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DAS BLÄTTCHEN/1274: Wesselburen, Weimar und Wien


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
16. Jahrgang | Nummer 6 | 18. März 2013

Wesselburen, Weimar und Wien

von Ulrich Kaufmann



Das idyllische Städtchen Wesselburen in Norderdithmarschen nennt sich werbend "Hebbel-Stadt". Streift man als kulturbeflissener Urlauber durch die Buchhandlungen Schleswig-Holsteins, so findet man ganze Regale über den Husumer Theodor Storm, jedoch wenig Literatur über den Landsmann Friedrich Christian Hebbel.

Friedrich wurde ebendort am 18. März 1813 - also genau heute vor 200 Jahren - als erster Sohn des Maurers und Tagelöhners Claus Friedrich und seiner Ehefrau Anje Margarete Hebbel geboren. Der Kirchenschreiber verzeichnete freilich die Geburt eines "Friedrich Häppel", der eine Woche später getauft wurde. 1827, im Jahr von Hebbels Konfirmation, starb der Vater des Knaben.

Hebbel musste nunmehr zum Unterhalt der Familie beitragen und war als Laufjunge und seit 1829 als Schreiber des Kirchspielvogts Johann Jacob Mohr tätig. Dieser "ebenso menschenfreundliche als gebildete Mann" - wie Hebbel später notierte - gab dem wissbegierigen Autodidakten vielfältige Anregungen. Auch Latein büffelte der junge Friedrich Hebbel ein Jahr lang. Zu seinem Lieblingsdichter wurde Friedrich Schiller. Jahrzehnte später wird der Dichter tief ergriffen das letzte Wohnhaus Schillers in Weimar besuchen. Dessen Fragment gebliebenes Stück "Demetrius" will Hebbel vollenden, aber auch ihm nimmt der Tod, im Dezember 1863, die Feder aus der Hand.

In Wesselburen wurde nicht zuletzt Hebbels Liebe zum Theater geweckt: Im Stall des kleinen Hotels "Stadt Hamburg" gab es eine Liebhaberbühne, die den späteren Dramatiker magisch anzog. Zu einem zweiten Stern am Dichterhimmel wurde für ihn Heinrich Heine, der Hebbel 1843 freundlich in Paris empfangen sollte. Bereits 1831 heißt es in einem Brief an einen Jugendfreund: "Hast Du die Reisebilder von Heinrich Heine gelesen? Oder sie beurteilen hören? Es ist sicherlich eins der genialsten Werke neuerer Zeit. Ich habe viel darüber gelesen, aber bloß den 1 sten Theil zu Gesicht bekommen können."

In die frühen Wesselburer Jahre fallen erste Veröffentlichungen Hebbels. Bereits der Vierzehnjährige dachte im "Ditmarser und Eiderstedter Boten" öffentlich über Hochzeit nach: "Wenn ich verheiratet wäre" überschrieb er eines seiner Frühwerke. Zwei Jahre später, 1829, rückte er im gleichen Blatt unter anderem das Gedicht "Sehnsucht" ein. Aus der Distanz wird Hebbel die frühen lyrischen Versuche im "Boten" als "Sprachschaum" abtun.

Zunehmend wurde Hebbel klar, dass er in die "große" Welt musste, um sich neuen geistigen Herausforderungen stellen zu können. Bildungsdefizite - etwa in den modernen Fremdsprachen Englisch und Französisch - sollten den Autodidakten ein Leben lang belasten. Vor allem in Wiener und Weimarer Hofkreisen werden ihm diese später schmerzlich bewusst. 1832 wandte sich Friedrich Hebbel händeringend an den in Stuttgart ansässigen Dichter Ludwig Uhland: "...nehmen Sie sich meiner an! Thun Sie für mich, was Sie thun können! Mein erster und nächster Wunsch geht dahin, diesen Ort, obgleich mich manch werthes Freundschaftsband und kindliche Liebe an denselben fesselt, sobald als möglich zu verlassen: ich fühle grässlich, dass ich hier, wenn nicht am Leib, so doch an der Seele zur Mumie eintrocknen muß." Zurück kam eine freundliche Antwort, eine Hilfe blieb aus. Und so musste Hebbel den Schritt in die "große" Welt ohne den Beistand des selbstgewählten süddeutschen Dichter-Mentors wagen.

