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DAS BLÄTTCHEN/1411: Krieg und Chaos


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
17. Jahrgang | Nummer 16 | 4. August 2014

Krieg und Chaos

von Erhard Crome



Die kriegerischen Konflikte in der Welt nehmen zu. Das war vor einhundert Jahren und in den 1930er Jahren ebenfalls so. Es folgten der Erste und der Zweite Weltkrieg. Leben wir gerade wieder in einer solchen Zeit, die mit dem nächsten großen Krieg schwanger geht?

Pepe Escobar, international viel gelesener Kolumnist der Asia Times Online (Sitz Hongkong), hat jüngst für eine Artikel-Überschrift "Crime and punishment" benutzt. Das ist der englische Titel jenes Dostejewski-Romans, der auf Deutsch unter "Schuld und Sühne" bekannt ist. Die wörtliche Übersetzung des englischen Titels lautet "Verbrechen und Strafe" - eine Wortwahl, für die sich auch Swetlana Geier bei ihrer Neuübersetzung des Romans entschieden hatte.

Der Verweis auf den Dostejewski-Titel ist wichtig, um zu verstehen, was Escobar in seinem Text assoziiert: "Crime (Israel) and punishment (Russia)". Dargestellt und kritisiert wird die westliche Politik gegenüber diesen beiden Staaten in Bezug auf die zwei gegenwärtig zugespitztesten internationalen Konflikte: Gaza und Ostukraine. Da das westliche Bemühen, Druck auszuüben, von Benjamin Netanjahu ignoriert wird, werfen die führenden Politiker des Westens Gaza auf den Müll und sanktionieren stattdessen Russland. Nicht einmal Hollywood würde auf einen solchen Plot kommen: Israel kommt mit seinem völkerrechtswidrigen, vorsätzlichen Massenmord an Zivilpersonen durch, während Russland ein Massenverbrechen an Zivilpersonen, der Abschuss des malaysischen Zivilflugzeuges, angehängt wird. Moskau hat seine Belege für jene Vorgänge öffentlich vorgelegt, während die USA bisher nicht einen Beweis für eine russische Schuld an dem Flugzeugabschuss beigebracht haben, trotz NSA, US-Flotteneinheiten im Schwarzen Meer, Satellitenaufklärung und CIA. Nur die US-Versicherung: "Wir wissen es. Ihr müsst uns glauben!" - Was sich schon seit sechzig Jahren stets als Lüge erwiesen hat. Die gesamte "Russland-Politik" der Obama-Administration reduziert sich nur noch auf: Sanktionen, Sanktionen, Sanktionen! Am Ende nennt Escobar die USA das "Empire des Chaos" - mit einer Politik, deren Ziel es ist, die EU und Russland gegeneinander in Stellung zu bringen.

Mit dem Begriff von einem "permanenten Krieg" versucht dagegen Norman Paech, der nicht nur renommierter Völkerrechtler, sondern auch hellsichtiger politischer Publizist ist, in der Zeitschrift Argument die Spezifik der derzeitigen Weltsituation zu fassen. Er verweist auf die weltweit 220 bewaffneten Konflikte, die im Jahre 2013 gezählt wurden, darunter den "afrikanischen Weltkrieg" in Kongo, der in Schüben seit bald zwanzig Jahren wütet und dem Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind, sowie den "War on Terror" des George W. Bush, der als Drohung an die ganze Welt 2001 verkündet wurde und nach wie vor tobt. Der Kriegsschauplatz des letzteren hat sich auf fast den ganzen Nahen und Mittleren Osten ausgedehnt und ergreift immer mehr Länder des subsaharischen Afrikas. Dazu gehören der anhaltende und immer wieder aufflammende Konflikt zwischen Palästinensern und Israel, der Bürgerkrieg in Syrien, die Zustände in Irak und Libyen. "Ob am Hindukusch, am Golf von Aden oder in der Straße von Malakka, überall werden 'unsere Interessen verteidigt' und sind", so Paech, "den Preis eines militärischen Einsatzes wert." Im Kern handelt es sich um den Zugriff auf die Rohstoffe und Energieressourcen im 21. Jahrhundert, um die Rivalitäten des Westens mit China und Russland.

