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DAS BLÄTTCHEN/1874: Die nuklearen Ambitionen Riads


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
22. Jahrgang | Nummer 4 | 18. Februar 2019

Die nuklearen Ambitionen Riads

von Jerry Sommer


Saudi-Arabien plant bis 2030 16 Kernkraftwerke zu errichten. Damit will das saudische Regime weniger Öl selbst verbrauchen und somit seine Ölexporteinnahmen bis weit in die Zukunft strecken. Doch mit der Umsetzung dieser Pläne hapere es. Jetzt ist erst einmal der Bau von zwei Kernkraftwerken geplant. Zurzeit werden Angebote von Russland, China, Südkorea und den USA eingeholt. Verträge sollen in diesem Jahr unterzeichnet werden.

Allerdings verfolgt das Königreich dieses Projekt nicht nur aus energiepolitischen Gründen, sagt Guido Steinberg von der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik": "Saudi-Arabien hatte in den letzten Jahren immer einmal wieder verlauten lassen, dass, wenn Iran eine Atombombe baut, auch Saudi Arabien folgen wird. Allerdings gibt es da keine konkreten Hinweise, dass Saudi-Arabien in diese Richtung geht."

Belege für ein aktives nukleares Atomwaffenprogramm der Saudis seien nicht vorhanden, meint auch der Sicherheitsexperte Jim Walsh vom "Massachusetts Institute of Technology": "Es gibt keine darauf hindeutenden geheimdienstlichen Erkenntnisse. Man geht deshalb davon aus, dass sie kein aktives Atomwaffenprogramm haben. Aber genau kann man das natürlich nicht wissen."

Im vergangenen März hatte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman im einem Interview erklärt: "Saudi-Arabien will keine Atomwaffen besitzen. Falls aber der Iran eine Atombombe entwickelt, werden wir zweifellos so schnell es geht nachziehen."

Saudi-Arabien hat den Nichtweiterverbreitungsvertrag unterzeichnet. Die Aussage, das Land würde unter bestimmten Umständen Atomwaffen anstreben, widerspricht dieser Vereinbarung und hat deshalb international Beunruhigung ausgelöst. Diese hat sich verstärkt, als der saudische Energieminister ebenfalls im März in einem Interview mit Reuters erklärte, Saudi-Arabien beabsichtige, auch Urananreicherungsanlagen im eigenen Land zu bauen. Denn für ein Land, das selbst Uranvorkommen besitze, sei es - so wörtlich - "nicht normal, angereichertes Uran aus dem Ausland zu importieren".

Die Urananreicherung ist notwendig, um Brennstäbe für zivile Kernreaktoren herzustellen. Bei diesem Prozess kann auch hochangereichertes Uran und somit das für Atombomben notwendige Spaltmaterial produziert werden. Deshalb stehen Urananreicherungs- ebenso wie Wiederaufbereitungsanlagen schnell im Fokus, wenn Staaten unter Verdacht geraten, Atomwaffen anzustreben.

Der Sicherheitsexperte Mark Fitzpatrick vom "International Institute vor Strategic Studies" in Washington ist deshalb besorgt: "Es ist den Saudis sehr ernst damit, gegebenenfalls auf eine iranische Atomwaffe reagieren zu können. Sie möchten sich absichern, indem sie die Technologien entwickeln, die zum Bau einer Bombe notwendig sind."

Doch die notwendigen technischen Voraussetzungen dazu haben die Saudis noch lange nicht. Im Königreich gibt es zwar seit einigen Jahren mehrere nukleare Forschungseinrichtungen. Aber es gibt keine Atomreaktoren - und noch nicht einmal Planungen für Urananreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlagen. Robert Einhorn kennt sich aus. Er war im US-Außenministerium unter Hillary Clinton als Sonderbeauftragter für Rüstungskontrolle tätig und arbeitet heute in der "Brookings Institution" in Washington. Einhorn geht davon aus, dass es viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern würde bis die Saudis technisch in der Lage wären, Atombomben herzustellen: "Saudi-Arabien steckt gegenwärtig in den nuklearen Kinderschuhen. Es gibt nur wenige ausgebildete Nuklearingenieure und Wissenschaftler. Es gibt keine nennenswerte technische Infrastruktur. Außerdem ist es sehr unwahrscheinlich, dass das Land solche Anlagen ohne umfassende ausländische Hilfe bauen kann".

Zwar können Kernreaktoren von China oder Russland erworben werden, aber auch diese Länder - so die Meinung von Experten - würden den Saudis keine Urananreicherungs- oder Wiederaufbereitungsanlagen verkaufen. Selbst Pakistan, zu dem die Saudis gute Beziehungen unterhalten, würde einen Verkauf wohl ablehnen, glaubt Robert Einhorn. Der Sicherheitsexperte Jim Walsh vom "Massachusetts Institute of Technology" ist sich da nicht so sicher: "Die Saudis brauchen Hilfe aus dem Ausland, zum Beispiel Zentrifugen für die Urananreicherung. Legal werden sie diese kaum bekommen. Aber vermutlich könnte ihr Verbündeter Pakistan sie ihnen heimlich verkaufen. Die Saudis haben ja sehr viel Geld - und mit Geld kann man weit kommen."

