die noch zu erreichen sind, sollen diszipliniert und normalisiert werden, um die Stabilität des Systems zu gewährleisten. Die "Unverbesserlichen" jedoch werden proaktiv und mittels moderner Informationstechnologie umfassend überwacht, bekämpft und weggesperrt. Die Verhaftungswelle gegen TierrechtlerInnen und TierbefreierInnen in den USA, in Großbritannien, Österreich und anderswo und die teils immensen Haftstrafen sind hierfür ein Indiz. Legitimiert werden soll diese Repression, indem TierrechtlerInnen und TierbefreierInnen öffentlich als Feinde des Systems, eben als TerroristInnen, stigmatisiert werden.

Mit dem US-Gesetz Animal Enterprise Protection beziehungsweise Terrorism Act ist sodann ein neues Feindstrafrecht eingesetzt worden. Im Zuge des Krieges gegen den Terror ist nach kritischer Meinung des Juristen Kai Rogusch der Ausnahmezustand zur gesellschaftlichen Normallage geworden. Und dieser rechtfertige die "Einführung kriegsrechtlicher Zustände in unsere innerstaatlichen Verhältnisse".

Die ehemalige britische Regierung unter Tony Blair hat 2004 extra ein Strategiepapier herausgegeben, in dem sie sich offen dazu bekennt, dass die Forschung und die Unternehmen der Bioindustrie, die Tierversuche durchführen beziehungsweise auf sie angeblich angewiesen sind, mit allen Mitteln vor politischen Bedrohungen geschützt und aufrecht erhalten werden sollen. Worin besteht die Besonderheit der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung, dass man sich mit ihr auf höchster Regierungs- und Gesetzgebungsebene zusätzlich zu bestehenden gesetzlichen Regelungen beschäftigt?

Ich möchte hier mit Max Horkheimers Aphorismus "Der Wolkenkratzer" antworten: Er hat den Gesellschaftsbau und das ökonomische Herrschaftssystem so verbildlicht, dass die obersten Stockwerke des Wolkenkratzers die wirtschaftlichen und politischen Manager und Geschäftsführer bewohnen, dann kommen die leitenden Angestellten, dann die einfachen und die Arbeiter... In den Räumen ganz unten sind die Ausgebeuteten der kolonialen Territorien eingepfercht. Im Keller "wäre dann das unbeschreibliche, unausdenkliche Leiden der Tiere, die Tierhölle in der menschlichen Gesellschaft darzustellen, der Schweiß, das Blut, die Verzweiflung der Tiere".

Als Opferstätte einer falsch verstandenen Naturbeherrschung und als heute mächtige Gewaltfabrik bilden die Tierausbeutungsunternehmen die Reproduktionsbasis dieses Wolkenkratzers schlechthin. Die Unterjochung der Tiere fundamentiert den zerstörerischen Gesellschaftsbau. Reißt man den Keller des Wolkenkratzers ein und stoppt die Tierausbeutungsmaschine, bräche in der Tat der gesamte Wolkenkratzer zusammen.

Der Grund für das harsche Vorgehen gegen Tierrechts- und TierbefreiungsaktivistInnen ist darin zu suchen, dass sie sich mit Tieren solidarisieren. Wer sich mit den Ausgegrenzten der untersten Etage solidarisiert, gefährdet die Außengrenzen und die Ausbeutungslogik der Gesellschaft, die Grundfesten des Wolkenkratzers in Gänze.


Anmerkungen:
(1) http://www.shac7.com
(2) Im Internet zu lesen unter http://www.europol.europa.eu/publications/EU_Terrorism_Situation_and_Trend_Report_TESAT/TESAT2008.pdf
(3) Im Internet zu finden unter: http://www.statewatch.org/news/2004/jul/animal-rights.pdf
(4) Horkheimer, Max: Aus: Dämmerung. Notizen in Deutschland (1931/1934), in: Schmid Noerr, Gunzelin (Hg.): Max Horkheimer. Gesammelte Schriften. Band 2. Frankfurt a.M. 1987. S. 379

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INTERNATIONALES

Nachtrag zur Situation der irisch-republikanischen Gefangenen

Antwort auf einen Leserbrief in der Rote-Hilfe-Zeitung

Republican Sinn Féin, Wien

In einem Leserbrief, erschienen in der Ausgabe 1/2009 der Zeitung der Roten Hilfe, äußerte sich Florian Osuch aus Berlin negativ über unseren Artikel in der Ausgabe 4/2008 der RHZ. Der von ihm angesprochene Artikel hatte von der aktuellen Situation der politischen Gefangenen in Irland berichtet. Wir möchten die Gelegenheit nutzen, einige Punkte von Osuch aufzugreifen und richtig zu stellen.

Osuch erklärt beispielsweise, die Kolonialpolizei RUC wäre im Zuge des Karfreitagsabkommens (GFA) von 1998 in eine "normale" Polizei umgewandelt und die sechs Counties im Norden Irlands "demilitarisiert" worden. Diese "normalen" Hüter der britischen Staatsmacht treten jedoch in Irland bis heute bei weitem militärischer und aggressiver auf als etwa Bundeswehr und Bundesheer. Ihre "normalen" Fortbewegungsmittel sind Panzerfahrzeuge, "Crimestoppers" genannt, und ihre "normalen" Polizeistationen sind festungsartige Kasernen mit Kameratürmen, die jeden Quadratmeter in nationalistischen Gebieten filmen können. Wenn dies als "normale" Situation angesehen werden kann, dann nicht, weil sich in Irland seit 1998 etwas qualitativ geändert hat, sondern weil die Staatsmacht auch in Deutschland und Österreich immer repressiver vorgeht.

Osuch schreibt weiter, im Zuge des GFA seien die Gefangenen, "die sich dem Friedensvertrag verpflichteten", freigelassen worden. Was er dabei aber auslässt ist, dass jene Gefangenen, die erklärten das GFA nicht zu unterstützen, ihren Status als politische Gefangene verloren haben und nun als Kriminelle gelten.

Auch erklärt Osuch, republikanische Gruppen, die das GFA ablehnen, hätten in "freien Wahlen" keine Mandate in Derry oder Belfast erhalten. Dabei verschweigt er, dass Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl stehender Parteien einen Eid ablegen müssen, den bewaffneten Kampf als ein legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele abzulehnen. Aufgrund der Geschichte der IRA lehnen viele Republikanerinnen und Republikaner es grundsätzlich ab, diesen Eid abzulegen, was ihnen die Möglichkeit zu Wahlen anzutreten von vornherein nimmt.

Es ist traurig, dass politisch interessierte und aktive Menschen gerade im März 2009 davon sprechen, der besetzte Norden Irlands sei "eine zivile Region, in der linke AktivistInnen ungestört von Besatzungstruppen und Militärkontrolle für ihre Sache streiten können". Denn genau in diesem März 2009 wurden hunderte Häuser von der britischen Polizei durchsucht, nur weil sie von nationalistischer Bevölkerung bewohnt werden. Es wurden Frauen und Männer ohne Anklage solange festgehalten wie seit den Internierungen in den 1970er Jahren nicht mehr. Sie wurden erst freigelassen, als britische Gerichte erklärten, ihre Festhaltung sei nicht rechtskonform.

Menschenrechtsorganisationen bezweifeln die Einhaltung von Menschenrechten aufgrund der Verhörpraxis und der Einzelhaft. Ein 17-jähriger wurde verhaftet, weil sein Kennzeichen bei einer republikanischen Gedenkveranstaltung zum Osteraufstand 1916 notiert worden war. Und der bekannte Republikaner Colin Duffy sah sich "wie mehrere andere Gefangene" aufgrund der Umstände seiner Verhaftung sowie der Verhör- und Haftbedingungen gezwungen, in den Hungerstreik zu treten.

In diesem Monat, im März 2009, beklagt Florian Osuch, die "Aktiven aus der irischen Linkspartei (Provisional) Sinn Féin" würden in unserem Artikel verleumdet. Doch es sind leider genau diese Aktivistinnen, Aktivisten und Galionsfiguren der Partei, die jene, deren Menschenrechte in britischer Haft verletzt und die in den Hungerstreik getrieben werden, als "Verräter an Irland" (Martin McGuinness) bezeichnen.

Freiheit für alte politischen Gefangenen!

4. April 2009

www.irish-solidarity.net

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AZADI

Informationen des Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland

Der Rechtshilfefonds AZADI unterstützt Kurdinnen und Kurden, die in Deutschland im Zuge ihrer
politischen Betätigung mit Strafverfolgung bedroht werden.

AZADI e.V. | Graf-Adolf-Straße 70a | 40210 Düsseldorf | Telefon 0211/830 29 08 | Fax 0211/171 14 53
azadi@t-online.de | www.nadir.org/azadi/ | V.i.S.d.P. Monika Morres (Anschrift wie AZADI e.V.)

Spendenkonto GLS Gemeinschaftsbank e.G. | BLZ 430 60 967 | Konto 80 35 78 26 00


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Muzaffer Ayata: Kein Kotau - keine Freiheit Reduzierte Strafzumessung nach Neuverhandlung / Aufhebung des Haftbefehls wird abgewiesen

Das Revisionsverfahren des kurdischen Politikers Muzaffer Ayata endete mit einem Teilerfolg. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied am 10. November 2008 im Hinblick auf die Höhe des Strafrahmens, dass der Fall neu verhandelt werden muss. Weil Ayata zu diesem Zeitpunkt zwei Drittel seiner Freiheitsstrafe verbüßt hatte, beantragte die Verteidigung von Ayata danach die Aufhebung des Haftbefehls ihres Mandanten. Der Generalbundesanwalt (GBA) wies den Antrag als unbegründet zurück, woraufhin sich der 4. Strafsenat des OLG Frankfurt/Main am 29. Dezember 2008 dieser Auffassung anschloss. Somit dauert die seit dem 8. August 2006 bestehende Untersuchungshaft des Kurden fort. Er war am 10. April 2008 vom 5. Staatsschutzsenat des OLG Frankfurt/Main wegen "Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung" (§12g StGB) zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.

Die Revisionsrichter behaupten in ihrer Begründung, bei dem Angeklagten bestünde "weiterhin Fluchtgefahr", weil er "keine ausreichenden fluchthemmenden familiären oder vergleichbar engen sozialen und beruflichen Bindungen außerhalb der Organisation der PKK" nachweisen könne. Er verfüge immer noch über die "logistischen Möglichkeiten und Kontakte", um "eine Flucht zu organisieren". Insbesondere wird Ayata, der bereits zwei Jahrzehnte in türkischen Gefängnissen inhaftiert war, vorgeworfen, dass bei ihm eine "Distanzierung von den Zielen und Vorgehensweisen der (...) PKK bislang nicht zu erkennen" sei. Das sei auch dadurch deutlich geworden, "dass der Angeklagte zu Beginn der Hauptverhandlung im Rahmen seiner Einlassung über mehrere Sitzungstage politische Erklärungen zur kurdischen Frage verlesen" habe (!!!!).

