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DAS BLÄTTCHEN/1966: USA und Iran


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
23. Jahrgang | Nummer 2 | 20. Januar 2020

USA und Iran

von Peter Petras


Am 3. Januar wurde der iranische General Qasem Soleimani ermordet. Durch den Angriff mit einer Kampfdrohne der USA im Irak. Das war unter drei Gesichtspunkten bemerkenswert:

Erstens war der Mord ein offener Völkerrechtsbruch. Es war eine Kriegshandlung der USA gegen den Iran, von vielen Beobachtern auch als "Kriegserklärung" identifiziert. Nach der Aufkündigung des Internationalen Atomabkommens mit dem Iran durch die Trump-Administration und der Verschärfung der US-Wirtschaftssanktionen gegen Teheran ein weiterer Schritt in der Eskalation des Konfliktes.

Zweitens folgte US-Präsident Donald Trump hier den Spuren seines Vorgängers Barack Obama, der solche gezielten Tötungen als eine bevorzugte Form des Handelns in der Grauzone zwischen Politik und Krieg hatte praktizieren lassen - von dem sich Trump sonst aber gern unterschieden wissen wollte.

Drittens erfolgte die Tat auf dem Territorium des Irak, in Bagdad. Damit war es eine Kriegshandlung auch gegen diesen Staat.

Ermordet wurde ebenfalls der irakische Militärführer Abu Mahdi al-Muhandis, stellvertretender Kommandeur der irakischen "Volksmobilmachungskräfte", eines Zusammenschlusses irakischer schiitischer Milizen.

Der Iraner Soleimani wurde in westlichen Medien bevorzugt als "zweiter Mann" des Teheraner "Regimes" bezeichnet. Tatsächlich war er Kommandeur jener Abteilung der iranischen Revolutionsgarden, einer Spezialtruppe innerhalb der Streitkräfte, die Sondereinsätze im Ausland realisiert. So waren er und Mahdi al-Muhandis an der Koordinierung des Kampfes der schiitischen Kräfte gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Irak beteiligt - was dem Westen lange Zeit zu Pass kam. Soleimani war aber auch der Kontaktmann zu den schiitischen Milizen in Syrien und Libanon, was den Westen und Israel wiederum störte. Innenpolitisch hatte er keine Kompetenzen, weshalb von einem "zweiten Mann" keine Rede sein konnte.

Genau betrachtet ist die gesamte, vom Westen unbeherrschbare Situation im Nahen und Mittleren Osten eine Folge von dessen gescheiterter Politik. Die USA-Aggression gegen den Irak hatte diesen mit dem Krieg 2003 in einen Failed State verwandelt. Dann hatten die USA-Besatzungsbehörden die Idee, dort die "Demokratie" einzuführen, in Gestalt der Einteilung des Landes in drei ethnisch definierte Gruppen, etwas vereinfacht: die Kurden im Norden, die Sunniten in der Mitte und die Schiiten im Süden des Landes. Außerdem wurde gleiches Wahlrecht für alle eingeführt. Das Problem war nur, dass der Irak von seiner Schaffung unter britischer Vorherrschaft im Rahmen des Versailler Systems 1920 bis zum Sturz Saddam Husseins 2003 immer von einer sunnitischen Minderheit beherrscht wurde. Wahlmehrheiten mussten ein schiitisches Übergewicht zur Folge haben, zu deren Gegenbewegung einerseits der IS wurde und andererseits die kurdische Autonomie. Letztere wiederum ist im Irak wie in Syrien der Türkei ein Dorn im Auge.

Dass die jahrzehntelang unterdrückten Schiiten im Irak sich an die Glaubensbrüder im Iran anlehnen würden, war klar, auch wenn dies die uralte Differenz zwischen Arabern und Persern nicht einebnet. Ungeachtet dessen greift es zu kurz, die irakischen Widerstände gegen die USA im Land allein dem Iran und seinen geheimen Diensten in die Schuhe zu schieben.