Seine Reise- und Studienjahre verbringt er unter anderem in Hamburg, Heidelberg, München, Kopenhagen, Paris, Rom und Neapel. Seit 1845 lebt Hebbel in Wien. Pläne, sich in der Goethe-Stadt Weimar anzusiedeln, zerschlagen sich in den letzten Lebensjahren.

In die deutsche Literaturgeschichte ging Hebbel - neben Georg Büchner - als wesentlicher Dramatiker des 19. Jahrhunderts ein. Seine Dramen "Judith", "Maria Magdalena", "Agnes Bernauer", "Gyges und sein Ring" sowie seine "Nibelungen"-Trilogie gehören zum Kanon deutscher Theaterliteratur. Hebbel trat ebenso als Lyriker und Aphoristiker hervor. Erst spät wurde er als Tagebuchschreiber von Rang entdeckt.

Hebbels vergleichsweise geringe Popularität im Norden Deutschlands hängt wohl damit zusammen, dass Wesselburen nicht der Ort war, an dem die bleibenden Werke des Dichters entstanden. Im Gegensatz zu Theodor Storm hat Friedrich Hebbel Norddeutschland nur selten zum literarischen Ort seines vielgestaltigen Werks gewählt. Es gibt indessen Texte, in denen der Dichter sehr anschaulich seine Kindheit gestaltet: Dafür steht etwa das elfstrophige Erzählgedicht "Bubensonntag", in dem Hebbel schildert, wie der Knabe durch den Kirchgang geprägt wurde. In seinen "Notizen zur Biographie" erinnert er sich sehr genau an die noch heute das Städtchen prägende St.-Bartholomäus-Kirche: "Die Kirche, für den untergeordneten Flecken überraschend, ja ungebührlich groß, liegt etwas erhöht, und die Straßen sind in Kreuzes- oder vielmehr Sternenform herumgebaut, so dass man keine betreten kann, die nicht zum Hause des Herren führte. Der geräumige Kirchhof aber, der längst nicht mehr zu Begräbnissen benutzt wird, ist zu allen Jahreszeiten belebt, weil sich dort nach uraltem Brauch aus der ganzen Umgebung die Schnitter, Mäher, Drescher Pflugknechte usw. versammeln, die Arbeit suchen."

Der Dichter, oft durch Krankheiten geplagt, hat seinen Heimatort Wesselburen nicht wieder besucht. Gefreut aber hat er sich über ein Aquarell von Johann Peter Lyser, das sich im März 1863 unter den Präsenten zu seinem 50. Geburtstag befand. Dies Bild zeigt - wenn auch in den Proportionen nicht genau erfasst - die Kirche seines Heimatortes, in der er einstmals im Chor mitwirkte. Der Besucher des Hebbel-Museums in Wesselburen kann dieses kleine Kunstwerk in einer Kopie sehen. Vor allem aber enthält die Gedenkstätte eine Fülle von Originalen: Handschriften, Gemälde, Fotos, Zeugnisse der Familie, Möbel, die Totenmaske Hebbels und vieles mehr.

Zu sehen sind auch ein Modell sowie ein Gemälde von Hebbels Geburtshaus in der damaligen Norderstraße. Das Originalgebäude wurde noch zu Hebbels Lebzeiten abgerissen. An einem authentischen Ort, in der "Alten Kirchspielvogtei" in der Österstraße, befindet sich seit 1952 das heutige Hebbel-Museum. Hier verbrachte der junge Friedrich, wie erwähnt, einige seiner Lehrjahre. Die Exposition zeigt dem Besucher indessen nicht nur den werdenden Dichter, sondern den "ganzen" Hebbel.

Das Hebbel-Museum ist zugleich Sitz der Hebbel-Gesellschaft. Das traditionsreiche Haus in der "Hebbel-Stadt" beherbergt überdies eine Spezialbibliothek zum Werk des bedeutendsten Sohnes von Wesselburen.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 6/2013 vom 18. März 2013, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2013