Entlassung als Gefährdung der "Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit"

Darüber hinaus bestehe die "begründete Gefahr, dass der Angeklagte sich ohne Flucht ins Ausland im Inland verborgen halten und damit auf diese Weise dem Strafverfahren entziehen" würde. Die Richter unterstellen in ihrer Begründung dem Kurden ferner, dass dieser wegen seiner "politischen Einstellung (...) alles daran setzen" werde, "einer endgültigen, der Rechtskraft fähigen Verurteilung zu entgehen."

Eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung sei laut Richtergremium "nicht zu erwarten", weit dem "Angeklagten im Hinblick auf seine fortbestehende Einbindung in die Organisation der PKK derzeit keine günstige Sozialprognose gestellt werden" könne und "damit einer Entlassung die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit" entgegenstünden.

Gegen diese hanebüchenen Entscheidungsgründe, deren politischer Charakter hier deutlich zum Ausdruck kommt, hat die Verteidigung Beschwerde eingelegt. Anmerken wollen wir: Der 4. (und 5.) Strafsenat, der zu Hochzeiten der RAF-Verfolgung eingerichtet wurde, existiert heute nur noch fiktiv, das heißt, er wurde aufgelöst und wird nur noch in BGH-Revisionsfällen wieder belebt. Er setzt sich aus Zivilrechtlern zusammen. Dieser Senat war nun für das neu zu verhandelnde Verfahren zuständig. Der BGH hat die Beschwerde von Ayatas Verteidiger gegen die Außervollzugssetzung des Haftbefehls seines Mandanten abgewiesen und auf die Entscheidungsgründe des 4. Strafsenats OLG Frankfurt/Main vom Dezember 2008 zur Fortdauer der U-Haft des kurdischen Politikers verwiesen.

OLG reduziert Strafmaß im Revisionsverfahren um vier Monate

Im Revisionsverfahren hat der 4. Strafsenat des OLG am 9. März, dem zweiten Tag der Neuverhandlung, das Strafmaß um vier Monate herabgesetzt (jetzt: drei Jahre, zwei Monate); die BAW wollte lediglich zwei Monate weniger. Ayata erklärte in der Verhandlung, er würde aus heutiger Sicht sagen, dass ein Gerichtssaal wohl nicht der Ort sei, um die Dimension der kurdischen Frage zu thematisieren. Er werde sein Engagement für die Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts fortsetzen und sei davon überzeugt, dass man dieses Ziel nur gewaltfrei und nicht mit militärischen Mitteln erreichen könne.

Gegen die OLG-Entscheidung hat die Verteidigung erneut Revision und gegen die Fortdauer der U-Haft von Muzaffer Ayata Beschwerde eingelegt. Es sei daran erinnert, dass über die im Dezember 2007 von der Türkei beantragte Auslieferung des kurdischen Politikers noch nicht entschieden worden ist. Vermutlich wird auf die Rechtskraft des Urteils gewartet.

(Azadî)


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Wie aus einem Vereinsvorsitzenden ein "Terrorismusunterstützer" wird Ausweisungsverfügung gegen Kurden mit unerträglichem Zynismus

Ismet B. erhielt Ende Dezember 2008 eine Verfügung von der Asyl-Bezirksstelle im Regierungspräsidium einer baden-württembergischen Stadt, mit der ihm die Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland angedroht wurde. Wegen der in seinem Fall "festgestellten Gefährlichkeit und der weiteren Gefährdungsprognose" sei es "zum Schutz der in Rede stehenden Rechtsgüter zwingend erforderlich", dass sich Ismet B. "bis zur Ausreise oder Abschiebung (...) mindestens einmal die Woche beim Polizeirevier in ... melden" müsse. Nur so könne "die mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, nämlich die weitere Unterstützung von den Terrorismus unterstützenden Organisationen (...) verhindert oder zumindest wesentlich erschwert werden." Mit dieser Verpflichtung sollen - so die Bezirksstelle - "weitere Unterstützungshandlungen für die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen erschwert werden." Anderenfalls müsse befürchtet werden, dass sich die Aktivitäten des Betroffenen "verlagern" würden. Die Beschränkung solle "verhindern", dass durch sein "Verhalten" die "Sicherheit der Bundesrepublik" bis zur "Ausreise gefährdet" werde.

In einer kaum zu überbietenden technokratischen und arroganten Sprache lässt sich ein Beamter auf 30 Seiten darüber aus, warum Ismet B., ein "besonders gefährlicher Ausländer", die BRD zu verlassen habe. Wer also - in aller Welt - ist dieser "Gefährder" und welches "terroristischen Verbrechens" hat er sich schuldig gemacht?

Ismet B. reiste 1989 in die BRD ein. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und war nahezu durchgehend berufstätig. Seit Juni 2001 verfügt er über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, was ihm Anlass gewesen ist, eine Einbürgerung zu beantragen.

Doch "so einen" will dieses "zivilisierte" Land, aus dem einst zahllose von den Nazis verfolgte Menschen ins Exil fliehen mussten, nicht. Ausgrenzen, Denunzieren, Diffamieren, eine Ich-tue-nur-meine-Pflicht-Mentalität, ein Untertanengeist, der sich darin ausdrückt, über das Maß hinaus zu handeln, um Menschen bewusst Schaden zuzufügen, ist, was die angestellten und beamteten Vollstrecker der Asyl-, Flüchtlings- und so genannten Antiterrorgesetze kennzeichnet.

Drei Beispiele im vorliegenden Fall sollen das verdeutlichen:

• Der Beamte unterstellt dem Kurden mangelnde Integrationsbereitschaft, nicht nur weil er zeitweise Vorsitzender eines kurdischen Vereins war, sondern insbesondere auch deswegen: "Jedoch ist anzuführen, dass Sie eine türkische Staatsangehörige, ebenfalls kurdischer Volkszugehörigkeit, geheiratet haben. Sie haben all die Jahre hier in Deutschland auch im türkischen Familienverbund gelebt. Sie pflegen Ihre kurdischen Traditionen und Bräuche sehr intensiv. (...) Ihre Ehefrau hat während ihres gesamten Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland zu keinem Zeitpunkt gearbeitet." Wie schon erwähnt, hat das Ehepaar Kinder im Alter von 10, 11 und 13 Jahren!

• Um darzustellen, dass eine Ausweisung des Kurden in die Türkei verhältnismäßig sei, schreibt der Beamte in Kenntnis der familiären Situation: "Somit können Sie sich ohne Probleme dort wieder integrieren und zurecht finden und bei ihrer Familie auch Rückhalt finden. Nachdem Sie nach wie vor monatlich mehrmals Kontakt zu ihren Eltern und Geschwistern haben, ist auch von intakten familiären Verhältnissen auszugehen."

• Der Schutz von Ehe und Familie gilt für Nichtdeutsche offenbar nicht. Das macht folgende Auslassungen des Beamten deutlich: "Zwar sind Sie mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet und haben 3 Kinder hier in Deutschland. Jedoch wiegen die von ihnen ausgehenden Gefahren aufgrund der Tatsache, dass Sie einer Vereinigung angehört haben und weiter angehören, die den internationalen Terrorismus unterstützt, so schwerwiegend, dass Ihre persönlichen Interessen zunächst zurücktreten müssen. Zudem ist es für ihre Frau und ihre Kinder möglich, Sie nach ihrer Ausreise bzw. Abschiebung in die Türkei dort zu besuchen. Außerdem kann der Kontakt zu ihrer Familie auch über Telefon, Internet oder Briefverkehr aufrecht erhalten werden."

Diese Unverschämtheiten (es sind nicht die einzigen) glaubt der Beamte einem Menschen zumuten zu dürfen, weil dieser mehrere Jahre als (stellvertretender) Vorsitzender eines kurdischen Vereins aktiv gewesen ist, der der Föderation kurdischer Vereine in Deutschland, YEK-KOM, angeschlossen ist. Weil die Föderation von den Sicherheitsbehörden als PKK/KONGRA-GEL-nah eingestuft wird, werden Vorständler, Vereinsmitglieder oder BesucherInnen als Unterstützer des "internationalen Terrorismus" kriminalisiert. Dazu gehört scheinbar auch: "Zudem nahmen Sie in der Vergangenheit an zahlreichen Versammlungen von KONGRA-GEL-Anhängern teil, an denen u. a. auch ein Rechtsanwalt Öcalans zahlreiche Fragen zu dessen Gesundheitszustand, Haftbedingungen und politischen Vorstellungen beantwortet hat." Auch dass er als "möglicher Versammlungsleiter einer Kundgebung (...) unter dem Motto "Jetzt den Dialog eröffnen - für den Frieden, gegen den Krieg - Freiheit für Öcalan" vorgesehen war und "Flugblätter verteilt werden sollten", ist für die Asylbehörde offenbar schon eine "terroristische Unterstützungshandlung".

Aus der Verfügung geht darüber hinaus hervor, dass der betreffende Verein, in dem der Kurde tätig war, "seit Jahren unter Beobachtung des Landesamtes für Verfassungsschutz" steht. Die vor einigen Jahren erfolgte rechtskräftige Verurteilung des Kurden wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz gilt ebenfalls als Rechtfertigung für die Ausweisungsandrohung.

Eifrig war er, der Beamte aus Baden-Württemberg. Was er sich aus Verfassungsschutzberichten oder anderen Quellen über die Geschichte der PKK und über YEK-KOM angelesen hat, lässt er in seine Ausführungen einfließen. Dass er sich vielfach wiederholt, wenn es darum geht, den Kurden in ein "terroristisches Licht" zu stellen, ist gewiss beabsichtigt. Beim Lesen dieser unerträglichen Verfügung wünscht man dem Verfasser aus vollem Herzen, dass er eines Tages in eine Situation geraten möge, in der seinem Leben die Perspektive genommen und ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wird.

(Azadî)


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27. April: Prozesseröffnung gegen Hüseyin A. - Anklage nach §129 StGB

Am 27. April wurde vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf das Hauptverfahren gegen den kurdischen Politiker Hüseyin A. eröffnet. Die Bundesanwaltschaft (BAW) beschuldigt ihn, der am 21. Juli 2008 in Detmold festgenommen worden war, der Mitgliedschaft/Rädelsführerschaft in einer "kriminellen Vereinigung" (§129 StGB). Das OLG hat zunächst 20 Verhandlungstage bis Mitte August angesetzt. In seiner Pressemitteilung vom 7. Januar 2009 hatte der Generalbundesanwalt dem Kurden außerdem vorgeworfen, er habe "im Rahmen der von der Organisation beanspruchten Straf- und Disziplinierungsgewalt" eine junge kurdische Frau, die "von dem damaligen Leiter der PKK-Region Stuttgart" schwanger geworden war, zu einem Schwangerschaftsabbruch genötigt.

