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DAS BLÄTTCHEN/1877: Das Versagen der Politik


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
22. Jahrgang | Nummer 5 | 4. März 2019

Das Versagen der Politik

von Ulrich Busch


Wie doch alles so wunderbar zusammenpasst, sich ergänzt und ineinander fügt in der Welt des Geldes, des Kapitals und der Politik! - Das ist wirklich erstaunlich. Zudem ganz ohne Plan und Konzept. Einfach so, weil es funktioniert. Zumindest im Augenblick. Und vielleicht auch noch in den nächsten Monaten oder Jahren. Aber was passiert dann? Für die lange Frist gibt es keine befriedigenden Antworten. Dafür aber mehren sich die Zweifel, dass die Maßnahmen von heute nicht die Lösungen für die Probleme von morgen sein werden.

Die Rede ist von der Wirtschaft, der profitgesteuerten, allein den Verwertungsinteressen des Kapitals dienenden und politisch immer weniger regulierten globalen Marktwirtschaft. 2008 wäre das System infolge einer Banken- und Finanzkrise beinahe kollabiert. Die Politik hat es gerettet, indem sie Milliarden und Abermilliarden an US-Dollar, Euro, Yen in die Finanzmärkte pumpte. Dadurch wurden die Staatshaushalte bis an die Grenzen ihrer Tragfähigkeit - und teilweise, wie in Griechenland, darüber hinaus - belastet. Bis heute sind die daraus erwachsenen Verbindlichkeiten nicht vollständig zurückgeführt worden, so dass die Staaten mit erheblichen Hypotheken belastet in die nächste Krise eintreten werden. Sie sind dadurch in ihren Handlungsspielräumen eingeschränkt, was sie dazu verführt, abenteuerliche Experimente und populistische Verzweiflungsaktionen zu starten. In Italien ist das heute schon zu beobachten. Andere Staaten werden folgen. Der Trend zum Verlust der Verantwortung für die Zukunft und zu einer populistischen Politik ist unverkennbar.

Da das System auf Wirtschaftswachstum angelegt ist und ohne dieses völlig entarten würde, wurde im zurückliegenden Jahrzehnt alles dafür getan, um die 2009 in eine Rezession gerutschten Volkswirtschaften wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Diese Aufgabe oblag insbesondere den Notenbanken, die riesige Summen frischen Geldes in die Wirtschaft schleusten. So hat die Europäische Zentralbank (EZB) allein in den vergangenen fünf Jahren 2,6 Billionen Euro zusätzlich für Kredite bereitgestellt. Ihre Bilanz ist dadurch auf die unvorstellbare Summe von 4,6 Billionen Euro angeschwollen. Das ist drei Mal so viel wie vor der Finanzkrise! Mit diesen Maßnahmen ist es ihr zwar gelungen, eine Deflation zu verhindern; eine generelle Prosperität in den Volkswirtschaften der Europäischen Union wurde damit aber nicht erreicht. Eigentlich hat nur Deutschland so richtig davon profitiert. Hier legte das Bruttoinlandsprodukt neun Jahre in Folge zu, während es in den meisten anderen Ländern der EU mehr oder weniger stagnierte. Aber mit dem deutschen Boom ist es inzwischen auch vorbei: 2018 betrug das Wirtschaftswachstum in Deutschland nur noch 1,4 Prozent. Tendenz: fallend.