Nun unterstellt die Vorstellung vom "permanenten Krieg" eine zielstrebige Gesamtstrategie des Krieges. Um die handelt es sich meines Erachtens aber gerade nicht. Auch sind die USA und die verschiedenen EU-Staaten an vielen Orten der Welt nicht unbedingt Verbündete, sondern in vielem Konkurrenten. Sie tragen die Konkurrenz nur oft unter der Voraussetzung der Globalisierung und eines zwangsläufigen Zusammenwirkens aus.

Die USA haben die Kriege gegen Irak und in Afghanistan angezettelt und geführt, aber faktisch verloren. Die am Krieg gegen Libyen beteiligten westlichen Länder haben nicht etwa günstigere Reproduktionsbedingungen für das westliche Kapital in Libyen und einen einträglicheren Zugang zum libyschen Öl erreicht, sondern einen zerfallenden Staat hinterlassen, aus dem gerade die letzten westlichen Botschaftsbeschäftigten flüchten. Syrien ist im Bürgerkrieg versunken, aber auch durch den Westen nicht kontrollierbar. Der Irak zerfällt zurzeit ebenfalls in verschiedene Bestandteile, was nicht im Sinne der US-Strategie sein kann.

Etwas verkürzt könnte man sagen: die imperialistischen Mächte Europas haben vor 100 Jahren Kriege geführt, um die entsprechenden Gebiete zu erobern und anschließend zu beherrschen sowie auszubeuten. Beispiel waren der Krieg der USA gegen Spanien 1898, der den USA immerhin die Besetzung Kubas, Puerto Ricos und der Philippinen einbrachte, der Burenkrieg Großbritanniens (1899-1902), der die Kapkolonie mit ihren Reichtümern für das britische Empire "abrundete", oder die Eroberung Libyens durch Italien (1911-12).

Heute sind die westlichen Truppen zwar in der Lage, Länder zusammenzubomben, Regime zu stürzen, politische und gesellschaftliche Infrastrukturen zu zerstören, aber am Ende hinterlassen sie "gescheiterte Staaten", in denen es auch für das eigene Kapital kaum noch etwas zu holen gibt. Gleichzeitig nimmt die Zahl der regionalen Konflikte immer weiter zu, sie fließen gleichsam ineinander, wie Tintenkleckse auf einem Löschblatt. Die Gesamtsituation im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika wird unübersichtlicher und unbeherrschbarer.

Nur wenn man unterstellt, dass die Zunahme von Chaos in der Welt eine sinnvolle Strategie der USA wäre, um ihren Abstieg zu kaschieren und den aufstrebenden Mächten, vor allem China und Russland zu schaden, hätte ein "permanenter Krieg" Sinn. Das wäre dann aber eher so etwas wie "Strategie der verbrannten Erde", wie sie die zaristische Armee bei ihren Rückzügen im ersten Weltkrieg und die deutsche Wehrmacht besonders verbrecherisch im Osten im zweiten Weltkrieg angewandt haben. Nach der Devise: Wenn die USA die Welt schon nicht mehr beherrschen können, sollen es andere auch nicht. Derweil aber nimmt die Kriegsgefahr in der Welt zu, zunächst in Gestalt der vielen regionalen Konflikte, die sich überlagern und verstärken, von denen die westlichen Mächte etliche angezettelt und befördert haben, die sich zunehmend jedoch verselbständigen und von niemandem mehr kontrollierbar sind. Zugleich werden die Beziehungen zu Russland absichtsvoll verschlechtert. Und die Zauberlehrlinge sehen am Ende nicht Besen, sondern Atomraketen.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 16/2014 vom 4. August 2014, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 17. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†), Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2014