Insbesondere dieser Vorwurf hatte den Enthüllungsjournalisten Hans Leyendecker dazu veranlasst, einen ganzseitigen Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 22. Januar 2009 zu veröffentlichen. Die detaillierte Darstellung angeblicher Geschehnisse und die Nennung sowohl des vollen Namens des Beschuldigten als auch weiterer Beteiligter (zum Beispiel der jungen Kurdin, die im Prozess gegen Hüseyin A "auch als Zeugin aussagen" soll: "Sie hat dann bei der Polizei ausgepackt und viele Geschichten aus dem Untergrund erzählt."), lässt darauf schließen, dass dem Enthüller tiefe Einblicke in die Anklageschrift gewährt wurden. Verfassungsschutz und Polizeibeamte dürften ihm bei der Abfassung seines Artikels ebenfalls behilflich gewesen sein. So hatte diese Auftragsarbeit mit der Überschrift "Befreit von allen Skrupeln" das Ziel, den Beschuldigten vorzuverurteilen und die kurdische Bewegung insgesamt als Organisation darzustellen, die sich durch "Zwangsabtreibung, Schutzgeld-Erpressung, Verstümmelung und Mord" auszeichnet. Leyendecker kündigt ferner an, dass das Hauptverfahren die Anhänger des Kurden "enttäuschen" könnte, denn "auch dem mutmaßlichen Deutschlandchef der PKK" seien "Gefühle nicht fremd". Zur Untermauerung verweist er auf abgehörte Gespräche, aus denen hervorgehe, dass der Kurde "eine Liebesbeziehung zu einer Genossin unterhielt". Wenn die ihn angerufen habe, seien die "meist von Fahndern abgehört" worden.

Hüseyin A. ist Anfang der 1980er Jahren wegen seines Kampfes gegen die Unterdrückung des kurdischen Volkes zum Tode verurteilt worden, die Strafe wurde später in 40 Jahre Haft umgewandelt. Leyendecker schreibt zynisch: "Seine Biographie erinnert an eine Karteikarte aus dem Zettelkasten des so genannten Befreiungskampfes." Um ihn dann so zu charakterisieren: "Er ist ein eher unauffälliger Typ, das Auffälligste ist seine fehlende Hand." Diese hat er 1978 bei Auseinandersetzungen mit türkischen Sicherheitskräften verloren.

(Azadî)


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Noch keine Entscheidung in Sachen ROJ TV-Verbot - Verteidigung sieht Rechte der Klägerin verletzt

Über die Klage gegen das vom Bundesinnenminister am 13. Juni 2008 verfügte Verbot des kurdischen Fernsehsenders ROJ TV hat das Bundesverwaltungsgericht (6. Senat) in Leipzig bislang noch nicht entschieden. In einer 36-seitigen Klagebegründung zielt Rechtsanwalt Dr. Reinhard Marx insbesondere darauf ab, dass die Klägerin durch die Verbotsverfügung in ihren Rechten verletzt worden sei und die Voraussetzungen für die dort bezeichneten vereinsrechtlichen Betätigungsverbote nicht erfüllt seien. Nachfolgend wollen wir einige Punkte aus der Klagebegründung dokumentieren:

TV-Sender eine Teilorganisation der PKK?
"Gegen die Annahme, dass Mesopotamia Broadcasting A/S eine Teilorganisation der PKK ist, spricht aber bereits, dass die Beklagte diese nicht als solche behandelt, sondern ausführlich selbstständige Verbotsgründe anführt. Darüber hinaus wird in dem elf Punkte umfassenden Verfügungstenor die PKK und das diese Vereinigung betreffende Verbot nicht erwähnt. Die politische Zusammenarbeit oder Solidarisierung mit einem anderen Verein aufgrund gemeinsamer Ziele allein genügt ebenso wenig zur Annahme einer Teilorganisation wie eine bloße politische Abhängigkeit vom Gesamtverein, die auch seinen Neben- oder Hilfsorganisationen eigen ist. Gemessen an den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen behandelt die Beklagte Mesopotamia Broadcasting A/S nicht als Teilorganisation der PKK."

Propaganda für die PKK?
"Für die Behauptung, der Sender der Kläger betreibe Propaganda für die PKK, indem er Funktionären dieser Organisation ein Forum biete, wird lediglich ein Interview mit einem Funktionär bezeichnet, das aber inhaltlich wegen seines sachlichen Charakters die Behauptung nicht trägt. Bei den gesendeten Reden namentlich nicht bezeichneter Funktionäre der PKK handelt es sich (...) um die Wiedergabe von Bekundungen Dritter im Rahmen journalistischer Berichterstattung über die kurdische Frage und die damit zusammenhängenden Probleme." Weder werde der "bewaffnete Kampf glorifiziert" noch "für die Beteiligung am bewaffneten Kampf im Sender geworben." (...)

Gegen den Gedanken der Völkerverständigung?
Der Verbotsgrund der Zuwiderhandlung gegen den Gedanken der Völkerverständigung setzt voraus, dass durch die Tätigkeit der Vereinigung 'Gewalt in das Verhältnis von Völkern hineingetragen wird'. Zu diesem Erfordernis enthält die Akte keine Erkenntnis. Der Vorwurf, dass unter kurdischen Jugendlichen Abenteuerromantik verbreitet werde, stellt keine dem Regelbeweis genügende Tatsache dar, welche geeignet ist, dieses Verbotsmerkmal zu erfüllen. Dieser Vorwurf trifft im übrigen aber auch nicht zu. (...) Die extrem schmale Tatsachenbasis, auf der diese beruht, ist völlig ungeeignet, die Behauptungen der Beklagten zu belegen. (...) Dass bewaffnete Kämpfer der PKK wiederholt Gegenstand von Sendungen sind, ist in der Schwerpunktsetzung des Senders sowie im Informationsbedürfnis der kurdischen Bevölkerung begründet.

Gegen das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern?
Dass sich die Tätigkeit von Mesopotamia Broadcast A/S und damit auch die Tätigkeit des Senders der Klägerin gegen das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern und verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet richten soll, beruht nach Auffassung des Verteidigers auf "nicht belegten Behauptungen". Die Beklagte berufe sich vielmehr "für die Begründung dieses Verbotsgrundes auf die Gründe, die sie bereits im Blick auf den Verbotsgrund der Zuwiderhandlung gegen den Gedanken der Völkerverständigung geltend gemacht" habe. Damit würden "keine konkreten Tatsachen festgestellt, welche geeignet" seien, "diesen Verbotsgrund zu tragen."

Einflussnahme der PKK auf den Sender?
"Für den Vorwurf hätte es präziser Feststellungen bedurft, mit Hilfe welcher Methoden und Mittel die PKK sich den Sender der Klägerin dienstbar macht sowie durch welche konkreten Anweisungen diese Organisation die Programmgestaltung des Senders der Klägerin bestimmt. (...) Im übrigen hat die Beklagte nach den sehr dürftigen Feststellungen keine Tatsachen festgestellt, welche den sicheren Schluss zulassen, dass die Sendungen von der PKK gesteuert werden. (...) Die Beschlüsse des 5. YDK-Kongresses enthalten ebenfalls nur in sehr allgemeiner Form Aufgabenzuweisungen an 'Presse und Medien'. Dabei wird das Fernsehen nicht einmal besonders hervorgehoben."

MED-TV/MEDYA-TV/ROJ TV - alles ein und dasselbe?
Kritisiert wird in der Klagebegründung auch der Verweis des Bundesinnenministers auf Verfahren gegen frühere kurdische TV-Sender in anderen EU-Ländern. Weder könne "mit dem Hinweis auf das britische Verfahren gegen MED-TV noch mit Blick auf das französische Verfahren gegen MEDYA-TV der Klägerin nachteilige Schlüsse für das anhängige Verfahren gezogen werden." Dies gelte auch für die Hinweise auf "personelle Verflechtungen sowie auf gleichartige Programmabläufe" der beiden Sender und dem der Klägerin, der das "weder unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Zuwiderhandlung gegen Strafgesetze noch unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt angelastet werden kann." Schließlich könnten "Feststellungen ausländischer Behörden die nach §108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotenen Feststellungen unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt ersetzen."

Deutsche Verbotsverfügung basiert auf türkischem Beschwerdematerial
Dänemark wies Forderungen nach Lizenzentzug des kurdischen TV ab. In der Klagebegründung wird insbesondere darauf hingewiesen, dass sich "das von der Beklagten gesammelte und zur Grundlage der angefochtenen Verfügung gemachte Material über die Sendungen der Klägerin" nicht von demjenigen unterscheidet, "das die Grundlage bildete für zwei Beschwerden in Dänemark, die durch die türkische Regierung erhoben worden waren, und die mangels stichhaltiger entsprechender Belege zur Zurückweisung des Antrags auf Entziehung der Zulassung der Sendeberechtigung der Klägerin geführt haben." Der dänische "Radio- und Fernsehausschuss" hatte im Juli 2006 aufgrund von drei Beschwerden der Türkei ein Verfahren gegen ROJ TV eingeleitet.

Dieser resümierte hinsichtlich der von der Türkei gerügten TV-Sendungen unter anderem, dass "in den Beiträgen keine Aufforderungen zum Hass festgestellt werden" konnten. "Zusammenfassend haben die betreffenden Beiträge nach Auffassung des Ausschusses alle den Charakter von Nachrichtenbeiträgen oder Diskussionsprogrammen, in denen Informationen, Nachrichten und Meinungen als Teil von Nachrichten- und Diskussionsprogrammen weitervermittelt werden, die keine Anstachelungen zum Hass enthalten."


Neuer Druck der Türkei auf Dänemark

Im Zusammenhang mit den Jubelfeiern anlässlich des 60jährigen Bestehens der NATO und der Bewerbung des dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen für den Posten des Generalsekretärs haben die Vertreter der türkischen Regierung im Vorfeld massiv protestiert und Druck auf die NATO-Mitglieder ausgeübt. Die Türkei werde ihre Zustimmung zu dieser Personalie nur geben, wenn Dänemark dem kurdischen Fernsehsender ROJ die Lizenz entziehe und Rasmussen sich für seine Haltung im so genannten Karikaturen-Streit entschuldige. Um seinen Posten zu sichern, erklärte Rasmussen, er werde sich für ein gutes Verhältnis zur islamischen Welt einsetzen und: "Sollte ROJ TV an irgendwelchen terroristischen Aktivitäten beteiligt sein, werden wir alles tun, um die Station zu schließen." Zwar hat er sich nicht entschuldigt, doch nahm der neue NATO-Generalsekretär am 6. April an einem Forum zum interreligiösen Dialog in Istanbul teil. Die Türkei erhielt die Zusage für einen NATO-Stellvertreterjob und einen Besuch von Herrn Obama, der sich für die Vollmitgliedschaft Ankaras in der EU stark machte und dem NATO-Mitglied eine Modellpartnerschaft in Aussicht stellte.