Seit Jahren verhandelt die US-Regierung mit Saudi-Arabien über ein Atomabkommen. Präsident Obama strebte an, die Nutzung von US-Technologie für zivile Nuklearanlagen nur dann zu gestatten, wenn die Saudis gleichzeitig auf die eigene Urananreicherung und Wiederaufbereitung verzichten. Doch die Saudis lehnen diese Bedingung ab - bis heute.

Präsident Trump könnte in den laufenden Verhandlungen mit Riad zu weitreichenden Zugeständnissen bereit, um der US-Atomindustrie lukrative Aufträge zu verschaffen. Guido Steinberg von der "Stiftung Wissenschaft und Politik" sieht aber auch außenpolitische Gründe für solch einen Kurs: "Die Trump-Administration will das Königreich für die Eindämmung, vielleicht sogar für einen militärischen Konflikt mit Iran vorbereiten. Da muss man also befürchten, dass sie vielleicht sogar eine Urananreicherung zulassen würde."

Anscheinend fordert die Trump-Regierung bisher allerdings noch von Riad, wenigstens für einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren auf jegliche Urananreicherung und Wiederaufbereitung zu verzichten. Das wäre womöglich eine pragmatische Kompromisslösung - aber Riad lehnt auch das strikt ab.

Ohnehin ist nach dem Mord an Jamal Khashoggi im US-Kongress die Stimmung gegenüber den Saudis und speziell dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman gegenwärtig ausgesprochen negativ. Robert Einhorn glaubt deshalb: "Im Augenblick würde der US-Kongress überhaupt kein Abkommen zwischen den USA und Saudi-Arabien über zivile nukleare Kooperationen unterstützen."

Die Drohung Saudi-Arabiens mit der Atomwaffenoption ist nicht neu. Ziel war bis zur Unterzeichnung des Atomabkommens 2015 mit Teheran, durch die saudische Drohung die USA davon abzuhalten, sich mit dem Iran auf einen Kompromiss im Dauerstreit um das Atomprogramm zu einigen. Denn ein Kompromiss war nur möglich, wenn Teheran das Recht auf Urananreicherung zugestanden wird. Das jedoch sahen die Saudis als sicherheitspolitisch bedrohlich an. Zudem fürchteten sie, eine Annäherung zwischen Iran und den USA könnte den eigenen geopolitischen Einfluss in der Region verringern.

Das Iran-Abkommen ist inzwischen von Präsident Trump gekündigt worden - sehr zur Freude des saudischen Königshauses. Nun könnte die Drohung Riads mit einem militärischen Atomwaffenprogramm erneut das Ziel haben, Washington zu einer noch härteren Gangart gegenüber Teheran zu bewegen. Denn die US-Regierung hat eine ausgesprochen anti-iranische Agenda. Guido Steinberg von der "Stiftung Wissenschaft und Politik": "Das Außenministerium wurde mit Mike Pompeo besetzt und der Nationale Sicherheitsberater heißt Bolton. Beide haben in der Vergangenheit einen Regimewechsel in Iran gefordert. Vor dem Hintergrund kann man nicht ausschließen, dass es auch zu militärischen Aktionen gegen Iran kommt".

Vor allem dann, wenn der Iran entscheiden würde, ebenfalls aus dem Atomabkommen auszusteigen und zum Bespiel wieder Uran stärker anzureichern - selbst wenn es für zivile Zwecke gedacht ist. Jegliche Konfrontationspolitik gegenüber Teheran sieht Riad als Stärkung seiner Position im Kampf um die Vorherrschaft im Nahen Osten.

Bisher droht Saudi-Arabien mit der Entwicklung von eigenen Atombomben nur für den Fall, dass der Iran solche Waffen herstellt. Die Kündigung des Atomabkommens mit Teheran durch Präsident Trump macht solch eine gefährliche Entwicklung inzwischen aber eher möglich. Der US-Ausstieg müsse daher zurückgenommen werden, fordert Robert Einhorn von der "Brookings Institution". Das sei "der beste Weg, einen atomaren Rüstungswettlauf im Nahen Osten zu verhindern: das Abkommen aufrechtzuerhalten, zu stärken und seine Laufzeit zu verlängern". Das würde den Anreiz für Saudi-Arabien, nach Atomwaffen zu streben, vermindern.

Notwendig wäre auch, statt eines strikten Anti-Irankurses eine Verständigung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien zu fördern - zum Beispiel durch eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag des Autors für die Senderreihe "Streitkräfte und Strategien" (NDR-Info, 12.01.2019).

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 4/2019 vom 18. Februar 2019, Online-Ausgabe
E-Mail: redaktion@das-blaettchen.de
Internet: https://das-blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2019

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