Die Geschichte politischer Missgriffe des Westens im Falle Irans ist noch länger. Im Jahre 1953 wurde der rechtmäßig gewählte Ministerpräsident Mohammad Mossadegh durch eine Geheimdienstoperation der USA und Großbritanniens gestürzt, weil er die iranische Ölgesellschaft verstaatlicht hatte. Danach wurde die blutige Diktatur des Schahs Mohammad Reza Pahlavi errichtet, die vom Westen gern akzeptiert wurde, weil sie sich als prowestlich und antikommunistisch definierte. Der Schah wurde 1979 durch eine breite Volksbewegung gestürzt. Die iranische Revolutionsregierung forderte die Auslieferung des geflüchteten Pahlavi, die Rückgabe der von diesem illegal ins Ausland verbrachten über 56 Milliarden US-Dollar und seine Bestrafung für die begangenen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen. Die USA gewährten dem Geflüchteten jedoch Unterschlupf. Im Gegenzug besetzten in Teheran revolutionäre Studenten die Botschaft der USA und nahmen 52 US-Diplomaten als Geiseln. Befreiungsversuche schlugen fehl. Die US-Regierung hatte ihr Gesicht verloren. Das ist der Hintergrund dafür, dass Trump verkündete, im Falle weiterer Eskalation des jetzigen Konfliktes würden die USA 52 wichtige Ziele im Iran zerstören - damit wäre der Irrsinn eskaliert.

Die Feindschaft der USA gegenüber dem Iran seit 1979 hat eine kontinuierliche Linie und zielte letztlich immer auf die Beseitigung der "islamischen Revolution". Obwohl Trump mit dem Versprechen in die Wahlen 2016 gegangen war, die Regime-Change-Kriege zu beenden, passen seine jüngsten Aktionen gegen Teheran in genau dieses Muster.

Seit den 1990er Jahren rückte die Frage in den Mittelpunkt zu verhindern, dass der Iran eigene Atomwaffen entwickelt. Das Atomabkommen von 2015 sah vor, dass das Land kein atomwaffenfähiges Uran anreichert und dass die Vertragspartner (die USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, China und Deutschland) auf die Aufrechterhaltung der Wirtschaftssanktionen verzichten sowie die Handelswege öffnen. Trump hat das Abkommen 2018 aufgekündigt und neue harte Maßnahmen des Wirtschaftskrieges in Kraft gesetzt, die auch außerhalb des Territoriums der USA gegen Firmen umgesetzt werden sollen, die mit iranischen Firmen Wirtschaftsbeziehungen unterhalten. Zugleich hat Trump das Atomproblem mit weiteren Themen verbunden - so mit der Frage iranischer Raketenwaffen und mit der Regionalpolitik Irans -, die nie Gegenstand der Verhandlungen waren.

Die Westeuropäer hatten, um das Atomabkommen zu retten, verkündet, sich dem US-Kurs nicht beugen zu wollen und den Handel aufrecht zu erhalten. Die vollmundig gegebenen Versprechen wurden aber nicht eingelöst, die neuen Abrechnungsmechanismen funktionieren nicht, und die europäischen Firmen, die in der Regel größere Umsätze in den USA machen, als sie im Iran erwarten können, kuschen. Ziemlich einseitig forderten Kanzlerin Merkel, der französische Präsident Macron und der britische Premierminister Johnson in einer Gemeinsamen Erklärung vom 5. Januar 2020 - nach der Ermordung General Soleimanis - den Iran auf, "von weiteren gewalttätigen Aktionen" abzusehen und das Atomabkommen einzuhalten, erwähnten jedoch mit keiner Silbe den völkerrechtsbrechenden Militäreinsatz der USA. Russland und China, die ihre eigenen Konflikte mit den USA haben, konnten sich bisher ebenfalls nicht dazu aufraffen, die wirtschaftlichen Ausfälle durch die US-Politik zu kompensieren.