(Azadî)


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Fahnenfall I

An einem Stadtfest im Juli des vergangenen Jahres beteiligte sich auch der örtliche kurdische Verein mit einem Stand im Festzeit. Weil der "verantwortliche Ansprechpartner unmittelbar neben der Flagge stehend im Stand Verkaufsarbeiten" durchgeführt habe, flatterte Ibrahim I. ein halbes Jahr später ein Strafbefehl ins Haus. Grund: Bei "verdeckten Aufklärungstätigkeiten der staatsschutzrelevanten Objekte (...) wurde im Innenbereich des Standes die Fahne der Koma Komalén Kurdistan (ca. 120 x 8o cm) festgestellt. Diese war für jedermann sichtbar nebst der gängigen 'Kurdistan'-Fahne (rot-weiß-grün, mittig der gelbe 21-zackige Stern) angebracht." Wie aus dem Bericht des Kriminalfachdezernates hervorgeht, habe man lediglich wegen des "großen Personenverkehrs" aus "einsatztaktischen Gründen" darauf verzichtet, die Fahne sicherzustellen. Nach Auffassung der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft sei die KKK "eine von vielen Nachfolgeorganisationen der PKK" - wie auch der 'KONGRA-GEL' und falle somit "unter das Vereinsverbot". KKK sei dann im Juni 2007 in KCK (Koma Civakeén Kurdistan, Schreibweise im Original übernommen, Azadî) umbenannt worden. Weil es sich im geschilderten Fall um die Verwendung eines verbotenen Kennzeichens gehandelt und Ibrahim I. die Anbringung der Fahne geduldet haben soll, sei er wegen Verstoßes gegen §20 Abs. 1 Nr. 5 Vereinsgesetz zu einer Zahlung von 750 Euro verpflichtet.

Gegen den Strafbefehl hat der Verteidiger des Kurden Einspruch eingelegt.


Fahnenfall II

Die Staatsanwaltschaft einer bayerischen Stadt verschickte im Dezember 2008 an den Kurden Bayram G. einen Strafbefehl und legt diesem eine unglaubliche Tat zur Last. Die liest sich so: "Am 21.11.2008 gegen 16.00 Uhr hingen an den Fenstern (...) des Vereines Medya Volkshaus e.V. (...) zwei grüne Fahnen. Auf den Fahnen abgebildet war eine gelbe Sonne mit 21 großen und 21 kleinen Strahlen, darin in der Mitte befindlich war ein roter fünfzackiger Stern. Eine der Fahnen war von innen an einem Fenster befestigt, die andere Fahne war vom Fensterbrett an die Außenwand hängend angebracht." Dem Vorsitzenden des Vereins wird nun vorgeworfen, dass er es zugelassen habe, "dass die Fahnen an den Fenstern des Medya Volkshauses für alle Passanten sichtbar hingen". Er habe wissen müssen, dass es sich hierbei um ein "Kennzeichen des Koma Komalén Kurdistan (KKK) bzw. Koma Civakeén Kurdistan (KCK)" handele, das "im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes verboten" sei. Diese Organisationen seien "bloße Namensänderungen" der PKK. Das zuständige Amtsgericht verhängt gegen Bayram G. eine Geldstrafe in Höhe von 500 Euro. Hiergegen hat sein Verteidiger Einspruch eingelegt.


Vorladung I

Weil sie angeblich auf einer Veranstaltung im Oktober 2008 gegen das Vereinsgesetz verstoßen haben soll, erhielt die Kurdin Zeynep K. eine Vorladung zum Kriminalfachdezernat einer bayerischen Stadt, unterschrieben von einem Polizeiobermeister mit türkischem Familiennamen. Ihr Verteidiger hat Akteneinsicht beantragt, um in Erfahrung zu bringen, welche konkreten Gründe zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens geführt haben.


Vorladung II

Im Zusammenhang mit einer Demonstration im Oktober 2008 erhielt auch Kumri Ü. eine Vorladung zur Polizei, die dieser nicht wahrgenommen hat. Stattdessen hat sein Anwalt Akteneinsicht beantragt, um zu erfahren, was dem Kurden konkret zur Last gelegt wird.


Vorladung III

Ein weiterer Kurde, Nergiz K., wird von POM E. als Beschuldigter vorgeladen, weil er anlässlich einer Demonstration im Oktober gegen das Vereinsgesetz verstoßen haben soll. Worin der Verstoß bestanden haben soll, möchte sein Verteidiger durch Akteneinsicht erfahren.


Vorladung IV

Obwohl sie offenbar nicht an der Demo im Oktober 2008 teilgenommen hat, wurde Aysel G. von der Polizeibehörde ebenfalls zur Vernehmung geladen wegen der Demo im Oktober 2008. Bedauerlicherweise ist sie der Ladung gefolgt. Sie wurde über Vereinsmitglieder und insbesondere über ihren Bruder, den Vorsitzenden des örtlichen Vereins, ausgefragt. Ihr droht eine Änderung des unbefristeten Aufenthaltstitels in eine Duldung. Ihr Verteidiger unternimmt die erforderlichen juristischen Schritte.


Vorladung V

Auch Hüseyin G. erhielt von POM E. eine Vorladung. Er wiederum soll im Zusammenhang miteiner Veranstaltung im Dezember 2008 gegen das Bayerische Versammlungsgesetz verstoßen haben. Auch in diesem Fall wird erst einmal Akteneinsicht beantragt.

(Azadî)


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Sicherheitsgespräch: Behörde stiftet Jugendliche zur Denunziation an

Die 16-jährige Sultan K. wurde kürzlich bei einem so genannten Sicherheitsgespräch sehr aggressiv über den örtlichen kurdischen Verein und seine Mitglieder ausgefragt, insbesondere auch über die Tätigkeit ihrer Mutter dort. Ihr Rechtsanwalt, der sie zu diesem Termin begleitet hatte, konnte einige der an die Jugendliche gerichtete Fragen verhindern.

(Azadî)


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Vor zehn Jahren Proteste gegen Verschleppung von Abdullah Öcalan -
Sema Alp, Sinan Karakus, Mustafa Kurt und Ahmet Acar von israelischen Sicherheitskräften erschossen

Am 15. Februar vor zehn Jahren wurde Abdullah Öcalan aus Kenia in die Türkei verschleppt und weltweit kam es zu heftigen Protesten, so auch in zahlreichen deutschen Städten. Es wurden Parteibüros, griechische Generalkonsulate oder kenianische Fremdenverkehrsbüros besetzt. So wollten Kurdinnen und Kurden ihre Empörung über die Beteiligung des Geheimdienstes Mossad an der Verschleppung Öcalans zum Ausdruck bringen. Bei dem Versuch, in das israelische Generalkonsulat zu gelangen, schossen Sicherheitskräfte auf die Kurden. Hierbei wurde die Kurdin Sema Alp und die drei Kurden Sinan Karakus, Mustafa Kurt und Ahmet Acar getötet und mehr als 20 Personen zum Teil schwer verletzt. Die Todesschützen werden bereits wenige Tage nach den Ereignissen nach Israel ausgeflogen. Und wie titelte die Bild-Zeitung?" Terror-Kurden (...) die ersten Toten". Laut einem Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) sind im Zuge der Protestaktionen und Demonstrationen in wenigen Tagen mehr als 2100 Menschen festgenommen und etwa 100 Haftbefehle erlassen worden. Nur zwei Wochen nach den Ereignissen werden die ersten Kurden in die Türkei abgeschoben. Auf dem "Aschermittwoch-Treffen" von Bündnis 90/Die Grünen wird heftig applaudiert, als Redner die Kurden an ihren "Gast-Status" erinnern, der nicht missbraucht werden dürfe. Andere Politiker denken laut über ein Sondergesetz nach, mit dem Abschiebungen erleichtert werden sollen.

(Azadî)


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Wohnung und Auto von Firat Y. durchsucht - Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verstoß gegen Vereinsgesetz

Am Morgen des 26. Februar durchsuchten Polizeikräfte auf Antrag der Staatsanwaltschaft und mit Beschluss des Amtsgerichts Rostock die Wohnung sowie das Auto von Firat Y. Beschlagnahmt wurden unter anderem Zeitschriften, Notizzettel, Quittungen, Fahrkarten und Bücher. Der Kurde musste zur erkennungsdienstlichen Behandlung auf die örtliche Polizeistation. Begründet wurde die Maßnahme mit einem gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen "Unterstützens der mit Betätigungsverbot belegten PKK bzw. einer ihrer Nachfolgeorganisationen KADEK oder Kongra Gel" (Verstoß gegen das Vereinsgesetz). So soll der Kurde "in Aktivitäten und Strukturder PKK (...) involviert" und "in Spendengeldzahlungen und das Einsammeln der Kampagnegelder für die PKK eingebunden gewesen" sein. Ein Rechtsanwalt ist eingeschaltet.

(Azadî)


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Kurdisch-iranische PJAK jetzt auch auf US-Terrorliste

Seit Februar führen die USA auch den iranisch-kurdischen Ableger der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (PJAK), auf ihrer Liste terroristischer Organisationen. Die Organisation, die auch militärisch für einen Sturz der Islamischen Republik und Autonomie der kurdischen Landesteile kämpft, unterhält ebenfalls Stützpunkt in den nordirakischen Kandil-Bergen. Der US-amerikanische Journalist Seymor Hersh hatte mehrfach behauptet, PJAK werde von den USA direkt finanziell und mit Waffen unterstützt. Weil diese es abgelehnt habe, als Söldner der USA den Iran zu destabilisieren und einen US-Krieg vorzubereiten, hat das US-Finanzministerium die Beschlagnahmung aller PJAK-Konten und Vermögen in den USA angeordnet. "Wir glauben, dass die Entscheidung der USA, die kurdischiranische Oppositionspartei PJAK auf die Liste terroristischer Organisationen aufzunehmen, eines der Zugeständnisse der USA zur Besänftigung des Iran ist", erklärte der Vertreter des Kurdistan Nationalkongresses, Remzi Kartal.