Das wichtigste Instrument der Geldpolitik ist die Zinspolitik. Hier hat sich die EZB mit ihrer Nullzins-Linie auf einen Kurs festgelegt, der dem Staat über viele Jahre enorme Einsparungen an Zinskosten bringt, den Sparern aber Milliarden-Verluste an Zinseinnahmen. Die Effekte, die mit der Nullzinspolitik erzielt wurden, sind vor allem Umverteilungseffekte zwischen Kreditnehmern (Staat, Unternehmen) einerseits und Sparern (Bevölkerung, Vereine ...) andererseits. Der Hauptzweck aber, der damit erreicht werden sollte, die Ankurbelung der Investitionstätigkeit in der Wirtschaft, wurde verfehlt. Dafür kommt es inzwischen zu Sekundäreffekten auf dem Immobilienmarkt, indem internationale Anleger die günstigen Finanzierungsbedingen nutzen, um hier einzusteigen, Wohnungen aufzukaufen, dadurch die Knappheit zu vergrößern, was den Preis hochtreibt, um dann teurer an Private zu verkaufen. Dies bringt ihnen in Zeiten niedriger oder gar keiner Zinsen satte Spekulationsgewinne ein. Zudem wird dadurch die Privatisierung des Wohnungsmarktes vorangetrieben und damit ein zentraler Bereich der menschlicher Existenz der öffentlichen Hand entzogen und global agierenden Marktkräften überlassen. - Und was macht die Politik? Sie schaut zu!

Ein weiterer Aspekt betrifft die Umweltproblematik. Wir sind Zeitzeugen einer Entwicklung, die darin gipfelt, dass ein internationales Abkommen, Gesetz und Übereinkommen nach dem anderen scheitert, zu Fall gebracht, aufgekündigt oder paralysiert wird. Die Autoindustrie, die Transportwirtschaft, die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie, die Bauwirtschaft, die Verpackungsindustrie, die Energiewirtschaft, die Pharmazie, die Chemieindustrie sind derzeit weder willens noch in der Lage, sich den Herausforderungen eines ökologischen Umbaus zu stellen und ihn von sich aus voranzutreiben. Schlimmer aber noch ist, dass sie in ihrer Verweigerungs- und Verhinderungshaltung von der Politik unterstützt werden. Am deutlichsten sichtbar ist dies momentan bei der Verkehrspolitik. Es gilt aber ganz generell. Was sind das für Verhältnisse, wo Wissenschaftler, die eindeutige Belege für irreversible Schäden in der natürlichen Umwelt und in Hinblick auf die Gesundheit der Menschen vorlegen und folglich dringend zu einem Umsteuern raten, von der Politik mit dem Verweis auf nationale wirtschaftliche Interessen abgewiesen werden? Und wo Schülerinnen und Schüler auf die Straße gehen müssen, um der Politik zu signalisieren, dass hier dringend etwas getan werden muss, trotzdem aber nichts passiert! - Es ist der Wirtschaft nicht anzulasten, dass sie ihre Interessen wahrnimmt. Die Politik aber ist dazu da, gesamtgesellschaftliche Anliegen zu vertreten und die Zukunftsinteressen der Gesellschaft zu wahren. Vernachlässigt sie diese Aufgabe und macht sich stattdessen zum Anwalt und Lobbyisten der Wirtschaft, insbesondere bestimmter Branchen und Unternehmensgruppen, dann schafft sie es dadurch vielleicht noch, das Ganze für den Augenblick am Laufen zu halten, verspielt damit aber möglicherweise die Chancen auf die Zukunft.

In ihrer gegenwärtigen Verfasstheit erweist sich die Politik offenbar als unfähig, die anstehenden Aufgaben zu erkennen, konsequent anzugehen und zu lösen. Die Folge ist, dass die Gesellschaft immer mehr auseinanderbricht, die Grundlagen der Demokratie erodieren und Aufgaben wie die Energiewende, der ökologische Umbau der Wirtschaft, die demografische Transition und die digitale Revolution nicht oder nur halbherzig angegangen und bewältigt werden. Stürzt die Wirtschaft dann erneut in eine Krise, so ist die Politik machtlos. Das wäre die Stunde der Populisten, um die Regierung an sich zu reißen, sich Wirtschaft und Gesellschaft unterzuordnen - und sie dadurch weiter zu ruinieren.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 5/2019 vom 4. März 2019, Online-Ausgabe
E-Mail: redaktion@das-blaettchen.de
Internet: https://das-blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2019

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