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DAS BLÄTTCHEN/1973: Drohbrief nach Mafia-Art


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
23. Jahrgang | Nummer 4 | 17. Februar 2020

Drohbrief nach Mafia-Art

von Hannes Hofbauer, Wien


Wer am 4. Februar 2020 abends (Lokalzeit) die jährlich stattfindende Rede von US-Präsident Donald Trump zur Lage der Nation mitverfolgen konnte, sah ein völlig entzweites politisches Amerika. Die Gesten der gegenseitigen Missachtung konnten stärker nicht sein. Präsident Trump hielt der demokratischen Fraktionsführerin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, achtlos sein Redemanuskript hin und verweigerte ihr den Handschlag. Pelosi war es, die - anfangs zwar zögerlich, aber später sehr bestimmt - monatelang das mittlerweile gescheiterte Amtsenthebungsverfahren gegen Trump betrieben hatte. Die Demokraten versuchten das Spiel über die ukrainische Bande und warfen Trump ausgerechnet die Zurückhaltung von Militärgütern im Austausch für Belastungsmaterial gegen den demokratischen Herausforderer Joe Biden vor.

Kaum war die Trumpsche Lobeshymne über seine ersten drei Amtsjahre vorüber, zerriss die Chef-Demokratin Pelosi publikumswirksam die drei Seiten seines Redemanuskripts, eine offensichtlich spontane Reaktion auf den Frust, den das Ende des Amtsenthebungsverfahrens politisch und die Handschlagverweigerung persönlich bei ihr auslöste. "Ich habe ein Manifest der Unwahrheiten zerrissen", rechtfertigte sie ihre ungewöhnliche Protestform.

Wer all dies gesehen und einzelne Kommentare dazu gelesen hat, der war vom tiefen Riss überzeugt, der durch das Establishment der USA geht. Wobei die Frage bleibt, ob Donald Trump überhaupt dazugehört. Wie auch immer, das politische Amerika ist gespalten wie nie zuvor; zumindest sollte dieser Eindruck erweckt werden. Bei entscheidenden Fragen wirtschaftlicher und geopolitscher Interessen ist dem jedoch nicht so.

Nur wenige Wochen, bevor sich Trump und Pelosi öffentlich und mit starker Symbolik ihrer gegenseitigen Feindschaft versicherten, waren sich Republikaner und Demokraten völlig einig gegen Russland, Gazprom, Deutschland und Nord Stream 2.

Am 20. Dezember 2019 unterzeichnete Donald Trump den "National Defense Authorization Act", der ein militärisches Jahresbudget für 2020 von 738 Milliarden US-Dollar freigibt. Zuvor war das Gesetz mit einer großen Mehrheit von 377 gegen 48 Stimmen durch das Repräsentantenhaus gegangen und im Senat ebenfalls ohne große Widerrede akklamiert worden. Darin enthalten ist auch das "Gesetz zum Schutz der europäischen Energiesicherheit", das harte Wirtschaftssanktionen gegen Firmen ausspricht, die sich am Bau der russisch-deutschen Gaspipeline Nord Stream 2 beteiligen. Das ist in zweierlei Hinsicht erstaunlich. Zum einen deshalb, weil ein russisch-deutsches Energieprojekt im Militäraushalt der USA abgehandelt wird, und zum anderen, weil es mehr als frech ist, eigene wirtschaftliche und geopolitische Interessen als "Schutz der europäischen Energiesicherheit" auszuweisen.

Nord Stream 2 ist die zurzeit wichtigste wirtschaftliche Kooperation zwischen Moskau und Berlin. Zusammen mit dem Projektbetreiber Gazprom, der sich zu 50 Prozent plus eine Aktie in russischem Staatsbesitz befindet, bauen die Energieriesen Uniper und Wintershall (Deutschland), Engie (Frankreich), Shell (Niederlande-Großbritannien) und OMV (Österreich) zwei 1220 Kilometer lange Röhren zwischen dem russischen Örtchen Ust Luga und dem nahe Greifswald befindlichen Lubmin durch die Ostsee. Geschätzte 10 Milliarden US-Dollar machen die Kosten aus, jährlich sollen 55 Milliarden Kubikmeter sibirisches Gas auf diese Weise nach Deutschland gepumpt werden. Nun, 160 Kilometer vor der Fertigstellung, setzt Washington an einer Schwachstelle des ganzen Unternehmens an und droht jener Schweizer Spezialfirma "Allseas", die bislang als einzige in der Lage war, Erdgasrohre in Tiefen unterhalb von 30 Meter zügig zu verlegen, mit Strafmaßnahmen: Beschlagnahmungen, Vermögensentzug, Kontoeinfrierungen und Einreiseverbote.