(Azadî/jw, 25.2.2009)


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Sensationelles Urteil des EU-Gerichts zum Flüchtlingsschutz

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat in einem am 17. Februar verkündeten Urteil den Schutz für Flüchtlinge gestärkt. Danach müssen sie nicht zwingend nachweisen, dass sie persönlich in ihrer Heimat von willkürlicher Gewalt bedroht sind. Auch Flüchtlinge, die nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen, dürfen in Europa unter bestimmten Umständen nicht abgeschoben werden. Der so genannte subsidiare Schutz gilt, wenn die Flüchtlinge schutzbedürftig sind, insbesondere bei drohender Folter, Todesstrafe und "willkürlicher Gewalt". Kennzeichnend hierfür sei, dass sich diese Gewalt nicht gezielt gegen bestimmte Personen richte. Je größer das Ausmaß allgemeiner willkürlicher Gewalt in einem Land sei, desto weniger müssten Flüchtlinge also eine persönliche Bedrohung belegen. Umgekehrt reiche eine geringere allgemeine willkürliche Gewalt, wenn der Flüchtling belege, dass er auch persönlich bedroht ist.

Ein Sprecher des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) verwies darauf, dass auch in Deutschland der subsidiare Flüchtlingsschutz bislang eng ausgelegt werde. PRO ASYL sprach von einem "sensationellen Urteil" für Tausende Bürgerkriegsflüchtlinge. Aktenzeichen: C-465/07


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Untersuchungshaft als Erpressungshaft: OLG Koblenz hebt Haftbefehle wegen Verfahrensverzögerung auf

Im Verfahren gegen die Kurden Aziz K., Turabi K. und Cenep Y. wegen Unterstützung der beziehungsweise Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§129 StGB), das seit September 2008 vor dem Landgericht Koblenz geführt wird, hat das OLG nach einer Haftbeschwerde der Verteidigung am 2. März 2009 die Haftbefehle aufgehoben. Das Gericht ist damit weitestgehend der Auffassung der Verteidiger gefolgt, wonach die Fortdauer der U-Haft der Betroffenen nicht mehr verhältnismäßig sei. Es fehle an einem dringenden Tatverdacht im Sinne der Anklage. Außerdem könne sowohl Flucht- als auch Verdunkelungsgefahr ausgeschlossen werden. Die Verteidigung hatte darüber hinaus die Durchführung und Gestaltung der Hauptverhandlung durch die Richter des Landgerichts massiv wegen Verfahrensverzögerung kritisiert.

Markant an dem Koblenzer Prozess ist der Versuch der Strafverfolgungs- und Anklagebehörden, insbesondere den beiden Kurden Turabi K. und Aziz K. eine Unterstützung nach §129 StGB nachzuweisen. Die gegen sie erhobenen Vorwürfe - wie unter anderem das Sammeln von Spenden - wurden/werden in der Regel höchstens als Verstoß gegen das Vereinsgesetz geahndet und vor Landgerichten verhandelt. Doch kann hierfür nicht auf die umfassenden Überwachungsmaßnahmen zurückgegriffen werden, die nach §129 jedoch möglich sind.

Das LG vertritt die Auffassung, dass der "kriminellen Vereinigung" PKK/KONGRA-GEL nicht nur die Kader der Europazentrale und die Sektorverantwortlichen - ab Juli 2007 der Europaverantwortliche - und der Regionsleiter angehören, sondern auch Gebietsleiter, hauptamtliche Kader und Funktionäre sowie Personen, die gleichberechtigt "am Verbandsleben" teilnehmen. Zu den Letztgenannten zählt das Gericht offenbar Turabi K. und Aziz K. Es war wohl darauf gesetzt worden, das Verfahren durch die Aussagebereitschaft der Kurden zügig im Sinne der Anklage zu einem Ende zu bringen. Zur Beschleunigung dieses Prozesses sollte letztlich auch die Inhaftierung der beiden kurdischen Aktivisten (am 12. März 2008) beitragen.

Doch zeigten sich diese zu die Tatvorwürfe bestätigenden Einlassungen nicht bereit. Das hinzunehmen, waren die Richter wohl nicht bereit. Deshalb wurde der Prozess hinausgezögert, unter anderem durch Verlesen von OLG-Urteilen an mehreren Tagen, die mit dem Laufenden Verfahren in keinem Zusammenhang standen oder nur auf wenige Stunden angesetzte oder wieder ausgesetzte Verhandlungstage. Eine auf Zermürbung der Angeklagten zielende Strategie des Gerichts oder anders gesagt: Untersuchungshaft als Erpressungshaft. Der Prozess wird fortgesetzt.

(Azadî)


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Geldstrafe für das Zeigen von Öcalan-Fahnen

600 Euro Strafe soll Agnes v. A. dafür zahlen, dass sie laut amtsgerichtlichem Strafbefehl als Leiterin einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel Auflagen nach dem Versammlungsgesetz nicht nachgekommen ist. So habe sie eine Versammlung am 22. November 2008 unter dem Motto "Schluss mit der Gewalt an Frauen" weitergeführt, obwohl Teilnehmende das in den Auflagen verfügte Verbot des Zeigens von "Fahnen mit dem Konterfei des Abdullah Öcalan" missachtet hätten. Gegen den Strafbefehl wurde Widerspruch eingelegt.

(Azadî)

Raute

GET CONNECTED

Eingestellt und gespeichert

Löschansprüche nach frivolen Verfahren

Datenschutzgruppe der Roten Hilfe Heidelberg

Die Flut von Verfahren, die über politisch aktive Menschen in diesem Land schwappt, ist nicht nur Folge von BeamtInnen im Machtrausch, unfähigen StaatsanwältInnen oder maßlosen Gesetzen. Nein, die häufig hahnebüchenen Vorwürfe zwischen "Verstoß gegen das Versammlungsgesetz" und "Kindesentzug" dürfen ruhig eingestellt werden, denn sie füttern als Neben- oder Haupteffekt den unersättlichen Datenhunger der Staatsgewalt.

Noch (1) darf die Polizei nicht einfach etwas wie "X ist bestimmt ein Kommunist und wird von der DDR bezahlt" speichern, selbst wenn sie davon fest überzeugt ist. Hat aber erstmal ein Verfahren begonnen, können Mutmaßungen und Daten in Nachweissysteme und Vorgangsverwaltungen fließen. Reizvoll wird das, weilauch nach der Einstellung des Verfahrens (etwa: die Staatsanwaltschaft fürchtet, dem Gericht könne der Untergang der DDR verborgen geblieben sein) Daten unter liberalen Bedingungen weitergespeichert werden können.

Ganz so liberal, wie sich Teile der Staatsgewalt das vorstellen, sind die Bedingungen aber auch nicht, auch wenn das Thema durch weitgehende Zuständigkeiten der Länder von reichlich föderalem Barock umflort wird und die Gerichte vor allzu klaren Ansagen meist zurückschrecken.


Einstellungen

Zunächst können Verfahren aus unglaublich vielen Gründen und von verschiedenen Parteien eingestellt werden. Die Polizei kann auf die Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft (StA) verzichten, diese auf die Anklageerhebung, das Gericht kann auf das Hauptverfahren verzichten und schließlich kann auch dieses mit einer Einstellung enden. In jedem Fall gibt es noch einen Strauß von Gründen für die Einstellung, die, speziell wenn es zum Hauptverfahren gekommen ist, sich in alles mögliche vom Freispruch zweiter Klasse bis zur Ersatzstrafe übersetzen.

Man sollte in diesem Geschäft aber mindestens von zwei Paragraphen gehört haben. Einerseits ist das §170 StPO, der regelt, wie ein Verfahren von der StA zum Gericht kommt. Sein zweiter Absatz sieht vor, dass die StA das Verfahren einstellt, wenn kein genügender Anlass zur Klageerhebung besteht. Dabei kommen viele Gründe ("rechtliche und tatsächliche") in Betracht: Es kann zum Beispiel an Tatverdacht mangeln, der/die Betroffene kann zwischendurch verstorben sein ("Verfahrenshindernisse"), die StA kann glauben, dass sich das Gericht über einen Prozess wegen eines Schneeballs totlacht und so fort. Das sind die 170(2)-Einstellungen. Die Beschuldigten erfahren von ihnen überhaupt nur in Ausnahmefällen, insbesondere, wenn es einen Haftbefehl gegeben hat, aber natürlich auch, wenn bei einem späteren Auskunftsersuchen entsprechende Eintragungen in den Polizeidateien auftauchen.

Der andere Paragraph ist §153 mit Freunden. Er tritt auf den Plan, wenn die StA eine Klage eingereicht hat oder wenigstens glaubt, das zu können, aber Gericht und StA das Verfahren an irgendeinem Punkt ohne Urteil beenden möchten. Im Groben geht es normalerweise um "Opportunität", also darum, etwas, das eigentlich zu verfolgen ist, nicht zu verfolgen, weil es Pipifax ist oder ein "überwiegendes öffentliches Interesse" (also zum Beispiel ein V-Mensch) auf dem Spiel steht. Zu den Freunden von 153 gehören 153a (das sind die bekannten Auflagen, etwa gemeinnützige Leistungen) oder 153e (Einstellung zum Beispiel gegen Belastung Dritter).

Liegt bei 170(2) eher die Vermutung nahe, der Vorwurf sei aus der Luft gegriffen, wird bei §153 ff in der Regel davon ausgegangen, dass schon was dran ist, zumal solche Einstellungen meist der Zustimmung der Beschuldigten bedürfen. Wer aber unschuldig ist, an die Justiz glaubt und viel Geld hat, würde ja einen Freispruch erwirken. Diese vielleicht etwas praxisferne Einschätzung gilt jedenfalls überhaupt nicht für 170(2)-Einstellungen, gegen die sich Betroffene praktisch nicht wehren können.


Speichern und Löschen

Leider ist mit einer Einstellung ein Fall keineswegs erledigt. §484 Abs. 2 StPO sagt nämlich, Menschen dürften in der staatlichen Datenmühle bleiben, wenn "wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder Tatbeteiligten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass weitere Strafverfahren gegen den Beschuldigten zu führen sind". Umgekehrt sei zu löschen, wenn "sich aus den Gründen der Entscheidung ergibt, dass der Betroffene die Tat nicht oder nicht rechtswidrig begangen hat".

Diese Regelung, der die Landesgesetze im Wesentlichen folgen, hat den Segen der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder (2) und leider auch die des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 2257/01). Dieses argumentiert zur Verträglichkeit der Regelung mit fundamentalen bürgerlichen Rechtsprinzipien - etwa der Unschuldsvermutung -, "die Aufbewahrung polizeilicher Ermittlungsergebnisse und deren weitere Verwendung in der Polizeiarbeit ist etwas substantiell anderes als die gerichtliche Verhängung einer Strafe". Deshalb könne selbst bei einem Freispruch weiter gespeichert werden, wenn man in §483 ff StPO oder entsprechenden Landesgesetzen auf der Suche nach Speichergründen fündig werde.