So haben die Spannungen im Nahen und Mittleren Osten nochmals drastisch zugenommen, die seit der Aufkündigung des Atomabkommens durch die Trump-Regierung bereits spürbar erhöht waren.

Die Kriegsgefahr schien nach der Ermordung Soleimanis akut, wurde jedoch entspannt: In den USA wird gepokert, im Iran traditionell Schach gespielt. Da denkt man über möglichst viele Züge im Voraus nach. Die US-Regierung weiß, dass sie einen Krieg entfesseln, aber dessen Ende nicht absehen kann. Trump hat Angst davor, im Wahljahr vor seinen Wählern schwach zu erscheinen, kann aber kein Interesse an einem großen Krieg mit Zehntausenden Soldaten im Nahen Osten haben. Die politisch Verantwortlichen in Teheran wissen, dass sie einen großen Krieg anfangen, aber nicht gewinnen können. Der Raketenangriff auf Stützpunkte der USA und der NATO im Irak, bei dem es offiziell keine Todesopfer gab, sondern "nur" traumatisierte dänische Soldaten, die nach Kuweit ausgeflogen wurden, war deshalb kein "Klein-Beigeben" des Iran, sondern ein genau berechneter Schritt.

Hinzu kommt allerdings: In der iranischen Gesellschaft haben die inneren Spannungen zugenommen, insbesondere angesichts gewachsener Jugendarbeitslosigkeit. Nach dem Sturz des Schahs hat die Zahl der Studenten, die ihr Studium auch abschließen, deutlich zugenommen. Das Problem ist so ähnlich wie am Ende des Realsozialismus: Die hochqualifizierten jungen Leute finden keine adäquaten Arbeitsplätze, die studierten Frauen (die es in dem Ayatollah-Iran ebenfalls in großer Zahl gibt) wollen nicht an den Herd, sondern in die moderne Berufswelt. Hinzu kommen die Preissteigerungen im Gefolge des US-amerikanischen Wirtschaftskrieges. So hat es starke soziale und politische Proteste in Iran gegeben, wie seit Jahrzehnten nicht, die jedoch seit dem Mord an dem General von patriotischen Kundgebungen abgelöst wurden.

Nachdem eingeräumt werden musste, dass die iranischen Streitkräfte ein ukrainisches Zivilflugzeug abgeschossen haben, mit 176 Todesopfern, unter denen auch viele Iraner waren, hat sich die Stimmung wieder gedreht. Die Zivilgesellschaft fordert Rechenschaft von der Regierung, und die kann nur auf ihre Angst vor einem weiteren US-Angriff verweisen.

Das kann die Verantwortung der Regierung nicht relativieren, ist aber keine wirkliche Antwort auf die Frage nach den Ursachen. Branco Soban von der slowenischen Zeitung Delo betonte, dass es die USA waren mit ihren Kriegen in Afghanistan und Irak, die den Nahen Osten "wohl für immer destabilisiert" haben. "Allein diese Kriege haben den Steuerzahler fast drei Billionen Dollar gekostet. In den seit fast zwanzig Jahren andauernden Gefechten sind bisher mindestens eine Million Menschen gestorben, darunter auch einige Zehntausend Soldaten. Wer also zerstört mit seinen krankhaften und imperialistischen Ambitionen tatsächlich den Nahen Osten?"

Und Jürgen Todenhöfer schrieb kürzlich: "Die USA werden aus dem Mittleren Osten genauso verschwinden müssen wie die anderen früheren Großmächte dieser Region. Wie Frankreich und Großbritannien. Auch die USA haben dort nichts zu suchen."

Der Iran dagegen ist dort Zuhause, seit dreitausend Jahren.

Aber das hat auch die politische Klasse in Berlin bisher nicht verstanden.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 2/2020 vom 20. Januar 2020, Online-Ausgabe
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Internet: https://das-blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2020

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