Mühelos werden alle Gräben zwischen Republikanern und Demokraten, zwischen Trump und Pelosi überwunden, wenn es um das Gemeinsame in wirtschaftlicher und geopolitischer Hinsicht geht. Da ist einmal der Drang US-amerikanischer Gasproduzenten auf den Weltmarkt. Gefracktes Gas sucht Absatz und seine Verflüssigung macht es technisch möglich, Kunden überall rund um den Globus zu finden. Die sibirischen Energiereserven stehen dem im Weg, sie sind billiger zu fördern und durch Verrohrung langfristig zu transportieren. Sanktionen gegen "Allseas" sollen Deutschland schlicht dazu zwingen, seine Energie nicht eurasisch über die Landplatte, sondern transatlantisch per Schiffen von den USA zu besorgen. Dafür bedürfte es schleunigst entsprechender Hafeneinrichtungen zur Anlandung von Flüssiggas, wie sie in vielen EU-Staaten wie beispielsweise den Niederlanden, Spanien, Italien, Portugal, Malta und Polen bereits bestehen, in Deutschland allerdings noch fehlen.

Der zweite, mindestens ebenso wichtige Grund, warum Washington Nord Stream 2 torpediert, ist sowohl wirtschaftlicher wie geopolitischer Natur. Es gilt, eine Zusammenarbeit zwischen Berlin und Moskau zu behindern und zu verhindern. Die Energiepolitik ist jener Träger, der zum Einsturz gebracht werden soll. Da geht es mitnichten um die "europäische Energiesicherheit", sondern um brutale wirtschaftliche Konkurrenz und geopolitische Hegemonie. Dies brachte dankenswerterweise ein Brief der beiden republikanischen Senatoren Ted Cruz und Ron Johnson zum Ausdruck, den sie am 18. Dezember 2019 an den Chef der Schweizer "Allseas", Edward Heerema, adressiert haben.

Darin heißt es unumwunden: "Wir verstehen, dass Russland Allseas eine gute Stange Geld bezahlt, um die Arbeiten an Nord Stream 2 fertigzustellen. Die Konsequenzen würden ihr Unternehmen allerdings zermalmen und hätten tödliche rechtliche und wirtschaftliche Folgen, wenn Sie auch nur einen Tag weiterarbeiten würden." Um zu verstehen, was genau damit gemeint ist, listen die beiden Senatoren alle Schiffe auf, die im Eigentum von "Allseas" stehen und weisen darauf hin, dass im Falle des Bruchs der Sanktionen "Ihre Schiffe unter US-Rechtsprechung fallen und zu eingefrorenem Vermögen würden". Und sie machen zeitlich enormen Druck: "Die Verbote werden unmittelbar schlagend, alle Sanktionen sind verpflichtend. Verbotene Aktivitäten sind mit dem Tag, an dem das Gesetz in Kraft tritt, exekutierbar. [...] Rechtsbrecher werden vom US-Markt ausgeschlossen und all ihr Eigentum wird für fünf Jahre blockiert [...] Wenn Sie gegen das Sanktionsgesetz verstoßen, fallen Ihre Schiffe unter die US-Rechtsprechung und werden eingefroren."

Der Abschluss des Briefes liest sich wie eine üblicherweise mündlich vorgetragene Drohung im kriminellen Milieu, so wie Kiez-Ganoven einem zahlungsunwilligen Wirt erklären, dass er demnächst kein Wirtshaus mehr haben wird, wenn er nicht gehorcht. "Sie haben die Wahl", schreiben die beiden Senatoren an den Chef von "Allseas": "Hören Sie JETZT auf und verlassen Sie die Arbeit an der Pipeline unfertig [...] oder machen Sie den dummen Versuch, die Pipeline fertigzustellen, und riskieren für Ihr Unternehmen, dass es für immer vorbei mit dem Geschäft ist." Der Brief vom 18. Dezember trägt den Briefkopf des "United States Senate" und ging in Kopien an die Außen-, Finanz- und Energieminister der USA, Pompeo, Mnuchin und Brouillette. "Allseas" hat nur Stunden nach der Veröffentlichung dieses Briefes seine Arbeit eingestellt und das Verlegeschiff aus der Ostsee abgezogen.

Bleibt anzumerken, dass Senator Ted Cruz, der Verfasser des Drohbriefes und des Sanktionsgesetzes, einer der bestbezahlen Lobbyisten für US-amerikanische Öl- und Gaskonzerne insbesondere in der Fracking-Industrie ist. Sein Berater Daniel Vajdich wurde vom ukrainischen Gasriesen Naftogaz mit der Aufgabe betraut, gegen Nord Stream 2 zu lobbyieren. Beide Senatoren, Cruz und Johnson, sind aktive Unterstützer der rechten Tea-Party-Bewegung.

Von Hannes Hofbauer ist zuletzt zum Thema erschienen: Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung. Promedia Verlag, Wien.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 4/2020 vom 17. Februar 2020, Online-Ausgabe
E-Mail: redaktion@das-blaettchen.de
Internet: https://das-blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2020

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