Dies war auch zum Zeitpunkt des Urteils 2002 ein bedauerlicher Irrtum ausgerechnet jenes Gremiums, das im Volkszählungsurteil anerkannt hat, dass Daten Macht- und Disziplinierungsmittel sind. Um so mehr gilt das heute, da die Instrumentarien der Repressionsorgane exorbitant ausgebaut wurden und vieles, was de facto Bestrafungscharakter hat, von der Polizei einfach aus dem Bauch beziehungsweise der Festplatte heraus durchgeführt werden kann: Anlassunabhängige Kontrollen, deren Ablauf und Dauer wesentlich vom Datenbestand abhängen; Hausdurchsuchungen, die mit Hinweisen aus dem Rechner logisch durch Gefahr im Verzug zu rechtfertigen sind; "Gefährderanschreiben" und Meldeauflagen, die direkt aus den Datenbanken per Mailmerge erzeugt werden; Versammlungsgesetze, die der Polizei erlauben, VersammlungsleiterInnen beziehungsweise OrdnerInnen nach Datenlage abzulehnen; Ausschreibungen zur Beobachtung, die zu einer Spirale von "Erkenntnissen" und "Gründen" führen. Die Liste könnte noch ein paar Spalten füllen, mit einer Revision der dramatischen Fehleinschätzung ist aber nicht in absehbarer Zeit zu rechnen.

So ist also immer wieder Kleinkrieg angesagt - in RHZ 4/2008 hatten wir einen längeren Bericht, wie sowas im schlimmsten Fall aussehen kann. Auf der positiven Seite ist jedenfalls manchen Gerichten auch klar, dass das mit der Speicherung nicht so ganz einfach ist. So hat das VG Berlin 2005 erkannt, die Speicherung eines Sachverhalts (dort sogar nach 153(1) eingestellt) sei ein "Makel", für dessen Bereinigung es ein "erhebliches Rehabilitationsinteresse" gebe (Az 1 A 162.01), zumal sich der Beschuldigte in diesem Fall (wie bei 170(2)-Einstellungen normal) gegen die Einstellung auch nicht habe wehren können. Dementsprechend hat das VG Frankfurt 1996 auch klargestellt, 170(2)-eingestellte Geschichten dürften "allenfalls ausnahmsweise und dann auch nur unter strengen Voraussetzungen" weiter gespeichert werden (Az 5 E 1632/96 (3)), während der Hessische VGH 2002 präzisiert, bei Weiterspeicherung nach 170(2) müsse die Staatsanwaltschaft konkret benennen, wie es denn zum Restverdacht komme. Diese Prüfung muss - so das Verfassungsgericht 2006, Az 1 BvR 2293/03 - sorgfältig und nicht formelhaft sein.

Nimmt man diese Urteile ernst, ist die gegenwärtige Praxis fast flächendeckender Weiterspeicherung nach Einstellung - insbesondere von ED-Daten - rechtswidrig und sollte leicht angreifbar sein. Häufig dürfte in der Tat die Intervention eines/r Datenschutzbeauftragten helfen, wenn die Polizei nicht schon selbst Einsicht zeigt. Zwischendurch kann es vielleicht kurzfristig helfen, unter Verweis auf ein Urteil des VG Frankfurt von 1996 (Az 5 G 1630/96 (3)) eine Sperrung der Daten bis zur Klärung zu verlangen.

Wenn das aber nicht fruchtet, dürfte ein Gang vor Gericht nur mit langem Atem und tiefen Taschen aussichtsreich sein, denn in Einzelfällen legen sich Gerichte nur ungern fest, während die Staatsanwaltschaften gerne Rechtsmittel über Rechtsmittel einlegen, bis sie Recht bekommen. Speziell im Politbereich ist aber sicher damit zu rechnen, dass sich ein Gericht findet, das die Einschätzung "ÜberzeugungstäterInnen ist alles zuzutrauen" teilt.

Entsprechende Arbeitswut ist vermutlich besser investiert in eine politische Bekämpfung der Datensammelwut (und natürlich der immer autoritäreren Formierung des Staates überhaupt).


Vorgangsverwaltungen

Das bisher Gesagte bezieht sich in erster Linie auf die Nachweissysteme der Polizei, also die Datenbanken, die "man so kennt": Die diversen POLASse (oder wie sie dann immer heißen) der Länder, die Datenstaubsauger des BKA, SIS, die Bestände von Bundespolizei und Zoll und so fort. In den letzten Jahren haben die Polizeien aber allenthalben ihre Vorgangsbearbeitung auf "EDV-Verfahren" umgestellt. Dabei werden noch weit größere Mengen personenbezogener Daten verarbeitet und typischerweise auch recherchierbar gemacht. Für den Antirep-Datenschutz tut sich also eine ganz neue Liga auf, zumal in diesen Systemen potenziell alles ("Vorgang: Demo") liegt und als Anlass der Speicherung ein beliebiger Polizeikontakt ("Rudolf Wunderlich hat am 2.12.2008 in alkoholisiertem Zustand bei der Wache Z angerufen") genügt. Auch die Polizeien sind darauf nicht wirklich vorbereitet und haben schon Auskünfte aus ihren Vorgangsverwaltungen abgelehnt, weil sie dazu keine Regelungen fanden.

Diese Liga wird, nebenbei, noch von einer Art gemischter Vorgangsverwaltung mit Nachweissystem der Staatsanwaltschaften bereichert, dem ZStV. Das ZStV ist nicht nur für eine haarsträubende Politik im Hinblick auf die Erteilung von Auskünften an die Betroffenen berüchtigt, die Staatsanwaltschaft muss (!) nach etlichen Urteilen darin auch eingestellte Verfahren bis zum Ende der Verjährungsfrist speichern.

Noch werden die Vorgangsverwaltungen vermutlich nicht bei Personalienkontrollen und ähnlichem abgefragt, was zunächst die Dramatik etwas reduziert. Dennoch, dass hier Daten noch lange vor Einleitung von Verfahren gespeichert werden, ist extrem bedrohlich.

Dazu kommt, dass es zwar mancherorts Regelungen zu Aussonderungsprüffristen gibt, darüber hinaus die Vorgangsverwaltungen typischerweise als Sammlungen von Microsoft-Hacks mit vielen ad hoc-"Lösungen" gebastelt wurden, was zwar einerseits hoffen lässt, dass der meiste Kram nicht funktioniert, andererseits aber auch starke Zweifel am Schutz der gespeicherten Daten oder der Einhaltung von Löschfristen begründet.

Fazit: Angesichts des breiten Missbrauchs dürfte es einfach sein, mit vielen Einträgen fertig zu werden. Zumindest muss die Polizei eine Einzelprüfung erkennen lassen, wenn sie eine 170(2)-Geschichte speichert, und diese darf nicht formelhaft sein. Schon wegen des pädagogischen Effekts sollte man auf einer solchen Erklärung bestehen, wenn die Auskunft entsprechende Daten enthält. Aber leider - auch in diesem Geschäft ist es nicht weit bis zu den Grenzen des Rechtsstaats, und jede Novellierung von Polizeigesetzen verringert die Entfernung weiter.


Anmerkungen

(1) Das neue Polizeigesetz in Baden-Württemberg sieht vor, dass die Polizei für zwei Jahre alles speichern darf. Wie das gehen soll, wissen sicher nicht mal die Leute, die das Gesetz geschrieben haben. Vermutlich kam es zu der Regelung, weil der Landesbeauftragte für Datenschutz regelmäßig haarsträubendste Praktiken des LKA enthüllt hat und der Sicherheitsapparat endlich Ruhe haben wollte.

(2) http://www.datenschutz.hessen.de/_old_content/tb23/k31p1.htm

→  http://www.datenschmutz.de
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REZENSIONEN

Die weltweiten Verbrechen der Konterrevolution 1918 bis 1935

"Wer eine Aenderung der Regierungsform anstrebt, kann mit dem Tode bestraft werden"

"Es gibt gute Gründe, die Tradition der Internationalen Roten Hilfe zu studieren und aufrecht zu erhalten": Mit diesen Worten schließt der Verlag Olga Benario und Herbert Baum die Einleitung zum kürzlich erschienenen Faksimile eines der vielleicht interessantesten Bücher der IRH. Ursprünglich 1935 in Paris erschienen, wirft "Die weltweiten Verbrechen der Konterrevolution 1918 bis 1935" nicht nur ein helles Licht auf Umfang und Formen staatlicher Repression (das Exekutivkomitee der IRH spricht in seinem Vorwort von Bestialität - nicht umsonst, wie die Lektüre aufzeigen wird) in dieser Zeit und in Ländern, die uns bei der Beschäftigung mit der RH-Historie kaum einfallen würden. Vor allem zeigt der Band auch die beeindruckende Arbeit der Rote Hilfe, den Kampf gegen Faschismus, Gewaltherrschaft und bürgerliche Reaktion. Und - nicht weniger interessant - der Leser erfährt Einiges über das Selbstverständnis der IRH. Denn auch wenn sie oder die Rote Hilfe Deutschlands (RHD) den strömungsübergreifenden Ansatz nicht so offiziell formulierten wie es die Rote Hilfe e.V. heute tut: Die Rote Hilfe der 20er und 30er Jahre war durchaus kein reines Anhängsel Moskaus und bei Weitem nicht nur für parteitreue Kommunisten zuständig, wie gelegentlich unterstellt wird.

Sicher, eine gewisse Nähe zur KPdSU und den anderen kommunistischen Parteien lässt sich nicht leugnen. Das zeigt sich schon im ersten Kapitel des Sammelbandes, geschrieben von Jelena Stassowa, seinerzeit Vorsitzende des Zentralkomitees der IRH und zugleich stellvertretende Vorsitzende ihres Exekutivkomitees." Die Idee einer solchen Organisation wurde von den alten Bolschewiki der Sowjetunion und den ehemaligen politischen Zuchthausgefangenen und Verbannten aufgegriffen und sie begannen sie zu verwirklichen. Felix Dzierzynski war der erste, der diesen Gedanken im Kreise der ehemaligen politischen Zuchthausgefangenen formulierte", schreibt sie. Doch die Wurzeln der Idee gehen tiefer. Mit dem Beschluss zur Gründungder IRH handelte der IV. Kongress der Komintern 1922 "im Geiste der besten Traditionen der I. Internationale", führt die Stassowa aus. "Bekanntlich war Karl Marx der erste Organisator der Hilfe für die Opfer des bürgerlichen Terrors." Marx immerhin gehörte - wie auch Friedrich Engels - dem 1848 in London gegründeten "Komitee zur Unterstützung der deutschen politischen Emigranten" an.


Schon Marx verpflichtete auf strömungsübergreifende Solidarität

"Es ist äußerst wichtig hervorzuheben, daß dieser Vorläufer der gegenwärtigen Organisation zur Unterstützung revolutionärer Kämpfer die grundlegende prinzipielle Linie für die heutige Rote-Hilfe-Bewegung gegeben hat", schreibt die Stassowa. "Marx kämpfte vor allem entschieden gegen die Umwandlung der Unterstützungsaktion für die politischen Emigranten in irgendein philantropisches und bürgerliches Wohltätigkeitsunternehmen. Er unterstrich ausdrücklich den revolutionären Klassencharakter der Hilfsorganisation, und grenzte sich entschieden von den verschiedenen bürgerlichen Organisationen zur Unterstützung der nach England geflüchteten deutschen Revolutionäre ab." Und: "Das von Marx geleitete Komitee rief weiter dazu auf, den politischen Emigranten ohne Rücksicht auf ihre politische Einstellung Unterstützung zu gewähren und sprach sich scharf gegen die bürgerlichen Spalter der Unterstützungsaktion aus, die die verleumderische Nachricht verbreiteten, daß das von Marx geleitete Komitee angeblich nur Kommunisten unterstützte" - schon hier findet sich der strömungsübergreifende Ansatz, den auch die sowjetischen Funktionäre kannten und als wichtig erachteten. Auf diesen ließ sich freilich kaum verzichten, wurde die IRH doch von der Komintern als eines der wichtigsten Werkzeuge ihrer Einheitsfrontpolitik betrachtet.

Eine Politik, die sich zwar auch an Mitglieder der SPD richten mochte, nicht aber an die Partei selbst. Im Kapitel "Vom Nosketerror zum Hitlerfaschismus" zieht Wilhelm Pieck, seit 1925 Vorsitzender der RHD und später erster und einziger Präsident der DDR, eine Linie vom Verrat der Sozialdemokratie an der Revolution 1918 hin zur Machtübertragung an die deutschen Faschisten 1933. Den tausendfachen Mord an revolutionären Arbeitern durch die SPD-Regierung, unter anderem nach dem Kapp-Putsch im Ruhrgebiet sowie in Sachsen und Thüringen, die Verbindungen mit der "Schwarzen Reichswehr", Verbot des Roten Frontkämpferbundes, Fememorde und "Republikschutzgesetz" (1922) - vor allem (aber nicht nur) in der ersten Hälfte der 1920er Jahre verriet, verfolgte und ermordete die SPD mittelbar oder unmittelbar ihre eigene Klientel. "Auf Grund des Republikschutzgesetzes wurden weit über 15.000 Anklagen gegen linksgerichtete Arbeiter erhoben und annähernd 10.000 Jahre Freiheitsstrafen verhängt", rechnet Pieck auf. "Dieses Ausnahmegesetz der Weimarer Republik brachte in einem kurzen Zeitraum zehnmal soviel Strafen als das Sozialistengesetz Bismarcks, auf Grund dessen nur etwa 1000 Jahre Kerkerstrafe im Laufe von zwölf Jahren ausgesprochen wurden."


"Das darf nicht dazu führen, daß die scharfe Anwendung der Schußwaffe unterbleibt."

Doch der weiße Terror beschränkte sich nicht nur auf die 20er. Pieck zitiert Carl Severing, der abwechselnd SPD-Polizeiminister in Preußen und im Reich war. Auf einer Polizeitagung im Oktober 1930 erklärte der Minister: "Polizeiknüppel und härtere Waffen dürfen in diesem Winter nicht aus dem Dienst gestellt werden, um unruhige Volkshaufen in Schach zu halten." Und am 2. Juli 1932 gab Severing einen richtiggehenden Schießbefehl heraus: "Wenn ein früherer Erlaß die Abgabe von Schreckschüssen für zulässig erklärt, so darf das nicht dazu führen, daß nur noch Schreckschüsse abgegeben werden und die scharfe Anwendung der Schußwaffe unterbleibt." Entsprechend sah die Totenliste aus: Im Jahr 1930 zählte die RHD 36 durch die Polizei getötete Arbeiter, weitere 41 wurden durch die Faschisten ermordet. 1931 wurden 55 (Polizei) beziehungsweise 49 (SA et cetera) linke Arbeiter ermordet, 1932 gab es 81 beziehungsweise 139 Todesopfer zu beklagen. Für das erste Quartal 1933, in dem auch die RHD von der Hitler-Regierung verboten wurde, werden noch 24 Tote durch Polizeigewalt aufgeführt - allein 13 wurden am 25. Januar in Dresden in einem verschlossenen Lokal von der Polizei erschossen. "Auch hier zeigt sich der organische Prozess, in dem sich der der Faschismus aus der bürgerlichen Demokratie und der faschistische Terror aus dem Terror der sozialdemokratischen Polizeipräsidenten entwickelt", so Pieck.

Ähnlich blutig ging es auch in Österreich zu ("Der Terror des Kleriko-Faschismus in Österreich"), wo revolutionäre Arbeiter zu Tausenden ermordet, abgeschoben oder wegen Vergehen wie "literarischem Hochverat" ins Verlies geworfen wurden. (A propos "literarischer Hochverrat": Das so genannte "Denglisch" ist keine Erfindung der letzten Zeit - im Buch ist von "Meetings" und "ausgepowerten Arbeitern" die Rede.) Je schärfer der Kampf, desto absurder die Urteile: "Am 15. Januar (1935, d. R.) wurden 4 Frauen aus Gloggnitz, die ihre in der Strafanstalt Karlau inhaftierten Männer besuchten, wegen des Tragens roter Pullmannmützen zu je 4 Wochen Arrest verurteilt." Wie in allen anderen Kapiteln findet sich auch hier eine informative statistische Aufstellung der Opfer der Reaktion. So wurden allein in Wien nach Angaben der dortigen Polizeidirektion in der Zeit vom 15. März 1933 bis zum 31. Dezember des Folgejahres 12.270 Sozialisten und 6770 Kommunisten wegen "staatsfeindlicher Umtriebe" verhaftet. In der selben Zeit wurden rund 50.000 Hausdurchsuchungen gegen linke Arbeiter vorgenommen.


Zwangssterilisierung und Konzentrationslager in Finnland

Dass sich trotz wachsenden weißen Terrors Widerstand und Solidarität nicht zerschlagen ließen, wird beispielhaft im Kapitel zu Italien dargestellt. Hier wuchs die Zahl der Mitglieder der Roten Hilfe trotz (oder gerade wegen) des Faschismus auf 125.000 kurz vor ihrem Verbot 1926. Im Jahr 1929 zählte die Organisation immer noch 15.000 zahlende Mitglieder. Doch auch an Selbstkritik wird im Buch nicht gespart: "Gegen die Polizeikontrolle, unter der Zehntausende von Revolutionären zu leiden haben, hat die Rote Hilfe Italiens noch keinen genügenden Kampf geführt."

Ebenfalls ausführlich widmet sich das Buch Repression und Antirepressionsarbeit in den Ländern des Balkans und des Baltikums (Konzentrationslager, Zwangssterilisierung und Militäreinsätze in Finnland) ebenso wie in Polen oder Spanien. Dann geht der revolutionäre Blick in Gegenden, aus denen hierzulande im Allgemeinen kaum etwas über den weißen Terror und die Arbeit (oder gar Existenz) der Roten Hilfe bekannt ist. Doch immerhin hatte die Organisation im Jahre 1927 Sektionen in 44 Ländern. So wie beispielsweise in Japan. Kaum vorstellbar die Lage der Arbeiter (und vor allem der zahlreichen Arbeiterinnen): Grausamste Züchtigungen für geringste Vergehen, Mordanschläge auf Arbeiter- oder Jugendführer, Arbeitssklaverei und Hungersnöte sowohl in Japan selbst als auch in seinen Kolonien wie Formosa und Korea, dazu regelrechte Ausrottungsaktionen in den besetzten Gebieten - mit erschreckender Anschaulichkeit wird dem Leser "Der Terror des japanischen Imperialismus", so der Titel des Abschnitts, vor Augen geführt. Zugleich radikalisierte sich dem Autor zufolge mit jedem Schlag gegen die KP, mit jedem Pogrom gegen Ausländer "wegen Einschleppung kommunistischer Ideen" die Bewegung.

Immer härter wurden auch die Schläge der Herrschenden: 1925 wurde das "Gesetz zur Aufrechterhaltung des Friedens" erlassen, "das grausame Strafen für alle vorsah, die eine Aenderung des herrschenden Gesellschaftssystems herbeizuführen suchen", drei Jahre später wurde die Rote Hilfe Japans verboten. Darauf folgte das "Gesetz gegen die gefährlichen Gedanken", das Haftstrafen bis zu zehn Jahren vorsah. Dazu zitiert der Autor aus dem "Völkischen Beobachter" vom 26. November 1934: "Im großen und ganzen konnte man mit Massenverhaftungen - es handelt sich um Zahlen bis zu 600 pro Tag und 50.000 im Jahr - der Ausbreitung der gefährlichen Gedanken nicht Herr werden." Logische Konsequenz der nächste Schlag, das "Staatsschutzgesetz zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit" 1935." Wer eine Organisation schafft oder leitet, die eine Aenderung der Regierungsform anstrebt, kann mit dem Tode bestraft werden." Allein die Teilnahme an einer Organisation, "die das Privateigentum ablehnt, (kann) mit Gefängnis bis zu zehn Jahren bestraft werden" - hier drängt sich der Vergleich mit dem bundesdeutschen Paragraphen 129a geradezu auf.


Gegen die Revolution waren sich alle Staaten einig

Unter den Bedingungen des Kolonialismus, vor allem des britischen und amerikanischen, arbeitete die Rote Hilfe unter anderem in den Ländern Südamerikas und der Karibik, denen ebenfalls ein Kapitel gewidmet ist. Doch die Kolonialmächte holten nicht nur heraus, sie exportierten auch in die kolonialen oder halbkolonialen Gebiete - nämlich die Konterrevolution. So wurde ein russischer Weißgardist zum Leiter der Anti-Kommunismus-Polizei in Argentinien gemacht. Auch grenzüberschreitend waren die Staaten - bei allen sonstigen Animositäten - aktiv, wenn es nur gegen die Revolution ging." Im April 1934 unterzeichneten die zentralamerikanischen Regierungen von Guatemala, Costa Rica, Panama, El Salvador und Nicarague ein Abkommen, das die gemeinsame Verfolgung der revolutionären Organisationen und ihrer Mitglieder vorsieht", schreibt M. Castillo. Darin heißt es: "Im Fall von Rebellion oder Anarchie müssen die Polizeikräfte aller zentralamerikanischen Nationen gemeinsam an der Wiederherstellung der Ordnung arbeiten."

Hier wie auch in den anderen angeführten Kolonien (dem Maghreb, Syrien, Ägypten, Niederländisch-Indien, Indochina und Indien, Südafrika) galt: "Die Herrschaft der Imperialisten stützt sich auch auf die feudalen Gutsbesitzer und auf die einheimische Bourgeoisie der kolonialen Länder." Eine Bourgeoisie, die zwar teilweise einen nationalen Befreiungskampf führte, dem sozialen allerdings entgegenwirkte. So heißt es über Ghandi, dass er und sein indischer Nationalkongress "den passiven Widerstand gegen die Engländer verkünden, die Rückkehr zu den reaktionären Lebensformen des Feudalismus predigen, die Gewaltlosigkeit und die Respektierung des Privateigentums propagieren".

Über die Gefängnisregime in diesen kolonialen wie in den anderen Staaten wird im Buch ausführlich berichtet, ebenso über die Gegenaktivitäten der Roten Hilfe. Immer wieder wird auf Freilassungen nach IRH-Kampagnen verwiesen. Schlagkräftige Kampagnen, die nach Cara Zetkin (1932) vor allem einen Grund hatten: "Die alten Formen der internationalen Solidarität führten zur Zersplitterung, zur Schwächung der Hilfe selbst. Die Kräfte, die der internationalen Solidarität zugrunde lagen, bedurften des internationalen Zusammenschlusses und der Leitung, der festen Zentralisation. Die Gründung einer weltumfassenden Massenhilfsorganisation für all jene, die sich in den Ketten der Bourgeoisie befinden, ist zum Gebot der Stunde geworden."


Die weltweiten Verbrechen der Konterrevolution 1918 bis 1935 -
Bericht der Internationalen Roten Hilfe aus dem Jahr 1935.

312 S., m. Abbildungen, Verlag Olga Benario und Herbert Baum, Offenbach 2008, ISBN: 3-86589-065-8, 18 Euro

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Momentaufnahme der Erschießung von sechs Arbeitersanitätern in Hausleithen (Oberösterreich).
- Schwimmendes Konzentrationslager auf der Weser bei Bremen.

Raute

REZENSIONEN

Die Aktion, Heft 215: Schmerzmaschinen

Wolfgang Pircher/Olaf Arndt: Schmerzmaschinen - Die politische Technologie der Pein; Prof. Dr. Dr. hc Fritz Sack: Lizenz zur Grausamkeit; Olaf Arndt: Über den Umgang mit gefährlichen Hunden. Ein Hörstück.

Neben dem Katalog in englischer Sprache (siehe auch "Countershock!" von Steve Wright weiter vorne im Heft) hat die Ausstellung "Embedded Art - Kunst im Namen der Sicherheit" (Akademie der Künste, Berlin, 24. Januar - 22. März 2009) ein weiteres Printprodukt hervorgebracht, nämlich das hier vorliegende Heft Die Aktion, Heft 215 - Schmerzmaschinen.

Neben einem lesenswerten Editorial der Herausgeber und einer Besprechung des Films "Waltz with Bashir" durch Yehudit Keshet enthält der Band überaus empfehlenswerte Texte zu gesellschaftlichen Entwicklungen auf den Gebieten der Kriminalitätsbekämpfung und Repression sowie zu Entwicklungen im Bereich der so oft als "nicht-tödlich" verharmlosten Rüstungs- und Repressionstechnologien.

Der Kriminologe Prof. Dr. Dr. hc Fritz Sack erläutert in "Lizenz zur Grausamkeit. Von der politischen Korrektheit zur Ökonomisierung des Sozialen" seine Sicht auf die neue "Lust am Strafen" und "besinnungslose" staatliche Repression. Mag der Text eventuell auch nur für einschlägig bewanderte Genossinnen und Genossen wirklich neue Perspektiven eröffnen, glaube ich trotzdem, dass dieser Beitrag insbesondere durch seine kurze, umfassende und relativ gut verständliche Zusammenfassung aktueller gesellschaftlicher Veränderungen Wichtigkeit für alle Interessierten besitzt.

Wolfgang Pircher und Olaf Arndt geben in "Schmerzmaschinen - Die politische Technologie der Pein" einen Überblick über das gesamte Spektrum der Repressionstechnologie der Zukunft und der Geschichte ihrer Entwicklung. Wirklich allen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich aus verschiedensten Gründen bislang noch nicht mit dem essentiellen Band "TROIA -Technologie politischer Kontrolle" (siehe auch Besprechung RHZ 1/2006, erhältlich beim Literatur-Vertrieb) beschäftigt haben, sei dieser Teil des vorliegenden Heftes außerordentlich ans Herz gelegt. Wir werden uns in Zukunft ganz sicher verstärkt anderen, weiterentwickelten und hochtechnisierten Repressionstechnologien gegenübersehen (hier sei nur kurz der vor zehn Jahren noch nahezu unbekannte TASER genannt), mit denen wir uns rechtzeitig beschäftigen müssen, wenn wir Einfluss auf politische Debatten und Strukturen gewinnen wollen. Eine Verweigerungshaltung dieser Herausforderung gegenüber wäre politisch kurzsichtig ... und ein weiterer Sieg für die Sicherheitsstrategen. An dieser Stelle sei es mir gestattet, noch einmal auf den Artikel von Steve Wright zu verweisen.

Olaf Arndt beschließt mit "Über den Umgang mit gefährlichen Hunden. Ein Hörstück" den Band. "Über den Umgang mit gefährlichen Hunden" ist der Text eines Stückes, das auf der Ausstellung "Embedded Art" zu hören war. Thematisiert wird der Einsatz von Hunden als widerstandsbrechendes Mittel und Folterinstrument bei Verhören und Übergriffen, wie er unter anderem aus dem berüchtigten Gefängnis Abu Ghraib im Irak überliefert ist.

Als Quellen für die Arbeit an dem Stück diente unter anderem die 1200 Seiten starke, von Karen Greenberg (NYU School of Law, New York) herausgegebene Dokumentation 'Torture Papers' sowie das CIA-Folterhandbuch KUBARK. Ort der Handlung ist eines der Geheimgefängnisse in Polen. Der hier gedruckte Text erschließt sich mir zwar nicht in einer derart bedrückenden Weise, wie es die Inszenierung des Hörstückes während der Ausstellung tat, ist aber in seiner sehr literarischen Art qualitativ eine gute Ergänzung zu den anderen enthaltenen Beiträgen. Das Hörstück ist auf der dem Ausstellungskatalog "Embedded Art" beiliegenden CD enthalten. Hier sei darauf hingewiesen, dass sich mit ein bisschen Engagement sicher eine Sendung dieses Stückes in offenen, freien oder unkommerziellen Radios realisieren ließe. Das wäre eine gute, etwas andere Möglichkeit, das Thema Antirepression einmal einem größeren Kreis der Bevölkerung näherzubringen!

Interessenten wenden sich gegebenenfalls bitte an: mail@bbm.de


Die Aktion - Zeitschrift für Politik, Literatur, Kunst
Heft 215, 96 Seiten; 6,00 Euro (D)
Edition Nautilus, Hamburg; ISBN 9783894015954
erhältlich im Buchladen eures Vertrauens ...

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IMPRESSUM

Die Rote Hilfe erscheint quartalsweise.
Für die Ausgabe 3/2008 gilt:
Erscheinungstermin: August 2009
Redaktionsschluß: 10. Juli 2009

V.i.S.d.P. M. Krause, Postfach 32 55, 37022 Göttingen.

Für die AZADI-Seiten V.i.S.d.P. Monika Morres
(Anschrift siehe AZADI-Seiten)

Namentlich gezeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder.
Die VerfasserInnen der namentlich nicht gezeichneten Artikel sind der Redaktion bekannt.

Die Rote Hilfe im Internet: www.rote-hilfe.de

Auflage 1575 Exemplare; Eigendruck auf chlorfrei gebleichtem Papier im Selbstverlag.

Preise Einzelexemplar 2 Euro, Abonnement: 8 Euro im Jahr. Für Mitglieder der Roten Hilfe e.V. ist der Bezug der Zeitung im Mitgliedsbeitrag inbegriffen. Gefangene erhalten die Zeitung kostenlos. Eine Teilauflage enthält einen Mitgliederrundbrief.

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Diese Adresse bitte nicht für Mailinglisten verwenden!

Artikel, Leserbriefe u.ä. wenn möglich als Mail und auf 3,5"-Disketten mit einem Ausdruck schicken, vor dem Schreiben längerer Sachen die Redaktion kontaktieren.

Austauschanzeigen: Austauschanzeigen linker Zeitschriften drucken wir nach Möglichkeit ab. Anzeigen in den Datei-Formaten
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Mitgliedsbeiträge und Spenden bitte nur auf folgendes Konto überweisen:
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Eigentumsvorbehalt
Nach diesem Eigentumsvorbehalt ist diese Zeitung solange Eigentum des Absenders, bis sie der/dem Gefangenen persönlich ausgehändigt worden ist. "Zur-Habe-Nahme" ist keine persönliche Aushändigung im Sinne dieses Vorbehalts. Wird die Zeitung der/dem Gefangenen nicht persönlich ausgehändigt, so ist sie dem Absender unter Angabe des Grundes der Nichtaushändigung zurückzusenden. Wird die Zeitung der/dem Gefangenen nur teilweise persönlich ausgehändigt, so sind die nicht persönlich ausgehändigten Teile, und nur sie, dem Absender unter Angabe des Grundes der Nichtaushändigung zurückzusenden.


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WER IST DIE ROTE HILFE?

Die Rote Hilfe ist eine parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation.

Die Rote Hilfe organisiert nach ihren Möglichkeiten die Solidarität für alle, unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung, die in der Bundesrepublik Deutschland auf Grund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden. Politische Betätigung in diesem Sinne ist z.B. das Eintreten für die Ziele der Arbeiterinnenbewegung, der antifaschistische, antisexistische, antirassistische, demokratische oder gewerkschaftliche Kampf und der Kampf gegen die Kriegsgefahr.

Unsere Unterstützung gilt denjenigen, die deswegen ihren Arbeitsplatz verlieren, Berufsverbot erhalten, vor Gericht gestellt und zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt werden oder sonstige Nachteile erleiden. Darüber hinaus gilt die Solidarität der Roten Hilfe den von der Reaktion politisch Verfolgten in allen Ländern der Erde.

Aus der Satzung


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LITERATURVERTRIEB

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Quelle:
Die Rote Hilfe 2.2009 - 35. Jahrgang
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2009